Max Burckhard
Scala santa
Max Burckhard

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Der Hund

Hier ist der Hund,« sagte der Mann, einen kleinen Korb vor mich hinstellend.

»Was für ein Hund?« fragte ich mechanisch und ahnungslos, denn es war schon 9 Uhr vorbei und ich bereits sehr schläfrig.

»Der Herr Stationschef hat gesagt, ich soll ihn gleich heraufbringen, damit er heute noch zu fressen und zu saufen kriegt.«

»Ja, wer denn?« fragte ich schon etwas ärgerlich.

»Nun, der Hund.«

»Welcher Hund?«

»Der Hund, der mit der Bahn für Sie angekommen ist.«

»Für mich? Ein Hund? Ich habe doch keinen Hund bestellt!«

Der Mann zuckte die Achseln. »Der Herr Stationschef hat mir gesagt, ich soll ihn hertragen,« sagte er etwas obstinat.

»Und der Hund ist an mich adressiert?«

»Ja.«

»Wer ist denn der Absender?«

Der Mann zuckte wieder die Achseln.

134 »Woher kommt denn das Vieh?« fragte ich schon sehr ungeduldig.

»Ja, den Schein hat mir der Herr Stationschef nicht mitgegeben . . . Gute Nacht, Herr Hofrat.«

»Da sollen doch alle siebenmalhundertsiebenund siebzig tausend sieben hundert sieben und siebzig Teufel . . .! – Was machen wir denn jetzt mit dem Hund, Rojko?«

Der Angesprochene, mein Hausmeister, hatte inzwischen aus dem Korb einen niedlichen, kleinen, schwarzen, gelbaufgeblitzten Dackel hervorgeholt, der, als ich mich jetzt zu ihm niederbeugte, mir sofort mit jener ungeheuren Zunge, die auch schon dem kleinsten Dackel zu eigen ist, über das Gesicht fuhr.

»Ja, vielleicht hier in gnädigem Herrn seinem Schlafzimmer . . .«

»Sie sind wohl verrückt! Daß ich die ganze Nacht wegen des Winselns dieses armen Wurmes, der sich natürlich hier ganz fremd fühlen wird, kein Auge schließen kann!«

»Oder im Badezimmer . . .«

»Das liegt daneben . . .«

»Oder in der Waschküche . . .«

»Da hört man durch das Abflußrohr des Badezimmers jedes Wort herauf.«

»In der Bibliothek oben . . .«

»Ja, daß er mir meine Bücher zu fressen anfängt und, wenn er an die dramatische Abteilung gerät, mir alles vollspeit . . . Der Hund muß 135 hinaus! Geben Sie ihm zuerst etwas Milch . . . und dann hinaus! . . . Aber wohin?«

»Bitt', wir haben ja vier Hundeställe und ›nur‹ drei Hunde;« bei dem Worte »nur« machte mein Hausmeister ein etwas sonderbares Gesicht.

»Die liegen ja doch ganz nahe beim Hause, und da ich in der Nacht nur bei offenem Fenster schlafen kann, werde ich den kleinen Hund dort auch winseln hören.«

»Ah! In der Hütt'n wird er nicht winseln, weil er dort den Geruch von den anderen Hunden hat. Und so einen kleinen Hund hört man ja gar nicht herein.«

»Und die anderen Hunde, wenn die ihn spüren und zu ihm hinein wollen und nicht zu ihm hinein können?«

»Ah! Denen sag' ich's schon vorher,« meinte mein Hausmeister, indem er die Peitsche, mit der er die drei Köter beherrschte, von der Wand herabnahm.

So geschah es denn, daß der kleine Dackel ein kleines Häuschen mit Garten bezog, das an die Wohnungen seiner neuen Kollegen anstieß. Freund Rojko hielt, die Peitsche in der erhobenen Rechten hin und her bewegend, eine eindringliche Rede an die »Großen«, und diese verstanden auch offenbar gar wohl, was er ihnen sagte, da sie schleunigst in ihre drei Behausungen, aus denen sie neugierig herausgekommen waren, zurückkrochen.

136 Und Rojko schien doch recht zu haben. Tiefe Ruhe herrschte, da ich mich zu Bette legte, und obwohl mein Ohr etwas mißtrauisch nach den Hundeställen hinhörte, vernahm ich von dort keinen verdächtigen Laut und war daher gar bald eingeschlafen.

Aber wirklich recht hatte doch ich gehabt. Denn ich konnte kaum richtig eingeschlummert sein, so fuhr ich auch schon wieder in die Höhe und ein schauerliches Terzett klang an meine Ohren. »Wolf«, der weitaus der gebildetste und gesittetste von meinen Hunden ist und von dem ich sagen könnte, er sei »fast so gescheit wie ein Mensch«, wenn er nicht tatsächlich viel gescheiter wäre als die meisten Menschen, die ich bisher kennen zu lernen das Vergnügen gehabt habe, »Wolf« brummte nur unwillig und abmahnend. »Schmarunkes«, der Typus des richtigen Köters, lausbübisch, unfolgsam und unerziehbar, aber sonst ein ganz netter und wachsamer Gefährte, bellte in kurzen Absätzen aus Leibeskräften. »Belzebub« aber, mein größter und jüngster, eine gutmütige, schwärmerische, gemütvolle Seele, heulte in langgezogenen Tönen, die in der tiefsten Tiefe begannen und sich in schwindelnde Höhen emporhoben, in die Nacht hinaus und zum Himmel hinauf, daß es zum Herzzerbrechen war.

Ganz vergebens suchte ich mich vor diesem Höllenspektakel dadurch zu retten, daß ich ein Ohr in einen Polster vergrub, auf das andere mit 137 aller Kraft einen Polster preßte. Umsonst! Ganz deutlich konnte ich nach wenigen Augenblicken schon wieder die einzelnen Stimmen des Konzerts unterscheiden, das sich inzwischen aus einem Terzett zu einem Quartett entwickelt hatte, da man jetzt auch das schrille Quieken des neuen Ankömmlings vernahm. Da erfaßte mich eine namenlose Wut. Wer wohl diese verrückte Idee gehabt hatte! Wer mir da in der Nacht einen kleinen Hund in das Haus gesandt hatte, als hätte ich nicht schon Hunde genug! Überhaupt diese unglaubliche Rücksichtslosigkeit, jemandem etwas in das Haus zu stellen, ohne vorher zu fragen, ob es ihm auch recht ist!

Fluchend erhob ich mich aus dem Bette. Dem Spektakel wenigstens mußte irgendwie ein Ende gemacht werden. Aber bevor ich noch aus dem Hause gekommen war, hatten sich auf einmal die wilden Töne in ein leises, ängstliches Winseln verwandelt, um rasch ganz zu verstummen, und ich hörte schon vorwurfsvoll die Stimme Rojkos erschallen, der den Großen nachdrucksvoll die Verwerflichkeit ihres Benehmens vorhielt und durch irgendwelche geheimnisvolle Mittel – ich erfuhr später, daß ein bereits völlig abgenagtes Schinkenbein hiebei eine Rolle gespielt hatte – selbst das jüngste Glied der Kolonie zum Schweigen brachte.

Aber da ich nun schon aus dem Bette war, mußte ich doch nachsehen, ob sich denn keine 138 Spur entdecken ließe, wer diesen verdrehten, unglückseligen Einfall gehabt hatte. Da stand noch der Korb. Darinnen etwas Holzwolle und sonst nichts. Außen ein Zettel mit einem Appell an die Bahnbeamten, dem »armen Tiere« Wasser zu geben. Auch hier: sonst nichts. Doch ja, ein kleiner roter Streifen, offenbar von der Aufgabsstelle aufgepappt, mit dem Namen einer kärntnerischen Stadt. Da schoß es mir wie ein Blitz durch die Seele. In Kärnten war ja vor wenigen Tagen die junge Sommerfrischlerin gewesen, die immer so nett mit mir war! Und morgen früh sollte sie hier eintreffen und wollte schon in den ersten Morgenstunden bei mir vorüberkommen, »hoffentlich allein«, wie mir ein paar Zeilen gemeldet hatten. Das sollte also wohl der Willkommgruß sein.

Brummend zog ich mich wieder in mein Bett zurück. Auf die Hunde schienen wirklich Rojkos Worte dauernden Eindruck gemacht zu haben. Tiefe Ruhe herrschte. Aber mit meiner Ruhe war es doch vorbei.

Natürlich ist sie es gewesen! Das sieht ihr so ähnlich, wie nur etwas. So ist sie ja eigentlich in allem. Immer nur das Nächste sehen. Nie das, was darüber hinaus liegt. Sie schickt den Hund. Was ich mit dem Hund machen soll, an das denkt sie schon nicht mehr. Daß der Hund in der Nacht ankommt, daß ich da nicht im Handumdrehen ein Quartier für ihn instand setzen kann, das liegt 139 schon jenseits ihres Gesichtskreises. Eigentlich sieht man es ihr aber auch an. Hinter dieser flachen Stirne kann nur ein Vogelgehirn sein. Und diese nach aufwärts strebenden Miniaturnasen haben die Karikaturisten doch mit Recht zum Ausdrucksmittel der Beschränktheit erwählt. An derlei Dingen kann man ganz deutlich erkennen, daß ihr ganzes Gescheitreden nur ein angelerntes Geplapper ist. Wo es sich um etwas Praktisches handelt oder um etwas, worüber man ihr keine Bücher zu lesen gegeben hat, zeigt sich schließlich doch, daß sie eine dumme Gans ist. Man soll sich eben nicht von einem hübschen Gesicht, angenehmem Geplauder und freundlichem Getue einfangen lassen. Und was ist es denn eigentlich mit dieser ganzen Freundschaft und Zuneigung? Sie tut einfach, wozu sie gerade Lust hat. Ich komme dabei weiter überhaupt gar nicht in Frage, als daß es ihr eben Spaß macht, mit mir zu plaudern und mit mir nett zu sein. Ich bin gewissermaßen die Ablagerungsstätte für ihre Gedanken und Empfindungen. Ihr fällt etwas ein – natürlich, sie muß mir das gleich in einem Briefe versetzen, und sie denkt gar nicht einmal daran, ob sie in mir nicht andere Gedankenreihen stört, mit denen ich gerade beschäftigt bin. Ihr gefällt ein Buch – natürlich, sie schickt mir dieses Buch, obwohl ich gerade andere Bücher zu lesen habe und dieses Buch vielleicht überhaupt nicht lesen mag und alt und gescheit genug bin, daß 140 ich mir meine Lektüre selbst aussuchen kann. Sie sieht einen Dackel, der ihr gefällt, ihr macht es einen Spaß, mir etwas zu schenken, sie unterhält sich dabei, wenn sie sich meine Überraschung vorstellt – natürlich, und mir stellt sie den Dackel in das Haus, und ich kann sehen, wie ich mit dem Biest fertig werde. Sie schläft vergnügt »im Bewußtsein ihrer guten Tat« – und ich kann mich hier schlaflos auf meinem Lager wälzen und vor ohnmächtiger Wut bersten.

Aber sind sie denn überhaupt anders, die ganzen Weiber – eine einzige ausgenommen? Das alles ist ja so echt weiblich, diese Beschränktheit und diese engherzige Selbstsucht. O, Rosamunde, Rosamunde! Wie recht hast du doch mit all dem, was du an deinen Geschlechtsgenossinnen auszusetzen hast! Und da ist man der Narr und setzt sich ein für Gleichberechtigung der Frauen und derlei Dinge!

Aber du kannst mir heute oder ein andermal in der Frühe noch so oft vorüberkommen, und so »allein«, als man überhaupt nur sein kann! Ich werde mich hüten. Du wirst allein bleiben – von mir aus. Ich habe dich jetzt erkannt – und ich bin fertig mit dir.

Aber vorläufig war ich doch noch nicht ganz fertig mit der jungen Dame. So lange diese Nacht dauerte, wenigstens nicht. Denn daß ich fertig sei mit ihr, und was ich sonst in plötzlicher Erleuchtung erkannt hatte, das wiederholte ich mir 141 noch gar oft. So lange nämlich, bis der helle Tag anbrach und die Sonne meiner vergeblichen Bemühungen, doch noch einzuschlafen, spottend lachte. Nur daß dann wenigstens der beruhigende Gedanke dazukam, daß sie jetzt da drunten wohl verdrießlich auf- und abwandle, während ich, wenn auch mit einem mächtigen Brummschädel behaftet, ruhig in meinem Bette liege.

Als ich endlich aufstand und, weil ich für Hunde ein fühlendes Herz besitze, mich doch bei Rojko nach dem Befinden unseres jüngsten Hausgenossen erkundigte, da meldete mir der Mann mit sichtlicher Befriedigung, daß der Herr Stationschef in aller Frühe den Korb und den Hund wieder habe holen lassen, weil es ein Irrtum gewesen sei und der Hund einem »anderen Hofrat« gehöre.

Es ist wirklich gut, daß es heutzutage so viele Hofräte gibt, denn mit dem Licht, das mir der »andere Hofrat« über meine Freundin aufgesteckt hat, hat er doch recht gehabt. Ich wenigstens bin bei meiner nächtlichen Erkenntnis geblieben. 143

 


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