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Tarzan rettet den Mond

Der Mond schien vom wolkenlosen Himmel herab. Ungeheuer und wie aufgeschwollen sah er aus und schien der Erde so nahe zu sein, daß man sich wunderte, daß er nicht die Kronen der Bäume streifte. Es war Nacht, und Tarzan war in der Dschungel unterwegs – Tarzan der Affenmensch, der mächtige Kämpfer und mächtige Jäger. Er konnte selbst nicht sagen, weshalb er sich durch die düsteren Schatten des dunklen Forstes dahinschwang. Hungrig war er nicht, denn er hatte heute wohl gespeist und sich noch die Überbleibsel seiner Beute in einem sicheren Versteck für die Befriedigung des nächsten Hungers aufgehoben. Vielleicht war es nur die Lebensfreude, die ihn antrieb, seine Muskeln und Sinne gegen die Dschungelnacht einzusetzen, aber außerdem wurde Tarzan stets und ständig von seinem gebieterischen Wissensdurst geleitet.

Das Dschungelreich, über das Kudu, die Sonne, regiert, ist grundverschieden von dem Goros, des Mondes. Bei Tage hat die Dschungel ihr eigenes Aussehen – ihre besonderen Licht- und Schattenseiten, besondere Vögel, besondere Blumen und Tiere, deren Stimmen den Lärm des Tages bilden. Aber Lichter und Schatten der nächtlichen Dschungel sind davon so verschieden, wie die Lichter und Schatten dieser Welt von denen einer anderen. Goros Tiere, Blumen und Vögel sind andere als die der Dschungel unter Kudu, der Sonne.

Tarzan liebte es, die Dschungel bei Nacht zu erforschen, weil er an diesen Unterschieden seine Freude hatte. Nicht nur anders geartet war dieses Leben, es war auch reicher an Zahl und Romantik. Es war auch reicher an Gefahren, und für Affentarzan bedeutete Gefahr die Würze des Lebens. Dazu waren die Laute der Dschungelnacht – das Brüllen des Löwen, der Schrei des Leoparden, das schauerliche Lachen Dangos, der Hyäne, Musik in den Ohren des Affenmenschen.

Die weichen Tritte unsichtbarer Füße, das Rascheln der Blätter und Gräser unter den Schritten der wilden Tiere, das Scheinen ihrer in der Finsternis fluoreszierend leuchtenden Augen, dazu die Millionen Laute eines durch Gehör und Geruch, aber selten durch das Auge wahrnehmbaren wimmelnden Lebens, all das bildete für Tarzan den besonderen Reiz der Dschungelnacht.

Heute nacht hatte er einen weiten Kreis geschlagen – erst hatte er sich nach Osten, dann nach Süden gewendet, und nun kam er im Bogen wieder nach Norden zurück. Seine Augen, seine Ohren und seine Nasenflügel waren stets auf der Hut. Unter die ihm bekannten Geräusche mischten sich fremde Töne – unheimliche Laute, die er nie vernahm, ehe nicht Kudu seinen Ruheplatz weit draußen am Rande des großen Wassers ausgesucht hatte – Laute, welche Goro, dem Monde, und den geheimnisvollen Stunden von Goros Herrschaft angehörten. Diese Töne veranlaßten Tarzan oft zu angestrengtem Nachsinnen. Sie verwirrten ihn, weil er seine Dschungel so genau zu kennen glaubte, daß es darin nichts ihm Fremdartiges geben konnte. Da Farben und Formen sich nachts von ihrem gewöhnlichen Aussehen bei Tage zu unterscheiden schienen, kam ihm manchmal der Gedanke, daß sich mit dem Untergange Kudus und mit Goros Erscheinen auch die Töne änderten, und solche Gedanken erweckten natürlich in seinem Kopfe die unklare Vermutung, daß vielleicht Goro und Kudu diese Änderungen hervorriefen. Was war danach natürlicher, als daß er der Sonne und dem Monde so gut wie sich selbst Persönlichkeit zuschrieb? Die Sonne war ein lebendes Wesen und herrschte am Tage. Der Mond, mit Verstand und wundersamen Kräften begabt, herrschte bei Nacht.

So arbeitete sein ungeschulter Menschenverstand und haschte in der dunklen Nacht der Unwissenheit nach einer Erklärung für Dinge, die er weder berühren, noch riechen oder hören konnte, und nach einer Auslegung der großen, unbekannten Naturkräfte, die er nicht sehen konnte.

Während sich Tarzan auf seinem Wege wieder nach Norden wendete, kam ihm eine mit dem scharfen Geruch von Holzfeuer vermischte Witterung von Gomangani in die Nase. Der Affenmensch wendete sich rasch nach der Richtung, aus der ihm der leichte Nachtwind die Witterung zugetragen hatte. Alsbald drang der rötliche Schein eines großen Feuers durch das Laubwerk zu ihm. Als Tarzan auf einem Baume in der Nähe anhielt, sah er einen Trupp von einem halben Dutzend Negern nahe um die Flammen gekauert. Offenbar war es eine Schar Jäger aus des Häuptlings Mbonga Dorf, die in der Dschungel von der Dunkelheit überrascht worden waren. Sie hatten im Kreise aus Dornengestrüpp eine Boma um sich gebaut, offenbar in der Hoffnung, mit Hilfe des Feuers die Angriffe der größeren Raubtiere abhalten zu können.

Daß diese Hoffnung nicht allzu stark war, zeigte die greifbare Angst, mit der sie sich zitternd und die Augen weit aufreißend zusammenkauerten, denn Numa und Gabor schlichen bereits ächzend durch die Dschungel auf sie zu. Auch noch andere Geschöpfe waren draußen im Schatten jenseits des Feuerscheins. Tarzan sah ihre gelben Augen glühen. Die Schwarzen sahen sie gleichfalls und schauderten. Dann erhob sich einer, riß einen brennenden Zweig aus dem Feuer und schleuderte ihn nach den Augen, die sofort erloschen. Der Schwarze hockte sich wieder zu Boden. Tarzan paßte scharf auf und bemerkte, daß es einige Minuten dauerte, ehe die Augen wieder zu zweien und zu vieren auftauchten.

Jetzt kamen Numa, der Löwe, und Gabor, seine Gefährtin, heran. Die übrigen Augen zerstreuten sich vor dem drohenden Knurren der großen Katzen nach rechts und links und die riesigen runden Lichter glühten allein aus der Finsternis. Einige der Schwarzen warfen sich jammernd auf das Gesicht, aber der eine, welcher schon vorher den brennenden Zweig geschleudert hatte, warf jetzt den hungrigen Löwen einen anderen gerade in das Gesicht und auch sie verschwanden, wie die kleineren Augen vor ihnen. Tarzan war voll gespanntester Aufmerksamkeit. Nun wußte er einen weiteren Grund, warum die Schwarzen nachts Feuer unterhielten – einen neuen Grund außer dem Zweck des Wärmens, Beleuchtens und Kochens. Die Dschungeltiere fürchteten sich vor dem Feuer, daher war das Feuer ein Schutz vor ihnen. Tarzan selbst hatte vor dem Feuer eine gewisse Scheu. Er hatte einmal, als er ein verlassenes Feuer im Dorfe der Schwarzen untersuchte, eine glühende Kohle aufgehoben. Seitdem hielt er sich stets in achtungsvoller Entfernung von solchen Feuern. Eine Erfahrung hatte ihm genügt.

Nachdem der Schwarze den Feuerbrand geschleudert hatte, ließen sich ein paar Minuten lang keine Augen sehen, aber Tarzan konnte überall in der Runde den Tritt weicher Pfoten hören. Dann flammten wieder die zwei Lichtpunkte auf, welche die Rückkehr des Gebieters der Dschungel anzeigten, und gleich darauf zeigten sich in etwas geringerer Höhe über dem Boden die Lichter seiner Gefährtin Sabor.

Einige Zeit blieben sie unbeweglich stehen – eine Konstellation wilder Sterne in der Dschungelnacht – dann bewegte sich das Löwenmännchen langsam auf die Boma zu, in der alle außer einem einzigen Schwarzen in zitternder Angst kauerten. Sobald dieser eine Wächter sah, daß Numa wieder nahte, warf er abermals einen Feuerbrand, vor dem Numa, der Löwe, wie zuvor mit der Löwin Sabor zurückwich, aber diesmal ließ er sich nicht für so lange Zeit abschrecken. Fast umgehend drehten sie sich wieder um und umkreisten mit stets auf das Feuer gerichteten Augen die Boma, während sie mit leisen, knurrenden Kehltönen ihr wachsendes Mißvergnügen bekundeten. Hinter den Löwen glühten die Flammenaugen ihrer kleineren Begleiter auf, bis die dunkle Dschungel um das Lager der Schwarzen rund herum mit kleinen glühenden Pünktchen besät schien.

Immer wieder schleuderte der schwarze Krieger seine armseligen Feuerbrände nach den zwei großen Katzen, aber Tarzan bemerkte, daß ihnen Numa nach anfänglichem Zurückweichen bald keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Der Affenmensch merkte an Numas Stimme, daß der Löwe hungrig war und vermutete, er sei entschlossen, sich die Gomangani zum Mahle zu holen; aber ob er es wagen würde, den gefürchteten Flammen noch näher zu kommen?

Eben als Tarzan darüber nachdachte, hielt der Löwe in seinem ruhelosen Wandern inne und wendete sich nach der Boma. Einen Augenblick stand er regungslos, nur der Schweif schlug in kurzem, nervösen Bogen hoch, dann schritt er überlegt vorwärts, während Gabor auf der Stelle, wo er sie gelassen hatte, rastlos hin und her ging. Der Schwarze schrie seinen Gefährten zu, daß der Löwe komme, aber sie waren bereits so sehr von der Angst gelähmt, daß sie sich nur noch enger zusammenkauerten und lauter als vorher jammerten.

Der Mann ergriff einen hellbrennenden Ast und schlug ihn dem Löwen mitten in das Gesicht. Einem zornigen Brüllen folgte ein rascher Sprung. Mit einem einzigen Satz nahm die Bestie die Umfriedigung der Boma, aber mit ebenso großer Gewandtheit sprang der Krieger auf der anderen Seite darüber hinaus und schnellte sich, der im Dunkel lauernden Gefahren nicht achtend, auf den nächsten Baum zu.

Numa war ebenso schnell, wie er hineingesprungen, wieder aus der Boma heraus; aber als er über den niedrigen Dornenwall zurücksprang, nahm er einen schreienden Neger mit sich. Langsam über den Boden schreitend schleppte er sein Opfer mit sich auf die ihm entgegenkommende Löwin Sabor zu, und die beiden schritten zusammen in die Dunkelheit hinein, während sich ihr wildes Knurren mit den durchdringenden Schreien des rettungslos verlorenen, entsetzten Mannes vermischte.

Die Löwen hielten in einiger Entfernung vom Feuer an, eine kurze Folge ungewöhnlich tückischen Knurrens und Brüllens war zu hören, währenddessen die Schreie und Jammerlaute des Schwarzen für immer verstummten.

Sogleich erschien Numa wieder im Lichte des Feuers, machte einen neuen Einfall in die Boma und wiederholte die vorausgegangene grausige Tragödie mit einem anderen heulenden Opfer.

Tarzan erhob sich und reckte sich träge. Die Unterhaltung begann ihn zu langweilen. Er gähnte und machte sich wieder weiter nach der Lichtung, an der seine Horde auf den umstehenden Bäumen schlief, auf den Weg.

Aber als er dann seine gewohnte Gabel aus Ästen ausgesucht und sich zum Schlummer zurechtgelegt hatte, wollte kein Schlaf kommen. Lange Zeit lag er wach, dachte nach und träumte. Er sah zum Himmel hinauf und musterte den Mond und die Sterne. Er fragte sich, wer sie wohl waren und welche Kraft sie vom Herunterfallen zurückhielt. Er war ein Geist, der allem auf den Grund ging. Immer steckte er voller Fragen, die die gesamten Vorgänge in seiner Umgebung betrafen, aber nie hatte ihm einer auf seine Fragen eine Antwort geben können. Als Kind hatte er nach Wissen verlangt, und da ihm jede Art Wissenschaft versagt blieb, war er als erwachsener Jüngling immer noch von der großen, unbefriedigten Neugierde eines Kindes erfüllt.

Er war nie völlig damit zufrieden, zu wissen, daß sich Dinge ereigneten – er wünschte zu wissen, warum sie sich ereigneten. Das Geheimnis des Lebens zwang ihm unermeßliches Interesse ab, das Wunder des Todes konnte er nicht völlig erfassen. Bei unzähligen Gelegenheiten hatte er den inneren Mechanismus der von ihm erlegten Tiere untersucht, und ein- oder zweimal hatte er sogar die Brusthöhle seines Opfers so rasch geöffnet, daß er das Herz noch schlagen sah.

Er hatte durch Erfahrung gelernt, daß ein Messerstich durch dies Organ in neun von zehn Fällen unmittelbaren Tod brachte, während er einen Gegner an anderen Stellen unzählige Male stechen konnte, ohne ihn auch nur kampfunfähig zu machen. Und so kam er dazu, das Herz, oder wie er es nannte, »das rote Ding, das atmet« für den Sitz und den Ursprung des Lebens anzusehen.

Das Gehirn und sein Arbeiten konnte er nicht im mindesten verstehen. Daß seine sinnlichen Wahrnehmungen nach dem Gehirn übertragen und dort übersetzt, eingereiht und bezettelt wurden, ging vollkommen über seine Begriffe. Er meinte, daß seine Finger es wußten, wenn sie etwas berührten, daß seine Augen verstanden, was sie sahen, daß seine Ohren wußten, was sie hörten und seine Nase, was sie roch.

Den Hals, die Haut und die Haare auf seinem Kopfe betrachtete er als die drei Hauptsitze der Gefühlsbewegung. Als Kala getötet worden war, hatte er ein eigentümlich würgendes Gefühl in der Kehle verspürt. Eine Berührung mit Histah, der Schlange, löste an seinem ganzen Körper ein unangenehmes Gefühl auf der Haut aus. Bei der Annäherung eines Gegners sträubten sich ihm die Haare auf dem Kopfe.

Man stelle sich ein Kind vor, das von Bewunderung der Natur erfüllt, voller Fragen steckte und nur von Dschungelgeschöpfen umgeben war, denen seine Fragen so unverständlich waren wie Sanskrit. Wenn er Gunto fragte, wer regnen ließ, starrte ihn der große, alte Affe einen Augenblick vor Erstaunen wie versteinert an und wandte sich dann wieder seiner anregenden und erbaulichen Flohjagd zu. Und wenn er Mumga, die sehr alt war und weise hätte sein sollen, es aber nicht war, nach dem Grunde fragte, aus dem manche Blumen die Kelche schlossen, sobald Kudu den Himmel verlassen hatte, während andere erst in der Nacht aufgingen, dann stellte er zu seiner Überraschung fest, daß Mumga diese interessanten Tatsachen noch nie bemerkt hatte, obgleich sie auf Fingerbreite sagen konnte, wo sich die fettesten Larven verborgen hielten.

Für Tarzan waren alle diese Dinge Wunder. Sie wendeten sich an seinen Verstand und an seine Einbildungskraft. Er sah die Blumen sich schließen und wieder öffnen, er sah, wie manche Blüten ihr Antlitz stets der Sonne zugekehrt hielten, er sah Blätter, welche sich, ohne daß ein Wind ging, bewegten, und er sah Weinranken gleich Lebewesen an den Bäumen hinauf und über deren Zweige klettern. Für Affen-Tarzan waren die Blumen, die Ranken und die Bäume lebende Geschöpfe, mit denen er oft sprach wie mit Goro, dem Mond, und Kudu, der Sonne; aber er war immer enttäuscht, daß sie nicht antworteten. er stellte ihnen Fragen, aber sie konnten ihm keine Erwiderung geben, obgleich er wußte, daß das Rascheln der Blätter deren Sprache war – sie redeten mit einander.

Den Wind schrieb er den Bäumen und dem Grase zu. Er dachte, daß sie sich hin- und herschwenkten und dadurch den Wind hervorriefen. Auf keine andere Weise konnte er sich diese Erscheinung erklären. Den Regen schließlich führte er auf Sonne, Mond und Sterne zurück, aber seine darüber aufgestellte Vermutung war nicht gerade besonders lieblich und poetisch.

Als Tarzan in dieser Nacht nachdenklich wach lag, fiel seinem erfindungsreichen Gehirn eine Erklärung für Mond und Sterne ein. Er wurde darüber ganz aufgeregt. Taug schlief auf einer Baumgabel gleich nebenan. Tarzan schwang sich neben ihn.

Taug! rief er. Im Nu war der große Affe wach und sträubte, hinter dem nächtlichen Anruf Gefahr vermutend, die Haare. Schau, Taug, rief Tarzan, auf die Sterne deutend. Siehst du die Augen von Numa und Sabor, von Sheeta und Dango? Sie sind rund um Goro auf der Lauer, um auf ihn zu springen und ihn zu ihrer Beute zu machen. Sieh die Augen, die Nase und den Mund von Goro! Und das Licht, welches auf sein Gesicht scheint, ist das Licht des großen Feuers, das er auf. gebaut hat, um Numa und Sabor und Sheeta und Dango fortzuscheuchen.

Um ihn herum sind lauter Augen, Taug, du kannst sie sehen! Aber sie kommen dem Feuer nicht sehr nahe – nur wenige Augen sind Goro nahe. Sie scheuen sich vor dem Feuer. Das Feuer beschützt Goro vor Numa. Siehst du sie, Taug? Eines Nachts wird Numa sehr hungrig und sehr böse sein – dann wird er über die Dornbüsche springen, die Goro umgeben, und wir werden kein Licht mehr haben, wenn Kudu sein Lager aufsucht – dann wird die Nacht immer so schwarz sein, wie wenn Goro zu Zeiten faul ist und bis spät in die Nacht hinein schläft oder wenn er bei Tag durch den Himmel wandert und die Dschungel und ihre Bewohner vergißt.

Taug sah dumm erst den Himmel an und dann Tarzan. Ein fallender Meteor zeichnete seinen flammenden Weg über den Himmel.

Schau! schrie Tarzan. Goro hat einen brennenden Zweig nach Numa geschleudert.

Tang brummte. Numa ist hier unten, sagte er. Numa jagt nicht da oben über den Bäumen. Aber er sah neugierig und ein wenig furchtsam hinauf nach den hellen Sternen, als ob er sie das erstemal sehe, und zweifellos bemerkte Taug zum allererstenmal die Sterne, obgleich sie jede Nacht seines Lebens über ihm am Himmel geschienen hatten. Für Taug bedeuteten sie ebensoviel wie die prachtvollen Dschungelblumen – da er sie nicht fressen konnte, übersah er sie.

Taug rutschte unruhig hin und her und wurde nervös. Lange Zeit lag er schlaflos und sah nach den Sternen – den glühenden Augen der Raubtiere, die Goro umgaben, Goro, den Mond, bei dessen Licht die Affen zum Klang ihrer tönernen Trommeln tanzten. Wenn Goro von Numa aufgefressen wurde, war es mit dem Dum-Dum vorbei. Taug fühlte sich von diesem Gedanken ganz überwältigt. Halb ängstlich sah er nach Tarzan hin. Warum war sein Freund grundverschieden von den übrigen Mitgliedern der Horde? Keiner sonst, den Taug kannte, hatte solch merkwürdige Gedanken wie Tarzan. Der Affe kratzte sich am Kopfe und fragte sich ganz im stillen, ob Tarzan überhaupt ein empfehlenswerter Gefährte war, aber dann kam er langsam und im Verlaufe eines schwierigen Denkprozesses dahinter, daß ihm Tarzan bessere Dienste geleistet hatte, als jeder andere der Affen, bessere selbst, als die starken und weisen Bullen des Stammes.

Tarzan hatte ihn an demselben Tage aus den Händen der Schwarzen befreit, an dem Taug glaubte, Tarzan wolle Teeka haben. Tarzan hatte Taugs kleines Balu vom Tode gerettet, und Tarzan war es gewesen, der den Plan zur Verfolgung von Teekas Entführer und zur Wiedergewinnung der Geraubten entworfen und ausgeführt hatte. Tarzan hatte so oft schon in Taugs Interesse gekämpft und geblutet, daß Taug, wenn er auch nur ein brutaler Affe war, doch in seinem Herzen eine feurige Ergebenheit fühlte, die nichts zum Wanken bringen konnte – seine Freundschaft für Tarzan war eine feste Gewohnheit, beinahe eine Überlieferung geworden, die bestehen blieb, solange Taug bestand. Er trug diese Zuneigung niemals äußerlich zur Schau – er knurrte Tarzan wie jeden anderen Bullen an, wenn ihm dieser bei der Suche nach Futter zu nahe kam – aber dennoch wäre er für Tarzan in den Tod gegangen. Das wußte er und Tarzan wußte es gleichfalls; aber Affen reden über solche Dinge nicht – soweit es sich um höhere Gefühle handelt, besteht ihr Sprachschatz nicht aus Worten, sondern aus Taten. Aber jetzt war Taug doch verwirrt und dachte beim Wiedereinschlafen immer noch an die merkwürdigen Worte seines Gefährten.

Am folgenden Tage mußte er wieder daran denken und erzählte, ohne dabei an Verräterei zu denken, Gunto, was ihm Tarzan über die Goro umgebenden Augen gesagt hatte und über die Möglichkeit, daß Numa früher oder später Goro angreifen und fressen werde. Für die Affen sind alle großen Dinge, die in der Natur vorkommen, männlichen Geschlechtes, daher war auch Goro als das größte Wesen am Nachthimmel für sie ein Bulle.

Gunto biß sich einen Hautfetzen von einem seiner hornigen Finger und erinnerte sich daran, daß Tarzan einmal behauptet hatte, die Bäume sprächen miteinander. Gozan seinerseits erzählte, er habe gesehen, wie Tarzan allein im Mondlicht mit Sheeta, dem Leoparden, tanzte. Daß Tarzan die wilde Bestie mit seinem Seil gefangen und an einem Baume angebunden hatte, ehe er auf den Boden herunterkam und die sich auf die Hinterbeine stellende Katze umsprang, um sie zu ärgern, wußten sie natürlich nicht.

Andere sprachen davon, sie hätten Tarzan auf dem Rücken Tantors, des Elefanten, reiten sehen, sie erinnerten daran, wie Tarzan den Negerjungen mit zum Stamm gebracht hatte, sie sprachen über die geheimnisvollen Dinge, mit denen er in seinem merkwürdigen Aufenthaltsort an der See umging. Sie hatten sich nie von seinen Büchern einen Begriff machen können. Ein- oder zweimal hatte er sie einigen von ihnen gezeigt und gefunden, daß selbst die Bilder auf deren Gehirn keinen Eindruck machten. Da hatte er es aufgegeben.

Tarzan ist kein Affe, sagte Gunto. Er wird Numa verleiten, uns zu fressen, wie er ihn jetzt dazu bringt, Goro zu verzehren. Wir sollten ihn töten.

Sofort sträubten sich Taugs Haare. Tarzan töten! Erst mußt du Taug töten, sagte er und trollte sich hinweg, um sich seine Nahrung zu suchen. Aber andere schlossen sich den Verschwörern an. Sie dachten an die vielen Dinge, die Tarzan schon getan hatte – Dinge, die kein Affe tat oder verstehen konnte. Wieder tat Gunto seine Meinung dahin kund, daß der Tarmangani, der weiße Affe, erschlagen werden müsse, und die anderen, welche die vernommenen Geschichten mit Schrecken erfüllten, dachten, Tarzan plane wirklich die Ermordung Goros und begrüßten den Vorschlag mit beifälligem Knurren.

Unter ihnen befand sich auch die angespannt lauschende Teeka, aber sie erhob ihre Stimme nicht zur Förderung des Planes. Sie sträubte die Haare, zeigte die Fänge und begab sich später auf die Suche nach Tarzan. Da sie ihn aber nicht finden konnte, weil er weit fort auf der Jagd nach Fleisch war, suchte sie Taug auf und erzählte ihm von dem Vorhaben der anderen. Der große Bulle stampfte auf den Boden und brüllte. Seine blutunterlaufenen Augen schossen vor Grimm Blitze, die Oberlippe zog sich hoch, um die Fangzähne zu zeigen, das Haar auf seinem Rückgrat sträubte sich und – dann huschte ein kleines Kriechtier über die Lichtung und Taug sprang hinterher, um es zu haschen. Im gleichen Augenblick schien er seinen Zorn gegen die Feinde seines Freundes vergessen zu haben. Aber das Affengehirn ist nun einmal so.

In einigen Meilen Entfernung lag Tarzan müßig auf dem breiten Kopf Tantors, des Elefanten. Er kratzte ihn mit seinem spitzen Stöckchen hinter den großen Ohren und erzählte dem ungeheuren Dickhäuter von allem, was seinen Kopf unter dem schwarzen Haarbusch erfüllte. Tantor verstand wenig oder nichts von dem, was ihm erzählt wurde, aber Tantor ist ein guter Zuhörer. Von einer Seite zur anderen sich wiegend stand er, freute sich über die Gesellschaft seines Freundes, den er so liebte, und ließ das angenehme Gefühl des Kratzens über sich ergehen.

Numa, der Löwe, nahm die Witterung des Menschen auf und beschlich ihn vorsichtig, bis er seine Beute hoch oben auf dem Kopfe des mächtigen Elefanten mit den großen Stoßzähnen erblickte; knurrend und brummend wendete er sich ab und suchte günstigere Jagdgründe auf.

Der Elefant bekam die von einem Wirbelwind ihm zugetragene Witterung des Löwen und erhob laut trompetend seinen Rüssel. Tarzan legte sich behaglich herum und lag langausgestreckt auf seinem Rücken auf der rauhen Haut. Die Fliegen schwärmten ihm um das Gesicht, aber mit dem abgerissenen Zweige eines Laubbaumes wehrte er sie träge ab.

Tantor, sagte er, das Leben ist schön. Es ruht sich gut im kühlen Schatten. Es ist gut, in die grünen Schatten zu blicken, es ist gut, die grünen Bäume und die leuchtenden Farben der Blumen zu sehen – zu sehen, was uns Bulamutumumo hier gegeben hat. Er ist sehr gut zu uns, Tantor. Dir gibt er die zarten Blätter und die Rinde und das üppige Gras zu fressen, mir hat er Vara, Horta, Pisah, die Früchte, Nüsse und Wurzeln gegeben. Er besorgt für jeden das Mahl, das ihm am liebsten ist. Alles, was er von uns verlangt, ist, daß wir stark und klug genug sind, hinzugehen und es uns zu nehmen. Ja, Tantor, es ist eine Lust zu leben. Ich möchte nicht gerne sterben. Tantor ließ ein kleines Geräusch in seiner Kehle hören und wand seinen Rüssel empor, um mit den Fingermuskeln an der Spitze des Affenmenschen Wange zu streicheln.

Tantor, sagte Tarzan nun, kehre um und suche dein Futter in der Richtung auf den Stamm Kerschaks, des großen Affen, damit Tarzan auf deinem Kopfe hinreiten kann, ohne laufen zu müssen.

Der Elefant drehte sich um und bewegte sich langsam eine breite, baumbeschattete Fährte entlang, während er ab und zu Halt machte, um gelegentlich einen zarten Zweig zu pflücken oder von einem benachbarten Baume ein Stück eßbare Rinde abzuschälen. Tarzan drehte sich wieder herum, so daß sein Gesicht nach dem Kopf des Tieres sah, ließ seine Beine auf beiden Seiten des Rückens herunterhängen, stützte die Ellenbogen auf den breiten Schädel und legte sein Kinn auf seine Handflächen. So verfolgten sie beide behaglich ihren Weg nach dem Aufenthaltsorte des Stammes.

Gerade einen Augenblick, ehe sie die Lichtung von Norden her erreichten, trat eine andere Gestalt von Süden kommend auf sie heraus – ein wohlgebauter schwarzer Krieger, der vorsichtig durch die Dschungel schritt und mit jedem Sinne gegen die vielen überall im Wege lauernden Gefahren auf der Hut war. Aber nun schritt er unter dem südlichsten Posten durch, der auf einem Baume saß, von dem aus er die von Süden kommende Fährte übersehen konnte. Der Affe ließ den Gomangani unbelästigt passieren, denn er sah, daß dieser allein war; aber sobald der Krieger die Lichtung betrat, erscholl hinter ihm ein lautes »Kreeg-ah!« dem sofort ein Chor Antworten aus verschiedenen Richtungen folgte, als die großen Bullen krachend durch die Bäume herankamen, um dem Ruf ihres Genossen Folge zu leisten.

Der Neger hielt beim ersten Schrei an und sah sich um. Er konnte nichts sehen, aber er kannte die Stimmen der behaarten Baummenschen, die er und seine Genossen nicht allein wegen der Stärke und Wildheit der grimmigen Wesen fürchteten, sondern auch weil sie ein abergläubischer Schrecken vor der menschenähnlichen Erscheinung der Affen befiel.

Aber Bulabantu war kein Feigling. Er hörte die Affen rundherum und wußte, daß Flucht wahrscheinlich unmöglich war, darum hielt er stand, nahm seinen Speer wurfbereit in die Hand und ließ seinen Kriegsruf ertönen. Er wollte sein Leben teuer verkaufen, das wollte er, er Bulabantu, Unterhäuptling aus des Häuptlings Mbonga Dorf.

Tarzan und Tantor waren nicht mehr weit entfernt, als der erste Schrei des Wachpostens durch die ruhige Dschungel scholl. Wie ein Blitz sprang der Affenmensch vom Rücken des Elefanten auf den nächsten Baum und schwang sich rasch auf die Lichtung zu, ehe noch die Echos des ersten »Kreeg-ah!« erstorben waren. Bei seiner Ankunft sah er, wie ein Dutzend Affenbullen einen einzelnen Gomangani umstanden. Mit einem Schrei, der das Blut erstarren machen konnte, sprang Tarzan zum Angriff vor. Er haßte die Schwarzen noch grimmiger, als es selbst die Affen taten, und hier war wieder eine Gelegenheit, einen davon auf freiem Felde umzubringen. Was hatte der Gomangani getan? Hatte er einen vom Stamme getötet?

Tarzan fragte den nächsten Affen. Nein, der Gomangani hatte niemand etwas getan. Gozan war auf Wache, hatte ihn durch den Wald kommen sehen und die Horde gewarnt – das war alles. Der Affenmensch drängte sich durch den Ring der Bullen, von denen sich bis jetzt noch keiner in genügende Wut hineingearbeitet hatte, um zum Angriff überzugehen, und bekam nun den Schwarzen aus nächster Nähe richtig zu Gesicht. Er erkannte den Mann sofort wieder. Erst die Nacht zuvor hatte er ihn beobachtet, wie er den im Dunkel drohenden Augen getrotzt hatte, während seine Gefährten sich im Staube vor seinen Füßen wälzten, weil sie sogar zu ihrer eigenen Verteidigung zu erschreckt waren. Dieser war ein tapferer Mann, und für Tapferkeit hatte Tarzan die höchste Bewunderung. Selbst sein leidenschaftliches Haßgefühl war nicht so stark als seine Vorliebe für Mut. Er würde jederzeit wohlgemut sich in einen Kampf mit einem schwarzen Krieger gestürzt haben, aber diesen einen hier wollte er nicht töten – er fühlte unklar, daß dieser Mann durch seine mutige Gegenwehr in der vergangenen Nacht sich sein Leben verdient hatte, und außerdem mißfiel es ihm, daß eine so große Übermacht gegen einen einzelnen Krieger eingesetzt war.

Er wandte sich zu dem Affen. Geht und sucht weiter eure Nahrung, sagte er. Laßt diesen Gomangani in Frieden seines Weges ziehen. Er hat uns nichts getan, und letzte Nacht sah ich, wie er allein in der Dschungel Numa und Gabor mit Feuer bekämpfte. Er ist tapfer. Warum sollen wir einen töten, der tapfer ist und uns nicht angegriffen hat? Laßt ihn gehen.

Die Affen knurrten. Sie waren mißvergnügt. Tötet den Gomangani! schrie einer.

Ja, brüllte ein anderer. Tötet den Gomangani und den Tarmangani dazu!

Tötet den weißen Affen! kreischte Gozan. Er ist überhaupt gar kein Affe, sondern nur ein Gomangani, dem das Fell abgezogen ist.

Tötet Tarzan! bellte Gunto. Tod! Tod! Tod!

Die Affen tobten sich nun allmählich in eine zum Gemetzel führende Raserei hinein, aber ihr Groll richtete sich weniger gegen den Neger als gegen Tarzan. Eine zottige Gestalt drängte sich durch sie hindurch und schleuderte die mit ihr in Berührung Kommenden beiseite, wie wenn ein erwachsener Mann kleine Kinder auseinandertreibt. Es war Taug – der riesige, grimmige Taug.

Wer sagt hier »Tötet Tarzan«? fragte er. Wer Tarzan töten will, muß auch Taug töten. Wer kann hier Taug töten? Taug wird euch die Eingeweide herausreißen und Dango damit füttern.

Wir können euch alle töten, erwiderte Gunto. Wir sind viele und ihr seid nur wenige. Und damit hatte er recht. Tarzan wußte, daß er recht hatte. Taug wußte es auch. Aber keiner von beiden hätte das zugegeben. Das ist nicht die Art der Affenbullen.

Ich bin Tarzan, schrie der Affenmensch. Ich bin Tarzan, der mächtige Jäger, der mächtige Kämpfer. In der ganzen Dschungel ist keiner so groß wie Tarzan. Einer nach dem anderen zählten nun auch die gegnerischen Bullen ihre Tugenden und Fähigkeiten auf. Und während der ganzen Zeit kamen sich die kämpfenden Parteien näher und näher. So bringen sich die Bullen erst in die richtige Stimmung, ehe sie den Kampf beginnen.

Gunto kam steifbeinig auf Tarzan zu und beschnüffelte ihn mit fletschenden Zähnen. Tarzan ließ ein leises, drohendes Knurren hören. Diese Taktik würden sie vielleicht ein dutzendmal wiederholen, aber früher oder später würde einer mit dem anderen handgemein werden und dann würde das ganze scheußliche Pack das Opfer zerfleischen und zerreißen.

Bulabantu, der Neger, stand mit vor Verwunderung weit aufgerissenen Augen da, seit er Tarzan hatte durch die Affen herankommen sehen. Er hatte viel von diesem Teufelsgott, der mit dem behaarten Baumvolk zusammen leben sollte, sagen hören, aber er hatte ihn noch nie zuvor im hellen Tageslicht erblickt. Nach der Beschreibung derer, die ihn gesehen hatten und von den paar kurzen Blicken, die er auf ihn bei den verschiedenen Gelegenheiten gehabt hatte, wenn der Affenmensch bei Nacht des Häuptlings Mbonga Dorf zu Plünderungen oder in Verfolgung eines seiner zahlreichen gespenstigen Streiche betreten hatte, erkannte er ihn gut genug.

Natürlich konnte Bulabantu nichts von dem, was zwischen Tarzan und den Affen vorging, verstehen, aber er merkte, daß der Affenmensch und einer der größeren Bullen den übrigen Vorstellungen machten. Er sah, daß diese zwei mit dem Rücken nach ihm zwischen ihm und dem Reste der Horde standen, und vermutete, so unwahrscheinlich es auch schien, daß sie ihn verteidigen wollten. Er wußte, daß Tarzan einst dem Häuptling Mbonga das Leben geschenkt hatte, und daß er Tibo und Tibos Mutter, Momaya, zu Hilfe gekommen war. Es war daher nicht ausgeschlossen, daß er Bulabantu helfen würde; aber wie er das machen sollte, konnte Bulabantu nicht wissen; und Tarzan selbst wußte in der Tat auch nicht, wie er es machen sollte, denn die Übermacht der Gegner war zu groß.

Gunto und die übrigen drängten Tarzan und Taug langsam auf Bulabantu zurück. Der Affenmensch dachte an die Worte, die er kurz zuvor zu Tantor gesagt hatte: »Ja, Tantor, das Leben ist schön. Ich möchte nicht gerne sterben.« Und nun wußte er, daß es zum Sterben kam, denn die Wut der großen Bullen gegen ihn steigerte sich rasch. Immer hatten ihn viele von ihnen gehaßt und alle hatten gegen ihn Argwohn. Sie wußten, daß er etwas anderes war. Tarzan wußte das selbst und war froh, daß es der Fall war – er war ein Mensch, soviel hatte er aus seinem Bilderbuch ersehen, und er war stolz auf diesen Unterschied. Jetzt würde er allerdings bald ein toter Mensch sein.

Gunto bereitete sich zum Angriff vor. Tarzan kannte die Anzeichen dafür. Er wußte, daß die übrigen Bullen mit Gunto zusammen auf ihn stürzen würden. Dann war es gleich zu Ende. Irgend etwas drüben hinter dem Grün auf der anderen Seite der Lichtung bewegte sich. Tarzan sah es gerade in dem Augenblick, als Gunto mit dem schrecklichen Angriffsschrei der Affen vorwärts sprang. Tarzan stieß einen eigentümlichen Ruf aus und bückte sich, um dem Angriff zu begegnen. Taug bückte sich desgleichen, und Bulabantu, nunmehr sicher, daß diese beiden auf seiner Seite kämpften, legte seinen Speer ein und sprang zwischen sie, um den ersten Angriff des Feindes aufzunehmen.

Mit einem Male brach aus der Dschungel hinter den anstürmenden Affenbullen eine ungeheure Masse auf die Lichtung heraus. Der Trompetenton eines wütenden Elefanten übertönte schrill die Schreie der Menschenaffen, und Tantor, der Elefant, stürzte wie der Blitz über die offene Lichtung, um seinem Freunde zu Hilfe zu kommen.

Gunto kam mit dem Affenmenschen nicht mehr zum Handgemenge, und auch nicht ein Reißzahn packte auf einer der beiden Parteien in das Fleisch. Das fürchterliche Dröhnen von Tantors Kampfruf jagte die Bullen in regelloser Flucht auf die Bäume, auf denen sie dann zu schelten und zu schnattern begannen. Auch Taug riß mit ihnen zusammen aus. Nur Tarzan und Bulabantu blieben. Der letztere hielt aus, weil er sah, daß der Teufelsgott nicht fortrannte, und weil er den Mut hatte, an der Seite dessen, der ganz augenscheinlich um seinetwillen dem Tode getrotzt hatte, einem sicheren und schrecklichen Ende entgegenzusehen.

Aber der Gomangani sah zu seiner größten Überraschung, wie der mächtige Elefant vor dem Affenmenschen plötzlich anhielt und ihn mit seinem langen, geschmeidigen Rüssel liebkoste.

Tarzan wendete sich zu dem Schwarzen. Geh! sagte er in der Affensprache und wies in die Richtung nach Mbongas Dorf. Wenn auch Bulabantu die Motte nicht verstand, die Geste verstand er gut genug und gehorchte, ohne Zeit zu verlieren. Tarzan sah ihm nach, bis er verschwunden war. Er wußte bestimmt, daß ihn die Affen nicht verfolgen würden. Dann sagte er zu dem Elefanten: Nimm mich auf! und der Elefant schwang ihn wie eine Feder auf seinen Kopf.

Tarzan begibt sich zu seiner Behausung bei dem großen Wasser, rief der Affenmensch den auf den Bäumen hockenden Affen zu. Ihr seid alle viel närrischer als Manu, ausgenommen Taug. Taug und Teeka dürfen Tarzan besuchen, aber die anderen sollen sich fernhatten. Tarzan ist fertig mit Kerschaks Stamm.

Er spornte Tantor mit einer lederharten Zehe, und das große Tier schritt über die Lichtung davon, während die Affen ihnen nachsahen, bis die Dschungel die beiden verschlang.

Noch vor Sonnenuntergang brach Taug mit Gunto wegen dessen Angriff auf Tarzan einen Streit vom Zaune und tötete ihn.

Einen vollen Monat lang sah die Horde nichts von Tarzan. Wahrscheinlich dachten viele überhaupt nicht an ihn. Aber einige gab es, die ihn mehr vermißten als er ahnen konnte. Taug und Teeka wünschten oft, daß er zurück wäre, und Taug beschloß wohl ein dutzendmal, sich aufzumachen und Tarzan in seiner Strandbehausung einen Besuch zu machen. Aber jedesmal kam ihm das Eine oder das Andere dazwischen.

Eines Nachts lag Taug, ohne einschlafen zu können, sah zum gestirnten Himmel hinauf und erinnerte sich an die merkwürdigen Dinge, welche ihm Tarzan einst erklärt hatte – daß die hellen Punkte die Augen der Fleischfresser seien, die im Dunkel der Himmelsdschungel auf der Lauer lägen, um sich auf Goro, den Mond, zu stürzen und ihn zu verschlingen. Je länger er über diese Sache nachdachte, desto verwirrter wurde er.

Und in diesem Augenblick ereignete sich etwas Merkwürdiges. Eben als Taug nach dem Mond schaute, sah er einen Teil desselben auf einer Seite verschwinden, gerade als ob etwas daran herumbiß. Größer und größer wurde das Loch in Goros Seite. Mit einem Schrei sprang Taug auf. Seine wahnsinnigen »Kreeg-ahs!« brachten die erschreckte Horde schreiend und schnatternd zu ihm hin.

Schaut! schrie Taug, auf den Mond deutend. Seht ihr, es ist wie Tarzan gesagt hat. Numa ist durch die Bäume gesprungen und will Goro fressen. Ihr habt Tarzan Schimpfnamen gegeben und ihn aus dem Stamme vertrieben. Jetzt könnt ihr sehen, wie weise er war. Jetzt soll doch einer von denen, die Tarzan hassen, Goro zu Hilfe kommen! Seht die Augen rund herum in der dunklen Dschungel, wie sie alle auf Goro lauern! Er ist in Gefahr und keiner kann ihm helfen – keiner außer Tarzan. Bald wird Goro von Numa ganz verschlungen sein, und dann haben wir kein Licht mehr, wenn Kudu sein Lager ausgesucht hat. Wie sollen wir ohne das Licht Goros Dum-Dum tanzen?

Die Affen zitterten und winselten. Jegliche Äußerung von Naturkräften erfüllte sie mit Schrecken, weil sie diese nie verstehen konnten.

Gehe und bringe Tarzan her, rief einer und alsbald erhoben sie einstimmig den Schrei: Tarzan! Bringt Tarzan! Er wird Goro retten! Aber wer sollte durch die dunkle Dschungel bei Nacht hineilen und ihn holen?

Ich will gehen, erbot sich Taug und war gleich darauf durch das stygische Düster nach dem kleinen Hafen an der See auf dem Wege.

Während die Horde wartete, beobachteten die Affen, wie der Mond langsam verschlungen wurde. Schon hatte Numa ein großes, halbkreisförmiges Stück herausgefressen. Jedenfalls war Goro völlig verschwunden, ehe Kudu wieder kam. Die Affen zitterten bei dem Gedanken, die Nacht könnte immer in völlige Dunkelheit getaucht sein. Sie konnten nicht weiterschlafen. Ruhelos kletterten sie auf den Zweigen dahin und dorthin, bewachten den himmlischen Numa bei seinem tödlichen Mahle und lauschten, ob Taug nicht bald mit Tarzan kam. Als Goro beinahe verschwunden war, hörten die Affen die zwei Erwarteten durch die Bäume herankommen und gleich darauf schwang sich Tarzan, dem Taug folgte, in der Nähe auf einen Baum.

Der Affenmensch verlor seine Zeit nicht mit müßigen Worten. Seinen langen Bogen hielt er in der Hand und auf dem Rücken hing sein Köcher voll vergifteter Pfeile – Pfeile, die er aus dem Dorfe der Schwarzen gestohlen hatte, gerade so wie er auch den Bogen dort entwendete.

Hinauf auf einen Baum, höher und höher, kletterte er, bis er federnd auf einem schwachen Zweig stand, der sich unter seinem Gewicht herunterbog. Von hier hatte er klaren und ungehinderten Überblick über den Himmel. Er sah Goro und sah, welche Bissen der hungrige Numa bereits aus der leuchtenden Fläche herausgeholt hatte.

Tarzan hob sein Antlitz zum Monde empor und sandte schrill seinen fürchterlichen Kampfruf hinauf. Schwach und weit aus der Ferne kam als Antwort das Brüllen eines Löwen. Die Affen erschauerten. Der Numa im Himmel hatte Tarzan geantwortet.

Nun legte Tarzan einen Pfeil auf seinen Bogen, zog den Schaft weit zurück und zielte mit der Spitze nach der Stelle, wo sich das Herz des Numa, der im Himmel lag und Goro verschlang, befinden mußte. Mit lautem, hellem Klang schoß der losgelassene Pfeil in den dunklen Himmel hinein. Wieder und wieder schoß Affentarzan seine Pfeile auf Numa ab, und die ganze Zeit über kauerten sich die Affen von Kerschaks Horde schreckensbange zusammen.

Schließlich stieß Taug einen Schrei aus. Schaut, schaut! rief er. Numa ist tot. Tarzan hat Numa getötet! Seht! Goro kommt aus Numas Magen heraus. Und sicher genug tauchte der Mond allmählich wieder auf aus dem, was ihn verschlungen hatte, ob es nun Numa, der Löwe, oder der Erdschatten gewesen war. Wer aber versucht hätte, den Affen von Kerschaks Horde klar zu machen, daß es nicht Numa war, der in jener Nacht Goro beinahe verzehrt hätte, oder daß ein anderer als Tarzan den leuchtenden Gott ihrer grimmen und geheimnisvollen Gebräuche von einem furchtbaren Tode errettet hatte, der würde Schwierigkeiten bekommen haben, ja er hätte sich auf einen Kampf mit ihnen gefaßt machen müssen.

Auf diese Art kam Affentarzan wieder zum Stamm Kerschaks zurück und tat mit seiner Rückkehr einen großen Schritt vorwärts nach der Königswürde, die er schließlich errang, denn von nun an sahen die Affen zu ihm wie zu einem höheren Wesen auf.

Im ganzen Stamme gab es nur einen einzigen, welcher der Glaubwürdigkeit von Tarzans bemerkenswerter Rettung des Mondes etwas zweifelnd gegenüberstand, und dieser eine war, so merkwürdig es scheinen mag, Affentarzan selbst.

 

*

 

Als weiterer Band dieser spannenden Wildnis-Geschichten wird erscheinen:

Tarzans Schatz von Opar

Neue hochinteressante Erlebnisse!

 


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