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Neuntes Kapitel

Er trat ein, ungeheure Flüche ausstoßend, und überraschte mich dabei, wie ich seinen kleinen Sohn in den Küchenschrank stecken wollte. Das Kind hatte vor ihm unaufhörlich Angst, sowohl vor seiner tierisch-wilden Zärtlichkeit wie vor seiner irren Wut. Im einen Falle war er in Gefahr, zerquetscht und totgeküßt zu werden, im anderen, daß der Vater ihn ins Feuer oder gegen die Wand warf. Daher verhielt sich das arme Wesen ganz still, wo immer ich es zu verbergen suchte.

»Da! Jetzt habe ich es endlich heraus!« brüllte Hindley, packte meinen Nacken, als sei ich ein Hund, und riß mich zurück. »Himmeldonnerwetter! Eine Mörderin! Sie will das Kind heimlich umbringen! Jetzt weiß ich, woher es kommt, daß er für mich dauernd unsichtbar ist! Aber mit Satans Hilfe lasse ich dich das Küchenmesser verschlingen! Lache nicht! Den Dr. Kenneth habe ich vorhin kopfüber ins Blackhouse-Moor befördert. Wenn ich einen erledige, kann ich auch zwei! Einen von euch bringe ich um, eher habe ich keine Ruhe!«

»Aber, Mr. Hindley, das Küchenmesser ist mir unangenehm, damit sind Bücklinge zerlegt worden. Ich möchte lieber erschossen werden, wenn es Ihnen recht ist.«

»In die Hölle sollst du kommen, so oder so. Kein Strafgesetz in England kann einen Mann hindern, daß er sein Haus in anständiger Ordnung hält, und meines ist widerlich! Mach den Mund auf!«

Er hielt das Messer in der Hand und schob mir die Spitze zwischen die Zähne. Ich aber hatte vor seinen Tollheiten nie besondere Angst. Ich spuckte nur aus und erklärte, es schmecke schauderhaft und ich würde es unter keinen Umständen schlucken.

»Ach –!« Er ließ mich los. »Ich sehe, dieser häßliche Zwerg ist ja gar nicht Hareton. Entschuldige, Nell. Wenn er es wäre, würde er doch als mein Sohn sogleich auf mich zugelaufen kommen und mich begrüßen, andernfalls müßte er bei lebendigem Leibe geschunden werden. Er ist es nicht, denn er kreischt, als sei ich ein Kobold. Entarteter Bengel! Hierher! Einem gutherzigen, schnöde hintergangenen Vater zu trotzen! Nelly, was meinst du, würde der Bursche nicht hübscher aussehen, wenn man ihm die Ohren abschnitte? Das macht die Hunde wilder, und ich liebe das Wilde. Eine Schere her! Wild und glatt muß man aussehen. Es ist höllische Eitelkeit, ein Dünkel ist es, sich Ohren am Kopf zu halten. Auch ohne sie sind wir Esel. Kss, Junge, kss! Ja, mein Liebling! Sst, trockne deine Tränen, wir sind lustig. Gib mir einen Kuß. Was, er will nicht? Einen Kuß, Hareton. Verdammt, du sollst mich küssen! Mein Gott, ein solches Scheusal soll ich aufziehen! So wahr ich lebe, ich breche ihm das Genick!«

Der arme Kleine kreischte und zappelte in seines Vaters Armen und verdoppelte sein Geschrei, als Hindley ihn die Treppe hinauftrug und übers Geländer hob. Ich rief, das Kind würde Krämpfe bekommen, und lief hinterher, um es zu befreien. Inzwischen beugte sich der Herr hinunter und horchte auf ein Geräusch; fast vergaß er dabei, was er in den Händen hielt.

»Wer ist da?« fragte er, da sich Schritte im Treppenhaus näherten. Ich erkannte Heathcliffs Gang und wollte ihm ein Zeichen geben, nicht weiter zu gehen. In dem Augenblick, als ich nicht mehr zu dem Kinde hinsah, löste es sich mit einem unwillkürlichen Ruck aus dem nachlässigen Griff seines Vaters und stürzte hinunter.

Wir hatten kaum Zeit genug, Schauder des Entsetzens zu empfinden, als wir bereits sahen, daß dem Kleinen nichts geschehen war. In der entscheidenden Sekunde war Heathcliff unten angelangt und fing ihn mit natürlicher Geistesgegenwart auf. Während er ihn auf die Füße stellte, sah er nach dem Urheber des Unfalls hinauf. Als er Mr. Earnshaw oben erblickte, verzerrte sich sein Gesicht, ungefähr wie das eines Geizhalses, der ein Glückslos für fünf Schilling weggegeben hat und danach erfährt, daß er bei diesem Handel einen Schaden von fünftausend Pfund erleidet. Besser als Worte drückten Heathcliffs Mienen Wut und Reue darüber aus, daß er selbst das Werkzeug gewesen war, seine Rachepläne zu vereiteln. Wäre es dunkel gewesen, er hätte vielleicht versucht, seine Tat rückgängig zu machen – und er hätte den Kopf des Kindes auf den Stufen zerschmettert. Aber wir waren Zeugen der Rettung. Sogleich war ich unten und drückte den kostbaren Schatz an mein Herz. Langsam kam Hindley nach, ernüchtert und beschämt.

»Es ist deine Schuld, Ellen«, sagte er. »Du hättest ihn vor mir verstecken müssen, du hättest ihn mir wegnehmen müssen. Ist er irgendwie verletzt?«

»Verletzt!« rief ich zornig. »Wenn Sie ihn nicht getötet haben, kann er doch ein Idiot werden! Oh, ich wundere mich, daß seine Mutter nicht aus dem Grabe steigt und sieht, wie Sie ihn behandeln. Schlimmer als ein Heide sind Sie, gegen Ihr eigenes Fleisch und Blut.«

Er versuchte, den Jungen, der an meiner Brust schluchzte, wieder anzufassen. Kaum berührte ihn sein Vater, als er lauter als vorher aufheulte und sich wand, wie in Krämpfen.

»Sie lassen ihn in Ruhe!« rief ich. »Er haßt Sie, alle hassen Sie, das ist die Wahrheit! Oh, Ihre Familie ist glücklich mit Ihnen! In eine schöne Lage haben Sie sich gebracht!«

»Sie wird noch viel schöner werden«, lachte der verkommene Mann, schon wieder in seiner tollen Art. »Jetzt verschwindest du mit dem Balg. Und du, Heathcliff, scherst dich gleichfalls und läßt nicht von dir hören und sehen. Heute nacht will ich dich nicht umbringen. Höchstens stecke ich das Haus in Brand. Aber ich weiß noch nicht, wie meine Laune sein wird.«

Dabei nahm er eine Halbliterflasche mit Branntwein von der Anrichte und goß ihn ins Glas.

»Nein, nicht! Mr. Hindley, lassen Sie sich warnen. Wenn nicht um Ihrer selbst willen, bessern Sie sich wegen des armen Jungen.«

»Jeder andere wird wichtiger für ihn sein als ich.«

»Haben Sie Erbarmen mit Ihrer eigenen Seele.« Ich versuchte, ihm das Glas aus der Hand zu nehmen.

»Ich nicht! Im Gegenteil. Ich würde sie mit Vergnügen in die ewige Verdammnis schicken, um ihren Schöpfer zu strafen! Auf die Verdammnis meiner Seele!«

Er hob das Glas und trank. Ungeduldig wiederholte er, wir sollten gehen. Er schloß mit einer Reihe schauerlicher Verwünschungen, an die man sich gar nicht mehr erinnern möchte. »Schade, daß er sich nicht zu Tode trinkt«, bemerkte Heathcliff und gab seinerseits ein Echo von allerhand Flüchen zum besten, als er die Tür zugemacht hatte. »Er tut ja, was er kann; leider hat er eine zu starke Natur. Mr. Kenneth wettet seine Stute darauf, daß Hindley alle Männer auf dieser Seite von Gimmerton überlebt und als eisgrauer Sünder ins Grab sinkt, wenn ihm nicht durch einen glücklichen Zufall etwas zustößt.«

Ich setzte mich in die Küche, um mein Lämmchen einzuschläfern. Heathcliff ging in die Scheune, wie ich annahm. Später ergab es sich, daß er nur bis ans andere Ende des Raums gegangen war und sich dort fern vom Feuer auf eine Bank an der Mauer geworfen hatte, wo er regungslos verharrte.

Ich wiegte Hareton auf den Knien und summte ein Lied:

»Es war spät in der Nacht, und die Kinder schrein,
Und im Grab hörts die Mutter tief unter dem Stein ...«

Da steckte Miß Cathy, die den Lärm des ganzen Auftritts von ihrem Zimmer aus gehört hatte, den Kopf durch die Tür und flüsterte: »Du bist allein, Nelly?«

»Ja, Miß.«

Sie kam und näherte sich dem Herd; ich blickte auf und dachte, sie wolle mir etwas sagen. Ihr Gesicht war verstört, die Lippen waren halb geöffnet, wie um zu sprechen. Doch sie holte nur Luft, und statt eines Wortes hörte ich einen Seufzer. So nahm ich meinen Gesang wieder auf, denn ich hatte ihr Betragen von vorhin noch nicht vergessen.

»Wo ist Heathcliff?« unterbrach sie mich.

»Bei seiner Arbeit im Stall.«

Von seiner Bank kam kein Widerspruch; vielleicht schlief er in diesem Augenblick. Während Catherine wieder schwieg, sah ich Tränen von ihren Wangen auf die Fliesen tropfen. Bereute sie ihr schändliches Benehmen? Das wäre etwas Neues gewesen. Jedenfalls mußte sie selbst mit sich fertig werden, ich wollte ihr nicht helfen. Doch nein, sie beschäftigte sich nicht mit anderen Dingen, nur mit den eigenen.

Endlich rief sie: »Oh, meine Liebe, ich bin sehr unglücklich!«

»Tut mir leid. Man kann es Ihnen freilich schwer recht machen. So viele Freunde und so wenig Sorgen, und Sie sind nicht zufrieden!«

»Nelly, willst du ein Geheimnis bewahren?« Sie kniete bei mir nieder und sah mir mitten ins Gesicht, mit einem so hinreißenden Blick, daß er den schärfsten und berechtigtsten Zorn verscheuchen mußte.

»Ist das Geheimnis wert, daß man es für sich behält?« fragte ich, weniger schroff.

»Ja, und es peinigt mich, und ich muß mir Luft machen. Ich möchte wissen, was ich tun soll. Heute hat Edgar Linton mich gefragt, ob ich ihn heiraten wolle. Ich habe ihm eine Antwort gegeben. Aber ehe ich dir verrate, ob es eine Zustimmung oder eine Ablehnung war, sollst du mir sagen, welches von beiden es hätte sein sollen.«

»Miß Catherine, wie kann ich das entscheiden? Wenn ich an Ihr Verhalten, heute nachmittag, in seiner Gegenwart, denke, müßte ich es für viel besser erachten, ihn abzuweisen. Da er Sie danach noch um Ihre Hand gebeten hat, ist er entweder hoffnungslos dumm oder ein närrischer Held.«

»Wenn du so redest, erzähle ich dir nichts mehr.« Grollend stand sie auf. »Ich habe den Antrag angenommen. Jetzt sage mir noch schnell, ob es falsch war.«

»Sie haben ihn angenommen! Wozu dann noch darüber reden? Sie haben Ihr Wort gegeben und können nicht mehr zurück.«

»Aber du sollst mir sagen, ob es richtig war, sage es endlich!« Sie krampfte die Hände zusammen und zog die Stirn in scharfe Furchen.

»Da muß man sehr viele Dinge berücksichtigen. Vor allem, lieben Sie denn Mr. Edgar?«

»Wer nicht? Natürlich!«

Dann begann ich mit ihr das folgende Verhör, und für ein Mädchen von zweiundzwanzig Jahren machte ich meine Sache vielleicht ganz verständig.

»Warum lieben Sie ihn, Miß Cathy?«

»Unsinn, darüber nachzudenken, es ist so, und das genügt.«

»Durchaus nicht. Sie müssen sagen können, warum.«

»Also, weil er hübsch ist, und weil man gern mit ihm zusammen ist.«

»Schlechte Begründung.«

»Und weil er jung und heiter ist.«

»Auch noch nicht gut.«

»Und weil er mich liebt.«

»Hat nichts mit Ihrer eigenen Liebe zu tun.«

»Und er wird reich sein, und ich werde die angesehenste Frau weit und breit werden, und ich werde stolz darauf sein, einen solchen Mann zu haben.«

»Ganz schlecht. Jetzt erklären Sie mir, wie Sie ihn lieben?«

»Wie jeder liebt. – Du bist albern, Nelly.«

»Nein, nein. Antworten Sie mir.«

»Ich liebe den Boden unter seinen Füßen und die Luft über seinem Kopf und alles, was er anfaßt, und jedes Wort, das er spricht. Ich liebe alles, was er sieht, und alles, was er tut, und ich liebe ihn ganz und gar. Jetzt weißt du es!«

»Und nun: warum?«

»Aber nein, du machst dich lustig. Das ist boshaft von dir. Für mich ist es kein Spaß!« Sie wandte ihr Gesicht zum Feuer.

»Ich bin weit davon entfernt, Sie zu verspotten, Miß Catherine. Sie lieben Mr. Edgar, weil er schön und jung und heiter und reich ist, und weil er Sie liebt. Dieses letzte gilt nicht; Sie würden ihn auch ohne dies lieben und würden ihn andrerseits nicht lieben, wenn er die vier ersten Vorzüge nicht besäße.«

»Sicher nicht. Dann würde ich höchstens Mitleid mit ihm haben. Ich würde ihn vielleicht verabscheuen, wenn er häßlich und plump wäre.«

»Aber es gibt viele schöne reiche junge Männer auf der Welt, schönere und reichere als er. Warum lieben Sie diese nicht?«

»Wenn es sie gibt, so sind sie mir nicht begegnet! Keiner, der Edgar ähnelt!«

»Aber das wird noch kommen, und Mr. Linton wird nicht immer schön und jung sein und möglicherweise nicht immer reich.«

»Jetzt ist er es, ich habe nur mit der Gegenwart zu tun. Daß du nicht vernünftiger redest!«

»Wenn es Ihnen nur auf die Gegenwart ankommt – nun, lassen wir dies entscheiden und heiraten Sie ihn.«

»Ich brauche deine Erlaubnis nicht und ich werde ihn heiraten. Du hast mir nur noch nicht gesagt, ob ich richtig handle.«

»Vollkommen richtig – wenn jemand recht daran tut, nur für die Gegenwart zu heiraten. Jetzt möchte ich wissen, worüber Sie unglücklich sind. Ihr Bruder wird sich freuen, Mr. Edgars Eltern werden wohl nichts einwenden, und Sie werden aus einem unordentlichen trostlosen Heim in ein wohlbestelltes und angesehenes umziehen. Und Sie lieben Edgar, und Edgar liebt Sie. Alles scheint leicht und glatt, wo soll das Hindernis sein?«

»Hier! und hier!« Sie schlug sich mit der einen Hand auf die Stirn, mit der anderen auf die Brust. »Wo der Sitz der Seele sein mag! In meinem Innern bin ich überzeugt, daß ich falsch handle.«

»Seltsam. Das kann ich nicht verstehen.«

»Und das ist mein Geheimnis. Wenn du mich nicht verhöhnst, will ich es dir erklären. Deutlich kann ich es allerdings nicht, ich will dir nur eine Beschreibung geben, was ich empfinde!«

Sie setzte sich wieder neben mich, ihr Gesicht wurde ernster und trauriger, ihre verschränkten Hände zitterten.

»Nelly, hast du manchmal Träume, die ganz seltsam und unheimlich sind?«

»Ja, hin und wieder.«

»Ich habe in meinem Leben Träume gehabt, die für immer in mir geblieben sind und meinen Sinn verwandelt haben. Sie haben sich vollkommen mit mir vermischt, wie Wein mit Wasser, und die Farbe meines Herzens verändert. Und dies ist einer von ihnen, ich erzähle ihn dir. Aber nimm dich in acht, an irgendeiner Stelle darüber zu lächeln.«

»Tun Sie es lieber nicht, Miß Catherine! Wir sind verwirrt genug, auch ohne daß wir Geister und Gesichte heraufbeschwören. Kommen Sie, kommen Sie, seien Sie fröhlich und wieder Sie selbst! Schauen Sie den kleinen Hareton an, er träumt, aber nichts Trübes. Wie nett er im Schlaf lächelt.«

»Ja, und wie nett sein Vater in seiner Einsamkeit flucht! Sicher kannst du dir vorstellen, daß er genau solch ein unschuldiges, pausbäckiges Ding war! Auf jeden Fall, Nelly, mußt du mich anhören. Es wird nicht lange dauern, und heut abend habe ich nicht die Kraft, lustig zu sein.«

»Ich will und will nichts hören!« wiederholte ich. Ich war abergläubisch, in bezug auf Träume, und bin es noch. Außerdem bot Catherine einen so ungewöhnlich trübsinnigen Anblick, daß ich irgendwie befürchtete, ich müßte dann aus ihrem Bericht eine Art Prophezeiung herausfinden und eine unheimliche Katastrophe voraussehen. Sie schwieg, unruhig, und begann nach einer Weile von etwas anderem zu sprechen:

»Wenn ich im Himmel wäre, würde ich gleichfalls sehr unglücklich sein.«

»Weil Sie nicht dorthin gehören. Die Sünder fühlen sich im Himmel nicht wohl.«

»Nicht deshalb! Ich habe einmal geträumt, ich sei dort.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich von Ihren Träumen nichts hören will, ich will zu Bett gehen.«

Sie lachte und drückte mich wieder in meinen Stuhl zurück.

»Es ist doch nicht so schlimm! Es war nur so, daß der Himmel mir nicht wie meine Heimat vorkam. Ich weinte mir das Herz aus dem Leibe, um auf die Erde zurückzukommen. Die Engel aber waren so böse, daß sie mich hinauswarfen, mitten auf die Heide, an der höchsten Stelle von Wuthering Heights. Dort erwachte ich und schluchzte vor Freude. Damit kann ich dir mein Geheimnis und alles andere andeuten. Ich gehöre ebensowenig in eine Ehe mit Edgar Linton wie in den Himmel. Hätte der böse Hindley hier den Heathcliff nicht so schrecklieh heruntergebracht, so hätte ich nie an diese Heirat denken müssen. Jetzt freilich würde es mich entwürdigen, wenn ich Heathcliff nähme. Deshalb darf er niemals erfahren, wie sehr ich ihn liebe. Und ich liebe ihn nicht deshalb, weil er schön ist, Nelly, sondern ich muß es so ausdrücken: er ist mehr ich selbst als ich selbst. Woraus auch immer unsere Seelen gemacht sein mögen, die seine und die meine sind gleich. Linton aber ist anders und unterscheidet sich von ihnen wie ein Mondstrahl vom Blitz.«

Plötzlich war ich mir der Anwesenheit Heathcliffs bewußt geworden, während sie noch sprach. Ich hatte eine schwache Bewegung bemerkt und sah, wie er sich von der Bank erhob und geräuschlos hinausging. Es war aber an der Stelle gewesen, als er Catherine sagen hörte: ihn zu heiraten, entwürdigte sie. Dann hatte er nichts weiter hören wollen. Das Mädchen saß auf dem Boden und konnte hinter der Rückenlehne des Sessels weder seine Anwesenheit noch seinen Aufbruch wahrnehmen. Aber ich erschrak und flüsterte, sie solle schweigen.

»Warum?« Sie sah sich aufgeregt um.

»Josef ist hier.« Ich hörte nämlich zur rechten Zeit das Rollen seines Karrens auf der Straße. »Heathcliff wird mit ihm hereinkommen. Vielleicht war er sogar an der Tür.«

»Oh, von der Tür aus konnte er mich nicht hören. Gib mir das Kind, während du das Nachtessen zubereitest. Wenn du fertig bist, lade mich ein, mit euch zu speisen. Mir ist etwas unbehaglich, und ich möchte mich gewissenhaft davon überzeugen, daß Heathcliff von diesen Dingen nichts ahnt. So ist es doch? Er weiß doch nicht, was es heißt, verliebt zu sein?«

»Weshalb sollte er es nicht ebensogut wissen wie Sie? Allerdings, wenn er auf Sie verfallen ist, wird er das elendeste Geschöpf werden, das je geboren wurde. Sobald Sie Mrs. Linton sind, verliert er Freundschaft und Liebe und alles. Und haben Sie sich überlegt, wie Sie selbst die Trennung ertragen werden, und wie er es ertragen soll, ganz verlassen in der Welt zu sein? Sehen Sie, Miß Catherine ...«

»Er ganz verlassen? Wir getrennt? Sage mir, wer soll uns trennen? Solange ich lebe, um keines Sterblichen willen! Jeder Linton auf der Erde soll in nichts zergehen, ehe ich Heathcliff aufgeben würde. Daran denke ich mit keiner Faser, oh, das meine ich nicht, um einen solchen Preis werde ich nicht Mrs. Linton! Heathcliff wird für mich dasselbe bleiben, was er unser Leben lang war. Also muß Edgar seine Abneigung überwinden und ihn zum mindesten dulden, und er wird es tun, wenn er meine wahren Gefühle für ihn erkennen wird. Nelly, du hältst mich für ein selbstsüchtiges Scheusal; aber hast du dir nie gesagt, daß Heathcliff und ich Bettler wären, wenn wir uns heiraten würden? Nehme ich dagegen Linton, so kann ich Heathcliff helfen, hochzukommen! Ich kann ihn aus der Gewalt meines Bruders befreien!«

»Mit dem Geld Ihres Mannes? Sie werden auch Mr. Edgar nicht so nachgiebig finden, wie Sie es sich ausrechnen. Außerdem ist dies der verwerflichste unter all den Gründen, die Sie für die Ehe mit dem jungen Linton genannt haben.«

»Es ist der beste, du! Bei den anderen Gründen handelt es sich darum, meine Launen zu befriedigen und auch Edgar etwas zu geben. Hier aber geht es um jemand, der in seiner Gestalt meine Gefühle für Edgar und mich selbst vereint. Ich kann es nicht ausdrücken. Doch sicherlich hast du und hat jeder irgendeine Vorstellung, daß es ein Dasein über das eigene Dasein hinaus für uns gibt. Welchen Sinn hätte meine Erschaffung, wenn sie auf dies Eigene beschränkt wäre! Meine großen Nöte hier sind Heathcliffs Nöte gewesen, jede von ihnen habe ich von Anfang an miterlebt und mitgefühlt. Ja, er ist mein Gedanke vom Leben! Gingen alle anderen zugrunde und er bliebe übrig, darüber hinaus, so würde ich fortfahren, zu sein. Blieben alle anderen übrig und er wäre vernichtet, so würde mir die Welt fremd sein und ich gehörte nicht mehr dazu. Meine Zuneigung zu Linton ist wie das Laub im Walde, die Zeit wird sie ändern, wie der Winter die Bäume. Meine Liebe zu Heathcliff ist der ewige Felsen dort unten, mit einem Quell kaum sichtbarer Freuden. Sie ist notwendig. Nelly – ich bin Heathcliff! Immer, immer ist er in mir, nicht zum Vergnügen, sowenig ich mir selbst ein Vergnügen bin, sondern als mein eigenes Sein. So sprich niemals wieder von einer Trennung. Sie ist unausführbar ...«

Catherine hielt inne und verbarg ihr Gesicht in den Falten meines Rockes. Ich stieß sie gewaltsam weg, ungeduldig nach all dem Wahnsinn.

»Wenn Ihre Worte überhaupt zu verstehen sind, Miß, so sehe ich nur, daß Sie sich über Ihre durch eine Ehe zu übernehmenden Pflichten nicht klar sind. Oder Sie sind ein nichtsnutziges Mädchen ohne Grundsätze. Aber verschonen Sie mich mit der Offenbarung Ihres Geheimnisses. Ich will nicht versprechen, daß ich darüber schweige.«

»Über dieses wirst du schweigen.«

»Nein, ich verspreche es nicht.«

Sie wollte mich zu einer anderen Antwort drängen, als der Eintritt Josefs unser Gespräch beendete. Cathy setzte sich mit Hareton in eine Ecke. Als ich das Nachtmahl gerichtet hatte, begann zwischen meinem Kollegen und mir ein großer Streit, wer es Mr. Hindley bringen sollte. Wir einigten uns nicht, bis alles fast kalt geworden war. Endlich beschlossen wir, es dem Herrn selbst zu überlassen, sein Essen zu verlangen, falls er es haben wollte. Denn wir gingen dann noch besonders ungern hinein, wenn er eine Zeitlang allein gewesen war.

»Ist der Kerl noch nicht vom Felde heimgekommen, wo ist er eigentlich, der Faulpelz?« fragte Josef und sah sich nach Heathcliff um.

»Ich werde ihn rufen, er wird in der Scheune sein.« Ich ging hinaus, erhielt aber keine Antwort.

Bei meiner Rückkehr flüsterte ich Catherine zu, Heathcliff habe einen großen Teil ihrer Worte gehört, bis zu der Stelle von der »Entwürdigung«. Erschrocken sprang sie auf, legte Hareton auf die Bank und begab sich selbst auf die Suche nach ihrem Freunde, ohne zu überlegen, warum sie so aufgeregt war oder wie ihre Worte auf ihn gewirkt haben konnten. Sie blieb so lange draußen, daß der alte Mann vorschlug, nicht mehr zu warten: Er vermute, die beiden wollten nur sein Tischgebet nicht anhören, denn sie seien jeder Schlechtigkeit fähig. Ihretwegen fügte er an diesem Abend dem gewöhnlichen viertelstündigen Gebet noch eine besondere Fürbitte hinzu. Ja, er hätte eine zweite an das Ende der Mahlzeit gesetzt, wenn unsere junge Herrin nicht in diesem Augenblick hereingestürzt wäre. Atemlos befahl sie ihm, die Straße hinunter zu laufen und Heathcliff herzuholen, wo er sich auch befände.

»Ich will und muß ihn sprechen, bevor ich hinaufgehe!« rief Catherine. »Die Gattertür ist offen. Er muß weit draußen sein, außer Hörweite. Ich schrie oben bei der Hürde, so laut ich konnte.«

Josef widersetzte sich zuerst, aber sie sah so ernst aus, daß er seinen Hut aufstülpte und grollend davonging. Inzwischen lief Catherine hin und her und sprach unaufhörlich:

»Wo mag er nur sein – ich begreife nicht, wo er sein kann – und was habe ich eigentlich gesagt, Nelly? Ich weiß es nicht mehr. Hat er sich heut nachmittag über meine schlechte Laune geärgert? Liebe, sage mir, was ihn in meinen Reden betrübt haben kann. Ich wünschte, er käme, ach, wenn er doch hier wäre!«

»Welcher Lärm um nichts«, rief ich, obwohl mir selbst unbehaglich war. »Sie brauchen sich doch wirklich nicht zu beunruhigen, wenn Heathcliff einen Moorspaziergang bei Mondschein macht. Oder vielleicht hat er sich auf dem Heuboden schlafen gelegt, weil er keine Lust hat, mit uns zu sprechen. Sie werden sehen, ich gabele ihn dort auf.« Aber ich kam ohne Ergebnis zurück.

Josef hatte gleichfalls kein Glück. »Dieser Bursche wird immer toller! Er hat das Gatter sperrangelweit offen gelassen, das Pony hat zwei Kornmieten umgerissen und ist drüber weggesprungen und hinein in die Wiese! Na, der Herr wird es ihm morgen geben, aber richtig. Er ist das reinste Lamm, die Geduld in Person ist er zu diesem Taugenichts. Aber Mr. Hindley wird nicht mehr lange so sein, das werdet ihr erleben, ihr allesamt! Ihr sollt ihn nicht für solch ein Stück Dreck verrückt machen!«

Catherine unterbrach ihn: »Hast du Heathcliff gefunden, du Schafskopf? Hast du richtig nach ihm gesucht, wie ich es dir befohlen habe?«

»Lieber will ich nach dem Pferd suchen, das wäre gescheiter. Aber ich kann nach keinem Pferd und nach keinem Menschen suchen, die Nacht ist schwarz wie ein Schornstein. Außerdem ist der Heathcliff keiner, der auf meinen Pfiff kommt. Möglicherweise kommt er, wenn er Sie hört.«

Es war ein sehr dunkler Abend, für den Sommer. Die Wolken kündeten ein Gewitter an. Ich sagte, wir sollten ruhig warten; der drohende Regen würde ihn nach Hause treiben. Catherine ließ sich nicht zureden. Rastlos ging sie zwischen Haustür und Gatter hin und her. Dann blieb sie draußen an der Hauswand nahe der Straße stehen. Dort verharrte sie trotz meiner Vorstellungen, trotz des dröhnenden Donners und der großen Tropfen, die rings um sie aufspritzten. Von Zeit zu Zeit rief sie, lauschte und weinte laut auf – sie übertraf Hareton und jedes andere Kind im leidenschaftlichen Weinen.

Um Mitternacht, als wir immer noch aufsaßen, kam das Gewitter mit voller Wut über die Anhöhen. Sturm und Donner rasten um die Wette, Sturm oder Blitz zerschmetterte einen Baum an der Hausecke. Ein gewaltiger Ast stürzte auf das Dach, zerschlug einen Teil der Kaminreihe an der Ostseite und schüttete einen Hagel von Steinen, mit Ruß vermengt, ins Küchenfeuer. Wir glaubten, der Blitz sei mitten zwischen uns gefahren. Josef warf sich auf die Knie und flehte zum Herrn, er möge sich an Noah und Lot, an die Patriarchen, erinnern. Er möge wie in alten Zeiten den Gerechten verschonen, wenn er den Gottlosen heimsuche. Mir war, als sei tatsächlich ein Strafgericht über uns gekommen. Der »Jonas« war in meiner Vorstellung Mr. Earnshaw; ich rüttelte an der Klinke seiner Tür, um zu wissen, ob er noch lebte. Er antwortete äußerst deutlich, aber in einer Art, daß Josef noch gellender als zuvor zum Himmel schrie, es müsse ein großer Unterschied gemacht werden zwischen Heiligen gleich ihm selbst und Sündern wie seinem Herrn. Das Unwetter dauerte nur zwanzig Minuten, und wir alle blieben unversehrt. Cathy freilich war zur Strafe für ihren Eigensinn völlig durchnäßt, da sie ohne Haube und Halstuch im Freien geblieben war und Haare und Kleider sich mit Wasser durchtränkt hatten. Sie legte sich jetzt, aufgeweicht wie sie war, auf die Bank, kehrte das Gesicht zur Wand und bedeckte es mit den Händen.

Ich berührte ihre Schulter: »Wollen Sie sich den Tod holen, Miß? Wissen Sie, wie spät es ist? Halb ein Uhr. Kommen Sie zu Bett, es ist sinnlos, noch auf den törichten Jungen zu warten. Er wird nach Gimmerton gegangen sein und dort übernachten. Er weiß nicht, daß wir seinetwegen aufgeblieben sind; aber er wird sich denken, daß Mr. Hindley noch wach ist, und will sich von dem Herrn nicht die Tür öffnen lassen.«

»Ach was, er ist nicht in Gimmerton«, mischte sich Josef ein.

»Ich glaube eher, daß er auf dem Grunde eines Sumpfs liegt. Diese Heimsuchung mit dem Wetter hat schon ihren Sinn gehabt. Und Sie, Miß, nehmen Sie sich in acht, Sie sind am nächsten dran. Dem Himmel sei Dank für alles. Er wendet es zum Guten für den, der da ist auserwählt und ist erkoren, daß er nicht vergehe. Denn ihr wißt, daß die Heilige Schrift sagt ...« Und er begann Textstellen anzuführen und nannte uns Kapitel und Verse, wo wir sie finden könnten.

Nachdem ich Catherine umsonst gebeten hatte, aufzustehen und ihre nassen Sachen abzulegen, verließ ich den predigenden Mann und das fröstelnde Mädchen. Ich ging zu Bett mit dem kleinen Hareton, der so fest schlief, als hätten auch alle um ihn herum geschlafen. Ich hörte Josef noch eine Weile vorlesen, dann seine langsamen Tritte auf der Leiter, und ich schlummerte ein.

Als ich etwas später als sonst herunterkam, sah ich im Licht der durch die Fensterläden dringenden Sonnenstrahlen Miß Cathy noch immer am Feuer sitzen. Die Tür war offen; Mr. Hindley stand mit blassem schläfrigem Gesicht am Küchenherd. Bei meinem Eintritt sagte er gerade:

»Was hast du, Cathy? Siehst unglücklich aus wie ein ertränkter junger Hund. Weshalb bist du so blaß und so naß, Kind?«

»Ich bin allerdings naß geworden«, antwortete sie widerwillig, »und mir ist kalt, das ist alles.«

Da der Herr ziemlich nüchtern war, rief ich dazwischen: »Sie ist ungezogen! Gestern abend ist sie im Regen draußen geblieben, und trotz all meinem Zureden hat sie während der ganzen Nacht hier gesessen.«

Mr. Earnshaw starrte uns verdutzt an: »Während der ganzen Nacht? Aus welchem Grunde? Doch gewiß nicht aus Angst vor dem Gewitter? Es war ja bald vorüber.«

Wir wollten Heathcliffs Abwesenheit nicht erwähnen, solange sie zu verheimlichen war. Ich antwortete, daß ich aus ihrem Eigensinn nicht klug geworden sei. Der Morgen war frisch. Ich öffnete die Läden und sogleich füllte sich der Raum mit süßen Düften aus dem Garten. Aber Catherine rief heftig:

»Ellen, schließe das Fenster, ich friere.« Ihre Zähne klapperten. Sie rückte näher an die Aschenglut.

»Sie ist krank.« Hindley faßte nach ihrem Handgelenk. »Und gerade deshalb wollte sie nicht zu Bett gehen, verdammt! Ich will hier nicht noch mehr Krankheiten haben! Was wolltest du im Regen?«

»Hinter den Jungens herlaufen, wie gewöhnlich!« krächzte Josef, der jede Gelegenheit für eine Bosheit wahrnahm. »Wenn ich Sie wäre, Herr, würde ich ihnen sämtlich die Tür vor der Nase zuschlagen, ob vornehm oder gering! Kein Tag geht vorüber, daß diese Katze Linton nicht angeschlichen kommt! Und die Nelly ist mir auch eine Feine! Die sitzt in der Küche und paßt für sie auf. Kommen Sie dann zur einen Tür herein, geht der Jüngling zur anderen hinaus. Und dann macht unser edles Fräulein wieder einem anderen den Hof und fängt sogar selbst dabei an. Eine schöne Aufführung, sich nach zwölf Uhr nachts mit dem Teufel, mit dem faulen Zigeuner in den Feldern herumzutreiben, mit dem Heathcliff! Die denken nämlich, ich sei blind, aber ich bins nicht, i wo! Ich habe gesehen, wie der junge Linton kam und ging, gesehen habe ich dich, du loddriges Frauenzimmer (das war ich), wie du hingerannt bist und das Haus abgeriegelt hast, als des Herrn Pferd auf der Straße herantrabte!«

»Du Spion! Hältst du den Mund!« schrie Catherine. »Nichts als unverschämter Schwindel, in meiner Gegenwart! Edgar kam gestern zufällig, Hindley. Ich bat ihn, wieder wegzugehen, denn du wärest ihm nicht gern begegnet – so wie du warst.«

»Selbstverständlich lügst du, Cathy«, entgegnete ihr Bruder. »Du bist ein verrücktes Huhn! Linton ist mir für den Augenblick gleichgültig, aber sage mir, warst du heute nacht mit Heathcliff zusammen? Ich will die Wahrheit wissen, und du brauchst keine Angst zu haben, daß du ihm dadurch schadest. Ich verabscheue ihn zwar wie immer, nur der Dienst, den er mir gestern erwiesen hat, stimmt mich milder, und ich breche ihm nicht das Genick. Aber damit ich es nicht später doch tue, wird er heute morgen weggeschickt. Sobald er dann weg ist, rate ich euch, daß ihr eurerseits auf der Hut seid – dann kann ich mich euch um so mehr widmen!«

»Ich habe Heathcliff in der letzten Nacht überhaupt nicht gesehen, und wenn du ihn hinauswirfst, gehe ich mit ihm, und du kannst ihn vielleicht gar nicht mehr hinauswerfen, er ist bereits selbst gegangen!« Sie schluchzte bitterlich, und ihre übrigen Worte blieben unverständlich.

Hindley übergoß sie mit einer Flut höhnischer Beschimpfungen und forderte sie auf, sich sofort in ihr Zimmer zu verfügen oder er würde ihr Grund zum Weinen geben. Ich redete ihr zu und werde nie vergessen, in welchem Zustand ich sie hinaufbrachte. Es war, als sei ihr Geist gestört. Josef mußte zum Arzt laufen. Mr. Kenneth erklärte, es sei der Beginn eines gefährlichen Fiebers. Er ließ ihr zur Ader. Sie dürfe nur Molken und Haferschleim zu sich nehmen. Wir sollten aufpassen, daß sie sich nicht die Treppe hinunterwerfe oder aus dem Fenster stürze. Bald verließ er uns, denn er hatte im Kirchspiel viel zu tun; die Entfernung zwischen zwei Höfen betrug bei uns gewöhnlich zwei bis drei Meilen.

Ich war keine liebevolle Pflegerin; Josef und der Herr benahmen sich nicht besser. Unsere Kranke war so schwierig und eigensinnig, wie ein Patient nur sein kann. Dennoch kam sie durch. Die alte Mrs. Linton besuchte sie manchmal und beschäftigte uns alle mit ihren Anordnungen und Zurechtweisungen. Sie bestand darauf, die kaum wiederhergestellte Catherine nach Thrushcross Grange mitzunehmen. Wir waren ihr für diese Entlastung äußerst dankbar. Aber die arme Dame hatte ihre Freundlichkeit zu bereuen: sie und ihr Mann steckten sich an und innerhalb weniger Tage starben beide.

Unser junges Fräulein kehrte frecher, verwegener und hochmütiger als je zu uns zurück.

Heathcliff aber war seit jener Gewitternacht verschwunden. Als Catherine mich eines Tages wieder einmal besonders aufgeregt hatte, beging ich die Unvorsichtigkeit, ihr die Schuld an dieser Katastrophe zu geben; so war es ja auch, wie sie selbst wußte. Seit diesem Zusammenstoß behandelte sie mich monatelang nur noch als bloßen Dienstboten.

Josef wurde in den gleichen Bann getan, denn er wollte nach wie vor »aussprechen«, was er dachte. Er wollte mit ihr verfahren, als sei sie noch das kleine Mädchen, während sie sich als Frau und als unsere Herrin betrachtete. Außerdem meinte sie, die Krankheit, die sie durchgemacht hatte, gäbe ihr ein Recht auf besondere Rücksicht und Achtung. Sie hätte jemanden, der aufgestanden wäre und ihr widersprochen hätte, für ihren Mörder gehalten! Von Mr. Earnshaw und seinen Genossen hielt sie sich fern. Ihr Bruder, gewarnt durch den Doktor und aus Angst vor den Anfällen, die ihren Ausbrüchen oft folgten, gab all ihren willkürlichen Wünschen nach. Ja, er war jetzt zu nachsichtig ihren Launen gegenüber, nicht aus Liebe, sondern aus Berechnung: er hoffte, sie würde die Familie durch eine Verbindung mit den Lintons wieder zu Ehren bringen. Solange sie also ihn selbst in Frieden ließ, konnte sie auf uns ruhig wie auf Sklaven herumtrampeln.

Edgar Linton aber war ihr verfallen – wie es unzähligen Männern vor ihm ergangen ist und nach ihm ergehen wird –, und er hielt sich für den glücklichsten Mann auf der Welt, als er sie drei Jahre nach ihrer Eltern Tod in die Kapelle von Gimmerton führte.

Gegen meine Neigung wurde ich überredet, Wuthering Heights zu verlassen und sie hierher nach Thrushcross Grange zu begleiten. Es war ein trauriger Abschied, zumal von dem fünfjährigen Hareton, bei dem ich gerade mit dem Abc begonnen hatte. Aber Catherines Tränen waren stärker als die unseren, und als ich noch zögerte, beklagte sie sich beim Gatten und beim Bruder, daß ihre Bitten mich nicht rührten. Mr. Linton bot mir einen reichlichen Lohn; Mr. Earnshaw befahl mir, mich zu packen. Er brauche keine Weiber im Hause, wenn keine Herrin mehr da sei, und mit dem Kleinen solle sich der Hilfsgeistliche befassen. So blieb mir keine rechte Wahl. Ich sagte Mr. Hindley, er schicke alle anständigen Leute weg, um noch schneller in den Untergang zu rennen. Ich küßte Hareton, und seitdem ist er mir ein Fremder geworden. Es ist eigenartig, aber ich bin überzeugt, er hat alles, was Ellen Dean betrifft, völlig vergessen; er hat vergessen, daß er einstmals die ganze Welt für sie bedeutete und sie für ihn.«

 

An dieser Stelle ihrer Erzählung blickte die Haushälterin zufällig auf die Uhr über dem Kamin und war erstaunt, daß es schon halb zwei war. Sie wollte keine Sekunde länger bleiben. Auch ich war bereit, die Fortsetzung aufzuschieben. Ein oder zwei Stunden saß ich noch in Gedanken. Jetzt werde ich mich zusammennehmen und trotz der schmerzenden Schwere in Kopf und Gliedern gleichfalls zu Bett gehen.


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