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Achtes Kapitel.

Mit aller Willenskraft hatte sich Frau Trude aufrecht erhalten. Erst als sie sich allein sah, brach sie in einem Sessel zusammen. Ihr Kopf war ganz wirr. Eine Flut von krausen Gedanken und Empfindungen ging über sie hin, die nur in halber Klarheit ihr zum Bewußtsein kamen. Und fortwährend, in alle ihre Kämpfe und Schmerzen hinein, tönte das wilde Schluchzen ihres Kindes nebenan, das ihr noch mehr an das gequälte Herz griff.

Und sie saß und saß, während sich ihre Hände um die Seitenlehne des Sessels krampften. Dann hörte sie, wie Fritz aufstand und an ihre Thür klopfte. »Mama!« rief er bittend. Sie preßte die Lippen zusammen und verhielt sich mäuschenstill. Einen Augenblick war es ruhig. Dann klopfte es wieder und wieder, stärker und dringender, aber sie antwortete ihm auch diesmal nicht, bis er es aufgab. Sie vernahm noch, wie er den Stuhl rückte. Nun saß er wohl am Tisch, den heißen Kopf auf den verkreuzten Armen. In einzelnen Pausen drang auch noch ein verhaltenes Schlucken und Schluchzen zu ihr.

Sie konnte ihre Gedanken gar nicht ordnen. Gewiß, sie hatte gewußt, daß es einmal zu einer solchen Aussprache kommen mußte, sie hatte sich, seit sie über sich selbst und ihre Liebe Klarheit gewonnen, danach gesehnt und doch davor gezittert. Aber nicht Fritz war es, der beginnen durfte, sondern sie. Und nun war ihr Kind, ihr einziger Sohn, ihr so gegenübergetreten!

Was hätte sie ihm sagen sollen? Brauchte sie sich denn vor ihm überhaupt zu verteidigen? Und wodurch auch? Liebte sie denn Horst nicht wirklich?

Sie nickte still vor sich hin. Dann stand sie auf und ging rastlos durchs Zimmer, vom Fenster bis zur Thür und wieder zurück. Ihr leiser Schritt wurde noch von dem schweren Teppich gedämpft. Manchmal preßte sie auch die glühende Stirn an die kühlen Scheiben.

Und plötzlich warf sie das Haupt zurück. Ueber all die quälenden Empfindungen und Gedanken, die sich nicht zurückdrängen ließen, stieg ein starker Trotz empor. War sie denn nur die Mutter ihres Kindes und nichts weiter? War sie denn nicht auch ein eigenes Wesen mit eigenem Gefühlsleben? Nicht neben der Mutter auch noch Weib? Sollte sie sich denn ganz ihrem Sohne opfern, daß nichts andres mehr in ihr bliebe und Macht über sie hätte? Sie war noch jung, ihr Blut rann noch warm in ihren Adern; und wenn sie auch ihr Kind lieb hatte wie nur je eine Mutter: manchmal hatte sie doch eine tiefe Leere in ihrem Herzen gefühlt, ein ödes, einsames Fleckchen, wo ihr Sohn nicht hinkam.

Sie sah düster vor sich auf den Boden, wo die Sonnenstrahlen spielten.

»Entwürdigen,« hatte er gesagt. Aber wer entwürdigte sich denn? War es denn eine Schande zu lieben? Sollte das, was für jede andre Seligkeit war, was jede andre erhöhte, sie entwürdigen und hinabziehen, bloß weil sie einmal schon einem andern Gatten zum Altare gefolgt war? Und diesen Gatten sollte sie dadurch schmähen? Ach, sie wußte es ja selbst am besten: wenn sie einem überhaupt untreu gewesen war, so nicht dem Toten, sondern dem Lebenden, der das größte und heiligste Recht von jeher auf sie hatte. Aber konnte sie denn ihrem Sohne sagen, daß sie seinen Vater nicht so tief und so stark geliebt wie Horst, daß nur eine innige, aus Achtung und Gewohnheit erwachsene Zuneigung sie, die junge, an den alternden Mann gefesselt, daß sie im stillen und kaum bewußt doch das Bild Horsts im Herzen getragen hatte all die Jahre hindurch – konnte sie denn das ihrem Kinde sagen? jenem Kinde, das gerade seinen Vater hochhielt und verehrte über alles?

Ihr wurde heiß und kalt, und ihre Lippen bebten. Einen Augenblick blieb sie an der Thür stehen und horchte. Es war still. Nur einmal ein tiefer, verhaltener Laut wie der Nachhall eines wilden Schluchzens.

Nebenan zitterte ihr Kind im ersten, gewaltigen Schmerze.

Die Mutterliebe ward in ihr wach. Sie hätte hingehen mögen und sein Haupt in beide Hände nehmen, trotzdem er ihr vorhin so weh gethan. Unschlüssig wanderten ihre Blicke von einer Seite zur andern. Endlich blieben sie auf dem Bilde ihres toten Gatten haften.

Er war so gut gewesen, so edel, genau wie hier hatte er sie im Leben immer angesehen mit diesen lieben, treuen Augen, die sorgend und rastlos über sie und ihr Glück gewacht hatten. »Denk an meinen Vater,« hatte Fritz gemahnt, als ob sie ihn schmähte durch diese neue Liebe.

Und ihr Kind, sein Kind weinte nebenan.

In wirren Empfindungen sank sie zurück in den Sessel, die Augen noch immer auf das Bild geheftet.

Weshalb war nur Horst wieder in ihren stillen Kreis getreten, weshalb hatte er die ruhige Zufriedenheit, die sie sich errungen, mit einemmal zerstört? sie selbst und ihr Kind elend gemacht?

Aber sollte sie denn zum zweitenmal entsagen? Hatte sie denn gar kein bißchen Recht auf Glück?

Die treuen Augen da drüben in dem stillen Gesicht ruhten auf ihr wie segnend. Ihm hatte sie sich zuerst zum Opfer gebracht, nun sollte sie sich von neuem opfern um seines und ihres Kindes willen, daß seine Jugend nicht vergiftet ward.

Die Thränen liefen ihr in einem fort über die Backen, daß die Photographie drüben verschwamm vor ihren Augen. Aber über ihre Lippen trat kein Laut. Nur einmal, kurz, wimmerte sie aufstöhnend: »Wenn ich's nur könnte!«

Der Mittag ging vorüber, der Nachmittag kam und schwand, es ward immer dunkler, und sie hatte ihr Zimmer noch nicht verlassen. Fritz hatte wieder geklopft, ohne Antwort zu bekommen, und als er stärker und unaufhörlich pochte, hatte sie ihn gebeten, sie allein zu lassen.

Und sie rang fast die ganze Nacht. Erst gegen Morgen schlief sie, übermüdet, ein, mit verweinten Augen. Ihr Entschluß war gefaßt, und das Bild ihres toten Gatten, das ihr Kind als einen Talisman ihr hingestellt, hatte ihr dazu verholfen: wenn sie es übers Herz brachte, wollte sie Horst beim nächstenmal bitten, für immer fortzubleiben, wollte ihn anflehen, von Berlin abzureisen und sie nicht noch elender zu machen.

Sie preßte die Hand auf das zuckende Herz und betete zu Gott um Kraft und Stärke.

Als Fritz am nächsten Tage zur bestimmten Zeit heimkam, wagte er nicht, sie anzusehen. Mit scheuem Gruß und klopfendem Herzen ging er durchs Zimmer. Aber sie selbst war es, die ihn zurückhielt.

»Heute nichts vorgefallen in der Klasse?« fragte sie mit schwachem Lächeln.

Er schlug die Blicke zu ihr auf. Und da sah er ihr blasses schmales Gesicht, sah er, wie groß und übernächtig ihre Augen waren, doch er sah auch das liebe, stille, noch ein bißchen kranke Lächeln, das wie ein milder Glanz auf diesem geliebten Antlitz lag. Und ohne ihre Frage zu beantworten, stürzte er vor ihr hin, verbarg seinen Kopf in ihren Schoß und bat ihr alles ab – mit wirren, flehenden Worten, hinter denen sie aber doch noch die alte Angst merkte.

Sie strich mit der Hand rastlos über sein Haar. »Laß gut sein, Fritz,« sagte sie dann mit verhaltener Stimme, »du brauchst dich nicht mehr zu sorgen. Ich weiß allein, was ich zu thun habe.«

Mit einem schnellen Aufleuchten sah er sie an.

»Wir bleiben zusammen,« nickte sie mit trübem Lächeln. »Herr von Röhren wird ja bald wiederkommen, und dann …«

Sie sprach kein Wort weiter und streichelte ihn nur. Er aber küßte immerzu ihre Hand und sagte nur: »Meine gute, gute Mutter.«

Es wurde ihr jetzt Tag für Tag zu einer bitteren Wollust, sich den Stachel noch tiefer ins Herz zu drücken. Sie dachte an nichts andres mehr als an den Augenblick, wo sie dem geliebten Manne gegenüberstehen und mit einem Schlage ihr eigenes Lebensglück zerschmettern würde. Sie redete sich selbst vor, wie stark sie sei; sie quälte sich die Nächte hindurch; sie ging umher mit trockenen, brennenden Augen und fiebernden Lippen. Jedesmal, wenn die Glocke anschlug, zuckte sie zusammen.

Fritz sah es wohl. Er wußte auch nicht mehr aus und ein. Die ganzen Nachmittage saß er bei ihr, er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, er hielt ihre Hand in seiner. Tausend Pläne schmiedete er: wie sie reisen wollten, wenn er sein Examen bestanden hätte, wie er sie hegen und pflegen würde, wie alles Vergangene bald vergeben und vergessen wäre. Ein Gefühl nie endender Dankbarkeit erfüllte sein Herz und machte sich in tausend Kleinigkeiten bemerkbar.

So erwarteten sie beide den Tag, der die letzte Entscheidung bringen sollte.

Sie saßen gerade wieder zusammen, als das Dienstmädchen den vertrauten Namen aussprach. Frau Trude neigte den Kopf; das Mädchen ging. Einen Augenblick darauf Totenstille. Keiner sagte einen Ton. Aber beiden stockte der Atem. Dann stand Frau Trude auf und hielt sich zitternd am Tisch fest. Fritz, um einen Schatten blasser als sonst, trat noch einmal an sie heran und küßte sie. Ruhig ließ sie es geschehen. Und dann ging auch er, daß sie für einen Moment mutterseelenallein war, – ging ins Nebenzimmer, wo er klopfenden Herzens den Kopf auf den Tisch legte und betete, er wußte selbst nicht, weshalb und warum.

Frau Trude und Horst standen sich gegenüber.

Auf seinen Lippen erstarb das derb-lustige Begrüßungswort, als er in ihr Gesicht sah. »Sie sind krank, gnädige Frau – was ist Ihnen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Mir ist nichts, gar nichts,« sagte sie tonlos, »höchstens ein bißchen Kopfschmerz, der ja alle Augenblicke einmal kommt. Aber ich – ich möchte heute – ein ernstes Wort mit Ihnen reden, Herr von Röhren.«

Er hielt den Atem an und verbeugte sich stumm. Keiner von beiden setzte sich. Es kam wieder eine Pause – bange lange Sekunden.

Sie begann zögernd und stockend. »Ich möchte Sie bitten, fortzubleiben. Es ist doch am besten so. Die Leute sprechen schon darüber. Ich – daß ich Sie sehr gern gesehen habe, wissen Sie ja. Es ist nur – ich bitte Sie,« sagte sie plötzlich schnell und flehentlich, »gehen Sie fort von uns, verlassen Sie Berlin, meiden Sie mich! Ich selbst würde fliehen, wenn ich nicht hierbleiben müßte, schon um meines Kindes willen. Ich beschwöre Sie bei allem – allem, was einst war.«

Sie konnte nicht weiter sprechen, so zitterte sie.

Er hatte die Arme gekreuzt. Sein Blick, groß, forschend, mit einer geheimen Angst darin, lag unablässig auf ihr. »Die Leute reden darüber – wirklich?«

Es klang halb ironisch, halb schmerzlich.

Ihre Augen irrten hilflos durch das Zimmer. »Machen Sie es mir doch nicht gar so schwer,« bat sie dann: »versprechen Sie mir doch, daß Sie nicht wiederkommen wollen, daß dies das letzte Mal ist, wo wir uns im Leben gegenüberstehen. Was quälen Sie mich?«

»Und das soll auch diesmal der Schluß sein? Und genau wie damals, Trude? Ich habe doch wenigstens jetzt an dich und unser Glück geglaubt.«

Seine Stimme war rauh. Sie merkte es nicht, daß er in der Erregung »du« zu ihr sagte. Nur als er ihren Vornamen nannte, schauerte sie kurz zusammen. Aber sie sprach kein Wort mehr; sie senkte nur tief das Haupt.

»Die Leute reden,« wiederholte er in dem bangen Schweigen halb für sich. Und dann plötzlich: »Und wenn ich nun jetzt, wo ich vor dir stehe, deine Hand faßte und dich bäte: Komm mit, Trude, laß die Menschen reden; sei wenigstens jetzt mein treues Weib, es ist ja noch nicht zu spät für uns, und ich habe dich doch so lieb, Trude – Trude, sag, wirst du mich auch dann fortschicken?«

Er hatte die Arme langsam nach ihr ausgestreckt.

Sie zitterte am ganzen Leibe und hatte nur den einen Gedanken, jetzt fest zu sein. Ihre Hand preßte krampfhaft den Tisch, auf den sie sich stützte. Alle ihre Kraft nahm sie zusammen. »Gerade dann – gerade deshalb sollen Sie gehen. Ich – ich bin nicht mehr allein, ich darf nicht nur an mich denken. Und es wäre wohl Sünde. Und dann: ich habe Sie auch nicht mehr lieb.«

Tonlos hatte sie die letzten Worte gesprochen. Sie wußte selbst nicht, wie sie es fertig gebracht hatte. Sie hatte sich dabei etwas aufgerichtet. Nun sank ihr Kopf wieder, und in ihrem Munde war ein bitterer Geschmack.

Röhrens große Gestalt reckte sich hoch auf. »Das lügst du, Trude!« sagte er langsam und sah sie fest an.

Sie wagte kein Wort zu erwidern; sie hob nicht einmal den Kopf. Es war ihr so dumpf und sie fühlte sich wie zerschlagen.

Da hörte sie seine Stimme von neuem: »Ich stand ganz allein – bis jetzt, Trude. Du weißt schon, weswegen. Und da hab' ich dich wieder getroffen. Wir sind ja keine Kinder mehr wie damals, und es ist wohl auch nicht mehr so überschwenglich. Aber du, Trude, wir könnten doch noch so glücklich werden. Sieh mal, ich wollte dir sagen, weshalb ich erst so spät zurückkam. Nun, weil ich mich prüfen wollte. Aber ich mußte zurück zu dir, ich konnte nicht anders. Und was hält uns denn jetzt? Denk doch daran, daß du auch noch so viel zu verlangen hast vom Leben! Und nun schickst du mich fort, zum zweitenmal, Trude, auf Nimmerwiedersehen.«

Ihr gequältes Herz zuckte. Sie biß sich fast die Lippen blutig. Aber sie war still. Nur einmal stöhnte sie auf.

Und da kam ein Leuchten und Brennen in seine Augen. »Was wehrst du dich dagegen? Du liebst mich ja doch!«

Ein Schwindel drohte sie zu überfallen. Mit aller Kraft hielt sie sich aufrecht. Die Augen geschlossen, nickte sie. Sie wußte selbst nicht mehr, was sie that.

Und da rief er laut und jubelnd, daß es tönend widerklang: »Trude!«

Fritz hatte im Nebenzimmer inzwischen halb fiebernd dagesessen. Er wollte nicht lauschen, er durfte nicht hören, was sich diese beiden Menschen sagten, er hielt sich die Ohren zu, daß auch kein Laut zu ihm drang. Aber da scholl plötzlich der mächtige Ruf, der Vorname seiner Mutter, jauchzend und jubelnd. Wild sprang er auf. Mit einem Satze, er wußte selbst kaum, wie, war er an der Thür und hatte sie aufgerissen.

Horst hatte die Arme ausgestreckt. Frau Trude aber stand vor ihm, willenlos, schwankend, und konnte sich kaum noch halten. Im nächsten Augenblick mußte sie in diesen starken schützenden Armen liegen, die sich sehnend nach ihr ausbreiteten.

Da stürzte Fritz, der mit einem Blick alles überschaut hatte, dazwischen. Ein halb dumpfer, unverständlicher Ton, der sich seinem Munde entrang – dann umschlang er seine Mutter und hielt sie, als ob er sie schützen wolle und verteidigen vor Gott und Welt.

Sekundenlang herrschte Schweigen. Nur hie und da ein keuchendes Atmen. Röhren war überrascht zurückgetreten und hatte die Arme langsam sinken lassen, während eine kleine Röte in sein Gesicht schoß. »Das wußt' ich ja,« sagte er dann.

Frau Trude stützte sich schwer auf ihr Kind. Jetzt zum erstenmal seit den letzten Minuten wagte sie Horst wieder voll ins Gesicht zu sehen. Aber sie hielt es nicht aus; die Augen bannten sie immer von neuem, diese Augen, die sie geliebt, diese Arme, die sich nach ihr gesehnt, diese Stimme, die nach ihr gerufen hatte.

Langsam glitten ihre Hände von dem Arm ihres Sohnes.

»Trude!« rief jetzt Röhren noch einmal.

Es überkam sie wie ein Taumel. Halb unbewußt trat sie einen Schritt vor, ihm entgegen, es zuckte in ihr und brauste, es schrie etwas in ihr, das sein Recht forderte.

Fritz sah, wie alles sie zu jenem Manne drängte. Von wilder Angst geschüttelt, rief er sie. Aber immer näher, wie ein Schmetterling, der dem Licht doch nicht entgeht, zog es sie zu Horst. Da warf er sich ihr in den Weg in letzter Verzweiflung, warf sich ihr zu Füßen und hob die Hände zu ihr empor. »Mutter!« schrie er ihr zu, »du darfst nicht! Meine beste, einzige Mutter – thu's doch nicht – bleib doch bei mir – denk doch an den Vater – ich hab' ja dann gar nichts mehr, keine Heimat, keine Mutter – nichts, gar nichts – und ich halt's ja nicht aus, wenn du's thust – ich geh' fort – Mutter, meine beste, einzige Mutter!«

Sie wich langsam zurück, sie beugte sich langsam herab zu ihrem Kinde.

Röhren hatte die Lippen fest zusammengepreßt und sah düsteren Blickes auf Fritz.

Noch einmal reckte er dann in jäher Entschlossenheit seine Gestalt empor, und über das Haupt des Knaben hinweg sagte er: »Ich frag' dich zum letztenmal, Trude, ob du mein sein willst. Hierher gehörst du, an meine Brust; hier ist dein Platz jetzt und für immer! Ich denke, wir zwei, du und ich, wir haben auch endlich mal ein Recht auf Glück.«

Er schwieg. Draußen rasselte eine Droschke vorüber und die Fenster klirrten. Kaum daß in diesem letzten bangen Schweigen vor der Entscheidung einer zu atmen wagte.

Horst blickte regungslos Frau Trude an und sie ihn. Und dann überkam sie ein Trotz und Rausch, der alle Dämme zerriß und allen Widerstand brach. Fast rauh machte sie sich von ihrem Sohn, der sie umklammert hielt, frei.

»Horst,« schrie sie aus, »ich kann nicht anders – Horst!«

Und halb besinnungslos lag sie in seinen Armen.

Fritz war totenbleich. Schwerfällig stand er auf. Die Augen groß und starr auf die Mutter geheftet, die sich eben jenem Fremden an den Hals geworfen, hielt er sich am Tisch aufrecht. Er konnte es noch gar nicht fassen, es verwirrte ihn. Nur so viel wußte er, daß jener Mann da ihn besiegt hatte, daß er ihr lieber war als das eigene Kind, daß er selber jetzt an zweiter Stelle stand. Es brach etwas in ihm – einen Moment taumelte alles vor seinen Blicken. Dann erinnerte er sich, daß er hier nichts mehr zu suchen hatte. Seine Heimat war verloren.

Noch immer schwerfällig und langsam, mit demselben bleichen Gesicht und den trockenen Augen, ging er nach der Thür. Als er die Klinke berührte, schreckte seine Mutter auf.

»Fritz!« rief sie angstvoll und flehend. Aber er wandte sich nicht einmal um.

Sie wollte ihm Nacheilen, ihn festhalten, ihn beschwören – zu spät. Die Thür schlug zu.

Es gab einen harten Klang.

*


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