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Anhang

»Jeder Bürger, der alt genug ist, um seinen Pflichten als solcher nachzukommen, sei es als Vater oder Sohn, Lehrer oder Schüler, Herr oder Knecht, Beamter oder Untergebener, hat das Recht und die Pflicht, zu wissen, was die sexuelle Inversion bedeutet. Er hat Ausschweifungen, Verbrechen und Laster zu verhindern und zu bekämpfen, hat die Stellung des Urnings in der Gesellschaft zu verstehen und andere darüber aufzuklären. Ebenso betreffs seiner Sitten, der Pflichten der Homosexuellen gegen sich selbst und gegen andere ihresgleichen sowie gegen den normalen Mann und gegen Frauen und Kinder. Die Pflichten des normalen Mannes gegenüber dem Urning sind keine geringeren, – nicht weniger schwierig, und ebenso unerlässlich,«

Uranisme et Unisexualité. M. A. Raffalovich. (Paris, 1896.)

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»Dass es sich jedenfalls bei der konträren Sexualempfindung nicht um eine zufällige Erscheinung handelt, ... geht daraus hervor, dass zu allen Zeiten und an allen Orten bei Menschen, die vollkommen unabhängig von einander lebten, die Homosexualität beobachtet wurde.«

A. Moll, Die konträre Sexualempfindung. 2. Aufl., p. 15.

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»Mit Bezug auf die grosse Verbreitung der sexuellen Inversionen, und der homosexuellen Erscheinungen im allgemeinen, ist keinerlei Zweifel möglich. In Berlin stellt Moll fest, dass er selbst zwischen sechs- und siebenhundert homosexuelle Personen gesehen hat und von einigen weiteren 250 bis 300 Kenntnis erlangte. Ich habe für die Häufigkeit ihres Vorkommens sowohl in England wie in den Vereinigten Staaten viele Anhaltspunkte. In England, von dem ich natürlich mit einem ziemlich hohen Grade von Gewissheit sprechen kann, ist ihr Vorkommen für jeden leicht erkennbar, dem einmal die Augen geöffnet worden sind ... Bei dem berufstätigen, gebildeten Elemente der Mittelklasse in England findet sich ein bestimmter Prozentsatz von Urningen, manchmal bis zu fünf Prozent, wenn auch solche Angaben immer nur schätzungsweise bleiben können. Bei den Frauen derselben Klasse scheint der Prozentsatz mindestens die doppelte Höhe aufzuweisen, – wenn auch hier die Aeusserungsformen unbestimmter und weniger tief sind.«

Havelock Ellis, Psychology of Sex, Band: »Sexual Inversion«, pp. 29, 30.

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»Nach den Mitteilungen von de Joux in »Die Enterbten des Liebesglücks« soll die Zahl der Urninge in ganz Europa etwa fünf Millionen betragen. Es sollen dort überhaupt 4,5 Prozent aller Personen männlichen Geschlechts Urninge sein, dagegen bloss 0,1 Prozent aller Personen weiblichen Geschlechts Urninginnen. Ein Leiden also, wenn man es ein Leiden nennen will, das so sehr verbreitet ist, verdient sicher unser regstes Interesse. Und es ist gewiss wunderbar, dass in der wissenschaftlichen Literatur erst seit den siebziger Jahren dieses Thema aufgenommen ist.

Schuld daran war das immer bisher und auch noch jetzt herrschende Vorurteil, psychischer Hermaphroditismus und Urningtum seien nur Laster, willkürlich von den Individuen aufgenommene Laster, während sie doch aus der angeborenen Natur jener Individuen mit Notwendigkeit hervorgehen.«

Norbert Grabowsky, Die verkehrte Geschlechtsempfindung, p. 16.

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Dr. Hirschfeld stellt in seinen Statistischen Untersuchungen über den Prozentsatz der Homosexuellen die Ergebnisse der verschiedensten derartigen Ermittlungen zur Sache zusammen. Die auffallende Uebereinstimmung unter diesen erlaubt ihm dabei mit einiger Sicherheit aufzutreten. Er sagt (auf p. 41):

»Jetzt wissen wir, dass wir das Verhältnis der Abweichenden zu den sogenannten Normalen nicht nach Promillen, sondern nach Prozenten zu beziffern haben. Das Ergebnis, dass bei allen Rundfragen und Stichproben stets eine Zahl gefunden wird, die innerhalb derselben Grössenordnung, sogar immer in der Nähe von 1,5 Prozent, gelegen ist, diese ausserordentliche Uebereinstimmung kann unmöglich auf einem Zufall beruhen, sondern muss von einem Gesetz abhängig sein, von dem Naturgesetz, dass nur 90-95 Prozent der Menschen als normalsexuell geboren werden, dass ca. 1&frac12;-2 Prozent Homosexuelle, – also in Deutschland ungefähr eine Million, – eine für die Fortpflanzung der Art ungeeignete besondere Gruppe der Bevölkerung bilden und dass als Uebergang zwischen den Hetero- und Homosexuellen etwa 4 Prozent Bisexuelle restieren.«

Und weiterhin (p. 60):

»Was aber bedeuten diese Ziffern? Sie besagen, dass sich unter 100 000 Einwohnern durchschnittlich nur 94 600 Normalsexuelle befinden, dagegen 5400 abweichend Veranlagte; dass von diesen 1500 rein homosexuell, 3900 bisexuell, von letzteren wieder 700 überwiegend homosexuell sind, so dass auf 100 000 Deutsche 2200 rein und vorwiegend homosexuell Veranlagte entfallen ...d.h. in unserem deutschen Vaterlande 1 200 000 ...«

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»Man rechnete die ganze Erscheinung zum Gebiete der Psychopathologie, betrachtete sie als ein Symptom der Degeneration, die von ihr Betroffenen als Kranke. Obwohl diese Auffassung nun viel weniger Anhänger zählt als noch vor wenigen Jahren, seitdem ihr früherer Hauptvertreter v. Krafft-Ebing in den späteren Auflagen seiner »Psychopathia sexualis« sie selbst stillschweigend hat fallen lassen, so ist doch noch immer die Bemerkung nicht unangebracht, dass die Menschen mit sexueller Inversion in allem übrigen ganz gesund sein können und sich, accessorische soziale Momente abgerechnet, nicht weniger wohl fühlen, wie alle anderen gesunden Menschen. Fragt man sie, ob sie sich überhaupt wünschen, in dieser Beziehung anders zu sein, als sie sind, so erhält man gar oft eine verneinende Antwort.«

O. Weininger. Geschlecht und Charakter, K. IV.

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»Man meint gewöhnlich, dass ein Mann, der sein eigenes Geschlecht liebt, unwürdig und lasterhaft sei und unfähig zu einer edleren menschlichen Regung. Würde nicht schon die griechische Geschichte diese Annahme widerlegen, so genügte nur eine etwas geduldige Einsichtnahme in die zeitgenössischen Gewohnheiten, um sie hinfällig zu machen.«

J. A. Symonds, A Problem in Modern Ethics, p. 10.

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»Jedenfalls betont aber Mantegazza mit Recht, dass die Urninge keineswegs sich ausschliesslich in der Hefe des Volkes finden, dass sie vielmehr in Kreisen sich zeigen, die in Bezug auf Bildung, Reichtum und soziale Stellung zu den ersten gerechnet werden. So finden sich zweifellos unter dem Geburtsadel sehr viele Urninge.«

A. Moll, obiges Werk, p. 76.

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»In gar keinem Stande finden sich deshalb so überwiegend viele Urninge, als unter den Bedienten. Man kann sagen, jeder dritte männliche Domestike sei Urning.«

De Joux, Die Enterbten des Liebesglückes, p. 193.

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»Sicher ist also, wie wir sahen, dass viele Urninge aus nervös oder pathologisch veranlagten Familien hervorgehen ... Immerhin muss ich behaupten, dass nicht für al1e Fälle von konträrer Sexualempfindung bei Männern der Beweis vorliegt, dass es sich um erblich belastete Individuen handle. Hierzu kommt, dass die Ausdehnung der erblichen Belastung augenblicklich nach einigen Autoren so weit geht, dass man erbliche Veranlagung zu Nerven- und Geistes-Krankheiten bei fast allen Menschen nachweisen kann.«

A. Moll, wie oben.

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»Wirklich erklären können wir die konträre Sexualempfindung ebenso wenig, wie wir den normalen Geschlechtstrieb erklären können; alle für diesen und für die Liebe gegebenen Erklärungsversuche sind mangelhaft.«

Ibidem, p. 253.

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»Unter den Neigungen der Urninge findet man nicht selten grosse Vorliebe für Kunst und Musik, und zwar sowohl zu aktiver Betätigung als auch zu passivem Genuss ... Besonders das Schauspielertalent ist bei einigen auffallend ... Man glaube nicht, dass die Urninge nur einer hervorragenden Tätigkeit ihrer Phantasie fähig sind. Es gibt vielmehr zweifellos Fälle, wo Urninge Wissenschaftliches leisten, obwohl mir viele Beobachtungen nach dieser Richtung hin nicht bekannt sind.«

Ibidem, p. 80.

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»Die Prüfung meiner Fälle ergibt das interessante Resultat, dass 68 Prozent in verschiedenem Grade künstlerische Talente besitzen. Galton fand auf Grund der Untersuchung von etwa tausend Personen, dass in England im Durchschnitt ein künstlerischer Geschmack nur bei etwa dreissig Prozent anzutreffen ist.«

H. Ellis, Sexual Inversion, p. 173.

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»Im Altertum, besonders bei den Griechen, scheint es zahlreiche Männer gegeben zu haben, die zur psychischen Hermaphrodisie gehörten. Ich glaube, dass das Studium der psychosexuellen Hermaphrodisie ausserordentlich wichtig ist und auf die Psychologie der Liebe selbst noch grösseres Licht werfen wird. Es zeigen mir bereits die bisherigen Beobachtungen, dass ein Individuum zu verschiedenen Zeiten vollständig anders sexuell empfinden kann.«

A. Moll, wie oben, p. 200.

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»Durch seine Liebe ist der Urning auch fähig, seinem Geliebten die grössten Opfer zu bringen, und es ist deshalb die Liebe der Urninge mehrfach mit der Liebe des Mannes zum Weibe verglichen worden. Ebenso wie des Weibes Liebe mächtiger und aufopferungsvoller als die des normalen Mannes ist, ebenso wie des Weibes Liebe an Innigkeit die des Mannes übertrifft, so soll nach Ulrichs auch des Urnings Liebe nach dieser Richtung höher stehen, als die des weibliebenden Mannes.«

Ibidem, p. 118.

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»Die weiblicheren Männer wissen denn auch oft die Frauen viel besser zu behandeln, als Vollmänner, die das erst nach langen Erfahrungen und, von ganz bestimmten Ausnahmen abgesehen, wohl überhaupt nie völlig erlernen.«

O. Weininger, Geschlecht und Charakter, K. V.

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»Sollten wirklich alle »Weiber« und alle »Männer« streng von einander geschieden sein und doch auf jeder Seite alle untereinander, Weiber einerseits, Männer anderseits, sich in einer Reihe von Punkten vollständig gleichen? ... Wir finden stetige Uebergänge von Metallen zu Nichtmetallen, von chemischen Verbindungen zu Mischungen; zwischen Tieren und Pflanzen, zwischen Phanerogamen und Kryptogamen, zwischen Säugetieren und Vögeln gibt es Vermittlungen ... Wir werden es nach den angeführten Analogieen auch hier von vornherein für unwahrscheinlich halten dürfen, dass in der Natur ein Schnitt geführt sei zwischen allen Masculinis einerseits und allen Femininis andererseits, und ein lebendes Wesen in dieser Hinsicht einfach so beschreibbar, dass es diesseits oder jenseits einer solchen Kluft sich aufhalte.«

Ibidem, Einleitung, p. 5.

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»Hierauf machte Chéron eine eigentümliche Bemerkung. – Wir haben, so sagte sie, von den geschlechtlichen Unterschieden jetzt eine Auffassung, von der sich die schlichte Einfalt der jüngst vergangenen Zeit noch nichts träumen liess. Aus der Tatsache, dass es zwei Geschlechter gibt, und nur zwei, hat man lange Zeit hindurch falsche Schlüsse gezogen. Man meinte, dass ein Weib eben nur ein Weib sei, und ein Mann nichts weiter als ein Mann. Das verhält sich aber in Wahrheit anders; es gibt Frauen, die sehr weiblich sind, und andere, auf die das nur sehr wenig zutrifft. Derartige Unterschiede, die früher durch Sitten und Lebensweise verheimlicht und durch Vorurteile entstellt wurden, stehen nunmehr vor unserer Gesellschaft klar und offen da. Und nicht nur das, sondern sie treten bei jeder Generation immer deutlicher hervor.«

Anatole France, Sur la Pierre Blanche, p. 301.

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»In jedem Menschen sind männliche und weibliche Elemente vorhanden, nur – der Geschlechtszugehörigkeit entsprechend – die einen unverhältnismässig stärker entwickelt als die anderen, soweit es sich um heterosexuelle Personen handelt. Der Hauptunterschied der Homosexuellen von den Heterosexuellen ist darin zu suchen, dass bei den Homosexuellen Männliches und Weibliches mehr ausgeg1ichen ist, so dass wir unter ihnen, wenn noch eine hohe absolute Entwicklung aller Anlagen hinzukommt, die vollkommensten Blüten der Menschheit antreffen.«

Dr. Arduin, »Die Frauenfrage«, im Jahrbuch der Sexuellen Zwischenstufen, Bd. II., p. 217.

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»Die Meinung, dass menschliche Wesen ursprünglich Hermaphroditen gewesen seien, ist eine verbreitete und keineswegs neue. Wir finden sie in der (biblischen) Schöpfungsgeschichte; allerdings mögen hier zwei verschiedene Schöpfungstheorien mit einander vermengt sein. Es heisst, Gott habe den ersten Menschen nach seinem Bilde geschaffen, Mann und Weib in einem Körper, und ihnen die Fortpflanzung verwehrt. Später schuf er das Weib aus einem Teile dieses ursprünglichen Menschen.«

(Man vergl. auch die Mythe, von der Aristophanes in Plato's Symposium redet.)

Havelock Ellis, Sexual Inversion, p. 229.

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»Beim ersten Auftreten des Geschlechtstriebes in der frühen Jugend, scheint seine Richtung weit weniger bestimmt zu sein, als sie es normalerweise später wird. Nicht nur drängt er im Anfange kaum noch zu einer bestimmten sexuellen Handlung hin, sondern oft ist auch das Geschlecht des ihn reizenden Gegenstandes gleichgültig.«

Ibidem, p. 44.

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»Bei mir besteht die homosexuelle Natur in eigenartiger Vollkommenheit und ist offenbar angeboren. Als Kind war mein grösstes Entzücken (noch als winziges Bürschchen, unter der Obhut meiner Wärterin), Akrobaten und Kunstreiter im Zirkus zu beobachten. Das war nicht so sehr wegen ihrer geschickten Kunststücke, als weil mich ihre Körperschönheit anzog. Schon damals reizten mich besonders die geschmeidigen und schönen jungen Männer. Man sagte mir nun, dass die Zirkuskünstler schlechte Menschen seien, die manchmal kleine Jungen entführten, und so kam ich dazu, meine Lieblinge halb für Teufel und halb für Engel zu halten. Als ich älter wurde und allein ausgehen durfte, pflegte ich mich gern bei ihren Wanderzelten herumzutreiben in der Hoffnung, einen von ihnen flüchtig zu sehen. Ich hatte ein Verlangen, sie unbekleidet zu sehen, ohne Trikot, und blieb nachts manchmal wach, weil ich an sie denken musste und wünschte, dass mich einer umarmen und lieb haben möchte.«

Ibidem, »Fall« IX. p. 62.

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»15 Jahre 10 ½ Monate war ich alt, als die erste Traumnächtlichkeit mir den Eintritt der vollendeten Mannbarkeit ankündigte. Nie war eine Befriedigung vorangegangen, weder auf urnischem noch auf sonstigem Wege. Jener Eintritt erfolgte daher durchaus normal. Schon weit früher erwachte in mir teils zarte Sehnsucht, teils unbestimmte und ziellose sinnliche Glut. (In dieser ganzen Periode beides jedoch von einander getrennt, nie ein und demselben jungen Manne gegenüber.) Diese ziellose sinnliche Glut hat mich oft gequält in einsamen Stunden. Alles Bekämpfen half nichts. Zuerst tauchte sie in folgenden 2 Erscheinungen auf, als ich 14 ¼-14 ½ Jahre alt und Gymnasiast zu Detmold war: a) Ein architektonisches Vorlegeblatt zum Zeichnen (in Normands »Säulenordnungen«) erweckte sie durch eine griechische Gottes- oder Helden-Gestalt, welche in nackter Schönheit dastand. Dieses Bild, hundertmal zurückgedrängt, trat mir hundertmal wieder vor die Seele. (An der Existenz des Uranismus in mir ist es natürlich sehr unschuldig. Es hat nur den schlummernd schon vorhandenen erweckt; was jeder andere Anlass ebenso getan haben würde.) b) Wenn ich in meinem Stübchen studierte, oder auch ehe ich einschlief, wenn ich mich zur Ruhe gelegt hatte, stieg oft plötzlich und unverdrängbar der Gedanke in mir auf: »Wenn jetzt ein Soldat durchs Fenster kletterte und zu mir ins Zimmer stiege!« Dabei malte meine Phantasie mir irgend eine prachtvolle 20-22jährige Soldatengestalt aus, und dann brannte es in mir wie Feuer. Doch waren meine Gedanken durchaus ohne Zielpunkt ... Nie war ich mit einem Soldaten irgend in Berührung gekommen.«

K.H. Ulrichs, Memnon, § 77.

Vergl. auch: A Problem in Modern Ethics, p. 73.

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»Zwei derartige Freundschaften schloss ich in der Schule, – und ich werde nie ihre überwältigende Kraft und Tiefe vergessen. Sie waren mir zu heilig und ernst, um mit irgend einem anderen Menschen davon zu sprechen. Und was noch seltsamer erscheint, ich sagte auch diesen Freunden selbst nichts davon, und liess sie meine Zuneigung auf keine Weise merken. Hätte man ihnen gesagt, wie sehr mir ihr Wohl am Herzen lag, und dass ich dafür gern mich selbst und alles, was ich hatte, hingegeben hätte, (was in der Tat der Fall war), so hätten sie darüber sehr erstaunt sein müssen, besonders, weil sie beide noch ganz jung waren und noch nicht bis zur Pubertät entwickelt.«

»Ich denke jetzt mit einiger Bitterkeit daran zurück, dass in diesen beiden Fällen von einem der mächtigsten Antriebe zum Guten in meinem Leben neun Zehntel fruchtlos blieben. Es ist kaum auszudenken, wie viel vorteilhafter sich unter günstigen Umständen alles gestaltet haben würde. Dennoch blieb es nicht ohne guten Einfluss auf mich, wenn das auch auf die beiden Knaben in keiner Weise zutrifft, da sie ja von meinen Empfindungen für sie keine Ahnung hatten. Ich spürte, wie mir selbst dieses Verhältnis die ganze Natur festigte und belebte. Meine Gesundheit kräftigte sich, und vor allem mehrte sich meine Arbeitskraft. Und gewiss hätten alle diese Wirkungen sich vertausendfältigen können, wenn nur die Meinung der Leute derartigen Freundschaften nicht entgegengestanden hätte, und mir nur die geringste Leitung und Ermutigung zu teil geworden wäre.«

»Ein Zögling der öffentlichen Schulen hat immerhin ein stark ausgebildetes Gefühl für Ehre und Wohlanständigkeit. Ich bin überzeugt, dass durch eine bessere Ausbildung der öffentlichen Meinung über die Schule viel Gutes geschehen könnte: man würde dann über selbstlose und hingebende Freundschaften höher denken lernen und sie anerkennen. Aber als niedrig und gemein würde man den geringsten Versuch verurteilen, die Reinheit eines Knaben anzutasten um des groben und selbstsüchtigen Zweckes einer persönlichen Befriedigung willen. Die öffentliche Meinung über das Schulwesen würde sich nach meiner Ueberzeugung sehr gern nach dieser Richtung beeinflussen lassen. Das würde allerdings eine offene und ehrliche Behandlungsweise der ganzen Frage voraussetzen, die zur Zeit leider noch fehlt. Dass die grösste Macht, über die ein Erzieher verfügt, derart (und so zwecklos) ignoriert wird, ist mehr als unsinnig: es ist ungeheuerlich. Und dieselbe geht ihn als Lehrer genau so viel an wie auch die Knaben selbst bei ihrem Verkehre mit einander. Ich glaube, dass es die unumgängliche Voraussetzung jeder pädagogischen Einwirkung ist, des Kindes Zuneigung zu erwerben. Ohne sie wird man es in Wahrheit nie etwas rechtes lehren.«

Privatbrief.

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»Es liesse sich noch viel von einer anderen, eben so starken Freundschaft erzählen, die mich mit fünfundzwanzig Jahren an einen Vierzehnjährigen knüpfte, und die eines der glücklichsten Ereignisse meines Lebens war. Sie wurde von beiden Seiten gepflegt, und zwar unbedingt massvoll und rein. Wir verbrachten ein Jahr lang fast alle Schulferien mit einander. Ich hätte mit dem Jungen tun können, was ich auch gewollt hätte; mein Einfluss auf ihn war zu dieser Zeit, ich kann wohl sagen, ein unbeschränkter, und ohne Zweifel erwuchs uns beiden daraus unermesslich viel Gutes.«

Ibidem.

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»In meiner Schulzeit – als Tagesschüler – hatte ich zwei solche Freundschaften, wenn auch die Tagesschule keine rechte Gelegenheit zu ihrer Entfaltung bot. Die eine betraf einen Knaben, der etwa fünf Jahre lang mein älterer Kamerad war, und die andre einen Lehrer, der etwa zwölf Jahre älter war als ich. Ich war ein scheuer, ängstlicher Knirps und da es mir an Körperkraft fehlte, beteiligte ich mich nur wenig an den gewöhnlichen Wettspielen der Schüler. Mein älterer Freund war ein sehr zarter, gutartiger, wohlerzogener Knabe von reinem, hochsinnigem Wesen, das in einem auffallenden Gegensatze stand zu der unsauberen sittlichen Atmosphäre, die damals in der Schule herrschte. Nie zeigte er sich gegen mich vorwurfsvoll oder rechthaberisch. Ich fühle, dass diese Freundschaft auf meine erste Jugend den mächtigsten Einfluss ausübte. Sie schenkte mir das hohe Ideal für meine Lebensführung und wirkte stärker auf mich als der Einfluss des Elternhauses, dessen ich mir überhaupt wohl kaum bewusst wurde.«

»Als er die Schule verlassen hatte, um nach Cambridge zu gehen, pflegten wir einander häufig zu schreiben, – lange Briefe, kaum jemals weniger als drei Bogen lang. Ich erinnere, wie ich ihn für den schönsten Menschen hielt, den ich kannte. Aber wenn ich sein damaliges Bild heute wieder betrachte, und es mit anderen vergleiche, so muss ich mir sagen, dass seine Gesichtszüge weniger anziehend sind als die vieler anderer unter meinen Schulgenossen. Zwei Jahre darauf starb er an der Schwindsucht. Das geschah während der grossen Ferien; ich war damals gerade abwesend. Ich erinnere noch, wie ich bis tief in die Nacht hinein in langen Briefen ihm alles beschrieb, was ich gesehen hatte, um ihn auf seinem Krankenlager zu unterhalten. Ich wusste nicht, wie krank er wirklich war, aber ich hatte eine fürchterliche Angst, dass ich ihn nicht wiedersehen würde. Als ich zurückkam und hörte, dass er vor kurzem gestorben war, traf es mich wie ein Keulenschlag. Wochen danach hatte ich das Gefühl, nicht einen einzigen Freund in der ganzen Welt zu haben. Niemals vor- oder nachher hat mich ein Verlust so bitter berührt.« ...

»Die andere Freundschaft, gegen meinen Mathematiklehrer, war zwar nicht so intim, aber doch von sehr zärtlicher Art. Ich fühle, dass ich ihr sehr vieles verdanke; – sie festigte in mir die Grundlage zu meinem Ideal von den Pflichten eines Lehrers gegen seine Zöglinge.«

Privatbrief.

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»Es ist an sich nichts neues, dass dies Gefühl, das Jesus zu Johannes zog, oder Shakespeare zu den Jünglingen seiner Sonette, und das die Freundschaften Griechenlands begeisterte, – dass das einst unter uns lebte, und dass wir seiner bei dem neuen Bürgertume wiederum bedürfen. Die Whitmannsche Kameradenliebe ist ihre modernste Aeusserung; die Demokratie, – sozial, nicht politisch, aufgefasst, – ihre Grundlage. Es ist gewiss keine müssige Frage, wie viel von der Solidarität der Arbeit und der modernen Handelsvertragsbewegungen wir einem unbewussten Glauben an dies Kameradschaftsprinzip verdanken. Die freiere, unmittelbarere, ursprünglichere Beziehung des Menschen zum Menschen, die es enthält, muss die letzte Grundlage der neuzuschaffenden Werkstätten werden.«

C. R. Ashbee, Workshop Reconstruction and Citizenship, p. 160.

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Einen Fall leidenschaftlicher Liebe zwischen zwei indischen Knaben erzählte ein Lehrer an einer indischen Schule dem Verfasser des hier vorliegenden Buches. Die etwa 16-jährigen Burschen besuchten beide dieselbe Schule und waren unzertrennliche Freunde. Aber eines Tages kam für sie die Stunde der Trennung. Den einen holten seine Eltern ab, um nach einem entfernten Orte des Landes zu reisen. Der andere war untröstlich über diese Aussicht. Als der Tag kam, und sein Gefährte ihm entrissen wurde, ging er bald darauf still an einen Brunnen im Schulbereiche, stürzte sich hinein und ertrank. Diese Nachricht wurde mit dem Drahte weitergesandt und erreichte den reisenden Freund noch unterwegs. Er sagte nur wenig, aber auf einer Station verliess er den Zug und verschwand. Der Zug fuhr weiter, aber in kurzer Entfernung davon lief der Knabe aus dem Gebüsch auf die Strecke, warf sich auf die Schienen und fand hier auch seinen Tod.

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»Die früheste Aeusserung des Geschlechtstriebes, deren ich mich erinnere, war die, dass ich mich mit neun oder zehn Jahren in einen hübschen Knaben verliebte, der etwa zwei Jahre lang mein älterer Kamerad gewesen sein muss. Ich glaube nicht, dass ich je mit ihm gesprochen habe, aber so weit ich es mir noch vorstellen kann, war mein Wunsch, dass er mich festhalten, mich unterkriegen solle. Ich weiss noch genau, welche Lust für mich ein physischer Schmerz oder auch eine Grausamkeit gewesen sein würde, wenn sie von ihm hergerührt hätte.«

H. Ellis, obiges Werk, »Fall« XIII, p. 71.

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»Als ich wohl sechzehn und ein halbes Jahr alt war, kam ein etwa zwei Jahre jüngerer Knabe als ich ins Haus, der für mich das Ein und Alles in meiner Schulzeit werden sollte. Ich kann mich keines einzigen Momentes entsinnen, von dem Augenblicke an, da ich ihn zum ersten Male sah, bis zu der Zeit, da er die Schule verliess, in dem ich nicht in ihn verliebt gewesen wäre, und die Liebe fand Erwiderung, wenn auch in etwas zurückhaltender Form. Er war mir bei den Büchern und im Unterrichte immer ein wenig voraus, aber wie unsere Zuneigung reifte, verbrachten wir unsere freie Zeit meistens zusammen, und er nahm meine Avancen auf wie ein Mädchen die Bewerbung ihres Verehrers, ein wenig schnippisch vielleicht, aber mit aufrichtiger Genugtuung. Er erlaubte mir, ihn zu streicheln und zu liebkosen, aber unsere Zärtlichkeiten gingen nie weiter als bis zu einem Kusse, und eigentlich schämten wir uns dabei. Es bestand immer eine gewisse Schranke zwischen uns, und wir berührten vor einander höchstens im Flüstertone jene Dinge, über die alle anderen in der Schule schlüpfrige Reden zu führen pflegten.«

Derselbe Fall, p. 73.

*

»Im 21. Jahre fing ich an, allmählich zu merken, dass ich denn doch nicht so ganz wie meine Kameraden veranlagt sei, da ich für alle männlichen Beschäftigungen gar kein Vergnügen empfand, an Rauchen, Trinken und Kartenspielen wenig Gefallen und vor dem Bordell eine wahre Todesangst hatte. Ich bin auch nie in einem gewesen, da es mir jedesmal gelang, mich unter irgend einem Vorwande wegzustehlen. Ich begann nun über mich nachzudenken, ich fühlte mich oft fürchterlich verlassen, elend und unglücklich und sehnte mich nach einem gleich veranlagten Freunde, ohne jedoch auf den Gedanken zu kommen, es könne ausser mir noch eben solche Menschen geben. Mit 22 Jahren lernte ich einen jungen Menschen kennen, der mich endlich über die konträre Sexualempfindung und die damit Behafteten aufklärte, da er, ebenfalls Urning, in mich verliebt war. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen und ich segne den Tag, der mir diese Aufklärung brachte ... Dem Weibe in seiner geschlechtlichen Rolle gegenüber fühle ich einen wahren Horror, den zu überwinden mir selbst mit Aufgebot meiner ganzen äusserst lebhaften Phantasie wohl nie gelingen würde; ich habe es auch noch niemals versucht, weil ich von der Fruchtlosigkeit eines solchen Versuches, der mir widernatürlich und sündhaft erscheint, vollkommen überzeugt bin.«

Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, 7. Aufl., Fall Nr. 122, p. 291.

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»Ich kann nicht mehr ohne Männerliebe bleiben, ohne eine solche werde ich ewig in Disharmonie mit mir selbst bleiben ... Gäbe es eine Ehe zwischen Männern, so glaube ich, würde ich eine lebenslängliche Gemeinschaft nicht scheuen, welche dagegen mit einem Weibe mir etwas Unmögliches scheint ... Da aber diese Liebe für verbrecherisch gilt, so werde ich zwar durch Befriedigung derselben in Harmonie mit mir selber, nie aber mit der Welt unserer Zeit sein; um so mehr als ich ein offener, jede Lüge hassender Charakter bin. Diese Pein, immer Alles in mir verbergen zu müssen, hat mich dazu gebracht, einigen wenigen Freunden, von deren Schweigsamkeit und zugleich von deren Verständnis ich sicher bin, meine Anomalie zu gestehen. Trotzdem manchmal meine Lage mir traurig erscheint, wegen Schwierigkeit der Befriedigung und der allgemeinen Missachtung der Männerliebe, bin ich oft geradezu ein wenig eitel, solche anomale Gefühle zu haben. Heiraten werde ich natürlich nie, dies erscheint mir gar kein Unglück, obgleich ich das Familienleben liebe und bis jetzt nur in meiner Familie meine Zeit verlebt habe. Ich lebe der Hoffnung, dass ich später dauernd einen Geliebten haben werde; einen solchen muss ich bekommen, sonst schiene mir die Zukunft grau und öde, und alle Ziele, denen man gewöhnlich nachjagt, Ehre, hohe Stellung etc., nur eitel und anziehungslos.

Sollte sich diese Hoffnung nicht erfüllen, so weiss ich, dass ich nicht imstande wäre, auf die Dauer mit Freudigkeit meinem Beruf mich hinzugeben und ich wäre imstande, Alles hintanzusetzen, um Männerliebe zu erringen. Moralische Skrupel mache ich mir wegen meiner anomalen Neigung nicht mehr, habe mir überhaupt nie deswegen Sorge gemacht, weil ich zu Jünglingen mich hingezogen fühle ... Schlecht und unsittlich scheint mir bis jetzt nur, was den Anderen schadet, was ich selbst mir nicht zugefügt haben wollte, und in dieser Richtung kann ich sagen, suche ich so wenig wie möglich in die Rechte Anderer einzugreifen und, bin ich imstande, über eine Anderen zugefügte Ungerechtigkeit lebhaft mich zu empören.«

Ibidem, p. 249, »Fall« Nr. 110. (Fabrikbeamter, Alter 31.)

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»Fast glaube ich, dass obige entsetzliche Phantasiegebilde nur Folgeübel der stets entbehrten normalen Sättigung, d. h. der mir als Urning normalen Befriedigung sind, dass bei einer regelmässigen Befriedigung, Körper an Körper, die so bis zum Wahnsinn gestachelte Phantasie sich beruhigen und jedenfalls auf solche Extravaganzen verzichten würde. Oder ebenso: Es ist der Schlusseffekt versuchter Enthaltsamkeit, denn nur nach einer längeren derartigen Periode kommt es zu diesen tollen Wollustbildern. Ich glaube sogar, ich wäre unter anderen gesellschaftlichen Umständen grosser, auch edler Liebe und Aufopferung fähig. Meine Gedanken sind keineswegs ausschliesslich körperlich oder krankhaft sinnlich. Wie oft erfasst mich beim Anblick eines hübschen jungen Mannes eine tiefe schwärmerische Stimmung und ich bete gleichsam die herrlichen Heineschen Worte: »Du bist wie eine Blume, so hold, so schön, so rein.« ... Noch nie hat ein junger Mann meine Liebe zu ihm geahnt, keinem bin ich verderblich oder sittlich schädigend geworden, aber schon manchem habe ich hie und da den Weg geebnet; ich scheue dann keine Mühe und bringe Opfer, wie ich sie nur bringen kann.

Wenn ich so Gelegenheit habe, einen geliebten Freund um mich zu haben, ihn zu bilden, zu halten und zu stützen, wenn meine unerkannte Liebe eine (natürlich geschlechtslose ) Gegenliebe findet, dann weichen alle schmutzigen Phantasiebilder mehr und mehr von mir. Dann wird meine Liebe fast platonisch und veredelt sich, um erst dann wieder in Schlamm zu versinken, wenn ihr die würdige Betätigung genommen ist.

Ich bin im übrigen, und ohne mich selbst zu überheben kann ich das sagen, nicht einer der schlechtesten Menschen. Geistig reger als die meisten Durchschnittsmenschen, nehme ich an allem Anteil, was die Menschheit bewegt. Ich bin gutmütig, weich und leicht zu Mitleid zu bewegen, kann keinem Tier, geschweige einem Menschen Böses tun, wirke im Gegenteil gut und menschenfreundlich, wo und wie immer ich kann.

Wenn ich nun auch vor meinem eigenen Gewissen mir keinen Vorwurf machen kann und das Urteil der Welt über uns entschieden zurückweisen muss, so leide ich doch sehr. Zwar habe ich niemandem Schlechtes getan und halte meine Liebe in ihrer edleren Betätigung für ebenso heilig, wie diejenige normal beanlagter Menschen, aber unter dem unglücklichen Lose, das uns Unduldsamkeit und Unkenntnis zuerteilt, leide ich oft schwer bis zum Lebensüberdruss.«

Ibidem, p. 268, »Fall« 114.

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»All das Elend auszumalen, all die unglücklichen Lagen zu schildern, die stete Furcht, in seiner Sonderheit erkannt und in der Gesellschaft unmöglich zu werden, das alles zu veranschaulichen, ist wohl keiner Feder und keiner Beredtsamkeit möglich. Der eine Gedanke, sobald erkannt, seine Existenz zu verlieren und von allen verstossen zu sein, ist quälender, als es sich glauben lässt. Dann wäre also alles, alles vergessen, was man je und je Gutes getan hat; im Gefühl seiner grossen Moral würde sich jeder normal Beanlagte blähen, wenn er selbst auch noch so frivol in punkto seiner Liebe gehandelt hat. Ich kenne manchen normal Beanlagten, dessen Frivolität in der Auffassung über seine Liebe mir schwer verständlich bleibt.«

Ibidem, p. 269.

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»Die folternden Vorstellungen einer verratenen Leidenschaft lassen mich nicht einschlafen, sodass ich genötigt bin, hin und wieder zum Chloralhydrat zu greifen. Meine Träume sind nur eine Fortsetzung der Wirklichkeit und geben ihr an Schmerzhaftigkeit nichts nach. Wie das einmal enden soll, ist mir noch nicht recht klar; aber elementare Empfindungen gehen wohl immer ihren eigenen Gang ... Die einzige vernunftgemässe Lösung des Konfliktes ist der Tod.«

A. Moll, Konträre Sexualempfindung, 2. Aufl., p. 123. (Auszug aus einem Briefe.)

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»Müde und abgenutzt wie ich bin, habe ich jeden Sturm von Angst und Verzweiflung über mich ergehen lassen müssen. Jahre der drückendsten seelischen Qualen sind über mich hinweggegangen, ohne mich umzubringen. Durch die langen Nachtwachen hindurch habe ich den Glockenschlag jeder Stunde gehört. Nie war an Schlaf für mich zu denken. Wenn ich im Bett lag, habe ich versucht ein Buch zu lesen, oder ich bin neben der Bettstatt gekniet und habe versucht, Herz und Geist zu erheben im Gebete um Hilfe und Vergebung. Und konnte ich es nicht länger ertragen, so ertötete mir der Sinnbetörer mit zugekniffenem Munde und gerunzelten Augenbrauen das Empfinden auf eine oder zwei kurze Stunden; aber nur um mich zu deutlicherer und härterer Erkenntnis meiner hoffnungslosen Lage erwachen zu lassen.

Wie die Tage hingegangen sind, weiss ich nicht. Wie ich in solchem Jammer so lange leben konnte, ist mir unbegreiflich. Aber eine Folter wie diese verläuft grauenhaft langsam, wenn auch sicher. Jugendliche Natur ist zäh im Dulden, wenn Liebe im Spiele ist, oder nur eine Art gelegentlicher Aufwallung, – eine Art trügerischen Hoffnungsschimmers, wahrer Hoffnung so fern wie ein sausendes Meteor der beständigen Sonne, – das hilft die Last des Elends tragen und so es zu verlängern. Ich bin hunderte von Jahren alt, wenn ich meine Zeit nach dem Elend bemesse, das ich jeden Augenblick erdulde. Ich kann nicht gegen die Liebe kämpfen und sie vernichten, – niemals! Gott hat mir die Notwendigkeit des Gefühls ins Herz gelegt; es ist kaum möglich zu fragen, warum er ein so göttliches Element in mich eingepflanzt hat, wenn es doch verurteilt ist, unbefriedigt zu sterben und in letzter Linie bestimmt ist, mich tatsächlich zu vernichten?«

(Aus einem privaten Manuskripte.)

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»Heute sah ich ihn an und fühlte, dass er mir mehr ist als je zuvor. Ich wage meinen Gedanken über ihn nicht Raum zu geben. Keine Mängel scheinen bei ihm zu bestehen. Seine Augen sind wohl die sanftmütigsten, die ich je gesehen, und wenn er lächelt, nimmt sein Gesichtsausdruck ganz mein besseres Ich gefangen. Ich brauche kein Bild von ihm, so lebhaft steht mir seine Erscheinung vor Augen. Sein Haar hat die Farbe, die ich von jeher bevorzugte, und es wallt ihm reichlich. Er ist ein menschliches Wesen wie ich, und ich muss mich fragen, warum mein Schicksal nicht an seines geknüpft werden kann. Ich kann und kann diesen Gedanken nicht los werden, obgleich ich mein bestes versuche; und je mehr ich mich dagegen wehre, um so mehr überwältigt er mich. Ich denke, wenn ich auf seiner Brust liegen könnte, in seiner Umarmung, und wissen, dass er mich liebte, so würde mir nichts mehr fehlen, um mich vollkommen glücklich zu fühlen. Wie kann dieses Gefühl, diese Ueberzeugung bestehen, wenn ich doch weiss, dass ihre Verwirklichung unbedingt ausgeschlossen ist? Ich habe eine Photographie von ihm, die ich für einige Stunden nicht angesehen hatte; und meine Hoffnung, ihn persönlich zu sehen, und mit ihm zu sprechen, war zwei oder drei Tage lang bitter enttäuscht worden. Ging ich aus dem Hause, in den Wald, so nahm ich sein Bild aus der Tasche und sah es an. O, wie überwältigte mich der plötzliche Anblick seines Gesichtes und seiner Züge! Er war mein, mein einziger Gedanke. Ganze Nächte hindurch habe ich ohne Unterlass an ihn denken müssen. Wenn mich beim Morgengrauen der Vögel Zwitschern weckte, fand ich ihn noch im Halbschlummer in Gedanken vor mir; und wenn ich schlafen gehe, ist es wiederum sein Bild, das in aller Lebhaftigkeit vor mir steht.«

Manuskript eines 22-jährigen jungen Mannes.

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H. Ellis schreibt im Anhang D. seines Buches: »Sexual Inversion« ziemlich ausführlich über Schulfreundschaften bei Mädchen: die sogenannten »Flammen« und »Schwärmereien«; Liebe auf den ersten Blick; Romane; Liebesanträge; Zusammenkünfte ungeachtet aller Hindernisse; lange Briefe; Eifersucht; die Manie, den geliebten Namen überall hinzuschreiben, etc. Diese Beziehungen enthalten manchmal sexuelle Elemente, öfter jedoch ist das nicht der Fall, – wenn auch starke »psychische Reizbarkeit« mitspielt.

  

In demselben Anhange schreibt eine Frau von dreiunddreissig: – »mit vierzehn überkam mich meine erste Liebe, aber zu einem Mädchen. Es war eine unsinnige, heftige Leidenschaft, aber sie war von gleicher Art und brachte die gleichen Empfindungen wie meine erste Liebe zu einem Manne, als ich achtzehn Jahre zählte. In keinem von beiden Fällen wurde ein Ziel erreicht; ich war mir ihrer Nachteile für mich voll bewusst; nichtsdestoweniger ging mein ganzes Dasein in ihnen auf und unter. Die erste dauerte zwei, die andere sieben Jahre lang. Nie wieder seither habe ich so tief geliebt. Aber heute bedeuten diese beiden Personen, obgleich sie noch leben, nicht mehr für mich als ein ganz vollkommen Fremder.«

  

Eine andere Frau von fünfunddreissig schreibt: »Mädchen von vierzehn bis achtzehn Jahren in Erziehungsheimen oder Töchterschulen verfallen oft in Liebe zum gleichen Geschlechte. Das sind nicht Freundschaften. Die Geliebte ist entweder älter, oder fortgeschrittener, reizender, oder schöner. Wie ich als Neuling ins Erziehungspensionat kam, lernte ich mindestens dreissig Mädchen kennen, die in eine etwas ältere verliebt waren. Einige suchten sie, weil es eben Mode war, aber ich weiss, dass meine eigenen Huldigungen und die von vielen anderen aufrichtig und leidenschaftlich waren. Ich liebte sie, weil sie lebhaft war und dabei äusserst gleichgültig gegen unsere Liebesbezeugungen. Hübsch war sie nicht, obgleich wir sie damals für schön hielten. Eine ihrer Anbeterinnen wurde zwei Wochen lang krank, als sie von ihr vernachlässigt wurde. Nach ihrer Genesung sprach sie mit mir, als der Gegenstand unserer Bewunderung ins Zimmer trat. Ihre Aufregung darüber war so gross, dass sie ohnmächtig wurde. Als ich selbst zu den Fortgeschritteneren kam, wurde ich die Empfängerin von schmachtenden Blicken, originellen Versen, Rosen und leidenschaftlichen Briefergüssen, die um Mitternacht oder drei Uhr morgens geschrieben wurden.«

  

»Leidenschaftliche Freundschaften unter Mädchen, von den unschuldigsten bis zu den ausgesprochensten Ausschreitungen in der Richtung auf Lesbos, sind ausserordentlich häufig in Theatern, sowohl unter Schauspielerinnen, als auch vornehmlich bei den Choristinnen und den Balletteusen.«

H. Ellis, Sexual Inversion, p. 130.

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»Die Liebe des homosexuellen Weibes ist oft eine leidenschaftliche, ebenso wie die der Urninge. Genau wie diese fühlen sie sich oft selig, wenn sie glücklich lieben. Dennoch ist manchen von ihnen ganz ebenso wie dem Urning der Stand sehr peinlich, dass sie eine Familie nicht begründen können infolge der sexuellen Antipathie gegen die männliche Berührung. Wenn die Liebe eines homosexuellen Weibes nicht erwidert wird, so kann daraus eine schwere Störung des Nervensystems erfolgen, die bis zu Wutanfällen gehen kann.«

A. Moll, wie oben, p. 338.

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»Es ist erstaunlich, wie viele inverse Frauen sich, mehr oder weniger verschleiert, mit dem Weibe ihrer Wahl verheiratet haben, und wie derartige Pärchen auf lange Zeit glücklich zusammenleben. Ich kenne einen Fall, der wohl einzig dasteht, in dem eine zeremonielle Trauung ohne jede Täuschung vor sich ging. Eine von Geburt inverse Engländerin von hervorragenden geistigen Fähigkeiten, die inzwischen verstorben ist, verband sich mit der Frau eines Geistlichen, der in voller Kenntnis der Sachlage die beiden Damen in seiner eigenen Kirche vermählte.«

H. Ellis, wie oben, p. 146, Fussnote.

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»Sieben oder acht Mädchen von Chaumont (so berichtet Montaigne's Journal du Voyage en Italie, 1350) beschlossen, sich als Männer zu verkleiden und Arbeit zu tun. Eine von ihnen kam nach Vitry, um als Weber zu arbeiten. Man hielt sie für einen tüchtigen jungen Mann, den jeder gern hatte. In Vitry verlobte sie sich mit einem Mädchen, doch kam es wegen eines Zerwürfnisses nicht zur Heirat. Später verliebte sie sich in ein Weib, das sie heiratete, und mit der sie vier oder fünf Monate lang, wie berichtet wird, zur grossen Zufriedenheit der Frau zusammenlebte. Da sie aber von einer Person aus Chaumont erkannt wurde, kam sie vor Gericht und wurde zum Galgen verurteilt. Sie erklärte, dass sie das einem weiteren Leben als Mädchen vorziehen würde, und so erhängte man sie wegen gesetzwidriger Vorspiegelungen, um den Mängeln ihres Geschlechtes abzuhelfen.«

Ebenda, p. 119.

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»Es ist klar, dass für die Häufigkeit des Vorkommens der Homosexualität bei Prostituierten tieferliegende Ursachen bestehen müssen. Einer dieser Gründe liegt zweifellos in der Art ihrer Beziehungen zum Manne, in deren geschäftlichem Charakter. Da nun das berufliche Element die Oberhand hat, so schwindet die Möglichkeit geschlechtlicher Befriedigung hierbei. Besonders fehlt auch das Bewusstsein sozialer Gleichberechtigung, der Eigentumsbegriff, und jeder Spielraum zur Betätigung weiblicher Liebe und Hingabe.«

Ibidem, p. 149.

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»Unter den eingeschriebenen Prostituierten Berlins befinden sich zweifellos ausserordentlich viele, die der Weiberliebe huldigen. Von gut unterrichteter Seite wird mir erklärt, dass etwa 25 Prozent von den prostituierten Weibern Berlins ein Verhältnis mit anderen Weibern haben.«

A. Moll, zitiertes Werk, p. 331.

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»Karl Heinrich Ulrichs (1825 bei Aurich geboren), der viele Jahre hindurch die homosexuelle Liebe erforschte und verteidigte, und dessen Anschauungen Westphals Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gelenkt haben sollen, lebte in Hannover als Amtsassesor und war persönlich ein Urning. Vom Jahre 1864 an veröffentlichte er zuerst unter dem Pseudonym »Numa Numantius«, und später unter seinem eigenen Namen, an verschiedenen Orten Deutschlands eine stattliche Reihe von Bänden über diese Frage und stellte verschiedene Versuche an, um eine Revision der gesetzlichen Lage der Urninge in Deutschland herbeizuführen.

Obgleich man seinen psychologischen Ansichten nicht allzu viel wissenschaftliche Bedeutung beimessen darf, scheint Ulrichs ein Mann von glänzenden Fähigkeiten gewesen zu sein, und von höchst weitreichenden Kenntnissen. Er war nicht nur in seinen Spezialfächern, der Jurisprudenz und der Theologie, recht gut bewandert, sondern wusste auch in manchen Zweigen der Naturwissenschaft sowie in der Archäologie vorzüglich Bescheid. Manche hielten ihn für den besten Latinisten seiner Zeit. 1880 verliess er Deutschland und ging nach Neapel, später nach Aquila in den Abruzzen, wo er eine lateinische Zeitschrift herausgab. Er starb 1895.«

H. Ellis, wie oben, p. 33.

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Ulrichs unternimmt eine ausführliche Einteilung der verschiedenen Arten von Leuten, mit einer entsprechenden Nomenklatur, die, wenn auch etwas schwerfällig, doch von Nutzen war. Bei den Männern z. B. unterscheidet er den ganz normalen, den er Dioning nennt, von dem inversen, den er als Urning bezeichnet. Unter den Urningen wiederum unterscheidet er (1) solche, die sowohl nach ihrer äusseren Erscheinung als nach Gewohnheiten und Charakter, durchaus männlich sind (Mannlinge), und die zu zarteren und jüngeren Personen ihres Geschlechtes hinneigen; (2) solche, die sowohl äusserlich wie nach ihrer Sinnesart weibisch erscheinen (Weiblinge), und die sich in rauhere und ältere Männer verlieben; und (3) solche von mittlerem Typus (Zwischen-Urninge), die ihre Neigung jungen Männern zuwenden. Hierzu kommt der Urano-Dioning, der zur Liebe nach beiden Richtungen fähig ist, d. h. sowohl zum Manne als zum Weibe. Er gehört meist der mehr männlichen Art an. Zu diesen Arten treten noch einige Unterarten hinzu, wie der Uraniaster, der von Haus aus normal, dennoch homosexuelle Gewohnheiten angenommen hat, und der Virilisierte Urning, der, an sich Urning, trotz seines natürlichen Widerstrebens, sich zum normalen Geschlechtsverkehr gezwungen hat. Von dem ganzen lässt sich folgende tabellarische Uebersicht geben: –

  A) Normaler Mann oder Dioning – Uraniaster
bei erworbenen uranischen Gewohnheiten.
Der männliche Mensch
B) Urning 1) Mannling
2) Zwischen-Urning
3) Weibling
   Auch Virilisierter Urning bei
   Annahme normaler Gewohnheiten
  C) Urano-Dioning.

Wenn wir eine entsprechende Tafel für das Weib hinzufügen, so verstehen wir bereits den Zusammenhang des Ulrich'schen Systems. Ist es auch ein wenig verwickelt, so muss man doch aller Kritik gegenüber zugeben, dass es die Komplikation der natürlichen Tatsachen nicht überschreitet.

(Man vergl.: K. H. Ulrichs Memnon, Kap. III-V.)

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Krafft-Ebing analysiert den Gegenstand ebenso ausführlich, wie Ulrichs. J. A. Symonds fasst die Untersuchungen des ersteren zu folgender Tabelle zusammen:

  erworbene Dauernd
Episodisch
Psychische Hermaphroditen
Conträre
Sexualempfindung
angeborene Urninge
männl. Habitus
(Mannlinge)

weibl. Habitus
(Weiblinge)
  Androgyne

Und Symonds fährt fort: »Wie lautet nun die rationelle Erklärung für die Tatsachen, die uns die hier formulierte Analyse andeutet? Eine endgültige Entscheidung lässt sich darüber zunächst noch nicht geben. Wir wissen noch zu wenig über die Gesetze der Geschlechtlichkeit beim Menschen, um eine Theorie aufstellen zu können. Krafft-Ebing und seine Schule neigen gegenwärtig dazu, diese Erscheinungen als die Folge von Störungen der Nervenzentren zu erklären, seien sie nun erblich, angeboren oder durch frühzeitige Angewöhnung der Onanie erworben. Ich habe die Mängel dieser Methode schon weiter oben auseinanderzusetzen versucht, und auch darauf hingewiesen, dass dieselbe nicht ausreicht, um alle die Phänomene zu erklären, denen uns die ganze Geschichte sowohl als unsere tägliche Erfahrung gegenüberstellt.«

A Problem in Modern Ethics, p. 46.

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Moll sagt über die den Urningen so häufig zugeschriebene Sodomie: »Es herrscht die Meinung, dass die Beziehungen zwischen Urningen nur hierin bestünden. Indessen ist es ein grosser Irrtum zu glauben, dass dieser Akt so häufig sei.«

Moll, p. 139.

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Krafft-Ebing bezeichnet ihr Vorkommen bei ächten Urningen ebenfalls als selten, wenn es auch andererseits bei alten Wüstlingen von ursprünglich normalerer Triebrichtung nicht ungewöhnlich sei.

Konträre Sexualempfindung, p. 258.

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(Aus dem Briefe eines 60jährigen Urnings.)

»Der Urning bestreitet nicht nur die Naturwidrigkeit seiner Neigungen, sondern auch ihren pathologischen Charakter, er protestiert gegen den Vergleich mit dem Lahmen und dem Tauben. Das gelegentliche Zusammentreffen der konträren Sexualempfindung mit anderen wirklichen Krankheitszuständen wird für die Frage nichts entscheiden, auch die Berufung darauf, dass sie dem Zweck der Fortpflanzung zuwiderläuft, ist nicht beweisend; denn wer sagt uns, dass die Natur alle Menschen zur Fortpflanzung bestimmt habe? Auch der Arbeitsbiene hat sie diesen Beruf nicht verliehen, obwohl in ihren verkümmerten, weiblichen Geschlechtsorganen ein unverkennlicher Hinweis auf geschlechtliches Empfinden vorhanden ist.«

Moll, wie oben, p. 271.

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»Als Ergebnis seiner Betrachtungen folgert Ulrichs, dass keine tatsächliche Berechtigung zur Verfolgung der Urninge bestehe. Die Ursache für diese sei zumeist in dem Ueberlegenheitsgefühl einer bei weitem grösseren Ueberzahl gegenüber einer ihr widerstrebenden numerisch unbedeutenden Minorität zu suchen. Die Majorität ermutigt die Ehe, verzeiht die Verführung, billigt die Prostitution, legalisiert die Ehescheidung im Interesse ihrer eigenen geschlechtlichen Neigungen. Aber für die Minorität macht sie zeitliche oder dauernde Verbindungen ungesetzlich, weil sie deren Triebrichtung verabscheut. Und diese Verfolgung ist, nach der Volksmeinung wenigstens, berechtigt, ganz wie so viele andere unbillige Handlungen des Vorurteils und der Unwissenheit, auf Grund theologischer Doktrinen und der sogenannten Gebote der Offenbarung.«

A Problem in Modern Ethics, p. 83.

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»Ein ernsthafter Einwurf gegen die Anerkennung und Duldung der sexuellen Inversion besagt, dass sie geeignet sei, die Volksvermehrung aufzuhalten. Das war gewiss ein gesundes politisches und soziales Argument zu Moses Zeiten, als für einen kleinen kriegerischen Stamm die Notwendigkeit vorlag, sich mit voller Ausnutzung seiner Zeugungskräfte so viel wie möglich zu vermehren. Das gilt aber nicht annähernd für unser Zeitalter, in dem sich alle bewohnbaren Teile der Erde zusehends mit Menschen überfüllen. Fernerhin muss man bedenken, dass die Gesellschaft nach der gegenwärtig bestehenden Ordnung die weibliche Prostitution anerkennt, bei der Mann und Weib, die normalen Erzeuger, in unabsehbarem Masse unfruchtbar gemacht werden. Unter diesen Umständen lässt es die gesunde Logik unbillig und lächerlich erscheinen, abnormen Männern und Frauen, deren Instinkt und natürliche Beschaffenheit einer Zeugung nicht dienlich ist, die Berechtigung eines Geschlechtsgenusses ohne Befruchtung abzusprechen.«

Ibidem, p. 82.

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»Vor der Zeit Justinians erliessen schon Constantin und Theodosius Gesetze gegen die sexuelle Inversion, die den dadurch Betroffenen den »rächenden Flammen« überlieferten. Aber diese Vorschriften wurden nicht streng durchgeführt, und man kann wohl sagen, dass die gegenwärtige Auffassung der Sache aus der Gesetzgebung Justinians hervorgegangen ist. Die öffentliche Meinung schliesst sich bei allen Sitten und Gebräuchen immer an das bestehende Gesetz an. Und konnten auch kaiserliche Erlasse eine Leidenschaft nicht ausrotten, die in der menschlichen Natur begründet ist, so bewirkten sie doch die ständige Wiederkehr ungeheuerlicher Strafen in allen Gesetzbüchern christlicher Nationen, und schufen damit eine andauernde soziale Entfremdung.«

Ibidem, p. 13.

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»Unsere gegenwärtige Haltung bewegt sich oftmals in den Spuren der jüdischen Gesetzgebung und ihrer Ueberreste, die sich in S. Pauls' Meinung über diese Angelegenheit vorfinden. Das jüdische Gesetz hatte zu seiner Zeit eine Berechtigung. Wo immer die Vermehrung einer Bevölkerung als ein starkes soziales Bedürfnis gefühlt wurde, – wie es bei den Juden der Fall war bei der Einrichtung ihres Familienlebens, und ebenso, als die europäischen Völkerschaften sich bildeten, – da wurde die Homosexualität als ein Verbrechen angesehen, das man selbst mit dem Tode bestrafen durfte ... Die mächtige Opposition der Gegenwart gegen dieselbe wurde im vierten Jahrhundert in Rom zum Gesetze formuliert. Die römische Rasse war längst in Verfall geraten; sexuelle Perversionen jeder Art blühten; die Bevölkerung nahm ab. In dieser Zeit gewann das Christentum mit seinem Jüdisch-Paulinischen Gegensatze zur Homosexualität eine rasche Ausdehnung. Die Staatsmänner jener Zeit nutzten nun diese mächtige christliche Lehre aus zu dem Zwecke, den ermattenden Puls ihres Nationallebens wieder zu beschleunigen. Constantin, Theodosius und auch Valentinian erliessen Gesetze gegen die Homosexualität. Der letztere verordnete in jedem Falle als Busse die » rächenden Flammen

H. Ellis, wie oben, p. 206.

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»Es wäre immerhin möglich und kann keineswegs bestritten werden, ja es scheint sogar wahrscheinlich, dass in einzelnen Fällen Geschlechtsakte unterbleiben, die ausgeübt werden würden, wenn nicht das Schreckgespenst der Strafe dem Betreffenden vor Augen träte. Dennoch dürfte dies nur in einer relativ kleinen Zahl von Fällen vorkommen. Bei der Mächtigkeit, mit der die sexuellen Neigungen sich äussern, wird selbst hier eine vollständige Unterdrückung des sexuellen Aktes nicht eintreten. Hingegen ist es wahrscheinlich, dass statt der Befriedigung bei dem andern Manne der durch die Strafe Abgeschreckte sich durch Onanie befriedigt. Dass aber die Schädigung des Individuums durch Onanie bei weitem grösser ist, als die beim Verkehr mit andern, unterliegt keinem Zweifel.«

Dr. A. Moll, obiges Werk, p. 305.

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»Da nicht geleugnet werden kann, dass die Urninge nach Tausenden zählen, sollte der Staat sie wegen der Befriedigung eines der stärksten Naturtriebe nicht mit den gemeinsten Verbrechern auf eine Stufe stellen.«

Ibidem, p. 317.

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»Jeder Schuster, der den Füssen das Mass nimmt, muss das Individualisieren besser verstehen, als die heutigen Erzieher in Schule und Haus, die nicht zum lebendigen Bewusstsein einer solchen moralischen Verpflichtung zu bringen sind! Denn bis jetzt erzieht man die sexuellen Zwischenformen (insbesondere unter den Frauen) im Sinne einer möglichst extremen Annäherung an ein Mannes- oder Frauenideal von konventioneller Geltung, man übt eine geistige Orthopädie in der vollsten Bedeutung einer Tortur. Dadurch schafft man nicht nur sehr viel Abwechslung aus der Welt, sondern unterdrückt vieles, was keimhaft da ist und Wurzel fassen könnte, verrenkt anderes zu unnatürlicher Lage, züchtet Künstlichkeit und Verstellung.«

Weininger's Geschlecht und Charakter, K. V.

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»Es gibt unter diesen Kranken manche geriebene Menschen, die nur heiraten, um ihresgleichen hervorzubringen. Leidensgefährten zwar, aber sie selbst halten ihren Trieb für ein Glück und schreiben einander höchst schwärmerische, überschwängliche Liebesbriefe.

Solche Männer wären nur zu froh, wenn sie ein Weib nicht zu berühren brauchten. Man sollte sie nur ruhig gewähren lassen, wenn sie ihre Triebe an ihresgleichen befriedigen wollen. Dadurch werden sie ja gerade für die Gesellschaft unschädlich gemacht. Wir sahen bereits, dass kein natürliches Recht besteht, irgendwem die freie Verfügung über seinen Körper anzutasten, sofern er sich dabei niemandem aufdrängt. Das gilt selbstverständlich auch für die gleichgeschlechtliche Liebe.«

Zerreiss die Binde vor Deinen Augen, liebe Schwester! von Dr. L. Bergfeld, München 1906. (p. 82.)

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»Warum werden nun in unserem angeblich so menschenfreundlichen Zeitalter ganze Klassen von Menschen wegen angeborener seelischer Abnormitäten in Acht und Bann getan, fanatisch verfolgt, öffentlich gebrandmarkt und mit den schwersten gesetzlichen Strafen bedroht? Man sollte es nicht für möglich halten, welche krasse Fälle von moralischen Justizmorden in dieser Hinsicht noch zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts verübt werden. Der bedauerlichen Unwissenheit der Richter, der in tausend ererbten Vorurteilen gebannten öffentlichen Meinung, ebenso wie in erster Linie der geistigen Unfreiheit der gesetzgebenden Körperschaften ist es zuzuschreiben, dass das Strafgesetz der meisten zivilisierten Staaten noch immer zum Teile im finsteren Geiste des Mittelalters gehandhabt wird.«

Otto de Joux, »Die Enterbten des Liebesglückes«, p. 16.

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(Aus dem Briefe eines katholischen Priesters als Antwort auf eine Rundfrage der Berliner Philanthropischen Gesellschaft.)

»Die homosexuelle Menschheit befand sich bisher in einer eigenen Lage. Es war ihr der Mund geschlossen, sie konnte nicht reden. Hände und Füsse waren ihr gebunden, sie konnte sich nicht rühren. Nun aber ist eine wesentliche Aenderung eingetreten: Die Wissenschaft hat sich ihrer angenommen und verteidigt ihre Ehre ... Ich warne darum eindringlich davor, diese Menschen, sei es auf legislativem Weg, sei es sonst, noch länger im Namen des Christentums zu brandmarken.«

Vergl.: Jahrbuch der Sexuellen Zwischenstufen, 2. Bd., p. 177.

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»Ich meine, wenn die sexuelle Inversion einmal vorhanden ist, so wird sie zum Nutzen oder zum Missbrauch dienen, je nachdem es dem Einzelnen beliebt. Ich verurteile die Befriedigung körperlicher Begierden auf Kosten anderer, in welcher Form sie auch geschehen mag. Ich glaube, dass die Liebe zwischen Personen desselben Geschlechtes, auch wenn sie sexuelle Leidenschaft oder deren Duldung einschliesst, zu den glänzendsten Ergebnissen führen kann, deren unsere Natur fähig ist. Kurz, ich gebe ihr unbedingte Gleichberechtigung mit der Liebe im gewöhnlichen Sinne.«

H. Ellis, zitiertes Werk, p. 56. »Fall« IV.

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»Es lässt sich mit Recht einwenden, dass es mir schwer fallen würde, genau anzugeben, wie ich die gleichgeschlechtliche Neigung moralisch beurteile. Was aber das anbetrifft, bin ich ganz sicher, dass ich meine inverse Natur, wenn es möglich wäre, nicht für eine normale austauschen würde. Ich vermute, dass die geschlechtlichen Erregungen, auch bei Inversen eine viel feinere Bedeutung haben, als man sie ihnen gemeinhin beimisst. Aber die modernen Moralisten sträuben sich gegen transzendentale Auslegungen, oder sehen überhaupt keine, und mir mangelt die Wissenschaft und Fähigkeit, das Geheimnis zu ergründen, das diese Gefühle in sich zu schliessen scheinen.«

Ibidem, p. 65, »Fall« IX.

»Ich kann meine Geschlechtstriebe weder für unnatürlich noch abnorm halten, da sie sich so vollkommen natürlich und ungezwungen bei mir entfaltet haben. Allem, was ich über die gewöhnliche Liebe der Geschlechter in Büchern gelesen oder mitteilen gehört habe, ihrer Grösse und Leidenschaft, lebenslänglicher Hingabe, jenem Ueberwältigtsein auf den ersten Blick, und anderem, – kann ich meine eigenen Erfahrungen über die gleichgeschlechtliche Liebe recht wohl zur Seite stellen. Und bezüglich der Sittlichkeit bei diesen komplizierten Vorgängen, ist es meine Empfindung, dass sie die gleiche ist wie die, welche bei der Liebe zwischen Mann und Weib massgebend sein sollte: nämlich, dass niemand eine körperliche Befriedigung suchen sollte auf Kosten der Erniedrigung oder des Elends eines anderen Menschen. Ich halte es für gewiss, dass diese Art Liebe, ungeachtet der damit verknüpften physischen Bedenken, eben so tief erregend und veredelnd wirkt, wie die andere, wenn nicht noch mehr; und ich glaube, dass bei einer vollkommenen Freundschaft das, was man wirklich mit Bezug auf das Geschlecht schenken kann (wie es auch geartet sein mag), hierbei wohl nicht in dem Masse im Vordergrunde steht, wie bei der anderen Liebe.«

Ibidem, p. 58, »Fall« VII.

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»Als ich älter wurde, begann meine berufliche Ausbildung, der ich mich mit Eifer widmete. Ich lebte in einer grossen Hauptstadt und gewann mit allen Gesellschaftsklassen Fühlung. Ich hatte einen grossen und lebhaften Freundeskreis. Aber immer und immer wieder überkam mich das Bewusstsein, dass in meinem Inneren, in jeder Wurzel und Faser meines Wesens, ein Trieb und eine Leidenschaft, ein Ebben und Fluten, ein traumhaftes Suchen lebte nach jener leidenschaftlichen Freundschaft, die so weit über die Kälte moderner menschlicher Beziehungen hinausragt; die Ueber-Freundschaft, die hellenische Freundesliebe, die unter Männern bestehen konnte, – die psychische Geschlechtsliebe. Die musste doch auch jetzt möglich sein! Dessen war ich gewiss. Das wusste ich aus der Lektüre in Vers oder Prosa der griechischen, lateinischen oder orientalischen Autoren, die uns jede Spur ihrer Schönheiten oder Härten überliefert haben, ihren Wert oder ihren Verderb, von Theokrit bis zu Martial oder Abu-Nuwas, bis zu Platen, Michel-Angelo und Shakespeare. Ich kannte sie aus den Statuen der Bildhauer, – aus jenen Linien, in denen die rein körperliche männliche Schönheit lebt, – Werke, die aus dem Sinne eines Volkes dafür entstanden und geschaffen wurden. Halb erraten hatte ich sie aus der Musik von Beethoven oder Tschaikowsky, ehe ich Tatsachen aus der Lebensgeschichte eines von beiden kannte, oder von hundert anderen, die ihr inneres Leben in Tönen ausdrückten. Und ich verstand, was all' das für die meisten Menschen heutzutage bedeutete. – verstand es aus dem Abscheu, dem Spott, dem Lachen meiner männlichen Bekannten, sobald auf solche Gefühle angespielt wurde.«

Imre: a memorandum, von Xavier Mayne. p. 110. (Neapel. R. Rispoli, 1906.)

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»Nun öffnete mir noch im gleichen Winter ein Zufall weiter die Augen. Seit der Zeit bedarf es für mich keiner weiteren Kenntnis vom Baume des Guten und Bösen in mir. Ich lernte eine Menge ernsthafter Arbeiten, deutsche, italienische, französische und englische, von den ersten europäischen Spezialisten und Theoretikern, über das Thema der Homosexualität kennen. Manche von ihnen entwickelten ganz andere Ansichten als die meines gutmeinenden, aber allzu bündig beratenden Yankee-Arztes (der mir die Ehe als Kurmittel empfohlen hatte). Ich studierte die vielbesprochenen Theorien von »sekundären Geschlechtern« und »Zwischengeschlechtern.« Ich wurde bekannt mit den Theorien und Tatsachen der Homosexualität, der uranischen Liebe, der uranischen Rasse, des »Geschlechtes innerhalb eines Geschlechtes.« ... Ich erfuhr von ihrer enormen Verbreitung über die ganze heutige Welt, und von der ernsten Beachtung, die seitens der europäischen Wissenschaft und auch der Juristen bereits den mit der Homosexualität verknüpften Probleme entgegengebracht worden ist. Ich konnte mit Verständnis die zunehmenden Bemühungen verfolgen zur Aufklärung der öffentlichen Meinung in Betreff einer so sehr missverstandenen und doch unausrottbaren Erscheinung im Menschenleben. Ich begriff, dass ich von jeher ein Mitglied jener geheimen Brüderschaft des Untergeschlechtes, oder Uebergeschlechtes, gewesen war. Ich erstaunte über ihr tiefes instinktmässiges Freimaurertum, – das einer Organisation gleichkam, – in allen Gesellschaftsklassen, in jedem Lande, und auf allen Stufen der Kultur.«

Ibidem, pp. 134, 135.

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»Das Neue in dieser Darstellung ist, dass für sie die Homosexualität nicht einen Rückschlag oder eine unvollendete Entwicklung, eine mangelhafte Differenzierung des Geschlechtes bedeutet wie für jene Untersuchungen, dass ihr die Homosexualität überhaupt keine Anomalie mehr ist, die nur vereinzelt dastünde und als Rest einer früheren Undifferenziertheit in die sonst völlig vollzogene Sonderung der Geschlechter hineinragte. Sie reiht vielmehr die Homosexualität als die Geschlechtlichkeit der sexuellen Mittelstufen ein in den kontinuierlichen Zusammenhang der sexuellen Zwischenformen, die ihr als einzig real gelten, indes die Extreme ihr nur Idealfälle sind. Ebenso wie nach ihr alle Wesen auch heterosexuell sind, so sind ihr darum alle auch homosexuell.«

Otto Weininger, Geschlecht und Charakter, K. IV.

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»So finden wir in der sexuellen Inversion eine Erscheinung, die wir mit Recht als eine Spielart oder Variation bezeichnen können, eine jener organischen Umformungen, denen wir in der ganzen lebenden Natur begegnen, im Pflanzen- und im Tierreiche.« ...

»Alle die organischen Variationen, die ich hier zur Erläuterung der sexuellen Inversion aufgeführt habe, sind Abnormitäten. Eine klare Begriffsbildung für das Wort »Abnormität« ist hierbei wichtig. Manche meinen, dass etwas Abnormes notwendig auch krankhaft sei. Das ist aber nicht der Fall, wenn wir nicht den Begriff »Krankheit« in unangemessener und unberechtigter Weise erweitern wollen. Es ist eben so verfehlt wie unrichtig, von der Farbenblindheit, dem Verbrechertum und der Genialität als von Krankheiten in demselben Sinne zu reden, wie etwa vom Scharlachfieber, der Tuberkulose oder der allgemeinen Lähmung.«

H. Ellis, obiges Werk, p. 186.

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»Ich las einmal eine Theorie über diese »Homosexuellen« Geschichten, – ich denke, sie sind nicht neu, – aber das bedeutet wohl, dass ein Mann, wenn er auf einer gewissen Stufe seiner Entwicklung ankommt, und seine menschliche Natur vollständig wird, dann bei ihm, wenn auch zuerst undeutlich, ein weibliches Element sowohl wie ein männliches in ihm dazusein anfängt. Das heisst nämlich, dass er durch verschiedene Schranken zu gehen hat, und ebenfalls durch diejenige des Geschlechtes, bis er auf seinem Wege ein vollständiger Mensch wird, – ein universaler.« ...

Aus einem Privatbriefe.

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»Grosse Genien, Männer wie Goethe, Shakespeare, Shelley, Byron und Darwin, sie alle hatten in sich ein stark entwickeltes Element der weiblichen Seele.« ...

»So wie wir auch beständig in Städten Frauen begegnen, die zu einer Hälfte, zu einem viertel oder achtel u. s. w. männlich sind, ... so schlummern in jedem Inneren ähnliche Keime, die sich mit grosser Leichtigkeit den Umständen angemessen entwickeln können. Die Griechen erkannten, dass solche Wesen sehr wohl in Harmonie mit der Natur leben können, und so verherrlichten und idealisierten sie dieselben in ihrer Sappho.«

Charles G. Leland, The Alternate Sex, pp. 41 und 57.

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»Ich habe über diese Frage manche Jahre lang nachgedacht und nachgeforscht. Längst war es meine feststehende Ueberzeugung, dass die gleichgeschlechtliche Liebe keinen Verstoss gegen die Sittlichkeit bedingt. Dass sie wie jede andere Leidenschaft, wenn sie richtig verstanden und von seelischem Empfinden geleitet wird, der körperlichen und moralischen Gesundheit des Individuums und der Rasse dient, und dass lediglich ihre rohen Missbräuche unsittlich sind. Ich kannte viele Personen, die dieser Leidenschaft mehr oder weniger huldigten, und ich habe in ihnen eine ganz besonders hochgesinnte, aufrichtige, feine, und wie ich hinzufügen muss, eine reinlich denkende Art Menschen kennen gelernt.«

Mitgeteilt von Professor X. Vergl. Anhang zu H. Ellis, Sex-Inversion, p. 240.

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»Die Homosexualität beruht, wie die Monosexualität, auf einer ganz entschieden angeborenen Spezifität der Seelenstoffe. Dieselben sind bei den Homosexualen derart beschaffen, ... dass sie in Harmonie mit Personen des gleichen Geschlechtes stehen; die Differenz dabei ist Altersdifferenz. Da der Geschlechtstrieb der mächtigste Trieb ist, – und nie ganz erstickt werden kann, – so bleibt, da dem Homosexualen einsame Onanie fast unmöglich ist, demselben nichts übrig, als seinen Geschlechtstrieb beim gleichen Geschlecht zu befriedigen. Folgerichtig ist es eine Grausamkeit, Personen, die schon an und für sich durch diesen angeborenen Fehler unglücklich sind, – alle betrachten sich wenigstens so, – auch noch dafür, dass sie das sind, zu bestrafen. Das ist genau so, als ob man einen Kretinen kriminaliter behandeln wollte, weil er ein Kretin ist. Will sie die Gesellschaft durchaus nicht haben, so gibt es nur zwei Mittel: entweder sie kastrieren, oder sie schon als Kinder, – denn man erkennt sie meist da schon, – nach spartanischer Manier zu töten.« ...

»Was mich anfangs am meisten frappiert hat, mir aber jetzt vollständig erklärlich, ja naturnotwendig erscheint: Unter den Homosexualen steckt die merkwürdigste Sorte von Männern, nämlich die, welche ich superviril nenne. Dieselben stehen, vermöge einer individuellen Variation ihrer Seelenstoffe, ebenso über dem Mann, wie der Normalsexuale über dem Weib. Ein solches Individuum ist im Stande, die Männer durch seinen Seelenduft zu bezaubern, so wie diese, – aber in passiver Weise, – ihn bezaubern. Da er nun stets in Männergesellschaft lebt und Männer sich ihm zu Füssen legen, so erklimmen solche Supervirile häufig die höchsten Stufen geistiger Entwicklung, sozialer Stellung und männlichen Könnens. Daher kommt es, dass die berühmtesten Namen der Welt- und Kulturgeschichte, mit Recht oder Unrecht, auf der Liste der Homosexualen stehen. Namen wie Alexander der Grosse, Sokrates, Plato, Julius Caesar, Michel-Angelo, Karl XII. von Schweden, Wilhelm von Oranien u. s. f. Das ist nicht bloss so, sondern das muss so sein. So gewiss ein Weiberheld ein geistig inferiorer Mensch bleibt, muss ein Männerheld – nun eben ein Männerheld werden, wenn er irgendwie sonst das Zeug dazu hat.

Also das Strafgesetz des deutschen Reiches stellt, indem es die Homosexualität zum Verbrechen stempelt, die höchsten Blüten der Menschheit auf die Proskriptionsliste!«

Professor Dr. Jaeger, Entdeckung der Seele. 3. Aufl., pp. 268, 269.

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»Die lasterhaften, aufdringlichen oder krankhaften Erscheinungen der Homosexualität sind dermassen mit öffentlicher Aufmerksamkeit beehrt worden, dass darüber die anderen Typen selbst heute noch wenig bekannt sind. Die letzteren hören in der Reifezeit ihrer geistigen und sittlichen Natur auf, die Geschlechtlichkeit als den Angelpunkt des Universums anzusehen. Sie geben es auf, sich über ihr Los zu grämen. Sie haben hienieden ihre Mission zu erfüllen, und das tun sie nach bestem Können. Genau ebenso gibt es hetrosexuelle (d. h. normale) Menschen, die auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung freiwillig dem Geschlechtsleben entsagen.«

M. A. Raffalowich, Uranisme et Unisexualité, p. 74.

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»Da die Natur und unsere Sittengesetze so grausam sind, ihm ein strenges Cölibat aufzuerlegen, ist sein ganzes Wesen von überraschender Frische und köstlicher Reinheit, sein Lebenswandel von der Keuschheit eines Heiligen, was bei einem sich in der Welt bewegenden, von Gesundheit strotzenden Manne gewiss eine ausserordentlich seltene Erscheinung ist.«

De Joux, Die Enterbten des Liebesglückes, p. 41.

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»Der edel geartete, hochgebildete Urning ist ein vollkommener Idealist, die Materie ist für ihn nur ein Zeichen des Gedankens und das Wirkliche nur der lebendige Ausdruck des Unsichtbaren.«

Ibidem, p. 46.

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»Wenn die Seele der Frau an sich schon ein mit sieben Siegeln verschlossenes Geheimnis bedeutet, so ist dieselbe, in den starken Körper eines Mannes gefesselt und mit einigen Motiven der Männlichkeit verquickt, ein noch viel rätselreicheres Buch, aus dessen sibyllinischem Inhalte man niemals recht klug werden kann. Nur der Urning kann den Urning begreifen.«

Ibidem, p. 63.

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»Weil sie (die Urninge) selbst wirr verschlungen und aus einander bestreitenden Elementen komponiert sind, suchen und lieben sie die einfachen, schlichten und geraden Naturen. Weil sie immer unter dem Aufruhr ihrer Wünsche gegen Geschmack und Sitte leiden, lieben sie oft die barbarische Freiheit; weil ihr Urningverstand mit tausend Zweifeln und Bedenken ihnen jede Empfindung kürzt, entstellt, verkümmert, schaffen sie sich Menschen, die vom Kerzen zur Tat zu leben gewohnt sind, die aus ungezähmten, herrischen Instinkten, sicher wie die Tiere handeln.«

Ibidem, p. 97.

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»Es ist wahr, dass wir den ganzen Männern an Willenskraft, Lebensklugheit und Pflichtgefühl oft untergeordnet, ihnen dagegen an Gemütstiefe, Feingefühl und allen Tugenden des Herzens unendlich überlegen sind. Wir können die Frauen nicht lieben, aber wir trauern und weinen mit ihnen, wir helfen ihnen am Herde und an der Wiege, in Not und Verlassenheit, als ihre uneigennützigen Freunde ... Wir verachten die Frauen nicht wegen ihrer Schwäche, denn wir sind viel klarblickender, viel unbefangener als die eigentlichen Herren der Schöpfung, viel edler, hilfsbereiter und gerechter als diese ... Wenn eines von beiden Geschlechtern überhaupt Ursache hat, dem anderen die bedingungslose Achtung zu versagen, – welches hat wohl mehr Grund dazu? Das zweite und dritte Geschlecht, Frauen und Urninge, man mag von ihnen sagen, was man will, sind noch immer besser als die brutal-egoistischen Männer, die sich heute im krassesten Materialismus gefallen, denn beide sind, bei aller Korruption, doch reineren Herzens, leichter entzündbar für das Gute, der echten Menschenliebe und des Enthusiasmus fähiger als jene.«

Ibidem, p. 204.

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»Liebe, Duldung, Entsagung, Demut und Milde verkörpernd, sollte er mit seiner linden Hand alle Schäden berühren, alle Wunden zu heilen suchen, welche die Erbsünde der schwachen Menschheit jemals geschlagen. Die zärtlichen Regungen in seiner Brust, sein allzu weiches, leicht erschüttertes Herz, seine zarte Empfindlichkeit und Empfänglichkeit für alles Hohe und Reine, seine Sanftmut, Güte und unerschöpfliche Langmut, – alle diese göttlichen Gaben seiner Seele weisen deutlich darauf hin, dass sich der erhabene Weltenlenker in den Urningen ein edles Priestertum, ein Samaritergeschlecht, einen streng keuschen Orden von Männern schaffen wollte, um der, mit der wachsenden Kultur Hand in Hand gehenden Entsittlichung der menschlichen Gesellschaft ein starkes Gegengewicht zu bieten.«

Ibidem, p. 253.

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»Wenn ich auf die hier vorgebrachten Fälle zurücksehe und auf die seelische Entwicklung der mir bekannten Inversen, so möchte ich wohl sagen, dass, wenn wir ihnen als solchen helfen können, gesund, in Selbstbeherrschung und Selbstachtung zu leben, wir oft ein besseres Werk tun, als wenn wir aus ihnen ein schwächliches Abbild des normalen Menschen zu machen suchen. Ein Appell an die paiderastia der griechischen Blütezeit, ihre Würde, ihre Mässigung, ja selbst ihre Keuschheit, wird manches Mal einen willigen Anklang finden in der gemütvollen, begeisterungsfähigen Natur des von Geburt Inversen. Die »männliche Liebe«, die Walt Whitman in seinen Leaves of Grass verherrlicht, bietet, wenn sie auch für den allgemeinen Gebrauch einen nur zweifelhaften Wert haben mag, doch dem Inversen, der für normale Vorbilder unempfänglich ist, ein gesundes und kraftvolles Ideal dar. Durch eine ähnliche Methode der Selbsterziehung haben die meisten der höher gebildeten Männer und Frauen, deren Lebensgeschichten ich hier kurz skizziert habe, sich schliesslich langsam und instinktiv zu einem Zustande von verhältnismässiger Gesundheit und körperlicher und seelischer Zufriedenheit durchgerungen.«

H. Ellis, Sexual Inversion, p. 202.

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»Aus Amerika schreibt mir eine Dame: – Inverse sollten den Mut und die Selbständigkeit haben, sich als solche zu bekennen, und eine Untersuchung zu fordern. Wenn einer bestrebt ist, ehrenhaft zu leben und das einschätzt, was für die grösste Zahl der Fälle ein höchstes Gut ist, so ist es weder ein Verbrechen noch ein Makel, ein Inverser zu sein. Ich bedarf nicht zu meiner Verteidigung des Gesetzes, auch wünsche ich nicht, dass mir irgendwelche Konzessionen gemacht werden. Keiner meiner Freunde braucht seine Ideale um meinetwillen zu opfern. Ich habe auch meine Ideale, die ich immer hochhalten werde. Alles was ich wünsche – und ich verlange es als mein gutes Recht ist die Freiheit, diese göttliche Gabe der Liebe auszuüben, die weder die Gesellschaft bedroht, noch mich selbst erniedrigt. Machen Sie es nur einmal klar, dass der Inverse im Durchschnitt weder moralisch noch geistig entartet ist. Er ist nur ein Mann oder Weib von weniger extremem Typ. von anderer geschlechtlicher Eigenart als andere Männer oder Frauen. Ich glaube, mit dieser Erkenntnis muss das Vorurteil gegen sie verschwinden, und wenn sie aufrichtig sind, werden sie gewiss die Achtung und Hochschätzung aller verständigen Leute gewinnen. Ich weiss, was es für einen Inversen bedeutet – der sich von der übrigen Menschheit zurückgesetzt fühlt –, ein menschliches Herz zu finden, das ihm traut und ihn versteht, und ich weiss, wie das fast unmöglich ist und es so lange bleiben wird, bis sich die Welt genötigt sieht, diese Tatsachen zu beachten.«

Ibidem, p. 213.


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