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Einleitung

Der siebenzigjährige, halb erblindete Märchenerzähler und Bürgermeister des Dorfes Pieux bei Epernay glaubte fest daran, er könne mit Hilfe seines Glaubens und seiner Dörfler die Geschichte anders bestimmen als sie läuft. In Briefen, die Cazotte seinem alten Freunde Ponteau schreibt, beklagt er die Zeit nicht nur, sondern wartet nur den Tag ab, wo sich alles wieder zur guten Sache wendet, welche die der Kirche und des Königs ist. Die Briefe werden gefunden und kosten Jaques Cazotte den Kopf, den er am Abend des 25. September im Jahre 1792 unter das Messer der Guillotine legt. Noch einmal wird die fast erloschene Greisenstimme laut in dem Ruf:

»Ich sterbe wie ich gelebt habe, treu meinem Gott und meinem König!«

Diesen Endes und eines phantastischen kleinen Buches wegen hat man den Lebensumständen Cazottes nachgespürt, ohne etwas anderes zu finden als was er selber in seinem Abschiedsgruß auf dem Schafott von ihnen mitgeteilt hat.

Von bürgerlichen Eltern des Beamtenstandes wurde er 1720 in Dijon geboren. Die gleiche burgundische Landschaft nennt als ihre Söhne den jüngeren Crébillon, der die schönsten dialogischen Erzählungen geschrieben hat, den witzigen Piron und de Brosses, aus dessen Reisebriefen man am besten das Italien der Zeit erlebt. Auch Rameau, der Musiker, ist aus der Bourgogne. Guter Anstand, hübsche Figur, heller Kopf und brauchbare Verwandte fördern den jungen Mann in seiner halb militärischen, halb juristischen Laufbahn. Als Intendanturbeamter der Marine kommt er nach Martinique und tut seine Pflicht mit dem Lohn raschen Avancements. Nach dreizehn Jahren kehrt er mit seiner kreolischen Frau, drei Kindern und dem Titel Generalkontrolleur heim nach Frankreich, um den Musen zu leben. Aber er verbraucht zunächst Jahre damit, nicht zu verhungern. Auf eine Pension hat er zugunsten seines Titels verzichtet, denn er besaß aus der Mitgift seiner Frau ein gutes Vermögen, von dem man hätte leben können, wenn die Jesuiten nicht gewesen waren. Deren westindischem Superior hatte Cazotte sein Geld gegen zwei Wechsel anvertraut, aber er bekommt sie erst nach Jahren Schreibens und Prozessierens zur Hälfte eingelöst. Es sind da einige sehr amüsante Briefe erhalten, die der bald letzte Jesuitengeneral Ricci an den Geprellten schrieb, der endlich und trotz seiner Jesuitenerziehung und seiner Frömmigkeit die Geduld verlor in einer kleinen Schrift gegen die Praktiken der Gesellschaft, die nicht ohne Wirkung auf die Sistierung des Ordens geblieben sein dürfte. Cazotte weist an seinem und anderen Fällen ganz sachlich nach, daß der Gesellschaft die Religion völlig egal, wichtig aber das Geschäft geworden sei. Der Superior in Martinique hatte, ging er auf Reisen, zwei Stellvertreter: der eine war ein Jude und hieß Cohen, der andere hieß Gautier und war ein Protestant. Eine Spezialität der Jesuitenniederlassungen, reiner Handels- und Bankunternehmungen, waren schwindelhafte Konkurse. Um einen solchen »drohenden Konkurs« abzuwenden, hatte der gute Cazotte hundertvierzigtausend Livres, sein ganzes Vermögen, hergegeben, mit dem der Superior sieben Jahre lang gute Geschäfte machte.

Cazotte wäre ein Bettler gewesen ohne den Tod seines Bruders, der ihm ein kleines Landgut in dem Dorfe bei Epernay hinterließ. Das war 1765. Und bis zum Jahre 1792 ereignete sich in diesem patriarchalischen Leben nichts mehr, das mitzuteilen wert wäre.

Als junger Mensch hatte Cazotte kleine Reimereien und Geschichten geschrieben, wie sie Mode waren, nur die Mode ihrer obligaten Unanständigkeit machte der fromme, wenn auch nicht sauertöpfische Mann nicht mit. Hatten diese Bagatellen einmal Salz, so ist es längst schal geworden. Aus seinem Aufenthalt in den Tropen brachte Cazotte auch literarisch nichts mit. Es ging ihm da wohl wie dem Verfasser von Paul et Virginie, der zur selben Zeit als Bub in Martinique war und nur Heimweh hatte. Die Landschaft hat man erst später entdeckt. Von einem mehr liebenswürdigen als kritischen Komplimente des von ihm verehrten und sehr modischen Moncrif, dem Katzen-Moncrif, ließ sich Cazotte verleiten, einige in einem echt naiven Ton gedichtete Romanzen zu einem längern Poem im Stile Ariosts zu dehnen. Aber Grimms Bemerkung zu diesem Poem »Olivier« ist richtig: »Bloß verrückt sein langt nicht. Auch Narrheiten müssen Genie und Verve haben.« Auch ein anderes Buch, Le Lord Impromptu, ist vom Besten seiner Gattung, dem Gil Blas, in die Vergessenheit gedrängt, aus der es nicht zu retten ist. In sieben Bänden hat Cazotte selber sein Geschriebenes gesammelt, aber es ist nur diese eine fast tiefsinnige Geschichte vom verliebten Teufel Biondetta, zuerst 1772 erschienen, frisch geblieben bis heute. Den Rat, den er da am Schlusse erteilt, nicht in die Höhle des Teufels zu gehen, er selber befolgte ihn nicht. Es gibt eine Legende von einem seltsamen Mann, der den Dichter und Bürgermeister bald nach dem Erscheinen des verliebten Teufels besucht und ihn in einer seltsamen Zeichensprache anredet. Cazotte hielt den Fremden für taubstumm, fragte, was er wünsche. Der Gast macht andere Zeichen. Cazotte erklärt, nicht zu verstehen und womit er dienen könne. Nun redet der Fremdling zunächst von seiner Enttäuschung. Nachdem er den Diable Amoureux gelesen habe, hätte er glauben müssen, daß der Verfasser seine tiefen kabbalistischen Kenntnisse nur als ein Eingeweihter, als ein Illuminat gewonnen haben könne, und zwar aus einer erreichten hohen Stufe in diesem geheimen Orden. Und da habe er zu seinem Kummer merken müssen, daß Cazotte weder die hohe noch die niedre Zeichensprache des Ordens verstünde, weder die der Illuminaten noch die der Martinisten, ja nicht einmal die der ganz gewöhnlichen Freimaurer. Und das sei sehr traurig. Bald aber war Cazotte ein eifriger Illuminat und Martinist, nicht zum Vorteil für die vielen Feengeschichten, die er nun schrieb. Den Teufel hatte er in Gestalt der Biondetta nur einmal richtig beim Schweif gehalten, als er noch nicht so recht an ihn glaubte, aber ihn im Weibe erlebte. Jetzt, wo er ihn nach allen Regeln hätte beschwören können, in seiner ganzen infernalischen Größe zu erscheinen, da blieb er unsichtbar. Wenigstens in den Geschichten. Denn im Leben mochte er ihm wirklich noch einmal begegnet sein, und zwar als Illuminat und in der Gestalt des Richters, der ihn zum Tode verurteilte. Es ist schon so, daß auch der heldische Tod nicht ohne die Farce ist. Der Name dieses Richters sei weiter erhalten: Lavau hieß der Revolutionsmann, der, selber ein Illuminat, dreiundzwanzig Stunden den Royalisten und Illuminaten Cazotte verhörte, und dann in der Schlußrede, die das Todesurteil begründete, fast mit Tränen in der Stimme ausführte: Du hast, o würdiger Greis und schönes Opfer deiner starken Überzeugung, im Kreuzfeuer des Verhöres eine solche Sicherheit gezeigt, daß es mir das Herz bräche, dich in der Kraft deiner Überzeugung durch Milde schwankend zu machen. Das Urteil, das deine Richter fällen, soll dich nicht von deinem großartigen Stoizismus abbringen, wie wir ihn herrlicher vor diesen Schranken noch nicht erlebt haben. Fern sei es von uns, solche Haltung zu brechen. Zumal wir wissen, daß der Tod nicht etwas ist, das dich erschrecken kann. Wir können dem Beispiele solcher Tugend nicht in den Arm fallen. Wir sind uns bewußt, daß unser Freispruch eine erbärmliche Kleinheit vor der Größe deiner Überzeugung wäre. Als schwache Menschen mag uns dein Tod betrüben, aber als von allen irdischen Bedenken befreite Geister freuen wir uns dieses deines heldischen Todes. Es wäre gemein von uns, ihn dir zu rauben. In einer Stunde fällt dein erhobenes Haupt.

Cazotte fand das Todesurteil streng, aber gerecht.

Franz Blei


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