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Zwanzigstes Kapitel.
Der Abschied

Die Nacht, welche auf diesen Tag folgte, wird mit Ausnahme der Kinder, welche, in das Jammern ihrer Mütter einstimmend, endlich in deren Schooß entschlummert waren, von den Leuten im Schloß kaum jemand schlafend verbracht haben.

Nur der Zigeuner Zameth hatte seine Gemüthsruhe behalten, weil er sich auf die Sicherheit seines Zufluchtsortes verließ. Um nicht von den Schritten der beständig hin und hergehenden Kriegsknechte gestört zu werden, die während der Nacht auf ausdrücklichen Befehl des Grafen für die bevorstehende letzte Musterung ihre Waffen blank machten, hatte er sich einen entlegenen Winkel der Schloßmauer zum Lager ausgesucht. Außer der Sorge um seinen Rappen, der im Schloß sich befand und aller Wahrscheinlichkeit nach wieder in die Hände seiner früheren Herrn wandern mußte, beschäftigte ihn noch einige Minuten der Gedanke an den Gerber und die beiden Jünglinge, die unbegreiflicher Weise sein wohlgemeintes Anerbieten ausgeschlagen hatten. Den Gerber hätte er gern gerettet, weil er ihm viel Dank schuldig war und eine seltene Anhänglichkeit an ihn hatte. Die beiden Jünglinge waren ihm von seinem Weib zu besonderer Aufmerksamkeit empfohlen. »Vielleicht besinnen sie sich noch«, sagte er, »und nehmen morgen mein Anerbieten an, wo nicht, so ist's ihre Sache.« Mit diesem Trost schob er sich sein Strohbündel zurecht, deckte sich mit seinem Schafspelz zu und lag bald in festem Schlaf.

Mit Tagesanbruch begab er sich auf die Kammer des Gerbers. Er fand Konrad und Joseph allein. Ersterer war beschäftigt, seinem Freunde den Brustharnisch umzuschnallen.

»Laß es gut sein, Bruder«, sagte dieser mit einem milden, gutmüthigen Lächeln, »ich werde doch niemals ein Krieger werden, und sterben werd' ich ebenso leicht, ob Saul's Panzer meine Brust deckt, oder David's Leinwand. Jetzt hoff' ich, das Herz, das Herz soll unverzagt bleiben.«

»Er hat Recht«, sagte Zameth, »wer sich heute retten will, der muß sich winden und wenden, biegen und schmiegen können, wie ein Aal im Almasfluß, sonst ist er ganz gewiß verloren. – Doch wo ist der Schwabe? Hat er sich besonnen, mein Anerbieten anzunehmen? Jetzt ist's noch Zeit!«

»Er wird dir selber die Antwort geben, Zigeuner«, sagte Konrad, »er ist zum Grafen gegangen, um Abschied zu nehmen und wird sogleich wieder hier sein.«

Es dauerte nicht lange, so hörte man einen schweren Tritt auf der Stiege und der Gerber trat in's Zimmer.

»Nun«, fragte Konrad, »habt ihr den Grafen gesprochen, Oheim?«

»Ja, Kinder, ich hab' ihn gesprochen! Die Hauptleute waren schon im Saale um ihn versammelt, und ich wollte vor der Thüre stehen bleiben, er sah mich aber und gebot, mich hereinzulassen. »Komm nur heran, mein Schwabe, rief er, und laß mich dein ehrliches Gesicht noch einmal sehen. Ich weiß schon, was du willst – ich war der Herr, und du der Unterthan, dieser Unterschied wird in einer Stunde schon aufgehört haben, aber nicht wahr? Freunde und Brüder werden wir doch bleiben. Gib mir deine Hand und hab' Dank für alle Treue, die du mir erwiesen hast.«

»Ihr könnt euch denken«, fuhr er schluchzend fort, »daß mir's weich um's Herz ward; er sprach gar so freundlich mit mir, wie wenn ich seines Gleichen wäre.

Aber wie ganz anders sind doch die hohen vornehmen Leute, als unser eins! Da merkte man nicht die Spur, daß eine Traurigkeit ihm auf dem Herzen liegen könnte; er war ganz, wie sonst, wenn er an meinem Hof vorbeiritt und einen frischen Trunk von mir annahm, nur daß seine Augen etwas heller glänzten, und seine Gestalt noch höher aufgerichtet war, wie damals.

›Es ist nun Zeit, ihr Herrn‹, sagte er, ›daß wir uns schmucken zu dem letzten Gang; bringe mir das Gewand‹, fuhr er fort, zu dem Kämmerer Scherenkö gewendet, ›das ich sonst auf Hochzeiten zu tragen pflegte.‹ Der Kämmerer brachte ihm einen kostbaren seidenen Rock und einen schwarzsammtnen Hut, der mit Gold, Reiherfedern und einem kostbaren Diamant geschmückt war. In den Rock befahl er hundert ungarische Dukaten, unter denen aber kein türkischer sein dürfte, einzunähen. ›Das geschieht deswegen‹, sagte er, ›damit derjenige, welcher mein Kleid mir ausziehen wird, nicht sagen könne, er habe keine Beute bei mir gefunden.‹ Dann forderte er die Schlüssel der Festung, steckte sie zu den Dukaten und sprach: ›Glaubt gewiß, lieben Brüder, so lange diese Hand hier noch das Schwert heben kann, soll diese Schlüssel Niemand mir abnehmen.« Endlich ließ er seine Säbel sich bringen, damit er sich einen auswähle. Er wählte sich einen, der seinem Vater gehört hatte und kostbar mit Gold und Silber beschlagen war, indem er sagte: »Mit diesem hab' ich zum ersten Mal Ehre eingelegt und Alles, was ich habe, erworben, mit dieser Wehr will ich auch gerne alles leiden, was mir Gott in seinem gerechten Gericht auflegen wird. Den schweren Harnisch brauch' ich nicht, ich stelle mich jetzt ganz in Gottes Hand und will alles annehmen mit unerschrockenem Gemüth, was ihm gefallen wird zu senden. – Ich bin fertig, ihr Herrn‹, sagte er, den Säbel in die Faust nehmend, ›geht! eine Viertelstunde noch will ich allein sein, dann erwart' ich euch mit euren Leuten im Schloßhof.‹ Drauf nahm er von Jedem Abschied auf Wiedersehen im ewigen Leben.

Es war ein lautes Schluchzen im Saale, nur er vergoß keine Thräne, sondern lächelte freundlich und hatte noch für jeden ein Wort des Trostes. Ich sag' euch, Jungen, ich hab' ihn manchmal wie einen Löwen fechten sehen, jetzt aber nach diesem Abschied, jetzt erst weiß ich, wie ein Held aussieht. Macht euch fertig, daß wir ihm folgen, leb' wohl, Zameth!«

»Herr«, erwiederte Zameth, »ihr seid ein kluger Mann, ihr habt euch gewiß anders besonnen und werdet lieber dem Zigeuner folgen.«

»Nein, Zameth, wahrlich nein! wir können den Grafen nicht verlassen, du verstehst das nicht; wir haben ihm geschworen und halten aus bei ihm – nicht wahr, Jungen?«

»Ja, wir halten aus«, sprach Konrad und Joseph.

»Aber«, erwiederte Zameth, »gesetzten Falls der Graf wäre todt und ihr lebtet noch, wolltet ihr ihm da auch noch euer Leben nachwerfen? Was sollte das nützen? da wäre doch wahrlich keine Vernunft darin!«

»Wenn der Graf todt ist«, erwiederte der Gerber, »sind wir unseres Eides quitt. Aber die Sorge, was wir dann thun wollen, wird uns der Türke schon ersparen. Fangen wenigstens, um der elende Sclave eines türkischen Bluthunds zu werden, fangen laß ich mich nicht, und wenn ich mich nur noch mit den Zähnen wehren kann!«

»Wohl gesprochen, Herr«, sagte Zameth, indem er ein rothes Tuch aus seiner Brusttasche zog und es wie einen Turban sich um das Haupt schlang, »man weiß oft nicht, wie sich Alles fügen kann; wenn ihr aber das rothe Tuch seht, so vergeßt nicht, daß der Zameth noch da ist und euch retten möchte.«

»Du meinst es gut, Zigeuner, und ich wollte, ich könnte dir noch meinen Dank beweisen. Wenn du dem Gemetzel entkommst, was vielleicht nicht so unmöglich ist, so geh' nach Siclos und grabe nach unter dem Keller meines abgebrannten Hauses, rechts in der Ecke, wo sonst das große Faß lag. Du hast eine feine Spürnase, vielleicht findest du da etwas, was du wohl brauchen kannst. Leb' wohl! – Und nun, Kinder, in den Schloßhof! Stille! Unser Abschied ist bereits gemacht. Gott zum letzten Gruß und den HErrn Christum zum Trost in Ewigkeit, Amen!«

Er ergriff seine schwere Streitaxt, und die beiden Jünglinge folgten ihm schweigend.


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