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Ich diente mit fünfundzwanzig Jahren als Offizier bei der Garde des Königs von Neapel. Wir lebten locker und lustig und wie junge Leute, das heißt Weiber und Spiel, wenn wir Geld hatten, und Philosophie im Quartier, hatten wir keines.

Eines Abends saßen wir bei einer Flasche Cyperwein um eine Schüssel trockene Kastanien und sprachen von diesem und jenem. Schließlich kam das Gespräch auf die Kabbala und die Kabbalisten.

Einer behauptete, es sei eine wohlgegründete Wissenschaft von unzweifelhaften Resultaten; vier der jüngsten nannten es dummes Zeug, eine Quelle von Spitzbübereien, gut für Kinder und Narren.

Der älteste von uns, ein Flamländer, rauchte seine Pfeife, sah vor sich hin und sprach kein Wort. Mitten in diesem Lärm, in diesem Durcheinanderschreien, das mich selbst stumm machte, ohne meine Aufmerksamkeit zu erregen, fiel mir seine Gleichgültigkeit und seine Zerstreutheit auf.

Es war auf seiner Stube – schon tief in der Nacht. Man ging auseinander. Wir beide nur blieben zusammen, der älteste und ich.

Er rauchte phlegmatisch weiter. Ich stützte mich auf die Ellbogen. Schweigen von beiden Seiten. Er brach es zuerst.

»Sie haben da viel Spektakel gehört; warum blieben Sie so still?«

»Weil ich lieber schweige als etwas lobe oder tadle, das ich nicht kenne. Ich verstehe das Wort Kabbala nicht einmal.«

»Es hat viele Bedeutungen, aber darauf kommt's hier nicht an, sondern auf die Sache. Glauben Sie, daß es eine Wissenschaft gibt, die Metalle verwandeln und Geistern zitieren lehrt?«

»Ich kenne keine Geister, selbst den meinigen weiter nicht, als daß er da ist. Und die Metalle – ich weiß, wieviel ein Carolin im Spiel, im Wirtshause und anderswo gilt. Was sich sonst aus beiden machen läßt, das weiß ich nicht.«

»Ihre Unwissenheit, lieber Kamerad, ist mehr wert als der andern Weisheit. Sie sind doch wenigstens nicht auf einem Irrweg, und was Sie nicht wissen, können Sie lernen. Ihre Natur und Ihr Freimut gefallen mir. Ich weiß etwas mehr als die gewöhnlichen Menschen. Schwören Sie mir auf Ihr Ehrenwort: Schweigen und Vorsicht, so sollen Sie mein Schüler sein.«

»Was Sie mir da sagen, lieber Soberano, ist mir sehr angenehm. Ich bin wohl sehr neugierig, aber an unsern gemeinen Kenntnissen liegt mir nichts; sie kamen mir immer recht borniert vor, und ich ahne etwas von der höheren Sphäre, in die Sie mich heben wollen. Aber wie gelangt man zu der ersten Stufe Ihrer Wissenschaft? Die Kameraden erzählten, daß die Geister selber uns unterrichten: kann man sich wirklich mit ihnen verbinden?«

»Sie haben's erraten, Alvares. Von sich selbst aus lernt man da nichts. Und von der Möglichkeit der Verbindung will ich Sie gleich unwidersprechlich überzeugen.«

Seine Pfeife ging eben zu Ende; mit drei Schlägen klopfte er ihre Asche aus und legte sie neben mir auf den Tisch. Drauf rief er:

»Calderon, stopf meine Pfeife, zünd an, und bring her!«

Kaum gesagt, so verschwand die Pfeife, und bevor ich mich besinnen oder fragen konnte, wer der befohlene Calderon sei, war sie schon wieder angezündet da und Soberano rauchte von neuem.

Er tat noch einige Züge, weniger aus Lust zu rauchen, als um das Erstaunen zu genießen, worin ich mich befand. Dann stand er auf:

»Ich habe morgen die Wache, ich muß schlafen. Gehn Sie zu Bett. Seien Sie klug, und wir sehn uns wieder.«

Ich ging nach Haus, neugierig und heißhungrig auf Kenntnisse, die ich bald durch Soberano zu erlangen hoffte. Ich sah ihn tags darauf und alle folgenden Tage; nichts lag mir mehr am Herzen; ich ward sein Schatten.

Ich tat tausend Fragen; einigen wich er aus, andere beantwortete er im Orakelton. Endlich fragte ich ihn um seine Religion.

»Es ist die natürliche«, antwortete er.

Wir ließen uns darüber etwas genauer ein. Seine Meinungen stimmten mehr zu meinen Neigungen und Leidenschaften als zu meinen Grundsätzen. Aber ich wollte zu meinem Ziele und durfte ihm nicht widersprechen.

»Sie befehlen den Geistern,« sagte ich ihm, »auch ich will mit ihnen in Verbindung kommen; ich will's wahrhaftig!«

»Sie sind etwas hitzig, Kamerad. Noch ist Ihre Probezeit nicht überstanden, noch keine der Bedingungen erfüllt, unter denen man ohne Furcht diesen erhabenen Wesen sich nähern darf ...«

»Braucht's viele Zeit?«

»Vielleicht zwei Jahre.«

»Dann geb' ich meine Absicht auf!« rief ich. »In der Zeit stürb' ich vor Ungeduld. Sie sind grausam, Soberano! Sie begreifen nicht, welch heftiges Verlangen Sie in mir entzündet haben. Es verzehrt mich förmlich!«

»Junger Mann, ich hielt Sie für gescheiter. Ich zittere für Sie und mich. Was? Sie wollten's wagen, ohne alle Vorbereitungen Geister zu beschwören?«

»Was können sie mir denn tun?«

»Nicht eben durchaus Schlimmes. Sie haben nur Gewalt über uns, wenn wir kleinmütig sind. Eigentlich sind wir geboren, sie zu beherrschen.«

»Und ich will sie beherrschen!«

»Sie haben Mut genug; aber wenn Sie den Kopf verlieren?«

»Wenn's auf den Mut ankommt, so laß sehn, wer mich schrecken kann!«

»Wenn Ihnen nun der Teufel selber erschiene?«

»So würde ich den Teufel selber bei den Ohren fassen.«

»Bravo! Sind Sie Ihrer so sicher, so können Sie's wagen. Ich verspreche Ihnen meinen Beistand. Nächsten Freitag essen Sie bei mir, es sollen noch zwei dabei sein, die Bescheid wissen, und dann wollen wir ans Werk gehen.«

Wir hatten erst Dienstag. So ungeduldig ist nie eine Schäferstunde erwartet worden. Endlich kam die Zeit. Ich fand bei Soberano zwei Leute, deren Gesichter sehr wenig einnehmend waren. Wir aßen. Das Gespräch drehte sich um lauter gleichgültige Dinge.

Nach der Mahlzeit wurde ein Spaziergang zu den Ruinen von Portici vorgeschlagen. Wir machten uns auf und kamen an. Diese Überbleibsel der herrlichsten Denkmäler, eingesunken, zerbrochen, zerstreut, verschüttet, erweckten mir ungewöhnliche Gedanken. »So viel«, sagte ich, »vermögen die Kräfte der Zeit über die Werke des menschlichen Stolzes und Fleißes.« Wir gingen in die Ruinen, und tappten uns in der Finsternis weiter, bis wir endlich an eine ganz dunkle Stelle kamen: kein Licht konnte von außen hineindringen.

Soberano hatte mich am Arm geführt. Hier stand er still und ich mit ihm. Da schlug einer aus der Gesellschaft Feuer an, um eine Kerze anzuzünden. Bei ihrem schwachen Licht erkannte ich ein ziemlich ganz gebliebenes Gewölbe, das etwa fünfundzwanzig Fuß im Umkreis und vier Ausgänge hatte.

Soberano machte mit dem Rohr, worauf er sich im Gehen gestützt hatte, einen Kreis um sich her in den leichten Sand, der den Fußboden deckte, zeichnete einige Charaktere dazu; und trat heraus.

»Nun, junger Held, stellen Sie sich in den Kreis«, sprach er, »und verlassen Sie ihn bloß unter glücklichen Zeichen.«

»Wie meinen Sie das? Was sind glückliche Zeichen?«

»Wenn Ihnen alles unterworfen ist. Aber tun Sie vorher aus Furchtsamkeit einen falschen Schritt, so stürzen Sie sich in die größte Gefahr.«

Darauf gab er mir eine kurze, nachdrückliche Beschwörungsformel, welche einige Worte enthielt, die ich nie vergessen werde.

»Reden Sie entschlossen,« sprach er, »und rufen Sie alsdann dreimal laut Beelzebub; vergessen Sie aber nicht, zu tun, was Sie mir versprochen haben.«

Ich dachte dran, daß ich mich gerühmt hatte, ihn bei den Ohren fassen zu wollen.

»Ich werde Wort halten«, sagte ich; denn ich wollte nicht gern für einen Prahler gehalten sein.

»So wünschen wir guten Erfolg. Rufen Sie uns, wenn Sie fertig sind. Sie stehen gerade gegenüber der Tür, durch die Sie gehen müssen, um uns wiederzufinden.«

Sie verließen mich.

Kein Wagehals war je in einer heikleren Lage. Schon wollte ich sie zurückrufen; aber das wäre zu schmählich für mich und allen meinen Hoffnungen entsagt gewesen. Ich stellte mich fester hin und überlegte einen Augenblick.

›Sie haben mich erschrecken wollen‹ dachte ich, ›meinen Mut auf die Probe stellen. Sie sind in der Nähe, und verrichte ich die Beschwörung, so muß ich erwarten, daß sie versuchen, mich zu erschrecken. Halt' ich mich gut, so fällt das Gelächter auf die Spötter zurück.‹

Diese Überlegung währte nur kurz, obgleich etwas durch das Geschrei der Eulen und Uhus verwirrt, die meine Höhle innen und außen bewohnten.

Schon etwas dreister werfe ich mich in die Brust, setze meinen Fuß vor, sage die Beschwörung vernehmlich und stark, und mit lauterer Stimme noch ruf ich dreimal kurz hintereinander: Beelzebub!

Mir lief ein Schauder durchs Gebein, mein Haar stellte sich zu Berge. Kaum war ich fertig, so öffnete sich mir gegenüber ein Gewölbe, ein Flügelfenster: ein Lichtstrom, glänzender als Tageslicht, brach durch die Öffnung: ein Kamelskopf, ebenso scheußlich durch seine Dicke als durch seine Gestalt, zeigte sich am Fenster; übermäßig lang sind seine Ohren. Das häßliche Gespenst öffnete seinen Rachen und antwortete in einem Ton, der übrigen Erscheinung angemessen: »Che vuoi?«

Alle Gewölbe über und unter der Erde, alles rundumher hallte es wider, dieses fürchterliche »Che vuoi?«

Ich kann meine Lage nicht beschreiben; ich kann nicht sagen, was mir den Mut erhielt und mich verhinderte, in Ohnmacht zu fallen bei dem Anblick dieses Bildes, bei dem noch schrecklicheren Getöse, das in meine Ohren klang.

Ich fühlte, wie notwendig es sei, daß ich meine Kräfte wiederbekomme; ein kalter Schweiß trat wieder zurück; ich tat mir Gewalt an. Unsere Seele muß eine mächtige Weite und eine bewundernswürdige Schnellkraft haben – eine Unmenge von Gefühlen, Gedanken, Betrachtungen treffen mein Herz, gehen durch meinen Kopf und dringen alle auf einmal in mich. Verwunderung löst die Furcht ab, die ich bemeistere. Ich wende meinen Blick wieder dem Gesichte zu.

»Was bildest du dir ein, Verwegener, daß du dich in dieser scheußlichen Gestalt zeigst?«

Das Gespenst zaudert einen Augenblick.

»Du hast mich verlangt«, sagte es mit leiserer Stimme.

»Sucht der Sklave seinen Herrn zu schrecken? Kommst du, meine Befehle zu hören, so wähle eine anständige Gestalt und den unterwürfigsten Ton.«

»Meister,« sprach das Gespenst, »in welcher Gestalt soll ich dir erscheinen, daß ich dir angenehm sei?«

Ein Hund fiel mir gerade ein. »Komm«, antwortete ich, »als Bologneser.« Kaum hatte ich den Befehl erteilt, so reckte das schreckliche Kamel seinen sechzehn Fuß langen Hals und spie ein weißes Löwenhündchen mit feiner glänzend-seidener Wolle aus, dessen Ohren auf die Erde schleppten.

Das Fenster schloß sich; alle andere Erscheinung verschwand; unter dem hinreichend erleuchteten Gewölbe blieb niemand als der Hund und ich. Er lief rund um den Kreis herum, wedelte mir entgegen und machte tausend Sprünge.

»Herr,« sagte er, »ich küßte dir gern die Füße, aber der schreckliche Kreis um dich her hält mich zurück.«

Mein Zutrauen war zur Kühnheit gewachsen; ich trete aus dem Kreis, halte den Fuß hin, und der Hund leckt ihn; ich mache eine Bewegung, um ihm an die Ohren zu greifen, er legt sich auf den Rücken, als bäte er um Gnade. Ich sah, daß es ein Weibchen war.

»Steh auf,« sprach ich, »ich verzeihe dir. Du siehst, ich habe Gesellschaft; die Herren warten nicht weit von hier und sind müde vom Weg; ich will ihnen eine Mahlzeit geben; Früchte, Konfitüren, Eis, griechische Weine, alles muß gut besorgt sein; das Zimmer erleuchtet und geziert, ohne Pracht, aber reinlich. Gegen Ende der Mahlzeit kommst du als Sängerin allerersten Ranges mit einer Harfe; ich will dir ein Zeichen geben, wenn du erscheinen sollst. Spiel' deine Rolle gut, singe mit Ausdruck, mit Anstand und Zurückhaltung.«

»Ich will gehorchen, Herr, aber unter welcher Bedingung?«

»Unter der Bedingung zu gehorchen, Sklave. Ohne Widerrede, oder –«

»Du kennst mich nicht, Herr, sonst würdest du mir weniger streng begegnen. Meine einzige Bedingung wäre vielleicht, dich zu entwaffnen und dir zu gefallen.«

Ich drehte mich um und sah meine Befehle schneller ausgeführt als eine Verwandlung in der Oper. Die Mauern des Gewölbes, vorher schwarz, feucht, mit Moos bedeckt, waren jetzt dem Auge sehr angenehm an Farbe und Ausschmückung: ein Saal von Jaspis. Die Decke schien auf Säulen zu ruhen. Acht Armleuchter von Kristall, jeder mit drei Lichtern, verbreiteten überallhin eine lebhafte Helligkeit.

Im Augenblick stellten sich Tafel und Schenktisch zurecht, bedeckt mit jedem Zubehör unseres Mahles. Früchte und Gebackenes waren so auserlesen und schmackhaft wie möglich. Das Porzellan chinesisch. Das Hündchen sprang immer um mich herum, als ob's das Werk beschleunigte, als ob's fragte: bist du zufrieden?

»Recht gut, Biondetta,« sagte ich, »nimm jetzt meine Livree und melde den Herren, daß ich sie erwarte, daß gedeckt ist.«

Kaum wende ich mich weg, so seh' ich einen zierlich gekleideten Pagen in meiner Livree mit einer brennenden Fackel hinausgehen: gleich darauf kommt er wieder und führt meinen Flamländer und seine beiden Freunde herein. Die Ankunft des Pagen und sein Kompliment hatten sie auf etwas Außerordentliches vorbereitet, aber nicht auf eine solche Veränderung des Ortes, wo sie mich gelassen hatten. Hätt' ich nicht andere Dinge im Kopf gehabt, würde mich das Erstaunen amüsiert haben, wovon ihre Ausrufe, die Veränderung ihrer Gesichtszüge und ihr überraschtes Stillstehen zeugten.

»Meine Herren,« sagte ich, »Sie haben mir zu Gefallen einen weiten Weg gemacht, auch müssen wir wieder nach Neapel zurück; daher dachte ich, würde dies kleine Mahl Ihnen nicht ungelegen sein. Verzeihen Sie mir nur das Impromptu, den Mangel an Auswahl und Überfluß.«

Meine Unbefangenheit verwirrte sie, mehr noch als die Veränderung der Szene und die Eleganz des Mahles, zu dem sie sich eingeladen sahen. Ich bemerkte das; und entschlossen, ein Abenteuer bald zu enden, dem ich im Innersten selber nicht traute, wollte ich's doch zur Geltung bringen, soviel ich konnte, und zwang alle Heiterkeit hervor, die von Natur in mir liegt.

Ich drang in sie, Platz zu nehmen. Die Stühle rückte der Page bewundernswürdig geschwind herbei. Wir sitzen, und ich schenke ein, reiche herum. Aber ich allein esse und rede, die andern gaffen. Endlich bringt sie meine Sicherheit so weit, auch zu essen. Ich trinke auf die Gesundheit des schönsten Mädchens in Neapel, und wir stoßen an. Ich rede von einer neuen Oper, von einer Improvisation aus Rom, die kürzlich angekommen war und viel Aufsehen bei Hof machte; von schönen Künsten, Musik, Bildern; mache gelegentlich eine Bemerkung über die schönen Marmorsäulen des Saales. Eine Flasche wird leer und macht einer besseren Platz. Der Page bedient übermenschlich geschwind, läßt uns keinen Augenblick warten.

Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihn: er sah aus wie der Gott der Liebe; auch die Gefährten meines Abenteuers machte sein Aussehen stutzig, vergnügt und unruhig. Die Sache wurde etwas einförmig; es war Zeit, sie belebter zu machen. – »Biondetto,« rief ich, »Signora Fiorentina hat mir einen Augenblick ihrer Anwesenheit versprochen; sieh zu, ob sie da ist.« Biondetto ging hinaus.

Meine Gäste hatten keine Zeit, sich über diesen seltsamen Befehl zu wundern. Die Saaltüre öffnete sich, und Fiorentina trat mit ihrer Harfe herein, in einem dezenten seidenen Negligé, einem Reisehut und einem sehr durchsichtigen Schleier über ihren Augen. Sie setzte die Harfe bei sich nieder und verneigte sich mit vieler Leichtigkeit und Grazie:

»Don Alvares,« sagte sie, »ich war nicht auf Gesellschaft vorbereitet, sonst würde ich mich nicht in dem Aufzuge haben sehen lassen, die Herren werden einer Reisenden verzeihen.«

Sie setzte sich zu uns, und wir boten ihr wechselweise das Beste unseres kleinen Mahles an. Sie nahm es so aus Gefälligkeit.

»Wie, Signora,« sagte ich, »Sie durchreisen Neapel nur und lassen sich nicht aufhalten?«

»Ein altes Engagement bindet mich, Signor. Im letzten Karneval zu Venedig war man sehr gütig gegen mich. Ich mußte versprechen, wiederzukommen. Man hat mich schon vorausbezahlt, sonst hätte ich den Vorteilen, die mir der hiesige Hof anbot, unmöglich entsagen können. Ich hätte mir Mühe gegeben, den Beifall des neapolitanischen Adels zu erwerben, der sich durch seinen Geschmack in ganz Italien auszeichnet.«

Die beiden Neapolitaner verbeugten sich für das Kompliment und mochten sich die Augen reiben, so traumhaft kam ihnen alles vor. Ich drang in die Virtuosin, uns eine kleine Probe ihrer Kunst zu geben. Sie wäre enrhümiert und fatigiert und fürchtete mit Recht, in unserer Gunst zu sinken. Endlich entschloß sie sich doch, ein obligates Rezitativ und eine pathetische Arie zu singen, womit der dritte Aufzug der Oper schloß, in der sie debütieren sollte.

Sie nahm also die Harfe, präludierte mit einer kleinen, schmalen, weichen Hand, deren Fingerspitzen sich unmerklich rundeten: wir waren alle entzückt, glaubten das herrlichste Konzert zu hören.

Sie sang. Mehr Kehle, mehr Seele hat keine. Keine rührte mehr, übertrieb weniger. Mein Innerstes war bewegt, und fast vergaß ich, daß ich der Schöpfer dieses Zaubers war, der mich so fortriß.

Die Sängerin richtete bei den zärtlichen Stellen ihres Gesanges ihren Blick auf mich. Das Feuer ihrer Augen drang durch den Schleier und war unbeschreiblich hinreißend und sanft; die Augen kamen mir bekannt vor. Und als ich aufmerksam auf die Züge sah, die der Schleier mich wahrnehmen ließ, erkannte ich in Fiorentina den Schelm Biondetto; aber seine zierliche, feine, schlanke Taille war in dieser Kleidung noch weit auffallender als in der Pagentracht.

Die Sängerin schloß, und wir lobten sie mit Fug und Recht. Ich ersuchte sie, noch ein lustiges Liedchen zu singen, um uns die Vielseitigkeit ihres Talentes bewundern zu lassen.

»Nein,« versetzte sie, »die Stimmung meiner Seele würde mir das nicht erlauben; überdem haben Sie wohl schon bemerkt, wie sehr es mich angreift, Ihnen zu gehorchen. Meine Stimme leidet darunter, daß ich reise; sie ist rauh. Sie wissen ja, noch diese Nacht fahre ich von hier weiter. Ein Mietskutscher hat mich hergebracht, und von ihm hänge ich ab. Nehmen Sie meine Entschuldigung und erlauben Sie mir, daß ich mich empfehle.«

Sie stand auf und nahm die Harfe. Ich nahm sie aus ihrer Hand, führte sie bis an die Türe, durch die sie hereingekommen war, und ging wieder zur Gesellschaft.

Ich hätte Lustigkeit geben sollen und sah Verlegenheit und Zwang auf allen Gesichtern. Ich nahm meine Zuflucht zum Zyperwein. Ich hatte ihn ganz köstlich gefunden, Kräfte und Gegenwart des Geistes von ihm wiedererhalten; ich verdoppelte also die Rationen, und als die Stunde heranrückte, befahl ich dem Pagen, der wieder Platz hinter meinem Sessel genommen hatte, den Wagen vorfahren zu lassen. Biondetto ging hinaus.

»Sie haben eine Equipage hier?« fragte Soberano.

»Ich habe sie nachkommen lassen; wenn sich unsere Partie etwas verlängerte, dachte ich, würde es Ihnen nicht leid tun, bequem zurückzukehren. Aber erst noch eins getrunken! Laufen mir doch nicht Gefahr, unterwegs zu stolpern.«

Noch hatte ich nicht ausgesprochen, und der Page kam wieder herein, mit zwei großen, wohlgewachsenen Bedienten, prächtig in meinen Farben gekleidet.

»Don Alvares,« sagte Biondetto, »ich konnte den Wagen nicht näher vorfahren lassen, doch hält er hart an den Ruinen.«

Wir machten uns auf, Biondetto und die Bedienten vor uns her.

Da zwischen den zerfallenen Säulengängen nicht vier in der Reihe gehen konnten, traf sich's, daß Soberano allein neben mir war. Er drückte mir die Hand:

»Sie gaben uns ein schönes Fest, mein Freund; es wird Ihnen teuer zu stehen kommen.«

»Mein Lieber,« versetzte ich, »ich bin sehr glücklich, wenn es Ihnen gefallen hat; ich geb' es für das, was es mich kostet.«

Wir kamen an unser Fuhrwerk; ich fand zwei andere Bediente, Kutscher, Vorreiter, den bequemsten Reisewagen, der sich denken läßt. Ich nötigte einzusteigen, und wir fuhren höchst angenehm nach Neapel.

Eine Zeitlang herrschte Schweigen, das endlich einer von Soberanos Freunden brach.

»Ich verlange Ihr Geheimnis ja nicht zu wissen, Alvares, aber Sie müssen da sonderbare Verbindungen eingegangen sein. Sie werden vortrefflich bedient, man erweist Ihnen mehr Gefälligkeiten an einem Abend, als mir in den vierzig Jahren, die ich lebe, Sie hatten die göttlichste Dame zu Gast, die man haben kann. Sie müssen wissen, was Sie zu tun haben, aber Sie sind jung. In Ihren Jahren hat man mehr Begierden als Verstand, mehr Wollust als Mäßigkeit.«

Bernadillo, so hieß der Sprecher, hörte sich gerne reden und ließ mir Zeit, über meine Antwort nachzudenken.

»Ich weiß auch nicht,« sagte ich endlich, »womit ich mir so ungewöhnliche Begünstigungen verdient habe; ich denke, sie werden auch desto kürzer sein, und dann muß ich mich damit trösten, sie mit guten Freunden geteilt zu haben.« Man sah, daß ich zurückhaltend war, und das Gespräch schlief ein.

Schweigen läßt überlegen. Ich überdachte, was ich getan und gesehn, verglich Soberanos und Bernadillos Reden und schloß aus alledem, daß ich mich in den schlimmsten Handel begeben hatte, worin eitle Neugierde und Verwegenheit meinesgleichen je verwickelt haben. Das war nicht meiner Erziehung Schuld. Diese geschah bis ins dreizehnte Jahr unter den Augen meines Vaters, Don Bernardo Maravillas, eines Ehrenmannes, und durch meine Mutter, Donna Mencia, der gottesfürchtigsten, ehrwürdigsten Frau in ganz Estremadura. »O meine Mutter!« dachte ich, »was würdest du zu deinem Sohn sagen, hättest du ihn gesehen, sähst du ihn noch jetzt? Aber das soll hier ein Ende haben, ich schwör' es mir selbst.«

Unterdessen kamen wir nach Neapel. Ich brachte Soberanos Freunde nach Hause. Er und ich, wir fuhren in unser Quartier zurück. Die glänzende Equipage verwunderte die Wache etwas, an der wir vorbeifuhren, aber die Schönheit Biondettos, welcher rückwärts saß, fiel noch mehr auf. Der Page schickte Wagen und Bediente fort. Einem nahm er die Fackel aus der Hand und schritt voran durch die Kaserne, um mich nach meinem Zimmer zu führen. Mein Kammerdiener, mehr verwundert als alle, wollte sich nach diesem meinem neuen Gefolge erkundigen. – »Laß, Carlos,« sagte ich und ging in mein Zimmer, »ich brauch' dich nicht; leg dich schlafen, ich will morgen mit dir reden.«

Wir standen allein in meinem Zimmer, und Biondetto verschloß die Tür hinter uns. Weniger kitzlich war meine Lage in der Gesellschaft gewesen, die ich verlassen hatte, in dem Getümmel der Kaserne, durch das ich gerade gekommen war.

Ich wollte dem Abenteuer ein Ende machen. Ich blicke auf meinen Pagen, der die Augen zu Boden gesenkt hält; er wird sichtlich rot; sein Betragen verrät Verlegenheit und Aufgeregtheit; endlich habe ich die Kraft, ihn anzureden.

»Biondetto, du hast mir treu gedient, das, was du für mich getan hast, auch mit vielem Geschick getan; aber da du dich zum voraus bezahlt gemacht hast, so denk' ich, sind wir quitt.«

»Don Alvares denkt dazu viel zu edel.«

»Hast du mehr getan als du solltest, so sag', was muß ich dir noch geben? Aber ich stehe nicht für prompte Bezahlung. Mein Vierteljahrswechsel ist verbraucht, und ich habe Spielschulden; dann der Wirt, der Schneider – «

»Sie scherzen zur Unzeit.«

»Gut, ich scherze nicht mehr, und bitte dich im Ernst, mich nun zu verlassen, denn es ist Zeit, ich will zu Bett.«

»Und Sie könnten so unhöflich sein, mich zu dieser Stunde fortzuschicken? Solche Behandlung hätte ich von keinem spanischen Kavalier erwartet. Ihre Freunde wissen, daß ich hierhergekommen bin. Ihre Soldaten haben mich gesehen und mein Geschlecht erraten. Wäre ich eine feile Dirne, Sie würden besser mit mir umgehn. Ihr Benehmen ist kränkend, erniedrigend, demütigend für jedes weibliche Geschöpf.«

»Jetzt paßt es Ihnen, ein Frauenzimmer zu sein, um sich meine Achtung zu ergattern. Also gut. Damit Ihr Rückzug kein Skandal ist, haben Sie soviel Schonung für sich selber, ihn durchs Schlüsselloch zu nehmen.«

»Wie? im vollen Ernst und ohne zu wissen, wer ich bin ...«

»Weiß ich's denn nicht?«

»Nein, Sie wissen es nicht. Denn Sie hören nur Ihre Vorurteile. Aber wer ich auch sein mag, hier lieg' ich zu Ihren Füßen, in meinen Tränen und bitte. Unvorsichtig vielleicht, aber zu entschuldigen, weil ich es um Ihretwillen bin, hab' ich heute alles gewagt, alles geopfert, Ihnen zu gehorchen, mich Ihnen hinzugeben, Ihnen zu folgen. Grausame, unversöhnliche Mächte habe ich gegen mich aufgebracht; nur bei Ihnen find' ich Schutz, nur in Ihrem Zimmer Zuflucht: werden Sie mir es verschließen, Don Alvares? Kann ein Kavalier und ein Spanier so hart, so unwürdig gegen jemand handeln, der ihm alles geopfert hat, gegen eine fühlende Seele, gegen ein schwaches Wesen, aller Hilfe außer der seinigen entblößt, mit einem Wort, gegen ein Weib?«

Ich ging soweit zurück als möglich, um mich aus der Verlegenheit zu ziehen, aber sie umarmte meine Knie, folgte mir auf den ihrigen. Schließlich stand ich gegen die Wand.

»Steh auf,« sprach ich, »du nimmst mich bei einem Eid, von dem du nichts weißt. Als mir meine Mutter meinen ersten Degen gab, ließ sie mich auf sein Heft schwören, mein Lebenlang den Frauen zu dienen, keine einzige zu beleidigen. Wenn es nun wäre, was ich denke, daß es heute ...«

»Nun wohl, Grausamer, denken Sie, was Sie wollen, nur erlauben Sie mir, in Ihrem Zimmer zu schlafen.«

»Ich will es, um der Seltenheit der Sache willen und um das Abenteuer zu vollenden. Suche dich so einzurichten, daß ich dich weder sehe noch höre. Aber beim ersten Wort, bei der ersten Bewegung, die mich beunruhigt, werd' ich den Ton meiner Stimme verstärken, um meinerseits zu fragen: Che vuoi?«

Ich wandte ihr den Rücken und näherte mich meinem Bette, um mich auszukleiden.

»Soll ich Ihnen helfen?« frägt man mich.

»Nein, ich bin Soldat und helf mir selber.« Ich lege mich nieder. Durch meine dünnen Vorhänge seh' ich den vorgeblichen Pagen in einem Winkel meines Zimmers eine alte Decke, die er in meiner Garderobe gefunden hatte, zurechtlegen. Er setzt sich drauf, kleidet sich ganz aus, wickelt sich in einen meiner Mäntel, der auf einem Stuhle lag, löscht das Licht aus, und das Schauspiel hört da für den Augenblick auf. Aber bald begann es wieder in meinem Bette, wo ich den Schlaf nicht finden konnte.

Das Bild des Pagen schien an den Betthimmel, an die Pfosten geheftet zu sein: ich sah nur ihn. Vergeblich suchte ich mit diesem entzückenden Gegenstande den Gedanken an das schreckliche Kamelphantom, das ich gesehen hatte, zu verbinden: die erste Erscheinung diente nur dazu, den Reiz der zweiten zu erhöhen. Dieser melodische Gesang, den ich da unten in dem Gewölbe gehört hatte, diese hinreißende Stimme, diese Worte, die aus dem Herzen zu kommen schienen, tönten doch in dem meinigen und erregten dann sonderbare Schauer.

»Ah! Biondetta,« sagte ich, »wärst du kein phantastisches Wesen! Wärst du doch nicht dieses häßliche Dromedar! ... Aber wozu habe ich mich verleiten lassen? Die Furcht ist vergangen, und eine gefährlichere Leidenschaft blieb zurück. Was für ein Vergnügen kann ich davon erwarten? Wird es nicht immer seinem Ursprünge entsprechen? Das Feuer ihrer sanften, zärtlichen Augen ist tötendes Gift, dieser schone Mund, diese rosigen, blühenden und so naiven Lippen reden Lügen. Dieses Herz, wenn eines da ist, schlägt für den Verrat.« Während ich so den Gedanken nachhing, die meine Erregtheiten mir schufen, hatte der Mond die Höhe des wolkenleeren Himmels erreicht und warf seine Strahlen durch die drei großen Bogenfenster meines Gemaches.

Ich wälzte mich auf meinem Lager; meine Bettstelle war nicht neu, und die drei Bretter, auf denen ich ruhte, rissen sich mit Gekrach aus ihren Fugen.

Biondetta springt auf, läuft zu mir mit dem Ton des Schreckens.

»Don Alvares, was ist Ihnen zugestoßen?«

Ich hatte sie trotz meines Unfalls nicht einen Augenblick aus dem Gesicht verloren; also sah ich sie aufstehen und zu mir laufen. Sie hatte ein ganz kurzes Knabenhemd an, und das Mondlicht, das auf ihre Hüften fiel, schien mit doppeltem Glanz zurückzustrahlen.

Der üble Zustand meines Bettes hatte mich wenig gerührt, weil ich deswegen nur etwas weniger bequem lag; aber wie ward mir, als Biondettas Arme mich umschlangen!

»Nichts,« sagte ich, »geh nur wieder ... Du läufst auf dem bloßen Boden ohne Pantoffel, du wirst dich erkälten ...«

»Aber die Lage ist so übel ...«

»Ja, die, in die du mich bringst. Geh, oder wenn du schon bei und neben mir sein willst, so werde ich dir befehlen, dich dort oben im Winkel, in dem Spinngewebe zu betten.«

Sie hörte nicht das Ende meiner Drohung, legte sich wieder auf ihre Decke und schluchzte leise. Die Nacht ging zu Ende; die Müdigkeit gewann die Oberhand und verschaffte mir einige Augenblicke Schlaf. Ich erwachte erst am hellen Tage, und man errät leicht, wohin ich zuerst sah. Meine Augen suchten den Pagen.

Er saß ganz angezogen, sein Wams ausgenommen, auf einem kleinen Taburett; sein Haar fiel aufgelöst bis auf die Erde und bedeckte in natürlichen Locken Rücken und Schultern und halb das Gesicht. Er hatte nichts als seine Hand, diese Fülle in Ordnung zu bringen. Nie fuhr ein schönerer Kamm Elfenbein durch einen dichten Wald rotblonden Haares, dessen Feinheit mit seinen übrigen Schönheiten um den Preis stritt.

Eine kleine Bewegung, die ich machte, zeigte ihm mein Erwachen. Seine Finger strichen die Locken zurück, die das Gesicht beschatteten. So tritt Aurora im Frühling aus der Dämmerung des Morgens unter Taugewölken und Blumendüften hervor.

»Biondetta,« sagte ich, »dort in der Schublade liegt ein Kamm.« Sie nahm ihn, und in einer Minute war die Frisur fertig. Sie zog das Wams an, und nun saß sie da, schüchtern, verlegen, unruhig; wer hätte ihr sein Mitleid versagen können?

›Muß ich heute‹, so dacht' ich, ›tausend Auftritte wie gestern, einen aufregender als den andern, erleben, so halt ich nicht stand; die Sache soll sich jetzt vollenden, wenn es möglich ist.‹

Ich wende mich zu ihr. »Jetzt ist es Tag, Biondetta, was sich schickte, ist geschehen, und du kannst mein Zimmer verlassen, ohne dich lächerlich zu machen.«

»Von dieser Furcht bin ich jetzt befreit,« antwortete sie, »aber noch bleibt eine vielbegründetere für Sie und mich, die unsre Trennung nicht erlaubt.«

»Wollen Sie sich erklären?« fragte ich.

»Ich will, Alvares. Ihre Jugend und Ihre Unvorsichtigkeit machen Sie blind gegen die Gefahren, die uns umgeben. Ihr Mut bei der schrecklichen Erscheinung in den Ruinen gewann meine Neigung. Muß ich«, sagte ich zu mir, »mich mit einem Sterblichen vereinigen, um glücklich zu werden, so will ich jetzt einen menschlichen Körper annehmen, jetzt ist die Zeit, denn das ist der Held meiner wert. Mögen die verächtlichen Nebenbuhler, die ich ihm opfere, darüber wüten, was kümmert's mich, ob ich mich ihrem Haß, ihrer Rache aussetze? Liebt mich Alvares, bin ich mit Alvares vereint, so wollen wir sie und die Natur uns unterwerfen. Sie wissen, was daraus geschah; sehen Sie hier die Folgen. Neid, Eifersucht, Verachtung und Wut bereiten mir die grausamste Züchtigung, der ein Wesen meiner Art unterliegen kann, das sich durch seine Wahl herabgesetzt, und Sie allein können mich davor bewahren. Kaum ist es Tag, und schon sind die Ankläger unterwegs, um Sie bei dem Gericht, das Sie kennen, als einen Nekromanten anzugeben. In einer Stunde ...«

»Halt!« rief ich, indem ich die Fäuste auf meine Augen drückte, »niemand versteht besser und geschickter zu betrügen als du! Du sprichst von Liebe, du trägst ihr Bild, du vergiftest ihr Andenken, ich verbiete dir, davon zu sprechen. Laß mich ruhig werden, wenn es mir möglich ist, daß ich einen Entschluß fassen kann. Wenn ich in die Hände des Gerichts fallen muß, so bleibt mir freilich für jetzt keine Wahl zwischen ihm und dir. Aber wozu verbinde ich mich, wenn du mir von hier hilfst? Kann ich mich von dir trennen, wann ich will? Ich beschwöre dich, mir kurz und deutlich zu antworten.«

»Sie dürfen nur wollen, Alvares. Selbst das dauert mich, daß meine Unterwerfung erzwungen ist. Verkennen Sie aber in der Folge meinen Eifer, so sind Sie unbesonnen, undankbar ...«

»Ich glaube nichts sonst, als daß ich fort muß. Ich will meinen Kammerdiener wecken; er muß mir Geld schaffen, die Post bestellen. Ich will nach Venedig, zu Bentonelli, dem Bankier meiner Mutter.«

»Sie brauchen Geld? Damit bin ich glücklicherweise versehen. Es steht zu Ihren Diensten.«

»Behalten Sie's. Wenn Sie ein Weib sind, wäre es niederträchtig, von Ihnen Geld zu nehmen.«

»Ich will es Ihnen nicht schenken, nur leihen. Geben Sie mir ein Mandat an Ihren Bankier; setzen Sie auf, was Sie hier schuldig sind. Lassen Sie auf Ihrem Tisch einen Befehl an Carlo, es zu bezahlen. Entschuldigen Sie sich bei Ihrem Kommandanten, daß ein sehr wichtiges Geschäft Sie ohne Abschied zu nehmen abzureisen nötigt. Ich will auf die Post, Ihnen Wagen und Pferde bestellen. Aber vorerst, Alvares, und daß ich nicht wieder in alle meine Schrecken falle, sagen Sie: Geist, der nur um meinetwillen und allein für mich Fleisch und Bein angenommen hat, ich nehme deine Unterwerfung an und verleihe dir meinen Schutz.«

Sie lag zu meinen Füßen, hielt meine Hand, drückte sie, netzte sie mit ihren Tränen.

Ich war außer mir und wußte nicht, was tun; ich ließ ihr meine Hand, die sie küßte, und stammelte die Worte nach, die ihr so wichtig schienen. Kaum war ich damit fertig, so sprang sie auf: »Ich bin dein', rief sie, »und kann das glücklichste der Wesen werden!«

Im Augenblick hüllt sie sich in einen langen Mantel, schlägt einen großen Hut tief über die Augen und geht aus dem Zimmer.

Ich war in einer Art Betäubung. Ich fand eine Aufstellung meiner Schulden, und setzte darunter einen Befehl an Carlo, sie zu bezahlen, legte das nötige Geld bei und schrieb dem Kommandanten und einem meiner vertrautesten Freunde Briefe, die ihnen sehr sonderbar vorkommen mußten. Schon hörte ich den Wagen und die Peitsche des Postillons unten am Tor. Biondetta, immer den Mantel über der Nase, kam zurück und zog mich fort. Carlo, durch den Lärm aufgeweckt, lief herbei. »Auf dem Tische«, sagte ich ihm, »findest du meine Befehle.« Ich stieg in den Wagen und fuhr ab.

Biondetta war mit mir eingestiegen und saß mir gegenüber. Als wir aus der Stadt draußen waren, nahm sie den Hut ab, der sie in Schatten hielt. Ihr Haar bedeckte ein rotseidenes Netz. Ihr Gesicht trug keinen andern Schmuck als sich selber: Man glaubte durch die Haut schauen zu können, und Sanftmut, Treue, Offenheit und Schlauheit glänzten unbegreiflich in ihren Blicken. Ich ertappte mich selber über dieser unwillkürlichen Beobachtung, und da ich sie für meine Ruhe gefährlich hielt, schloß ich die Augen, um zu versuchen, ob ich schlafen könnte.

Und mein Versuch war nicht vergeblich, der Schlaf überkam mich und bot mir die angenehmsten Träume; geschaffen, meine Seele von den erschreckenden und seltsamen Gedanken wieder aufzurichten, die sie ermüdet hatten. Zudem währte dieser Schlaf sehr lange, und meine Mutter hielt ihn für übernatürlich, als sie in der Folge über meine Abenteuer Betrachtungen anstellte. Da ich endlich erwachte, befand ich mich am Ufer des Kanals, auf dem man nach Venedig fährt.

Es war tiefe Nacht; jemand zupfte mich am Ärmel, ein Träger, der meine Sachen abladen wollte. Aber ich hatte nicht einmal eine Nachtmütze.

Biondetta stand auf der andern Seite des Wagens, um mir zu sagen, daß mein Fahrzeug bereit wäre. Ich steige ganz mechanisch aus, trete in die Felucke und falle in meine Schlafsucht zurück. Was soll ich sagen? Am andern Tage befand ich mich in der Nähe des Markusplatzes, im schönsten Zimmer des besten venezianischen Gasthofes, das ich von früher her sofort erkannte. Frische Wäsche und ein ziemlich kostbarer Schlafrock lagen neben meinem Bette. Ich hielt es für eine Aufmerksamkeit des Wirtes, bei dem ich ja von allem entblößt angekommen war; stand also auf und sah mich um, ob ich das einzige lebende Geschöpf im Zimmer war. Ich suchte Biondetta. Ich schämte mich dieser ersten Regung und dankte meinem Schicksal. ›Der Geist und ich sind also nicht unzertrennlich; ich bin ihn los, und kostet mich meine Unbesonnenheit nur den Verlust meiner Offiziersstelle, so kann ich von Glück sagen. Courage, Alvares! Es gibt noch andere Höfe, andere Herren als in Neapel. Das Abenteuer muß dich bessern, wenn noch Besserung möglich ist. Will man deine Dienste nicht, so hast du ja eine zärtliche Mutter, deine Heimat Estremadura und ein ehrliches Auskommen. Aber was wollte dieser Teufelsspuk, der dich seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr verlassen hat? Die Gestalt, die er annahm, war sehr verführerisch; aber das Geld muß er wiederhaben, das er mir gab.‹

Noch sprach ich so mit mir selber, als mein Gläubiger antrat, der mir zwei Bediente und zwei Gondoliere zuführte. »Sie müssen Bedienung haben,« sagte er, »bis Carlo kommt. Der Wirt bürgt für die Aufmerksamkeit und Treue dieser Leute und das sind die kühnsten Bursche der Republik.«

»Ich bin mit der Wahl zufrieden, Biondetto«, sagte ich; »hast du dich hier einquartiert?«

»Von Eurer Exzellenz Zimmern«, antwortete der Page mit niedergeschlagenen Augen, »habe ich den entferntesten Raum eingenommen, um Ihnen so wenig als möglich beschwerlich zu fallen.«

Ich fand diese Beobachtung des Abstandes zwischen mir und ihr sehr nett und dankte ihr dafür. ›Kann ich sie doch‹, sagte ich mir selbst, ›nicht aus dem leeren Luftraum verjagen, wenn's ihr gefällt, mich unsichtbar zu belagern. Ist sie aber in einem mir bekannten Zimmer, so kann ich unsre Entfernung berechnen.‹ Diese Überlegung befriedigte mich und leichtsinnig gab ich meine Einwilligung zu allem.

Ich wollte den Bankier meiner Mutter aufsuchen. Biondetta besorgte zuerst meine Toilette. Der Kaufmann empfing mich auf eine Art, die mich stutzig machen mußte. Er war hinter seinem Ladentisch, lächelte schon von weitem und kam mir entgegen: »Don Alvares, ich vermutete Sie hier nicht. Sie kommen aber gerade recht, um mich an einem dummen Streich zu verhindern. Ich wollte Ihnen eben zwei Briefe und Geld schicken.«

»Meinen Vierteljahrswechsel?« fragte ich.

»Ja,« versetzte er, »und mehr noch. Es sind zweihundert Zechinen mehr diesen Morgen gekommen. Durch einen alten Edelmann, dem ich drüber quittierte, hat Donna Mencia das Geld geschickt. Sie hielt Sie für krank, weil Sie lange nichts von Ihnen gehört hatte, und trug einem Ihrer spanischen Bekannten auf, mir das Geld für Sie zuzustellen.«

»Hat er Ihnen seinen Namen genannt?«

»Ich hab' ihm die Quittung auf seinen Namen ausgestellt: Don Miguel Pimientos, der Escudero in Ihrem Hause gewesen ist, wie er sagte. Da ich nicht wußte, daß Sie hier wären, hab' ich ihn nicht um seine Adresse gefragt.«

Ich nahm das Geld und öffnete die Briefe. Meine Mutter klagte über ihre Gesundheit, über meine Nachlässigkeit im Schreiben, erwähnte aber nichts von den Zechinen, die sie mir schickte; desto mehr rührte mich ihre Güte.

Da mein Beutel so sehr zur rechten Zeit gespickt war, kehrte ich vergnügt in meinen Gasthof zurück. Es kostete mich Mühe, Biondetta in der Art von Zimmer zu finden, wohin sie sich geflüchtet hatte; es lag eine heimliche Treppe hinauf, ziemlich weit von meiner Tür; ganz zufällig geriet ich dahin und sah sie gebückt an einem Fenster stehen, sehr damit beschäftigt, Stücke eines zerbrochenen Klavizimbals zusammenzuflicken.

»Ich hab' Geld,« sagte ich, »und bringe das wieder, was du mir geliehen hast.« Sie ward rot, wie sie immer ward, bevor sie sprach, suchte meinen Schuldschein und gab ihn mir wieder; während sie das Geld nahm, sagte sie nur: ich nähm's gar zu pünktlich mit dem Rückzahlen, es hätte ihr Vergnügen gemacht, mich länger zu ihrem Schuldner zu haben.

»Aber das ist nicht alles,« sagte ich, »du hast auch die Post bezahlt.« Sie hatte die Rechnung darüber auf dem Tisch liegen, und ich bezahlte. Ich zeigte mich sehr kühl, als ich wegging. Sie fragte noch, ob ich was befehle; ich antwortete Nein, und sie machte sich ganz ruhig wieder an ihre Arbeit. Sie kehrte mir den Rücken, und ich beobachtete sie eine Zeitlang; sie schien sehr beschäftigt, mit ebensoviel Geschick als Eifer.

Ich ging in Gedanken auf mein Zimmer. ›Das ist‹, sagte ich mir, ›der Kollege des Calderon, der Soberanos Pfeife anzündete und aus keinem besseren Hause, wenn schon sein Wesen etwas Vornehmes hat. Wenn er so wenig verlangt, mir so gar nicht zur Last fällt und keine Prätentionen hat, warum sollte ich ihn nicht behalten? Er versichert mir ja, ich dürfe ihn wegschicken, wann ich wollte. Warum soll ich mich zwingen, das gerade jetzt zu wollen, was ich zu jeder Tagesstunde wollen kann?‹

Die Nachricht, daß gedeckt sei, unterbrach meine Betrachtungen.

Ich setzte mich zu Tische. Biondetta, in großer Livree, stand hinter meinem Stuhl, kam aufmerksam meinen Bedürfnissen zuvor. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um sie zu sehen: drei Spiegel des Saals wiederholten alle ihre Bewegungen. Die Mahlzeit ging zu Ende, man trug ab. Biondetta entfernte sich.

Der Wirt kam herauf, ein alter Bekannter von mir. Es war Karneval, und meine Ankunft konnte ihn so nicht befremden. Er wünschte mir Glück zur Vermehrung meiner Dienerschaft, was natürlich eine beträchtliche Verbesserung meiner Vermögensumstände voraussetzte, und fing darauf an, meinen Pagen über alles zu loben: er hätte noch nie einen schönern, treuern, klügern, sanftern jungen Menschen gesehen. Er fragte dann noch, ob ich an den Karnevalsvergnügungen nicht teilnehmen wollte? Was meine Absicht war: ich maskierte mich und stieg in eine Gondel.

Ich trieb mich auf der Piazza herum, lief ins Schauspiel, in das Ridotto. Ich spielte, gewann vierzig Zechinen und kam spät nach Hause. Ich hatte allenthalben Zerstreuung und Vergnügen gesucht, wo ich geglaubt hatte, es finden zu können.

Mein Page empfängt mich mit einer Fackel in der Hand unten an der Treppe, überläßt mich meinem Kammerdiener und entfernt sich, nachdem er noch gefragt hat: Wann man bei mir eintreten dürfe.

»Zur gewöhnlichen Stunde«, antwortete ich, ohne zu wissen, was ich sagte, ohne zu bedenken, daß niemand meine Art zu leben kannte.

Ich erwachte den andern Morgen spät und stand schnell auf. Von ungefähr warf ich meine Augen auf meiner Mutter Brief, der auf dem Tisch liegengeblieben war.

»Gute Frau!« rief ich aus, »was mach' ich hier? Warum such' ich nicht bei deinem klugen Rate Schutz? Ich komme, ja, ich komme! Das ist das einzige, was mir zu tun übrigbleibt.«

Da ich laut sprach, merkte man, daß ich auf war; man trat herein, und da sah ich sie wieder, die Klippe, an der meine Vernunft scheiterte. Biondetta sah so uneigennützig, so bescheiden und unterwürfig aus, und das machte sie mir nur desto gefährlicher. Sie meldete mir einen Schneider mit Stoffen; nachdem die Bestellung erledigt war, verschwand sie mit ihm bis zum Mittagessen.

Ich aß wenig und eilte, mich wieder in den Wirbel der Vergnügungen zu stürzen. Ich besuchte Masken; hörte und machte frostige Späße, ging in die Oper und endete beim Spiel, meiner Lieblingsleidenschaft. Ich gewann diesmal noch weit mehr als das erstemal.

So vergingen zehn Tage in gleichem Zustande des Herzens und Geistes und beinahe in der gleichen wüsten Zerstreuung. Ich traf alte Bekanntschaften, machte neue; ward in den vornehmsten Gesellschaften eingeführt, in die Kasinos der Nobili zugelassen.

Alles ging ganz gut, wäre mein Glück im Spiel nicht umgeschlagen; aber an einem Abend verlor ich im Ridotto alle meine zusammengebrachten dreizehnhundert Zechinen. So unglücklich hat noch kein Mensch gespielt. Früh um drei Uhr ging ich weg, ausgebeutelt bis auf den letzten Knopf und mit hundert Zechinen Schulden an Bekannte obendrein. Ich gab mir keine Mühe, meinen Verdruß zu verbergen. Biondetta schien davon bewegt, aber sagte kein Wort.

Den andern Morgen stand ich spät auf. Mit großen Schritten ging ich in meinem Zimmer auf und ab und war wütend. Man servierte das Frühstück, aber ich aß keinen Bissen. Man trug wieder ab. Biondetta blieb ganz gegen ihre Gewohnheit. Sie sah mich einen Augenblick starr an, ließ einige Tränen fallen:

»Sie haben verloren, Don Alvares, vielleicht mehr als Sie bezahlen können.«

»Und wenn dem so wäre, wie soll ich mir helfen?«

»Sie kränken mich; bin ich nicht immer zu Ihren Diensten? Und verlang' ich denn augenblickliche Belohnung? Wollen Sie sich zugrunde richten? Erlauben Sie, daß ich mich setze ... Warum spielen Sie denn so toll, wenn Sie das Spiel nicht verstehen?«

»Glücksspiele! Spiele des Zufalls! Wer versteht die nicht? Und was ist dabei denn zu lernen?«

»Gewiß: man lernt diese Glücksspiele, die Sie sehr mit Unrecht Spiele des Zufalls nennen. Nichts in der Welt geschieht zufällig. Alles war und ist eine Folge notwendiger Berechnungen, welche nur die Wissenschaft der Zahlen verstehn lehrt, deren Grundsätze so abstrakt und so tief sind, daß sie einen Lehrer verlangen, den man aber auffinden und sich zu eigen machen muß. Ich kann Ihnen diese wunderbare Kenntnis nur im Bild darstellen. Die Verkettung der Zahlen bewirkt die Bewegung des Universums und regelt das, was man Zufälle und Bestimmungen nennt, und zwingt alles, durch unsichtbare Gewichte zu steigen und zu fallen: von dem Bedeutendsten, was in den entferntesten Sphären vorgeht, bis auf die armseligen kleinen Glückswechsel hier unten, die Ihnen heute Ihr Geld abgenommen haben.«

Diese wissenschaftliche Tirade in dem Munde eines Kindes, dieser etwas auffallende Vorschlag, mir einen Lehrer zu geben, erregten mir einen leichten Schauder; ich spürte wieder etwas von dem Angstschweiß, der mich in Porticis Hallen ergriffen hatte. Ich sah auf Biondetta, die die Augen niederschlug.

»Ich mag keinen Lehrmeister,« sagte ich, »ich fürchtete, zuviel zu lernen. Aber wodurch kannst du mir beweisen, daß ein ehrlicher Mann etwas mehr wissen kann als das Spiel und sich dessen bei Gelegenheit bedienen darf, ohne sich zu kompromittieren?«

Sie nahm den Beweis auf und dies ist im wesentlichen das Ergebnis ihrer Ausführungen.

Die Bank beruht auf der Basis eines übermäßigen Vorteils, der sich mit einer jeden Taille erneut. Liefe sie gar keine Gefahr, so würde die Republik unstreitig einen offenbaren Diebstahl am einzelnen begehen. Aber die Berechnungen, die wir machen können, sind imaginär und die Bank hat immer ein leichtes Spiel, indem unter Zehntausenden, die ihre Opfer sind, nur ein Unterrichteter gegen sie hält. Sie überführte mich weiter und zeigte mir nur eine einzige Kombination, die allem Anscheine nach sehr einfach war. Ich erriet ihr Prinzip nicht, aber noch am nämlichen Abend erkannte ich ihre Untrüglichkeit am Erfolge.

Ich gewann, sie befolgend, alles wieder, was ich verloren, bezahlte meine Spielschulden und erstattete an Biondetta die Summe zurück, die sie mir dazu geliehen hatte, daß ich mein Glück von neuem versuche.

Ich war bei Gelde, aber in größerer Verlegenheit als je. Mein Mißtrauen gegen die Absichten des gefährlichen Wesens, dessen Dienste ich angenommen, hatte sich erneuert. Ich wußte doch nicht ganz gewiß, ob ich das Geschick würde wieder von mir entfernen können; jedenfalls hatte ich nicht die Kraft, es zu wollen. Ich wandte die Augen ab, um es nicht zu sehen, wo es war, und sah es doch aller Orten, wo es nicht war.

Das Spiel lockte mich nicht länger. Seitdem das Pharo, das ich leidenschaftlich liebte, den Reiz des Wagens für mich verloren, fand ich durchaus nichts mehr daran, was mich lockte.

Die Karnevalspossen langweilten mich, das Schauspiel fand ich albern. Hätte ich auch das Herz frei genug gehabt, mit einer Frau aus der vornehmen Welt ein Verhältnis anzuknüpfen, so schreckte mich im voraus das Geschmachte, das Zeremoniell und der Zwang des Cicisbeats ab. Es blieb mir die Zuflucht der Adelskasini, wo ich nicht mehr spielen wollte, und die Gesellschaft der Kurtisanen übrig. Unter den Frauen der letzten Art gab es einige, die sich mehr durch den feinen Geschmack ihres Gepränges und die muntere Gesellschaft, als durch persönliche Reize auszeichneten. Ich fand in ihren Häusern eine wirkliche Freiheit, wie ich sie zu genießen liebte, eine geräuschvolle Fröhlichkeit, die mich betäuben konnte, wenn sie mir auch nicht gefiel; einen immerwährenden Mißbrauch der Vernunft, der mich auf Augenblicke aus den Verwickelungen der meinigen erlöste. Ich war gegen sie alle, bei denen ich Zutritt hatte, galant, ohne es auf eine einzige abgesehen zu haben. Dagegen hatte aber die berühmteste von ihnen ihre Absichten auf mich, die sie bald deutlich werden ließ.

Man nannte sie Olympia. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, sehr schön, talentvoll und geistreich. Sie ließ mich bald die Neigung merken, die sie zu mir gefaßt, und, ohne daß ich etwas Ähnliches für sie empfand, warf ich mich ihr an den Hals, um mich gewissermaßen meiner selbst zu entledigen.

Unsere Verbindung nahm einen ziemlich plötzlichen Anfang, und da ich nicht eben besondern Reiz darin fand, so meinte ich, sie werde auf gleiche Weise endigen, und Olympia, meiner Gleichgültigkeit müde, sich um so eher einen Liebhaber aussuchen, der ihr mehr Gerechtigkeit widerfahren lasse, als wir ohnedies auf dem Fuße der uneigennützigsten Leidenschaft miteinander standen; aber unser Geschick hatte ein anderes entschieden. Und es mußte ohne Zweifel zur Züchtigung dieser stolzen, heftigen Frau und damit ich in Verlegenheiten anderer Art geriete, geschehen, daß sie eine leidenschaftliche Liebe zu mir faßte.

Schon stand es nicht mehr in meinem Willen, des Abends in meine Herberge zurückzukehren, und während des Tages wurde ich von ihren Briefen, Botschaften und Aufpassern im höchsten Grade belästigt.

Man beklagte sich über meine Kälte. Eine Eifersucht, die noch keinen Gegenstand gefunden hatte, hielt sich an alle Frauen, die meine Blicke hätten fesseln können, und würde mich sogar zu Unhöflichkeiten gegen sie genötigt haben, wenn meinem Charakter wäre beizukommen gewesen. Diese fast unablässige Qual war mir sehr verdrießlich; aber ich mußte mich wohl darein finden. Ich bestrebte mich aufrichtig, Olympien zu lieben, um nur etwas zu lieben und mich von der gefährlichen Neigung, die ich an mir kannte, abzulenken; inzwischen bereitete sich eine lebhaftere Szene vor.

Ich wurde in meiner Wohnung, dem Auftrage der Kurtisane gemäß, heimlich beobachtet. Seit wann, sagte sie eines Tages zu mir, haben Sie den schönen Pagen, an dem Sie solchen Anteil nehmen, und den Sie so sehr berücksichtigen, ja den Sie jedesmal mit den Augen verfolgen, wann er Sie zu bedienen in Ihr Zimmer tritt? Warum halten Sie ihn so streng eingeschlossen, daß man ihn nirgends in Venedig sieht?

»Mein Page«, versetzte ich, »ist ein junger Mensch von guter Herkunft, dessen Erziehung mir anvertraut worden. Er ist ...« »Er ist«, fiel sie mir mit zornglühenden Blicken in das Wort, »ein Weib. Einer meiner Vertrauten hat ihn durch das Schlüsselloch sich entkleiden sehen ...«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß er kein Weib ist ...«

»Tu nicht noch eine Lüge zum Verrat. Sie hat geweint: man hat es gesehen: sie ist nicht glücklich. Du verstehst nur die Herzen zu foltern, die sich dir ergeben. Du hast sie betrogen, wie du mich betrügst, und du verläßt sie. Schick' das Kind den Ihrigen zurück, und wenn deine Verschwendung dich unfähig gemacht hat, gegen sie gerecht und billig zu sein, so will ich es tun; aber ich verlange, daß sie morgen verschwindet.«

»Olympia,« erwiderte ich so gelassen als ich es vermochte, »ich habe Ihnen beteuert, ich wiederhole Ihnen und beteuere Ihnen nochmals, daß der Page kein Weib ist. Wollte Gott! ...«

»Was sollen die Lügen und dies: Wollte Gott! Ungeheuer! Schick' sie fort, sage ich dir, oder ... Aber ich habe andere Hilfsmittel; ich werde dich entlarven, und wenn du keine Vernunft annehmen willst, so wird sie es tun ...«

Von diesem Strome von Beleidigungen und Drohungen übermannt, aber mir den Anschein gebend, dafür nicht empfindlich zu sein, ging ich, wenn auch spät, nach Hause.

Meine Leute und vornehmlich Biondetta schienen sich über mein Aussehen zu verwundern: sie zeigte einige Besorgnisse wegen meiner Gesundheit; ich entgegnete, ich befände mich wohl. Ich hatte seit meinem Verhältnisse mit Olympia fast nicht mehr mit Biondetta gesprochen, und dies hatte in ihrem Betragen gegen mich keine Veränderung hervorgebracht, wiewohl es sich in ihren Zügen bemerkbar machte. Es drückte sich in ihrem ganzen Antlitz eine gewisse Abspannung und Schwermut aus.

Am nächsten Morgen war ich kaum erwacht, als Biondetta zu mir ins Zimmer trat, einen offenen Brief in der Hand. Sie gibt ihn mir und ich lese:

An den vermeintlichen Biondetto.

Ich weiß weder, wer Sie, noch weswegen Sie bei Don Alvares sind, Madame; aber Sie sind jung genug, um entschuldigt, und in zu schlechten Händen, um nicht bemitleidet werden zu müssen. Dieser Edelmann wird Ihnen versprochen haben, was er aller Welt verspricht und mir noch alle Tage zuschwört, obschon er entschlossen ist, uns zu verraten. Sie sollen ebenso klug als schön, und werden also für einen guten Rat empfänglich sein. Sie stehen in einem Alter, Madame, in dem Sie noch wieder gutmachen können, was Sie an sich selbst verschuldet haben: ein gefühlvolles Herz bietet Ihnen die Mittel dazu an. Es wird um die Größe des Opfers, das es ihrer Ruhe zu bringen hat, nicht mit Ihnen markten. Dieses Opfer muß Ihren Verhältnissen, den Opfern, die Sie selbst schon gebracht haben und den Aussichten, die man Ihnen etwa für die Zukunft eröffnet, angemessen sein, so daß Sie seinen Umfang selbst zu bestimmen haben. Sollten Sie aber hartnäckigerweise unglücklich und betrogen bleiben und andere unglücklich machen wollen, so versehen Sie sich alles dessen, was die Verzweiflung nur Gewalttätiges einer Nebenbuhlerin eingeben kann. Ich erwarte Ihre Antwort.

Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, stellte ich ihn Biondetta wieder zu. »Antworten Sie dieser Frau, sagte ich, daß sie eine Närrin sei, Sie wissen ja besser als ich, in welchem Grade sie das ist ...«

»Sie kennen sie, Don Alvares, fürchten Sie nichts von ihr ...?«

»Ich fürchte, daß sie mich noch längere Zeit langweilt, darum verlasse ich sie, und um mich desto sicherer von ihr loszumachen, werde ich noch diesen Morgen ein hübsches Haus mieten, das man mir an der Brenta angetragen hat.« Ich kleidete mich ungesäumt an und ging meinen Handel abzuschließen. Unterwegs bedachte ich Olympias Drohungen. ›Die arme Närrin!‹ sprach ich, ›will den ...‹ Ich vermochte, ich wußte nicht wie es kam, durchaus nicht auszusprechen, wen sie töten wollte.

Nach abgemachter Sache kehrte ich heim, aß zu Mittag und beschloß bei mir, im Laufe dieses Tages weiter nicht auszugehen, um nicht von der Macht der Gewohnheit zu der Kurtisane hingezogen zu werden.

Ich nehme ein Buch zu Hand. Unfähig, zu lesen, lege ich es wieder weg. Ich trete an das Fenster, und die Menge und Mannigfaltigkeit der Gegenstände ist mir eher zuwider, als daß sie mich hätte zerstreuen sollen. Ich messe das Zimmer mit großen Schritten und suche Ruhe des Geistes in fortwährender Bewegung des Körpers.

In diesem unschlüssigen Zustande trete ich von ungefähr in eine finstere Kleiderkammer ein, wo meine Leute verschiedene zu ihrem Dienst gehörige Sachen aufzubewahren pflegten, die nicht gerade bei der Hand sein mußten. Ich war nie darin gewesen, die Dunkelheit des Orts gefällt mir. Ich setzte mich auf einen Koffer und verweile einige Minuten.

In dieser kurzen Zwischenzeit höre ich in einem anstoßenden Gemache Geräusch. Ein matter mir in die Augen fallender Lichtschimmer zieht mich nach einer ungangbaren Türe hin; der Schimmer drang durch das Schlüsselloch; ich halte das Auge daran.

Ich sehe Biondetta mit verschränkten Armen ihrem Klavier gegenüber in der Haltung eines Menschen sitzen, der in tiefes Nachdenken versunken ist. Sie bricht das Stillschweigen.

Biondetta! Biondetta! spricht sie. Er nennt mich Biondetta. Das ist das erste und einzige liebkosende Wort, das seinem Munde je entschlüpft.

Sie schweigt und scheint in ihre Träumereien zurückzusinken. Sie legt endlich die Hände auf das Klavier das ich sie hatte ausbessern gesehen. Vor ihr auf dem Pulte liegt ein zugemachtes Buch. Sie präludiert und singt mit halber Stimme, indem sie sich dazu begleitet.

Ich merkte auf der Stelle, daß sie keine bestimmte Komposition sang. Näher hinhorchend, hörte ich meinen und Olympias Namen. Sie improvisierte in Prosa über ihre vermeintliche Lage und über die ihrer Nebenbuhlerin, die sie weit glücklicher als die ihrige fand, zuletzt über meine Härte gegen sie und meinen Verdacht, der ein Mißtrauen erzeuge, das mich von meiner Glückseligkeit entferne. Sie würde mich auf die Bahn der Höhe, des Reichtums und des Wissens geleitet und ich auch sie glücklich gemacht haben. Ach! sagte sie, das fällt nun hin. Wenn er mich einmal für das erkennt, was ich bin, werden meine schwachen Reize ihn nicht mehr fesseln; eine andere ...

Die Leidenschaft riß sie hin, und sie schien in Tränen zu ersticken. Sie steht auf, holt ein Taschentuch, trocknet ihre Tränen und tritt zum Instrument. Sie will sich wieder setzen und als ob die Niedrigkeit des Sitzes ihr vorher zu beschwerlich gefallen, nimmt sie das Notenbuch vom Pulte und legt es auf das Taburet, dann setzt sie sich und präludiert von neuem.

Ich nahm alsbald wahr, daß das zweite Musikstück dem erstern nicht ähnelte. Ich erkannte die Melodie einer damals in Venedig sehr beliebten Barkarole. Sie spielte sie zweimal, und darauf sang sie mit festerer und lauterer Stimme die nachstehende Weise:

Ach! was muß ich nun erleiden,
Kind der Lüfte, das ich bin,
Das für Erd' und Liebesfreuden
Gab das ganze Weltall hin.
Selber hab' ich mich begeben
Alles Glanzes, aller Macht,
Und Verschmähung, dienstbar Leben
Hat es mir zum Lohn gebracht.

Schmeichelt doch dem edlen Pferde
Selbst die Hand, die es regiert,
Daß ihm nicht Verletzung werde,
Sorgt, wer's bändigt, es dressiert.
Mag man es auch immer zwingen,
Zähmen es und spornen gar,
Ehre wird es ihm nur bringen,
Nicht Erniedrigung, fürwahr.

Eine andre nahm zu eigen
Sich dein Herz, Alvares, ein,
Daß dein Kaltsinn mußte weichen,
Sage mir, wie konnt' es sein?
Sie nur liebst du treu vor allen,
Ihr vertraust du deine Ruh,
Sie gefällt dir, mir gefallen
Ist allein dein Mißtrau'n zu,

Das ich, ohn' es zu erregen,
Jetzt wie Gift empfinden lern',
Die du scheust, bin ich zugegen,
Die du hassest, bin ich fern.
Leide ich, soll ich betrügen,
Seufze nimmer in der Tat,
Spreche ich, so will ich lügen,
Schweige ich, so ist's Verrat.

Liebe, du bist der Verräter
Und ich büße deine Schuld,
Räche mich früh oder später,
Gib mir wieder seine Huld.
Laß ihn endlich mich erkennen,
Und wie immer es gescheh'.
Laß ihn keine Schwäche kennen,
Die er nicht für mich begeh.

Meine Feindin triumphieret,
Und sie gibt mein Schicksal an.
Ach! ich sehe mich verführet,
Zwischen Tod und zwischen Bann.
Bleib in deinen Banden liegen,
Meines Herzens wilde Pein,
Würde sonst dich Haß bekriegen,
Darum laß uns ruhig sein.

Der Ton ihrer Stimme, der Gesang, der Sinn der Verse, alles stürzte mich in eine Verwirrung, die ich nicht beschreiben kann. Gespenstisches Wesen, Verderbliches Blendwerk! rief ich aus, indem ich mit Ungestüm mein Versteck verließ, wo ich nur zu lange verweilt hatte: kann man den Anschein der Wahrheit und Natur täuschender annehmen? Wie glücklich bin ich, erst heute dieses Schlüsselloch entdeckt zu haben! Wie oft würde ich sonst hierhergekommen sein, mich in Trunkenheit versetzen zu lassen, wieviel würde ich nicht dazu beigetragen haben, mich selbst zu betrügen. Fort von hier, nach der Brenta, schon morgenden Tages, noch heute Abend!

Ich rufe ungesäumt einen Bedienten und lasse alles, was ich nötig hatte, die Nacht in meiner neuen Wohnung zuzubringen, in eine Gondel schaffen.

Es würde mir allzuschwer gefallen sein, die Nacht in dem Gasthofe zu bleiben. Ich verließ ihn. Ich ging aufs Geratewohl in der Stadt umher. Beim Wenden um eine Straßenecke glaubte ich jenen Bernardillo, der Soberano auf unserm Spaziergange nach Portici begleitete, in ein Kaffeehaus gehen zu sehen. Ein neues Gespenst! sagte ich: sie verfolgen mich. Ich bestieg meine Gondel und durchfuhr ganz Venedig, Kanal aus, Kanal ein; es war elf Uhr, als ich zurückkehrte. Ich wollte nach der Brenta aufbrechen; da aber meine ermüdeten Gondoliere mir den Dienst verweigerten, so sah ich mich genötigt, andere holen zu lassen: sie kamen an, und meine von meinem Vorhaben im voraus unterrichteten Leute stiegen, mit ihren eigenen Sachen bepackt, vor mir in die Gondel. Biondetta folgte hinter mir drein.

Kaum habe ich den andern Fuß in den Kahn nachgezogen, als mich ein Schrei veranlaßt, mich umzuwenden. Eine Maske erdolcht Biondetta.

»Du entreißt ihn mir, stirb, stirb, verhaßte Nebenbuhlerin!«

Die Tat geschah so schnell, daß einer der Gondoliere, der am Ufer zurückgeblieben war, sie nicht hatte verhindern können. Er wollte über den Mörder herfallen und ihm mit der Fackel ins Gesicht schlagen. Ein anderer Verlarvter springt hinzu und stößt ihn mit einer drohenden Gebärde, mit einem Ausrufe zurück, an dem ich Bernardillos Stimme wiederzuerkennen meinte.

Außer mir selbst, stürze ich wieder aus der Gondel. Die Mörder sind verschwunden. Beim Scheine der Fackel erblickte ich Biondetta bleich, in ihrem Blute gebadet, verscheidend.

Mein Zustand läßt sich nicht beschreiben. Jede andere Vorstellung vergeht mir. Ich sehe nur noch ein angebetetes Weib, das Opfer einer sinnlosen Eifersucht und meiner eitlen unerhörten Sorglosigkeit geworden, dem ich die grausamsten Kränkungen bereitet habe. Ich werfe mich über sie. Ich rufe sogleich nach Hilfe und Rache. Ein von dem Lärmen dieses Auftritts herbeigezogener Wundarzt tritt heran. Ich lasse die Verwundete in mein Zimmer schaffen, und in der Besorgnis, daß man nicht behutsam genug mit ihr umgehe, trage ich ihre Last zur Hälfte selbst.

Als man sie entkleidet hatte, und ich den schönen blutigen Leib von zwei so ungeheuren Wunden getroffen sah, die beide an die Quellen ihres Lebens gedrungen zu sein schienen, sagte ich und beging tausend Unsinnigkeiten.

Biondetta, die man für bewußtlos hielt, konnte sie nicht wohl hören; aber der Wirt und seine Leute, der Wundarzt und zwei herbeigeholte Arzte hielten dafür, es dürfe der Verwundeten gefährlich werden, mich bei ihr zu dulden.

Man entfernte mich aus dem Zimmer und ließ meine Leute bei mir; da aber einer von ihnen das Ungeschick beging, mir zu sagen, die Ärzte hätten die Wunden für tödlich erklärt, so brach ich in schmerzliche Wehklagen aus.

An meiner Aufregung zuletzt ermattend, versank ich in eine Abspannung, die einen Schlummer zur Folge hatte.

Ich glaubte meine Mutter im Traume zu sehen, ich erzählte ihr mein Abenteuer, und um es ihr desto anschaulicher zu machen, führte ich sie nach den Ruinen von Portici.

Nicht dahin, mein Sohn! sprach sie zu mir, du bist in einer offenen Gefahr. Wie wir nun durch einen Engpaß kamen, in dem ich getrost vorschritt, stieß mich plötzlich eine Hand in einen Abgrund, ich erkannte sie, es war Biondettas Hand. Ich fiel, eine andere Hand zieht mich zurück und ich befinde mich in den Armen meiner Mutter. Ich wache, noch vor Schrecken keuchend, auf. Geliebte Mutter! rief ich aus, du verläßt mich nicht, sogar nicht im Traume. Biondetta! du willst mich verderben? Aber dieser Traum ist die Wirkung meiner aufgeregten Phantasie, die mich gegen die Dankbarkeit und Menschlichkeit würde sündigen lassen.

Ich rufe einen Bedienten und frage. Zwei Wundärzte wachen: man hat viel Blut abgelassen, man fürchtet das Fieber.

Am andern Morgen, nachdem man den Verband abgelöst, erklärte man, die Wunden seien nur ihrer Tiefe halber gefährlich; aber das Fieber kehrt zurück, nimmt zu, und man muß die Kranke durch neue Aderlasse erschöpfen.

Ich bat so dringend, eingelassen zu werden, daß man meinen Vorstellungen nicht widerstehen konnte.

Biondetta phantasierte und wiederholte unaufhörlich meinen Namen. Ich sah sie an; sie war mir noch nie so schön vorgekommen.

Das also, sagte ich zu mir, nahm ich für ein gefärbtes Trugbild, für Dunst und Rauch, nur dazu da, meine Sinne zu verblenden? Sie lebte wie ich, und verliert ihr Leben, weil ich sie nimmer habe hören wollen, weil ich sie willkürlich preisgegeben. Ich bin ein Tiger, ein Ungeheuer! Wenn du stirbst, liebenswürdigstes Wesen, dessen Wert ich so ungerechterweise verkannt habe, so mag ich dich nicht überleben. Ich werde dir in den Tod folgen, nachdem ich dir auf deinem Grabe die grausame Olympia geopfert! Wirst du mir wiedergegeben, so bin ich der Deine, ich werde deine Wohltaten erkennen, deine Tugenden, deine Geduld krönen, ich vereinige mich dir mit unauflöslichen Banden und erfülle meine Pflicht, dich glücklich zu machen, indem ich dir alle meine Gefühle, ja meinen Willen blind ergebe.

Ich mag nicht die mühsamen Anstrengungen der Kunst und Natur schildern, einen Körper ins Leben zurückzurufen, der trotz der für ihn aufgebotenen Hilfsmittel zu erliegen schien.

Einundzwanzig Tage vergingen, während man zwischen Furcht und Hoffnung schwankte, endlich verminderte sich das Fieber und schien es, als gewönne die Kranke ihre Besinnung wieder.

Ich nannte sie meine liebe Biondetta, sie drückte mir die Hand. Von diesem Augenblicke an erkannte sie alles, was sie umgab. Ich saß an ihrem Kopfkissen: ihre Augen richteten sich auf mich; die meinen waren in Tränen. Ich vermag den Liebreiz, den Ausdruck ihres Lächelns, als sie mich ansah, nicht zu beschreiben. Liebe Biondetta! sprach sie: ich bin Alvares, liebe Biondetta. Sie wollte mehr sagen: man nötigte mich abermals, mich zu entfernen.

Ich zog vor, in ihrem Zimmer an einer Stelle zu bleiben, wo sie mich nicht sehen konnte. Man erlaubte mir endlich, wieder heranzutreten. Biondetta! sagte ich, ich lasse die Mörder verfolgen.

»Ach! schonen Sie sie,« entgegnete sie: »sie haben mich glücklich gemacht. Wenn ich sterbe, ist's für Sie, lebe ich, so ist's um Sie zu lieben.«

Ich habe Grund, die zärtlichen Austritte nicht weiter auszumalen, die zwischen uns bis dahin stattfanden, daß die Ärzte mich versicherten, ich dürfe Biondetta an das Ufer der Brenta bringen lassen, wo die Luft geeigneter sein werde, ihre Kräfte wiederherzustellen. Wir schlugen dort unsere Wohnung auf. Ich hatte ihr von dem Augenblicke an, da ihr Geschlecht, durch die Notwendigkeit, ihre Wunden zu verbinden, an den Tag gekommen war, zu ihrer Bedienung zwei Zofen gegeben. Ich ließ es ihr an nichts fehlen, was zu ihrer Bequemlichkeit dienen konnte und beschäftigte mich nur damit, ihr hilfreich zu sein, sie zu unterhalten, ihr zu gefallen.

Ihre Kraft mehrte sich Zusehens und ihre Schönheit schien Tag für Tag an Glanz zu gewinnen. Am Ende, als ich glaubte, sie werde ein längeres Gespräch ohne Nachteil für ihre Gesundheit ertragen können, sagte ich zu ihr: O Biondetta! ich bin von Liebe erfüllt, versichert, daß Sie kein gespenstisches Wesen sind, überzeugt, daß Sie mich, trotz meines bisherigen empörenden Betragens gegen Sie, lieben. Aber Sie wissen, ob meine Zweifel begründet waren. Enthüllen Sie mir das Geheimnis der seltsamen Erscheinung, die meine Blicke in dem Gewölbe von Portici traf. Woher, wohin kamen jenes widerwärtige Scheusal, jenes kleine Hündchen, die vor Ihnen da waren? Wie, warum erschienen Sie an deren statt, um bei mir zu verweilen? Beruhigen Sie nun vollends ein Herz, das Ihnen ganz angehört und sich Ihnen für das ganze Leben ergeben will.

»Alvares,« antwortete Biondetta, »jene Nekromanten, die über Ihre Verwegenheit erstaunt waren, wollten sich mit Ihrer Demütigung eine Kurzweil machen und Ihr Entsetzen dazu benutzen, Sie zum elenden Sklaven ihres Willens herabzuwürdigen. Sie gewannen dafür den mächtigsten und furchtbarsten aller Geister. Und mit Hilfe derjenigen, deren Kategorie ihnen unterworfen ist, stellten sie Ihnen ein Schauspiel an, das Sie vor Entsetzen getötet haben würde, hätte nicht die innere Kraft Ihrer Seele ihren listigen Anschlag gegen sie selbst ausschlagen lassen.

So wie die Sylphen, die Salamander, die Gnomen, die Undinen Ihre heldenmäßige Haltung wahrnahmen, beschlossen sie, von Ihrem Mute entzückt, Ihnen allen Vorteil über Ihre Feinde einzuräumen. Ich bin ursprünglich eine Sylphide, und zwar eine der ansehnlichsten. Ich erschien in Gestalt des kleinen Hündchens, und empfing Ihre Befehle, und darauf bestrebten wir uns um die Wette, denselben nachzukommen. Je gebieterischer, entschlossener und unbefangener, je mehr mit uns einverstanden Sie über uns verfügten, desto mehr erhöhte sich unsere Bewunderung vor Ihnen und unser Eifer. Sie geboten mir, Sie als Page zu bedienen und als Sängerin zu vergnügen. Ich gehorchte mit Freuden und fand in meiner Unterwerfung einen solchen Reiz, daß ich beschloß, mich Ihnen für alle Zeit zu widmen. Entscheide jetzt, sagte ich zu mir selbst, dein Glück und dein Geschick. In dem öden Luftraume einem notwendigen steten Wechsel hingegeben, ohne Empfindungen, ohne Genüsse, eine Sklavin der Beschwörungen der Kabbalisten, ein Spielball ihrer Launen und demzufolge in deinem ganzen Wesen und Wissen beschränkt, kannst du da noch einen Augenblick unschlüssig sein, deinem Dasein einen höhern Wert zu verleihen? Es ist uns erlaubt, uns zu verkörpern, um uns also zu weisen Menschen zu gesellen: hier ist deren einer. Ich will mich darauf beschränken, ein einfaches Weib zu sein. Ich will mit dieser freiwilligen Umwandlung auf das natürliche Recht der Sylphiden und auf die Gemeinschaft mit meinesgleichen verzichten und mir also das Glück erwerben, zu lieben und geliebt zu werden. Meinem Überwinder dienend, will ich ihn die ganze ihm noch unbewußte Erhabenheit seiner Natur erkennen lassen und er wird uns mit den Elementen, deren Gebiet ich verlassen habe, die Geister aller Sphären unterwerfen. Er ist dazu geschaffen, König der Welt zu sein, und ich werde die Königin, seine von ihm angebetete Königin sein. Diese Betrachtungen, die in einem mit keinen Organen beschwerten Wesen schneller als Sie glauben können, aufeinanderfolgten, bewirkten auf der Stelle meinen Entschluß. Ich nahm einen mir äußerlich gleichenden weiblichen Körper an, um ihn nur mit meinem Leben wieder zu verlassen. Sobald ich mich verkörpert hatte, Alvares, erkannte ich, daß ich ein Herz besaß. Ich bewunderte, ich liebte Sie; aber was wurde aus mir, als ich in Ihnen nur Abneigung und Haß antraf! Ich konnte mich nicht umwandeln, ja nicht einmal bereuen. Allen Unfällen unterworfen, die Kreaturen Ihrer Art betreffen, von dem Unwillen der Geister, von dem unversöhnlichen Hasse der Nekromanten verfolgt, war ich, Ihres Schutzes ermangelnd, das unglücklichste Wesen unter der Sonne; was sage ich! Ich würde es ja ohne Ihre Liebe noch immer sein.«

Die tausendfältige Anmut und Holdseligkeit, die ihre Gesichtszüge und Gebärden, die der Ton ihrer Stimme dabei ausdrückte, unterstützte das Blendwerk dieser anziehenden Mitteilung. Ich begriff nichts von dem, was ich hörte. Aber was war denn überhaupt Begreifliches in meinem Abenteuer?

Es kommt mir alles wie ein Traum vor, sprach ich zu mir: jedoch was ist das ganze menschliche Leben anders als ein Traum? Ich träume nur ungewöhnlicher als ein anderer, das ist alles. Ich habe es mit meinen Augen gesehen, wie sie, fast an den Pforten des Todes und Erschöpfung und Schmerzen jeglicher Art erleidend, von der Kunst alle Hilfe empfing.

Der Mann wurde aus einem wenig Staub und Wasser geschaffen. Warum sollte ein Weib nicht aus Tau, Dünsten der Erde und Lichtstrahlen, aus verdichteten Regenbogenteilchen entstehen? Wo ist das Mögliche, wo das Unmögliche?

Das Ergebnis meiner Betrachtungen war, daß ich mich meiner Neigung noch mehr hingab, indem ich die Vernunft für meine Führerin hielt. Ich überschüttete Biondetta mit Zuvorkommenheiten und unschuldigen Liebkosungen. Sie überließ sich ihnen mit einer Unbefangenheit, die mich bezauberte, und mit jener natürlichen Verschämtheit, die ebensowenig aus Furcht, wie aus Absicht entspringt.

Ein Monat war mir in Genüssen vergangen, die mich trunken gemacht hatten. Die völlig wiederhergestellte Biondetta konnte mich überallhin auf Spaziergängen begleiten. Ich hatte ihr ein Amazonenkleid machen lassen, und in diesem Anzuge, mit einem großen Federhute bedeckt, zog sie aller Blicke auf sich, so daß wir uns niemals öffentlich zeigten, ohne daß mein Glück ein Gegenstand des Neides aller derer wurde, die an schönen Tagen die reizenden Ufer der Brenta beleben. Ja die Frauen sogar schienen in ihrem Betreff eben die Eifersucht aufgegeben zu haben, deren man sie beschuldigt, und entweder von ihrer unableugbaren Überlegenheit überwunden oder von ihrem Anstande entwaffnet zu sein, der da eine so gänzliche Unbewußtheit ihrer Vorzüge kundgab.

Aller Welt als der begünstigte Liebhaber eines so hinreißenden Wesens bekannt, wurde ich bald ebenso stolz als verliebt, und noch übermütiger, wenn ich mir mit dem Gedanken an ihren glänzenden Ursprung schmeichelte.

Ich konnte nicht bezweifeln, daß sie die seltensten Kenntnisse besaß, und ich war berechtigt zu vermuten, daß es ihre Absicht war, mich damit auszustatten: aber dennoch sprach sie mit mir nur von gewöhnlichen Dingen und schien diesen andern Gegenstand ganz aus dem Gesichte verloren zu haben.

Biondetta, sagte ich eines Abends zu ihr, da wir auf der Terrasse meines Gartens lustwandelten: als Ihre meinerseits nur allzuwenig verdiente Neigung zu mir Sie bewog, Ihr Schicksal dem meinigen zu verbinden, versprachen Sie, mich Ihrer würdig zu machen, indem sie mir Kenntnisse mitteilten, die nicht für jedermann da seien. Scheine ich Ihnen nun Ihre Aufmerksamkeit nicht mehr zu verdienen? Muß nicht eine so zärtliche, so zarte Liebe wie die Ihrige verlangen, ihren Gegenstand geadelt zu sehen?

»O Alvares! antwortete sie mir, ich bin seit sechs Monden ein Weib und es ist mir, als habe meine Leidenschaft noch keinen Tag gewährt. Verzeihen Sie mir, wenn die süßeste aller Regungen ein Herz trunken macht, das noch niemals etwas empfunden. Ich wollte, ich könnte Sie zu lieben lehren wie ich, so würden sie von allein durch dieses Gefühl über Ihresgleichen erhoben werden; aber ich weiß, der menschliche Hochmut strebt nach andern Genüssen. Eine natürliche Ungeduld gestattet ihm nicht, ein Glück zu ergreifen, wofern es ihm nicht die Aussicht auf ein viel größeres eröffnet. Ja, ich werde Sie unterrichten, Alvares! Ich vergesse mit Freuden allen meinen Vorteil. Er will es, da ich meine Größe in der Ihrigen wiederfinden muß. Aber es ist nicht genug, daß Sie mir versprechen, mir anzugehören, Sie müssen sich mir ohne Einschränkung und für immerdar ergeben.«

Wir saßen auf einer Rasenbank, unter einem Schutzdache von Geisblatt, im fernsten Teile des Gartens: ich warf mich vor ihr nieder. »Liebe Biondetta!« sprach ich zu ihr: »Ich gelobe Ihnen unverbrüchliche Treue!«

»Nein, sagte sie, Sie kennen mich nicht, Sie kennen sich nicht: Sie müssen sich mir gänzlich hingeben. Das allein kann mich beruhigen und mir genügen.«

Ich küßte ihr die Hand mit Entzücken und verstärkte meine Schwüre; sie hielt mir ihre Besorgnisse entgegen. Im Feuer des Gesprächs neigen sich unsere Köpfe zueinander, begegnen sich unsere Lippen ... In dem Momente fühlte ich mich am Rockschoße erfaßt und mit einer seltsamen Kraft geschüttelt ...

Es war mein Hund, ein kleiner Däne, den ich geschenkt erhalten hatte. Ich ließ ihn alle Tage mit meinem Schnupftuche spielen. Weil er am vorigen Abend aus dem Hause entlaufen war, hatte ich ihn, um es zum zweiten Male zu verhüten, anbinden lassen. Er hatte eben seine Bande zernagt und mich ausgespürt, wo er mich dann am Rock zupfte; um mir seine Freude zu bezeigen und mich neckte. Ich mochte ihn mit Hand und Stimme zurücktreiben wie ich wollte, es war nicht möglich, ihn zu entfernen: er sprang und bellte so lange um mich herum, bis ich, seiner Zudringlichkeit müde, ihn beim Halsbande faßte und zum Hause zurückbrachte.

Als ich wieder zu Biondetta in die Laube kam, folgte mir ein Diener fast auf dem Fuße nach und meldete, daß angerichtet sei, worauf wir uns zu Tisch setzten. Biondetta hätte können dabei verlegen scheinen. Glücklicherweise waren wir nicht allein, ein junger Nobile brachte den Abend mit uns zu.

Am andern Morgen begab ich mich zu Biondetta, mit dem Vorsatze, ihr zu eröffnen, was für ernstliche Betrachtungen ich diese Nacht über angestellt. Sie lag noch zu Bett, ich setzte mich neben sie. »Wir waren nahe daran, sagte ich, gestern eine Torheit zu begehen, die mich mein ganzes Leben lang gereut haben würde. Meine Mutter verlangt durchaus, daß ich mich verheirate. Ich vermöchte keiner andern als Ihnen anzugehören und kann doch auch keine ernste Verbindung ohne ihren Rat eingehen. Ich betrachte Sie schon als meine Gattin, liebe Biondetta, und es ist also meine Pflicht, Sie zu achten.«

»Muß ich Sie denn etwa nicht ebenfalls achten, Alvares? Aber wenn dieses Gefühl das Gift der Liebe wäre? ...«

»Sorgen Sie nicht, versetzte ich, es ist ihre Würze ...«

»Eine schöne Würze, die Sie so kalt wie Eis wieder zu mir kommen läßt und mich selbst versteinert. Ach, Alvares, Alvares! Ich kenne glücklicherweise weder Vernunft noch Rücksichten, habe weder Vater noch Mutter, und will von ganzem Herzen ohne solche Würze lieben. Sie haben Pflichten gegen Ihre Mutter zu erfüllen, das ist natürlich; aber es ist schon genug, daß ihre Zustimmung die Vereinigung unserer Herzen bestätige; weshalb muß sie ihr vorangehen? Die Vorurteile sind euch aus Mangel an Einsicht angeboren, und ihr mögt nun richtig oder unrichtig folgern, so gestalten sie euer Betragen ebenso folgewidrig wie verwunderlich. Derweil ihr wahrhaften Pflichten unterworfen seid, legt ihr euch deren auf, die, wo nicht unmöglich, so doch unnütz zu erfüllen sind, und wollt euch kurz und gut in der Erstrebung eines Gegenstandes von dem rechten Wege entfernen, wo der Besitz euch als das Wünschenswerteste erscheint. Unsere Verbindung, unser Verhältnis zueinander wird von eines andern Willkür abhängig gemacht. Wer weiß, ob Donna Mencia dafür halten wird, daß ich von hinlänglich gutem Hause sei, um in die Familie der Maravillas Aufnahme zu erlangen? Und ich sollte mich vielleicht verworfen sehen? Oder anstatt, daß Sie selbst sich mir hingäben, Sie ihr zu verdanken haben? Ist es ein zu einer hohen Wissenschaft berufener Mann, der mit mir spricht, oder ein erst aus dem Gebirge von Estremadura kommender Knabe? Und habe ich etwa kein Zartgefühl, da dasjenige anderer so viel mehr als das meinige geschont wird? Alvares! Man rühmt die Liebe der Spanier: aber sie zeigen zu jeder Zeit mehr Stolz und trotziges Wesen als Liebe.«

Ich hatte Auftritte mit angesehen, die außerordentlich genug waren; auf einen solchen konnte ich nicht vorbereitet sein. Ich wollte meine Rücksicht auf meine Mutter entschuldigen: die Pflicht schriebe sie mir vor, und noch viel stärker Dankbarkeit und Anhänglichkeit. Ich wurde nicht gehört. »Ich bin nicht vergeblich ein Weib geworden, Alvares: Sie verdanken mich mir, ich will Sie Ihnen verdanken. Donna Mencia mag hernach ihre Billigung versagen, wenn sie eine Torin ist. Sprechen Sie mir nichts mehr davon! Seitdem Sie mich und sich und alle Welt achten, werde ich noch Unglücklicher als ich war, da Sie mich haßten.« Und sie hub zu schluchzen an.

Glücklicherweise bin ich etwas stolz, und dies Gefühl bewahrte mich vor der Schwäche, die mich verleiten wollte, Biondetten zu Füßen zu fallen, um womöglich ihren unvernünftigen Zorn zu beschwichtigen und die Tränen zu stillen, deren bloßer Anblick mich in Verzweiflung stürzte. Ich ging von ihr in mein Kabinett. Hätte mich einer darin angekettet, so würde er mir einen Dienst geleistet haben. Zuletzt lief ich zu meiner Gondel, weil ich den Ausgang des Kampfes fürchtete, den ich bestand: eine von Biondettas Frauen begegnete mir unterwegs. »Ich gehe nach Venedig, sagte ich ihr. Meine Anwesenheit dort ist in dem gerichtlichen Verfahren nötig, das ich gegen Olympia eingeleitet habe.« Und sogleich fuhr ich ab, der peinlichsten Unruhe preisgegeben, und mit Biondetta, noch mehr aber mit mir selbst unzufrieden, weil ich erkennen mußte, daß mir nur erniedrigende und verzweifelte Auswege übrigblieben.

Ich komme zur Stadt und halte am ersten Auslegeplatze an. Ich durchlaufe ganz verstört alle Gassen, die mir im Wege liegen, und nehme nicht wahr, daß ein furchtbares Donnerwetter auf mich einzubrechen droht und daß ich Ursache habe, mich nach einem Obdach umzusehen.

Es war eben Mitte Juli. Bald wurde ich von einem Regengusse überrascht, der mit Hagel herabstürzte.

Ich sehe vor mir eine Tür offen stehen. Es war die Kirchenpforte des großen Franziskanerklosters; ich flüchte mich da hinein.

Mein erster Gedanke war, daß es eines solchen Unfalles bedurft hatte, um mich zum ersten Male seit meinem Aufenthalte auf dem Gebiete der Republik wieder in eine Kirche zu bringen; der nächste, daß ich mich wegen dieses gänzlichen Vergessens meiner Pflichten vor mir selbst rechtfertigte.

Um kurz zu sein: meinen Gedanken zu entfliehen, betrachte ich die Gemälde und Denkmäler, die in dieser Kirche aufgestellt sind: eine Art Entdeckungsreise, die ich rings um Schiff und Chor herum mache.

So gelange ich endlich in eine tiefe von einer Lampe erhellte Kapelle, in die kein Tageslicht dringen kann: meine Blicke treffen auf etwas Hervorleuchtendes im Hintergrunde der Kapelle; es war ein Grabdenkmal.

Zwei Genien senkten eine weibliche Figur in ein Grab von schwarzem Marmor, zwei andere Genien vergossen daneben Tränen. Die Figuren waren von weißem Marmor und ihr von dem Gegensatze erhöhter Glanz schien, indem er den schwachen Lampenschimmer zurückstrahlte, einen ihnen angemessenen Tag um sie hervorzurufen und der Tiefe der Kapelle selbst ihr Licht zu geben.

Ich trat näher: ich betrachtete die Figuren; sie scheinen mir vom schönsten Ebenmaße, voll Ausdruck und von hoher Vollendung zu sein. Ich richte mein Auge auf den Kopf der Hauptfigur. Wie wird mir? Ich glaube das Bildnis meiner Mutter zu sehen. Ein lebhafter, inniger Schmerz, eine heilige Ehrfurcht ergreifen mich. Oh, meine Mutter! Soll ich also durch diesen kalten Stein, der deine teuern Züge geliehen hat, daran gemahnt werden, daß meine geringe Zärtlichkeit gegen dich und mein ausschweifender Lebenswandel dich in das Grab stürzen werden? Oh, du würdigste aller Frauen! So verwirrt auch dein Alvares ist, hat er dir dennoch deine Gewalt über sein Herz nicht entzogen. Ehe er dir den Gehorsam aufsagte, den er dir schuldig ist, würde er lieber tausendmal sterben: er ruft zum Zeugen dessen diesen unempfindlichen Marmor an. Ach! ich werde von der allergrausamsten Leidenschaft verzehrt und es ist mir forthin unmöglich, sie zu beherrschen. Du sprichst hier zu meinen Augen: sprich, oh, sprich zu meinem Herzen! Und wenn ich sie daraus scheiden soll, so lehre mich es vollbringen, ohne daß es mich das Leben kostet.

Indem ich diese dringende Beschwörung mit Kraft aussprach, hatte ich mich mit dem Antlitz zu Boden geworfen und erwartete in dieser Lage die Antwort, die ich in meiner Ekstase fast gewiß war, zu empfangen.

Ich bedenke jetzt, was ich damals nicht imstande war zu tun, daß wir zu allen Zeiten, wo wir einer außerordentlichen Hilfe bedürfen, um unser Tun und Lassen zu bestimmen, sie nur mit rechter Innigkeit ansprechen müssen, weil wir dann auch für den Fall, daß wir nicht erhört werden, doch wenigstens, indem wir uns sammeln, den Vorteil davon tragen, alle Hilfsquellen unserer eigenen Klugheit gelten zu machen. Ich hätte verdient, von der meinigen im Stiche gelassen zu werden, und sie gab mir diesen Rat: du mußt die Erfüllung einer Pflicht und einen beträchtlichen Raum zwischen deine Leidenschaft und dich schieben: so werden dich die Ereignisse aufklären.

Wohlan! sprach ich, mich rasch erhebend, ich will mein Herz meiner Mutter aufschließen und mich noch einmal zu dieser geliebten Zufluchtsstätte retten.

Ich begebe mich nach meinem gewöhnlichen Gasthause, treibe einen Wagen auf, und schlage, ohne mich mit Gepäck zu beschweren, die Straße nach Turin ein, um mich durch Frankreich nach Spanien zu begeben. Zuvörderst füge ich zu einer Anweisung auf dreihundert Zechinen auf die Bank, den nachstehenden Brief:

An meine geliebte Biondetta.

Ich entreiße mich Ihnen, meine Teuerste! und würde mich also dem Leben entreißen, wenn nicht die Hoffnung baldigster Rückkehr mein Herz tröstete. Ich besuche meine Mutter: von Ihrem holdseligen Bilde beseelt, werde ich sie überreden und mit ihrer Billigung sodann wiederkehren, um eine Verbindung einzugehen, in der mein Glück ruht. Zufrieden, meine Pflicht erfüllt zu haben, ehe ich mich der Liebe gänzlich hingegeben, werde ich mein ganzes übriges Leben Ihnen widmen. Sie werden einen Spanier kennenlernen, meine Biondetta; Sie werden aus seinem Betragen entnehmen, daß, wenn er den Forderungen der Ehre und des Blutes genügt, er doch auch ebenso andere Verpflichtungen zu befriedigen versteht. Wenn Sie die guten Folgen seiner Vorurteile sehen, werden Sie das Gefühl, welches ihn damit verknüpft, nicht Stolz nennen. Ich kann an Ihrer Liebe nicht zweifeln: sie hatte mir einen unbedingten Gehorsam zugesagt. Ich werde sie noch vollkommener aus dieser kleinen Nachgiebigkeit gegen Absichten erkennen, die nichts anderes zum Gegenstände haben, als unsere gemeinsame Glückseligkeit. Ich sende Ihnen hierbei, was etwa zum Unterhalte unseres Hauswesens vonnöten ist, und werde Ihnen ferner aus Spanien zukommen lassen, was ich Ihnen nur Ihrer irgend Würdiges bieten kann, bis daß die leidenschaftlichste Zärtlichkeit auf der Welt Ihnen auf immerdar Ihren Sklaven wiedergibt.

Ich befand mich auf dem Wege nach der Heimat. Es war eben die schönste Jahreszeit und alles schien meiner ungeduldigen Sehnsucht nach dem Wiederanblicke meines Vaterlandes entgegenzukommen. Ich entdeckte schon die Türme von Turin, als eine übelzugerichtete Postchaise meinen Wagen überholt, anhält und mich hinter ihrem Schlage eine Frau sehen läßt, die mir Zeichen gibt und sich anschickt, herauszuspringen.

Mein Postillon hält von selbst an; ich steige aus und halte Biondetta in meinen Armen, in denen sie ohnmächtig und bewußtlos liegen bleibt. Sie hatte nur die wenigen Worte sagen können: Alvares, Sie haben mich verlassen!

Ich trage sie in meine zweisitzige Chaise, an den einzigen Ort, wo sie sich bequem niederlassen konnte. Ich tue mein möglichstes, ihr das Atemholen zu erleichtern, indem ich sie von den Kleidungsstücken befreie, die sie daran hindern, und sie also in meinen Armen haltend, setze ich meinen Weg in einem Zustande fort, den man sich vorstellen mag.

Wir halten in dem ersten Gasthause, das einiges Ansehen hat; ich lasse Biondetta in das beste Zimmer tragen; lasse sie auf ein Bett bringen und setze mich neben sie. Ich hatte allerlei Zeug herbeibringen lassen, geeignet, eine Ohnmacht zu heben. Endlich schlägt sie die Augen auf.

»Man hat noch einmal meinen Tod gewollt, spricht sie, dem soll genügt werden.« »Wie ungerecht! erwidere ich: eine Laune hält Sie ab, überlegte und notwendige Schritte von meiner Seite zu billigen. Ich laufe Gefahr, meine Pflicht zu verletzen, wenn ich nicht stark genug bin, Ihnen zu widerstehen, und setze mich damit Unannehmlichkeiten und Gewissensbissen aus, die die Ruhe unserer Verbindung beeinträchtigen würden. Ich entschließe mich zur Flucht, um die Einwilligung meiner Mutter einzuholen ...«

»Und warum lassen Sie mich Ihren Willen nicht wissen, Grausamer? Bin ich nicht dazu geschaffen, Ihnen zu gehorchen? Ich würde Sie begleitet haben. Aber mich allein und schutzlos zurückzulassen, mich der Rache der Feinde preiszugeben, die ich mir um Ihretwillen gemacht, mich den demütigendsten Kränkungen durch Ihre Schuld ausgesetzt zu sehen ...«

»Erklären Sie sich, Biondetta; sollte jemand gewagt haben? ...«

»Und was hätte er denn mit einem armen Geschöpfe meinesgleichen zu wagen, das ohne Heimat, Freund und Herrn ist! Der verruchte Bernardillo war uns von Venedig gefolgt: kaum sind Sie verschwunden, als er, zwar ohnmächtig gegen mich, seitdem ich Ihnen angehöre, aber imstande, meine Diener zu beunruhigen, Ihr Haus an der Brenta von Trugbildern, die er hervorgerufen hat, belagern läßt. Meine erschreckten Zofen verlassen mich. Einem allgemeinen Gerüchte nach, das viele Briefe bestätigen, hat ein Kobold einen Kapitän von der Garde des Königs von Neapel nach Venedig entführt. Man versichert, ich sei der Kobold, und das wird fast von allen Anzeichen erwiesen. Jedermann geht mir mit Entsetzen aus dem Wege. Ich flehe um Hilfe und Mitleid, ich finde es nicht. Zuletzt verschafft mir Gold, was man der Menschlichkeit vorenthalten hat. Man verkauft mir zu hohem Preise eine schlechte Chaise, ich finde Wegweiser, Postillone; ich folge Ihnen ...«

Meine Festigkeit wäre durch die Erzählung von Biondettas Unfällen beinahe erschüttert worden.

»Ich konnte Ereignisse solcher Art nicht vorhersehen, sagte ich zu ihr. Ich hatte gesehen, daß alle Bewohner der Ufer der Brenta Ihnen mit Achtung und Aufmerksamkeit begegneten, die Ihnen so wohlerworben zu sein schien: konnte ich mir einbilden, daß man sie Ihnen in meiner Abwesenheit streitig machen würde? O Biondetta! Sie sind so aufgeklärt: konnten Sie nicht voraussehen, daß Sie mich zu verzweifelten Entschlüssen treiben mußten, indem Sie so vernünftigen Absichten wie den meinigen entgegenhandelten? Warum ...?«

»Kann man es denn immer über sich gewinnen, nicht zu widersprechen? Ich bin zwar ein Weib aus eigener Wahl, Alvares, aber doch immer ein Weib, dem ausgesetzt, für alle Eindrücke empfänglich zu sein; ich bin nicht von Stein. Ich habe zu der Bildung meines Körpers zwischen den Zonen den Urstoff ausgewählt, der sehr leicht erregbar ist, wäre er es nicht, so würde ich des Gefühls ermangeln und Ihnen gleichgültig sein, indem Sie mir keines einflößten. Vergeben Sie mir, daß ich es habe darauf ankommen lassen, alle Unvollkommenheiten meines Geschlechts mit anzunehmen, um womöglich alle Reize desselben in mir zu vereinigen. Aber die Torheit ist geschehen, und einmal so beschaffen, wie ich gegenwärtig bin, sind meine Empfindungen von einer Lebhaftigkeit, der nichts zu vergleichen: mein Temperament ist ein Vulkan. Ich besitze Leidenschaften, deren Heftigkeit Sie allerdings erschrecken dürfte, wenn Sie nicht eben der Gegenstand der allerungestümsten wären, und wenn wir uns nicht besser auf die Prinzipien und Wirkungen solch natürlicher Regungen verständen, als man dieselben in Salamanca studiert. Man gibt ihnen da gehässige Namen, spricht wenigstens davon, sie zu ersticken. Eine himmlische Flamme zu ersticken, die einzige Schwungkraft, vermöge der Seele und Körper wechselseitig auseinander einwirken und sich nötigen können, die erforderliche Verbindung zwischen sich aufrechtzuerhalten! Das ist sehr unverständig, mein lieber Alvares! Man muß wohl diese Regungen lenken, aber ihnen auch jezuweilen nachgeben; wenn man sie durchkreuzt, wenn man sie empört, entfliehen sie alle miteinander, so daß dann die Vernunft nicht mehr weiß, wo sie sich festsetzen soll, um zu herrschen. Schonen Sie mich in diesen Augenblicken, Alvares; ich bin erst sechs Monate alt und von allem, was ich empfinde, enthusiasmiert. Bedenken Sie, daß eine abschlägige Antwort, ein einziges Wort, das Sie mir unbedachterweise sagen, die Liebe kränkt, den Stolz empört, Verdruß, Mißtrauen, Furcht erweckt: was sage ich? ich sehe schon meinen armen Kopf verdreht und meinen Alvares ebenso unglücklich werden wie mich!«

»Oh, Biondetta!« erwiderte ich, »man kommt bei Ihnen nicht aus dem Staunen heraus; ich meine die Natur selber in den Bekenntnissen zu sehen, die Sie mir von Ihren Neigungen machen. Wir werden einen Beistand gegen sie in unserer gegenseitigen Zärtlichkeit finden. Und was haben wir nicht auch sonst noch von dem Rate meiner würdigen Mutter zu erhoffen, die uns mit offenen Armen empfangen wird? Sie wird Sie zärtlich liebgewinnen, das sehe ich kommen, und es wird sich alles vereinigen, uns glückliche Tage zu bereiten ...«

»Ich muß wollen, was Sie wollen, Alvares. Ich kenne mein Geschlecht besser, und hoffe nicht soviel wie Sie; aber ich will Ihnen folgen, Ihnen zu gefallen, und ergebe mich.«

Zufrieden mit der Zustimmung und in Gesellschaft derjenigen, die meine Vernunft und Sinne ganz befangen hatte, nach Spanien unterwegs zu sein, suchte ich eiligst über die Alpen hinweg nach Frankreich zu kommen; es schien jedoch, als ob der Himmel mir entgegen wäre, seitdem ich mich nicht mehr allein befand: schreckliche Unwetter hielten meine Reise auf und machten die Wege schlecht, die Pässe unzugänglich. Die Pferde ermüden und mein anscheinend neuer und wohl instand gesetzter Wagen wird mit jeder Station zerbrechlicher, so daß es bald an der Achse, bald am Gestelle, bald an den Rädern fehlt. Endlich, nach unendlichen Umwegen, erreiche ich den Engpaß von Tende.

Bei aller Unruhe und Verlegenheit, die mir eine o unangenehme Reise bereiteten, bewunderte ich doch Biondettas Wesen. Sie war nicht mehr das zärtliche, betrübte oder leidenschaftliche Weib, wie ich sie schon gesehen hatte; es schien, als wollte sie meine Sorgen zerstreuen, indem sie sich der lebhaftesten Lustigkeit überließ, um mir glauben zu machen, kein Ungemach schrecke sie. All dies anmutige Lachen war mit allzu verführerischen Liebkosungen vermischt, als daß ich mich ihnen hätte entziehen können: ich überließ mich ihnen, wenn auch mit Zurückhaltung: mein gekränkter Stolz bezähmte die Heftigkeit meiner Begierde.

Sie las zu gut in meinen Augen, um nicht meine Verwirrung zu erkennen und noch zu steigern. Ich kam in Gefahr: ich muß es gestehen. Einmal besonders weiß ich nicht, was aus dem Vorsatze meines Ehrgefühls geworden wäre, wenn wir nicht ein Rad gebrochen hätten. Das diente mir für die Zukunft einigermaßen als Warnung.

Nach unglaublichen Beschwerlichkeiten langten wir in Lion an. Ich willigte aus Rücksicht für sie ein, daselbst einige Tage zu rasten. Sie machte mich auf die ungezwungenen, leichten Sitten der Franzosen aufmerksam. »In Parks, bei Hofe, wünschte ich, daß Sie sich niederließen. Sie würden da alle Möglichkeiten antreffen und alles vorstellen können, was Ihnen gefiele. Ich habe sichere Mittel und Wege, Sie die größte Rolle spielen zu lassen; die Franzosen sind galant. Wenn ich meine Persönlichkeit nicht überschätze, so würde mir huldigen, was es nur Ausgezeichnetes unter ihnen gibt, und ich wollte alle meinem Alvares aufopfern. Welch schöner Triumph für die spanische Eitelkeit!«

Ich nahm diesen Vorschlag als Scherz auf. »Nein,« sagte sie, »es ist damit mein voller Ernst ...«

»Also schnell nach Estremadura weiter!« antwortete ich, »auf der Rückkehr wollen wir dem französischen Hofe die Gemahlin des Don Alvares Maravillas vorstellen; denn es würde doch nicht eben schicklich für Sie sein, sich ihm als Abenteurerin zu zeigen ...«

»Ich bin auf dem Wege nach Estremadura,« sagte sie, »und muß wohl erwarten, an diesem Ziele mein Glück zu treffen: wie sollte ich darum nicht verlangen, bald hinzukommen?«

Ich sah und erkannte wohl ihren Widerwillen, aber ich befolgte mein Ziel und befand mich bald auf spanischem Gebiet. Unvorhergesehene Hindernisse, Schluchten, grundlose Fahrgleise, betrunkene Maultiertreiber, stützige Tiere gaben mir hier noch mehr zu schaffen als in Piemont und Savoyen.

Man hat über spanische Wirtshäuser viel und mit Recht geklagt; desungeachtet fühlte ich mich sehr glücklich, wenn das den Tag über erlittene Ungemach mich nicht nötigte, auch noch einen Teil der Nacht auf freiem Felde oder in einer abgelegenen Scheune zuzubringen.

»Was für ein Land suchen wir auf,« sagte sie, »nach dem zu urteilen, was wir zu erdulden haben! Sind wir noch weit davon?«

»Sie befinden sich in Estremadura,« antwortete ich, »und zwar höchstens zehn Stunden noch vom Schlosse Maravillas entfernt ...«

»Wir kommen ganz gewiß nicht hin; der Himmel verwehrt uns den Zugang. Sehen Sie, was für Dunstmassen an ihm aufsteigen!«

Ich sah zum Himmel empor, und er hatte mir noch niemals so drohend geschienen. Ich machte Biondetta bemerklich, die Scheuer, bei der wir uns befanden, könne uns gegen das Wetter schützen.

»Wird sie uns auch vor dem Wetterstrahl Schutz verleihen?« fragte sie ...

»Was kümmert Sie der Wetterstrahl, die Sie gewohnt sind, in den Lüften zu leben, die Sie ihn so oft haben entstehen sehen und seinen physischen Grund so wohl kennen müssen?«

»Ich würde ihn nicht fürchten, wenn ich diesen weniger kennte: ich habe mich aus Liebe zu Ihnen den natürlichen Zufällen unterworfen und scheue sie, weil sie töten und eben natürlichen Ursprungs sind.«

Wir saßen auf zwei Haufen Stroh, an den entgegengesetzten Enden der Scheuer. Inzwischen kam das Gewitter, nachdem es von weitem gegrollt hatte, näher und tobte fürchterlich. Der Himmel glich einer ungeheuren Kohlenpfanne, in die aus tausend verschiedenen Richtungen die Winde bliesen. Die von den Höhlen der benachbarten Berge wiederholten Donnerschläge erschollen gewaltig rings um uns her. Sie folgten nicht aufeinander, sie schienen aneinander zu stoßen. Sturm, Hagel, Regen wetteiferten, wer von ihnen das meiste Grausen zu dem erschreckenden Schauspiele fügen mochte, das unsere Sinne betäubte. Ein Blitz fuhr hernieder, der unsere Zufluchtsstätte zu treffen schien. Ein entsetzlicher Schlag erfolgte. Mit zugedrückten Augen, die Ohren mit den Fingern verstopfend, stürzte sie in meine Arme: Ach, Alvares! ich bin verloren ...

Ich will sie beruhigen. »Legen Sie die Hand auf mein Herz,« sagte sie. Sie führt sie an ihre Brust, und wiewohl sie sich irrte und sie auf eine Stelle legte, wo die Schläge nicht am fühlbarsten sein konnten, so unterschied ich doch, daß ihre Aufregung außerordentlich war. Sie schloß mich mit aller Kraft und bei jedem Blitzstrahle heftiger in ihre Arme. Zuletzt erdröhnte ein Schlag noch weit furchtbarer als alle vorhergegangenen: Biondetta schützte sich vor ihm auf eine Weise, daß er, wenn er einschlug, sie nicht treffen konnte, ohne vorher mich selbst getötet zu haben.

Diese Wirkung der Furcht kam mir sonderbar vor und ich begann, mich nicht vor den Schlägen des Donnerwetters, sondern vor den Anschlägen dieses Weibes zu fürchten, die darauf abzielten, den Widerstand zu besiegen, den ich ihren Absichten mit mir entgegenstellte. Obgleich mehr als ich sagen könnte außer mir, stehe ich doch auf und sage: »Biondetta, Sie wissen nicht, was Sie tun. Beschwichtigen Sie Ihre Furcht, dies Getöse bedroht weder Sie noch mich.«

Mein Phlegma mußte sie überraschen; aber sie konnte mir dadurch ihre Gedanken verhehlen, daß sie eine fortwährende Unruhe heuchelte. Glücklicherweise war die Kraft des Gewitters gebrochen. Der Himmel hellte sich auf, und nicht lange, so verkündigte uns der Mondschein, daß wir vom Kampf der Elemente nichts mehr zu besorgen hatten.

Biondetta verblieb auf der Stelle, an der sie sich eben befand. Ich setzte mich neben sie, ohne ein Wort zusprechen: sie tat, als schliefe sie, und ich verlor mich in so schwermutvolles Nachdenken, wie noch seit dem Beginn meines Abenteuers nicht, über die notwendigerweise Übeln Folgen meiner Leidenschaft: Meine Geliebte war reizend; aber ich wollte sie zu meiner Frau machen.

Der Tag traf mich noch bei diesen Gedanken, und ich stand auf, um nachzusehen, ob ich wohl meine Reise würde fortsehen können. Dies war für den Augenblick unmöglich. Der Eseltreiber, der meine Kalesche fuhr, sagte mir, seine Maultiere seien vorderhand untauglich. In dieser Verlegenheit trat Biondetta zu mir.

Ich fing schon an, die Geduld zu verlieren, als ein Mann mit einem unheimlichen Gesicht, aber von kraftvollem Körperbau, am Eingange der Meierei sich zeigte, wie er zwei ansehnliche Maultiere vor sich hertrieb. Ich schlug ihm vor, mich vollends nach Hause zu bringen, er kannte den Weg und wir wurden wegen des Lohnes handelseins.

Ich wollte eben wieder in meinen Wagen steigen, als ich eine Bäuerin mit einem Knechte quer über den Weg gehen sah, die mir bekannt vorkam. Ich trat auf sie zu, faßte sie scharf ins Auge: Es war Berta, eine ehrbare Pächterin meines Dorfes, die Schwester meiner Amme. Ich rufe sie an, und sie bleibt stehen und steht mich ihrerseits, wiewohl mit Bestürzung, an. »Ei was! Sind Sie es,« spricht sie, »gnädiger Don Alvares? Was suchen Sie an einem Orte, wo Ihr Verderben Ihnen zugeschworen ist? wo Sie alles in Trostlosigkeit versetzt haben? ...«

»Ich, meine gute Berta? was habe ich verbrochen? ...«

»Ach, Don Alvares, sagt Ihr Gewissen Ihnen denn nicht die traurige Lage, in der Ihre würdige Mutter, unsere gute Herrin, sich befindet? Sie liegt im Sterben ...«

»Sie liegt im Sterben? ...« schrie ich.

»Ja, fuhr sie fort, »infolge des Kummers, den Sie ihr gemacht haben; in dem Augenblick, da ich von ihr rede, kann sie schon nicht mehr am Leben sein. Sie hat aus Neapel und Venedig Briefe erhalten. Man hat ihr ganz erschreckliche Dinge geschrieben. Unser guter Herr, Ihr Bruder, ist sehr aufgebracht: er sagt, er werde Sie allerwegs verfolgen lassen, Sie anklagen, Sie selbst ausliefern ...«

»Schon gut, Frau Berta, wenn Ihr wieder nach Maravillas geht und vor mir dahinkommen solltet, so tut nur meinem Bruder zu wissen, er werde mich alsbald vor sich sehen.«

Und da die Kalesche angespannt ist, so gebe ich zu gleicher Zeit Biondetta die Hand und verberge die Verwirrung meiner Seele hinter dem äußern Scheine von Festigkeit. »Wie?« spricht sie entsetzt, »so wollen wir uns Ihrem Bruder in die Hände geben? durch unsere Gegenwart eine erbitterte Familie, gekränkte Untergebene noch mehr aufbringen? ...«

»Ich kann meinen Bruder nicht furchten, Madame; wirft er mir ein Unrecht vor, das ich nicht begangen habe, so kommt es darauf an, daß ich ihn aufkläre; habe ich es dagegen begangen, so muß ich mich entschuldigen und habe Ansprüche auf sein Mitleiden und seine Nachsicht, da mein Herz davon nichts weiß. Habe ich durch meinen unordentlichen Lebenswandel meine Mutter in das Grab gestürzt, so muß ich das gegebene Ärgernis wieder gutmachen, indem ich ihren Verlust so laut beweine, daß die Aufrichtigkeit und Offenkundigkeit meiner Reue angesichts von ganz Spanien den Flecken austilgen, den mein Mangel an kindlichem Gefühl meinem Geblüte aufgedrückt hat.«

»Ach, Don Alvares! Sie gehen Ihrem und meinem Verberben entgegen. Diese von allerwärts her geschriebenen Briefe, diese so rasch und angelegentlich verbreitete üble Nachrede sind eine Folge unserer Abenteuer und der Nachstellungen, die ich schon in Venedig erfahren habe. Der treulose Bernardillo, den Sie nicht genug kennen, treibt sein Wesen mit Ihrem Bruder und wird ihn noch dahin bringen ...«

»Was habe ich von Bernardillo und von allen Schurken aus Erden zu fürchten? Ich bin mein einziger Feind, Madame, den ich zu fürchten habe. Man wird meinen Bruder nimmermehr zu blinder Ungerechtigkeit und Handlungen verleiten, die eines verständigen, mutvollen Mannes, eines Edelmannes mit einem Worte, unwürdig sind.«

Auf diese ziemlich lebhafte Unterredung trat ein Stillschweigen ein, das für eines und das andere hätte peinlich werden können; aber Biondetta fing wenige Augenblicke nachher an, schläfrig zu werden, und entschlummerte bald völlig. Konnte ich umhin, sie anzusehen? Konnte ich sie ohne Rührung ansehen? Aller Reichtum der Jugend und Schönheit prangte auf diesem Angesichte, und zu der natürlichen Anmut der Ruhe gesellte der Schlummer noch jene lebhafte, liebliche Frische, die alle Züge gütig macht. Ein neuer Zauber überkam mich: er entfernte mein Mißtrauen und hob meine Unruhe auf, oder wenn er deren dennoch ein Seil in mir ließ, so war sie nur darum rege, daß der Kopf des Gegenstandes meiner Leidenschaft, der von den Stößen des Wagens hin und her geworfen wird, davon nicht leide. Ich beschäftige mich nur noch damit, sie zu stützen und zu schützen. Aber wir erleiden einen so derben Stoß, daß es mir unmöglich fällt, seine Wirkung auf sie zu lindern. Biondetta stößt einen Schrei aus und wir werfen um. Die Achse war zerkrochen; glücklicherweise waren die Maultiere stehengeblieben. Ich mache mich los, ich springe mit den lebhaftesten Besorgnissen Biondetta bei. Sie hatte nur eine leichte Quetschung am Ellenbogen davongetragen, und wir befinden uns alsbald im freien Felde auf den Füßen, wiewohl der vollen Hitze der Mittagssonne ausgesetzt, und zwar auf fünf Stunden weit von dem Schlosse meiner Mutter, ohne, wie es den Anschein hatte, es möglich machen zu können, uns dahin zu begeben, denn es ward unsern Blicken auch nicht eine menschliche Wohnung sichtbar.

Auf wiederholtes angestrengtes Umherspähen glaube ich indessen in der Entfernung einer Stunde Rauch wahrzunehmen, der hinter einem mit einzelnen hohen Bäumen untermischten Gehölz aussteigt. Ich vertraue nunmehr meinen Wagen der Obhut des Maultiertreibers an und fordere Biondetta auf, mit mir nach der Richtung zu gehen, wo sich uns die Aussicht auf Hilfe öffnet.

Je weiter wir vorschreiten, desto mehr verstärkt sich unsere Hoffnung. Schon teilt sich das kleine Gehölz, wie wir erkennen, in zwei Hälften und bildet einen Baumgang, an dessen Ende sich einige Gebäude zeigen: ein ansehnlicher Meierhof.

An diesem übrigens abgelegenen Orte scheint alles in Bewegung zu sein. Sobald man uns wahrnimmt, tritt ein Mann aus der Menge uns entgegen, der uns mit Höflichkeit begrüßt. Sein Ansehen ist ehrbar. Er ist mit einem schwarzatlasnen, an den Einschnitten feuerfarben besetzten Wams bekleidet, das silberne Tressen schmücken. Sein Alter scheint fünfundzwanzig bis dreißig Jahre zu sein. Seine Gesichtsfarbe kündigt den Landmann an, durch den Sonnenbrand schimmert Frische und verrät Lebenskraft und Gesundheit.

Ich unterrichte ihn von dem Unfälle, der uns zu ihm bringt. »Gnädiger Herr,« versetzt er, »Sie sind mir jederzeit willkommen und befinden sich unter guten Leuten. Ich habe hier eine Schmiede, darin soll Ihre Achse ausgebessert werden; aber heute könnten Sie mir alles Gold des erlauchten Herzogs von Medina Sidonia, meines Gebieters, geben, und es würde doch weder ich noch einer der Meinigen Hand anlegen. Wir kommen aus der Kirche, meine Braut und ich: dies ist der schönste Tag unseres Lebens. Treten Sie ein. Wenn Sie die Neuvermählte, meine Verwandten, Freunde, Nachbarn sehen, die ich bewirten muß, so werden Sie selbst sagen, daß ich heute unmöglich arbeiten lassen kann. Übrigens, wenn die gnädige Frau und Sie die Gesellschaft von Leuten nicht verschmähen, derengleichen ihrer Hände Arbeit ernährt, solange die Monarchie besteht, so kommt es nur auf Sie an, ob Sie an unserm heutigen Glücke und unsern Freuden teilnehmen und sich mit uns zu Tisch setzen wollen. Morgen denken wir dann an Ihre Sache!« Zu gleicher Zeit gibt er Befehl, meinen Wagen herbeizuschaffen.

So bin ich denn bei Marcos, dem Pächter des Herzogs, zu Gaste, und wir treten in den zum Hochzeitschmause eingerichteten Raum, der an das Hauptwohngebäude stoßend den ganzen innern Hof einnimmt, und zwar ein großes Laubgewölbe mit Bogengängen ist, an denen Blumengewinde herabhangen. Die Aussicht darunter hervor wird zunächst von kleinen Gebüschen begrenzt und verliert sich sodann durch den Baumgang hin in der anmutigen Ferne.

Der Tisch war gedeckt und besetzt. Luise, die Neuvermählte, sitzt zwischen Marcos und mir. Biondetta Marcos zur Seite. Die Väter und Mütter und andern Verwandten uns gegenüber; das junge Volk an beiden Enden der Tafel.

Die Braut schlug ihre großen schwarzen Augen nieder, die nicht dazu geschaffen waren, verstohlen zu blicken, und lächelte und errötete über alles, was man ihr sagte, selbst über ganz gleichgültige Dinge.

Im Anfange des Mahles herrschte der Ernst vor, dem Charakter des Volkes gemäß. Nach Maßgabe jedoch, daß die um die Tafel herumgestellten gefüllten Schläuche zusammenschrumpften, verschwand auch die Feierlichkeit von den Gesichtern. Alles belebte sich, als auf einmal die Improvisatoren beim Schmause erschienen. Es waren Blinde, welche die folgenden Strophen zu ihren Gitarren sangen:

Sprach einst Marcos zu Luisen:
Nimm mein Herz und meine Treu.
Davon weitre Rede sei,
Sprach sie, zu des Altars Füßen.
Dorten dann mit Blick und Mund,
Gaben sie sich beide kund
Ihrer reinen Liebe Schwur; ja,
Wer da sonst begierig, wißt,
Eheglück zu finden, ist,
Suche in Estremadura.

Marcos hat der Neider viele,
Denn Luis' ist schön und klug,
Aber ohne allen Trug
Bringt ihn sein Verdienst zum Ziele.
Alle rühmen auf einmal
Ihrer beider weise Wahl
Und so keusche Flamme nur; Ja,
Wer da sonst begierig, wißt,
Eheglück zu finden, ist,
Suche in Estremadura.

Ja, von süßen Banden werden
Beider Herzen jetzt umfaßt.
Und es finden ihre Herden
In demselben Pferche Rast.
Ihre Freuden und ihr Bangen,
Leid und Sorgen und Verlangen,
Folgen alle einer Spur; ja,
Wer da sonst begierig, wißt,
Eheglück zu finden, ist,
Suche in Estremadura.

Derweil man diesem Gesänge zuhörte, der nicht minder einfach war, als diejenigen, für die er veranstaltet zu sein schien, machten sich die sämtlichen Knechte des Meierhofes, nachdem sie bei Tische aufgewartet hatten, mit einigen Zigeunern und Zigeunerinnen, die man zur Ergötzung der Gäste herbeigeholt hatte, über die Reste des Mahles her. Sie bildeten unter den Bäumen des breiten Zuganges gleich belebte wie mannigfaltige Gruppen und verschönerten unsere Aussicht.

Biondetta suchte unablässig meine Blicke und nötigte sie, sich diesen Gegenständen, die sie auf das angenehmste zu unterhalten schienen, zuzuwenden, indem sie mir gleichsam vorwarf, daß ich daran kein ebenso großes Vergnügen wie sie selbst empfand.

Indessen hatte der Schmaus den jungen Leuten schon zu lange gewährt, sie erwarteten den Ball. Ältere Leute müssen nachsichtig und gefällig sein. Die Tafel wird also abgedeckt, die Bretter, aus denen sie bestand, die Fässer, worauf diese ruhten, werden beiseite geschafft und dienen den Musikern nunmehr zu Gerüst und Gestelle ... Man spielt den Sevillaner Fandango, und die jungen Zigeuner tanzen ihn mit ihren Kastagnetten und baskischen Trommeln; die Hochzeitsgäste vermischen sich mit ihnen und ahmen ihnen nach; der Tanz wird allgemein.

Biondetta scheint das Schauspiel mit den Augen zu verschlingen. Ohne von ihrem Platz zu weichen, folgt sie allen Bewegungen, die sie machen sieht. Ich glaube, spricht sie, ich könnte rasend gern tanzen; und es dauert nicht lange, so ist sie dabei und zwingt mich, auch teilzunehmen.

Sie zeigt sich anfänglich ein wenig verlegen und selbst ungeschickt, alsbald aber findet sie sich darein und scheint nunmehr in Anmut und Kraft ebenso viele Leichtigkeit und Sicherheit zu vereinigen. Sie erhitzt sich, sie braucht ihr Schnupftuch, meines, welches ihr zuerst in die Hand kommt: sie hält nur so lange inne, bis sie sich abgetrocknet.

Das Tanzen war nie meine Leidenschaft und meine Seele empfand zu keiner Zeit Behagen genug, mich diesem Vergnügen hinzugeben. Ich entschlüpfe und entferne mich in einen Winkel des Laubdaches, wo ich einen Ort suche, an dem ich niedersitzen und träumen kann.

Ein ziemlich lautes Geschwätz stört mich und fesselt wider meinen Willen meine Aufmerksamkeit. Zwei Stimmen ertönen hinter mir. »Ja, ja,« sprach die eine, »er ist ein Kind des Planeten. Er wird nach Hause kommen. Sieh, Zoradilla, er ist am dritten März, drei Uhr morgens geboren ...« »Ja, wahrhaftig, Lelagisa,« versetzte die andere, »wehe den Kindern Saturns, der hier ist im Jupiter geboren, als Mars und Merkur in dreifacher Konjunktion mit Venus waren. Oh, der schöne Jüngling! Wie ihn die Natur begünstigt hat. Was für Hoffnungen darf er fassen! Welch ein Glück könnte er machen! aber ...«

Ich wußte die Stunde meiner Geburt und hörte sie mit der seltsamsten Genauigkeit angeben. Ich kehre mich um und sehe die hier da geredet hatten an.

Ich erblicke zwei alte Zigeunerinnen, die nicht sowohl sitzen, als auf den Fersen kauern, im Gesicht gelber als Oliven, mit tiefliegenden stechenden Augen, eingekniffenem Munde, dünner, unförmlicher Nase, die sich bis zum Kinn herunterkrümmt, wo sie anstößt, ein weiß und blau gestreiftes Stück Zeug windet sich zwiefach um einen halbkahlen Schädel und fällt als Schärpe die Schultern entlang bis auf die nur halb bekleideten Hüften hernieder; mit einem Worte, zwei fast ebenso abscheuliche als lächerliche Wesen.

Ich trete zu ihnen. »Sprechen Sie von mir, meine Damen?« frage ich, da ich wahrnehme, daß sie mich fortwährend im Auge behielten und sich einander zuwinkten ...

»Sie haben uns also gehört, Herr Caballero?«

»Ganz gewiß,« versetzte ich, »wer hat Sie aber so gut von der Stunde meiner Geburt unterrichtet?«

»Wir hätten Ihnen noch ganz andere Dinge zu sagen, glücklicher junger Mann; aber wir müssen zuvor ein Zeichen in der Hand haben.«

»Wenn es nur darauf ankommt!« erwidere ich und gebe ihnen auf der Stelle eine Dublone.

»Siehst du, Zoradilla,« sprach die Älteste, »wie nobel er ist, wie dazu geschaffen, alle die Schätze, die ihm bestimmt find, zu genießen? Geschwind, nimm die Gitarre und begleite mich.« Sie singt:

Hispanien hat dich geboren,
Und Neapel dich ernährt,
Die Erde bleibt dir zugeschworen,
Vom Himmel, was du nur erkoren,
Wird alles dir als Gunst gewährt.

Es könnte dich dein Glück verlassen,
Es ist so flüchtig, was dir lacht,
Du findest's nicht auf allen Gassen,
Du mußt es unverzagt erfassen,
Wofern du weise bist bedacht.

Was ist das holde Kind der Zweifel,
Das dir zu eigen sich ergab,
Es ist ...

Die Alten waren im Zuge und ich war ganz Ohr. Biondetta hat den Tanz verlassen, ist herzugeeilt, zieht mich am Arme, zwingt mich, mich zu entfernen. »Warum haben Sie mich verlassen, Alvares? Was tun Sie hier?« »Ich hörte zu«, antwortete ich.

»Wie!« sprach sie, mich fortziehend, »Sie hörten auf die alten Scheusale ...?«

»In der Tat, meine teure Biondetta, diese Kreaturen sind höchst sonderbar, sie wissen mehr als man ihnen zutraut, sie sagten mir ...«

»Ohne Zweifel«, versetzte sie höhnisch, »trieben sie ihr Handwerk und sagten Ihnen wahr, was Sie eben glauben. Mit allem Ihrem Geiste sind Sie doch so einfältig wie ein Kind. Und so etwas kann Sie abhalten, sich mit mir zu beschäftigen?«

»Im Gegenteil, liebste Biondetta, sie sprachen mit mir von Ihnen.«

»Von mir!« fiel sie mir lebhaft mit einer gewissen Unruhe ins Wort: »was wissen sie von mir? Was können sie von mir sagen? Sie faseln. Sie müssen nunmehr den ganzen Abend tanzen, um mich diese Vernachlässigung vergessen zu machen.«

Ich folge ihr: ich trete neuerdings in den Kreis, aber ohne darauf zu achten, was um mich her vorgeht, und was ich selbst beginne. Ich dachte nur daran, zu entschlüpfen, um wo irgend möglich wieder zu meinen Wahrsagerinnen zu gelangen. Zuletzt glaube ich den günstigen Moment zu ersehen und ergreife ihn. In einem Augenblicke fliege ich zu meinen Hexen, habe sie wieder gefunden und in eine kleine Laube am Ende des Gemüsegartens der Meierei geführt. Da beschwöre ich sie, mir in Prosa und ohne Rätsel, kurz und bündig zu eröffnen, was sie irgend Wichtiges meinetwegen wissen können. Die Beschwörung war stark, denn ich hatte die Hände voll Gold. Sie brannten vor Begierde zu reden, ich, zu hören. Bald konnte ich nicht länger zweifeln, daß sie von den geheimsten Angelegenheiten meiner Familie unterrichtet seien und auch eine verworrene Kenntnis von meiner Verbindung mit Biondetta, von meinen Befürchtungen und Hoffnungen hatten. Ich meinte schon viele Dinge erfahren zu haben, und schmeichelte mir, daß ich noch wichtigere erfahren würde; aber mein Argus ist mir auf den Fersen.

Biondetta lief nicht, sondern flog herzu. Ich wollte reden.

»Keine Entschuldigungen,« sagt sie, »der Rückfall ist unverzeihlich ...«

»Ach, Sie vergeben mir ihn schon!« sagte ich, »dessen bin ich gewiß. Sie haben mich zwar abgehalten, mich so weit unterrichten zu lassen, als ich es hätte werden können; aber ich weiß nun schon genug ...«

»Um eine Tollheit zu begehen! Ich bin außer mir, aber hier ist keine Zeit dazu, uns zu streiten. Wenn wir auch in dem Falle sind, die Rücksichten gegen uns selbst zu verletzen, so sind wir sie doch unsern Wirten schuldig. Man wird sich gleich zu Tische setzen und ich nehme meinen Platz an Ihrer Seite: ich mag es nicht mehr dulden, daß Sie mir davonlaufen.«

Bei der neuen Anordnung des Banketts saßen wir dem jungen Ehepaare gegenüber. Sie waren beide von den Freuden des Tages aufgeregt. Marcos Blicke glühten, die Luisens waren minder scheu: die Schamhaftigkeit rächte sich dafür und bedeckte ihre Wangen mit der brennendsten Röte. Der Xereswein kreist um die Tafel und scheint bis zu einem gewissen Grade alle Zurückhaltung davon verbannt zu haben. Die Greise selbst leben bei der Erinnerung ihrer ehemaligen Freuden wieder auf und reizen die Jugend durch nicht sowohl lebhafte als kräftige Scherze. Ich hatte dies Gemälde vor Augen; aber ein noch weit bewegenderes, mannigfaltigeres neben mir.

Biondetta schien sich abwechselnd der Leidenschaft oder dem Verdrusse hinzugeben, indem sie, den Mund mit der stolzen Anmut der Verachtung gewappnet oder von einem süßen Lächeln verschönt, mich bald reizte oder mir grollte, ja, mich bis aufs Blut kniff und mir am Ende leise auf die Füße trat. Mit einem Wort, in dem selben Augenblick empfing ich eine Gunst, einen Vorwurf, eine Strafe, eine Liebkosung, so daß ich, solchem Wechsel der Empfindungen preisgegeben, in eine unerhörte Erregung geriet.

Die Brautleute verschwanden: ein Teil der Gäste folgte ihnen aus der und jener Ursache. Wir stehen vom Tische auf. Eine Frau, es war, wie wir wußten, die Base des Pächters, nimmt eine gelbe Wachskerze, geht uns voran und führt uns zu einem kleinen Zimmer von zwölf Fuß im Geviert, dessen ganzes Gerät aus einem nicht vier Fuß breiten Bette, einem Tisch und zwei Stühlen besteht.

»Meine gnädigste Herrschaft,« spricht unsere Führerin zu uns, »das ist die einzige Stube, die wir Ihnen geben können.«

Sie stellt ihre Kerze aus den Tisch und laßt uns allein.

Biondetta schlägt die Augen nieder. Ich wende mich an sie mit der Frage: »Sie haben also gesagt, daß wir verheiratet seien?«

»Ja,« entgegnete sie, »ich konnte nur die Wahrheit sagen. Ich habe Ihr Wort, Sie das meine. Das ist die Hauptsache. Ihre Zeremonien sind Vorsichtsmaßregeln, die man gegen die schlimme Nachrede getroffen hat, und ich gebe nichts darauf. Es hing auch gar nicht einmal ganz von mir ab. Wenn Sie übrigens das Bett, das man uns anweist, nicht mit mir teilen wollen, so werden Sie mir die Kränkung antun, Sie eine unbequeme Nacht verbringen zu sehen. Ich bedarf der Ruhe, ich bin zu müde, ich bin auf alle Weise erschöpft.« Indem sie die Worte mit großer Lebhaftigkeit sprach, streckt sie sich, mit dem Gesicht gegen die Wand, auf das Bett aus.

»Wie!« rief ich, »Biondetta, ich habe Ihnen mißfallen, Sie sind mir im Ernste bös! Wie kann ich meinen Fehler wieder gutmachen? Fordern Sie mein Leben.«

»Alvares!« antwortet sie mir, »ohne sich stören zu lassen, gehen Sie und befragen Sie Ihre Zigeunerinnen, durch welche Mittel Sie meinem und Ihrem Herzen die Ruhe wiedergeben wollen!«

»Was! meine Unterredung mit den Weibern ist die Ursache Ihres Zornes? Ach! Sie würden mir verzeihen, Biondetta, wenn Sie wüßten, wie sehr das, was sie mir gesagt, mit Ihren eigenen Ratschlägen übereinstimmt, und daß sie mich endlich bestimmt haben, nicht nach dem Schlosse Maravillas zurückzukehren. Ja, es ist entschieden, wir reisen morgen nach Rom, Venedig, Paris, überallhin, wo Sie mit mir wohnen wollen. Wir erwarten dort die Einwilligung meiner Familie ...«

Auf diese Äußerung wendet sich Biondetta um. Ihr Gesicht war ernsthaft, sogar streng. »Erinnern Sie sich, Alvares, was ich bin, was ich von Ihnen erwartete, was ich Ihnen zu tun anriet? Was! nachdem ich mit aller Erleuchtung, die mir innenwohnt und die ich mit aller Überlegung aufgeboten, Sie nicht habe bewegen können, verständig zu handeln, soll mein und Ihr Tun und Lassen von den Äußerungen zweier Wesen geleitet werden, die für Sie und mich die allergefährlichsten, wo nicht die allerverächtlichsten sind? Ja, ja! rief sie mit einem Ausbruche des Schmerzes aus, ich habe die Männer immer gefürchtet; ich habe jahrhundertelang gezaudert, eine Wahl zu treffen; es ist geschehen, sie ist unwiderruflich. Ich bin sehr unglücklich!« Sie brach hier in Tränen aus, deren Anblick sie mir zu entziehen sucht.

Von den heftigsten Leidenschaften ergriffen, sinke ich ihr zu Füßen. »O Biondetta!« rief ich aus. »Sie sehen mein Herz nicht! Sie würden sonst aufhören, es zu zerreißen.«

»Sie kennen mich nicht, Alvares, und werden mich unendlich leiden lassen, bevor Sie mich kennenlernen. Ich muß mit einer letzten Anstrengung Ihnen meine Aussichten enthüllen und Ihre Achtung und Ihr Vertrauen mir gewaltsam erringen, damit ich nicht ferner dem ausgesetzt bleibe, es auf eine gleich demütigende wie gefährliche Weise mit andern teilen zu müssen. Ihre Hexen sind allzusehr mit mir einverstanden, um mir nicht gerechte Besorgnisse einzuflößen. Wer steht mir dafür, daß nicht Soberano, Bernardillo, Ihre und meine Feinde, hinter diesen Masken verborgen seien? Denken Sie an Venedig. Lassen Sie uns ihren Listen mit Wundern begegnen, die sie von mir nicht erwarten werden. Morgen komme ich nach Maravillas, wovon mich ihre Politik zu entfernen sucht; die erniedrigendsten, kränkendsten Zweifel werden mich da empfangen; aber Donna Mencia ist eine gerechte, schätzbare Frau; Ihr Bruder hat ein edles Herz, ich werde mich ihnen vertrauen. Ich werde ein Muster von Sanftmut, Gefälligkeit, Gehorsam, Geduld sein und allen Prüfungen zuvorkommen.« Sie hielt einen Moment inne. »Wirst du dich so genugsam demütigen, unglückselige Sylphide?« ruft sie schmerzlich aus: sie will weiter reden; die Überfülle ihrer Tränen verhindert sie daran.

Was wird aus mir bei diesen Zeugnissen ihrer Leidenschaft, diesen Beweisen von Schmerz, diesen von der Weisheit selbst eingegebenen Entschlüssen, diesen Aufwallungen eines Mutes, den ich für heldenhaft ansah! Ich setzte mich neben sie: ich versuchte, sie durch meine Liebkosungen zu beruhigen, wiewohl ich anfänglich zurückgestoßen werde; bald darauf finde ich zwar keinen Widerstand mehr; aber ich habe keinen Grund, mich dessen zu freuen; sie holt schwer Atem, ihre Augen sind halb geschlossen, ihr Körper ist nur noch krampfhaften Bewegungen unterworfen, eine bedenkliche Kälte hat sich über ihre Haut verbreitet, der Puls schlägt nicht mehr fühlbar, und der Körper würde völlig leblos scheinen, wenn ihre Tränen nicht ebenso reichlich weiterströmten.

Oh, Allgewalt der Tränen! Sie sind außer Zweifel das wirksamste Geschoß der Liebe. Mein Mißtrauen, meine Entschlüsse, meine Gelübde, alles ist vergessen. Indem ich den Quell dieses köstlichen Taues austrocknen wollte, war ich diesem Munde, auf dem sich die Frische und der süße Duft der Rose vereinigen, allzunah gekommen; und sobald ich mich wieder davon entfernen will, werden mir zwei Arme, deren Weiße, Weichheit und Wohlgestalt sich nicht beschreiben lassen, zu Banden, denen mich zu entwinden, mir unmöglich fällt.

»O mein Alvares!« ruft Biondetta, »ich habe gesiegt: ich bin das glücklichste aller Geschöpfe.«

Ich hatte nicht die Kraft zu sprechen: ich fühlte eine außerordentliche Verwirrung; noch mehr: ich war beschämt, regungslos. Sie kniet sich ans Bett und entkleidet mir die Füße. »Was, liebe Biondetta!« rufe ich aus, »was! Du läßt dich herab ...?«

»Ach!« erwidert sie, »Undankbarer, ich diente dir, als du nur noch mein Herr warst: laß mich meinen Geliebten bedienen.«

Ich bin in einem Augenblicke aller meiner Sachen entkleidet; meine sorgfältig zusammengefaßten Haare werden in ein Netz geborgen, das sie in ihrer Tasche gefunden hat. Ihre Kraft, ihr Tun, ihre Gewandtheit haben alle Hindernisse Überwunden, die ich ihr entgegenstellen wollte. Sie macht mit derselben Geschwindigkeit ihre kleine Nachttoilette, löscht die Kerze aus, die uns leuchtete, und die Vorhänge fallen zu.

Nunmehr spricht sie mit einer Stimme, deren Wohllaut auch die lieblichste Musik nicht zu vergleichen ist: »Habe ich meinen Alvares so glücklich gemacht wie er mich? Nein! noch bin ich allein die Glückliche: aber er wird es werden, ich will es, ich will ihn mit Wonne berauschen; ich will ihn mit Kenntnissen erfüllen, ich will ihn auf den Gipfel aller Größe erheben. Willst du, mein Herz, willst du die bevorrechtete Kreatur werden, willst du dir mit mir die Menschen, die Elemente, die ganze Natur unterwerfen?«

»Oh, meine teure Biondetta!« sage ich, wiewohl ich mir dabei ein wenig Gewalt antue, »du genügst mir: du befriedigst alle Wünsche meines Herzens

»Nein, nein,« versetzt sie lebhaft, »Biondetta soll dir nicht genügen: das ist gar nicht mein Name: du hattest ihn mir beigelegt: er schmeichelte mir: ich führte ihn mit Freuden; aber du mußt wissen, wer ich bin ... Ich bin der Teufel, mein bester Alvares, ich bin der Teufel ...«

Indem sie dieses Wort mit bezaubernd süßem Tone aussprach, verschloß sie auch zugleich meinen Mund jedweder Antwort, die ich ihr hätte geben mögen. Sobald ich das Stillschweigen brechen konnte, sagte ich: »Hör auf, meine liebe Biondetta, oder wer du auch seiest, diesen unseligen Namen auszusprechen und mich an einen Irrtum zu mahnen, den ich schon so lange Zeit abgeschworen habe.«

»Nein, mein lieber Alvares, nein, es war kein Irrtum; ich habe es dir nur weisgemacht, mein lieber kleiner Mann. Ich mußte dich wohl betrügen, um dich endlich zur Vernunft zu bringen. Euresgleichen verträgt die Wahrheit nicht: man kann euch nicht anders glücklich machen, als wenn man euch verblendet. Ach! Du sollst höchst glücklich sein, wenn du es sein willst! Ich will dich mit Freuden überschütten. Du gestehst schon, daß ich nicht so abschreckend bin, als man mich schwarz malt.«

Dieser Scherz brachte mich vollends außer Fassung. Ich ging nicht darauf ein, und die Trunkenheit meiner Sinne unterstützte meine freiwillige Zerstreutheit.

»Aber so antworte mir doch«, sprach sie.

»Was soll ich antworten? ...«

»Undankbarer, lege die Hand auf dies Herz, das dich anbetet: auf daß das deine womöglich, wenn auch nur von der leisesten der Empfindungen bewegt werde, die meines erfüllen. Laß durch deine Adern nur ein klein wenig des Feuers strömen, das in den meinigen glüht. Mildere, wenn du es kannst, den Ton dieser Stimme, die so geeignet ist, Liebe einzuflößen, und der du dich nur zu sehr bedienst, meine schüchterne Seele zu erschrecken: sage endlich zu mir, wenn es dir möglich fällt, aber ebenso zärtlich, als ich für dich fühle: mein lieber Beelzebub, ich bete dich an ...!«

Bei diesem verhängnisschweren, wiewohl so zärtlich ausgesprochenen Namen ergreift mich tödliches Entsetzen. Staunen und Bestürzung erdrücken meine Seele: ich würde sie für vernichtet gehalten haben, wenn ich nicht im innersten Herzen den dumpfen Schrei der Reue vernommen hätte. Indessen besteht der Ruf meiner Sinne desto gebieterischer fort, als er von der Vernunft nicht unterdrückt werden kann. Sie gaben mich wehrlos meinem Feinde preis: und er mißbraucht sie, indem er seinen leichten Sieg über mich verfolgt.

Er läßt mir nicht Zeit, zu mir selbst zu kommen und über das Vergehen nachzudenken, dessen er viel mehr der Anstifter als der Mitschuldige ist.

»Unser Handel ist geschlossen«, sagt er, ohne merklich den Ton der Stimme zu ändern, an den er mich gewöhnt hatte. »Du hast mich aufgesucht: ich bin dir gefolgt, habe dir gedient, dich begünstigt, kurz, ich habe getan, was du gewollt. Ich wünschte deinen Besitz, und um ihn zu erlangen, war es nötig, daß du dich mir freiwillig übergabst. Ganz gewiß verdanke ich deine erste Gefälligkeit einigen Kunstgriffen; was aber die zweite anlangt, so hatte ich mich genannt: du wußtest, wem du dich ergabst, und kannst deine Unwissenheit nicht vorschützen. Fortan, Alvares, ist unser Bund unauflöslich; aber um unsere Gemeinschaft desto inniger zu schließen, ist es von Wichtigkeit, daß wir uns besser kennenlernen. Ich kenne dich zwar schon von innen und außen; also muß ich mich dir auch zeigen, wie ich bin, damit wir gleiche Vorteile haben.«

Man ließ mir keine Zeit, über diese seltsame Anrede nachzudenken; ich höre neben mir durchdringend pfeifen. Augenblicklich zerteilt sich die Finsternis, die mich umgibt; der Sims über dem Getäfel des Zimmers ist ganz voll großer Schneckenhäuser, aus denen die Schnecken ihre Hörner rasch im Schwünge hin und her bewegen und damit phosphorische Lichtstrahlen aussenden, die durch das Ausstrecken und Schaukeln ihren Glanz und ihre Wirkung verdoppeln.

Durch diese plötzliche Erleuchtung fast geblendet, richte ich meine Augen seitwärts, und was sehe ich anstatt jenes entzückenden Angesichts? O Himmel! den abscheulichen Kamelkopf. Er spricht mit Donnerstimme deutlich jenes düstere Che vuoi!, das mich in der Grotte schon so sehr entsetzt hatte, bricht in ein menschliches, noch weit furchtbareres Gelächter aus, streckt eine unmäßig große Zunge von sich ...

Ich stürze aus dem Bette, verberge mich darunter mit festgeschlossenen Augen, das Gesicht zu Boden gedrückt. Ich fühlte, wie mein Herz mit fürchterlichen Schlägen schlug, ich litt eine Beängstigung, als ob ich den Atem verlieren sollte.

Ich vermochte die Zeit nicht zu bestimmen, die ich in dieser Lage zugebracht hatte, als ich mit erhöhtem Schrecken fühlte, daß ich am Arme gezogen ward. Gezwungen, die Augen aufzuschlagen, erblinde ich an einer gewaltigen Helle.

Sie ging nicht von den Schnecken aus, deren es keine mehr auf dem Gesimse gab; vielmehr strahlte mir die Sonne senkrecht ins Gesicht. Ich werde abermals am Arme gezogen, wiederholt und stärker: ich erkenne Marcos.

»Ei! Herr Caballero,« sagte er, »wann gedenken Sie denn abzureisen? Wenn Sie heute noch nach Maravillas kommen wollen, haben Sie keine Zeit mehr zu verlieren, es ist fast Mittag.«

Ich antwortete nicht; er betrachtete mich: »Wie? Sie haben sich völlig angekleidet auf das Bett gelegt, Sie haben so vierzehn Stunden zugebracht, ohne zu erwachen? Da müssen Sie ja gewaltig müde gewesen sein! Ihre Frau Gemahlin hat das wohl gedacht und darum die Nacht bei einer meiner Basen zugebracht, um Ihnen nicht beschwerlich zu fallen; aber sie hat sich besser dazugehalten als Sie; auf ihr Geheiß ist schon am frühen Morgen an Ihrem Wagen alles instand gesetzt worden, und Sie können ungesäumt einsteigen. Was die gnädige Frau betrifft, die finden Sie nicht mehr hier. Wir haben ihr ein gutes Maultier geliehen, und sie hat den frischen Morgen genießen wollen. Sie ist immer vorausgeritten und erwartet Sie im ersten Dorfe, das Sie auf Ihrem Wege berühren.«

Marcos geht hinaus. Ich reibe mir unwillkürlich die Augen und greife mit der Hand nach meinem Kopfe, um das Netz zu suchen, worein meine Haare gesteckt worden waren. Er ist unbedeckt, die Haare in Unordnung, mein Zopf noch so wie er am Abende vorher war, die Bandschleife fest daran.

Schlafe ich noch? Habe ich geschlafen? Sollte ich so glücklich sein, daß alles nur ein Traum gewesen ist? Ich habe sie das Licht auslöschen sehen ... Sie hat es ausgelöscht ... Da ist es ...

Marcos kehrt wieder. »Wenn Sie einen Imbiß zu sich nehmen wollen, Herr Caballero, er ist bereit. Ihr Wagen wird angespannt.«

Ich steige aus dem Bette; kaum vermag ich mich aufrechtzuerhalten, meine Knie knicken mit mir zusammen. Ich bin es zufrieden, einige Nahrung zu mir zu nehmen, aber ich kann nicht. Darauf will ich dem Pächter danken und ihn für die Unkosten entschädigen, die ich ihm verursacht habe; er weigert sich, etwas anzunehmen.

»Die gnädige Frau«, entgegnet er, »hat uns bezahlt und mehr als großmütig; wir beide, gnädiger Herr, haben zwei brave Frauen.« Nach dieser Äußerung steige ich ohne zu antworten in meinen Wagen; und er fährt ab.

Die Verwirrung meiner Gedanken war so groß, daß die Vorstellung der Gefahr, worin ich meine Mutter antreffen würde, sich darin nur schwach geltend machte. Mit stieren Augen, offenem Munde glich ich mehr einem Automaten als einem Menschen.

Mein Führer erweckt mich. »Herr Caballero, in dem Dorfe hier sollen wir die gnädige Frau Caballero treffen.« Ich antwortete nichts. Wir fahren durch eine Art von Marktflecken. In jedem Hause erkundigt er sich, ob man nicht eine junge Dame in dem und dem Aufzuge hat vorbeikommen sehen. Man gibt ihm zur Antwort: sie habe sich nicht aufgehalten. Er wendet sich um, gleich als wollte er in meinem Antlitz meine Ungeduld darüber entlesen, und wenn er nicht mehr davon wußte als ich, so mußte ich ihm unruhig genug vorkommen.

Wir hatten das Dorf hinter uns, und ich begann mir zu schmeicheln, der Gegenstand meiner Angst werde wenigstens auf einige Zeit von mir abgelassen haben. Ach! wenn ich zu Donna Mencia gelangen, ihr zu Füßen fallen kann, sprach ich zu mir selbst, wenn ich mich in den Schutz meiner verehrungswürdigen Mutter begeben darf, so sollt ihr Trugbilder und Ungeheuer, die ihr mich so erbittert verfolgt, mir diese Zufluchtsstätte nicht verletzen. Ich werde mit den natürlichen Gefühlen die heilbringenden guten Grundsätze wiederfinden, von denen ich mich entfernt hatte, und mir daraus ein Bollwerk gegen euch aufrichten. Aber wenn der Gram über meine Ausschweifungen mich dieses Schutzengels beraubt hat ... Ach! dann will ich nur darum weiterleben, ihn an mir selber zu rächen. Ich will mich in ein Kloster begraben ... Und wer wird mich dort vor meinen eigenen Hirngespinsten sichern? Ich will mich dem geistlichen Stande widmen. Du reizendes Geschlecht, ich muß auf dich verzichten, eine höllische Larve hat sich mit all der Anmut bekleidet, die ich vergötterte: das Rührendste, was ich in dir erblicken könnte, würde mir das Erinnern ...

Über diesen Gedanken, die mich ganz gefangen hielten, ist der Wagen in den großen Schloßhof eingefahren. Ich vernehme eine Stimme: »Das ist Alvares! das ist mein Sohn!« Ich erhebe den Blick und erkenne meine Mutter auf der Altane ihres Zimmers.

Nichts ist der Süßigkeit und Lebhaftigkeit dessen zu vergleichen, was ich jetzt empfinde. Meine Seele scheint neu geboren zu werden, meine Kräfte kehren mit einem Male alle wieder. Ich springe aus dem Wagen, fliege in die Arme, die meiner warten. Ich werfe mich vor ihr nieder. »Ach!« rufe ich, die Augen in Tränen gebadet, die Stimme von Schluchzen unterbrochen aus: »Ach, meine Mutter! meine Mutter! ich bin also doch nicht Ihr Mörder? Erkennen Sie mich noch als Ihren Sohn an? Ach, meine Mutter! Sie umarmen mich ...«

Die Leidenschaft, die mich hinreißt, die Heftigkeit meines Wesens haben meine Züge und den Ton meiner Stimme dermaßen verstört, daß Donna Mencia darüber beunruhigt wird. Sie hebt mich gütig empor, umarmt mich von neuem, nötigt mich niederzusitzen. Ich wollte reden, es war mir unmöglich, ich warf mich über ihre Hände, die ich in Tränen badete und mit den innigsten Liebkosungen überschüttete.

Donna Mencia sieht mich mit Verwunderung an: sie vermutet, es müsse mir etwas Außerordentliches begegnet sein, sie besorgt sogar irgendeine Störung meiner Vernunft. Derweil ihre Unruhe, ihre Neugierde, ihr Wohlwollen, ihre Zärtlichkeit in ihren Gebärden und Blicken sich aussprachen, hat ihre Vorsicht alles zur Hand schaffen lassen, was man nur von einer langen, mühsamen Reise erschöpft und ausruhend bedürfen kann.

Die Dienerschaft beeifert sich, mir aufzuwarten. Ich führe aus Gefälligkeit etwas an meine Lippen: meine unsteten Blicke suchen meinen Bruder; bestürzt, ihn nicht zu sehen, fragte ich: »Mutter, wo ist Juan?«

»Er wird sich freuen, wenn er hört, daß du hier bist, da er dir geschrieben hat, du mögest herkommen. Da aber seine Briefe aus Madrid nur erst seit einigen Tagen unterwegs sein können, erwarteten wir dich nicht sobald. Du bist Oberst seines Regiments, und der König hat ihm kürzlich ein Vizekönigtum in Westindien zuerteilt.«

»Himmel!« rief ich aus. »Also wäre alles in dem gräßlichen Traume falsch, der mich gequält hat? Aber es ist unmöglich ...«

»Von was für einem Traume sprichst du, Alvares?«

»Von dem allerlängsten, erstaunenswertesten, entsetzlichsten, den man träumen kann.« Und hierauf überwinde ich meinen Stolz und meine Scham und erzähle ihr genau alles, was mir von meinem Eintritte in die Grotte von Portici an bis zu dem beglückenden Augenblicke begegnet war, wo ich ihre Knie hatte umfassen dürfen.

Die ehrwürdige Frau hört mir mit großer Aufmerksamkeit, Geduld und Güte zu. Da ich den ganzen Umfang meines Vergehens kannte, so sah sie wohl, daß es unnötig war, es etwa noch gegen mich zu vergrößern.

»Mein lieber Sohn! Du bist den Lügen nachgerannt und bis zu dieser Stunde von ihnen umgarnt gewesen. Das nimm aus jener Nachricht von meiner Krankheit und von dem Zorne deines ältern Bruders ab. Bertha, mit der du meinst gesprochen zu haben, ist seit einiger Zeit bettlägerig. Ich dachte nicht daran, dir irgend zweihundert Zechinen über deinen Zuschuß zu senden. Ich würde gefürchtet haben, entweder deinen Ausschweifungen Vorschub zu leisten oder dich durch eine übel angebrachte Freigebigkeit nur zu neuen zu veranlassen. Der würdige Escudero Pimientos ist seit acht Monaten tot. Und von den achtzehnhundert Kirchspielen etwa, die der Herzog von Medina Sidonia in Spanien besitzt, liegt kein fingerbreit Erde an dem Orte, den du bezeichnest: ich kenne die Gegend ganz genau, und du hast die Meierei und ihre Bewohner sicherlich nur geträumt.«

»Aber gnädige Frau Mutter!« versetzte ich, »der Maultiertreiber, der mich hergebracht, hat alles so gut wie ich gesehen. Er hat mit auf der Hochzeit getanzt.«

Meine Mutter befiehlt, man solle den Maultiertreiber herbeibringen; aber er hatte gleich bei seiner Ankunft ausgespannt, ohne Lohn zu fordern.

Diese eilige, spurlose Flucht kam meiner Mutter verdächtig vor. »Nunes,« sprach sie zu einem Pagen, der durch das Zimmer ging, »geht zu dem ehrwürdigen Don Quebracuerros und sagt ihm, mein Sohn Alvares und ich erwarteten ihn hier.«

»Das ist ein Doktor aus Salamanca,« fuhr sie fort, »dessen Verdienste ihm mein Vertrauen erworben haben; du kannst ihm auch das deinige schenken. Es ist am Ende deines Traumes ein Umstand, der mich in Verlegenheit setzt. Don Quebracuerros versteht sich auf solche Dinge und wird besser als ich wissen, was davon zu halten ist.«

Seine Ehrwürden ließ nicht auf sich warten. Er imponierte noch, bevor er sprach, durch seine ernste Würde. Meine Mutter ließ mich in seiner Gegenwart das aufrichtige Geständnis meiner Unbesonnenheit und ihre Folgen wiederholen. Er hörte mir aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen. Als ich geendet und er sich ein wenig gesammelt hatte, nahm er folgendermaßen das Wort:

»Es ist außer Zweifel, gnädiger Herr Alvares, daß Sie einer so großen Gefahr entgangen sind, als ein Mensch nur irgend durch seine Schuld bestehen kann. Sie haben den bösen Geist herausgefordert und ihm durch eine Folge von Unklugheiten all die Kunstgriffe selbst an die Hand gegeben, die er bedurfte, um Sie mit Erfolg zu betören und Sie zu verderben. Ihr Abenteuer ist sehr außerordentlich. Ich habe nichts dem Ähnliches je weder in der Dämonologie von Bodin noch in der bezauberten Welt von Becker gelesen, und man muß gestehen, daß, seitdem diese großen Männer geschrieben haben, unser Feind unendlich schlauer in seiner Art und Weise geworden ist, seine Angriffe zu bewerkstelligen und von den Schlingen Nutzen zu ziehen, die die Mitmenschen einander legen, um sich zu Falle zu bringen. Er ahmt die Natur getreulich und mit Überlegung nach, er bedient sich der Vorteile geselliger Talente, gibt geschmackvolle Feste, weiß die Leidenschaften ihre verlockendste Sprache reden zu lassen, er ahmt sogar bis zu einem gewissen Grade die Tugend nach. Dadurch werden mir über vielerlei Dinge, die vorgehen, die Augen geöffnet; ich erblicke von hier aus viele Grotten, die gefährlicher sind als jene von Portici, und eine Menge Besessener, die unglücklicherweise gar nicht ahnen, daß sie es sind. Was Sie betrifft, so glaube ich, daß, wenn Sie für die Gegenwart und Zukunft weise Vorkehrungen treffen, Sie von ihm gänzlich befreit sind. Ihr Feind hat sich zurückgezogen, das ist offenbar. Er hat Sie verführt, es ist wahr, aber es ist ihm nicht gelungen, Sie zu verderben. Ihr Wille und Ihr Gewissen haben Sie unter dem außerordentlichen Beistande, der Ihnen zuteil wurde, davor behütet. Also war sein vermeintlicher Sieg und Ihre Niederlage für Sie und ihn nur eine Illusion, von der Ihre Reue Sie vollends reinigen wird. Er hat nichts davongetragen als einen gezwungenen Rückzug. Aber bewundern Sie, wie er ihn hat zu verdecken und noch fliehend in Ihrem Geiste Verwirrung, in Ihrem Herzen ein Einverständnis zurückzulassen gewußt, vermöge dessen er seinen Angriff erneuern kann, sobald Sie ihm die Gelegenheit dazu leihen. Nachdem er Sie betört, so sehr Sie es nur haben sein wollen, und sich gezwungen gesehen hat, sich in seiner ganzen Ungestalt zu zeigen, unterwirft er sich als Sklave, der Empörung sinnt. Er will Ihnen keinen einzigen vernünftigen und bestimmten Gedanken lassen und vermengt das Groteske mit dem Schrecklichen, das Kindische seiner leuchtenden Schnecken mit der scheußlichen Erscheinung seines mißgeschaffenen Kopfes; kurz, die Lüge mit der Wahrheit, Wachen mit Schlaf. Dergestalt, daß Ihr verwirrter Geist nichts klar unterscheidet und daß Sie dafür halten könnten, die Vision, die Sie betroffen, sei weniger die Wirkung seiner Tücke als ein von den Dünsten Ihres Hirns erzeugter Traum gewesen. So hat er auch sorgfältig die Vorstellung des holdseligen Gespinstes, dessen er sich lange bedient, Sie zu verirren, isoliert, und wird sie Ihnen wieder naher bringen, sobald Sie es ihm möglich machen. Ich glaube indessen nicht, daß die Schranken des Klosters oder unseres Standes diejenigen seien, hinter denen Sie sich vor ihm zu bergen haben. Ihr Beruf dazu ist durchaus nicht genugsam entschieden, und durch eigene Erfahrung gewitzigte Leute sind in der Welt vonnöten. Glauben Sie mir, gehen Sie eine gesetzliche Verbindung mit einer würdigen Person des andern Geschlechts ein und lassen Sie Ihre Wahl von Ihrer ehrwürdigen Mutter leiten, und besitzt sie irgend himmlische Eigenschaften und Reize, so werden Sie niemals in Versuchung kommen, sie für den Teufel zu halten.«


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