Alfred Brust
Jutt und Jula
Alfred Brust

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11

Jutt hatte am nächsten Morgen, als er am Flußufer stand und in den Wasserspiegel blickte, entdeckt, daß sein Gesicht ihm völlig fremd geworden war. Ein leichter dunkler Flaum hatte sich ihm um Kinn und Backen gelegt. Aus seinen Augen, die tief geworden waren, sprach ein Blick des Leidens. Er erstaunte ob solchen Aussehens und erinnerte sich, Menschen eines ähnlichen Äußeren gesehen zu haben. Und wenn er genau nachdachte, was für ein Empfinden er solchen Personen entgegengebracht hatte, so mußte er sich sagen, daß das ein Gefühl von unerklärlicher Zuneigung gewesen war – teilzuhaben am fremden Geschick und sich aus ganzer Seele mit einem Verstehenden aussprechen zu können – einsam, verloren steuernd im rollenden, wogenden Meer der Menschheit.

Dann ging er zur Kapelle zurück und begann sich sorgfältig anzukleiden. Er gedachte Jula damit einen besonderen Gefallen zu tun.

Der Fremde, der Innige, den die Menschen also einmal Kaserrie genannt hatten, war schon fortgewesen. Jetzt 153 kam er wieder. Und der junge Mann schämte sich, daß er sich des dummen falschen Namens erinnerte, wie ein Menschlein, das für alles Ding und Wesen auf der Erde einen Namen haben muß und das dies Leben vor Angst und Ungewißheit nicht ertrüge, wenn es im Dasein etwas gäbe, das nicht mit Namen zu benennen wäre, Schild, Zahl und Artung auf der Stirne hätte.

Dennoch vermochte er es auf einmal nicht ein peinliches Gefühl zu unterdrücken. Und als er darob prüfend auf den Innigen sah, schlug ihm eine höhnische Faust jähe Zweifel in die Brust. Denn aus diesem edeln Gesicht war über Nacht die Fratze eines Satyrs geworden. Da schienen alle Laster der Welt in diesen Zügen, Falten und Grimassen zu spielen. War das denn möglich? Und wie konnte man das begreifen! Freilich – die Erinnerung an die furchtbare Zeit der Lust mochte nicht ohne Eindruck geblieben sein. Der ewige Schmerz über die unerkannte Liebe konnte zur Verzweiflung treiben. Und wo mochte die fremde Frau geblieben sein? Dieser Mann hatte doch durchaus kein Mittel unversucht gelassen Nachricht von dem Schicksal der Unglücklichen zu erhalten. Und ein starker Trost stand in Jutt auf: er hatte Lebendigstes erfahren und gelernt; seine Ehe konnte nicht mehr an solchen Aufwallungen und Gefühlen scheitern. Er hatte die Wasserprobe und hatte die Feuerprobe bestanden. Er würde Jula heilig halten und nie von ihrer Seite weichen.

154 Aber er erschrak. Was sagte denn da der Innige plötzlich? Hatte er richtig gehört?

»Dieser dumme Stutzer will das Mädchen haben?!«

Hatte das der Mann tatsächlich ausgesprochen? Er mußte sich verhört haben. Es konnte nicht anders sein. Aber da! Nochmals!! Schärfer betont: »Dieser dumme Stutzer will das Mädchen nehmen!!?«

Stutzer – hatte er gesagt!! Jutt riß es herum. Er starrte auf den Sprecher, der auf und ab ging. Da war kein Zweifel möglich: dieser Mann war verrückt geworden, oder er war bis heute ein teuflischer Komödiant gewesen, der plötzlich seine Rolle nicht mehr weiterspielen konnte.

Mit zitternden Fingern beendete Jutt das Ankleiden. Dann richtete er sich straff hoch und warf einen Blick ohne Scheu auf das Gesicht des wandelnden Mannes. Der ließ auch sein Auge ganz kurz in diesem Blicke ruhn. Aber Jutt empfand, daß dies mit einem Unmaß von Verachtung geschah, zumal gleich wieder ein Satz durch den Raum flog: »Was der Junge sich einbildet!«

Der junge Mann schwebte zwischen Furcht und Zorn. Denn sein Zorn war so groß, daß er den Alten hätte zerreiben mögen, aber die Furcht war größer, die Furcht davor, daß er dann sich selbst verlieren würde und alles, alles verlieren müßte – Jula, die Pflanzung, ach! seine ganze Zukunft und alles, was in ihr ruhte! Und so nahm er sich in jedem Gliede zusammen, trat auf den Mann zu, 155 legte ihm heftig die Hand auf die Schulter, und sagte sehr fest: »Sei vernünftig, lieber Mensch! Die Nacht hat dir nicht gut getan.«

»Die Hand weg!!« schrie der Angeredete, schrie es mit einer Stimme, wie Jutt sie so scharf und schneidend noch niemals im Leben gehört hatte. Er hatte bei dieser schneidenden Kälte des Befehls im Geist einen blauweißlichen Eindruck. Und blitzartig riß er auch seine Hand zurück. Ihn schoß zudem ein Blick an, in dem der helle Zorn eiskalt brannte.

Und mit derselben Kälte, die Jutt bis in die Zähne hinein gefrieren machte, befahl der unerklärliche Mann das Furchtbare: »Jula hat heute im Laufe des Tages zu mir zu kommen! Hierher! Und nackt! Ganz nackt! Ohne Bekleidung wird sie allein in diese Kapelle kommen!! Du wirst sie schicken!!«

Jutt wankte wie unter einem Keulenschlag rückwärts zur Tür. Dann raffte er sich und gab ganz unvermittelt einer sinnlosen rasenden Wut Raum.

»Irrsinniges Tier!!« brüllte er auf mit einer unmenschlichen Stimme. Für Sekunden schloß er die Augen. Schwarz und rot zuckte es ihm vor dem inneren Blick. Mit knirschenden Zähnen spreizte er die Hände; wie ein Krampf krallten sich seine Finger. Und wie er die eingekniffenen Lider öffnete, um seiner Wut das gewollte Ziel zu gestatten, ließ er doch kraftlos die Arme sinken.

156 Denn der Alte kauerte vor dem Altar – in einer so abgeschlossenen Haltung seiner Gestalt, daß es unmöglich war ihn von außen anzurühren.

Und Jutt ging auf ihn zu. Aber seine Knie zitterten, und er vermochte es nicht sie durchzudrücken. Er beugte sich tief zu dem Verschlossenen hinab und versuchte in dessen Gesicht zu sehen.

»Nicht wahr! Du sprachst irre, Inniger!« sagte er beinahe warm und bittend. »Ich weiß, ich sah es ja. Und auch Jula sah es: dir gefällt mein Mädchen. Und durch die Erinnerung in dieser Nacht ist das wilde Begehren über dein mönchisches Leben gestürzt.«

»Wenn ich dir wert bin, daß du mich heilest und rettest, so tue was ich dir anbefahl!« Hohl und fern wie aus einem weiten Grabe schlugen diese Worte an das Ohr des Jünglings.

»Kein – anderes – Wort?« quoll es langsam aus der gepreßten Kehle.

Aber der Kauernde sank noch härter in sich hinein, so daß Jutt empfand, daß er aus diesem Munde nie wieder eine Silbe hören würde.

Er trat zur Seite. Und mit zögernden schweren Schritten ging er hinaus – ein gebrochener Mensch. Und er ging durch den Morgen, wie solch ein gebrochener Mensch durch den Morgen geht. Die Dinge der Erde und ihre Äußerungen sind ihm zuviel. Er spürt nur 157 seinen Schmerz und möchte alles ringsher so voll Schmerz und Verzweiflung sehen. Und er weiß so tief in sein Leid hinabzusteigen, um es mit unerbittlichem Hammer noch wunder und weher zu schlagen. Und es kann auch sein, daß sein Auge dennoch auf eine liebliche Blüte am Wege, einen reizenden Vogel im Buschwerk fällt. Dann wird er sich grimmig abwenden und in eine hämische Lache ausbrechen, während durch sein Hirn eine Kette von Gotteslästerungen tanzt, die erst bei der gräßlichsten Schmähung abreißt und den Schmerztobenden zwingt, es noch einmal mit dem Verstand zu versuchen.

Gerade als Jula das Haus verlassen hatte, wankte Jutt auf den Hof. Sie ließ Kanne und Korb fahren und eilte auf den Geliebten zu.

»Was ist geschehn!?« rief sie laut. »Bist du doch krank von meiner Dummheit geworden!!« Sie bebte am ganzen Leibe und griff den jungen Mann vor die Brust.

Der aber schüttelte leise den Kopf und jammerte gequält hervor: »Der Innige ist verrückt geworden! In dieser Nacht verrückt geworden . . .«

»Was?!« schrie Jula. »Was tut er? Wo ist er?«

Jutt zuckte die Schulter. Und da Jula nicht klar sah, was in dem verstörten Gesicht zu lesen stand – denn es konnte Hohn, Leid, Verzweiflung, Verachtung, Bitterkeit, Entsetzen oder auch alles zusammen sein, ließ sie den Geliebten los und begann nach dem Walde zu laufen. 158 Aber sogleich hatte Jutt sie eingeholt, hielt sie mit starken Armen umfangen.

»Niemals mehr dorthin! Niemals mehr, Jula! Nie! Nie! Ich gehe allein, wenn es sein muß – aber niemals mehr du!!«

»Dann sprich,« sagte das Mädchen streng.

»Das ist ungeheuer, Jula. Ich glaube, ich werde es nicht über die Lippen bringen! Ist denn der Himmel verschlossen und sind alle Höllen geöffnet!?«

Er schlug sich mit der Faust vor die Stirn, daß es dröhnte. Jula ergriff den Gebrochenen beim Arm und führte ihn ganz energisch in das Haus. Im Speisezimmer drückte sie ihn in einen Sessel und herrschte ihn an: »Nun rede endlich! Das bist du mir schuldig! Dein Betragen ist unschön!!«

Jutt hob den Blick. Da war er ja doch in dem Hause bevor es Zeit war! Und aus den wühlenden Gedanken hob er heraus die Geschichte des Innigen, die er in der Nacht gehört, und setzte sie in klaren Linien vor den Geist des Mädchens. Als er geendet, sah er wie Träne auf Träne übers Gesicht der Geliebten lief. Auch er war noch einmal ergriffen und sagte, gleichsam ihr Mitgefühl entschuldigend: »Ja – auch ich habe so bitter weinen gemußt in der Nacht . . .«

Und plötzlich raste er auf, als würde er von Furien gepeitscht.

159 »Aber heute, heute morgen,« schrie er und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum – »da – da sagte er Stutzer und Junge zu mir und befahl – befahl!« – seine Stimme überschlug sich, »Du müssest heute nackt, ganz nackt und allein in die Kapelle zu ihm kommen! Ich soll dich schicken!!«

Jula war aufgesprungen, und starr wie aus Stein sah sie mit großen Augen gegen die Wand.

»Das wird alles nicht sein, Jula,« rief er weiter. »Ich werde dich schützen, Jula. Er ist verrückt geworden! Die Erinnerung hat ihn so gepackt, daß die alte Leidenschaft sich über sein mönchisches Leben stürzte. Ich weiß das ja. Ich weiß das! Er sagte es ja. Er hat es ja selbst gesagt!«

»Was hat er noch gesagt, was du verschweigst?« fragte Jula ernst und vornehm.

»Er sagte, als ich ihn bat, vernünftig zu werden, wenn ich ihn heilen und retten wolle, müsse ich tun, wie er mir anbefohlen. Also ich sollte wohl gehen, meinte er gewiß, dich zu ihm hinzuschicken. Das ist ja nicht auszudenken! Um Gottes willen! Das hab ich ja noch gar nicht einmal richtig durchdacht!« Jutt lief aufgeregt hin und her, stieß die Stühle beiseite, hob sie auf und stellte sie wieder hin.

Da liefen plötzlich wie flinke kleine Mäuse ein paar Worte Jutt ans Herz: »Wenn du mich schickst: ich werde gehen . . .«

Konnte das Jula gesprochen haben? Hatte das Jula 160 gesagt? Was war denn mit ihr geschehen! O Gott! Sie hatte doch nicht, hatte doch womöglich nicht den Innigen – – –. Da brach sie in einem Sessel zusammen!

Aber sogleich erhob sie sich wieder, jung, stark, kühn! Aber mit Augen! O diese Augen, Augen!!

Jutt sah in einen fremden Blick, vor dem ihn schauerte. Und dieser Blick legte sich über das ganze Gesicht. Und es wurde ein neues Gesicht!

Aber Jula nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Zimmer. Da zog sie ein Schubfach auf und ließ ihn hineinsehen. Ein Blatt Papier lag darin. Und in der Tante Handschrift stand darauf besonders groß geschrieben: »Teuerstes Vermächtnis! Dem Innigen sollt ihr gehorchen, als ihr gehorchet mir!!! Maria! –«

Diese drei Ausrufzeichen waren eine Drohung, empfand Jutt. Und vor allem das letzte Ausrufzeichen war eine schwere Drohung. Welch ein Mensch denn setzte sonst hinter seinen Namen solch ein Zeichen? Und was wollte Jula damit sagen?

Er sah sie an. Oh, sie behielt den fremden Blick. Es konnte nicht anders sein, sie liebte den Innigen. Und die prachtvolle Tante hatte bestimmt das Mädchen für den Komödianten erzogen. Nach ihrem Tode noch befahl sie Jula als Schlafgenossin für den geilen Greis. Und er, Jutt, sollte hier zusehen und für die beiden arbeiten!

Alles wankte und schwankte um ihn her. Die Wände 161 und die Fenster, die Tische und Stühle waren schief. Und er selbst war schief. Er fühlte sich auf einmal als einen Stock, den er sich übers Knie gelegt hatte und den er zerbrechen sollte. Eiskalt lief es ihm über den Rücken. Nein! Das durfte doch nicht sein. Zerbrechen durfte er nicht! Er wollte bleiben, wer er war, Jutt, der Apotheker.

Und mit raschem Entschluß verließ er das Zimmer, fand den Raum, darin er geschlafen hatte. Er setzte sich den Hut auf, entnahm seinem alten Rock die Tasche mit Geld, warf sich den Rucksack über den Arm und – wäre beinahe entkommen, wenn sich ihm Jula nicht entgegengeworfen hätte, die unter schneidendem Aufweinen mit ihren kleinen Fäustchen gegen seine Brust schlug, immerzu schlug, daß der junge Mann über soviel Mühe Mitleid bekam.

»Das ist Liebe? O du! du!! Du willst mich allein lassen! Du nimmst mich nicht einmal mit! So hast du mich lieb? Das ist dein Beweis!«

Jutt fühlte, wie sehr sie im Recht war und wie sehr er aus Selbstsucht gehandelt hatte. Das war echt goethische Selbstsucht gewesen. Und er wußte nicht, was er vor Scham sagen sollte.

»Ich wollte doch nicht zerbrechen,« stammelte er. »Ich wollte doch bleiben, der ich bin.«

Da ließ ihn Jula los und lächelte schmerzlich. »Ich habe mich dort im Zimmer zerbrochen,« sagte sie leise. 162 »Und nun ist alles klar in mir, ganz klar und ruhig, wie der Spiegel eines Sees. Und eine Seerose schwimmt darauf – mit weitgeöffneten Blütenblättern.«

»Geh,« sagte Jutt, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich, »geh! Und gehorche deiner Tante Maria.«

»Ja,« sprach Jula, »ich werde gehorsam sein und dem Innigen gehorchen. Was es auch sei. Aber er hat mir nichts befohlen. Denn er hat nicht zu mir gesagt: Jula komm! Er hat zu dir gesagt, du mögest ihm zur Rettung deine nackte Jula schicken.«

Deine nackte Jula – hatte sie gesagt. Und so voll und warm und selig hatte das geklungen, daß Jutt von großen Schauern der Liebe erfaßt vor der Geliebten ins Knie sank, sie mit beiden Armen umschlang und sein Gesicht heiß in ihren Schoß preßte.

»Und du kommst dann zurück zu mir?« schluchzte er zu ihr hinauf.

»Alles, alles ruht in Gottes Hand, Geliebter.«

»So gehe zum Innigen. Heile und errette ihn. Der Gott will das Opfer!« Jutt hatte es ganz stark, ganz groß und erhoben gesprochen. Und da spürte er, daß in ihm drin etwas mit einem ungeheuren schrillen Klang zerriß. Er drohte umzusinken. Aber Jula stützte ihn. Und alles wurde neu ringsher. Denn er hatte sich zerbrochen.

Und sie gingen, jedes in sein Zimmer, und bereiteten sich auf die große schwere Stunde vor.

163 Jula wartete. Aber erst am späten Nachmittag war über Jutt die große Kraft und Ruhe gekommen. Er klopfte an ihre Tür und trat zurück als sie öffnete. Er fühlte in seine Augen bei ihrem Anblick eine Kälte fallen. So schön und ergeben feierlich hatte sie noch nie ausgesehen. Sie hatte sich einen Myrthenkranz durch das Haar geflochten und die Enden der beiden Zöpfe, die lose und locker waren, sich unterm Kinn zu einem Knoten verschlungen. Einen Pelz hatte sie übergezogen. Und unter diesem Pelz war sie nackt. Es war ein sehr kostbarer Pelz und von einer Größe, die auf die Vergangenheit Tante Marias schließen ließ. Denn so groß war die Tante nach Jutts Erinnerung nie gewesen. Jula mußte den Mantel raffen, damit er nicht auf der Erde schleppte.

So gingen sie – schweigend – ein wenig bang – aber doch voll gewisser Zuversicht.

Und Jutt erschrak über sich selbst, wie sehr am Äußerlichen er heute verhaftet gewesen war. Wo waren die verflossenen Tage und ihre großen Offenbarungen gewesen? War ihm nicht der Stein der Weisen, das ewige Feuer, der Welt Urton geschenkt worden?! Und weshalb hatte er es nicht verstanden sich ihrer zu bedienen?

Aber er fragte nicht weiter. Er öffnete die Brust und hob sein Herz dem heiligen Rhythmus entgegen. Die Schwingungen nahmen ihn auf, und er wurde Eins mit den Schwingungen. Und auch durch Jula zitterten sie dahin.

164 Langsam betraten sie die Lichtung. Sie erstaunten. Vor der Kapelle war ein frisches Grab geschaufelt. Faustgroße Steine waren darauf zu zwei übereinanderliegenden Wellen zusammengefügt, dem Zeichen des Wassermanns.

»Geh hinein, Jula! Rasch, geh hinein!« sagte Jutt hastig.

Und Jula ging langsam in das Haus und schloß die Tür hinter sich. Jutt aber trat abseits unter die Eichen mit abgewandtem Gesicht . . .

Jula sah mit großen fragenden Augen auf den Innigen, der sie mit leuchtendem Blick empfing.

»Der Mantel!« rief er leise aus und hob in schmerzlichem Schreck die Hände.

Da ließ Jula mit ergebener Bewegung den Mantel von ihren Schultern sinken und stand hüllenlos.

»Oh – nein, nein!« wehrte der Innige, griff zum Altar, zog die Decke herab und trat auf Jula zu, sie rasch verhüllend. Aber den Mantel hob er auf, atmete seinen Geruch ein, barg sein Gesicht in dem weichen Fell und schütterte am ganzen Körper als ob er weine.

»Hast du sie sehr liebgehabt?« fragte Jula leise.

»Damals hat sie diesen Mantel getragen,« sprach er flüsternd. »Habe Dank, meine Tochter. Und nun geh und erlöse deinen Mann. Sag ihm, daß er ein Sieger sei wie wenige. Und halte ihn wert, denn er ist dir und den Menschen ein großer Liebender.«

165 Und er küßte das Mädchen auf die Stirn. Und das Mädchen ging hinaus . . .

Als die Glückseligen sich gesammelt hatten, traten sie mit frommen Schritten wieder in die Kapelle. Doch der Innige war nicht darin zu finden. Und auch Mantel, Hut und Stock waren nicht zu sehen. Selbst der Pelzmantel lag nirgends. Aber auf der Schwelle zum Altar sahen sie ein Stück Papier. Darauf standen ein paar Zeilen geschrieben. Sie lasen:

»Liebe Jula! Dein Mann wird dir erzählen die Geschichte meiner Liebe. Maria war die Frau, die mich erhört hatte. Sie ist deine Mutter – und ich bin dein Vater, was sie mir bis zu ihrem Tode verschwiegen hatte. Du, meine Tochter, überreichtest mir die Kunde.

Du aber, lieber Jutt, bist ein Kind des ersten Geliebten der Maria, der sie mit ihrer Kammerzofe betrog und um derentwillen sie ins Kloster wollte. Deine Eltern starben früh. Du bist ein Waisenkind, aber auch ein Mann und kannst es stolz tragen.

Suchet mich nicht. Ihr werdet mich nicht finden. Aber wenn ihr mich in euren Herzen anruft, werde ich bei euch sein. Und es ist möglich, daß ich einmal komme, um mich eurer Kinder zu freuen.

Denn saget es allen Menschen: der Geistesmensch, der nicht Kinder zeugt, versündigt sich an dem höchsten Adel, welcher im Wachsen ist und der die Menschheit und ihre 166 Mutter Erde erlösen wird aus allen Stricken, Ketten und Gefängnissen. Daran habt teil zu allererst! Sorget nicht, ob ihr sie ernähren könnt. Wenn sich die Menschen von euch wenden, wird euch der Geist der Erde Schirm und Hüter sein. –

Euer Vater.«

Sie hielten einander umschlungen und warteten, daß ihre stürmenden Gefühle langsam zur Ruhe gingen. Dann gewahrte Jula, daß das Kruzifix auf dem Altar fehlte. Sie deutete stumm darauf hin. Jutt verstand.

»Ist denn eine Schaufel hier?« fragte er flüsternd.

Jula nickte, hob den Deckel einer Truhe hoch, darin Besen und Schaufel lag. Sie traten vor die Tür. Aber Jutt trug die Schaufel zurück und schloß die Pforte.

»Weshalb sollen wir graben? Ist es nicht besser, wenn die Darstellung dieser schauerlichen Qual auf der ganzen Erde vergraben würde? Ist es nicht besser auszustreichen dieses Kreuz und dafür das Wort Auferstehung anzuschreiben an alle Wände und Zäune, an alle Türen und Tapeten! Soviel Auferstehung muß am Ende überzeugen!«

Und dann gingen sie nach Hause. Der Abend war hereingebrochen. Die ersten Nachtigallen schlugen am Fluß. Feierlich still war die Welt. Zwischen den Zweigen lief das Licht des aufgegangenen Mondes. Sehr fern murmelte es wie ein weites Gewitter. Und als sie den Wald 167 verließen, sahen sie bis zum halben Himmel eine Wetterwand, die im raschen Abziehen begriffen war. Aber der Vollmond hatte einen so starken Glanz, daß er auf dieser Wetterwand einen gewaltigen weißen Regenbogen zeichnete.

Stumm und hingerissen betrachteten die Liebenden das Wunder.

Dann gingen sie ins Haus, in Julas Gemach. Entkleidet knieten sie vor Julas Bett und beteten zum Herrn der Welt, daß er ihnen recht, recht viele Kindchen schicken möge aus den großen Reichen wo die traurigen Englein sind.

 


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