Franz Xaver Bronner
Ein Mönchsleben aus der empfindsamen Zeit. Zweiter Band
Franz Xaver Bronner

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Fünfzehntes Kapitel:

Ewiger Betrug und neue Fluchtpläne.

Ein überraschender Besuch – Kirchen-Verrichtungen – Einladung zum Schatzgraben – Das Fronleichnamsfest – Hannchen – Rechnungs-Maschine – Geheimschreibersdienst – Pläne, arm und unabhängig zu leben – Verzeichnis der Erwerbsmittel eines Waldbewohners – Wachsende Unzufriedenheit – Nächste Veranlassung zur zweiten Flucht – Betrug über Betrug – Anstalten zur Abreise – Finanzoperationen und Winke – Prätexte und Konfidenzen – Letzte Geschäfte am Tag der Flucht.

Im Herbste 1792 kam ich abends von der Arbeit ermüdet nach Hause und trat ganz unbefangen in das Wohnzimmer meines Hausherrn, um mich, wie gewöhnlich, durch freundliches Geplauder zu ergötzen. O, wie süß ward ich da überrascht! Mein Minchen lief mir mit aller Wonne des Wiedersehens entgegen. Kaum wagte ich's noch, meinen Augen zu trauen, so drückte sie schon mit der lieblichsten Innigkeit meine Hand und sah mich mit einem Blicke an, dessen erquickendes Feuer meine ganze Seele durchblitzte. Hätte uns nicht die Gegenwart der Leute zurückgehalten, so wären wir unfehlbar einander in die Arme geflogen. Aber so mäßigten wir unser Entzücken und ergossen unsre Gefühle in süßen lebhaften Gesprächen, traulich nebeneinander sitzend. Wir wußten so viel zu erzählen, daß wir gar nicht ans Ende kommen konnten. Der Hausherr hatte für ein gutes Nachtessen gesorgt, ich schaffte aus der Dompropstei Wein herbei, so gut er zu haben war. Unter Herzensergüssen und Scherz und Pfänderspielen entflog uns der Abend und der größte Teil der Nacht. Als endlich der Schlaf seine Rechte an uns geltend machen wollte, trat der Hausherr unserm schönen Gaste sein Bett neben seiner Gattin ab, und ich kam nicht wieder in Gefahr, wie ehemals eine unruhige Nacht in Kämpfen durchseufzen zu müssen. Minchen hatte ihren bereits großgewachsenen Stiefsohn als Begleiter mitgebracht. Dieser und der Hausherr schliefen in einer Kammer, die an mein Zimmer grenzte. Ruhig war mein Schlummer, aber ziemlich früh weckte mich die Freude wieder. Eben hatte ich meine kleinen Morgengeschäfte vollendet, da hörte ich die Stimme der Hausfrau, die ihren Mann in der nahen Kammer weckte. Sogleich pochte es auch an meinem Zimmer und ich öffnete; da trat Minchen, huldreich lächelnd, mit ihrer Wirtin herein und begrüßte mich mit süßen Wünschen. Ich zeigte ihr meine kleine Wirtschaft und ihren Schattenriß, der über meinem Pulte hängend, mich oft an sie erinnerte. Sie sagte zärtlich, mit untermengter Wehmut: »Wenn Sie mir in Ihrem Verdrusse schon alles entzogen haben, so hab' ich doch noch etwas gerettet!« Da zog sie einen zusammengefalteten, durch den Gebrauch ziemlich runzeligen Brief aus dem Busen, wies ihn mir mit einer Ängstlichkeit vor, als wenn sie in Gefahr stünde, von mir desselben beraubt zu werden, drückte ihn geschwind an ihre Lippen und verbarg ihn sorgfältig wieder im Busen. Ich schlang meinen Arm voll Zärtlichkeit und Rührung um ihre Hüften und drückte sie sanft und feurig an mich. Die Hausfrau hatte sich indes in meinem Schlafzimmerchen etwas zu tun gemacht. Aber nun kam der Hausherr mit seinem Schlafgesellen herbei und störte uns – ach zu plötzlich! – aus einer glücklichen Situation auf, die noch jetzt in der Erinnerung meinem Herzen angenehm schmeichelt. Wir frühstückten, Minchen besuchte den Markt, denn sie war eigentlich gekommen, um allerlei Winterwaren für ihre Familie einzukaufen. Auch ich kramte ihr indes ein hübsches Geschenk. Mittags ging sie aufs nächste Dorf Oberhausen, wo sie ihr Wagen erwartete, und ich begleitete sie dahin unter süßen Gesprächen. O, wie oft, wie sehnlich sahen wir zurück, als uns der rollende Wagen voneinander entfernte! Noch lange winkten wir von weitem einander zu. »Ach, wenn es zum letztenmale wäre, daß du sie sähest!« dachte ich wehmütig und blickte ihr sehnender nach, ohne zu vermuten, daß es sich wirklich so fügen würde. Aber ach! es fügte sich wirklich so, ich sah sie zum letztenmal, meine erste Geliebte! Als ich nach Hause kam, machte mich mein Hausherr erst noch mit einem schönen Zuge ihrer edlen Seele bekannt, und ich weinte ihr in der Einsamkeit zärtlicher nach. Sie hatte sogleich nach ihrer Ankunft den Markt besucht; Beutelschneider ersahen die Gelegenheit und stahlen ihr eine Tasche mit einer beträchtlichen Summe. Als sie nach Hause kam, merkte sie ihren Verlust, gestand ihn zwar in der Verwirrung dem Hausherrn, bat ihn aber sogleich, er möchte mir nichts davon sagen, damit meine Freude durch keine schmerzliche Empfindung gestört würde. O, wie achtungswert ist ein so edles, schönes, feinfühlendes Wesen! Nie, du Gute, trübe Unzufriedenheit oder ein Mißgeschick deine Tage! Immer sei deine Seele so heiter, wie meine, wenn ich deiner unschuldvollen Liebe gedenke!

Weil ich mit dem Mesner an der Stiftskirche zu St. Peter in genauer Bekanntschaft stand, so wandte sich dieser, so oft er zu einer besondern Zeremonie eines Priesters bedurfte, gewöhnlich an mich. Ich mußte zu Ostern die Eier, Schinken, Kuchen usw., an der Lichtmesse die Kerzen, am Johannistage den Wein usw. weihen, am 3. Februar blaseln (den Segen des heil. Blasius erteilen) und am Aschermittwoch einäschern. O, wie erbarmte mich da des armen Volkes, wenn ich sah, wie es gutherzig dem Altare sich nahte und fest glaubte, einige lateinische Brocken in Form eines Kirchengebets gesprochen, nebst dem Beräuchern und Besprengen mit Weihwasser usw. hätten den Eßwaren und dem Wachse eine besondre, inwohnende Kraft mitgeteilt, die alle Fieber, Krankheiten und bösen Geister zu vertreiben vermöge, indes ich mich noch lebhaft erinnerte, wie oft meine Kameraden im Seminar sich zu Ostern, vom Geiste der Unmäßigkeit verführt, am lange entbehrten geräucherten Fleisch und an harten Eiern ein Fieber aßen! Oft dachte ich dann: »Herr! mögest du ihrer frommen Einfalt schenken, was meine Zeremonie gewiß nicht bewirken kann!« Zuweilen ward ich freilich aus meiner Verstimmung durch ein lächelndes Angesicht oder durch ein schalkhaftes Auge aufgestört. Wenn ich z. B. mit den kreuzweise verschränkten Kerzen in der linken Hand einem schönen Mädchen, das mich kannte, so traulich unter das Kinn fahren und mit meiner Rechten ein Kreuz über sie schlagend die Formel sprechen mußte, zitterte mir manchmal der Arm und das liebliche Kind ward rot. Ein gewisses Fräulein küßte mir einmal im Verborgenen ihres Kapuchons die Hand so geschwind, unbemerkt und sanft, daß ich in süßer Verwirrung die Kerzen kaum mehr halten konnte und ihren schönen Pelzmantel mit abrinnendem Wachs nicht wenig beträufelte. Wenn ich bekannten Frauenzimmern die Asche auf die Stirn streuen mußte, so brachten mich die schönen Kinder manchmal durch mutwilliges Aufblicken und Lächeln ins Stocken und ich verirrte in meinem Spruche.

Einst weigerte sich der Chorherr, welcher sonst die gewöhnlichen Festpredigten hielt, dieselben ferner für einen so geringen Preis zu halten, da ersuchte mich der Mesner, ich möchte dieselben übernehmen. Mit Freuden verstand ich mich dazu und war froh, eine Gelegenheit zu finden, mich im Kanzelvortrage zu üben. Denn meine alte Neigung, dem Landvolke einst durch Unterricht von der Kanzel zu nützen, war noch nicht erstorben, und ich kann's nicht bergen, ich hätte mir gern auch den Ruhm eines geschickten Predigers verdient. Kaum hatte Herr Statthalter vernommen, daß ich predigen würde, so forderte er mir meinen Aufsatz ab und bestand darauf, ich müßte ihn seiner Zensur unterwerfen, sonst würde er mich die Kanzel nicht besteigen lassen, denn es wäre zu fürchten, ich möchte meinen philosophischen Grundsätzen gemäß dem Volke freidenkerische Lehren vortragen. Allein er wußte nichts daran auszusetzen. Nur äußerte er: er hätte nicht geglaubt, daß ich etwas so ganz Simples auf die Bahn bringen und in einer so ungeschmückten Sprache abhandeln würde. Fleißig erschien auch ein Mitarbeiter des stockorthodoxen Journals: Kritik über gewisse Kritiker, Rezensenten usw. in der Kirche und horchte begierig auf dem Musikchor, ob ich nichts vorbrächte, das nach Ketzerei riechen würde. Aber er spannte vergebens sein hartes Trommelfell an, die erwartete Ketzerei wollte nicht kommen, ich führte meinen moralischen Satz aus, beleuchtete ihn am Ende mit Geschichten aus der Bibel und zog selbst das Betragen Mariens, deren Festtag begangen ward, als ein Beispiel eines echten Vertrauens auf Gott an. Dennoch hielt man es nicht für ratsam, mich öfters auf die Kanzel zu lassen. Der vorige Prediger erbot sich von neuem, die Predigten zu halten und ich – verlor den Anlaß mich zu üben.

Einst saß ich abends ganz allein in meinem Zimmer, da trat zu meinem nicht geringen Erstaunen ein Mann von mittelmäßigem Wuchse herein und bat, ich möchte an seinem sonderbaren Aussehen nicht erschrecken. Diese Einleitung war nicht unnötig, denn er hatte eine abscheulich schmutzige Jacke an und eine ebenso reinliche Schürze vorgebunden. Sein Haar hing zum Teil losgerissen über sein Angesicht in wilder Verwirrung herab, und auf Stirne und Wangen saßen ihm schwarzrote Narben, wie wenn er in einen Haufen Glut gefallen wäre und sich häßlich verbrannt hätte. Übrigens war seine Farbe mit schwarzen Rußflecken unkenntlich gemacht, so daß er ganz das Aussehen eines der niedrigsten Feuerarbeiter hatte. Unser Gespräch war dem Gange und Inhalte nach folgendes:

Er. Verwundern Sie sich nicht, Ew. Hochwürden, daß ich so unverschämt vor Ihnen erscheine. Ich habe schon lange gelauert, bis ich das Haus einmal offen fand. (So! dachte ich, also hast du dich herein gestohlen!) Es betrifft eine sehr geheime und wichtige Sache, warum ich zu Ihnen komme. Eine Gesellschaft gescheiter und braver Leute hat einen Schatz entdeckt, und ich möchte ihn gern heben. Dazu brauchen sie eine Meibomische Bibel, eine reine Jungfrau und einen Geistlichen. (Ich schüttelte bedenklich den Kopf.) Die ersten zwei haben wir bereits aufgefunden, nur der dritte mangelt uns noch, denn es taugt nicht ein jeder Geistlicher dazu. Verzeihen Ew. Hochwürden, daß ich so frei rede! Auch er muß noch bei keinem Mädchen geschlafen haben. Nun haben wir schon lang' ein Auge auf Sie geworfen und Sie wohl betrachtet, wenn Sie bei St. Peter die Messe lasen. Es schien uns, Sie könnten der Rechte sein. Wenn Sie nun mit mir kommen wollen, so machen Sie uns alle glücklich, und Sie sollen reichlich belohnt werden und, wenn man teilt, zweimal soviel erhalten, als ein jeder von uns. Stoßen Sie nun Ihr Glück nicht selber von sich und kommen Sie mit mir! Die Gesellschaft erwartet Sie schon.

Ich. Armer betörter Mann! Wenn euch bekannt ist, wo ein Schatz liegt, so grabt nur herzhaft darnach, und ihr werdet ihn auch ohne mein Zutun heben. Aber wißt, ihr seid Betrogene!

Er. Behüte Gott! ich bin nicht so dumm. Da sind Leute dabei, die Grütze im Kopf haben und keine Pfennigfuchser sind.

Ich. Sie haben wahrscheinlich Grütze genug, um einem blöden Kerle, der weniger Grütze hat, sein bißchen Armut aus der Tasche zu spielen, Hat man euch nicht gesagt, ihr müsset eine gewisse Summe Geldes auftreiben und sie am Orte, wo der Schatz liegen soll, eine Zeitlang vergraben?

Er. Ja, Herr!

Ich. Hat man nicht gesagt, dies sei nötig, um den Schatz näher heranzuziehen, denn – Geld locke Geld?

Er. Ja Herr! Sie wissen, wie ich merke, guten Bescheid vom Schatzgraben und sind nicht der Unerfahrenste in dergleichen Dingen.

Ich. Ich weiß nur soviel, lieber Mann, daß derjenige, der euch das Geld abforderte und es vergrub, ein Betrüger ist, der eure Begierde, mehr zu haben, dazu mißbraucht, um auch das wenige, was ihr besitzt, euch schelmisch abzulocken und sich damit flüchtig zu machen. Dergleichen Geschichten sind mir mehrere bekannt. Ich habe selbst einen nahen Verwandten, den das Unglück traf, auf eine solche Art um das Seinige zu kommen. Laßt euch nicht zu so abergläubischen Torheiten und Mummereien hinreißen und erinnert euch, daß ihr auch von der Obrigkeit hart gestraft würdet, wenn man euch bei dergleichen Tätlichkeiten ertappen sollte.

Er. Mit der Obrigkeit hat's keine Not! Sie dürfen sich nicht fürchten. Es soll gewiß nichts aufkommen, gar nichts! Sie können sich darauf verlassen. Sehen Sie, – wir wollen Ihnen alle unverbrüchliches Stillschweigen schwören. Sie dürfen nur vorschreiben, wie Sie's haben wollen. Es ist alles höchst geheim angelegt.

Ich. Armer Mann! Ihr seid ein Haufen abergläubischer, betrogener Toren! Laßt euch eines Bessern belehren und glaubt nicht, daß jemand durch so schändliche Mittel, als ihr anwenden wollt, jemals reich werden könne. Ihr verliert sogar euer noch übriges Eigentum.

Er. Sie irren sich, Herr! Ich sah den Schatz mit diesen meinen Augen glänzen wie Feuer; es waren lauter glühende Goldstücke, und glauben Sie mir, wir haben nichts Schändliches vor.

Ich. Wozu braucht ihr dann einen Geistlichen und eine Jungfrau, wenn ihr nichts Abergläubisches, nichts Unsittliches vorhabt?

Er. Je nun, was er tun muß, das gehört zur Zeremonie, die längst als heilig und wirksam erprobt ist.

Ich. Was müßte ich denn tun?

Er. Dazu würde man Ihnen schon Anleitung geben. Kommen Sie nur mit! Sie dürfen sich nicht fürchten!

Ich. Hat Er denn nichts gehört, wozu man mich brauchen möchte? Das sollte Er mir doch sagen können! Wie kann ich mich sonst entschließen zu gehen, wenn ich nicht weiß, was ich soll! Er muß aufrichtig reden!

Er. Nun – ich will Ihnen sagen, was ich weiß! Aber Sie müssen mir nicht böse werden und sich auch nicht sogleich abschrecken lassen! – Doch Sie wissen wohl selbst, was beim Schatzgraben der Brauch ist.

Ich. Er irrt sich sehr, guter Freund! Wenn Er mir nicht genau sagt, was ich zu tun habe, so muß Er sich's gar nicht einfallen lassen, daß ich mit Ihm gehe. (Ich dachte, ihn auszuforschen.)

Er. Nun – wenn Sie denn mit mir gehen wollen, so will ich recht aufrichtig alles gestehen. – Sie müssen, wie Sie Gott erschaffen hat, die Zwingmesse lesen.

Ich. Fahr' Er nur fort!

Er. Sie dürfen nicht sorgen! Es ist niemand zugegen als wir. (Er stockte wieder.)

Ich. Nur weiter in Seiner Erzählung!

Er. Auf den Altar wird Erde gelegt, die Sie und die Jungfrau unter Ablesung einer gewissen Stelle aus der Meibomischen Bibel miteinander ausgraben müssen, um sie zu heiligen. Die Jungfrau steht während der Messe gleichfalls, wie die Eva im Paradies, auf der Erde, womit der Altar bedeckt wird. Dann wird diese Erde von Ihnen auf die Stelle gestreut, wo der Schatz liegt, die Jungfrau streckt sich darauf hin ... und ... und ...

Ich. Warum stockt Er? Fahr Er nur aufrichtig fort! Ich muß alles wissen!

Er. Und so wie von Ihnen das Band der J.....schaft gelöst wird, so lösen sich auch die Bande, mit denen der Schatz in der Erde angefesselt ist. (Der schmutzige Kerl sagte genau so.) Dann nehmen Sie die Schaufel und fangen an zu graben, es kann nicht fehlen, die Kiste mit dem Golde muß sich zeigen. Das ist nun alles!

Ich. Elender! Hat Er's nun während Seiner Erzählung nicht selbst gefühlt, daß Er lauter Schändliches sagte? Mußte Er nicht öfters stocken, ehe Er eine neue Abscheulichkeit vorbrachte? Er. O Herr! Sie wären just der Beste dazu! Wir dachten wohl, Sie würden sich deshalb am meisten weigern. Aber bedenken Sie, daß es eine alte, wohlerprobte Kunst der weisen Magie ist, und wieviel Sie dabei gewinnen können! und – ich versichere Sie, das Mädchen ist auch ein schönes Kind! Sie dürften's nur sehen.

Ich. Und kann Er denken, ich werde mich zu dergleichen Dingen mißbrauchen lassen? Ich hätte gute Lust, Ihn hier einzusperren und der Polizei Nachricht von eurem Vorhaben zu geben, ihr Bösewichte!

Kaum hatte ich dies Wort gesprochen und einige Schritte zur Tür getan, so lief der häßliche Bursche schnell davon. Ich rief ihm nach: »Wenigstens laß Er sich warnen!« Er antwortete unten an der Treppe: »Sie trauen sich nur nicht; der Teufel würde Sie zerreißen, weil Sie kein Junggeselle mehr sind!« Ich mußte des Toren lachen. Doch ging es mir nachher oft im Kopfe herum, ob die ganze Einladung nicht ein Schwank meiner Feinde war, um mich in Versuchung zu führen, zu beschämen und zu verderben. Im Ernste reute es mich, daß ich nicht bessere Maßregeln ergriffen hatte, um ihren Abgesandten voll Brandmalen in Verwahr bringen zu lassen.

Es kann aber leicht sein, daß wirklich blödsinnige, betrogene Toren sich im Ernste an mich wandten. Denn ich mußte als Registrator einen eigenen Artikel Schatzgräberei anlegen, um alle die tollen Unternehmungen, die sich dergleichen Betrüger und Betrogene zuschulden kommen ließen, immer zur bequemen Übersicht und Untersuchung bei der Hand zu haben. Die Leute, welche dergleichen Geschichten anspannen, waren meistens Dorfmesner, liederliche brotlose umhervagierende Pfaffen (sogenannte Messenfischer), abgesetzte, verdorbene Beamte, Jäger usw. Die Betrogenen gehörten immer zur niedrigsten Klasse des Pöbels. Auch hier zeigte es sich, daß sie immer eines Mädchens zu ihren Exerzitien bedurften. Aber keiner gestand bei der Inquisition, wozu man es eigentlich gebrauchte.

Am Fronleichnamsfeste mußte ich einmal dem Herrn Statthalter die Insul nachtragen. Das ganze Fest schien mir seit langem ein Triumph des Betrugs und der Dummheit, von Pfaffen erfunden, um dem Pöbel jährlich ein Schauspiel zu geben, das ihm die Fesseln seiner Vernunft noch lieber und ehrwürdiger machen sollte. Die vielen flatternden Fahnen, welche von den Zünften und Brüderschaften in bunter Glorie durch die Gassen getragen wurden, das sichtbare Bestreben der Eitelkeit, einander an Kostbarkeit des Stoffes und der Kleidung zu übertreffen, die an den Häusern paradierenden Gemälde, welche die abgeschmacktesten Vorstellungen von jeder Gattung dem Auge darboten, die jungen, grünenden Birkenbäumchen, die in den Kirchen und an allen Häusern aufgestellt waren, die mit abgemähtem Grase, Buchs und Blumen bestreuten Wege, auf denen der Zug sich fortwälzte, mahnten mich an eine verhunzte Nachahmung der heidnischen Umzüge des Altertums. »O, ihr Priester!« dachte ich dann, »eure Feste sind unsinnig und geschmacklos, wie eure Dichtungen: nirgends findet sich etwas Großes, Artiges, Schönes, Erheiterndes, Seelenerhebendes wie bei den Alten, überall nur läppische Figuren, Zieraten, Zeremonien ohne faßliche Bedeutung, gräßliche Bilder, kindischer Prunk, Glanz ohne Gout, Schellengeklingel, sinnloses Baalsgeschrei. Deine Treiber, o Herde, frohlocken heute im Siegeston, daß sie nicht nur deinen Verstand, sondern auch deine Sinne zu fesseln verstanden. Und du triumphierest, daß du so stark bist, so heldenmäßig stark im Glauben, in der Bereitwilligkeit, durch Unsinn dich betören zu lassen! Armes Volk, wann wirst du aufhören, Kind zu sein, wann wirst du endlich der Amme Hierarchie entwachsen?« Wenn ich dann, während der Bischof im kreischenden Tone die Benediktion sang und mit der blendenden Monstranz die Luft kreuzweise durchschnitt, von der Seite her das rauhe Kommandowort des Offiziers unsrer geputzten Bürgermiliz: »An! Feuer!« darein tönen und die Musketen knallen und die Trommeln lärmen hörte, so war das Maß voll. Ich hätte über die Tollheit, daß die Leute das Unvereinbare, Barocke und Unsinnige einer solchen Zusammenfügung von Andacht und militärischem Tumult gar nicht fühlten, und daß sich die weltliche Macht zu solch einem geistlichen Maskenspiele mißbrauchen ließ, vor Unmut stampfen mögen. Allein, da es nicht anging, meinen Verdruß laut werden zu lassen, so kochte ich, stumm und in mich gekehrt, Ärger und Galle. Dies und das lange Währen der Prozession machte mir nach und nach so übel, daß ich totenbleich und einer Ohnmacht nahe den Zug verlassen und vor der Zeit mit meiner Insul in die Domsakristei zurückkehren mußte. Herr Dompropst vermied also in den folgenden Jahren, mich wieder zu einem Dienste bei der Prozession zu nötigen. So genoß ich einigemal des Glückes, wenigstens des schmerzlichen Anblicks eines solchen Hypokritentriumphes überhoben zu sein.

Weil ich aber von jeher gewohnt war, so oft das Volk an sogenannten heiligen Tagen mit Andacht ein Kirchenfest feierte, mir zu sagen: »Sollst du, den die Vorsehung zu bessern Grundsätzen geführt hat, weniger eifrig im Guten sein, als der rohe Haufe in seiner frommen Einfalt?« so bestrebte ich mich mehr als sonst, solche Tage durch eine gute Tat zu heiligen. An einem Fronleichnamsfeste besuchte ich in dieser Absicht einen sehr armen, schon lange krankliegenden Handwerker, der nicht weit von meiner Wohnung in einem elenden Gemach nach Hilfe seufzte, und brachte ihm Trost, so gut ich's eben vermochte. Seine Wärterin, eine dürftige, alte Frau, welche sich die Mühe nahm, für den Leidenden allenthalben eine milde Beisteuer zu sammeln, war zuweilen in unser Haus gekommen, um beim Ausfegen usw. zu helfen, und hatte mir von der Not des armen Dulders erzählt. Öfters wollte ich von nun an seine feuchte Hütte besuchen.

Eine Schauspielergesellschaft traf nach einiger Zeit in Augsburg ein. Wenn ein gutes Stück angekündigt ward, so sagte ich zuweilen in der Dompropstei, ich ginge spazieren und würde nicht zum Abendessen kommen. Dann verkleidete ich mich so, daß ich nicht mehr zu auffallend einem Geistlichen ähnlich sah, und setzte mich gewöhnlich auf einen vorteilhaften Platz vorne im Parterre. Ruhig saß ich während des Spieles da, hörte und sah nichts, als was auf dem Theater vorging, hatte die Augen voll Tränen bei den rührendsten Szenen und lachte von Herzen mit, wenn ein recht komischer Einfall zum Vorschein kam. Einst nahm ein artiges junges Frauenzimmer Platz an meiner Seite. Ihr Gesichtchen war ein niedliches Oval, ihre Augen glänzten voll Leben, ihre Manieren zeugten von guter Erziehung und ihr Anzug von Wohlstand. Ich hatte mir beim Eintritte gebratene Kastanien gekauft und knackte sie zwischen den Akten aus den Hülsen. Meine hübsche Nachbarin verzehrte Birnen. Ich beobachtete, daß sie mich einigemale mit Aufmerksamkeit betrachtete und sah sie deshalb wie fragend an. »Guten Appetit, Herr Nachbar!« sagte sie, »wollen Sie tauschen?« und bot mir ein paar Birnen an, wofür ich ihr sogleich den Rest meiner Kastanien reichte. Wir plauderten über einige Szenen des Schauspiels und wurden bald vertrauter. Man führte eben die Sonnenjungfrau von Kotzebue auf. »Ich hätte auch schon Klosterfrau werden sollen,« sagte sie unter anderm, »aber ich sträubte mich dagegen, so gut ich konnte. Mein Herr Vetter ist Chorherr und meinte, er müsse aus mir eine Braut Christi ziehen. Aber Sie sehen, es mißlang. Dank sei dem Kaiser Joseph! Er hob das Kloster auf, in das ich bestimmt war, und so ward ich der Zudringlichkeit meines Herrn Vetters los.« – »O schade,« sprach ich scherzend, »wenn man ein so artiges Kind lebendig begraben hätte! Die geistlichen Herren sagen doch immer, der himmlische Bräutigam sehe nicht auf äußerliche Schönheit, sondern auf die Schönheit der Seele. Wenn sie sich also nur mit runzeligen frommen Mütterchen begnügen möchten und uns Weltlichgesinnten die hübschen Gesichtchen ließen, dies wäre noch zu gedulden. Aber daß sie so gern schöne Kinder wegkapern und sie um die besten Freuden des Lebens betrügen, dies macht, daß ich die Schwarzröcke und ihr ganzes Institut hasse, mehr als Alonzo die Sonnenpriester und ihre Strenge.« So unterhielten wir uns noch lange. Am Ende des Spieles kam ein artiger Mann herbei, um sie nach Hause zu begleiten. »Ach, Sie haben ein gutes Herz,« sagte sie beim Abschiede wie gerührt und drückte mir dabei die Hand, »und sind zugleich so munter, ich wollte, ich könnte mich öfters mit Ihnen unterhalten. Kommen Sie nicht zuweilen an einem Feiertage abends nach Lechhausen zu Herrn .... in die schöne Laube?« Ich erwiderte: »Ich kann ja hingehen.« Und sie sprach: »Mit Vergnügen will ich Sie erwarten.« Noch kannte ich die junge Schöne so wenig als ihren Begleiter, denn ich hatte, wahrscheinlich aus Besorgnis, indiskret zu scheinen, versäumt, sie um ihren Stand und Wohnort zu fragen. Um hierüber ins klare zu kommen, nahm ich mir vor, dem artigen Paare in einiger Entfernung zu folgen und zu sehen, wohin es sich wenden würde. Aber ich verlor sie im Gedränge vor dem Saale aus den Augen und mußte, ohne meinen Zweck erreicht zu haben, nach Hause kehren. Die Unbefangenheit des schönen Mädchens und ihr Frohsinn hatten mir gefallen. Ich dachte oft an sie und ging sogleich am nächsten Feiertage nach Lechhausen, um sie in der angezeigten Laube zu suchen. Aber vergebens sehnte ich mich nach ihr, einsam im Schatten sitzend; vergebens bestrich ich mit meinem Fernrohre die Lechbrücke und die Straße, auf der sie herankommen sollte. Sie kam nicht. Auch am folgenden Sonntage mußte ich mißvergnügt wieder nach Hause ziehen. Das Wetter wollte sich an Feiertagen lange nicht mehr aufheitern. An einem Festmorgen beschloß ich indes, den alten kranken Handwerker wieder zu besuchen. Um in sein Stübchen zu kommen, mußte ich erst durch ein artiges Haus und dann über einen Hofraum gehen, in den mehrere Treppen aus den angrenzenden Häusern zusammenliefen. Wie ward mir auf einmal so enge um's Herz, als dort das schöne Frauenzimmer, das ich seit der Komödie so fleißig gesucht hatte, im niedlichsten Hauskleide an einem Nelkengeländer stand und in sanfter Ruhe die Blumen begoß! Kaum hörte sie meinen Fußtritt auf dem Steinpflaster, so wandte sie sich um, blickte mich freundlich an und rief freudig aus: »Ha! sind Sie es?« Geschwinde setzte sie ihren Gießkrug beiseite und trat mir in den Weg. »Willkommen, Ew. Hochwürden! Wie haben Sie gelebt, seitdem wir Nachbarn wurden? Ich kannte Sie damals wohl, aber ich wollte Sie der Umstehenden halber nicht in Verlegenheit setzen, mir schien es, Ihre Kleidung sollte verbergen, wer Sie wären! Es freut mich recht, daß ich Sie nun sehe! Gewiß geht Ihr Weg wieder zu dem armen Greise da drinnen. Wenn Sie ihn wieder verlassen, so machen Sie mir das Vergnügen, bei mir einzukehren.« Ich versprach zu kommen. Sie zeigte mir die Treppe, die ich steigen müßte. Es tat meinem Herzen recht wohl, einem so liebenswürdigen Geschöpfe von einer guten Seite bekannt zu sein. Als ich den Kranken verließ, harrte sie meiner bereits oben auf dem Altan und führte mich mit unschuldvoller Traulichkeit in ihr reinliches und niedlich möbliertes Gemach. »Ich muß das Haus hüten,« sagte sie mit einnehmender Unbefangenheit, »und bin ganz allein, wie Sie sehen; alles ist zur Kirche gegangen. Wir können nun recht offenherzig eins plaudern. Kommen Sie!« Da setzte sie sich auf das Sofa, ergriff traulich meine Hand und zog mich neben sich. Meine schüchternen Mienen mochten verraten, daß ich mich durch dies Betragen etwas befremdet fand. Behende sagte sie: »Warum sind Sie so scheu? Fürchten Sie sich denn vor Frauenzimmern?«

Ich. Nicht vor so guten, wie Sie mir scheinen; es gäbe freilich welche, die ich fürchten würde.

Sie. Es gibt aber auch Geistliche, mit denen ich nicht so allein sein möchte. Das erfuhr ich, als man mich zur Nonne machen wollte. (Sie seufzte.) Ich habe Ihre Fischergedichte gelesen, Sie können der rohe Mann nicht sein, den ich fürchten müßte. (O, wie schmeichelte mir das so süß!) Sehen Sie dort das Klavier? Ich würde es lieben, wenn man mich nicht angehalten hätte, es für den Klostergebrauch zu lernen.

Ich. Sie spielen aber doch noch bisweilen zu Ihrem Vergnügen?

Sie. Nein, aber mein Bruder, den Sie neulich im Theater gesehen haben. Er holte mich ab.

Dies führte mich ohne Zwang darauf, mich näher um ihre Familie zu erkundigen. Es zeigte sich, daß sie die Tochter eines bekannten Augsburgischen Künstlers sei. Ich erzählte, daß ich sie, auf ihr Wort hin, schon zweimal in Lechhausen gesucht hätte. Hannchen erwiderte schmeichelnd: »Ach, ich dachte wohl auch daran, Sie könnten vergebliche Gänge machen, aber wir wurden nach Friedberg eingeladen und es war unmöglich, zu kommen. Verzeihen Sie mir und bleiben Sie das nächste Mal nicht aus! Ich treffe Sie dort gewiß an.

Ich. Es mag sich ereignen, was da will, ich bleibe nicht weg. Sie (indem sie meine Hand sanft emporhob, sich zärtlich darauf herabneigte und dieselbe an ihre Wange drückte): »Sie müssen mein Freund werden! Eine so wohltätige Hand darf ich schon küssen.« Nun wollte sie auch ihre Lippen darauf drücken, aber beschämt sträubte ich mich dagegen und zog die Hand zurück. Da öffnete sich die Tür und ihr Vater trat herein. Mir war bange, er möchte durch das Glasfenster in der Tür die letzte Szene gesehen haben und sie etwa übel deuten. Aber er betrug sich sehr höflich gegen mich, und das liebliche Mädchen sagte ihm sogleich: »Das ist der geistliche Herr, der zu unserm alten Manne kommt. Ich sah ihn eben hineingehen und bat ihn ein wenig einzukehren. Er hat mir versprochen, uns nächstens in der Laube zu besuchen.« Nun lud mich auch der freundliche Künstler zur Abendgesellschaft ein, und ich eilte am nächsten Feiertage vergnügt nach Lechhausen. Noch kannte ich die trauliche Schöne nicht genug, um mit Gewißheit entscheiden zu können, ob sie meiner Zuneigung auch wert wäre. Aber ihre Unbefangenheit ließ mich ahnen, sie könne unmöglich zur schlimmern Klasse gehören. Kaum erblickte sie mich auf der Straße, so verließ sie die Laube und schwebte mir in holder Eile entgegen, wie eine Grazie lächelnd. Mit einer Offenheit, die ihresgleichen nicht hatte, unterhielt sie mich den ganzen Abend, der mir unter Gesängen und süßem Geschwätze, gleich wenigen Minuten, dahinfloß. Ich mußte versprechen, daß ich ihr bis zur nächsten Zusammenkunft ein Gedichtchen machen wollte. Es fügte sich eben, daß ich unvermeidlicher Geschäfte halber schon um acht Uhr in der Dompropstei erscheinen sollte, allein ich konnte mich erst losreißen, als es bereits finster zu werden begann; der Vater hätte noch gern sein Glas Wein geleert, und ich sah mich gezwungen, Abschied zu nehmen, ohne sie, wie ich wünschte, nach Hause führen zu dürfen, Hannchen begleitete mich den langen Gang hinab durch den Garten. Sobald wir dem Vater und ihrer Schwester aus den Augen waren, schlang sie freundlich ihren linken Arm um meine Hüften und ich meinen rechten um ihren schlanken Leib. So gingen wir bis an die Umzäunung des Gartens. Der Dämmerung einladendes Dunkel, der sprechende Liebesblick, die Traulichkeit des herzlichen Mädchens und die Einsamkeit selbst luden mich ein, mein Haupt auf ihre Schulter zu lehnen und dann meine Lippen auf ihre blühende Wange zu drücken. Sanft, wie eine Purpurnelke, die der schmeichelnde Zephyr behaucht, neigte sie das schöne Haupt zurück, daß mein heißer Mund sich auf den weichen Hals verirrte. Zärtlich drückte sie meine Hand beim Scheiden, als wollte sie mir dadurch sagen, wie wenig ihr meine Kühnheit mißfallen hätte. Unvergeßlich schwebte nun, die folgenden Tage durch, die süße Szene vor meiner bezauberten Seele, und ich schmachtete immer voll Verlangen nach ihrem süßen Geschwätze. Jetzt fühlte ich recht, was Plato sagt: »Ein Liebeskuß entzündet das Blut, wie Gift in Honig genossen.«

Unruhig harrte ich des kommenden Feiertags und blätterte mein ganzes Gedankenregister vergebens durch, um etwas Leidliches für das liebliche Kind zu dichten. Mit keinem Aufsatze war ich zufrieden. Immer schrieb ich, und immer zerriß ich wieder die Blätter. Der Sonntag kam heran, es glänzte der heiterste Himmel, und noch hatte ich kein Gedichtchen vollendet. Sogleich nach dem Mittagessen ging ich in das niedrige Buschwäldchen hinaus, das die Heide bei Lechhausen nicht unangenehm kleidet. Schon öfters hatte ich da mit Vergnügen allerlei Aufsätze geschrieben; ich hoffte, auch jetzt sollte mich der Geist der Idylle anwehen. Ich irrte mit Papier und meiner messingenen perpetuierlichen Feder, die im Oberteile zugleich die Tinte enthält, lange im Gesträuche hin und her, aber die Einfälle wollten sich nicht haschen lassen, sie entflohen mir, wie Schmetterlinge einem zu ungeduldigen Knaben. Endlich wußte ich meiner armen Seele keinen bessern Rat, als den letzten Abend in der Laube zu besingen. Es gelang mir besser, als ich gehofft hatte. Überaus lieblich errötete sie, als ich ihr in der Laube aus meinem unordentlich beschriebenen Blatte das Gedichtchen vorlas, aber sie konnte die Freude nicht bergen, der Gegenstand dieses Gesanges zu sein. Ganz unverhohlen wünschte sie, der Aufsatz möchte schon jetzt, ins reine geschrieben, vor ihr liegen, um ihn je eher je lieber mit sich nach Hause zu nehmen. Öfters fragte sie deshalb mit schlecht verborgener Ungeduld, ob ich ihn nicht bald abgeschrieben ihr überreichen würde. Ich versprach die möglichste Eile, und sie drückte mir dafür desto inniger die Hand. Es folgte ein sehr vergnügter Abend. So oft mir ein Gläschen eingeschenkt ward, kredenzte sie kosend den Wein und blickte mir zärtlich in die Augen. Wir sahen ein Donnerwetter heranziehen und beschlossen, nach Hause zu kehren, ehe uns der Platzregen überraschen könnte. Es dunkelte bereits, als wir aufbrachen, und ward immer dunkler, je näher die schweren Wolken heranzogen. Hannchen und ich liefen Arm in Arm ein wenig voraus, ihre blasse Schwester und der Vater folgten uns in geringer Entfernung. Der Gewitterwind sauste und wirbelte den Staub um uns auf. Die Blitze wurden blendender, und der Donner rollte immer näher und schmetternder. Hannchen schmiegte sich an mich und fuhr bei jedem heftigen Schlage erschrocken zusammen. Immer unbändiger toste der Sturm. Ich sprach ihr Mut ein und ermunterte sie durch mein Beispiel. Schon waren wir eilig durch die Stadt bis zum Klinkertore gelaufen, da krachte es plötzlich hinter uns, wie wenn durch eine entzündete Mine die nahen Türme geborsten wären, denn der Strahl war auf das Torgebäude herabgefahren. Mit einem lauten Schrei fiel mir Hannchen um den Leib, verbarg ihr Antlitz an meiner Brust und wußte sich vor Schrecken nicht zu fassen. Ich war zwar auch etwas betroffen, denn der Blitz hatte mich so sehr geblendet, daß ich einige Augenblicke keinen Gegenstand mehr unterscheiden konnte. Allein ich fand die Situation, in die mich der Zufall mit dem schönen Mädchen gesetzt hatte, zu interessant, als daß eine andre Empfindung als behagliches Wohlgefallen in meiner Seele hätte Raum finden können. »Schade,« hätte ich gern mit Wielands griechischem Autor im Agathon ausgerufen, »schade, daß ein solcher Zustand nicht immer währen kann!« Ich hielt das liebliche Wesen einige Augenblicke mit sanftem Drucke in den Armen und sagte mit schmeichelndem Tone: »Was fürchtet die Unschuld? Das Feuer des Himmels schadet ihr nicht! Erholen Sie sich, es hat keine Gefahr.« Ängstlich atmend hob sie sich von meiner Brust und schmiegte sich bei jedem Blitze wieder inniger an meine Seite. »O Sie sollten immer bei mir sein,« sagte sie nach einer Weile, »dann würde ich mich nicht mehr fürchten. O Gott! wenn Sie nur kein Geistlicher wären!« Ich seufzte tief: »Wollte der Himmel, ich wär' es nicht!« Wir waren beide nicht wenig bewegt. Es schien, das schrecklich Erhabene der Naturerscheinungen um uns her hatte der innigsten Rührung unsre Herzen geöffnet. Der Vater mit ihrer Schwester war jetzt an unsern Fersen. Unter Sturmgesaus langten wir endlich bei ihrer Wohnung an. Kaum waren wir alle unter das Dach getreten, so begann der Regen rauschend zu strömen. Ich durfte also noch einige Zeit in Gesellschaft des sanften Mädchens verleben, und sie zeigte mir mit freundlicher Geschäftigkeit ihre Kleider und schönen Sachen, samt dem niedlichen Kästchen, worin sie mein Gedichtchen, gleich dem köstlichsten Geschmeide, aufbewahren wollte. Zärtlich drückte sie meine Hand an ihr Herz, als sie mich endlich entließ. – Sobald ich am folgenden Morgen vermuten konnte, nun würde sie das Frühstück verzehrt haben, eilte ich zu ihrer Wohnung und brachte ihr meine Idylle. Mit freudefunkelnden Augen und errötenden Wangen drückte sie das Blatt an ihren Busen und an die frischen Lippen, setzte sich in eine Ecke des Zimmers und durchlas es lächelnd und verschämt wie einen Liebesbrief. Als sie damit zu Ende war, erhob sie sich von ihrem Sitze, drückte mir schmeichelnd die Hand und sagte etwas verlegen: »Ach, wenn's nur nicht darin stünde, daß Sie mich geküßt haben, so könnte ich's meinen Freundinnen zeigen! Aber nun geht's nicht an! Doch – ich weiß, was ich tue, ich will die Stelle ausstreichen, daß sie niemand mehr entziffern kann, so ist dem Fehler abgeholfen!« Wirklich langte sie zu meinem nicht geringen Befremden Tinte und Feder aus dem Schreibtische hervor und fing an, meine Schrift wacker zu durchackern. Ich stand betroffen da und nahm früher Abschied, als ich mir vorgenommen hatte. Von nun an war ich für den ganzen Tag verstimmt. Abends ging ich an der Wertach hinauf spazieren und schrieb die Idylle: Eitelkeit, ein Zeichen des Mangels an Zuneigung. »O, Hannchen!« dachte ich, »Vertrauen und Freundlichkeit weichen schüchtern aus der Gesellschaft zurück, wo nur Eitelkeit sie willkommen heißt.«

Ich gab ihr bei der nächsten Zusammenkunft in Lechhausen das neue Gedichtchen. Aber sie fand es so herbe, daß sie mir von der Stunde an kein gutes Wort mehr verlieh. So unbefangen und traulich vorher ihr Betragen war, mit soviel Zwang und Zurückhaltung begegnete sie mir von nun an. Auch ich »fühlte mich« und eilte bald, ohne ihre Heimkehr nach Augsburg abzuwarten, verstimmt davon. Wir sahen uns nicht wieder. –

In meinen selbstgewählten Nebenbeschäftigungen liebte ich, von meinen Knabenjahren an bis jetzt, immer einige Abwechslung. Schon in der dritten Schule zu Dillingen verfertigte ich bald kleine Vogelhäuschen mit Trillen, vermittels welcher der hüpfende Vogel ein paar tanzende Figürchen bewegen sollte, bald phantasierte ich Räubergeschichten und Harlekinaden oder übte mich im Versemachen und Übersetzen aus des Villons Fabeln usw. In Neuburg, im Kloster und zu Eichstädt hatte ich auch meine Tage, an denen ich durchaus nichts dichten, aber über allerlei wichtigen oder unwichtigen Maschinen, Pump- und Druckwerken, immer laufenden Springbrunnen usw. oder mathematischen Aufgaben brüten mochte, an andern Tagen, vorzüglich im anbrechenden Frühling, empfand ich Ekel an allen dergleichen trockenen Beschäftigungen, wie sie mir dann vorkamen, und konnte mich nicht mehr enthalten, meinem Hange, Idyllen oder Verse zu machen, nachzugeben. So brachte mich zu Augsburg im Herbste 1792 die Veränderlichkeit meiner Neigung auf den Einfall, eine Rechnungsmaschine zu erfinden, welche jedermann in den Stand setzen sollte, durch bloßes Umtreiben einer Kurbel die größten Multiplikationen und Divisionen fehlerlos und schnell zu beendigen. Eine Woche lang ging ich täglich auf einen angenehmen Platz am Lech hinaus, setzte mich auf einen abgesägten Weidenstrunk, zeichnete mit Bleistift die einzelnen Teile und die Zusammenfügung des Ganzen und ruhte nicht, bis nach und nach alle Schwierigkeiten gehoben waren. Ich mußte mehrere Einfälle nach der Reihe verwerfen, bis ich endlich an den möglichst einfachen geriet. Denn ohne diese Einfachheit wäre die Maschine zu kompliziert geworden. Mit der Multiplikation hatte ich's bald ins reine gebracht. Aber bei der Division, die, wie ich sogleich einsah, zum Teil nur durch Aufzählung der Zahlen auf die Räder in umgekehrter Ordnung mit ebenderselben Multiplikationsmaschine verrichtet werden konnte, brachte der Umstand, daß ein Vorgericht an den Rädern genau anzeigen muß, ob die ganze, nach jeder Subtraktion restierende Zahl größer oder kleiner als der Divisor, oder demselben gleich sei, große Schwierigkeiten hervor. Ich grübelte hierüber so lange und zerbrach mir den Kopf so sehr, um eine recht einfache Einrichtung zu erfinden, daß ich zu begreifen anfing, wie es kommen könne, daß sich manchmal ein Denker mit schwächern Nerven als ich zum Wahnsinnigen studiere. Das Ganze zerfiel am Ende in drei große Hauptteile. Der erste ist eine eigentliche Zählmaschine aus 12 oder mehr Rädern bestehend, deren jedes 10 Zähne mit zwei beigeschriebenen Ziffern von 1 bis 0 in natürlicher und in verkehrter Ordnung trägt. Wenn alle Räder auf 0 gestellt werden, und man treibt das erste Rad um, so zählt die Maschine von 1 bis zur Billion usw. Der zweite Teil ist der Läufer oder der Wagen, der einen Faktor oder den Divisor und eine große Walze mit Zähnen trägt, welche 10 bis 12 Tasten in Bewegung setzen. Der dritte Teil enthält das Vorgericht, durch welches der Wagen zu rechter Zeit ausgelöst, fortgeschoben und der Quotient hervorgebracht oder der andre Faktor in Wirksamkeit gesetzt wird. Es wäre zu weitläufig, hier das Ganze zu beschreiben.

Meine Registraturgeschäfte ekelten mich indes nur desto mehr an. Ich hätte immer an meiner Lieblingsarbeit sitzen oder mich mit Dichten und Philosophieren abgeben mögen. Denn auch jetzt zog mich die Veränderlichkeit meiner Neigung bald zur Mechanik, bald zur Poesie hin. Dennoch mußte ich nun den Akten und dem Kanzleidienste weit mehr Zeit widmen, als gewöhnlich. Denn der Kurfürst von Trier war den siegreichen französischen Waffen entflohen und hatte sich nur mit einem geringen Gefolge in sein Bistum Augsburg zurückgezogen. Da nun das Personal der geheimen Kanzlei- und Kabinettsexpedition aus zu wenigen Sekretären bestand, fand Herr Statthalter für gut, mir die Ausfertigung aller geheimen Kabinettsresolutionen, Bescheide auf Protokollauszüge, Dekrete, Bestallungen usw. für das Fürstentum Augsburg zu übertragen. Von nun an mußte ich täglich, wenn ich die Registratur besorgt hatte, ins Zimmer des Herrn Statthalters kommen und einige Stunden lang, oft bis in die späte Nacht, Geheimschreibersdienste tun. »Dafür sollen Sie Ihren liebsten Wunsch bald erfüllt sehen,« sagte Herr von Ungelter, »und gewiß eine gute Pfründe erhalten.« Diese Hoffnung und die Freude, nun endlich einmal Gelegenheit gefunden zu haben, meinem freigebigen Kostherrn seine Tischgenossenschaft durch Fleiß und außerordentliche Anstrengung vergüten zu können, gaben mir Mut und Beharrlichkeit, allen Unmut und Ekel am Schreibtisch fortwährend zu besiegen. Hätte ich mich geweigert, so wär' er gezwungen gewesen, auf seine eigenen Kosten einen Sekretär zu dingen. Denn er wollte durchaus nicht das Ansehen haben, als wäre ihm irgendein Opfer zu teuer, wenn es darauf ankäme, den gnädigsten Herrn einer Last zu überheben. Bald ereignete es sich, daß Pfarreien und Frühmesserstellen auf dem Lande, die Herr Statthalter zu verleihen hatte, erledigt wurden; ich machte Miene, mich darum melden zu wollen, aber immer ward meine Hoffnung, sobald ich nur den Mund öffnete, mit der Äußerung niedergeschlagen, die Stelle sei in petto (durch eine vorläufige, geheime Entschließung) schon lange vergeben gewesen. Als nach der Wahl Kaiser Franz' II. eine Menge Supplikanten sich um das Vorwort des Kurfürsten bewarben, um per primas preces auf irgendein Kanonikat befördert zu werden, ermunterten mich einige Freunde, den Versuch zu wagen, ob ich nicht ein Empfehlungsschreiben vom Hofe erhalten könnte, denn seit langem waren diejenigen, welche ein solches Schreiben erhielten, per primas preces zu Präbenden gelangt. Da ich täglich mit Herrn Statthalter, von dessen Vorstellungen bei dem Kurfürsten der Erfolg einer Bittschrift von dieser Art größtenteils abhing, bei Anlaß der geheimen Expeditionen zu sprechen Gelegenheit hatte, so durfte ich um so mehr auf seine Geneigtheit mir zu helfen einige Hoffnung setzen, als er wirklich alle Tage meine Bemühung, ihm mit Aufopferung jeder Bequemlichkeit zu dienen, bemerken mußte. In der Tat gab er mir diesmal nicht eine völlig abschlägige, sondern eine solche Antwort, die man gewöhnlich einen Hofbescheid nennt, weil sie sich nach Gefallen günstig oder ungünstig drehen und verdrehen läßt. Ach! da standen mir, wie schon öfters, die Klienten eines adeligen Verwandten, eines Domherrn von der Partei des Herrn Dompropsts oder eines Beamten, der meinem Gönner schon einmal gefällig war – vielleicht noch irgendwo gefällig sein sollte – oder ein scheinheiliger Schmeichler und dergl. im Wege. Die Bemerkung war leicht zu machen, daß ich wenig zu hoffen hätte. Herr Statthalter handelte ohnehin nach dem Grundsatze, den er sehr oft äußerte, daß die mittelmäßigsten Köpfe unter den Studenten die besten Landpfarrer und Benefiziaten von aller Gattung abgäben. Darin mochte er recht haben, wenn es ein Verdienst ist, ängstlich beim dogmatischen Schlendrian zu bleiben, dem Volke Unsinn zu predigen, im Beichtstuhle Kreuze zu schlagen, die Messe zu murmeln, nebenbei sich gütlich zu tun, viel zu schnarchen und gelegentlich über Aufklärung zu schimpfen. Bald mußte ich armer Lechzer mit eigener Hand ein paar Briefe an den Kaiser, mit Nebenschreiben an den Fürsten Colloredo in forma majori ausfertigen, durch welche zwei Kandidaten des Priesterstandes zur Beförderung auf Präbenden empfohlen wurden. Auch sie hatte der Umstand, daß ihre Freunde bei Hofe in Gunst standen und also manche Vorsprache für sie einlegen konnten, ohne weiteres Verdienst zu dieser Gnade qualifiziert. Noch war die dritte Präbende übrig, zu der ich empfohlen werden konnte, die Ausfertigung der Rekommandation blieb lange aus. Beinahe wäre ich gutmütig genug gewesen, zu glauben, Herr Statthalter habe mir nur darum die Expedition derselben entzogen, um mich desto angenehmer mit einem Diplom der ersten Bitte (primarum precum) selbst zu überraschen. Aber nur zu frühe merkte ich, daß ich mich in allzu süße Träume verloren hatte. Denn auf einmal brachte mir Herr Statthalter ein Schreiben zur Expedition, welches einen Mann zur Beförderung auf ein Kanonikat empfahl, der schon zwei gute Benefizien im Domstift besaß und kein andres Verdienst hatte, als daß er die Kirchenzeremonien kritisch genau anzuordnen wußte, sehr grobe Späße machte und immer einen Vorrat handgreiflicher Schmeicheleien für seine hohen Gönner in Bereitschaft hatte. Desto fester stand nun in meinem Herzen der Entschluß, in Zukunft von niemandem als von meinen eigenen Kräften Glück und Fortkommen zu erwarten.

Dergleichen Vorfälle brachten in mir eine solche Stimmung hervor, daß ich kein geographisches Buch und keine Reisebeschreibung lesen konnte, ohne an jedem einsamen Felsen oder in jeder Wildnis in Gedanken eine stille Hütte zu bauen und den Plan eines höchst bedürfnislosen Lebens auszuspinnen. Die Schweiz blieb lange mein liebstes Land. Das Leben des armen Mannes in Toggenburg erzeugte Phantasien von einem glücklichen Zustande in mir, den ich erringen könnte, wenn ich in den wildesten Alpengegenden eine Strecke sonnigen, an Felsen klebenden fruchtbaren Geländes urbar machen würde, deren ich ihres Zaubers halber lange nicht loswerden konnte. Die Reisen ins südliche Frankreich von Fisch ließen mich ein himmlisches Leben in der Nachbarschaft der Sevennen oder im Languedoc vermuten, wenn ich mich dorthin zurückziehen, mit meinen Büchern und Schriften als stiller Waldbewohner leben und dem Stande der Natur so sehr als möglich getreu bleiben würde.

Manchmal hatte ich auch den Einfall, auf dem Zürcher See ein geräumiges Schiff zu kaufen, ein bequemes Bretterhäuschen darauf zu bauen, dasselbe zur täglichen Wohnung mit Küche, Bett, Vorratskammer, Ofen und Bibliothek usw. einzurichten, bald da- bald dorthin zu rudern, in den schönsten Gegenden zu landen, meine Freunde in der Stadt, so oft es mir gefallen würde, zu besuchen, nebenbei zu fischen, zu dichten, zu arbeiten und in stiller Unabhängigkeit auf meinem schwimmenden Eiland glücklich zu sein. Aber das schnelle Vermodern der Schiffe, die Unbequemlichkeit dieser Lebensart im Winter, wenn meine Wohnung einfrieren und vom Eise ganz umgeben sein würde, die Ungewißheit, ob man einem Fremden auch erlauben würde, so zu leben, erregten mir mancherlei Bedenken und zogen einen Nebelflor vor die Augen meiner Phantasie, so daß ich das lustige Plänchen wieder aus dem Gesichte verlor. Einst dachte ich wohl gar, es könnte vielleicht angehen, auf einer seichten Stelle im See eine kleine Insel zu bilden, Kiesel und Steine herbeizuführen und so den überschwemmten Grund bis über das Wasser zu erhöhen, dann eine Hütte darauf zu errichten, das Erdreich durch fortgesetzte Zufuhr auf Kähnen täglich zu vermehren, ein Gärtchen anzulegen, Bäume zu pflanzen und so ein eigenes neues Ländchen zu erschaffen. Allein die gegründete Furcht, die Schifferinnung möchte Einwendungen gegen mein Unternehmen machen, meine größte Anstrengung wahrscheinlich durch ihr Widerstreben vereiteln und nicht ruhen, bis vielleicht das schon halb vollendete Werk ins Stocken geriet, schreckte mich von diesem romantischen Vorhaben mehr ab, als die unsägliche Mühe, welche angewandt werden müßte, um auch nur einen sehr kleinen Fleck Landes aus dem See emporsteigen zu heißen.

Ein andächtiger Kaufmann hatte sich im dichtesten Walde bei den Sieben Tischen eine artige Einsiedelei gebaut, die nicht leicht jemand fand, wenn er nicht von einem Bekannten zur Stelle geführt wurde, obwohl die Straße in einer nicht sehr beträchtlichen Entfernung daran vorüberstrich. Ein Gärtchen samt einer niedlichen kleinen Zelle war in die Tiefe vergraben, so daß man dem angenehmen Aufenthalte ganz nahe kommen konnte, ohne ihn zu entdecken. Selbst wenn man das Gärtchen erblickte, erkannte man die Hütte der Einsiedelei noch nicht. Sie war durch einen hohen Wall von dem Gartenlande gesondert und stand mit ihrem moosbedeckten Dache samt einem sehr kleinen Gärtchen in einer engern, mit Dorngebüschen dicht umpflanzten Vertiefung, in die man nur durch einen verborgenen Eingang dringen konnte. Diese Verborgenheit, mit einer ganz unabhängigen Lebensart zusammengedacht, hatte soviel Reize für mich, daß ich in vollem Ernste darauf sann, eine ähnliche verborgene Hütte in einem Lande, wo ich unbekannt wäre, z. B. im Elsaß oder in der Schweiz zu erbauen und mit allerlei Vorrat, den mir die Natur darbieten würde, im Notfalle einen kleinen Handel zu treiben. Meine Vorliebe für Unabhängigkeit von dieser Art ging so weit, daß ich wirklich einen schriftlichen Plan verfaßte, wie ich mich als Waldbewohner auf die einfachste Art nähren könnte. Der Gedanke: »So kannst du dich von dem Priestertum am besten losmachen,« ließ mein Feuer lange nicht erkalten. Nur mochte ich mich in keinem Lande niederlassen, in welchem eine mir unverständliche Sprache gesprochen würde. Denn so ganz von aller Gesellschaft abgesondert, daß ich keines menschlichen Umgangs bedürfte, konnte ich mich gar nicht denken. Ich meinte immer, wenn ich einmal in meiner einsamen Hütte warm säße, würde sich wohl eine freundschaftliche Seele finden, die ihr Herz mit mir teilen möchte. Weil ich bereits im Besitze einiger Louisd'or war, so nahm ich als gewiß an, ich würde sowohl die Reisekosten als den Ankauf der nötigen Werkzeuge mit meinem kleinen Geldvorrate bestreiten können. Dann wollte ich mir eine Hütte bauen, nicht in die Tiefe wie der andächtige Kaufmann, denn ich scheute die Nässe, sondern in die Höhe, in eine Höhle, oder an einen Abhang, wohin niemand dringen könnte. Wirklich wog ich meine Bedürfnisse und meine Erwerbungsmittel sorgfältig gegeneinander ab und brachte heraus, daß ich auch im Falle der äußersten Armut doch immer noch Auswege genug wüßte, um vergnügt leben zu können.

Mein Überschlag lautete also: ein Waldbewohner kann, ohne viel Aufsehen zu machen,

hegen eine Ziege, ein paar Schweine, vielleicht auch einen Esel, Kaninchen, Hühner, Tauben, vielleicht (wenn es die Lage gestattet) auch Enten, Bienen, Kanarienvögel, Schnecken in eigenen Umzäunungen, Mehlwürmer usw.;

sammeln Futter für eine Ziege: Gras, Reiser und Heu an steilen Abhängen, Rainen, in Wildnissen usw., Futter für Schweine: Eicheln, Buchnüsse, Quecken, allerlei Abfall seiner Küche usw., Futter für einen Esel: Gras, Disteln, Heu usw., Futter für Kaninchen: im Sommer Gras, Quendel, Kohlblätter, Wacholderstauden und Beeren und für den Winter zartes Heu usw.; Streue für alle diese Tiere: abgefallenes Laub; Futter für Hühner und Tauben: allerlei wilde Gesäme, Zaunwicken, Maikäfer usw.; Futter für Schnecken: Klettenblätter, allerlei Gras und Kräuter; für seine eigene Küche allerhand eßbare Kräuter und Wurzeln (wovon ich ein besonderes Register aus Löwes Handbuch der Kräuterkunde auszog): Holzäpfel, Holzbirnen, Erdbeeren, Brombeeren, Schlehen, Wacholderbeeren usw., Feldsalat, Brunnenkresse, Steinkresse, Holunderbeeren, Haselnüsse, Pilze, Morcheln, Trüffeln usw. Auch zum Verkaufe Ameiseneier, Waldrauch aus Ameisenhaufen, schöne wilde Blumen oder ihre Zwiebeln, aromatische Kräuter für Potpourris usw., Harz, Tannenzapfen, Versteinerungen usw., Arzneikräuter für Apotheker usw., Schnecken. Ferner zum Ausstopfen seiner Kissen usw. Weiderichwolle im späten Herbste, Weidenwolle im Frühling usw., Brennholz;

verfertigen Vogelhäuschen, Besen, Besenstiele, Stützen, Wäschestangen, kleine Leitern, Körbe, Strohhüte. Pfeifen, Skelette in Ameisenhaufen, Farben aus Kräutern und Beeren, Rähmchen, allerlei Schnitzwerk, Pfeile und Bogen, Armbrüste, Sammlungen wilder Holzarten in Kästchen, mathematische Kinderspiele, wie sie Catel in Berlin fabriziert, Potpourris, wohlriechende kleine Kissen zum Parfümieren neuer Wäsche, Geigenbogen usw.

fangen Fische, Frösche, Krebse, wilde Enten mit Angeln usw., Hasen in Schlingen, Rebhühner mit Maschen, Igel, kleine Singvögel, sowohl Mückenfänger (Nachtigallen, Grasmücken usw.) als Kernbeißer (Finken, Stieglitze usw.), Raubvögel, Uhus, Eulen, Spechte usw., Eichhörnchen, Marder, Dachse usw.;

anbauen wenigstens an ungangbaren Plätzchen, unter Zäunen, an Rainen und Abhängen, wo niemand hinkommt oder dergleichen vermutet: Kartoffeln, Mangold, Kappes, Salat, Welschkorn, Schnittlauch, Kohlrabi, gelbe und rote Rüben, Ackerrüben, Bodenkohlrabi, Sellerie, Zwiebeln, Meerrettich, Rettich, Kürbisse, Kukumern usw.;

verkaufen alles, was er im Überflusse sammeln, verfertigen, fangen oder anbauen kann. Ferner Zicklein, junge Kaninchen, Kanarienvögel, Hühner, Eier, junge Tauben, Schnecken, Mehlwürmer, Hirschkäfer zum Spiele für Kinder usw.

Notwendig müßte er dagegen kaufen Brot, Mehl, Kleider, Weißzeug, Öl oder Talglichter, einen Ofen und Küchengeräte usw., Werkzeuge, allerlei Sägen, Beile, Stemmeisen, Messer, Hobel, Schubkarren, Bohrer, Rechen, Schaufeln, Spaten usw., Kleie und den Abfall vom Getreide (Taubengesäme), zum Winterfutter für seine Hühner und Kaninchen usw., Waschgeschirre, Netze, Schnittstuhl usw., ein Bett.

Das letztere, sowie meine Bücher und allerlei Gerät dachte ich mitzunehmen. Sogar einen Kalender verfertigte ich mir, welcher auf jeden Tag oder wenigstens auf jede Woche genau angab, welche Verrichtungen mit Nutzen vorzunehmen seien, was am besten gesammelt, gefangen, angebaut, verfertigt, verkauft und gekauft werden könnte, so daß ich nach Vollendung meines Aufsatzes voll Entzücken ausrief: »Gott sei Lob und Dank! Mir kann's nie ganz übel gehen auf Erden!«

Meine süßen Träume von Unabhängigkeit und Befreiung aus den Fesseln der Hierarchie wurden nun von Tag zu Tag lebhafter, die Beschwerden des geistlichen Standes, dessen Verrichtungen mit meiner Überzeugung so sehr im Widerstreite lagen, schienen mir stündlich zuzunehmen, und mein Amt, das mich in allerlei Verdrießlichkeiten unablässig verwickelte, ekelte mich immer unausstehlicher an; der gänzliche Mangel an offenherzigen Freunden und der Druck, unter dem ich seufzte, sowie die Ränke und Tücken der Hofleute, die ich täglich bemerken konnte, erfüllten mich mit Widerwillen gegen die Verhältnisse, in denen ich stand, so daß mein Geist in ewiger Unruhe einen schicklichen Ausweg suchte, mich aus einer Lage zu retten, die mir so unbehaglich war.

Ich fühlte indessen wohl, daß mein Plan, als ein Waldbewohner zu leben, nur als ein Rettungsmittel im äußersten Notfall anzusehen sei, denn seine Ausführung forderte nichts Geringeres, als den Wissenschaften und allen Bequemlichkeiten des Lebens auf einmal zu entsagen und der Unabhängigkeit alles übrige, was dem Menschen angenehm ist, für immer aufzuopfern. Unermüdet sann ich also auf neue und ergiebigere Mittel, meinen Unterhalt als ein freier Mann, ohne ein Geistlicher zu bleiben, ergiebig und doch mit einiger Bequemlichkeit zu erwerben.

Wenn ich die Verfügungen der französischen Volksrepräsentanten mit unsern katholischen Einrichtungen und dem hierarchischen Unwesen verglich, das von Natur aus aller Verbesserung widerstrebt, so ward mir mein Zustand noch um einen merklichen Grad unerträglicher und ekelhafter. So oft ich die Zeitung las und eine große Idee, deren Ausführung ich kaum nach ein paar Jahrhunderten für möglich gehalten hatte, wirklich durch Gesetze zur Ausführung gebracht sah, schlug mir das Herz lauter und ich segnete das Land, das die Vorsicht erkoren hatte, durch Licht und Kraft die Völker eine Stufe höher auf der Leiter der großen Erziehung emporzuführen. Wenn mir jemand Klagen über das gegenwärtige Mißgeschick Frankreichs vorwinselte oder im Tone eines Unglückspropheten vorpolterte, schlug ich sie mit der Einwendung nieder: »Ein Mann, der ein Haus baut, muß nicht verlangen, noch ehe der Bau zur Hälfte vollendet ist, bequem darin zu wohnen.« Ich empfand so viel Hochachtung vor den neufränkischen Gesetzgebern, daß es mir gar nicht zu Sinne kam, an der Redlichkeit und am geraden Biedersinne irgendeines Deputierten zu zweifeln. Der Gedanke, in einem so freien glücklichen Lande mein Leben zu beschließen, ward bald zum Vorsatze und zum Lieblingsgedanken. Welche schöne Aussicht! Auf einmal lag das unbekannte Land neu entdeckt vor mir, wo jeder ehrliche Mann denken, schreiben und tun durfte, was einem ehrlichen Manne geziemt, ohne deswegen seiner Bürgerrechte beraubt oder verfolgt zu werden. Oft fiel mir ein, ich sollte nach Straßburg gehen und dort als geschworner Geistlicher Wahrheit und Tugend nach meiner Überzeugung lehren. Aber bei allem Vertrauen, das ich auf den Heldenmut und den patriotischen Enthusiasmus meiner geliebten neuen Republikaner setzte, vermochte ich doch die Besorgnis nicht völlig zu besiegen, es könnte den Deutschen gelingen, das Elsaß zu erobern und eine Zeitlang in Besitz zu nehmen, dann wären alle meine schönen Hoffnungen, wenigstens solange der Krieg dauern würde, zerstäubt.

Einst, als Herr Statthalter mit dem Kurfürsten auf einige Tage verreist war, ging ich zur Erholung ins Dorf Göggingen spazieren, besah das neuerbaute geistliche Zuchthaus und schlenderte sinnend in der Gegend umher. »Du hast schon allerlei erdacht,« sagte ich zu mir selbst, »mache endlich auch etwas ausfindig, das dir Brot gibt!« Ich verfiel auf allerlei Unternehmungen und entschied nach mancher Überlegung, die vorteilhafte Fabrikation auch der geringsten Ware, die als Kleidungsstück durch den täglichen Gebrauch verzehrt wird, sei die unerschöpflichste Goldgrube. Nun führte mich der Weg zum äußersten Hause des Dorfes, und es tönte mir ein Geklirre entgegen, das mich augenblicklich an eine Bandmühle erinnerte, von deren Dasein in Göggingen ich vor kurzem flüstern gehört hatte. Neugierig trat ich ans Fenster, erkannte die Maschine beim ersten Anblicke und sah, wie eine arme Frau dieselbe einigen Zuschauern zu Gefallen in Gang brachte. Sogleich trat auch ich zu den übrigen in die enge Stube, faßte die Einrichtung des ganzen Werkes und seiner Teile genau ins Auge, ließ mir jede Bewegung erklären und vormachen und schied, als ich alles wohl begriffen hatte, nicht ohne Hinterlassung eines Geschenkes, von der ehrlichen Arbeiterin. Auf dem Heimwege zeichnete ich die Hauptstruktur der Maschine aus frischer Erinnerung auf und ruhte nicht, bis ich in Gedanken selbst eine dergleichen Bandmühle zusammensetzen konnte. Die Frau hatte mir's bitterlich geklagt, daß sie von den Kaufleuten, denen sie arbeiten sollte, so kümmerlich bezahlt würde, und daß sie auch bei der glücklichsten Erfindung die Vorteile der Geschwindigkeit und Vervielfältigung des Gewebes demjenigen überlassen müßte, der sie mit Seide versehe und als Lohnmagd behandle. Mich dauerte die arme Frau, aber aus ihrem Gespräche, besonders aus der Nachricht, daß es im Kanton Basel allenthalben dergleichen Bandmaschinen gebe, merkte ich, daß bei einer so großen Konkurrenz nur ein geringer Gewinn zu erhaschen sein möchte. Deswegen dachte ich, die Grundsätze, nach welchen die Bandmühle gebaut war, mit den nötigen Änderungen auf gemeine Webstühle anzuwenden und mit denselben eine solche Einrichtung zu treffen, daß sechs bis acht Stücke zugleich gewebt werden könnten. Von nun an besuchte ich die Augsburgischen Weber in ihren Kellern und ließ mir alle Merkwürdigkeiten ihrer Kunst erklären. Sie hatten auch vor mir, als einem Geistlichen, gar keine Geheimnisse, besonders, da ich sie nicht ohne Geschenke verließ. Ich machte sogleich ein Modell und fand, daß zwei Männer erfordert würden, einer um die Webmühle in Bewegung zu setzen, der andre, um die etwa reißenden Fäden wieder anzuknüpfen. Am vorteilhaftesten könnte sie zu Flanellgeweben und großen, sehr breiten Leinwandstücken angewandt werden, denn die Vorrichtung, welche das Schiffchen hin und her schießt, führt den Eintrag fast ebenso leicht über eine beträchtliche als über eine geringe Breite hin und her. Die Maschine würde jedoch im großen ziemlich kostbar ausfallen. Dieser Umstand und, daß das Zetteln eine beschwerliche Arbeit ist, welche nach Verhältnis der Menge der Gewebe eine nicht kleine Anzahl wohlunterrichteter Personen erfordert, erzeugte in mir den Wunsch, statt einer Webmaschine lieber noch eine andere, die wohlfeiler verfertigt und leichter gebraucht werden könnte, ausfindig zu machen.

Baumwolle wird auf vielen Maschinen gesponnen; auch in Augsburg fand ich mehrere dergleichen, allein ihre Einrichtung forderte allzu viele Arbeiter, welche die Wolle erst auf besondern Maschinen krempeln, auf einer zweiten Maschine in grobe Fäden trillen, dann auf Spulen winden und endlich auf einer dritten Maschine spinnen mußten. Die Wolle zog sich auch zu ungleich aus, die Fäden drehten sich zu unordentlich, zerrissen alle Augenblicke und machten die ganze Spinnmaschine stocken, so daß mit einem solchen Vorgerichte unmöglich ein großer Nutzen erzweckt werden konnte. Ich sagte also zu mir: »Man hat noch keine Maschine, die Flachs spinnt, ersinne eine solche, welche wenig Personen erfordert, einen gleichen, gutgedrehten und nach Belieben sehr feinen oder starken Faden liefert, viele Spulen bewegt, wenn ein Faden reißt, nicht gänzlich stockt, und ohne große Kosten aufgestellt werden kann«. Eine geraume Zeit sann ich vergebens hin und her. Die langen Flachshaare wollten sich durchaus nicht nach meiner Willkür regelmäßig trennen lassen. Endlich fiel ich doch auf eine Einrichtung, die das vollständig zu leisten versprach, was ich gesucht hatte. Die wichtigen Vorteile davon waren in die Augen springend. Entzückt rief ich auch mein ευρηκα aus, hüpfte im Zimmer umher, warf mich entzückt auf die Knie und sagte mit einem dankenden Aufblicke zum Himmel: »Führe mich, Allvater, da du mich erleuchtet hast! Nun beginnt eine neue Periode meines Lebens!«

Nachdem ich mich also wegen meines künftigen Unterhalts für jeden Fall vollkommen geborgen wußte, beschloß ich, bis zum erfolgenden Frieden mit Frankreich in Deutschland zu bleiben und abzuwarten, ob nicht etwa doch das Glück mich indessen auf eine meinen Neigungen angemessenere Stelle führen würde, – sollte ich aber leer ausgehen, so wollte ich nach dem Frieden mich in Frankreich ansiedeln und dort ein kaufmännisches Gewerbe beginnen. Ich fühlte allmählich, daß ich noch viele Versuche wagen, eine ganz neue Lebensart ergreifen und mich an noch nie geführte Geschäfte gewöhnen müßte, um als Fabrikant mein Glück zu machen. Ein Überbleibsel des mönchischen Lebens, die Indolenz, hätte es also gern gesehen, so vieler Schwierigkeiten durch Beförderung auf ein geistliches Amt mit einmal enthoben zu sein.

Allein es fügte sich anders. Als Kaiser Franz nach der Krönung in Frankfurt auf seiner Rückreise nach Wien in Augsburg eintraf, kam ich mit einem Fremden, der mich besucht hatte, in Hofmanns Kaffeehaus, welches den Drei Mohren, wo der Kaiser abstieg, gerade gegenübersteht. Dort fand ich den Straßburger Kurier, für mich ein froher Fund! Denn nun wußte ich doch eine sichre Gelegenheit, regelmäßig eine Zeitung aus Frankreich zu lesen, welches ich lange vergebens gewünscht hatte. Zwar geriet mir bei Herrn Statthalter der Moniteur, welchen sich der Minister Duminique hielt, zuweilen in die Hände und gab mir ein demokratisches Fest, allein das war eine Seltenheit, und ich hätte immer gern das Neueste aus der Revolutionsgeschichte gewußt. So oft ich nun vermutete, es sei ein neues Blatt des Straßburger Kuriers angekommen, ging ich abends, etwas verkleidet, ins Kaffeehaus und verschlang mit einer Art Heißhunger die eingelaufenen Neuigkeiten. Da lernte ich einen artigen Mann aus Schlesien kennen, dessen natürlicher Witz, seine Lebensart und stilles Betragen mich anzogen. Immer setzten wir uns in eine Ecke zusammen und plauderten ruhig über das, was uns eben das Interessanteste war. Einst fügte es sich, daß der evangelische Kirchendiener von St. Ulrich nicht fern von uns saß. Wir lasen in der Zeitung die Nachricht, Herr Pfarrer Lavater habe zu Zürich gegen die Verfügungen der französischen Republik gepredigt. »Das ist eine derbe Lüge,« sagte der Kirchendiener, »Lavater ist zu vernünftig, als daß er sich Ausfälle gegen fremde Mächte erlauben sollte, das beteuerte mir Herr Steiner, mein Pfarrherr, erst heute, und der muß es wissen, denn er ist Lavaters innigster Freund.« Vor ein paar Tagen hatte ich aber einen Brief aus Zürich erhalten, in welchem mir ausdrücklich berichtet ward, Herr Lavater habe sich wirklich gegen die Königsmörder und Religionsstürmer Frankreichs in sehr derben Ausdrücken auf öffentlicher Kanzel erklärt. Ich teilte also meinem Nachbar im Vertrauen den Inhalt des Briefes mit. Der Kirchendiener vernahm es, leugnete mit Eifer die Möglichkeit der Sache und wollte mich des Gegenteils überweisen. Dies zog mich in einen Streit hinein, der immer lebhafter ward, so daß ich mich beim Umschauen auf einmal von einer Menge Kaffeegästen umringt sah, welche zum Teil des Mesners, zum Teil meine Partei nahmen. Auch katholische Kaufmannsdiener und Handelsherren waren darunter, die mich mit scheelen Augen betrachteten, denn ein katholischer Geistlicher sollte sich nie in einem lutherischen Kaffeehause blicken lassen. Zwar zog ich mich sogleich zurück, allein ich hatte schon einmal Aufsehen erregt. Der Vorfall schien keine Folgen zu haben. Lange blieb alles ruhig und still.

Nun starb Herr von Rehling, der zwei Kanonikate besaß. Sobald ich abends zur Expedition kam, bat ich Herrn Statthalter, meiner eingedenk zu sein. Er sagte, es gebe zwar sehr wichtige Kompetenten um diese Pfründen, aber er wolle doch das Seinige tun, vielleicht gelinge es mir, mit meinem Gesuche durchzudringen.

Den letzten Brachmonats kam ich zum Herrn Geistlichen Rat und Fiskal Kögl, um einige Gulden für Stiftungsmessen abzuholen, die ich bei St. Peter, wo er Kanonikus und Kassenverwalter war, gelesen hatte. Ich fand ihn in seiner Gartenlaube. Da nahm er eine sehr ernste Miene an und sagte mir, Seine Kurfürstliche Durchlaucht hätten es ihm sehr nahe ans Herz gelegt, mir vier Klagepunkte vorzuhalten. Zwar könnte er dies nun als Fiskal von Amts wegen tun, allein weil ich mich bisher so gut betragen habe, so wolle er mir alles im freundschaftlichen Tone vortragen und mich treulich warnen, keinen ferneren Anlaß zu Klagen zu geben. Dann eröffnete er mir wirklich viererlei Beschuldigungen, welche gegen mich bei dem Kurfürsten angebracht worden waren. Die erste war: ich habe das Hofmännische Kaffeehaus besucht, dort über Lavater ungünstig und laut geredet und vielleicht gar über die französische Revolution demokratische Gespräche geführt. Der zweite Klagepunkt war: ich laufe öfters zum Herrn Löhle ins Haus, um eine Weibsperson zu besuchen, die schon Herr Domdechant weggeschafft habe. Drittens: ich habe mich unterstanden, über Vikariatsprozeduren zu räsonieren usw. Viertens endlich: täglich komme ich zum Buchhändler Stage, so daß es auffalle und jedermann sage, ich lese die französischen Zeitungen. Ich rechtfertigte mich sofort ziemlich heftig und widerlegte die einzelnen Punkte, allein viel vermochte ich doch nicht auszurichten. So wenig ich mich indes weiter darum bekümmerte, so konnte ich daraus doch deutlich abnehmen, daß man fürchtete, ich möchte zu einer Präbende gelangen, und daß man also den Weg der Verleumdung einschlug, um mich von aller Beförderung desto gewisser zu entfernen. Ich klagte dem Herrn Statthalter meine Not, denn eine Warnung durch den Fiskal hat für einen Geistlichen immer etwas Beschimpfendes. Allein er nahm so wenig Anteil an meiner Unzufriedenheit und lächelte so sonderbar dazu, daß ich auf den Gedanken geriet, er möchte wohl schon lange um alle Beschuldigungen gewußt und sie mir nur verhehlt haben, um mich wegen der Expedition bei guter Laune zu erhalten.

Bald brachte er mir zwei Empfehlungsschreiben nach Rom zum Mundieren, in welchen niemand weniger als ich, wohl aber zwei reiche Beamtensöhne zu den erledigten Präbenden empfohlen wurden. Da in Rom die Beförderungen in solchen Fällen, aus besonderer Vergünstigung des Papstes, von dem Willen des Bischofs von Augsburg abhingen, so war meine Hoffnung ganz gescheitert. Als mir Herr Statthalter die Aufsätze überreichte, saß ein spöttischer Zug um seinen Mund, er dachte wohl, es würde mich verdrießen. Geduldig schrieb ich aber die langen Briefe ins reine, dachte mutvoll an meine Maschinen und an Frankreich und übergab ihm die Blätter. Nicht lange, so ließ er mich noch einmal rufen, zeigte mir an, es sei im Aufsatze etwas sehr Notwendiges vergessen worden und befahl mir, die Schriften mit den nötigen Änderungen von neuem auszufertigen. Da meine Aufmerksamkeit einmal erregt war, fand ich bald, es müßte auch die hierarchische Stufe (Gradus Ordinis), auf welcher der Kandidat stünde, in der Schrift angezeigt werden, sonst wäre dieselbe ungültig. Allein er würdigte meine Einwendung keiner Achtung, sondern befahl mir, ein wenig herrisch und eigensinnig, die Schrift so zu expedieren, wie sie der Konzipient verbessert hatte. Noch einmal schrieb ich also die beiden langen Aufsätze geduldig ab und ging, nachdem ich damit fertig war, müde davon. Er mußte sehen, daß ich teils wegen meiner betrogenen Hoffnung auf eine Präbende, teils wegen des unnötigen Geschreibes etwas empfindlich war und nicht ohne finstre Miene Abschied nahm. Mit einem Lächeln, das meines Verdrusses zu spotten schien, entließ er mich. Noch war ich nicht zu Hause angelangt, da lief mir schon ein Bedienter nach und holte mich zurück. Sobald die mundierten Blätter dem Kurfürsten und seinen Räten vorgelegt wurden, fand man, daß wirklich die Anzeige fehlte, welche geistliche Weihe der Kandidat bereits empfangen habe, und daß deshalb das Präsentationsinstrument unbrauchbar und ungültig sei. Als ich kam, sah mir Herr Statthalter wie forschend in die Augen und sagte: »Ihre Erinnerung war richtig, entweder muß noch der Gradus Ordinis geschickt hineinkorrigiert oder das Ganze umgeschrieben werden. Wozu entschließen Sie sich?« »Meine Erinnerung hätte also doch einige Achtung verdient,« erwiderte ich etwas unmutig, »ich will versuchen, das Abgängige zwischen die Zeilen zu schreiben.« »Es scheint,« fuhr er lachend fort, »diese Kanonikate seien gar nicht bestimmt, Ihnen Freude zu machen!« Ich schwieg, heimlich zürnend, daß er in einer solchen Stimmung meiner noch spotten könnte, rückte die nötigen Verbesserungen, so zierlich es mir möglich war, an den gehörigen Stellen in den Text, ließ die Papiere auf dem Tische liegen und ging, ohne ein Wort zu sagen, davon. Er sah mir mit einer Miene nach, die versteckten Ärger mit Hohn über die Ohnmacht des Mißmutigen verriet. Kaum war ich halben Weges, so kam mir schon wieder ein Bedienter nachgelaufen und sprach, leise spottend, wie sein Herr: »Die beiden bewußten Schriften müssen heute noch einmal abgeschrieben werden, denn morgen in aller Frühe sollen sie abgehen, und Seine Exzellenz sagen, man nehme in Rom leider nichts Korrigiertes an.« Daraus schloß ich, Herr Dompropst habe sogar dem Bedienten erklärt, was vorgefallen sei. Nun setzte mich die Ungeduld plötzlich außer Fassung, und ich antwortete mit entschlossenem und etwas heftigem Tone: »Monsieur Niklas! Sagen Sie dem Herrn Dompropst, heute komme ich nimmer; daß die Schriften so wie ich sie expediert habe, brauchbar seien, wisse ich gewiß; ihm zu dienen sei ich allzeit bereit, aber niemals mich schikanieren zu lassen!« Und damit ging ich meines Weges. Der Bediente rief mir zu: »Soll ich das ausrichten?« »Ja!« erwiderte ich zornig und ließ mich nicht aufhalten. Wirklich gingen den andern Tag die beiden Präsentationen nach Rom ab, so wie ich sie gefertigt hatte, und wurden dort ohne Anstand akzeptiert. Wäre ich zurückgegangen, so hätte ich sie zum drittenmal unnötigerweise kopieren müssen, nur um die Erfahrung zu machen, daß man auch den leisesten Wunsch seines Herrn für einen Befehl anzusehen habe.

Als ich nach Hause kam, fragte ich mich selbst: »Was willst du hier in Augsburg? Mit 400 fl. Gehalt ein ewiger Sklave bleiben oder ein Benefizium erwarten? Merkst du noch nicht, daß man immer etwas hervorsuchen wird, um dich zu verdrängen oder abzuweisen? Wie kannst du hoffen, Herr von Ungelter werde sich jetzt, nachdem du ihm rauher als sonst begegnet bist, willig finden lassen, mit Nachdruck deine Partei zu nehmen, da er nicht einmal den Mut hatte, in dem Zeitpunkt, da du ihm mit Aufopferung aller deiner Bequemlichkeit dientest, dich bei dem Kurfürsten zu verteidigen? Hat er dich nicht bei allen Gelegenheiten erniedrigt und an der Kette zu halten gesucht? Was erwartest du jetzt von ihm, nachdem er durch deine herbe Rede beleidigt wurde? Auf wen kannst du sonst deine Hoffnung bauen? – Weg denn von hier! In Augsburg grünt dir kein Glück!« Dieser Gedanke war meiner Seele nicht neu. Ich hatte mich schon lange mit ihm vertraut gemacht und fest beschlossen, denselben nach einiger Zeit auszuführen. Nun entstand aber die Frage: »Ist es vorteilhafter, bis zum Frieden bei deinem Amte auszuharren oder sogleich nach Frankreich zu gehen?« Ich fühlte, daß die Antwort und der hiernach zu fassende Entschluß einer reiflichen Überlegung wert seien und nahm mir vor, an diesem Abend, da mein Verstand wegen des noch lebhaften Verdrusses und der Unruhe in meinem Innern einer kältern Untersuchung nicht fähig wäre, über meine künftige Lebensart nichts zu entscheiden. Aber ich konnte es nicht hindern, daß mir die Nacht durch nicht manche Einfälle und sonderbare Projekte durch den Kopf liefen. Morgens, als ich erwachte, begann das Grübeln von neuem. Ich sah noch gar nicht klar in meiner Sache. Nachsinnend stand ich auf, rief um Erleuchtung zum Himmel und setzte mich hin, um die Gründe für und gegen eine neue Flucht schriftlich abzuwägen.

Nachdem ich alles notiert und währenddem immer auf's sorgfältigste, was ich aufgeben und wessen ich für die Zukunft gewärtig sein müßte, überlegt hatte, überwog allmählich die Sehnsucht nach Freiheit so sehr in mir, daß ich mit einemmale aufsprang und laut ausrief:

Ewig trage Sklavenketten,
Wem es vor der Freiheit graut! Serviat aeternum, qui timet esse liber! (Lateinisches Sprichwort.)

Damit war meine Flucht endgültig beschlossen. Nun tat ich mein Vorhaben einem Freunde kund, der mich eben besuchte, verschwieg aber aus Vorsicht die Zeit, da ich es ausführen wollte. Er billigte meinen Entschluß und versprach mir heilig, zu schweigen. Diese Kundmachung befestigte mich in meinem Sinne und war ein Antrieb mehr, zur Sklaverei mich nicht länger zu verstehen. Denn ich schämte mich von jeher keiner Schwachheit so sehr, als wankelmütig zu erscheinen.

Nun war es mir darum zu tun, meinen Entschluß auf die geschickteste Art auszuführen. Ich nahm mir vor, die brauchbaren Bücher und Geräte, welche sich füglich packen ließen, vorläufig in die Schweiz zu schicken, das übrige teils zu verkaufen, teils zu verschenken, teils dem Geber zurückzustellen oder mitzunehmen.

Es war nicht leicht, alle meine Geräte fortzuschicken oder zu verkaufen, ohne daß es Aufsehen machte. Aber alle Schwierigkeiten verschwinden, wenn man ernstlich will. Ich sann lange hin und her, wie ich meine Kisten und Verschlage unter gültigem Vorwande aus dem Hause bringen könnte. Das Unternehmen hatte seine großen Bedenklichkeiten. Alles kommt gewöhnlich bei dergleichen Anlässen auf die Wahl der vorteilhaftesten Zeit und auf den Gebrauch an, den man von den kleinsten Umständen des Ortes und der Lebensart seiner Einwohner zu machen weiß. Ich bemerkte, daß eben die St. Ulrichs-Dult einfiel, eine Messe, die auf dem Weinplatze im obern Teile der Stadt gehalten wird und etwa vierzehn Tage dauert. Meine Hausleute hatten dort eine Bude und mußten ihre Waren in großen Kisten dahinführen lassen. Ich sagte zu mir selber: »Wenn du es so anstellen kannst, daß deine Kisten während der Marktzeit fortgeliefert werden, ohne daß du dich auf öffentlicher Straße oder unter der Haustür als Ablieferer zeigest, so kannst du sie ohne Verdacht hinbringen lassen, wohin es dir beliebt. Die Nachbarn, so aufmerksam sie auch sein mögen, können nicht auf den Gedanken geraten, daß sie von dir herrühren. Jedermann wird glauben, der Hausherr lasse wieder Waren auf den Markt führen. Da er indessen selbst mit der Hausfrau auf dem Ulrichsplatze beschäftigt ist, so wird es dir ein leichtes sein, ohne sein Wissen deine Sachen zum Boten zu schicken.« Die Anstalten mußten aber ohne Zaudern gemacht werden, denn die Ulrichsmesse war vor der Tür. Aber wo sollte ich so viele Kisten hernehmen, als ich nötig hatte, um all mein Gepäck darein zu stecken? Nur ein großer Koffer und ein geräumiger Verschlag, den ich von Dillingen mitgebracht hatte, standen mir zu Gebote. Ich gab vor, ich hätte eine große Kiste für meine halb vollendete Rechnungsmaschine nötig, um sie vor Staub zu verwahren, und ließ dieselbe vom Tischler verfertigen. Um noch mehrere Kisten zu erhalten, durchsuchte ich die Plunderkammern unterm Dache und entdeckte einen ganzen Vorrat hölzerner Verschlage, in welchen man dem Hausherrn Waren zugesandt hatte. Sie waren bereits so bestäubt, daß ich hoffen konnte, man würde sie einige Wochen lang nicht missen. Sogleich beschloß ich, Gebrauch davon zu machen und dieselben durch Abtretung einiger Möbel, die ich ohnehin nicht wohl verkaufen konnte, dem Eigentümer bei meiner Abreise zu vergüten. An Behältnissen, meine Sachen einzupacken, hatte ich nun keinen Mangel mehr.

Aber wie sollte ich sie füllen, ohne daß man es merkte? Ich fing es auf folgende Weise an: zuerst sonderte ich alle Bücher, die ich mitnehmen wollte, von denjenigen ab, die ich zu verkaufen im Sinne hatte. Die letzteren setzte ich in engen Reihen auf Tische und Kommoden in meinem Zimmer und überließ sie dem Büchertrödler oder Antiquar Junginger um den Preis, den er mir eben zu bezahlen Lust bezeigte. Dann versah ich mich mit schwachen Pappendeckeln (Kartons), schnitt sie der Länge nach entzwei und formte aus jedem durch Biegen mehrere Bücherrücken, spreizte dieselben mit Spänen auseinander und stellte sie statt derjenigen Reihe Bücher, die ich herausgenommen hatte, in die ausgeräumten Stellen. So fuhr ich fort, bis die Bibliothek geleert und meine Kisten gefüllt waren. Damit man in den niedrigen Fächern nicht sehen möchte, daß hinter den Pappendeckeln nur leerer Raum sei, bedeckte ich dieselben mit nachlässig daraufgelegten kleinen Broschüren von geringem Werte. Um dieser falschen Büchersammlung noch ein täuschenderes Ansehen zu geben, schrieb ich allerlei mutwillige Titel auf die Rücken der Deckel, z. B.: Vollständige Wissenschaft eines Domherrn, Anekdoten höfischer Redlichkeit, 1. bis 6. Band; Nützliche Wahrheiten, kundgemacht von echten Theologen; Sammlung edler Handlungen wahrer Hofschranzen; Philosophische Lektüre für Prälaten und Kellermeister; Vernünftige Philosophie, approbiert von den Herren Jesuiten; Äußerungen geraden Menschensinns aus den Schriften der Rosenkreuzer und Goldmacher usw. Dergleichen Aufschriften auf leeren Decken sollten, wie ich glaube, am besten sagen, wie wenig Realität sie nach meinem Sinne hätten. Es war durchaus nötig, eine solche Quasibibliothek aufzustellen, teils damit meiner Hausfrau, die täglich, wenn ich ausgegangen war, Bett und Geräte in Ordnung brachte, die Ausleerung der Bücherstellen verborgen bliebe, teils damit niemand von meinen Bekannten, wenn er mich etwa besuchen würde, bei einer unversehenen Eröffnung der Kammertür die sonst vollen Reihen ausgeräumt finden und daher Argwohn schöpfen möchte.

Sorgfältig erkundigte ich mich dann, zu welcher Zeit und welche Boten abgingen. In der Nacht zwischen dem 1. und 2. Juli 1793 begann ich zu packen. Dies war mit nicht geringen Beschwerden verbunden. Ich wohnte im obersten Stockwerke des Hauses. Die Kisten, welche ich füllen wollte, waren sehr groß, die Treppen ziemlich eng und öfters sich wendend. Wie durfte ich hoffen, daß so große Lasten, ohne Aufsehen und Lärm zu erregen und ohne Anstand und Gefahr von einer solchen Höhe hinabzubringen seien? Unmittelbar im nächsten Stockwerke unter mir wohnte die Familie eines Uhrmachers, welche sich zwar wenig um mich bekümmerte, aber doch bei einem so großen Getöse unfehlbar hätte aufmerksam werden müssen. Die untere Etage bewohnte der Hausherr, zu ebener Erde war der Kaufladen mit einem daranstoßenden Stübchen und hinter demselben ein Holzgewölbe, dessen Mauern stets eine so dicke Finsternis umnachtete, daß man am hellen Tage ein Licht anzünden mußte, um sich darin zurechtzufinden. Nachts, sobald ich ausgespäht hatte, daß alles im Hause schlafe, stellte ich ein Licht in das Holzgewölbe und ein andres auf mein Schlafzimmer, packte eine Bürde Bücher um die andre in ein Bettuch, trug sie leise ins Gewölbe und setzte diese Operation solange fort, bis die Kisten ganz gefüllt waren. Dann rückte ich die Lasten nicht ohne Anstrengung in den tiefsten Winkel und warf Wannen, Holzkörbe, Stangen und allerlei Bretterwerk nachlässig darüber hin, damit die Kisten den Mägden beim Eintritte nicht in die Augen fallen möchten.

Damit ich niemand mein Geheimnis vertrauen dürfte, oder die Kisten etwa gar in Anwesenheit des Hausherrn abliefern müßte, ging ich selbst zu dem Boten, versprach den Packknechten ein gutes Trinkgeld, wenn sie meine Sachen zur bestimmten Stunde abholen würden, und stellte ihnen die Notwendigkeit vor, genau zu rechter Zeit bei meiner Wohnung einzutreffen, weil ich sonst Geschäfte halber nicht zu Hause sein könnte. Das Versprechen ansehnlicher Trinkgelder wirkte, was ich verlangte. Die Knechte erschienen pünktlich zur anberaumten Stunde, da eben niemand von den Hausleuten zugegen war und schleppten die schwere Bürde zum Kontor des Boten.

Sogleich eilte ich ihnen nach, um gewiß zu sein, ob sie meine Kisten auch richtig an Ort und Stelle brächten. Es stieg in mir die Besorgnis auf, man könnte mein Vorhaben etwa gemerkt haben, sich aber stellen, als hätte man nichts gemerkt, und mich zur Strafe um meine Sachen betrügen. Allein meine Sorge war eitel, in meiner Gegenwart hob man die schweren Lasten, ohne ein Arges zu haben, auf den Botenwagen und legte andre Ballots und Pakete darüber, so daß ich sicher war, es würde alles nach Ulm an den mir bekannten Spediteur gelangen.

In der Nacht vom 3. auf den 4. Juli packte ich auf die eben beschriebene Weise zwei andre Kisten voll und sandte sie mit gleicher Vorsicht und Sorgfalt durch den Boten von Lindau an einen Spediteur daselbst, und den 5. Juli eine dritte Lieferung durch den Freitagsboten wieder nach Ulm. Die Genauigkeit, mit der ich selbst alle Geschäfte betrieb, stellte mich sicher, daß ich mein Eigentum wahrscheinlich nicht verlieren würde.

Nun kündigte ich meinen Freunden in Zürich offenherzig mein Vorhaben an.

Indes hatte ich mich um einen Käufer meiner elektrischen Scheibenmaschine mit dem dazu gehörigen Apparat umgesehen. Herr Geistl. Rat und Dompfarrvikar von Wagner kaufte bei Versteigerungen viele elektrische Spielwerke zusammen und steckte mit allerlei dergleichen Gerümpel sein ganzes Haus voll an, ohne eine einzige rechte Maschine zu besitzen. Er staunte, als er die große Wirkung meiner Scheibe sah, und nahm sie mir gern für den wohlfeilen Preis ab, den ich dafür forderte. Ich gab vor, es sei mir unbequem, immer einen großen Tisch mit diesen Instrumenten in meinem Zimmerchen stehen zu haben. So machte ich ohne Verdacht ein Spielzeug zu Gelde, das nicht wohl mitzuschleppen war.

Auch ein halb Dutzend artige Stühle setzte ich in klingende Münze um. In unsrer Nachbarschaft wohnte ein Trödler, mit dem ich ziemlich wohlbekannt war. Zwar wollte mir der Kauz kaum die Hälfte von dem bezahlen, was sie mich gekostet hatten, allein es war mir darum zu tun, die Sessel nicht weit schleppen zu lassen, damit es weniger Aufsehen machte. Ich versprach sie ihm zu geben, aber nur unter der Bedingung, daß er dieselben erst am Samstagabend abholen und sogleich bare Bezahlung dafür leisten sollte. Meinen Hausleuten und ihm sagte ich: die Stühle hätten mir nicht ganz gefallen, ich wollte neue anschaffen, der Tapezier würde sie am Samstag abend bringen. Als die bestimmte Zeit heranrückte und der Trödler meine Sessel abholte und abgeredetermaßen bar bezahlte, und doch der Tapezierer nicht erscheinen wollte, jammerte ich sehr über die Saumseligkeit und Wortbrüchigkeit der Handwerker und äußerte, daß ich sogleich selbst hingehen und wegen Beschleunigung der Arbeit in ihn dringen würde.

Allein ich ging nicht zu ihm, sondern zum Geistl. Rat Nigg, der mir alle Quartale meine Besoldung aus der Bischöflichen Siegelamtskasse bezahlen mußte und stellte ihm vor, ich hätte eben verschiedene Ausgaben zu bestreiten, er möchte also die Gefälligkeit haben, mir 50 fl. meines einzunehmenden Quartalsgehaltes vorauszubezahlen, damit ich nicht in Verlegenheit käme, Geld aufnehmen zu müssen. Da er wohl wußte, daß er keinen Verschwender vor sich habe, so machte er nicht die geringste Schwierigkeit, mir die verlangte Summe zu bewilligen, sondern sagte sogar, er wolle mir sogleich 100 fl. geben, denn ich sei ihm als ein ehrlicher Mann bekannt, es werde weiter nichts erfordert, als daß ich ihm die Quittung unter einem Dato der nächsten Quatemberwoche ausstelle. Ich weigerte mich standhaft, hundert Gulden anzunehmen, weil ich bis zum Tage, da ich gehen wollte, gerade nur die Hälfte des laufenden Quartals gedient und also auch nicht mehr als die Hälfte der Besoldung, d. i. 50 fl., mit Fug und Recht einzunehmen hätte. Um ihn aber mein Vorhaben nicht etwa erraten zu lassen, gab ich vor, ich wäre froh, wenn er mir diesmal nicht mehr aufdringen wollte, als ich bereits verdient hätte, denn es falle einem Unbemittelten gar zu schwer, wenn er ein volles halbes Jahr lang nichts mehr einzunehmen habe; ganz gewiß werde es mir besser bekommen, wenn ich zur nächsten Fronfasten noch fünfzig Gulden zu fordern hätte. Ich kann's nicht leugnen, es fiel mir ein: »Prelle den falschen Leviten, der dir schon so manchen Verdruß bereitet hat, einmal um 50 fl., er will es selbst!« Aber diesmal siegte die Ehrlichkeit, die mir sagte: »Sei kein Betrüger und schäme dich, an deinem Feinde durch eine Tat Rache zu nehmen, die ihn berechtigte, dich für einen schlechten Menschen zu halten!« So empfing ich die verlangten und bereits redlich verdienten 50 fl., die ich eine geraume Zeitlang fast für verloren schätzte, weil ich nicht sogleich eine List ersinnen konnte, wie sie dem schlauen Siegler abzulocken sein möchten.

Was Nigg mir gab, war Silbergeld und also schwer mitzuschleppen. Ich hatte meine Barschaft seit langem durch allmählichen Umtausch in Gold verwandelt. Nun ging ich zum Expeditor Pulver und bat ihn, auch dies mein Silber gegen Gold auszuwechseln. Er war hierzu bereit, schien sich aber doch zu wundern, was ich mit den Louisd'ors und Dukaten beginnen wollte. Ich sprach ihm von wichtigen Posten, die ich an Buchhändler usw. zu bezahlen hätte und wozu ich, des leichtern Verschickens halber, Gold bedürfte. Am Ende gab er mir, was ich verlangte, und ich konnte meinen ganzen Reichtum unbemerkt in der Tasche mitführen, ein Vorteil, der mir in meinem Falle nicht gering erschien. Denn wie hätte ich sicher sein können, daß man mir zu rechter Zeit das Nötige nachschicken würde, wenn ich den Rest meiner kleinen Kasse jemandem anzuvertrauen genötigt worden wäre?

Auch dem Mesner an der St. Peterskirche forderte ich Sonntags, den 14. Juli, als ich dort zum letzten Mal Messe las, die schon verdiente kleine Summe Meßgelder ab, indem ich vorgab, ich bedürfte derselben zum Einkauf einiger nötigen Hausgeräte. Ich hatte ihm bereits am Samstag morgens eine geschriebene Rechnung darüber eingehändigt und ihn gebeten, mir die Bezahlung unfehlbar bis morgen in der Frühe zu besorgen. Er tat es auch, schüttelte aber, als er mir das Geld vorzählte, bedenklich den Kopf und sagte in vertraulichem Tone: »Es kommt mir wunderlich vor, daß Sie diesmal mitten im laufenden Quartal bezahlt sein wollen, ich weiß doch, Sie brauchen das Geld nicht so notwendig, was haben Sie vor? Es gefällt mir nur halb.« Ich hätte mich durch meinen unsteten Blick beinahe verraten, denn der gutmütige Mann sah mir zugleich bange forschend ins Gesicht. Aber ich faßte mich sogleich wieder und beteuerte ihm, daß ich gewiß eben zur Marktzeit des Geldes bedürftig sei. Allein der ehrliche Mesner ließ sich nicht so leicht täuschen und erwiderte mit freundlichem Ernste: »Wagen Sie doch keinen Schritt, der Sie ins Unglück stürzen könnte.« Ich lächelte und sagte in einem mutwillig-kläglichen Tone, als wenn ich zum Scherze für ewig von ihm Abschied nehmen wollte: »Leben Sie denn wohl, Herr Eschenloher! Wir sehen einander nicht wieder. Ich reise morgen in ferne Lande – weit weg von hier – bis auf's Lechfeld!« Da diese Wallfahrt nur eine Poststation von Augsburg entfernt ist, so mußte er lachen, aber als ich ging, entließ er mich doch mit einem bedenklichen Kopfwenden und rief mir nach: »Ich fürchte, ich fürchte, Sie reisen nicht nur auf's Lechfeld, sondern wohl gar nach Mariä Einsiedeln in die Schweiz.« »Es wird sich zeigen,« antwortete ich scherzend und ging davon.

Wirklich hatte ich unserm gnädigen Fräulein, abends den 13. Juli 1793, als ich zum letztenmal in der Dompropstei zu Tische kam, gesagt, ich hätte im Sinne, mit guten Freunden eine Wallfahrt auf's Lechfeld zu machen. Dies war bereits einmal geschehen und zwar aus dem Grunde, damit ich nach und nach eine ganze Reihe Wallfahrtsgemälde aufstellen und dieselben unter dem Titel Heilige Apothek der Gegend um Augsburg in den Druck geben könnte. Schon längst hatte ich dem Herrn Dompropst im Scherze damit gedroht und versprochen, alle Krankheiten darin aufzuführen und für jede den Wallfahrtsort, das Heiligenbild und die Art, wie es verehrt werden müßte, damit es zum Mirakeln bewogen würde, genau anzuzeigen, so daß die Kranken in Zukunft keines Arztes und keiner Apotheke, sondern nur meines Büchleins bedürften, um sich von allen Krankheiten auf die leichteste Art selbst zu heilen. Wirklich hatte ich von Unsers Herrgottsruh zu Friedberg, von Unsrer lieben Frau auf dem Kobel, vom Heil. Kreuz in Augsburg, von dem Kalvarienberg auf dem Lechfeld usw. usw. bereits eine Menge lächerlicher Anekdoten und Wallfahrtswunder gesammelt, die in der Galerie meiner Heiligenapotheke paradieren sollten. Allein ich sah es zu klar ein, daß mir eine solche Schrift für das bißchen Freude, die mir ihre Abfassung gewähren könnte, tausend Verdruß zuziehen müßte. Weislich unterließ ich es also, solange ich unter dem Drucke der Hierarchie lebte, den lustigen Schwank dem Publikum mitzuteilen. Als ich nun mein Vorhaben äußerte, morgen wieder auf's Lechfeld zu fahren, hatte unser gnädiges Fräulein nichts Angelegeneres, als mich zu warnen, ich möchte über die heilige Wallfahrt und die Gnadenbilder nur nicht gar zu sündhaft spotten. Eigentlich sollte mein Vorgeben dazu dienen, sie morgen, wenn ich nicht zu Tische käme, zu beruhigen, damit man mir nicht zu frühe nachfragen möchte, allein davon merkte sie ganz und gar nichts, und ich durfte es ihr zutrauen, daß es ihr gewiß nicht einfallen würde, was ich vollbringen wollte. Dem Hausmeister Kratzer, welcher zugleich am Tische saß, hatte ich schon lange gar deutliche Winke gegeben, daß ich bald meine Fesseln zu sprengen Lust hätte. Ich konnte versichert sein, daß er mich nicht verraten würde, denn es mußte ihn freuen, daß sich auf solche Weise ein Mann entfernte, den er längst gern verdrängt hätte, und daß hiermit dem Herrn Dompropst, den er seit einiger Zeit nicht mehr liebte, sondern haßte, ein herber Verdruß zuginge. Nach Tische wandelte ich mit ihm und andern Herren, die zu Gaste gebeten waren, in den Garten spazieren, wir scherzten, unter den Bäumen sitzend; mein Talar, den ich getragen hatte, bis er nicht viel besser aussah als ein Bettlerwams, ward bekrittelt. Scherzend schwur ich: »Dennoch würde ich binnen Jahr und Tag keinen neuen mehr machen lassen!« – »So haben Sie schon einen neuen zu Hause?« – »Nein, aber ich hoffe, keinen mehr nötig zu haben.« – »Wieso?« – Ich riß schweigend das Unterfutter aus meinem Talar, hängte es an einem Gartenstecken auf und sagte: »hier habt ihr Reliquien! Adieu! ich muß fort!« Der Hausmeister lächelte mir höhnisch nach. Geschwind lief ich noch einmal zurück und lispelte ihm ins Ohr: «Am Montag komme ich noch einmal, Abschied zu nehmen.« Dies tat ich, damit er im Vertrauen auf meinen letzten Besuch nicht zu früh Lärm machen und mich als einen Flüchtling angeben möchte.

Herr Dompropst war mit dem Kurfürsten nach München verreist; auf diesen Umstand hatte ich längst als auf ein notwendiges Erfordernis, mein Vorhaben glücklich auszuführen, gerechnet. Denn wäre er in Augsburg geblieben, so hätte ich alle Augenblicke gewärtig sein müssen, daß er mich rufen lassen würde. Unmöglich hätte ich den Vorwand, auf's Lechfeld zu wallfahrten, brauchen dürfen, weil es in seiner Anwesenheit gar nicht angegangen wäre, ihn zu verlassen, war er aber verreist, so fielen alle diese Anstände weg, und ich genoß noch obendrein des Vorteils, daß er nicht sogleich Anstalten mich zu verfolgen, treffen konnte. Nur seinem Feuereifer traute ich's zu, daß er mir nacheilen lassen würde. Es war mir also die angenehmste Nachricht, als es hieß: »Herr Dompropst geht mit dem Kurfürsten nach München.«

Schon vor einigen Tagen hatte ich mich sorgfältig erkundigt, ob meine Hausleute am Sonntage abends spazieren gehen würden. Sie äußerten beide ihren Wunsch, daß das Wetter schön bleiben möchte, um auf den sogenannten Ablaß (einem Lustorte im nahen Walde, wo ein Arm des Lechs in die Stadt geleitet und Bier und Wein geschenkt wird) mit ihrem Kind einen frohen Abend zu genießen. Die Familie des Uhrmachers, die aus lauter jungen lustigen Leuten bestand, blieb an einem schönen Feiertage gewiß nicht zu Hause; darauf konnte ich mich aus langer Erfahrung verlassen. Also versäumte ich nichts, um zu erraten, ob das Wetter auch günstig bleiben würde. Alle Barometer, Hygrometer und Thermometer, deren ich ansichtig werden konnte, betrachtete ich fleißig; meinen Geigenbogen, dessen Haare, meiner Beobachtung zufolge, bei einfallendem Regenwetter schlaff und locker wurden, prüfte ich täglich einigemal; die Wände im Hause, welche durch ihr Feuchtwerden, sowie die Gemächer der Göttin Kloakina, welche durch ihren Duft die Veränderung der Witterung anzeigten, ließ ich nicht außer acht und benutzte zugleich die Entdeckung Disjonvals, daß die Kreuzspinnen die besten Wetterprophetinnen sind. Da war kein Winkel in der Registratur und in Herrn Gantherrs Hause, in dem meine Blicke nicht Anzeichen des schönen Wetters suchten. Wirklich vereinigte sich alles, um mich mit Zuverlässigkeit vermuten zu lassen, meine Reise würde der heiterste Himmel begünstigen.

Ich suchte einen lutherischen Kutscher, weil ich mit Grund vermuten konnte, er würde mich auch im Falle, wenn er etwas von meinem wahren Vorhaben merken sollte, nicht verraten, wie es doch wahrscheinlich ein katholischer Fuhrmann aus Gewissensskrupel getan hätte, sobald nur durch den geringsten Anschein die Vermutung in ihm wach geworden wäre, ich wollte in ein unkatholisches Land entfliehen. Es gelang mir, in einer ziemlich abgelegenen Gegend der Stadt einen Mann, wie ich ihn bedurfte, zu finden, und der Vertrag, daß wir morgen abend unfehlbar die Reise nach Memmingen beginnen würden, ward sogleich auf sehr billige Bedingungen geschlossen. Zu seiner Beruhigung gab ich vor, ich hätte in Schwaben eine Stelle erhalten.

Nun legte ich mich zum letztenmale in Augsburg zu Bette. Geschäfte und Nachdenken hatten mich müde gemacht, ich schlief wie ein Murmeltier. Aber der 14. Juli brach an, und schon frühe weckte mich die Unruhe. Ich stand auf mit erheiterndem Aufblicke zu Gott und setzte zwei lange Briefe auf, den einen an den Kurfürsten, in dem ich mich wegen der vier Anklagepunkte rechtfertigte, den andern an Herrn von Ungelter, in dem ich noch einmal alles ausschüttete, was mir auf dem Herzen lag, sowohl meine Vorwürfe und Enttäuschungen, als meinen herzlichsten Dank für alles, was er mir bei aller Falschheit, mit der er mich behandelte, hatte Gutes zukommen lassen.

Rein abgeschrieben wurden dann die Briefe, versiegelt und mit den nötigen Aufschriften versehen. Die Zeit des Messelesens rückte heran. Meine Hausfrau war gewöhnt, täglich abends mein Bett in Ordnung zu bringen, nur an Feiertagen, wenn sie nach der Vesper spazieren ging, wählte sie eine Stunde des Vormittags, in der ich eben nicht zu Hause war, um dies kleine Geschäft zu besorgen. Mir lag viel daran, daß sie heute mein Bett so früh als möglich machte, denn ohne dies mußte ich alle Augenblicke fürchten, sie würde mich bei irgendeiner verdächtigen Operation überraschen, und ans Einpacken des Bettes, der Vorhänge und einiger hübschen Tafeln usw. war früher gar nicht zu denken. Deshalb trat ich, als mich der Weg an ihrem Gemache vorüber zur Kirche führte, zu ihr hinein und sagte: »Sie gehen heute abend spazieren, möchten Sie nicht so gütig sein, indessen ich Messe lese, mir das Bett zu machen, ich habe dann sehr dringende Arbeit und möchte nicht gern gestört werden.« Sie versprach sogleich, mein Verlangen zu erfüllen, und ich konnte, sobald ich um 10 Uhr aus der Kirche kam, mit dem Packen anfangen. Vor allem schnürte ich mein Bett in so schmächtige Rollen zusammen, daß es leicht, nebst noch andern Sachen, in meinem Koffer zu bergen war. Aber der Bindfaden schnitt mir die Hände wund. Artige Tafeln, Instrumente, Modelle, Schriften, Musikalien, Geige usw. usw. packte ich sorgfältig zwischen Wäsche und Kleider. Zwei kleine Kisten, der Koffer und ein Paket, das ich zunähte und mit Wachstuch umwand, wurden vollgestopft.

Indessen rückte, ohne daß ich ans Essen dachte, die Zeit heran, zu der meine Hausleute spazieren gehen sollten; aber sie säumten. Hundertmal sah ich in den Spiegel vor dem Fenster, welcher zeigte, was bei der Haustür vorging, und fragte ungeduldig: gehen sie denn noch nicht? Ich getraute mir nicht, hinunterzusteigen und nachzusehen, wo es hafte, denn ich mußte befürchten, es möchte jemand von ihnen Lust bekommen, mich auf mein Zimmer zu begleiten oder mich selbst durch Plaudern allzu lange aufzuhalten. Mit Bangigkeit erwartete ich also, was da folgen würde, und lauschte und horchte bestürzt und hielt mich stille. Endlich öffnete sich unten die Tür des Gemachs und die guten Leute führten ihr kleines Babettchen die Treppe spielend hinab. »Du siehst sie zum letzten Male,« dachte ich, »die dich so gütig aufnahmen und pflegten. Gehe hin und grüße sie noch einmal!« Ich sprang geschwind die Stiegen hinab, drückte ihnen gerührt die Hand, küßte das Kind und sagte mit Augen, die sich netzen wollten: »Adieu! Seien Sie recht vergnügt heute und immer – immer! Leben Sie wohl!« Behende riß ich mich los, um mich durch Weichherzigkeit nicht völlig zu verraten, und lief auf mein Zimmer zurück.

Schon hatte die Stunde geschlagen, in welcher der Fuhrmann mein Gepäck abholen sollte. Dadurch ward meine Bangigkeit vermehrt, denn ich mußte alle Augenblicke befürchten: »Jetzt, jetzt wird der Knecht, der Abrede gemäß, mit zwei Lastträgern erscheinen und die Hausleute auf dein Beginnen aufmerksam machen.« Es fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich nun beide an der Gassenecke verschwinden sah. Kaum hatte ich Zeit zu spähen, ob auch die Familie des Uhrmachers ausgewandert sei, so kam der Fuhrmann mit zwei Knechten und einem Pferde, das eine Schleife zog, vor die Tür. Sie schleppten die Lasten hinab und banden sie auf die Schleife. Ein junger Mensch wollte allein die kleinste Kiste tragen, sie ward ihm zu schwer, er ließ sie fallen, und sie hüpfte, gräßlich polternd, die ganze hohe Stiege hinab und sprang unten mitten entzwei. Sie enthielt Schriften, Glastafeln und Weißzeug, war aber so gut gepackt, daß wir die Spalten nur wieder zusammendrücken, mit Nägeln kreuzweise zuschlagen und mit hölzernen Reifen verbinden durften. So konnte sie ohne Anstand mitgenommen werden.

Nun setzte ich mich hin und schrieb einen rührenden Abschiedsbrief an meinen Hausherrn, vermachte ihm darin zur Vergütung der Kisten, die ich mitgenommen hatte, förmlich meine zurückgelassenen Geräte, dankte für seine Güte und Gefälligkeit, bat ihn, die beiliegenden Briefe an ihre Behörde zu befördern und die Schlüssel, welche er daneben finden würde, dem Herrn Provikar zu bringen; dazu legte ich eine Rolle Geld, welche genau zwei Quartale Hauszins betrug; denn in Augsburg ist's gebräuchlich, ein Vierteljahr vorher die Hausmiete aufzusagen. Wer dies versäumt, wird gerichtlich angehalten, auch für das folgende Vierteljahr die Wohnung zu behalten oder doch den Hauszins zu bezahlen. Es war aber nicht möglich, ohne mich zu verraten, die Miete zur gehörigen Zeit aufzukünden, also bezahlte ich lieber sowohl für das laufende als für das folgende Quartal und dies um so mehr, da ich durchaus nicht das Ansehen haben wollte, als könnte ich an gefälligen und liebreichen Menschen undankbar handeln. Ich durfte nicht besorgen, daß meine Entweichung zu frühe ruchbar werden würde. Denn weil ich gar oft erst nachts um 10 Uhr und später, da bereits alles im Hause schlief, aus der Dompropstei zurückkam, morgens frühe wieder ausging und gewöhnlich erst abends um 5 Uhr wieder heimkam, so hatte meine Abwesenheit nichts, das Aufmerksamkeit erregen konnte. Mit der größten Wahrscheinlichkeit war vorauszusehen, daß die Hausfrau erst am Montag abend, ihrer Gewohnheit nach, das Bett zu machen, mein Zimmer betreten und das leere Nest finden würde; ich rechnete so sicher auf diesen Umstand, daß ich davon sogar in dem oben eingerückten Briefe an Herrn Statthalter und in jenem an meinen Hausherrn Meldung tat.


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