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Tarzans Gott

Tarzan hatte in der kleinen Hütte in den Büchern seines toten Vaters manche Dinge gefunden, die seinen jungen Kopf in Verlegenheit brachten. Nach vieler Anstrengung und wohl auch durch unendliche Geduld hatte er ohne jede Hilfe den Zweck der kleinen Käfer herausgefunden, die in solcher Unzahl über die gedruckten Seiten liefen. Er hatte zu verstehen gelernt, daß sie in den vielen Zusammenstellungen, in denen sie vorkamen, eine fremde Zunge sprachen und von wundervollen Dingen erzählten, die ein weltfremder Affenjunge keinesfalls völlig verstehen konnte, Dingen, welche seine Wißbegier erregten, seine Einbildungskraft arbeiten ließen und seine Seele mit einem mächtigen Sehnen nach weiterem Wissen erfüllten.

Ein Lexikon hatte sich als ein wundervoller Schatz der Belehrung erwiesen, als er nach mehreren Jahren unermüdlicher Anstrengung das Rätsel seines Zweckes und Gebrauches gelöst hatte. Er machte eine richtige Art Jagd daraus, der Spur eines neuen Gedankens durch das Gewirr der vielen Begriffsbestimmungen zu folgen, deren Erforschung jedes neue Wort nötig machte. Es glich der Verfolgung einer Beute durch die Dschungel – es war Jagd und Affentarzan war ein unermüdlicher Jäger.

Natürlich waren Worte dabei, welche seine Neugierde in höherem Maße als andere erregten, Worte, welche aus dem einen oder anderen Grunde seine Einbildungskraft anregten. Da war zum Beispiel eines, dessen Bedeutung außerordentlich schwer zu erfassen war. Es war das Wort Gott. Tarzan hatte sich anfänglich von ihm dadurch angezogen gefühlt, daß es sehr kurz war und mit größerem g-Käfer anfing als die anderen – für Tarzan war es ein männlicher g-Käfer; die kleineren waren Weibchen. Ein weiterer bemerkenswerter Umstand, der ihn dabei anzog, war die große Zahl von »er«-Käfern in seinen Erläuterungen: Höchstes Wesen – Schöpfer – Erhalter des Weltalls –. Es mußte wirklich ein sehr wichtiges Wort sein, das er untersuchen mußte. Und das tat er denn auch, obgleich er nach vielen Monaten eifrigen Denkens und Studierens immer noch verwirrt war.

Indessen hielt Tarzan keine Zeit für verloren, die er auf diese merkwürdigen Jagdzüge in die Wildplätze des Wissens verwendete, denn jedes Wort und jede Erklärung brachte ihn zu neuen fremden Plätzen und in neue Welten, in denen er mit zunehmender Häufigkeit alten, vertrauten Gesichtern begegnete. Und immer mehr häufte er den Schatz seines Wissens.

Aber über die Bedeutung von Gott war er immer noch im Zweifel. Einmal glaubte er, es erfaßt zu haben. Gott war ein mächtiger Häuptling, König aller Mangani! Er war aber dessen nicht ganz sicher, denn das würde bedeuten, daß Gott mächtiger war als Tarzan – ein Punkt, den Affentarzan, der in der Dschungel keinen als ebenbürtig anerkannte, nicht zugeben konnte.

In keinem seiner Bücher fand er ein Bild von Gott, obgleich er vieles fand, was seinen Glauben bestärkte, daß Gott ein großes, ein allmächtiges Wesen war. Er sah Bilder von Plätzen, an welchen Gott verehrt wurde, aber nie ein Zeichen von Gott selbst. Zuletzt erschien es ihm fraglich, ob nicht Gott von ihm verschieden wäre und endlich entschloß er sich, auf die Suche nach ihm zu gehen.

Zunächst befragte er Mumga darüber, die schon sehr alt war und viele merkwürdigen Dinge in ihrem langen Leben gesehen hatte. Aber Mumga hatte als Affe nur die Gabe, sich an das Gewöhnliche zu erinnern. Der Fall, als Gunto eine Stechfliege für einen eßbaren Käfer gehalten hatte, hatte auf Mumga mehr Eindruck gemacht als alle die unzählbaren Bekundungen von Gottes Größe, die sie erlebt und natürlich nicht verstanden hatte.

Numgo, welcher Tarzans Frage mit angehört hatte, bekam es wirklich fertig, seine Aufmerksamkeit lange genug von einer unterhaltsamen Flohjagd abzuziehen, um die Theorie aufzustellen, daß die Kräfte, welche Blitz und Regen und Donner machten, von Goro, dem Mond, kämen. Er wüßte dies sicher, sagte er, weil das Dum-Dum immer im Lichte Goros getanzt würde. Diese Begründung, so völlig befriedigend sie Numgo und Mumga erschien, konnte Tarzan keineswegs völlig überzeugen. Indessen gab sie ihm die Grundlage für weitere Nachforschung in einer neuen Richtung. Er wollte den Mond untersuchen.

In derselben Nacht kletterte er in die luftigste Spitze des größten Dschungelriesen. Es war Vollmond, ein großer glanzreicher Mond, wie er nur unter dem Äquator scheint. Der Affenmensch stand aufrecht auf einem schlanken, federnden Zweig und hob sein bronzenes Antlitz zu der Silberscheibe. Nun er an die höchste für ihn erreichbare Spitze geklettert war, entdeckte er zu seinem Erstaunen, daß Goro noch ebensoweit von ihm entfernt war, wie vom Boden aus gesehen. Anscheinend wollte ihm Goro entwischen!

Komm, Goro! schrie er. Affentarzan tut dir nichts. Aber der Mond hielt sich weiter ferne.

Sage mir doch, fuhr er fort, bist du der große König, der Ara, den Blitz, sendet? Machst du die starken Geräusche und die mächtigen Winde? Bist du es, der das Wasser auf das Dschungelvolk herabgießt, wenn die Tage dunkel sind und es kalt ist? Sage mir, Goro, bist du Gott?

Er sprach dabei natürlich nicht Gott so aus, wie wir, denn Tarzan wußte nichts von der gesprochenen Sprache seiner englischen Ahnen. Aber er hatte für jeden der kleinen Käfer aus dem Alphabet einen eigenen Namen erfunden. Anders geartet als die Affen, war er nicht damit zufrieden, im Geiste ein Bild der ihm bekannten Dinge zu besitzen, er mußte auch ein beschreibendes Wort für alles haben. Beim Lesen erfaßte er wohl das Wort in seiner Einheit, aber wenn er die aus dem Buche seines Vaters gelernten Worte aussprach, dann brachte er jeden einzelnen der verschiedenen kleinen Käfer, die darin vorkamen, mit dem ihm neu gegebenen vollen Namen zum Ausdruck und setzte gewöhnlich noch das Geschlechtswort vor jeden.

Infolgedessen hatte Tarzan aus Gott ein höchst imposantes Wort gemacht. Die männliche Vorsilbe ist bei den Affen bu, die weibliche mu; g hatte Tarzan la genannt, o sprach er tu aus und d war mo. So entwickelte er das englische Wort God für Gott zu Bulamutumumo oder, in unserer Sprache, zu Er–g–sie–o–sie–d.

Tarzans merkwürdigem Aussprachesystem zu folgen, würde ebenso mühsam wie nutzlos sein, deshalb wollen wir lieber im weiteren Verlauf uns wie bisher an die vertrauteren Formen unserer Schulbücher halten.

Tarzan rief also den Mond an, und als Goro nicht darauf antwortete, wurde Affentarzan zornig. Er schwellte seine riesige Brust, entblößte die Reißzähne und schleuderte dem erstorbenen Trabanten der Erde die Herausforderung des Affenbullen ins Gesicht.

Du bist gar nicht Bulamutumumo, schrie er. Du bist kein König der Dschungel. Du bist nicht so groß wie Tarzan, der mächtige Kämpfer, der mächtige Jäger. Keiner ist hier so groß wie Tarzan. Wenn hier ein Bulamutumumo ist, kann ihn Tarzan töten. Komm herunter, Goro, du großer Feigling, und kämpfe mit Tarzan. Tarzan wird dich töten. Ich bin Tarzan, der Töter.

Aber der Mond gab auf die Prahlerei des Affenmenschen keine Antwort, und als eine Wolke kam und sein Antlitz verhüllte, dachte Tarzan, daß sich Goro wirklich fürchte und sich vor ihm verberge, und kletterte vom Baume herab, weckte Numgo und erzählte ihm, wie groß Tarzan sei – wie er Goro aus dem Himmel davongeschreckt und zum Zittern gebracht habe.

Auf Numgo machte das nicht viel Eindruck. Aber da er sehr schläfrig war, sagte er Tarzan, er solle machen, daß er fortkomme und ältere Leute in Ruhe lassen.

Aber wo soll ich denn Gott finden? fragte hartnäckig Tarzan. Du bist sehr alt. Wenn es Gott gibt, mußt du ihn gesehen haben. Wie sieht er denn aus? Wo lebt er?

Ich bin Gott, antwortete Numgo. Jetzt schlafe und störe mich nicht mehr.

Einige Minuten sah Tarzan starr auf Numgo. Sein wohlgeformter Kopf zog sich ein wenig in die Schultern, das breite Kinn schob sich vor und die kurze zurückgezogene Oberlippe entblößte die weißen Zähne. Dann sprang er mit einem leisen Knurren auf den Affen und grub ihm die Fänge in die haarige Schulter, während er den großen Nacken mit den mächtigen Fingern umklammerte. Zweimal schüttelte er den alten Affen, dann lockerte er den Griff seiner Zähne.

Bist du Gott? fragte er energisch.

Nein, winselte Numgo. Ich bin ein armer, alter Affe. Laß mich in Frieden. Geh und frage die Gomangani, wo Gott ist. Sie sind haarlos wie du und außerdem sehr weise. Sie müssen es wissen.

Tarzan ließ Numgo los und ging weg. Der Rat, die Schwarzen zu fragen, hatte etwas Anregendes und obgleich seine Beziehungen zum Stamme des Häuptlings Mbonga alles eher als freundlich waren, konnte er doch wenigstens seine verhaßten Feinde belauschen und entdecken, ob sie mit Gott Verkehr hatten.

So kam es, daß sich Tarzan durch die Bäume nach dem Dorfe der Schwarzen begab, voller Erregung über die Aussicht, das höchste Wesen, den Schöpfer aller Dinge zu entdecken. Auf dem Marsche prüfte er im Geiste seine Bewaffnung – den Zustand seines Jagdmessers, die Zahl seiner Pfeile, die neue Sehne an seinem Bogen – er wog den Kriegsspeer, welcher einst der Stolz eines schwarzen Kriegers aus Mbongas Stamm gewesen war.

Tarzan war lieber auf ein Zusammentreffen mit Gott vorbereitet. Man konnte nie sagen, ob einem unbekannten Feinde gegenüber ein Grasseil oder ein Kriegsspeer oder ein vergifteter Pfeil am wirksamsten war. Affentarzan war ganz beruhigt – wenn Gott einen Kampf wünschte, war sich Tarzan über den Ausgang des Ringens nicht im Zweifel. Aber da Tarzan dem Schöpfer des Weltalls allerlei Fragen vorlegen wollte, hoffte er, Gott werde sich nicht als kriegslustiger Gott erweisen. Immerhin hatte ihn seine bisherige Erfahrung in Leben und Lebewesen gelehrt, daß jedes Geschöpf mit den richtigen Angriffs- und Verteidigungswaffen in der entsprechenden Stimmung zum Angriff überging.

Tarzan kam in der Dunkelheit zum Dorfe Mbongas. Leise wie die stillen Schatten der Nacht suchte er seinen gewohnten Platz in den Zweigen des großen Baumes über der Pallisade auf. Unter sich auf der Dorfstraße sah er Männer und Weiber. Die Männer waren häßlich bemalt – noch häßlicher als gewöhnlich. Unter ihnen bewegte sich eine unheimliche, groteske Figur umher, eine große Gestalt, die auf zwei Beinen ging wie ein Mensch und doch den Kopf eines Büffels hatte. Ein Schwanz baumelte ihr hinten bis auf die Knöchel, eine Hand hielt einen Zebra-Schweif, die andere umklammerte ein Bündel Pfeile.

Tarzan war wie elektrisiert. Sollte er so früh eine Gelegenheit gefunden haben, Gott zu sehen? Sicher war dies Ding weder Mensch noch Tier, was konnte es also weiter sein, als der Schöpfer des Weltalls? Der Affenmensch bewachte jede Bewegung des merkwürdigen Wesens. Er sah, wie die schwarzen Männer und Weiber bei seiner Annäherung zurückwichen, als ob sie vor seinen geheimnisvollen Kräften Angst hätten.

Nun vernahm er, daß die Gottheit sprach und merkte, daß alle mäuschenstill ihren Worten lauschten. Tarzan war sicher, daß kein anderer als Gott den Herzen der Gomangani solche Scheu einflößte; wer sonst hätte ihnen ohne Hilfe von Pfeil oder Speer die Mäuler so wirkungsvoll stopfen können! Tarzan hatte für die Schwarzen eine große Verachtung gefaßt, weil sie gar so geschwätzig waren. Auch die kleinen Affen schnatterten so viel und liefen weg, wenn ein Feind kam. Kerschaks große, alte Bullen dagegen sprachen nur wenig, aber sie kämpften bei der geringsten Reizung. Auch Numa, der Löwe, war nicht gesprächig veranlagt und doch gab es in der ganzen Dschungel keinen, der häufiger focht als er.

In jener Nacht war Tarzan Zeuge von merkwürdigen Vorgängen, von denen er nichts verstand und vielleicht, weil sie so merkwürdig waren, dachte er, sie müßten etwas mit dem ihm unverständlichen Gott zu tun haben. Er sah, wie in feierlicher Zeremonie drei Jünglinge ihren ersten Kriegsspeer erhielten, wobei sich der groteske Zauberer bemühte, den Vorgang noch unheimlicher und schauerlicher zu machen.

Mit größtem Interesse beobachtete Tarzan das Aufschlitzen der drei braunen Arme und den Austausch des Blutes mit Mbonga in der Schließung der Blutsbruderschaft. Er sah, wie der Zauberer den Zebraschweif unter wildem Tanzen und Springen mit Beschwörungen in einen Kessel mit Wasser tauchte und Brust und Stirne der drei Novizen mit der verzauberten Flüssigkeit besprengte. Hätte der Affenmensch den Zweck dieser Handlung gekannt – nämlich den damit Besprengten unverletzlich für die Angriffe seiner Feinde und furchtlos in Gefahren zu machen – dann wäre er zweifellos in die Dorfstraße hinabgesprungen und hätte sich den Zebraschweif und einen Teil vom Kesselinhalt geholt.

Aber da er es nicht wußte, wunderte er sich nicht nur über das, was er sah, sondern auch über das merkwürdige Gefühl, das ihm über das nackte Rückgrat auf und ab lief, ein Gefühl, ohne Zweifel durch den gleichen hypnotischen Einfluß verursacht, der auch die Schwarzen in gespanntem Schauer auf der Höhe hysterischer Erregung hielt.

Je länger Tarzan zusah, desto sicherer war er, Gott zu sehen, und mit dieser Überzeugung kam der Entschluß, mit der Gottheit zu reden. Entschluß fassen und handeln war bei Tarzan eins.

Die hysterische Erregung von Mbongas Leuten war auf den höchsten Ton gespannt, nur noch eine Kleinigkeit war nötig, um den angesammelten Druck der durch die schreckenerregende Mummerei des Zauberers verursachten Nervenspannung auszulösen.

Plötzlich brüllte dicht an der Pallisade laut ein Löwe. Die Schwarzen fuhren zusammen und wagten kaum zu atmen, während sie auf eine Wiederholung der nur allzu bekannten und stets beängstigenden Stimme lauschten. Selbst der Zauberer hielt mitten in einem verworrenen Tanze an und blieb starr stehen, während sein schlaues Gehirn überlegte, durch welche Behauptung er beim Gemütszustande seiner Zuschauer aus dieser rechtzeitigen Störung den größten Nutzen ziehen könnte. Der Abend war für ihn bereits gewinnbringend genug gewesen. Außer drei Ziegen für die Aufnahme der drei Jünglinge in die Gemeinschaft der erwachsenen Krieger hatte er von bewundernden und erschreckten Mitgliedern seiner Zuhörerschaft noch verschiedene Gaben an Korn und Glasperlen und außerdem ein Stück Kupferdraht erhalten.

Numas Brüllen klang noch in den verstörten Nerven nach, als das schrille, durchdringende Lachen eines Weibes die Stille unterbrach. Diesen Augenblick wählte Tarzan, um sich federleicht von seinem Baume in die Dorfstraße hinabfallen zu lassen. Furchtlos stand er unter seinen Todfeinden, um Haupteslänge Mbongas Krieger überragend, gerade wie ein Pfeil, mit Muskeln wie Numa, der Löwe.

Einen Augenblick stand Tarzan und sah dem Zauberer gerade ins Auge. Jeder Blick hing an ihm, keiner wagte sich zu rühren – lähmender Schreck hielt sie alle, bis der Affenmensch mit einem Kopfnicken unmittelbar auf die häßliche Gestalt unter dem Büffelkopf zuschritt.

Das hielten die Nerven der Neger nicht mehr aus. Seit Monaten lag der Schrecken des fremden, weißen Dschungelgottes auf ihnen. Ihre Pfeile waren ihnen mitten aus dem Dorfe gestohlen worden, ihre Krieger waren lautlos auf den Wildpfaden getötet worden und deren Körper fielen geheimnisvoll bei Nacht und Nebel wie vom Himmel herab auf die Dorfstraße.

Einer oder zwei hatten die merkwürdige Gestalt des neuen Dämons flüchtig gesehen, und durch ihre wiederholten Beschreibungen erkannte das ganze Dorf in Tarzan den Urheber so vieler Übel. Bei anderer Gelegenheit und am hellen Tage hätten sich die Krieger zweifellos zum Angriff auf ihn gestürzt, aber in der Nacht, und noch dazu in einer solchen Nacht, in welcher ihre Nerven schon ohnehin durch die unheimlichen Kunststücke ihres Zauberers aus der Fassung geraten waren, machte sie der Schrecken völlig hilflos. Wie ein Mann wandten sie sich zur Flucht und rannten nach ihren Hütten auseinander, als Tarzan vortrat. Ein einziger behauptete für einen Augenblick seine Haltung – der Zauberer. Da er sich zu mehr als der Hälfte in den Glauben an seine eigene Charlatanerie hineinhypnotisiert hatte, hielt er diesem Dämon, welcher sein altes und einträgliches Gewerbe zu schädigen drohte, stand.

Bist du Gott? fragte Tarzan.

Der Zauberer, der von des anderen Rede kein Wort verstand, tanzte ein paar Schritte, sprang hoch in die Luft, drehte sich einmal herum und blieb mit gespreizten Beinen und vorgestrecktem Kopfe gebückt stehen. So stand er einen Augenblick, dann stieß er ein lautes »Buuh« aus, mit dem er zweifellos Tarzan fortschrecken wollte; aber die Wirkung blieb aus.

Tarzan blieb nicht stehen. Er wollte sich dem Gott nähern und ihn untersuchen, und keine Macht der Welt sollte ihn daran hindern. Als der Zauberer sah, daß seine Sprünge gegenüber dem Besucher nichts halfen, versuchte er es mit einer anderen Medizin. Er spuckte auf den Zebraschweif in der einen Hand, schlug mit den Pfeilen in der anderen ein paar Kreise darüber und sprach dann, immer vorsichtig vor Tarzan zurückweichend, zuversichtlich auf das buschige Ende des Schwanzes ein.

Indessen schien diese Medizin eine schwache Medizin zu sein, denn das Wesen, Gott oder Teufel, verkürzte immer mehr die trennende Entfernung. Der Zauberer schlug daher nur wenige und kurze Kreise und nahm dafür eine Haltung an, die Schrecken erregen sollte, wedelte vor sich mit dem Zebraschweif und zog eine gedachte Linie zwischen sich und Tarzan.

Die Linie kannst du nicht überschreiten, denn meine Medizin ist starke Medizin, schrie er. Steh, oder du fällst tot zu Boden, wenn dein Fuß diesen Fleck berührt. Meine Mutter war ein Wudu, mein Vater eine Schlange. Ich lebe von Löwenherzen und den Eingeweiden des Panthers; ich esse kleine Kinder zum Frühmahl und die Dämonen der Dschungel sind meine Diener. Ich bin der mächtigste Zauberer der Welt; ich fürchte nichts, denn ich kann nicht sterben. Ich – aber weiter kam er nicht, denn er drehte sich um und riß aus, als Tarzan, ohne zu sterben, über die verzauberte Todeslinie hinwegschritt.

Als der Zauberer weglief, verlor Tarzan seine gute Laune. So durfte sich Gott nicht benehmen, wenigstens nicht zufolge der Vorstellung, welche sich Tarzan von Gott gebildet hatte.

Komm zurück! rief er. Komm zurück, du Gott, ich tue dir nichts zuleide. Aber der Zauberer war schon in vollem Rückzuge und sprang wie ein Hirsch in hohem Bogen über Kochtöpfe und glimmende Feuer, die vor den Hütten der Dorfbewohner brannten. Geradewegs nach seiner Hütte rannte der Zauberer, die Angst spornte ihn zu ungewohnter Schnelligkeit. Aber sein Bemühen war umsonst – wie Bara, der Hirsch, flog der Affenmensch hinterher.

Gerade vor dem Eingang seiner Hütte war der Zauberer überholt. Eine schwere Hand packte seine Schulter, um ihn zurückzuhalten. Die Verkleidung riß herunter und der Teil eines Büffelfells blieb in der Hand Tarzans, der einen nackten Neger ins Dunkel der inneren Hütte schlüpfen sah.

So! den hatte er für den Gott gehalten! Tarzan hob mit einem ärgerlichen Knurren die Lippe und sprang dem geängstigten Zauberer in die Hütte nach. Er fand den Mann am anderen Ende in der Dunkelheit niedergekauert und schleppte ihn heraus in die verhältnismäßige Klarheit der mondhellen Nacht.

Der Zauberer suchte mit Beißen und Kratzen zu entkommen. Aber ein paar Püffe auf den Schädel belehrten ihn bald über die Nutzlosigkeit einer Gegenwehr. Draußen im Mondlicht hielt Tarzan die sich krümmende Gestalt auf ihren zitternden Füßen aufrecht.

So, also du bist Gott! schrie er. Wenn du Gott bist, dann ist Tarzan größer als Gott! Und das dachte der Affenmensch auch. Ich bin Tarzan, donnerte er dem Schwarzen ins Ohr. In der ganzen Dschungel, und über ihr, im rinnenden Wasser wie im stehenden Wasser, auf dem großen Wasser wie auf den kleinen Wassern ist keiner so groß wie Tarzan. Tarzan ist größer als die Mangani; er ist größer als die Gomangani. Mit seinen Händen hat er Numa, den Löwen, und Sheeta, den Leoparden, getötet. Da ist keiner so groß wie Tarzan. Tarzan ist größer als Gott! Da! Schau! Mit einem plötzlichen Ruck drehte er dem Schwarzen den Hals um, bis der Kerl vor Schmerz brüllte und ohnmächtig zu Boden plumpste.

Tarzan setzte seinen Fuß auf den Nacken des gefallenen Zauberers, hob das Gesicht zum Monde und stieß den langen, schrillen Schrei des siegreichen Affenbullen aus. Dann bückte er sich, riß den Zebraschwanz aus den gefühllosen Fingern des bewußtlosen Mannes und ging seinen Weg durch das Dorf zurück, ohne sich nur einmal umzusehen.

Aus einigen Hütten blickten ihm angstvolle Augen nach. Mbonga, der Häuptling, hatte mit angesehen, was sich vor der Hütte des Zauberers zutrug. Er fühlte sich tief betroffen. Als alter, kluger Patriarch, der er war, hatte er nie mehr als nur halb an Zauberei geglaubt, wenigstens nicht, seit ihm mit dem Alter größere Einsicht gekommen war. Aber als Häuptling war er vom Einfluß und der Wichtigkeit des Zauberers als Werkzeug der Regierung wohl überzeugt, und oft genug hatte Mbonga die abergläubische Angst seines Volkes mit Hilfe des Medizinmannes für seine eigenen Zwecke ausgenützt.

Mbonga und der Zauberer hatten zusammengearbeitet, aber wenn einer sah, was Mbonga eben gesehen hatte, dann würde das »Gesicht« des Zauberers für immer verloren sein, und kein Mensch in dieser Generation würde jemals wieder viel Glauben an einen Zauberer haben.

Mbonga mußte etwas tun, um den üblen Einfluß vom Siege des Waldteufels über den Zauberer zu verwischen. Er nahm seinen Kriegsspeer und kroch leise aus seiner Hütte dem sich zurückziehenden Affenmenschen nach. So unbekümmert und bedächtig schritt Tarzan die Dorfstraße hinab, als ob nur die befreundeten Affen Kerschaks um ihn gewesen wären, anstelle eines Dorfes voll bewaffneter Feinde.

Aber nur scheinbar war Tarzans Unbekümmertheit, denn die wohlgeschulten Sinne waren scharf und wachsam wie immer. Mbonga, der schlaue Beschleicher scharfhörender Dschungeltiere, schlich lautlos. Nicht einmal Bara, der Hirsch, hätte mit seinen großen Ohren aus irgendeinem Geräusch hören können, daß Mbonga nahe war. Aber der Schwarze beschlich nicht Bara, er beschlich einen Menschen, und deshalb suchte er nur das Geräusch zu vermeiden.

Näher und näher kam er dem langsam gehenden Affenmenschen. Jetzt hob er seinen Kriegsspeer und zog die Speerhand hoch über die rechte Schulter zurück. Ein für allemal wollte Mbonga, der Häuptling, sich und seine Leute von der Plage dieses schrecklichen Feindes befreien. Er wollte keinen Fehlwurf tun, er wollte sorgfältig achtgeben und seine Waffe mit solcher Kraft schleudern, daß der Dämon für immer abgetan war.

Aber Mbonga, so sicher er seiner Sache war, beging einen Irrtum. Er dachte wohl mit Recht, daß er einen Menschen beschlich – indessen wußte er nicht, daß er einen Menschen mit den empfindlichen Sinnesorganen der niedrigen Tiergattung vor sich hatte. Als Tarzan seinen Feinden den Rücken wendete, beachtete er das, was Mbonga nie bei der Beschleichung eines Menschen in Betracht gezogen hätte – den Wind. Dieser blies in der Richtung, in welcher Tarzan ging und trug zu dessen empfindlicher Nase den Geruch der Dinge, die sich hinter ihm erhoben. Deshalb wußte Tarzan, daß man ihm folgte, denn selbst unter dem mannigfachen Gestank eines afrikanischen Dorfes konnte des Affenmenschen unheimliche Fähigkeit immer noch einen Geruch vom anderen unterscheiden und mit bemerkenswerter Genauigkeit seine Quelle feststellen.

Er wußte, daß ihm ein Mann folgte und näher kam, und seine Klugheit warnte ihn vor der Absicht des Schleichers.

Als daher Mbonga in Speerwurfweite des Affenmenschen kam, fuhr dieser plötzlich nach ihm herum, so daß der Häuptling seinen erhobenen Speer um den Bruchteil einer Sekunde früher abschoß, als er gewollt hatte. Er ging etwas zu hoch, Tarzan bückte sich, um ihn über sich wegzulassen und sprang auf den Häuptling los. Aber Mbonga wartete nicht auf ihn. Er rannte in den dunklen Eingang der nächsten Hütte und schrie seinen Kriegern zu, sie sollten sich auf den Fremden werfen und ihn töten.

Mbonga hatte wohl Grund, um Hilfe zu rufen, denn Tarzan, jung und schnellfüßig, durchmaß den Abstand in mächtigen Sätzen und mit der Schnelligkeit eines jagenden Löwen. Dazu knurrte er auch noch ganz wie Numa selbst. Als Mbonga dies hörte, überlief es ihn kalt. Er fühlte, wie sich die Haare auf seinem Wollschädel sträubten und ein prickelnder Schauer sein Rückgrat entlang lief, als ob der Tod gekommen wäre und ihm die kalten Finger auf den Rücken legte.

Auch andere hörten und sahen aus dem Dunkel ihrer Hütten zu – kühne, fürchterlich bemalte Krieger, die ihre schweren Kriegsspeere in den aber jetzt kraftlosen Händen hielten. Numa, dem Löwen, hätten sie sich furchtlos entgegengeworfen. Um ihren Häuptling zu schützen, hätten sie eine mehrfache Übermacht schwarzer Krieger angegriffen; aber dieser schauerliche Dschungelteufel erfüllte sie mit Schrecken. In dem tierischen Knurren, das aus seiner breiten Brust kam, war nichts Menschliches, nichts Menschliches war auch in seinen entblößten Zähnen und in den katzenartigen Sprüngen. Mbongas Krieger waren erschreckt, – viel zu erschreckt, um die scheinbare Sicherheit ihrer Hütten zu verlassen, während sie Augenzeuge waren, wie der Tiermensch ihrem alten Häuptling mitten auf den Rücken sprang.

Mbonga stürzte mit einem Angstschrei nieder. Er war viel zu verstört, um noch eine Verteidigung zu wagen. Vor Angst gelähmt lag er unter seinem Gegner und schrie aus Leibeskräften. Tarzan erhob sich halb und kniete auf dem Schwarzen. Er drehte Mbonga herum, sah ihm in das Gesicht und legte ihm die Kehle frei. Dann zog er sein langes, scharfes Messer, das Messer, welches John Clayton, Lord Greystoke, vor vielen Jahren von England herübergebracht hatte. Er brachte es Mbongas Kehle näher. Der alte Neger winselte voll Entsetzen. In einer Tarzan unverständlichen Sprache flehte er um sein Leben.

Zum ersten Male konnte sich Tarzan den Häuptling näher betrachten. Er sah einen sehr, sehr alten Mann mit runzeligem Gesicht und verschrumpeltem Hals – ein ausgetrocknetes, pergamentartiges Gesicht, das den kleinen, Tarzan so wohlbekannten Affen ähnlich sah. Er sah auch die Angst in des Mannes Augen – noch nie hatte Tarzan solche Angst in den Augen eines Geschöpfes oder solch ein jammervolles Flehen um Gnade auf einem Gesicht gesehen.

Irgend etwas hielt einen Augenblick die Hand des Affenmenschen zurück. Er wunderte sich selbst, was ihn vom Töten abhielt; nie zuvor hatte er so gezögert. Der alte Mann schien vor seinen Augen grau zu werden und zu einem Häufchen armseliger Knochen zusammenzuschrumpfen. So schwach und hilflos und angstverstört sah er aus, daß der Affenmensch von Verachtung erfüllt war. Aber auch noch ein anderes Empfinden ward in ihm lebendig – etwas, das Affentarzan einem Feinde gegenüber noch nicht gekannt hatte. Es war Mitleid – Mitleid mit einem armen, verängstigten, alten Mann.

Tarzan erhob sich, ließ Mbonga, den Häuptling, ungehärmt liegen und ging davon. Mit hoch erhobenem Haupte schritt er durch das Dorf, schwang sich in die Zweige des Baumes über der Palisade und verschwand aus dem Gesichtskreis der Dorfbewohner.

Auf dem ganzen Wege nach dem Lagergrund der Affen suchte Tarzan eine Erklärung der fremden Macht, die seine Hand gebändigt und ihn verhindert hatte, Mbonga zu töten. Ihm war es, als ob ihm einer, der größer war als er, geboten hätte, das Leben des alten Mannes zu schonen. Tarzan verstand das nicht, denn er begriff nicht, wie etwas oder jemand soviel Gewalt über ihn haben sollte, um ihn zu etwas zu bringen oder von etwas abzuhalten.

Es war spät, als sich Tarzan einen schwanken Ruheplatz auf den Bäumen, unter welchen Kerschaks Affen zu schlafen pflegten, suchte, und beim Einschlafen war er immer noch mit diesem merkwürdigen Problem beschäftigt.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er erwachte. Die Affen waren eifrig bei der Futtersuche. Tarzan beobachtete träge von oben, wie sie im vermoderten Humus nach Käfern, Larven und Puppen kratzten oder zwischen den Zweigen der Bäume nach Eiern und jungen Vögeln oder schmackhaften Raupen suchten.

Eine nahe über seinem Kopfe hängende Orchidee öffnete sich langsam, entfaltete ihre zarten Kelche und reckte sie den warmen, eben zu ihrem Sitz dringenden Sonnenstrahlen entgegen. Tausendmal hatte Affentarzan das reizende Schauspiel angesehen, aber heute empfand er tieferes Interesse, denn er begann sich über die Myriaden von Wundern ringsum, die er bisher alle ohne weiteres hingenommen hatte, seine Gedanken zu machen.

Was hieß die Blüte sich öffnen? Was ließ sie von einer kleinen Knospe zur großen, vollen Blume werden. Warum gab es all das? Wozu war er selbst auf der Welt? Woher kam der Löwe Numa? Wer pflanzte den ersten Baum? Warum stieg Goro abends am Dunkel des Abendhimmels auf, um sein willkommenes Licht über die furchtbare, nächtliche Dschungel zu streuen? Und die Sonne? War diese nur zufällig da?

Warum wohnten in der Dschungel nicht lauter Bäume? Warum gab es statt der Bäume nicht etwas anderes? Weshalb war Tarzan anders als Taug, Taug anders als Bara, der Hirsch, und Bara wieder verschieden von Sheeta, dem Leopard? Und warum war Sheeta anders als Buto, das Nashorn? Wie und woher kamen sie alle – die Bäume, die Blumen, die Insekten, die unzähligen Dschungelgeschöpfe?

Ganz unerwartet tauchte ein Gedanke in Tarzans Hirn auf. In Verfolgung der weitverzweigten Angaben seines Lexikons betreffs des Wortes »Gott« hatte er das Wort »erschaffen« gefunden – verursachen, daß etwas in Erscheinung tritt; etwas aus nichts bilden.

Tarzan hatte beinahe etwas Greifbares festgestellt, als ein entferntes Weinen ihn aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit der Gegenwart zurückriß. Das Weinen kam aus kurzer Entfernung aus der Dschungel. Es war das Weinen eines kleinen Balus, und Tarzan erkannte es gleich an der Stimme als Gazan, Teekas Kleines. Sie hatten es Gazan genannt, weil sein weiches Kinderfell ungewöhnlich rot war, und Gazan heißt in der Sprache der großen Affen »Rotfell«.

Dem Weinen folgte unmittelbar ein richtiger Angstschrei aus den kleinen Lungen. Wie ein Blitz handelte Tarzan. Wie ein Pfeil schoß er durch die Bäume auf das Geräusch zu. Vor sich hörte er das wilde Schnarren einer Affenmutter. Teeka kam zu Hilfe. Die Gefahr mußte sehr groß sein, soviel merkte Tarzan an der Mischung aus Wut und Angst in der Stimme der Äffin.

Der Affenmensch lief über federnde Äste, schwang sich von Baum zu Baum, raste auf halber Höhe der Bäume auf das Geräusch zu, das mittlerweile ohrenbetäubenden Umfang angenommen hatte. Von allen Seiten eilten Kerschaks Affen auf den Hilferuf des Balus und seiner Mutter herbei und belferten im Kommen dröhnend durch den Forst.

Tarzan, schneller als seine schwerfälligen Genossen, überholte sie alle. Er kam als der Erste auf den Schauplatz, dessen Anblick einen kalten Schauer durch seine riesige Gestalt sandte, denn der Feind war das bestgehaßte und scheußlichste aller Dschungelgeschöpfe.

Histah, die Schlange – riesig, gewichtig, schleimig – hing von einem großen Baume herab und hatte mit den Windungen ihrer tödlichen Umarmung Gazan, Teekas kleines Baku, gefaßt. Nichts in der Dschungel schuf ein der Furcht so nahe stehendes Gefühl in Tarzans Brust wie die scheußliche Histah. Auch die Affen verabscheuten das ekelhafte Reptil und fürchteten es sogar noch mehr als den Leoparden Sheeta oder Ruma, den Löwen. Um keinen von all ihren Feinden machten sie einen größeren Bogen als um Histah, die Schlange.

Tarzan wußte, daß Teeka gerade vor diesem lautlosen, abstoßenden Feind besondere Furcht hatte. Deshalb erfüllte ihn Teekas Handlungsweise, die er eben beim Eintreffen auf dem Schauplatz zu sehen bekam, mit größter Bewunderung, denn die Äffin sprang auf den glitzernden Körper der Schlange und machte, trotzdem sie sofort ebenso wie ihr Sprößling von den mächtigen Windungen erfaßt wurde, keinen Versuch, sich zu befreien, sondern packte in nutzloser Anstrengung den würgenden Körper, um ihn von ihrem schreienden Balu loszureißen.

Tarzan wußte nur zu gut, welche tiefeingewurzelte Angst Teeka vor Histah hatte. Er traute darum kaum seinen eigenen Augen, als er sah, wie sie sich freiwillig in jene fürchterliche Umarmung begab. Und dazu hatte Teeka nicht viel mehr Furcht vor dem Ungeheuer als im Innern auch Tarzan selbst. Den Grund dafür konnte er nicht angeben, denn er hätte bei keinem Ding Furcht zugestanden. Es war auch keine Furcht, aber vielleicht ein innerer Abscheu, den er durch viele Generationen zivilisierter Vorfahren und weiter zurück durch zahllose Myriaden solcher Teekas geerbt hatte, Ahnen, die alle dem gleichen namenlosen Schreck vor dem schleimigen Reptil gewichen waren.

Doch auch Tarzan zögerte nicht länger als Teeka. Mit derselben Eile und dem gleichen Ungestüm, mit dem er sich auf der Jagd nach Nahrung auf Bara, den Hirsch, gestürzt hätte, sprang er auf Histah. Die derart angegriffene Schlange wand und krümmte sich schrecklich, aber nicht für einen Augenblick ließ sie eines ihrer Opfer los, im Gegenteil, kaum eine Minute später hatte sie auch den Affenmenschen in ihrer eiskalten Umschlingung.

Immer noch am Baum hängend, hielt das mächtige Reptil die drei in ihren Windungen frei in der Luft, als wenn sie kein Gewicht gehabt hätten und suchte ihnen das Leben aus dem Leibe zu würgen. Tarzan hatte sein Messer gezogen und stieß es wütend in den Leib des Feindes, aber die beengenden Ringe würden ihn zu Tode drücken, ehe er der Schlange die Todeswunde beibringen konnte. Doch er focht weiter und suchte nicht, sich dem drohenden, schrecklichen Tode zu entziehen, sein einziger Gedanke war, Histah zu töten und dadurch Teeka und ihr Balu zu befreien.

Der große, weitgähnende Rachen der Schlange schwenkte geifernd über ihm. Die elastischen Kiefer, die so gut ein Kaninchen wie einen Rehbock schlingen konnten, drohten vor ihm. Aber als Histah dem Affenmenschen ihre Aufmerksamkeit zuwendete, brachte sie ihren Kopf in Reichweite seiner Klinge. Sofort griff eine braune Hand zu und packte den gefleckten Hals, während die andere das schwere Jagdmesser bis ans Heft in das kleine Gehirn stieß.

Krampfhaft zitternd ließ Histahs großer Körper nach, straffte sich wieder, gab von neuem nach, spannte und entspannte sich, peitschend und schlagend. Aber er bewegte sich ohne Sinn oder Gefühl. Histah war tot; doch noch im Tode konnte sie leicht ein Dutzend Affen oder Menschen erdrücken.

Tarzan faßte behend Teeka, zog sie aus der nachlassenden Umwürgung und ließ sie zu Boden sinken, dann holte er das Balu heraus und rollte es zu seiner Mutter hin. Histah peitschte hin und her und hielt den Affenmenschen immer noch umschlungen, aber nach einem Dutzend Versuchen kam Tarzan endlich frei und sprang aus dem Bereiche der mächtigen Schläge des sterbenden Leibes.

Eine große Anzahl der Affen umstand den Kampfplatz, aber sobald sich Tarzan unverletzt von seinem Feinde losgerissen hatte, gingen sie wieder schweigend an ihre Futtersuche und Teeka ging mit ihnen und hatte offenbar außer ihrem Balu und der Tatsache, daß sie gerade vor der Unterbrechung ein klug verborgenes Nest mit drei ganz frischen Eiern entdeckt hatte, alles vergessen.

Sobald der Kampf beendet war, war Tarzan ebenso gleichgültig, warf kaum noch einen Blick auf den immer noch sich windenden Körper Histahs und ging nach dem kleinen Tümpel, der seiner Horde als Wasserstelle diente. Merkwürdigerweise erhob er über der besiegten Histah keinen Siegesruf. Den Grund hätte er nicht sagen können, aber möglicherweise war Histah für ihn kein Tier. Sie unterschied sich auf ganz besondere Art von den übrigen Dschungelbewohnern. Tarzan konnte nur sagen, daß er sie haßte.

Am Tümpel trank sich Tarzan satt und streckte sich im Schatten eines Baumes in das weiche Gras. Er überdachte noch einmal den Kampf mit Histah, der Schlange. Es erschien ihm unerklärlich, warum sich Teeka selbst in die Umschlingungen des schrecklichen Ungeheuers begeben hatte. Warum hatte sie das getan? Wieso kam er selbst dazu? Teeka war nicht sein, auch nicht Teekas Balu. Sie gehörten beide Taug. Aus welchem Grunde hatte er sich denn eigentlich in diese Sache begeben? Histah war nicht einmal zu essen, wenn sie tot war. Wenn sich Tarzan die Sache recht überlegte, konnte er um alles in der Welt keinen Grund für seine Handlungsweise finden; da fiel ihm auf einmal ein, daß er eigentlich fast ohne jede Absicht gehandelt hatte, gerade so, wie er in der Nacht vorher den alten Gomangani wieder losgelassen hatte.

Was trieb ihn nur zu allen diesen Handlungen? Ganz entschieden trieb ihn zuzeiten ein Mächtigerer als er selbst an. »Allmächtig«, dachte Tarzan. Die kleinen Käfer sagen, daß Gott allmächtig ist. Also muß mich wohl Gott zu all diesen Dingen treiben, denn von mir allein aus würde ich sie nicht tun. Gott ließ Teeka sich auf Histah stürzen. Teeka würde aus eigenem Antrieb nie an Histah nahe herangegangen sein. Gott war es, der mein Messer vom Halse des alten Gomangani zurückhielt. Gott vollbringt merkwürdige Dinge, denn er ist »allmächtig«. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich weiß, es muß Gott sein, welcher alle diese Dinge tut, kein Mangani, kein Gomangani, kein Tarmangani könnte sie herbeiführen.

Und die Blumen – wer ließ sie wachsen? Ah, jetzt war alles klar – die Blumen, die Bäume, der Mond, die Sonne, er selbst, jedes lebende Geschöpf in der Dschungel – sie alle waren von Gott aus dem Nichts geschaffen.

Und was war Gott? Wie sah Gott aus? Davon konnte er sich keinen Begriff machen, aber sicher war es, daß alles Gute von Gott kam: Seine gute Tat, daß er den armen, alten, wehrlosen Gomangani leben ließ; Teekas Liebe, die sie in die Umarmung des Todes stürzen ließ; seine eigene Ergebenheit gegen Teeka, daß er sein Leben wagte, um das ihre zu retten. Die Blumen und die Bäume waren gut und schön, weil Gott sie gemacht hatte. Gott schuf auch alle anderen Wesen, auf daß jedes seine Nahrung zum Leben finde. Er schuf Sheeta, den Leopard, mit seinem schönen Kleid, und Numa, den Löwen, mit dem edlen Kopf und der zottigen Mähne. Er schuf Bara, den Hirsch, lieblich und anmutig.

Ja, Tarzan hatte Gott gefunden und verbrachte den ganzen Tag damit, ihm alles Gute und Schöne in der Natur zuzuschreiben. Aber eine Sache störte ihn dabei, weil er sie mit seinem neugefundenen Begriff Gottes nicht in Einklang bringen konnte:

Wer erschuf Histah, die Schlange?


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