Conrad Ferdinand Meyer
Die Richterin
Conrad Ferdinand Meyer

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Drittes Kapitel

An einem Fenster von Malmort, durch welches der Talgrund mit seinen Türmen und Weilern als duftige Ferne hereinschimmerte, stand die Richterin mit Wulfrin und zeigte ihm die Größe ihres Besitzes. »Das beherrsche ich«, sagte sie, »und Palma nach mir. Dich aber, Wulfrin, habe ich schon ehevor dazu ausersehen – wie es auch deine brüderliche Pflicht ist –, der Schwester, wenn ich stürbe, dieses weite Erbe zu sichern.«

»Planvoll, aber ferneliegend«, sagte er.

»Fern oder nahe. Du bist ihr natürlicher Beschützer. Ich kann mein Kind keinem Mächtigen dieses Landes vermählen, denn sie sind ein zuchtloses und sich selbst zerstörendes Geschlecht. Ich bände sie an den Schweif eines gepeitschten Rosses! Ringsherum keine Burg, an der nicht Mord klebte! Soll mir mein Kind in einem Hauszwist oder in einer Blutrache untergehen? Ja, fände ich für sie einen Guten und Starken wie du bist, dann wäre ich ruhig und könnte dich freigeben, du hättest weiter keine Pflicht an ihr zu erfüllen. Ich weiß ihr keinen Gatten als allein Gnadenreich, und der besitzt das Land, nach der Verheißung, als ein Sanftmütiger, kann es aber gegen die Gewalttätigen nicht behaupten, deren Zahl hier Legion ist. Erst seine Söhne werden kraft meines Blutes Männer sein. Bis diese kommen und wachsen, wirst du schon deine gepanzerte Hand über Gnadenreich und Palma halten und die Herrschaft führen müssen. Denn ewig reitest du nicht mit dem Kaiser. Vielleicht auch, wer weiß, erhebt er dich zum Grafen über diesen Gau, oder dann erhältst du von mir eine Burg, jene« – sie wies auf einen Turm am Horizonte – »oder eine andere, nach deinem Gefallen. Oder du hausest hier auf meinem eigenen festen Malmort.« Sie legte ihm vertrauend die Hand auf die Schulter.

»Aber, Frau«, sagte er, »du lebst!«, und sie erwiderte: »Solang ich lebe, herrsche ich.«

»Dann hat es keine Eile«, antwortete er. »Daß der Schwester nichts geschehen darf, versteht sich und gelobe ich dir. Doch jetzt muß ich reiten, heute! in einer Stunde!«

»Zum Kaiser? Du hast ihm bereits meinen ortserfahrenen Rudio geschickt mit der sichern Kundschaft, daß die Lombarden sich am Mons Maurus befestigen und dort noch ein blutiger Sturm wird gegen sie geführt werden müssen. Herr Karl sitzt in Mediolanum, wie wir wissen. So braucht es dir nicht zu eilen.«

»Ich lag schon zu lange hier, mich verlangt in den Bügel«, sagte der Höfling, und die Richterin erwiderte nachgiebig: »Dann schenkst du mir noch diesen Tag. Ich sähe es gerne, wenn du Palma verlobtest. Warum Gnadenreich sich hier nicht blicken läßt? Er hält sich wohl in seinem Pratum eingeschlossen, der Lombarden halber, vorsichtig wie er ist, obschon, wie ich glaube, diese hier verstoben sind. Weißt du was? Geh und bring ihn. Oder wüßtest du deiner Schwester einen bessern Mann?«

»Nein, Frau, wenn sie ihn mag! Doch was habe ich dabei zu raten und zu tun? Das ist deine Sache und die des Pfaffen, der sie zusammengibt. Ich will den Rappen satteln gehen, den du mir geschenkt hast.«

Sie blickte ihn mit besorgten Augen an. »Was ist dir, Wulfrin? Du siehst bleich! Ist dir nicht wohl hier? Und mit Palma gehst du um wie mit einer Puppe, du stößest sie weg, und dann hätschelst du sie wieder. Du verdirbst mir das Mädchen. Wo hast du solche Sitte gelernt?«

»Sie ist aufdringlich«, sagte er. »Ich liebe freie Ellbogen und kann es nicht leiden, daß man sich an mich hängt. Sie läuft mir nach, und wenn ich sie schicke, weint sie. Dann muß ich sie wieder trösten. Es ist unerträglich! Ich habe die Gewohnheit breiter Ebenen und großer Räume – auf diesem Felsstück ist alles zusammengeschoben. Das Gebirge drückt, der Hof beengt, der Strom schüttert – an jeder Ecke, auf jeder Treppe dieselben Gesichter! Verwünschtes Malmort! Hier hältst du mich nicht. Hier lasse ich mich nicht einmauern. Mache dir keine Rechnung, Frau.«

»Du tust mir wehe«, sagte sie.

Die harte Rede reute ihn. »Frau, laß mich ziehen!« bat er. »Und daß du dich zufrieden gebest, hole ich dir heute noch den Gnadenreich, und wir verloben die Schwester. Wo haust er?«

»Ich danke dir, Wulfrin. Graciosus wohnt nicht ferne von hier, in Pratum.« Sie deutete nach einer zerrissenen Schlucht, über welcher eine grüne Alp hoch emporstieg. »Ich gebe dir einen Führer. Den Knaben hier.« Sie zeigte in den Hof hinunter, wo ein Hirtenbube sich damit beschäftigte, eine Sense zu wetzen. Palma stand neben ihm und plauderte.

»Gabriel«, rief ihn die Richterin, »du führst deinen Herrn Wulfrin nach Pratum.«

»Den Höfling? Mit Freuden!« jauchzte der Bube.

»Er träumt davon«, erklärte die Richterin, »hinter dem Kaiser zu reiten. Besieh dir ihn.«

»Darf ich mit?« fragte Palma und hob das Haupt.

»Nein«, sagte die Richterin.

»Bruder!« bat sie und streckte die Hände.

»Schon wieder! Zum Teufel!« fluchte er. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »So komm, Närrchen!«

Da die dreie barhaupt und reisefertig in dem feuchten Tore standen, während ringsum die Sonne brannte, sagte die geleitende Richterin zu Wulfrin: »Ich anvertraue dir Palma: hüte sie!«

»Halleluja! Voran, Engel Gabriel!« jubelte das Mädchen.

Unten am Burgweg sagte der Hirtenbube: »Herr, es gibt zwei Wege nach Pratum. Der eine steigt durch die Schlucht, der andere über die Alp.« Er wies mit der Hand. »Wenn es dir und der jungen Herrin beliebt, so nehmen wir diesen. Oben schaut es sich weit und lustig, und es könnte trübe werden gegen Abend. Es ist ein Gewitterchen in der Luft.«

»Ja, über die Alp, Wulfrin!« rief Palma. »Ich will dir dort meinen See zeigen«, und leichtgeschürzt schlug sie sich über eine lichte Matte, die bald zu steigen begann und immer steiler wurde.

Leicht wie auf Flügeln, mit frei atmender Brust ging das Mädchen bergan und blieb unter der sengenden Sonne frisch und kühl wie eine springende Quelle. Der Berg hatte an dem Kinde seine Freude. Glänzende Falter umgaukelten ihr das Haupt, und der Wind spielte mit ihrem Blondhaar.

Wulfrin schaute um nach Malmort, das grau schimmernd kaum aus der Morgenlandschaft hervortrat. »Wie geschah mir«, fragte er sich, »in jenem Gemäuer dort? Wie konnte mich dieses unschuldige Geschöpf beängstigen, dieses fröhliche Gespiel, diese behende Gems mit hellen Augen und flüchtigen Füßen?« Ihm wurde wohl, und er mochte es gerne, daß der Knabe zu plaudern begann.

Gabriel erzählte von den Lombarden, welche er als Späher der Richterin beschlichen hatte. Sie seien überall und nirgends. Sie nisten in den Pässen, belauern die Boten und plündern die Säumer. Sie berauschen sich in dem geraubten heißen Weine von drüben, prahlen mit besiegten Waffen, fabeln von der Herstellung der eisernen Krone und leugnen oder lästern den Weltlauf. Sie beten den Teufel an, der das Regiment führe, »und doch«, endigte der Knabe, »sind sie gläubige Christen, denn sie stehlen aus unsern Kirchen alles heilige Gebein zusammen, soviel sie davon erwischen können. Es ist Zeit, daß der Herr Kaiser zum Rechten sehe und ihnen feste Bezirke und einen Richter gebe.«

Da nun Gabriel bei dem Kaiser angelangt war, dessen erneuerte Würde ihren Schimmer bis in dieses wilde Gebirge warf, begeisterten sich seine Augen und er rief: »Diesem und keinem andern will ich dienen! Ich heiße Gabriel und schlage gerne mit Fäusten, lieber hieße ich Michael und hiebe mit dem Schwerte! Recht muß dabei sein, und der Kaiser hat immer Recht, denn er ist eins mit Gott Vater, Sohn und Geist. Er hat die Weltregierung übernommen und hütet, ein blitzendes Schwert in der Faust, den christlichen Frieden und das tausendjährige Reich.«

Nun mußte ihm Wulfrin den Kaiser beschreiben, die Spangen seiner Krone, den blauen, langen Mantel, das tiefsinnige Antlitz, das kurzgeschorene Haupt, den hangenden Schnurrbart, »den wir Höflinge ihm nachahmen«, sagte er lachend.

»Wie blickt der Kaiser?« fragte Palma, und Wulfrin antwortete ohne Besinnen: »Milde.«

Die Kinder lauschten andächtig und bestaunten den Mann, der mit dem Herrn der Welt Umgang pflog; sobald aber die Höhe erreicht war, wo sich der Rasen breitete, war es mit der Andacht vorbei. Gabriel jauchzte gegen eine ernsthafte Felswand, die den Knabenjubel gütig spielend erwiderte, und Palma lief, den Höfling an der Hand, einem gründunkelklaren Gewässer entgegen, das die Wand mit ihrem Riesenschatten noch immer vor der schon hohen Sonne verbarg. Sie umwandelten das mit Felsblöcken besäte Ufer bis zu einem bemoosten Vorsprung, der weiche Sitze bot. Hier zog sie ihn nieder, und wie sie so lagerten, sagte sie: »Nun ist das Märchen erfüllt von dem Bruder und der Schwester, die zusammen über Berg und Tal wandern. Alles ist schön in Erfüllung gegangen.«

»Haust hier unten auch eine?« neckte Wulfrin den Buben. Gabriel blieb die Antwort schuldig, denn er mochte sich vor dem Höfling nicht bloßstellen.

»Dumme Geschichten«, lachte dieser, »es gibt keine Elben.«

»Nein«, sagte Gabriel bedenklich und kratzte sich das Ohr, »es gibt keine, nur darf man sie nicht mit wüsten Worten rufen oder gar ihnen Steine ins Wasser schmeißen. Aber, Herr, wo hast du dein Hifthorn? Du trugest es an der Seite, da du nach Malmort kamst.«

»Es ist in den Strom gestürzt«, fertigte ihn der Höfling ab.

»Das ist nicht gut«, meinte der Knabe.

»Heho, Gabriel!« rief es aus der Ferne, und ein anderer Hirtenbube wurde sichtbar. »Ein Fohlen hat sich nach Alp Grun verlaufen, kohlschwarz mit einem weißen Blatt auf der Stirn. Ich wette, es gehört nach Malmort.«

Gabriel sprang mit einem Satz in die Höhe. »Heilige Mutter Gottes«, rief er, »das ist unsere Magra, der muß ich nach! Lieber Herr, entlasse mich. Du wirst dich schon zurechtfinden. Ein Mensch ist vernünftiger als ein Vieh. Dort«, er deutete rechts, »Siehst du dort den roten Grat? Den suche, dahinter ist Pratum. Auch weiß die kleine Herrin Bescheid.« Und weg war er, ohne sich um Antwort zu kümmern.

»Palma«, lachte Wulfrin, »wenn da unten eine Elbin leuchtete?«

»Mich würde es nicht wundern«, sagte sie. »Oft, wenn ich hier liege, erhebe ich mich, steige sachte ans Ufer nieder und versuche das Wasser mit der Zehe. Und dann ist mir, als löse ich mich von mir selbst, und ich schwimme und plätschere in der Flut. Aber siehe!«

Sie deutete auf ein majestätisches Schneegebirge, das ihnen gegenüber sich entwölkte. Seine verklärten Linien hoben sich auf dem lautern Himmel rein und zierlich, doch ohne Schärfe, als wollten sie ihn nicht ritzen und verwunden, und waren beides, Ernst und Reiz, Kraft und Lieblichkeit, als hätten sie sich gebildet, ehe die Schöpfung in Mann und Weib, in Jugend und Alter auseinanderging.

»Jetzt prangt und jubelt der Schneeberg«, sagte Palma, »aber nachts, wenn es mondhell ist, zieht er bläulich Gewand an und redet heimlich und sehnlich. Da ich mich jüngst hier verspätete, machte sich der süße Schein mit mir zu schaffen, lockte mir Tränen und zog mir das Herz aus dem Leibe. Aber siehe!« wiederholte sie.

Eine Wolke schwebte über den weißen Gipfeln, ohne sie zu berühren, ein himmlisches Fest mit langsam sich wandelnden Gestalten. Hier hob sich ein Arm mit einem Becher, dort neigten Freunde oder Liebende sich einander zu, und leise klang eine luftige Harfe. Palma legte den Finger an den Mund. »Still«, flüsterte sie, »das sind Selige!« Schweigend betrachtete das Paar die hohe Fahrt, aber die von irdischen Blicken belauschte himmlische Freude löste sich auf und zerfloß. »Bleibet! oder gehet nur!« rief Palma mit jubelnder Gebärde, »Wir sind selige wie ihr! Nicht wahr, Bruder?«, und sie blickte mit trunkenen Augen bis in den Grund der seinigen.

Es kam die schwüle Mittagsstunde mit ihrem bestrickenden Zauber. Palma umfing den Bruder in Liebe und Unschuld. Sie schmeichelte seinem Gelocke wie die Luft und küßte ihn traumhaft wie der See zu ihren Füßen das Gestade. Wulfrin aber ging unter in der Natur und wurde eins mit dem Leben der Erde. Seine Brust schwoll. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Feuer loderte vor seinen Augen...

Da rief eine kindliche Stimme: »Sieh doch, Wulfrin, wie sie sich in der Tiefe umarmen!«

Sein Blick glitt hinunter in die schattendunkle Flut, die Felsen und Ufer und das Geschwisterpaar verdoppelte. »Wer sind die zweie?« rief er.

»Wir, Bruder«, sagte Palma schüchtern, und Wulfrin erschrak, daß er die Schwester in den Armen hielt. Von einem Schauder geschüttelt sprang er empor, und ohne sich nach Palma umzusehen, die ihm auf dem Fuße folgte, eilte er in die Sonne und dem nahen Grate zu, wo jetzt eine Figur mit einem breiten Hut und einem langen Stabe Wache zu halten schien.

»Grüß Gott! grüß Gott!« bewillkommte Gnadenreich die Geschwister, ohne einen Schritt vom Platze zu tun. Er streckte ihnen nur die Hände entgegen. »Ich habe es dem Ohm feierlich geloben müssen«, erklärte er, »solange die Lombardengefahr dauert, die Grenze meiner Weiden hütend zu umwandeln, aber nicht zu überschreiten, denn Pratum ist ein Lehen des Bistums, und die Kirche hält Frieden. Sei willkommen, Wulfrin, und Palma nicht minder!« Seine Blicke liefen rasch zwischen dem Höfling und dem Mädchen: beide schienen ihm befangen. Er wurde es auch, denn er glaubte die Ursache ihres Weges zu wissen, und da sie schwiegen, begann er ein großes Geplauder.

»Sie haben dem guten Ohm böse mitgespielt«, erzählte er. »Wir saßen zu dreien in der Stube beim Nachtische, denn die Richterin war nach Chur gekommen, um den Bischof gegen die Lombarden in die Waffen zu treiben, was er ihr als ein Kind des Friedens verweigern mußte. Frau Stemma und der Ohm stritten sich bei den Nüssen, wie sie zuweilen tun, über die Güte der Menschennatur. Nun hatten sich kürzlich zwei arge Geschichten ereignet. Jucunda, die junge Frau des Montafuners, welche Bischof Felix gefirmelt hatte« –

»Mit mir. Sie war sein Liebling«, rief Palma, die wieder dicht neben dem Höfling schritt.

»Still!« sagte dieser ungebärdig, und das Mädchen lief nach einer Blume.

– »wurde von ihrem Manne mit einem Edelknecht ertappt und durch das Burgfenster geworfen. Wenige Tage später schlug der Schamser mitten im Stiftshofe dem Bergüner nach kurzem Wortwechsel den Schädel ein, und doch hatten sie eben auf die priesterliche Zusprache des Ohms sich geküßt und miteinander den Leib des Herrn empfangen. Solches hielt ihm Frau Stemma vor, doch der Ohm erwiderte: ›Das sind Wallungen und augenblickliche Verfinsterungen der Vernunft, aber die Natur ist gut und wird durch die Gnade noch besser.‹ Der Ohm ist ein bißchen Pelagianer, hi, hi!«

»Pelagianer?« fragte der Höfling zerstreut, denn sein Blick rief Palma, die ihm gleich wieder zusprang. »ist das nicht eine Gattung griechischer Krieger?«

»Nicht doch, Wulfrin, es ist eine Gattung Ketzer. Also: Frau Stemma und der Ohm stritten über das Böse. Da sieht der Bischof, der kurzsichtig ist, auf Felicitas – diesen Namen hat er der nahen Höhe gegeben, wo ihm ein Sommerhaus steht – eine Flamme. Wir feiern den Abzug der Lombarden«, lächelte er. Frau Stemma blickt hin und bemerkt in ihrer ruhigen Weise: ›Ich meine, sie sind es selber‹, und richtig tanzten sie auf dem Hügel wie Dämonen um den Brand.

Da lärmt es auf dem Platz. Ein Bösewicht fällt mit der Türe ins Haus und redet: ›Bischof, tue nach dem Evangelium und gib mir den Rock, nachdem du seine Taschen mit Byzantinern gefüllt hast, denn deine Mäntel haben wir in der Sakristei drüben schon gestohlen!‹ Der Ohm erstarrt. Jetzt tritt der Lombarde auf Stemma zu, welche im Halbdunkel saß, ›Die Frau da‹, höhnt er, ›hat einen Heiligenschein um das Haupt, her mit dem Stirnband!‹ Da erhebt sich Frau Stemma und durchbohrt den Menschen mit ihren fürchterlichen Augen: ›Unterstehe dich!‹ ›Ja so‹, sagt er, ›die Richterin!‹ und biegt das Knie. Da der arme Ohm endlich aufatmete, nach erbrochenen Kisten und Kasten, rief ihn der Höllenkerl wieder vom Domplatze her ans Fenster. Er ritt mit nackten Fersen den schönsten Stiftsgaul, dem er eine purpurne Altardecke übergelegt – sich selbst hatte er ein Meßgewand umgehangen –, und zog dem Kirchenschimmel mit dem entwendeten Krummstab von Chur einen solchen über den blanken Hinterbacken, daß er bolzgerade stieg und der Stab in Trümmer flog. ›Bischof, segne mich!‹ schrie der Lombarde. Der Ohm in seiner Frömmigkeit besiegte sich. ›Ziehe hin in Frieden, mein Sohn!‹ sprach er und hob die Hände.

›Dich, Bischof‹, jauchzte der Lombarde, ›hole der Teufel!‹

›Und dich hole er gleichfalls!‹ gab der Ohm zurück. Ich hätte es eigentlich nicht erzählen sollen«, endete Gnadenreich halb reuig, »es hat den Ohm schrecklich erbost.«

Palma hatte gelacht, auch der Höfling verzog den Mund, und Gnadenreich wurde immer gesprächiger und zutulicher.

»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen, Wulfrin«, sagte er. »Ich verließ Rom bald nach dir, aber was habe ich nicht dort noch erlebt! Welche Bekanntschaften habe ich gemacht! Ich ging dein Büchlein im Palaste holen und traf ihn selbst, der es geschrieben. Welch ein Kopf! Fast zu schwer für den kleinen Körper! Was da alles drinnesteckt! Kaum ein Viertelstündchen kostete ich den berühmten Mann, aber in dieser winzigen Spanne Zeit hat er mich für mein Lebtag in allem Guten befestigt. Dann pochte es ganz bescheiden und leise, und wer tritt ein? – ich bitte dich, Wulfrin! – der Kaiser. Ich verging vor Ehrfurcht. Er aber war gnädig und ergötzte sich, denke dir! an deiner Geschichte, Wulfrin, die er sich von mir erzählen ließ« –


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