Conrad Ferdinand Meyer
Die Richterin
Conrad Ferdinand Meyer

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Mit ruhigem Blicke prüfte Stemma das grellbeleuchtete knochige Gesicht der gleichaltrigen Räterin. Dann ließ sie sich auf eine Treppenstufe nieder, und Faustine kroch zu ihren Knien, ohne diese zu berühren. Ihre Augen waren gesund. »Herrin«, sagte sie, »du weißt alles, und wenn du mich ein Jahrzehnt und länger gnädig verschont und meine Missetat bedeckt hast, so war es, weil du nicht wolltest, daß die Brunetta, der unschuldige Wurm, zuschanden komme. Ich durfte sie aufziehen, und diese Gunst hast du mir erwiesen, weil ich dein Gespiel gewesen bin. Jetzt aber, da die Brunetta einem Manne folgt, ist kein Grund, länger zu trödeln und zu tändeln. Laß uns die Sache ins reine bringen. Gib mir mein Urteil!«

Die Richterin erkannte aus der ganzen Gebärde Faustinens, daß diese bei Sinnen sei, und sosehr sie das schlimme Geständnis überraschte, so wenig gab sie den furchtbaren Ruf ihrer Allwissenheit preis. »Lege Bekenntnis ab«, sagte sie streng. »Das ist der Anfang der Reue.« Und Faustine begann: »Kurz ist die Geschichte. Der Schütze Stenio umwarb mich« –

»Den der Eber, welchen er gefehlt hatte, schleifte und zerriß« –

»Jener. Hernach gab mich der Judex seinem Reisigen Lupulus zur Ehe. Ich bequemte mich und doch« – sie hielt inne, um das reine Ohr Stemmas nicht zu beleidigen. Die Richterin half ihr und sagte ernst und traurig: »Und doch warest du das Weib des Toten.«

Faustine nickte. »Dann, vor dem Altar, plötzlich, zu meinem Entsetzen« –

»Fühltest du, daß du dem Toten gehörtest, du und ein Ungebornes«, half ihr die Richterin.

Wieder nickte Faustine. »Das ist alles, Herrin«, sagte sie. »Lupulus, jähzornig wie er war, hätte mich umgebracht. Das Ungeborne aber verhielt mir den Mund und flüsterte mir Feindseliges gegen den Mann zu.«

»Genug«, schloß Stemma. »Nur eines noch: woher hattest du das Gift?«

»Siehst du, Herrin«, rief das Weib, »daß du weißt, wie ich ihn tötete! Das Gift hat mir Peregrin gezeigt.«

»Peregrin?« fragte die Richterin mit verhüllter Stimme. »Das ist nicht möglich«, sagte sie.

»Er zeigte es mir und warnte mich davor. Ich irrte verzweifelnd unter den Kiefern von Silvretta. Da sehe ich ihn in seinem langen, dunkeln Gewande, der sich bückt und Wurzeln gräbt. Blumen nickten mit braunen Glocken. Er ruft mich herbei, und, eine dieser Blumen in der Hand, sagt er zu mir: ›Frau, hüte dich und die Kinder vor diesem Gewächs! Sein Saft tötet, außer in den Händen des Arztes.‹ Er meinte es gut mit seinem warnenden Blick unter dem braunen Gelocke hervor und hauchte mir doch einen grimmig bösen Gedanken an. Keine Schuld komme auf seine Seele! Doch ich rede töricht. Er ist ja längst ein Engel Gottes, seit er nach der großen Ebene wandernd im Gebirge unterging, wie sie sagen, und das war nicht lange nach jener Stunde. Du erinnerst dich noch, der Judex dein Vater, dem er die Wunde heilte, hatte ihn abgelohnt, was dir unlieb war, da er dich als ein weiser Kleriker noch vieles hätte lehren können.«

»Schwatze nicht«, gebot die Richterin, »und endige dein Bekenntnis. Am folgenden Tage bist du aus deiner Hütte nach Silvretta gegangen und hast die Wurzeln gegraben?«

»Ja. Du rittest vorüber, und ich duckte mich, damit du mich nicht erkennen möchtest, aber du wendetest dich zweimal im Sattel. Und nun sei barmherzig, Herrin, und gib mir mein Teil.« Sie ließ den Kopf auf die Brust fallen, so daß ihr der üppige schwarze Haarwuchs über das Gesicht sank.

Stemma sann, auf Faustinen niederblickend, und zog ihr mit zerstreuten Fingern einen langen Strohhalm aus dem Haar. »Faustine, mein Gespiel«, sagte sie endlich, »ich kann dich nicht richten.«

Die ganze Faustine geriet in Aufruhr. »Warum nicht?« schrie sie empört, »du mußt es, oder ich schreie, daß alle Mauern tönen: Sie hat ihren Mann umgebracht!«

Stemma verhielt ihr den Mund. »Laß das Totengebein!« schalt sie, als drohe sie einem den verscharrten Knochen hervorkratzenden Hunde.

»Sei barmherzig!« flehte Faustine, »laß mir das Haupt abschlagen, nachdem es Gott gekostet und sein Kreuz geküßt hat. Dann wächst es mir im Himmel wieder an und, Stenio rechts, Lupulus links, sitzen wir auf einer Bank und geben uns die Hände. Danach verlangt mich«, und sie streckte den Hals.

»Ich kann dich nicht richten, Törin«, sagte Stemma sanfter. »Aus drei Gründen nicht. Merk auf!

Als du deine Tat begingest, lebte und regierte noch der Judex mein Vater. Nach seinem Ende und dem des Comes, da ich das Richtschwert erbte, habe ich laut verkündigt: ›Ab ist alles Geschehene! Von nun an sündige keiner mehr!‹ Aber auch wenn ich dieses nicht hätte ausrufen lassen, könnte ich dennoch dich nicht richten, und du gingest frei aus, denn seit deiner Tat sind fünfzehn völlige Jahre in das Land gegangen, und hier ist uralter Brauch, daß Schuld verjährt in fünfzehn Jahren.«

»Verjährt? was ist das?« fragte Faustine verblüfft.

»Durch die Wirkung der Zeit ihre Kraft verliert.«

Ein höhnisches Lachen lief blitzend über die weißen Zähne der Räterin. »Also zum Beispiel«, sagte sie, »wenn ich gestern noch meinen Mann vergiftet hatte und über Nacht wird die Zeit völlig, so bin ich heute keine Mörderin mehr. Diese Dummheit!«

»Doch, du bleibst eine Mörderin«, belehrte sie Stemma langmütig, »aber du hast mit dem irdischen Richter nichts mehr zu schaffen, sondern nur noch mit dem himmlischen. Sühne durch gute Werke! Du hast den Anfang gemacht: fünfzehn mühselige und rechtschaffene Jahre wiegen.«

»Nichts wiegen sie!« zürnte Faustine. »Ich sehe schon, du willst meiner schonen! Du heißest die Richterin, aber du bist die Ungerechte, du machst Ausnahmen, du siehst die Person an!«

»Schweige!« befahl die Richterin. »Ich bin denn doch klüger als du, und ich sage dir: deine Sache ist nicht mehr richtbar. Noch aus einem letzten Grunde. Ich kann dich nicht verdammen, auch wenn ich dir den Gefallen tun wollte, denn es steht kein Zeuge gegen dich als deine törichte Zunge. Aber weißt du was: gehe nach Chur und beichte dem Bischof. Er ist der Hirte, und du bist das Schäflein. Er mag dir die härteste Buße auflegen: Fasten, schwere Dienste, härenes Hemde, blutige Geißelungen. Fordere sie, ist er dir zu milde! Dann aber gib dich zufrieden! Unterwirf dich ganz der Kirche: sie vertritt dich, und du hast eine sichere Sache!« Sie sagte das mit einem überzeugenden Lächeln.

»Ich weiß nicht«, schluchzte Faustine, »Gott sei davor, daß eine Missetäterin wie ich seiner heiligen Kirche nicht gehorche. Aber anders wäre es einfacher gewesen. Geplagt habe ich mich schon und im Schweiße meines Angesichtes zerarbeitet fünfzehn Jahre lang mit dem Trost und Vorsatz, sobald mein Kind in sein Alter und an den Mann gekommen, stracks in den Himmel zu fahren. Jetzt verrückst du mir die kurze Leiter und vertrittst mir den Weg.«

»Der nach Chur ist kurz, und der an unser Ende ist nicht lang. Gehorche, Faustine!« Sie ergriff die Fackel und schritt die Stufen vorauf. Faustine folgte wie eine Seele in Pein.

Unter dem Burgtor, das sich wie von selbst öffnete, denn der Wärtel hatte die wandernde Helle wahrgenommen, blickte die Richterin in die Nacht hinaus und sagte zu Faustinen: »Lege die Schuhe ab und laß die scharfen Kiesel deine Sohlen zerreißen, denn du bist eine große Sünderin!« Weinend trat Faustine ihren dunkeln Weg an.

 

Frau Stemma hatte recht gesagt. Da sie die hochgelegene Burgkammer betrat, schlief Palma. Neben ihren tiefen Atemzügen glomm auf einem Dreifuß eine hütende Flamme. Das Mädchen lag in ihrem ganzen Gewande auf dem Polster, die Hand über das Herz gelegt. Sie hatte das freudig pochende beruhigen wollen und war daran entschlummert. Die Mutter betrachtete die Gebärde und konnte sich der Erinnerung nicht erwehren.

Nach dem Tode des Vaters und des Gatten und nach der Geburt Palmas hatte die noch nicht zwanzigjährige Richterin die Regierung ihres Erbes mit entschlossener Hand ergriffen. Die dem jungen und schönen Weibe unter einem verwilderten, begehrlichen Adel von selbst entstehenden Freier und Feinde hatte sie mit einer über ihre Jahre scharfsinnigen Politik veruneint und der Reihe nach mit den Waffen ihrer Lehensleute gebändigt. Helm und Schwert und die gerechte Sache der mutigen Richterin wurden von dem friedseligen Bischof Felix in seinem festen Hofe Chur mit weit ausgestreckten Händen gesegnet. Nach einigen stürmischen Jahren war Stemmas Herrschaft befestigt, und es trat eine große Stille ein. Jetzt rächte sich die überhetzte Natur, und Stemma verlor den Schlummer. Wenn sie nicht selbst ihn verscheuchte mit brennenden Leuchtern und endlosen Schritten. Nicht weit von dem Lager ihres Kindes, auf einer schmalen Bank in der tiefen Fensterwölbung saß sie damals oft mit verschlungenen Armen, oder dann konnte sie lange, lange mit zwei Fläschchen spielen, welche sie in der Mauer verwahrte und die der arzneikundige junge Kleriker Peregrin auf Malmort zurückgelassen hatte, da er von dannen zog, um spurlos im Gebirge zu verschwinden. Beide waren von starkem Kristall und hatten über den gläsernen Zapfen goldene Deckel, auf deren einem das Wort »Antidoton« mit griechischen Lettern eingekritzt war, während auf dem andern ein winziges Schlänglein sich krümmte. Mit diesen Fläschchen zu spielen, bis der Tag anbrach, wurde Stemma zu einem Bedürfnis. Da geschah es einmal, daß sie darüber einnickte und, als das Frühlicht sie weckte, das eine Fläschchen, das unbeschriebene, aus ihrer halbgeöffneten Hand verschwunden war. Sie geriet in entsetzliche Angst und suchte und suchte. Endlich fand sie es in dem Händchen ihres Kindes. Die kleine Palma mochte, vor ihr erwacht, sie auf nackten Sohlen beschlichen, ihr das schmucke Spielzeug entwendet und mit ihm das Lager und den Schlummer wieder gefunden haben. Das Kind hielt den Kristall an das kleine Herz gepreßt und vorsichtig löste Frau Stemma Fingerchen um Fingerchen.

Jetzt holte sie, verlockt von der frühern Gewohnheit, die lange im Verschluß gelegenen Kristalle hervor. Nachdem sie dieselben eine Weile in den Händen gehalten und mit den Fläschchen, sie unablässig wechselnd, nach ihrer alten Weise gespielt hatte, legte sie das eine unter ihren mit Gemsleder beschuhten Fuß und zertrat es auf der steinernen Fliese mit einem kräftigen Drucke zu Scherben. Die ausströmende Flüssigkeit verbreitete einen angenehmen Mandelgeruch. Im Begriffe, den zweiten Kristall unter die Sohle zu legen, besah sie noch seinen goldenen Deckel und erkannte, daß sie sich zwischen den Fläschchen geirrt hatte. Sie glaubte das inschriftlose zuerst zermalmt zu haben und hielt es noch in der Hand. Kopfschüttelnd legte sie das Schlänglein unter die Ferse, doch das festere Glas widerstand hartnäckig. Sie ergriff es wieder, und schon hob sie den Arm, um es an der Wand zu zerschmettern, da hielt sie inne, aus Furcht, mit dem klirrenden Wurfe den Schlummer des Mädchens zu stören. Oder mit einem andern Gedanken barg sie es sorgfältig in dem weiten Busen ihres Gewandes.

Frau Stemma wurden die Lider schwer, und sie ließ sich betäubt in einen Sessel fallen. Da sah sie ein Ding hinter ihrem Stuhle hervorkommen, das langsam dem Lager ihres schlummernden Kindes zustrebte. Es floß wie ein dünner Nebel, durch welchen die Gegenstände der Kammer sichtbar blieben, während das blühende Mädchen in fester Bildung und mit kräftig atmendem Leibe dalag. Die Erscheinung war die eines Jünglings, dem Gewande nach eines Klerikers, mit vorhangenden Locken. Das ungewisse Wesen rutschte auf den Knien oder watete, dem Steinboden zutrotz, in einem Flusse. Stemma betrachtete es ohne Grauen und ließ es gewähren, bis es die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Dann sagte sie freundlich: »Du, Peregrin! Du bist lange weggeblieben. Ich dachte, du hättest Ruhe gefunden.« Ohne den Kopf zu wenden und sich wieder um einen Ruck vorwärts bringend, antwortete der Müde: »Ich danke dir, daß du mich leidest. Es ist ohnehin das letzte Mal. Ich werde zunichte. Aber noch zieht es mich zu meinem trauten Kindchen.«

»Seid ihr Toten denn nicht gestorben?« fragte die Richterin.

Wir sterben sachte, sachte«, antwortete der Kleriker. »Wie denkst du? Die« – er stotterte – »die Seele wird damit nicht früher fertig als der Leib vermodert ist. Inzwischen habe ich mir diesen ärmlichen Mantel geliehen.« Der Schatten schüttelte seine Gestalt wie einen rinnenden Regen. »Ei, was war der irdische Leib für ein heftiges und lustiges Feuer! In diesem dünnen Röcklein friert mich, und ich lasse es gerne fallen.«

»Hernach?« fragte Stemma.

»Hernach? Hernach, nach der Schrift« –

Stemma runzelte die Stirn. »Zurück von dem Kinde!« gebot sie dem Schatten, der Palma fast erreicht hatte.

»Harte!« stöhnte dieser und wendete das bekümmerte Haupt. Dann aber, von dem warmen Atem Stemmas angezogen, schleppte er sich rascher gegen ihre Knie, auf welche er die Ellbogen stützte, ohne daß sie nur die leiseste Berührung empfunden hätte. Dennoch belebte sich der Schatten, die schöne Stirn wölbte sich, und ein sanftes Blau quoll in dem gehobenen Auge.

»Woher kommst du, Peregrin?« sagte die Richterin.

»Vom trägen Schilf und von der unbewegten Flut. Wir kauern am Ufer. Denke dir, Liebchen, neben welchem Nachbar ich zeither sitze, neben dem« – er suchte.

»Neben dem Comes Wulf?« fragte die Richterin neugierig.

»Gerade. Kein kurzweiliger Gesell. Er lehnt an seinen Spieß und brummt etwas, immer dasselbe, und kann nicht darüber wegkommen. Ob du ihm ein Leid antatest oder nicht. Ich bin mäuschenstille« – Peregrin kicherte, tat dann aber einen schweren Seufzer. Darauf schnüffelte er, als rieche er den verschütteten Saft, und suchte mit starrem Blicke unter Stemmas Gewand, wo das andere Fläschchen lag, so daß diese schnell den Busen mit der Hand bedeckte.

Da fühlte sie eine unbändige Lust, das kraftlose Wesen zu ihren Füßen zu überwältigen. »Peregrin«, sagte sie, »du machst dir etwas vor, du hast dir etwas zusammengefabelt. Palma geht dich nichts an, du hast keinen Teil an ihr.«

Der Kleriker lächelte.

»Du bildest dir etwas Närrisches ein«, spottete die Richterin.

»Stemma, ich lasse mir mein Kindchen nicht ausreden.«

»Torheit! Wie wäre solches möglich? Was weißt du, Traum?«

»Ich weiß« – der flüchtig Beseelte schien eine Süßigkeit zu empfinden, in sein kurzes und grausames Los zurückzukehren – »wie mich dein Vater überfiel, da ich von meinem Lehrer dem Abte weg über das Gebirge zog. Der Judex litt an einer Wunde und hatte von meiner Wissenschaft vernommen. Da hob er mich auf und brachte mich dir mit. Du warest noch sehr jung und o wie schön! mit grausamen schwarzen Augen! Dabei herzlich unwissend. Ich lehrte dich Buchstaben und Verse bilden, doch diese da mochtest du nicht. Lieber regiertest du in den Dörfern, schiedest Händel und machtest die Ärztin bei deinen Eigenen. Ich zeigte dir die Kräfte der Kräuter, lehrte dich allerlei brauen, und du brachtest mir aus dem Schmuckkästchen zwei Kristalle« –

Die Richterin lauschte.

»Stemma, du bist noch jung, und auch ich bin jung geblieben, wenig älter, als da wir uns liebten«, schluchzte Peregrin zärtlich.

»Wir liebten uns«, sagte Stemma.

»Du lagest in meinen Armen!«

»Wo dich der Judex überraschte und erwürgte«, sprach sie hart. Peregrin ächzte, und Flecken wurden an seinem Halse sichtbar. »Er lud mich auf ein Maultier, zog mit mir davon und warf mich in den Abgrund.«

»Peregrin, ich habe geweint! Aber besinne dich: dein ist die Schuld! Bin ich nicht dreimal vor dich getreten, mein Bündel in der Hand? Habe ich dich nicht drohend beschworen, mit mir zu fliehen? Wer wollte Fuß neben Fuß in Armut und Elend wandern? Du aber erblaßtest und erbleichtest, denn du hast ein feiges Herz. Ich liebte dich, und, bei meinem Leben! – warest du ein Mann – Vater, Heimat, alles hätte ich niedergetreten und wäre dein eigen geworden.«

»Du wurdest es«, flüsterte der Schatten.

»Niemals!« sagte Stemma. »Sieh mich an: gleiche ich einer Sünderin? Blicke ich wie eine Leidenschaftliche und Leichtfertige? Bin ich nicht die Zucht und die Tugend? Und so war ich immer. Du hast mich nicht berührt, kaum daß du mir mit furchtsamen Küssen den Mund streiftest. Wo hättest du auch den Mut hergenommen?«

Da geriet der Schatten in Unruhe. »O ihr Gewalttätigen beide, der Vater und du! Er hat mich geraubt und erwürgt, du, Stemma, locktest mit dem Blutstropfen! Gib den Finger, da sitzt das Närbchen!«

Stemma hob die Achseln. »Es war einmal«, höhnte sie.


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