Benvenuto Cellini
Leben des Benvenuto Cellini
Benvenuto Cellini

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XII. Schilderung Cellinis

In einer so regsamen Stadt, zu einer so bedeutenden Zeit erschien ein Mann, der als Repräsentant seines Jahrhunderts und vielleicht als Repräsentant sämtlicher Menschheit

gelten dürfte. Solche Naturen können als geistige Flügelmänner angesehen werden, die uns mit heftigen Äußerungen dasjenige andeuten, was durchaus, obgleich oft nur mit schwachen, unkenntlichen Zügen, in jeden menschlichen Busen eingeschrieben ist.

Bestimmter jedoch zeigt er sich als Repräsentanten der Künstlerklasse, durch die Allgemeinheit seines Talents. Musik und bildende Kunst streiten sich um ihn, und die erste, ob er sie gleich anfangs verabscheut, behauptet in fröhlich- und gefühlvollen Zeiten über ihn ihre Rechte.

Auffallend ist seine Fähigkeit zu allem Mechanischen. Er bestimmt sich früh zum Goldschmied und trifft glücklicherweise den Punkt, von wo er auszugehen hatte, um, mit technischen, handwerksmäßigen Fertigkeiten ausgestattet, sich dem Höchsten der Kunst zu nähern. Ein Geist wie der seinige mußte bald gewahr werden, wie sehr die Einsicht in das Hohe und Ganze die Ausübung der einzelnen subalternen Forderungen erleichtert.

Schon waren die trefflichsten florentinischen Bildhauer und Baumeister, Donato, Ser Brunellesco, Ghiberti, Verrocchio, Pollaiuolo, aus der Werkstatt der Goldschmiede ausgegangen, hatten unsterbliche Werke geliefert und die Nacheiferung jedes talentreichen Florentiners rege gemacht.

Wenn aber ein solches Handwerk, indem es echte und große Kunst zu Hülfe rufen muß, gar manche Vorteile einer solchen Verbindung genießt, so läßt es doch, weil mit geringerem Kraftaufwand die Zufriedenheit anderer sowie der eigene, bare Nutzen zu erzwecken ist, gar oft Willkür und Frechheit des Geschmacks vorwalten.

Diese Betrachtung veranlassen Cellini und seine spätern Zeitgenossen: sie produzierten leicht, ohne geregelte Kraft, man betrachtete die höhere Kunst als Helferin, nicht als Meisterin.

Cellini schätzte durchaus die Natur, er schätzte die Antiken und ahmte beide nach, mehr, wie es scheint, mit technischer Leichtigkeit als mit tiefem Nachdenken und ernstem, zusammenfassendem Kunstgefühl.

Jedes Handwerk nährt bei den Seinigen einen lebhaften Freiheitssinn. Von Werkstatt zu Werkstatt, von Land zu Land zu wandern und das gültigste Zeugnis ohne große Umstände augenblicklich durch Tat und Arbeit selbst ablegen zu können, ist wohl ein reizendes Vorrecht für denjenigen, den Eigensinn und Ungeduld bald aus dieser, bald aus jener Lage treiben, ehe er einsehen lernt, daß der Mensch, um frei zu sein, sich selbst beherrschen müsse.

Zu damaliger Zeit genoß der Goldschmied vor vielen, ja man möchte wohl sagen vor allen Handwerkern einen bedeutenden Vorzug. Die Kostbarkeit des Materials, die Reinlichkeit der Behandlung, die Mannigfaltigkeit der Arbeiten, das beständige Verkehr mit Großen und Reichen, alles versetzte die Genossen dieser Halbkunst in eine höhere Sphäre.

Aus der Heiterkeit eines solchen Zustandes mag denn wohl Cellinis guter Humor entspringen, den man durchgängig bemerkt, und der, wenn er gleich öfters getrübt wird, sogleich wieder zum Vorschein kommt, sobald nur das heftige Streben, sobald flammende Leidenschaften einigermaßen wieder Pause machen.

Auch konnte es ihm an Selbstgefälligkeit bei einem immer produziblen, brauchbaren und anwendbaren Talente nicht fehlen, um so weniger, als er sich schon zur Manier hinneigte, wo das Subjekt, ohne sich um Natur oder Idee ängstlich zu bekümmern, das, was ihm nun einmal geläufig ist, mit Bequemlichkeit ausführt.

Dessenungeachtet war er doch keineswegs der Mann, sich zu beschränken, vielmehr reizten ihn günstige äußere Umstände immer an, höhere Arbeiten zu unternehmen.

In Italien hatte er sich innerhalb eines kleinern Maßstabs beschäftigt, jedoch sich bald von Zieraten, Laubwerk, Blumen, Masken, Kindern zu höhern Gegenständen, ja zu einem Gott Vater selbst erhoben, bei welchem er, wie man aus der Beschreibung wohl sieht, die Gestalten des Michelangelo als Muster vor Augen hatte.

In Frankreich wurde er ins Größere geführt, er arbeitete Figuren von Gold und Silber, die letzten sogar in Lebensgröße, bis ihn endlich Phantasie und Talent antrieben, das ungeheure achtzig Fuß hohe Gerippe zum Modell eines Kolosses aufzurichten, woran der Kopf, allein ausgeführt, dem erstaunten Volke zum Wunder und Märchen ward.

Von solchen ausschweifenden Unternehmungen, wozu ihn der barbarische Sinn einer nördlicher gelegnen, damals nur einigermaßen kultivierten Nation verführte, ward er, als er nach Florenz zurückkehrte, gar bald abgerufen. Er zog sich wieder in das rechte Maß zusammen, wendete sich an den Marmor, verfertigte aber von Erz eine Statue, welche das Glück hatte, auf dem Platze von Florenz im Angesicht der Arbeiten des Michelangelo und Bandinello aufgestellt, neben jenen geschätzt und diesen vorgezogen zu werden.

Bei dergleichen Aufgaben fand er sich nun durchaus genötigt, die Natur fleißig zu studieren, denn nach je größerm Maßstabe der Künstler arbeitet, desto unerläßlicher wird Gehalt und Fülle gefordert. Daher kann Cellini auch nicht verleugnen, daß er besonders die schöne weibliche Natur immer in seiner Nähe zu besitzen gesucht, und wir finden durchaus bald derbe, bald reizende Gestalten an seiner Seite. Wohlgebildete Mägde und Haushälterinnen bringen viel Anmut, aber auch manche Verwirrung in seine Wirtschaft, und eine Menge so abenteuerlicher als gefährlicher Romane entspringen aus diesem Verhältnisse.

Wenn nun von der einen Seite die Kunst so nahe mit roher Sinnlichkeit verwandt ist, so leitet sie auf der entgegengesetzten ihre Jünger zu den höchsten, zartesten Gefühlen. Nicht leicht gibt es ein so hohes, heiteres, geistreiches Verhältnis als das zu Porzia Chigi, und kein sanfteres, liebevolleres, leiseres als das zu der Tochter des Goldschmieds Raffaello del Moro.

Bei dieser Empfänglichkeit für sinnliche und sittliche Schönheiten, bei einem fortdauernden Wohnen und Bleiben unter allem, was alte und neue Kunst Großes und Bedeutendes hervorgebracht, mußte die Schönheit männlicher Jugend mehr als alles auf ihn wirken. Und fürwahr, es sind die anmutigsten Stellen seines Werks, wenn er hierüber seine Empfindungen ausdrückt. Haben uns denn wohl Poesie und Prosa viele so reizende Situationen dargestellt, als wir an dem Gastmahl finden, wo die Künstler sich mit ihren Mädchen unter dem Vorsitz des Michelangelo von Siena vereinigen und Cellini einen verkleideten Knaben hinzubringt?

Aber auch hiervon ist die natürliche Folge, daß er sich dem Verdacht roher Sinnlichkeit aussetzt und deshalb manche Gefahr erduldet.

Was uns jedoch aus seiner ganzen Geschichte am lebhaftesten entgegenspringt, ist die entschieden ausgesprochene allgemeine Eigenschaft des Menschencharakters, die augenblickliche lebhafte Gegenwirkung, wenn sich irgend etwas dem Sein oder dem Wollen entgegensetzt. Diese Reizbarkeit einer so gewaltigen Natur verursacht schreckliche Explosionen und erregt alle Stürme, die seine Tage beunruhigen.

Durch den geringsten Anlaß zu heftigem Verdruß, zu unbezwinglicher Wut aufgeregt, verläßt er Stadt um Stadt, Reich um Reich, und die mindeste Verletzung seines Besitzes oder seiner Würde zieht eine blutige Rache nach sich.

Furchtbar ausgebreitet war diese Weise zu empfinden und zu handeln in einer Zeit, wo die rechtlichen Bande, kaum geknüpft, durch Umstände schon wieder loser geworden und jeder tüchtige Mensch bei mancher Gelegenheit sich durch Selbsthülfe zu retten genötigt war. So stand Mann gegen Mann, Bürger und Fremder gegen Gesetz und gegen dessen Pfleger und Diener. Die Kriege selbst erscheinen nur als große Duelle. Ja, hat man nicht schon das unglückliche Verhältnis Karls des Fünften und Franz des Ersten, das die ganze Welt beunruhigte, als einen ungeheuren Zweikampf angesehen?

Wie gewaltsam zeigt sich in solchen Fällen der italienische Charakter! Der Beleidigte, wenn er sich nicht augenblicklich rächt, verfällt in eine Art von Fieber, das ihn als eine physische Krankheit verfolgt, bis er sich durch das Blut seines Gegners geheilt hat. Ja, wenig fehlt, daß Papst und Kardinäle einem, der sich auf diese Weise geholfen, zu seiner Genesung Glück wünschen.

In solchen Zeiten eines allgemeinen Kampfes tritt eine so technisch gewandte Natur zuversichtlich hervor, bereit, mit Degen und Dolch, mit der Büchse sowie mit der Kanone sich zu verteidigen und andern zu schaden. Jede Reise ist Krieg, und jeder Reisender ein gewaffneter Abenteurer. Wie aber die menschliche Natur sich immer ganz herzustellen und darzustellen genötigt ist, so erscheint in diesen wüsten, sinnlichen Welträumen an unserm Helden sowie an seinen Umgebungen ein sittliches und religioses Streben, das erste im größten Widerspruch mit der leidenschaftlichen Natur, das andere zu Beruhigung in verdienten und unverdienten unausweichlichen Leiden.

Unserm Helden schwebt das Bild sittlicher Vollkommenheit, als ein unerreichbares, beständig vor Augen. Wie er die äußere Achtung von andern fordert, ebenso verlangt er die innere von sich selbst, um so lebhafter, als er durch die Beichte auf die Stufen der Läßlichkeit menschlicher Fehler und Laster immer aufmerksam erhalten wird. Sehr merkwürdig ist es, wie er in der Besonnenheit, mit welcher er sein Leben schreibt, sich durchgehends zu rechtfertigen sucht und seine Handlungen mit den Maßstäben der äußern Sitte, des Gewissens, des bürgerlichen Gesetzes und der Religion auszugleichen denkt.

Nicht weniger treibt ihn die Glaubenslehre seiner Kirche sowie die drang- und ahndungsvolle Zeit zu dem Wunderbaren. Anfangs beruhigt er sich in seiner Gefangenschaft, weil er sich durch ein Ehrenwort gebunden glaubt, dann befreit er sich auf die künstlichste und kühnste Weise; zuletzt, da er sich hülflos eingekerkert sieht, kehrt alle Tätigkeit in das Innere seiner Natur zurück. Empfindung, Leidenschaft, Erinnerung, Einbildungskraft, Kunstsinn, Sittlichkeit, Religiosität wirken Tag und Nacht in einer ungeduldigen, zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankenden Bewegung und bringen, bei großen körperlichen Leiden, die seltsamsten Erscheinungen einer innern Welt hervor. Hier begeben sich Visionen, geistig-sinnliche Gegenwarten treten auf, wie man sie nur von einem ändern Heiligen oder Auserwählten damaliger Zeit andächtig hätte rühmen können.

Überhaupt erscheint die Gewalt, sich innere Bilder zu wirklich-gewissen Gegenständen zu realisieren, mehrmals in ihrer völligen Stärke und tritt manchmal sehr anmutig an die Stelle gehinderter Kunstausübung, wie er sich zum Beispiel gegen die ihm als Vision erscheinende Sonne völlig als ein plastischer Metallarbeiter verhält.

Bei einem festen Glauben an ein unmittelbares Verhältnis zu einer göttlichen und geistigen Welt, in welchem wir das Künftige vorauszuempfinden hoffen dürfen, mußte er die Wunderzeichen verehren, in denen das sonst so stumme Weltall bei Schicksalen außerordentlicher Menschen seine Teilnahme zu äußern scheint. Ja, damit ihm nichts abgehe, was den Gottbegabten und Gottgeliebten bezeichnet, so legte er den Limbus, der bei aufgehender Sonne einem Wanderer um den Schatten seines Haupts auf feuchten Wiesen sichtbar wird, mit demütigem Stolz als ein gnädiges Denkmal der glänzenden Gegenwart jener göttlichen Personen aus, die er von Angesicht zu Angesicht in seliger Wirklichkeit glaubte geschaut zu haben.

Aber nicht allein mit den obern Mächten bringt ihn sein wunderbares Geschick in Verhältnis: Leidenschaft und Übermut haben ihn auch mit den Geistern der Hölle in Berührung gesetzt.

Zauberei, so hoch sie verpönt sein mochte, blieb immer für abenteuerlich gesinnte Menschen ein höchst reizender Versuch, zu dem man sich leicht durch den allgemeinen Volksglauben verleiten ließ.

Wodurch sich es auch die Berge von Norcia, zwischen dem Sabinerlande und dem Herzogtum Spoleto, von alten Zeiten her verdienen mochten: noch heutzutage heißen sie die Sibyllenberge. Ältere Romanenschreiber bedienten sich dieses Lokals, um ihre Helden durch die wunderlichsten Ereignisse durchzuführen, und vermehrten den Glauben an solche Zaubergestalten, deren erste Linien die Sage gezogen hatte. Ein italienisches Märchen, Guerino Meschino, und ein altes französisches Werk erzählen seltsame Begebenheiten, durch welche sich neugierige Reisende in jener Gegend überrascht gefunden, und Meister Cecco von Ascoli, der wegen nekromantischer Schriften im Jahr 1327 zu Florenz verbrannt worden, erhält sich durch den Anteil, den Chronikenschreiber, Maler und Dichter an ihm genommen, noch immer in frischem Andenken. Auf jenes Gebirg nun ist der Wunsch unsers Helden gerichtet, als ihm ein sizilianischer Geistlicher Schätze und andere glückliche Ereignisse im Namen der Geister verspricht.

Kaum sollte man glauben, daß, aus solchen phantastischen Regionen zurückkehrend, ein Mann sich wieder so gut ins Leben finden würde; allein er bewegt sich mit großer Leichtigkeit zwischen mehrern Welten. Seine Aufmerksamkeit ist auf alles Bedeutende und Würdige gerichtet, was zu seiner Zeit hervortritt, und seine Verehrung aller Talente nimmt uns für ihn ein.

Mit so viel Parteilichkeit er diesen oder jenen schelten kann, so klar und unbefangen nimmt dieser leidenschaftlich-selbstische Mann an allem teil, was sich ihm als außerordentliche Gabe oder Geschicklichkeit aufdringt, und so beurteilt er Verdienste in verschiedenen Fächern mit treffender Schärfe.

Auf diesem Wege erwirbt er sich nach und nach, obgleich nur zum Gebrauch für Augenblicke, den gefaßten Anstand eines Weltmanns. Wie er sich denn gegen Päpste, Kaiser, Könige und Fürsten auf das beste zu betragen weiß.

Der Versuch, sich bei Hofe zu erhalten, will ihm desto weniger gelingen, wobei er, besonders in älteren Tagen, mehr durch Mißtrauen und Grillen als durch seine Eigenheiten, die er in solchen Verhältnissen ausübt, den Obern lästig wird und bequemeren, obgleich an Talent und Charakter viel geringeren Menschen den Platz einräumen muß.

Auch als Redner und Dichter erscheint er vorteilhaft. Seine Verteidigung vor dem Gouverneur von Rom, als er sich wegen entwendeter Juwelen angeklagt sieht, ist eines Meisters wert, und seine Gedichte, obgleich ohne sonderliches poetisches Verdienst, haben durchaus Mark und Sinn. Schade, daß uns nicht mehrere aufbehalten worden, damit wir einen Charakter, dessen Andenken sich so vollständig erhalten hat, auch durch solche Äußerungen genauer kennen lernen!

So wie er nun in Absicht auf bildende Kunst wohl unstreitig dadurch den größten Vorteil gewann, daß er in dem unschätzbaren florentinischen Kunstkreise geboren worden, so konnte er als Florentiner, ohne eben auf Sprache und Schreibart zu studieren, vor vielen andern zu der Fähigkeit gelangen, durch die Feder seinem Leben und seiner Kunst fast mehr als durch Grabstichel und Meißel dauerhafte Denkmale zu setzen.


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