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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Jeder der sieben folgenden Tage hinterließ eine Spur durch die schnell fortschreitende Verschlimmerung in Mr. Edgars Befinden. Der Verfall, der sich seit Monaten vorbereitet hatte, vollendete sich nun im Verlauf von Stunden. Catherines aufmerksamer Verstand ließ sich durch unsere gutgemeinten Bemühungen nicht täuschen; sie erriet alles und grübelte insgeheim über die grauenhafte Möglichkeit nach, die allmählich zur Gewißheit wurde. Als der Donnerstag gekommen war, brachte sie es nicht übers Herz, den Ausflug, den sie vor hatte, zu erwähnen. Ich tat es für sie und erhielt den ausdrücklichen Auftrag, sie hinauszubringen.

Die Bibliothek, in der ihr Vater täglich ein wenig verweilte (in der kurzen Zeit, die er außer Bette sein konnte), war zusammen mit seinem Zimmer ihre ganze Welt geworden. Sie zürnte jedem Augenblick, in dem sie sich nicht über seine Kissen neigen oder bei ihm sitzen konnte. Ihr Gesicht war vom langen Wachen und von den vielen Sorgen blaß geworden. Eben deshalb ließ Mr. Edgar sie gern fort, damit eine andere Umgebung und fremde Gesellschaft ihr eine glückliche Abwechslung böten. Aus allerlei Bemerkungen konnte ich schließen, daß er die fixe Idee hatte, sein Neffe, der ihm äußerlich ähnelte, müsse auch im Wesen Ähnlichkeit mit ihm haben. Denn Lintons Briefe gaben nur geringe Anhaltspunkte, um die Fehler seines Charakters zu erkennen. Ich selbst scheute in unverzeihlicher Schwäche davor zurück, den Irrtum richtigzustellen. Denn welchen Nutzen hätte es gehabt, das Ende seines Lebens noch mit Erklärungen zu belasten, da er weder Macht noch Gelegenheit mehr hatte, irgendeinen Einfluß auf den Lauf der Dinge auszuüben.

Wir verschoben indessen den Aufbruch bis zum Nachmittag, einem goldenen Nachmittag im August. Jeder Hauch von den Hügeln her war so von Leben erfüllt, daß es schien, wer ihn einatmete, selbst ein Sterbender, müsse davon aufleben. Und Cathys Antlitz glich der Landschaft – Schatten und Sonnenlicht flogen in rascher Folge darüber hin. Die Schatten freilich blieben länger, das Licht war vergänglicher. Die Arme machte sich selbst über diese kurze Abwesenheit von ihren Pflichten heimliche Vorhaltungen.

Dann sahen wir Linton an der gleichen Stelle auf uns warten, die er beim letztenmal ausgesucht hatte. Cathy sprang ab und sagte, da sie heute nur kurze Zeit bleiben würde, solle ich lieber das Pony halten und selbst zu Pferde bleiben. Aber ich wollte sie keine Minute aus den Augen lassen; so stiegen wir zusammen auf den Heidehügel. Dort empfing uns Master Heathcliff mit lebhafterer Begrüßung als in der vorigen Woche, aber die Lebhaftigkeit stammte offenbar weder aus besserem Befinden noch aus echterer Freude. Sie sah mehr nach Furcht aus.

»Spät!« sagte er mit mühsamem Atem. »Dein Vater ist doch sehr krank? Deshalb glaubte ich, du würdest nicht kommen.«

»Sei aufrichtig!« rief Cathy und verschluckte ihren Gruß.

»Warum sagst du mir nicht gleich, du willst mich nicht haben? Merkwürdig, Linton, daß du mich zum zweiten Male hierher bestellst – ohne daß ich einen anderen Grund sehe, als daß du uns beide zur Verzweiflung bringen willst!«

Linton fuhr zusammen und schaute sie, halb demütig bittend, halb beschämt, an. Aber Cathy hatte nicht mehr Geduld genug, sein rätselhaftes Verhalten zu ertragen:

»Mein Vater ist in der Tat sehr krank. Warum werde ich von seinem Bett hinweggerufen? Warum schickst du mir nicht ein Wort und entbindest mich von meinem Versprechen, da du doch innerlich wünschst, ich hielte es nicht ein? Gib mir eine Erklärung. Für Spielerei und Zeitvertreib habe ich jetzt nicht den geringsten Sinn, mit deinen Launen kann ich mich nicht mehr abgeben!«

»Meine Launen!« murmelte er. »Worin bestehen sie? Ums Himmels willen, Catherine, sieh nicht so böse aus! Verachte mich, so sehr du willst, ich bin unnütz, feige und verworfen, man kann mich gar nicht genug beschimpfen. Aber eben deshalb bin ich zu gering für deinen Haß! Hasse meinen Vater – mich verachte höchstens!«

»Unsinn!« schrie Cathy rasend. »Du alberner Junge! Da zittert er, als ob ich ihm wirklich etwas tun wollte. Du brauchst nicht um Verachtung zu bitten. Jeder wird sie dir von selbst entgegenbringen. Mach, daß du fortkommst, ich reite nach Haus. Es ist verrückt, dich von deinem Kaminfeuer zu verjagen, aus dem Grunde – ja, aus welchem Grunde? Laß mein Kleid los! Selbst wenn ich Mitleid mit dir hätte, weil du so verstört aussiehst, müßtest du mein Mitleid verschmähen. Ellen, sage ihm, wie unwürdig er sich benimmt. Steh auf, erniedrige dich nicht zu einem kriechenden Wurm! Das darfst du nicht!«

Todesangst im Gesicht, von Entsetzen geschüttelt, war Lintons kraftlose Gestalt zu Boden gesunken. Er schluchzte:

»Ich kann nicht mehr! Catherine, Catherine, ich bin ein Betrüger! Auch ein Betrüger und Verräter! Ich wage nur nicht, es dir zu gestehen! Aber wenn du mich verläßt, werde ich getötet. Liebste Catherine, mein Leben ist in deiner Hand. Und du hast gesagt, daß du mich liebst – und wenn es so ist, würde dir ja all das nichts ausmachen. Also geh nicht weg, nicht wahr, liebe süße gute Catherine! Vielleicht wirst du dann einwilligen – und er läßt mich bei dir sterben!«

Als sie diesen furchtbaren Ausbruch hörte, beugte sich das Mädchen zu ihm nieder und wollte ihm helfen, sich aufzurichten. Das alte Gefühl nachsichtiger Zärtlichkeit überwog ihren Zorn, sie war nur noch bewegt und verwirrt.

»Worin soll ich einwilligen?« fragte sie. »Hier zu bleiben? Erkläre mir doch endlich, was deine sonderbaren Reden bedeuten, dann will ich es tun. Du widersprichst dir selbst in deinen Worten, so daß ich mich überhaupt nicht mehr zurechtfinde. Sei ruhig und offen und beichte mir sofort alles, was du auf dem Herzen hast. Du willst mich doch nicht kränken, du willst mich doch gewiß nicht herabwürdigen, Linton? Du würdest nicht zulassen, daß mich ein Feind verletzt, wenn du es verhindern könntest, nicht wahr? Ich könnte mir denken, daß du in bezug auf dich selbst ein Feigling bist, aber nicht, daß du deinen besten Freund feige betrügen und verraten könntest!«

»Aber mein Vater hat mir gedroht –« keuchte er und verkrampfte die dünnen Finger. »Ich fürchte ihn – ich fürchte ihn – ich wage es nicht, zu sprechen –«

»Gut«, erwiderte Catherine mit wegwerfendem Mitleid, »behalte also dein Geheimnis für dich und bring dich nicht in Gefahr – ich fürchte mich nicht!«

Ihre Großmut brachte ihn erst recht aus der Fassung. Er küßte ihre Hände, die ihn stützten. Doch er fand nicht den Mut, zu sprechen. Ich dachte angestrengt darüber nach, um welches Geheimnis es sich handeln könnte. Jedenfalls war ich entschlossen, zu verhindern, daß Catherine ihm oder einem anderen auf ihre Kosten entgegenkommen sollte.

Plötzlich hörte ich ein Rascheln im Heidekraut. Dicht vor uns sah ich Mr. Heathcliff die Anhöhe herabsteigen. Er warf keinen Blick auf die beiden, obwohl er Lintons Schluchzen gewiß weithin vernommen hatte, und begrüßte mich in dem fast herzlichen Ton von zweifelhafter Aufrichtigkeit, den er ausschließlich gegen mich anschlug:

»Welches Ereignis, dich so nahe meinem Hause zu erblicken, Nelly! Wie geht es euch denn in Grange? Erzähle mir ein bißchen.« Dann senkte er immerhin die Stimme: »Ich höre, daß Edgar Linton im Sterben hegt. Vielleicht übertreibt man seine Krankheit, wie?«

»Nein, es ist nur zu wahr, er stirbt. Für uns ist es schlimm, für ihn eine Erlösung.«

»Und wie lange kann es noch dauern, was meinst du?«

»Das weiß ich nicht.«

»Nämlich«, er sah zu den beiden jungen Leuten hinüber, die vor seinen Augen wie aneinandergefesselt waren, da Linton aussah, als sei er zu keiner Bewegung imstande und könne nicht einmal den Kopf heben, und Catherine sich seinetwegen nicht zu regen vermochte,»– nämlich unser Jüngling hier scheint mich hineinlegen zu wollen! Ich wäre seinem Onkel dankbar, wenn er schneller wäre und vor ihm stürbe. Hallo! Treibt er dieses Tränenspiel schon lange? Er war doch bei mir lange genug in der Lehre. Ist er sonst ordentlich lebhaft mit Miß Catherine?«

»Lebhaft? Nein! Er macht den allertraurigsten Eindruck«, erwiderte ich. »Wenn man ihn sieht, so möchte man ihn ins Bett und in ärztliche Behandlung bringen, statt daß er mit seiner Freundin auf den Hügeln herumlaufen muß.«

»In ein bis zwei Tagen wird er so weit sein«, murmelte Heathcliff. »Aber zunächst – steh auf, Linton! Krieche nicht auf dem Boden herum. Auf! Augenblicklich!«

Linton war in einem Anfall hilfloser Angst von neuem hingesunken, nur weil der Vater einen Blick auf ihn geworfen hatte. Es war, als zerschmettere ihn dieser Blick zu einem Nichts. Er versuchte, zu gehorchen, aber er hatte nicht einmal mehr die Kraft zum Gehorsam und glitt stöhnend immer wieder zurück. Mr. Heathcliff ging hin, richtete ihn auf und lehnte ihn gegen einen Torfstapel.

»Jetzt werde ich böse«, sagte er mit gezügelter Wildheit. »Wenn du diese jämmerliche Haltung nicht ändern kannst – verdammt! Hoch!«

»Ich will ja, Vater«, keuchte er, »nur laß mich – sonst werde ich ohnmächtig. Ich habe es ganz sicher so gemacht, wie du es gewünscht hast. Catherine wird dir berichten, daß ich – daß ich fröhlich war. Bleib bei mir, Catherine, gib mir deine Hand.«

»Nimm meine«, versetzte sein Vater, »und komm auf die Füße. So – sie soll dir ihren Arm geben – so ist es recht. Sieh sie an. Miß Linton, Sie müssen annehmen, ich sei der Satan in Person, da ich solchen Schrecken errege! Seien Sie so freundlich, ihn nach Haus zu bringen. Wenn ich ihn anfasse, wird ihm schlecht!«

»Lieber Linton«, flüsterte Catherine, »ich kann nicht nach Wuthering Heights gehen. Mein Vater hat es verboten. – Er wird dir nichts tun. Warum bist du so ängstlich?«

»Ich kann nicht wieder ins Haus zurückgehen – ich darf nicht wieder ohne dich hin –«

»Halt!« rief sein Vater. »Wir wollen Catherines kindliche Bedenken schonen! Nelly, begleite ihn hinein und ich werde deinen Rat, den Arzt betreffend, unverzüglich befolgen.«

»Daran tun Sie gut«, erwiderte ich. »Aber ich muß bei meinem Fräulein bleiben. Für Ihren Sohn zu sorgen, ist nicht meine Aufgabe.«

»Du bist eigensinnig«, sagte Heathcliff, »ich weiß das schon. Du zwingst mich noch, mein Baby zu kneifen, damit es schreit und dich mitleidiger macht. Also komm, du Held. Genehmigst du, in meiner Begleitung zurückzukehren?«

Er trat dicht an ihn heran und tat, als wollte er das zerbrechliche Geschöpf anfassen. Linton fuhr zusammen und klammerte sich an das Mädchen. Er flehte Cathy mit so rasender Inständigkeit an, mit ihm mitzukommen, daß eine Weigerung nicht mehr möglich war. Mein Widerstand nützte nichts, ich konnte sie nicht hindern – sie konnte ihn nicht zurückstoßen. Irgend etwas Unergründliches hielt ihn in den Krallen. Man fühlte, eine neue Steigerung seines Entsetzens würde ihn zum Wahnsinn treiben. Catherine ging zuerst ins Haus, ich blieb draußen stehen und wartete, daß sie sogleich zurückkehren werde, wenn sie den Kranken zu einem Stuhl geführt hätte. Aber Mr. Heathcliff stieß mich hinein:

»Mein Haus ist nicht von der Pest befallen, Nelly. Überhaupt ist mir heute so gastfreundlich zumute! Setz dich! Erlaube, daß ich die Tür schließe.«

Er drehte den Schlüssel um. Ich erschrak.

»Ihr trinkt Tee, bevor ihr heimkehrt. Ich bin allein zu Haus. Hareton hat das Vieh zu den Lees getrieben, Zillah und Josef sind auf einer Vergnügungsreise. Zwar bin ich daran gewöhnt, einsam zu sein, aber ich schätze doch interessante Gesellschaft, wenn sie zu haben ist. Miß Linton, setzen Sie sich neben ihn. Ich gebe Ihnen, was ich besitze. Das Geschenk lohnt sich vielleicht nicht, daß Sie es annehmen, doch ich habe nichts anderes zu bieten. Linton meine ich. Wie sie mich anstarrt! Merkwürdig, wer vor mir erschrickt, steigert meine Wildheit. Wären die Gesetze des Landes, in dem ich geboren bin, weniger streng und der Geschmack weniger weichlich, würde ich die beiden dort zu einem Abendvergnügen einer langsamen Vivisektion unterziehen!«

Er zog heftig den Atem ein, schlug auf den Tisch und donnerte: »Ich hasse sie!«

»Ich habe keine Furcht vor Ihnen!« rief Cathy, die den letzten Teil seiner Rede nicht gehört haben konnte. Sie trat dicht an ihn heran, ihre schwarzen Augen funkelten vor Erregung und Entschlossenheit: »Geben Sie mir den Schlüssel. Ich würde hier nichts essen oder trinken, und wenn ich verhungern müßte. Den Schlüssel.«

Heathcliff hatte ihn in der Hand, die auf dem Tisch lag. Von ihrer Kühnheit überrascht, blickte er auf. Vielleicht erinnerte ihn ihre Stimme und ihr Blick an jene Frau, von der sie beides geerbt hatte. Sie griff nach dem Schlüssel und hätte ihn fast seinen lockeren Fingern entrissen. Aber ihre Bewegung versetzte ihn blitzschnell in die Gegenwart. Seine Hand schloß sich wieder.

»Catherine Linton, lassen Sie das. Sonst muß ich Sie ein bißchen niederschlagen. Das würde Mrs. Dean verrückt machen.«

Sie achtete nicht auf die Drohung und packte von neuem seine Faust mit dem Schlüssel darin. »Aber wir wollen – wir wollen gehen!« wiederholte sie und strengte sich verzweifelt an, den eisernen Griff zu lockern. Sie nahm die Nägel hinzu, und als dies keinen Eindruck machte, bückte sie sich und biß kräftig mit den Zähnen in die Hand. Heathcliff stierte mich auf eine Art an, daß ich mich nicht einzumischen vermochte. Catherine war zu heftig mit seinen Fingern beschäftigt, um auf sein Gesicht zu achten. Plötzlich öffnete er die Faust und ließ den Kampfgegenstand frei. Aber kaum hatte sie ihn ergriffen, als Heathcliff sie selbst packte und sie auf seine Knie zog. Ein Schauer von Ohrfeigen, von schrecklichen Schlägen prasselte auf ihren Kopf herab. Jeder einzelne Hieb hätte genügt, um sie zu Boden zu werfen, wenn seine Faust sie nicht gleichzeitig gehalten hätte. Bei dieser teuflischen Gewalttat stürzte ich mich wie eine Furie auf ihn. »Schuft!« schrie ich, »du Schuft!«

Ein Stoß vor die Brust brachte mich zum Schweigen. Ich bin dick und komme leicht außer Atem. Dies und mein Zorn machten mich schwindlig, ich taumelte zurück. Mir war, als müßte ich ersticken oder als bliebe mir das Herz stehen.

Der Auftritt dauerte nur zwei Minuten. Cathy, freigelassen, fuhr sich mit den Händen an die Schläfen. Sie sah aus, als wüßte sie nicht, ob ihr die Ohren noch am Kopf säßen. Zitternd, völlig verwirrt, lehnte sie sich an den Tisch.

»Du siehst, ich verstehe mich darauf, Kinder zu strafen.« Er bückte sich nach dem Schlüssel, der auf den Boden gefallen war. »Geh jetzt zu Linton hin, wie ich dir gesagt hatte, und weine, so viel du magst. Morgen werde ich dein Vater sein – der einzige Vater, den du in ein paar Tagen überhaupt noch haben wirst. Du sollst noch manches von mir erleben. Du bist kein Schwächling und kannst viel ertragen. Du sollst deine tägliche Portion von mir bekommen, sobald deine Augen wieder so unverschämt funkeln.«

Cathy lief zu mir, statt zu Linton, kniete nieder und drückte ihr heißes Gesicht in meinen Schoß. Der Vetter hatte sich in einen Winkel des Lehnstuhls verkrochen und war mäuschenstill. Vermutlich beglückwünschte er sich selbst, daß ein anderer als er die Züchtigung erhalten hatte.

Als Mr. Heathcliff uns alle in solcher Verwirrung sah, erhob er sich und machte den Tee mit einigermaßen grober Eile selbst. Die Tassen und Untertassen standen schon da. Er goß ein und überreichte mir eine Tasse.

»Spül deinen Groll hinunter. Komm deinem nichtsnutzigen Schoßkind zu Hilfe und meinem zugleich. Der Tee ist nicht vergiftet, obwohl ich ihn zubereitet habe. Jetzt werde ich hinausgehen und mich um eure Pferde kümmern.«

Kaum hatte er uns verlassen, da war unser erster Gedanke, uns irgendwo einen Weg ins Freie zu erzwingen. Wir versuchten es an der Küchentür; sie war von außen verschlossen. Wir musterten die Fenster; sogar für Cathys schmale Gestalt waren sie zu eng.

»Master Linton!« rief ich, als ich uns in einem regelrechten Gefängnis sah. »Sie wissen, welchen teuflischen Plan Ihr Vater ausgeheckt hat. Sie werden es uns sagen, oder ich verprügle Sie, wie er Ihre Kusine!«

»Ja, Linton, du mußt es uns mitteilen«, fügte Catherine hinzu. »Dir zuliebe bin ich gekommen. Es wäre schändlich undankbar von dir, wenn du dich weigertest.«

»Gib mir Tee, ich bin durstig, dann verrate ich es dir«, antwortete er. »Mrs. Dean soll weggehen. Ich kann es nicht vertragen, wenn sie so dicht bei mir steht. – Catherine, deine Tränen fallen in meine Tasse. Das trinke ich nicht. Setz mir eine andere her.«

Catherine reichte ihm eine andere und wischte sich das Gesicht ab. Ich fühlte mich in höchstem Maße von der Gemütsruhe angewidert, die der kleine Bösewicht zeigte, weil er nicht mehr für sich selbst Furcht zu haben brauchte. Der Schreckenszustand, in dem er sich draußen im Moor befand, hatte sich unverzüglich bei seinem Eintritt in Wuthering Heights gegeben. Daraus schloß ich, daß man ihm einen schauerlichen Auftritt angedroht hatte, wenn er es nicht verstehen würde, uns hier hineinzulocken. Da es ihm gelungen war, empfand er keine unmittelbaren Sorgen mehr.

»Mein Vater will, daß wir uns heiraten«, fuhr er fort, nachdem er von seinem Getränk genippt hatte. »Er weiß aber, daß dein Vater es jetzt noch nicht zulassen würde, und er fürchtet, ich sterbe, wenn wir noch warten. Darum sollen wir morgen früh verheiratet werden. Du sollst die ganze Nacht hierbleiben. Wenn du tust, was er will, sollst du am nächsten Tage heimkehren und mich mitnehmen.«

»Sie heiraten? Sie mitnehmen? Sie erbärmlicher Tropf!« schrie ich. »Der Mann ist verrückt! Oder er hält uns alle für Wahnsinnige! Was? Dieses schöne junge Mädchen, dieser gesunde heitere Mensch soll sich an einen kränklichen kleinen Affen, wie Sie, binden! Schmeicheln Sie sich etwa sogar, daß irgend jemand und vor allem Miß Catherine Sie zum Manne haben möchte? Sie müßten dafür ausgepeitscht werden, daß Sie uns tatsächlich hierhergebracht haben, mit Ihrem Wimmern, mit Ihren feigen Kniffen! Machen Sie nicht solch ein albernes Gesicht! Ich möchte Sie hernehmen und für Ihren schimpflichen Verrat, für Ihren schwachsinnigen Betrug durchschütteln, was das Zeug hält!« Dabei gab ich ihm einen Stoß, keinen sehr heftigen. Er begann auf der Stelle zu husten und machte von seinem gewöhnlichen Hilfsmittel Gebrauch, indem er stöhnte und jammerte. Catherine tadelte mich.

»Aber – die Nacht lang hierbleiben? Nein«, sagte sie und schaute sich um. »Ellen, ich brenne die Tür an! Ich muß hinaus!«

Sie wollte sich sogleich an die Ausführung machen. Linton geriet wieder in fürchterliche Aufregung um sein liebes Ich. Er schlang seine beiden schwachen Arme um sie:

»Willst du mich nicht haben? Willst du mich nicht retten, mich nicht mit dir nach Orange gehen lassen? O liebe Catherine! Du darfst nicht weggehen und mich nicht allein lassen nach all dem! Du mußt meinem Vater gehorchen, du mußt!«

»Ich muß meinem eigenen Vater gehorchen und ihn aus der grauenhaften Ungewißheit erlösen. Die ganze Nacht! Was soll er denken? Schon jetzt wird er verzweifelt sein. Nein, ich brenne mir einen Weg aus diesem Hause oder ich breche ihn mir. Sei still! Du bist nicht in Gefahr. Nur wenn du mich hindern willst! Linton, ich liebe meinen Vater mehr als dich!«

Der Jüngling gewann in seiner tödlichen Angst vor Mr. Heathcliff die ganze Beredsamkeit eines Feiglings wieder. Cathy kam dem Wahnsinn nahe. Aber sie blieb dabei, daß sie heimkehren müsse. Sie versuchte es ihrerseits mit Bitten und redete ihm zu, seine selbstsüchtige Aufregung zu beherrschen. Aber während wir noch aufeinander einsprachen, kam unser Gefängniswärter wieder herein und sagte:

»Eure Rosse sind davongetrabt und – – Na, Linton, wieder am Flennen? Was hat sie dir getan? Hör auf und geh zu Bett. In einem oder zwei Monaten, mein Junge, wirst du in der Lage sein, ihr die heutige tyrannische Behandlung mit starker Faust heimzuzahlen. Du sehnst dich nach wahrer Liebe, nicht? Nach nichts anderem in der Welt? Nun, sie soll dir werden. Leg dich hin. Zillah ist heut abend nicht da; du mußt dich allein ausziehen. Halt den Mund! Wenn du bei dir in deinem Zimmer bist, werde ich nicht in deine Nähe kommen, keine Angst! Übrigens hast du deine Sache einigermaßen richtig erledigt. Den Rest übernehme ich.«

Dabei hielt er die Tür auf, damit sein Sohn hindurchschlüpfen konnte. Dieser verschwand wie ein Wachtelhund, der von seinem Herrn noch einen hinterlistigen Tritt erwartet. Das Schloß wurde gesichert, und Heathcliff näherte sich dem Feuer, wo mein Mädchen und ich schweigend standen. Cathy blickte auf und hob unwillkürlich die Hand vor das Gesicht. Seine Nähe weckte schmerzliche Gefühle in ihr! Niemand sonst wäre imstande gewesen, bei dieser kindlichen Bewegung seinen Ernst zu bewahren. Er sah sie finster an und brummte:

»Du sagtest doch, daß du dich nicht vor mir fürchtest? Der Mut ist weg, du scheinst verdammte Angst zu haben.«

»Jetzt aus einem anderen Grunde. Mein Vater wird unglücklich sein, wenn ich fort bleibe. Das kann ich nicht ertragen, weil er doch – weil er doch – Mr. Heathcliff, lassen Sie mich nach Haus. Ich verspreche Ihnen, Linton zu heiraten. Der Vater wird es mir erlauben, und ich liebe ihn. Weshalb also möchten Sie mich zu etwas zwingen, was ich freiwillig tun will?«

Ich rief dazwischen: »Er soll es wagen, Sie zu zwingen! Gott sei Dank gibt es noch Gesetze in unserem Lande, wenn wir auch so abseits liegen! Ich würde ihn anzeigen, und wenn er mein eigener Sohn wäre. Ohne den Segen der Kirche ist es ein schweres Verbrechen.«

»Ruhe!« sagte Heathcliff. »Laß dein Geschrei. Miß Linton, der bemerkenswerte Gedanke, daß Ihr Vater sich unglücklich fühlen wird, bereitet mir allerdings ein ganz besonderes Vergnügen. Auch ich werde nicht schlafen können, vor tiefer Befriedigung. Keinen sicheren Weg konnten Sie einschlagen, um Ihren Aufenthalt unter meinem Dache für die nächsten vierundzwanzig Stunden festzulegen, als mir diese Aussicht zu eröffnen. Was Ihr Versprechen, den Jungen zu heiraten, anlangt – so werde ich dafür sorgen, daß Sie es halten, denn Sie verlassen diesen Ort nicht eher, als bis es erfüllt worden ist.«

»Schicken Sie wenigstens Ellen hin, um dem Vater zu sagen, daß ich gesund und heil bin!« rief Catherine, bitterlich weinend. »Oder verheiraten Sie uns jetzt schon! Ellen, der arme Vater wird glauben, wir seien umgekommen. Was wollen wir nur machen?«

»Ach wo, er wird denken, Sie hätten genug davon, ihn zu pflegen, und Sie seien zu Ihrem Vergnügen ein bißchen weggelaufen. Sie können tatsächlich nicht leugnen, daß Sie mein Haus aus freien Stücken betreten haben, in Mißachtung seiner ausdrücklichen Vorschriften. Es ist in Ihrem Alter auch ganz natürlich, daß Sie sich eine Abwechslung wünschen und es überdrüssig sind, einen kranken Mann zu versorgen, gerade wenn dieser Mann nur Ihr Vater ist! Catherine, seine glücklichsten Tage waren vorüber, als Ihr Dasein begann. Vielleicht verwünschte er Sie, weil Sie zur Welt kamen – ich jedenfalls tat es – es wäre ganz in Ordnung, wenn er Sie jetzt verfluchte, da er aus der Welt geht. In dieser Beziehung kann ich ihm nur beistimmen. Ich mag Sie nicht. Wie sollte ich? Heulen Sie nur. Soweit ich es voraussehen kann, wird dies in Zukunft Ihre Hauptbeschäftigung sein, es sei denn, Linton entschädigt Sie für andere Verluste. Ihr fürsorgender Erzeuger scheint sich ja einzubilden, daß es so sein wird. Seine von Ratschlägen und Tröstungen strotzenden Briefe haben mich ausgezeichnet unterhalten. In dem letzten empfiehlt er meinem Juwel, das seine sorgsam zu hüten; empfiehlt meinem Sohn, recht süß zu seiner Tochter zu sein, wenn er sie bekäme. Sorgsam und süß, wie väterlich! Aber Linton beansprucht seinen ganzen Vorrat an Freundlichkeit für sich selbst. Er ist ein vorzüglicher kleiner Tyrann und würde es unternehmen, beispielsweise eine beliebige Zahl von Katzen zu foltern, vorausgesetzt, daß man ihnen vorher die Zähne gezogen und die Krallen abgeschnitten hätte. Sie werden seinem Onkel ganz wunderbare Geschichten von seiner Freundlichkeit und Güte erzählen können, wenn Sie heimkehren, seien Sie unbesorgt.«

»Richtig! Enthüllen Sie ihr den Charakter Ihres Sohnes!« sagte ich. »Zeigen Sie ihr, wie er Ihnen gleicht! Dann wird Miß Cathy es sich endgültig überlegen, bevor sie diesen Basilisken nimmt!«

»Ich habe es jetzt nicht nötig, von seinen liebenswerten Eigenschaften zu sprechen. Denn entweder nimmt sie ihn, oder sie bleibt hier gefangen, und du mit ihr, so lange, bis dein Herr stirbt. Ich kann euch beide hier vollkommen verborgen halten. Wenn du es bezweifelst, so sprich ihr nur weiter Mut ein, daß sie ihr Wort brechen soll – und du hast sofort Gelegenheit, dich von der Wahrheit meiner Behauptung zu überzeugen.«

»Ich will mein Wort nicht brechen«, erwiderte Cathy. »Ich will ihn noch in dieser Stunde heiraten, wenn ich dann nach Grange zurück darf. Mr. Heathcliff, obwohl Sie ein grausamer Mensch sind, werden Sie doch nicht aus bloßer Bosheit all mein Glück unwiederbringlich zerstören. Wenn mein Vater, in der schrecklichen Annahme, ich hätte ihn absichtlich verlassen, vor meiner Rückkunft sterben würde, wie könnte ich dann weiterleben? Ich weine nicht mehr, ich will hier zu Ihren Füßen niederknien und nicht eher aufstehen und meine Augen nicht von Ihnen wegwenden, bis auch Sie mich ansehen. Nein, drehen Sie sich nicht um, sehen Sie mich an! Sie werden nichts sehen, was Sie aufbringen könnte. Ich hasse Sie nicht. Ich bin nicht zornig, daß Sie mich geschlagen haben. Haben Sie niemanden in Ihrem Leben geliebt – Onkel? Wirklich niemanden? Oh, sie müssen mich einmal ansehen. Ich bin so unglücklich, daß Sie Mitleid mit mir haben werden, Sie werden nicht anders können.«

»Nimm deine Froschfinger weg, weg von mir oder du bekommst einen Tritt!« schrie Heathcliff wie rasend. »Lieber möchte ich von einer Schlange umarmt werden! Wie darfst du dir erlauben, mir zu schmeicheln? Ich verabscheue dich!«

Er schüttelte sich wirklich am ganzen Körper, als ob ihn ein unheimlicher Ekel überkäme, und warf sein schwarzes Haar zurück. Ich sprang auf, und ein ganzer Strom von Beschimpfungen quoll in mir empor. Aber mitten im ersten Satz brach ich ab. Denn er drohte, mich allein, getrennt von Cathy, in ein Einzelzimmer zu stecken, wenn ich noch eine Silbe sagte.

Es wurde dunkel. Wir hörten Stimmen an der Gartenpforte. Sofort eilte Heathcliff hinaus. Er war geistesgegenwärtig – wir nicht! Draußen wurde einige Minuten lang gesprochen. Dann kehrte er allein zurück.

»Ich dachte schon, es sei Ihr Vetter Hareton. Schade, daß er nicht kommt«, sagte ich zu Catherine. »Wer weiß, er hätte vielleicht unsere Partei ergriffen.«

»Es waren drei Leute von Thrushcross Grange, die man nach euch geschickt hat«, entgegnete Heathcliff. »Du hättest ein Fenster öffnen und ihnen etwas zuschreien müssen, Nelly! Aber unser Kindchen ist wohl ganz froh, daß du es nicht getan hast. Sie ist froh, daß sie gezwungen wird, hier zu bleiben.«

Als wir merkten, welche gute Gelegenheit wir versäumt hatten, ergaben wir uns hemmungslos unserem schmerzlichen Bedauern. Er ließ uns bis um neun Uhr jammern. Dann befahl er uns, durch die Küche in Zillahs Zimmer hinaufzusteigen. Ich flüsterte meiner Gefährtin zu, sie solle darauf eingehen: vielleicht könnten wir oben aus dem Fenster klettern oder in eine Bodenkammer gelangen und durch die Dachluke entfliehen. Leider war das Fenster ebenso schmal wie diejenigen im Erdgeschoß, und die Dachluke erreichten unsere Versuche überhaupt nicht, denn wir wurden eingeschlossen wie zuvor.

Wir legten uns nicht hin. Catherine begab sich ans Fenster und wartete voller Pein auf den Morgen. Ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort auf meine immer wiederholten Bitten, sie solle sich ein wenig ausruhen. Ich setzte mich in einen Schaukelstuhl, wiegte mich hin und her und hielt ein hartes Gericht über meine zahlreichen Pflichtversäumnisse. Denn von ihnen rührten alle Leiden meiner guten Herrschaft her, wie ich mir vorwarf, obwohl es in Wirklichkeit nicht so war. Nur meine Phantasie in jener furchtbaren Nacht spiegelte es mir vor, und ich hielt sogar Heathcliff für weniger schuldig als mich.

Um sieben Uhr kam er und erkundigte sich, ob Cathy aufgestanden sei. Sie lief sogleich zur Tür und antwortete: »Ja.«

»Dann komm«, sagte er, indem er öffnete und sie hinauszog. Ich wollte folgen. Aber er drehte den Schlüssel wieder um. Ich verlangte freigelassen zu werden.

»Gedulde dich noch. Ich schicke dir bald das Frühstück hinauf.« Ich hämmerte gegen die Türfüllung und rüttelte heftig an der Klinke. Draußen fragte Catherine, warum ich immer noch eingeschlossen bleibe? Er erwiderte, eine Stunde hätte ich es noch auszuhalten. Dann hörte ich sie davongehen. Nach zwei oder vielleicht drei Stunden näherten sich endlich Schritte. Aber Heathcliff war es nicht. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht, Ellen«, vernahm ich eine Stimme. »Mach die Tür auf.« Eilig tat ich es, und vor mir stand Hareton, mit so viel Speisen beladen, als sollten sie für den ganzen Tag ausreichen.

»Nimm«, und er drückte mir das Tablett in die Hände.

»Bleib – eine Minute –« begann ich.

»Nein!« rief er und verschwand, trotz der flehentlichen Bitten, die ich hinter ihm hersandte.

Da blieb ich nun den ganzen Tag eingeschlossen und die folgende Nacht und noch eine und noch eine. Fünf Nächte und vier Tage war ich im ganzen dort und sah niemanden außer Hareton, der an jedem Morgen erschien. Er war ein vorbildlicher Kerkermeister: mürrisch, stumm und taub gegen jeden Versuch, seinen Gerechtigkeitssinn oder sein Mitleid zu erwecken.


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