Giovanni di Boccaccio
Fiammetta
Giovanni di Boccaccio

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Siebentes Buch

Die Dame Fiammetta vergleicht ihre Leiden mit den Leiden vieler Frauen des Altertums und zeigt, daß alle von den ihrigen übertroffen wurden, worauf sie zuletzt ihre Klage endigt.

In einem solchen Leben, das ihr, meine mitleidigen Leserinnen, euch nach dem Erzählen leicht vorstellen könnt, bin ich nun geblieben. Amor, der grausame Herr meiner Seele, quält mich um so mehr, je weiter er meine Hoffnungen entfliehen sieht, und facht mit einem Hauch die Flammen der Liebe zu neuer Glut an. Und das nie gestillte Verlangen wird immer ungestümer und peinigt wie mit Schlangenbissen das leidende Herz. Sicherlich hätte die Heftigkeit meiner Begierden mir in der Folge einen sichern Weg zu dem schon vordem so sehnlich gewünschten Tod eröffnet. Aber um der festen Hoffnung willen, auf der beabsichtigten Reise den Urheber meiner Qual wiederzusehen, habe ich mich bemüht, meine Schmerzen zwar nicht zu mildern, aber doch sie zu ertragen. Zu welchem Ende ich unter allen Mitteln nur ein einziges wirksam gefunden habe, nämlich: meine eigenen Leiden mit den Leiden anderer zu vergleichen. Aus dieser Quelle schöpfte ich mir zwei lindernde Tropfen. Erstens sah ich, daß ich mich in meinem Jammer weder als die einzige noch als die erste betrachten dürfe, wie schon die Amme mir tröstend vorstellte, zweitens beruhigte mich, daß, wenn ich die Leiden anderer in ihrem ganzen Umfange mit meinen verglich, meine sie alle übertreffen. Ich rechne es mir zu keinem geringen Ruhm, sagen zu können, daß ich unter allen Lebenden die größte Dulderin bin. Und mit dem Bewußtsein dieses Ruhmes, von jedem Eingeweihten als ein Bild des größten Jammers geflohen werden zu müssen (auch von mir selbst, wenn ich könnte), habe ich bis heute die melancholischen Tage in Betrachtungen hingebracht. Ich gedachte der Tochter des Inachos, die, ein zartes schönes Jungfräulein, wie ich einst eines war, passend mit mir verglichen werden kann. Ich malte mir ihre Glückseligkeit aus, als sie sich vom Jupiter geliebt sah und ein Glück erfuhr, das der Frau für das Höchste gelten muß. Ich dachte daran, wie sie in eine Kuh verwandelt auf Junos Bitten vom Argus bewacht ward, und fühlte in ihrer Seele die große, unaussprechliche Angst und Bedrängnis, die sie dabei gelitten. Auch würde ich gewiß ihre Schmerzen weit über die meinen stellen, wenn nicht das Auge des liebenden Gottes unausgesetzt schützend über ihr gewacht hätte. – Ach! wenn mein Geliebter meine Trauer geteilt oder nur Mitleid mit mir gehabt hätte, welcher Schmerz wäre mir dann zu groß gewesen? Und überdies, wurden nicht alle ihre vergangenen Leiden durch das Ende verherrlicht und leicht? Argus war tot, und trotz ihrer Körperhaftigkeit wurde sie mit Hilfe des Gottes leicht nach Ägypten getragen, wo ihr die vorige Gestalt zurückgegeben und sie als Gemahlin des Osiris in die glücklichste Königin verwandelt ward. Ja! dürfte ich hoffen, meinen Geliebten, wenn auch erst im Alter, wiederzusehen, so wollte ich meine Leiden nicht mit den Leiden dieser Frau vergleichen. Aber Gott allein weiß, ob dies je geschehen wird, oder ob diese Hoffnung nur ein leerer Selbstbetrug ist.

Hierauf stand die Leidenschaft der unglücklichen Byblis vor meinen Augen; ich sah, wie sie allen irdischen Gütern entsagte und dem unerbittlichen Caunus folgte. Neben ihr gedachte ich der verbrecherischen Myrrha, die nach der unseligen Befriedigung ihrer Leidenschaft, den Tod fliehend, mit dem ihr Vater sie bedrohte, doch den jammervollsten Untergang fand. Auch der beklagenswerten Canace, die sich selbst den Tod geben mußte, nachdem sie die unglückliche Frucht einer unseligen Liebe geboren hatte. Wenn ich so die Qualen einer jeden nachfühlte, so begriff ich wohl, wie unendlich sie gelitten hatten, mochten ihre Leidenschaften auch verabscheuungswürdig genug sein. Das aber ist der Unterschied zwischen ihrem und meinem Schicksal, daß ihre Leiden, so groß sie waren, doch in einem kurzen Zeitraum zu Ende gingen.

Myrrha ward von den mitleidigen Göttern unverzüglich in einen Baum verwandelt, der ihren Namen führt, und wenn sie auch als Baum noch Tränen vergießt wie damals, als sie ihre erste Gestalt verlor, so empfindet sie doch seitdem keinen Schmerz mehr. So nahte sich ihr mit der Ursache ihres Leidens auch zugleich das Ende desselben. Byblis setzte ihrem Leben durch den Strick ein Ende, aber die Nymphen verwandelten sie huldreich in eine Quelle, die Byblis-Quelle. Und dies geschah erst, als sie Gewißheit hatte, daß ihr Geliebter ihr durchaus kein Gehör geben würde. Darf ich nun nicht meine Qual für weit größer erachten als das Leiden dieser Frauen, wenn ich ihre längere Dauer in Erwägung ziehe?

Nun erregte das Schicksal des unglücklichen Pyramus und seiner Thisbe meine Teilnahme, wie sie so lange Zeit mit aller Qual der unbefriedigten Sehnsucht sich treu geliebt hatten und in ihr Verderben gingen, als sie befriedigt werden sollte. Ach! wie fühlte ich so lebhaft, welch ein bitterer Schmerz den armen Jüngling in jener schweigenden Nacht durchdrang, als er an dem klaren Brunnen das Gewand seiner Thisbe von dem wilden Tier ganz zerrissen und blutig fand! Wie fest mußte er nach solchen Zeichen an ihr schreckliches Ende glauben! Konnte er seinem Schmerz tieferen Ausdruck verleihen als durch den freiwilligen Tod? Ach! und was litt das Herz der unglückseligen Thisbe, als sie nun ihren Geliebten blutend vor sich sah und kaum noch einen Strahl von Leben in seiner Brust zucken fühlte. Ich empfand ihren Schmerz und weinte ihre Tränen, die kaum weniger bitter geflossen sein mögen als meine. Aber ihr Leid war so kurz als heftig, und ihre Trauer hörte da auf, wo sie begann. O! ihr seligen Seelen, wenn ihr euch in jener Welt so liebend begegnet wie in dieser, welches Leid darf sich dann der Wollust des ewigen Zusammenseins vergleichen?

Jetzt trat das Bild der verlassenen Dido mit größerer Gewalt und Lebhaftigkeit als irgendein anderes vor meine Seele, denn ihr Schmerz ist ja dem meinen ähnlich und verwandt. Sie, die Erbauerin Karthagos, gibt ihren Völkern im höchsten Glanz ihrer Herrlichkeit im Tempel der Juno Gesetze, sie nimmt den Fremdling Äneas, der Schiffbruch gelitten hat, wohlwollend auf und unterwirft, von seiner Schönheit ergriffen, sich selbst und alles, was sie besitzt, der freien Willkür des trojanischen Heerführers. Er aber reist ab und verläßt sie, nachdem er die königlichen Freuden nach Gefallen genossen und sie von Tag zu Tag mehr mit seiner Liebe entzündet hat. O! wenn ich mir denke, wie sie die schwellenden Segel ihres geliebten Flüchtlings auf offner See erblickt, wie über alle Maßen elend erscheint sie mir da! Denke ich aber an ihr Ende, so halte ich sie für weniger beklagenswert. Gewiß empfand ich bei Panfilos Trennung einen ebenso heftigen Schmerz als Dido bei Äneas' Flucht, aber mir war die Erlösung durch den schnellen Tod versagt, der sie aller ihrer Leiden enthob.

Es erschien mir auch die trauernde Hero in ihrem tiefen Jammer. Mir war, als sähe ich sie, wie sie von ihrem hohen Turm an das Meeresufer herabsteigt, um den kühnen Leander in ihren Armen aufzunehmen, und wie sie nun mit dem Schrei des heftigsten Jammers den toten Geliebten erblickt, der von den Wellen ans Ufer gespült nackt auf dem Meeresstrande liegt. Mit ihrem Gewand trocknet sie von seinem bleichen Gesicht das salzige Meerwasser und badet ihn mit ihren Tränen. Ach! wie erfüllt mich dieses Bild mit so unendlichem Mitleid! Ja! ihr Schicksal rührte mich tiefer als das aller übrigen Frauen, und sooft ich meines eigenen Schmerzes auf Augenblicke vergaß, habe ich den ihren beweint. Doch ich erkannte, daß sie zwei Mittel besäße, Trost zu finden: sterben oder den Toten vergessen. Eines von diesen ergreifen hieß ihren Schmerz endigen. Ein unwiederbringlicher, ganz hoffnungsloser Verlust kann das Herz zwar heftig, aber nicht lange betrüben.

Doch die Götter verhüten, daß mir solches je widerfahre! Für mich bliebe in solchem Falle kein anderer Rat als sterben. Mögen die Götter das Leben meines Geliebten so sehr verlängern, als er selbst es wünscht! Aber solange er unter den Lebenden ist, so lange kann meine Hoffnung nicht sterben. Sehe ich nicht alles Irdische in ewiger Bewegung und Abwechslung? Und muß dies nicht in mir den Glauben wachhalten, daß er einmal zu mir zurückkehren wird, wie er ehemals bei mir war? Gleichwohl breitet diese unerfüllte Hoffnung über mein ganzes Leben die schwerste Trauer und Unruhe, und so kann ich wohl behaupten, daß ich mehr leide als alle andern. Ich habe französische Romane gelesen, in denen, wenn man ihnen Glauben beimessen darf, Tristan und Isolde als das zärtlichste und treueste Liebespaar dargestellt sind. Sie haben, so liest man da, ihre jungen Jahre in Freude und im Schmerz der Sehnsucht hingebracht, und damit sie, die sich so innig liebten, vereinigt würden, haben sie freiwillig die irdischen Freuden verlassen, nicht ohne großen Schmerz, wie es scheint. Freilich kann man verstehen, daß sie diese Welt mit großem Weh verlassen mußten, wenn sie glaubten, daß sie ihre Freuden im Jenseits nicht wiederfinden würden. Hatten sie aber im Gegenteil die Überzeugung, daß sie ihnen dort ebenso blühen würden wie hier, so muß das Sterben freudevoll gewesen sein und der Tod leicht, der vielen hart und voller Angst, mir nur ein Freund zu sein scheint. Und wie kann jemand behaupten, daß etwas schmerzhaft sei, was er nie erfahren hat? Gewiß niemand; wie, daß etwas schwer sei, was nur einmal und in solcher Schnelligkeit geschieht?

So endigten Isolde und Tristan in einem Augenblick ihre Freuden und ihre Schmerzen. Mir aber ist eine lange Zeit in Leiden hingegangen, die die genossenen Freuden ohne Zweifel überwiegen. Zu der Reihe der unglücklich Liebenden gesellt sich auch Phädra, die durch ihre mißleitete Wut Ursache an dem schrecklichen Tod dessen wurde, den sie mehr als sich selbst liebte. Was in ihr vorging, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß mich von solchem Verbrechen nichts anders als ein schneller Tod hätte reinigen können. Doch da sie, wie man weiß, noch, das Leben ertrug, so hatte sie gewiß den Geliebten vergessen, wie man die Toten, die unwiederbringlich sind, zu vergessen pflegt. Ähnlich wie ihr erging es der Laodemia, Deiphile, Argia, Evadne, der Deianira und mehreren anderen, die entweder durch den Tod oder durch ein unvermeidliches Vergessen von ihrem tiefen Leide geheilt wurden. Und also blieb ich einzig in meinem Schmerz. Was kann die Flamme oder der glühende Stahl oder das geschmolzene Metall schaden, wenn der Finger es schnell berührt und ebensoschnell wieder verläßt? Sehr viel gewiß; aber nichts im Vergleich damit, wenn der ganze Körper lange Zeit in der Glut verweilen muß. Alle, deren Leiden ich eben geschildert, berührte der Schmerz nur flüchtig wie den Finger am Metall, ich aber bin ihm ganz und gar ausgesetzt.

Aber nicht allein die Qualen der Liebenden, auch andere Wunden, die das Schicksal geschlagen, schienen mir der Betrachtung und der Tränen wert; wenn es wahr ist, daß glücklich sein nur eine Abstufung des höchsten Unglücks ist. Unter die vom Schicksal hart Verfolgten gehören vor allem Jocaste, Hecuba, Sophonisbe, Cornelia und Cleopatra. O! von welchem Elend, fähig auch den stärksten Mut zu erschüttern, finden wir Jocasten ihr Leben hindurch verfolgt! Als zarte Jungfrau ward sie mit Laius, König von Theben, verheiratet und mußte die erste Frucht ihres Leibes den wilden Tieren zur Speise aussetzen, um von dem unglücklichen Vater abzuwenden, was die Gestirne ihm doch unabwendbar bereitet hatten. O welch unendlichen Schmerz muß sie als Mutter und Königin dabei gefühlt haben! Durch die Vollstrecker ihres Willens von dem Tode ihres unglücklichen Kindes überzeugt, ward ihr Gemahl nach Verlauf der Zeit von ebendem, den sie geboren hatte, elendiglich getötet; sie selbst aber ward die Gattin des unbekannten Sohnes und gebar ihm vier Kinder. Und so sah sie sich mit einem Male als Gattin und Mutter eines Vatermörders und erkannte in ihrem Gemahl ihren Sohn, nachdem er sich selbst der Augen und des Königreichs beraubt und damit seine Schuld kundgetan hatte.

Wer sich in ihre Lage versetzen kann, der wird fühlen, wie unendlich sie, die, schon dem Alter nahe, der Ruhe und des Seelenfriedens mehr bedurfte, bei solchem Geschick leiden mußte. Aber die noch nicht mit ihr versöhnten Götter bereiteten ihr der Qualen noch mehr. Nach einem zwischen ihren Söhnen abgeschlossenen Vertrag sollten sie sich in die Zeit der Regierung teilen. Was geschah in Wirklichkeit? Sie wurde von dem treulosen Bruder in die Stadt eingeschlossen, ein großer Teil Griechenlands unter sieben Könige verteilt, nach vielen Schlachten und Feuersbrünsten töteten ihre beiden Söhne einander, die Regierung fiel einem Fremden anheim, und ihr Sohn und Gemahl wurde verjagt. Sie sah die alten Mauern ihrer Erbstadt fallen, die einst von Amphion durch den Schall seiner Laute erbaut waren. Ihr Reich wurde zerstört, und als sie selbst ihr Leben endigte, ließ sie ihre Töchter einem vielleicht schimpflichen Leben als Beute zurück. Sagt, was konnten Götter, Welt und Schicksal mehr gegen diese Unselige tun? Alle Qualen waren erschöpft, und ich glaube, daß selbst in der Hölle nicht größeres Elend zu finden ist. Sie hat jeden Schmerz und auch jede Schuld erfahren. Und keiner wird sein, der sagt, daß meine Leiden diesen verglichen werden könnten; auch ich nicht, wenn mein Schmerz nicht der Schmerz der Liebe wäre.

Aber wer darf leugnen, daß Jocaste, wenn sie wußte, daß ihr Haus und ihr Gemahl der Götter Zorn verdienten, nicht alles für wohlverdient und gerecht erkennen mußte, was ihr begegnete? Gewiß mußte sie es, wenn sie weise war. Aber sie war töricht, und da ihr diese Erkenntnis mangelte, so fühlte sie auch ihr Unglück weniger, und ihr Schmerz war geringer. Wurde ihr aber die Gerechtigkeit ihres Schicksals bewußt, so mußte sie es ohne Unmut und gelassen ertragen.

Ich aber habe nie etwas verbrochen, was den gerechten Zorn der Götter hätte auf mich laden können oder müssen. Immer habe ich die Götter geehrt und durch Gebete und Opfer nach ihrer Gunst gestrebt, auch nie sie verachtet, wie einst die Thebaner getan. ›Aber‹, höre ich eine Stimme sagen, ›wie darfst du behaupten, daß du nicht jede Strafe verdient und viel verschuldet hast? Hast du nicht die heiligsten Gesetze übertreten und mit dem verbrecherischen Jüngling die eheliche Treue verletzt?‹

Ja, ich tat es; aber bedenkt, daß dies die einzige Schuld meines ganzen Lebens ist, durch die ich unmöglich so große Strafe verdienen kann. Erwägt, daß ich als zarte Jungfrau der Gewalt nicht widerstehen konnte, durch die selbst Götter und Heroen besiegt wurden. Auch bin ich nicht die erste, nicht die letzte und nicht die einzige. Beinahe die ganze Welt teilt mein Vergehen, und Sünden gegen die Gesetze, die ich verletzte, pflegt die Menschheit zu verzeihen. Auch deckt ein dichter Schleier meine Schuld, weshalb die Rache um vieles gemildert werden müßte. Sollten aber die Götter mit Recht gegen mich erzürnt sein und mein Verbrechen rächend heimsuchen wollen, müßten sie dann nicht ihre Blitze auf den schleudern, der meine Schuld veranlaßte und teilte? Ich weiß nicht, was mich zur Übertretung der heiligen Gesetze verführte, ob des Liebesgottes oder des Geliebten Göttlichkeit; durch wen es auch geschehen ist, beide hatten die größte Gewalt in Händen, mich auf die schmerzhafteste Art zu quälen; dies war also nicht eine Folge der begangenen Schuld, sondern ein eigener, selbständiger, überaus peinigender Schmerz. Soll ich ihn aber dennoch als den verdienten Lohn meiner Schuld betrachten, so würden die Götter gegen ihr gerechtes Urteil und ihre gewohnte Handlungsweise verfahren. Sie würden die Strafe nicht nach der Schuld abmessen; denn wer Jocastens Schuld und Strafe mit meiner eigenen vergleicht, der muß bekennen, sie sei zu gelinde bestraft und ich zu hart. ›Wie,‹ höre ich sagen, ›sie verlor ein Königreich, die Kinder, den Gemahl und endlich das eigene Leben und du nur den Geliebten allein?‹ Ja, aber dieser Geliebte war mir alles, mit ihm verlor ich jede Art von Glückseligkeit, und was in den Augen der Menschen für Glück gehalten wird, gewährt mir gerade das Gegenteil. Alles, Gemahl, Reichtümer, Stand, Verwandte und andere Dinge sind mir nur drückende Lasten und meinem Wunsch entgegen. Hätte ich sie verloren wie meinen Geliebten, so wäre mir zur Erreichung meiner Sehnsucht freie Bahn geblieben; ich hätte sie betreten, und wenn mich auch ein Zufall vom Ziel zurückgedrängt hätte, so standen tausend Wege offen, der Qual durch einen schnellen Tod zu entgehen. So aber bestätigt es nur meine Behauptung, daß alle Pein der andern nicht an meine heranreicht.

Jetzt dachte ich an Hecuba und an das unermeßliche Leiden, das ihr zugeteilt war. Ihr war es beschieden, allein übrigzubleiben und die kläglichen Überreste eines großen Königreiches, einer wundervollen Stadt, den Tod eines herrlichen Gemahls, so vieler schöner Söhne und Töchter, so vieler Schwiegertöchter und Schwiegersöhne, den Untergang so großen Reichtums, so vieler Herrlichkeit, so vieler gemordeter Könige, so viele grausame Taten des trojanischen Volkes, so viele gefallene Tempel und fliehende Götter zu schauen. Und sich selbst unter der Last des Alters erblicken und denken, wer einst der gewaltige Hector war, wer Troilus, Deiphobus, Polydor und andere, die sie den jämmerlichsten Tod hatte leiden sehen, sich erinnern, wie das Blut ihres Gemahls, den vor kurzem noch die ganze Welt ehrte und fürchtete, in ihren Armen vergossen ward, wie sie das stolze Troja, mit hohen Palästen und edlem Volk erfüllt, ganz von Flammen verzehrt und völlig vernichtet gesehen und noch überdies Zeugin des schrecklichen Opfers war, welches Pyrrhus ihrer Polyxena brachte, – mit welchem Schmerz mußte sie dies alles durchdringen! Aber kurz war ihr Leid! Das altersschwache Gemüt konnte so großen Jammer nicht ertragen, ihre Gedanken verwirrten sich, und im kindischen Wahnsinn lief sie erinnerungslos in den Feldern umher.

Ich aber, mit stärkerer Seele und treuerem Gedächtnis als nötig versehen, bleibe in meinem Leid und behalte meinen traurigen Sinn; ja nur immer deutlicher werden mir die Bilder meines Schmerzes. Und so muß ich solch langdauerndes Leiden doch für weit härter halten als das schwerste, das in kurzer Zeit entsteht, reift und endigt.

Auch Sophonisbens Schicksal, in dem die Trauer der Witwenschaft sich seltsam widerlich mit dem Jubel der Vermählung mischte, scheint mir der Betrachtung wert. In einem Augenblick betrübt und froh, Gefangene und Braut, des Reichs Beraubte und Wiederbelehnte und zuletzt in all diesem schnellen Wechsel den Giftbecher trinkend, muß sie in einer großen, wundersamen Angst geschwebt haben. Erst war sie die erhabene Königin der Numidier; als darauf das Unglück ihrer Verwandten begann, sah sie Syphax, ihren Gemahl, gefangen und zum Sklaven des Königs Masinissa werden. Sie war in demselben Augenblick vom Thron gestürzt und die Sklavin des Feindes; dann aber wurde sie von Masinissa zur Gemahlin erwählt und wieder in ihr Reich eingesetzt.

O! Wohl muß man glauben, daß sie all diese merkwürdigen Begebenheiten mit verachtender Seele erlebte und, die Unsicherheit des flüchtigen Glücks tief im Herzen fühlend, nur trauernd die neue Vermählung feierte! Und wie klar bewies ihr gewaltsames Ende die Richtigkeit ihrer Empfindung. Noch war nach ihrer Vermählungsfeier kein ganzer Tag verflossen; noch war es ihr kaum glaubhaft geworden, daß sie die Regierung behalten würde, noch kämpfte es in ihrem Innern, weil ihrer Seele die neue Liebe des Masinissa fremder war als die gewohnte des ersten Gemahls, als ein Diener des neuen Gatten erschien, der einen Gifttrank brachte. Mit kühner Hand ergriff sie den Becher, trank ihn nach einigen tief verachtenden Worten ohne Furcht und gab nach wenigen Augenblicken ihren Geist auf.

O! wie unendlich bitter würde ihr Leben gewesen sein, wenn sie Zeit gehabt hätte, es zu bedenken; so aber kann es mit Recht unter die minder unglücklichen gezählt werden, weil der Tod ihrem Schmerz gleichsam zuvorkam, während er mir zur größten Trauer Raum läßt und vielleicht zu noch größerer lassen wird.

Trauernd gleich Sophonisben erscheint mir Cornelia; sie hatte das Glück so hoch erhoben, daß sie erst die Gemahlin des Crassus, dann des Pompejus Magnus war, der die höchste Würde und Oberherrschaft in Rom erlangt hatte.

Aber das alles umwälzende Glück zwang sie, mit dem Gemahl erst aus Rom und dann aus Italien zu fliehen, verfolgt von Cäsar. Als sie nach vielen Unfällen allein in Lesbos zurückblieb, erhielt sie die Nachricht, daß ihr Gemahl in Thessalien geschlagen und seine ganze Macht von dem Feind aufgerieben worden sei. Dessenungeachtet folgte sie ihm und durchsegelte das Meer in der Hoffnung, den verlorenen Orient wieder unter seine Gewalt zu bringen, und wurde darauf von ihm selbst zu dem jungen König von Ägypten eingeladen. Hier aber sah sie seinen Körper, des Hauptes beraubt, auf den Meereswellen herumtreiben. Solches Übermaß bitterer Schicksale, deren jedes einzelne schon furchtbar genug ist, mochte ihr Gemüt wohl tief betrüben. Aber der weise Rat Catos von Utica und die völlig verlorene Hoffnung, Pompejus jemals wieder zu sehen, mußten wohl in kurzer Zeit ihren Schmerz um vieles mildern. Dagegen ich Unselige ewig vergebens hoffe und doch weiter hoffen muß und keinen andern Rat und Trost habe als die Worte der alten Amme, die allein meine Leiden kennt, die aber mehr Treue als Weisheit besitzt, ja oft mein Leid vermehrt, indem sie es zu lindern glaubt.

Manche könnten wohl das Unglück der Cleopatra, der Königin von Ägypten, für unübertroffen und weit größer als das meinige halten. Sie, die von Glanz und Überfluß umringt zuerst gemeinschaftlich mit dem Bruder herrschte, darauf von ihm in den Kerker geworfen wurde, mußte sich freilich unermeßlich elend dünken. Aber die Hoffnung auf das, was auch künftig wirklich geschah, konnte ihr ihre Lage erleichtern. Daß sie darauf, nachdem sie aus dem Kerker befreit und Cäsars Freundin geworden war, von ihm verlassen ward, halten viele für das tiefste Leiden. Doch diese bedenken nicht, wie kurz der Schmerz der Liebe für die ist, welche sich nach Gefallen dem einen nehmen und dem andern geben können; und daß dies in ihrer Gewalt stand, hat Cleopatra oft genug bewiesen.

Aber verhüten die Götter, daß ich jemals auf solche Weise Trost finde. Keiner war und wird sein, der mich die Seinige nennen durfte, außer Panfilo, und sein werde ich bleiben. Auch hoffe ich nicht, daß jemals eine neue Liebe die Macht haben könnte, ihn aus meiner Seele zu verdrängen. Freilich könnte man manches für die Behauptung, daß Cleopatra trostlos über Cäsars Abreise zurückblieb, anführen, wenn nicht die Geschichte es widerlegte. Sie ward auf der andern Seite von einem Glück getröstet, das sie alles überwinden ließ, denn ihr blieb ihr Sohn und das wiedererstattete Reich. Ein solches Geschenk ist wohl fähig, einen größeren Schmerz zu überwinden, wieviel mehr den Schmerz einer so leichten Liebe, wie ihre war.

Ein wirklich herbes Leid erfuhr sie, als sie ihren Gemahl Antonius durch ihre üppigen, bezaubernden Reize und Liebkosungen zu einem bürgerlichen Krieg gegen seinen Bruder verführt hatte. Von der Hoffnung auf gewissen Sieg berauscht, strebte sie nach dem Lande des römischen Kaisertums. Als aber dieselbe Stunde ihr zwiefachen, unersetzlichen Verlust gebracht, den Tod ihres Gemahls und die zertrümmerte Hoffnung, da scheint sie die betrübteste, unseligste aller Frauen geworden zu sein. Die unglückliche Schlacht mußte diesen hohen Sinn, dies unersättliche Streben tief demütigen; sie, die die halbe Welt beherrscht hatte, war besiegt, ihr zärtlich geliebter Gemahl verloren. Ihr Unglück konnte nicht größer sein. Aber sie wußte schnell das geeignete Hilfsmittel gegen solchen Schmerz zu finden: nämlich den Tod. Zwar war er bitter, aber auch kurz, denn eine kleine Stunde reichte hin, daß zwei Schlangen mit ihrem giftigen Mund Leben und Schmerz aus dem Körper hinwegsogen.

O! wie oft habe ich ebenso heftigen Schmerz empfunden als sie, obgleich die Veranlassung dazu vielleicht geringer war! Wie gern wäre ich da ihrem Beispiel gefolgt, hätte es mir freigestanden oder hätte die Furcht vor künftiger Schmach mich nicht zurückgehalten!

Ich stellte mir auch oft die Herrlichkeit des Cyrus vor, den unermeßlichen Reichtum des Crösus, die mächtigen Gebiete der Perser, die Pracht des Pyrrhus, die Macht des Darius, des Tyrannen Dionysius, die Hoheit Agamemnons, kurz alle, die die Geschichte uns gleich den vorigen als denkwürdige und ausgesuchte Opfer des Schicksals darstellt. Aber auch sie wurden alle durch schnelle Hilfe getröstet und hatten oder ließen sich nicht Zeit, die Größe ihres Schmerzes zu ermessen. Und während ich mich noch immer bemühte, alles vergangene, denkwürdige Unglück in mein Gedächtnis zu rufen, damit ich noch einmal Tränen und Leiden, die ich den meinigen vergleichen könnte, finden und durch den Gedanken an Leidensgefährten einigermaßen getröstet werden möchte, fielen mir Thyest und Thereus ein, die das unglückliche Grabmal ihrer eigenen Kinder wurden. Nur kann ich nicht begreifen, welche Mäßigung sie zurückhalten konnte, ihren Leib mit scharfem Eisen ihren Kindern zu öffnen und ihnen den Weg aus einem Ort zu bahnen, vor dem sie zurückschauderten. Durch solches Handeln taten sie allerdings ihrem Haß und ihrem Schmerz Genüge und fanden Trost in dem Gefühl, von ihrem Volk für unschuldige Unglückliche gehalten zu werden; ein Gefühl, das ich leider nicht haben kann. Zwar bemitleiden mich andere, aber nur um Dinge, die mich nicht berühren, und was mich wirklich bekümmert, wage ich nicht auszusprechen. Dürfte ich nur mein trauriges Geheimnis enthüllen, so zweifle ich nicht, daß auch mir sich irgendein Rettungsmittel darbieten würde.

Mit welcher Teilnahme dachte ich auch der frommen Tränen, die Lycurg und sein Haus gerechterweise um den von der Schlange getöteten Archemorus vergossen, und des Schmerzes der trauernden Atalante, deren Sohn Parthenopäeus in den Feldern von Theben getötet ward. Ich lernte ihre Gefühle und Schmerzen so genau kennen und eignete sie mir so lebhaft an, daß ich kaum noch unterscheiden konnte, ob ich sie nicht selbst empfand oder einst empfunden hätte. Beide waren von der größten Trauer erfüllt. Aber sie sind auf ewig durch so großen Ruhm verherrlicht, daß man sie dennoch selig preisen muß. Lycurg ward von sieben Königen durch Leichengepränge und Spiele geehrt und Atalante durch das preiswürdige Leben und den ruhmvollen Tod ihres Sohnes verherrlicht.

Auch die langen Beschwerlichkeiten, die Irrfahrten und tödlichen Gefahren des Ulysses stellten sich mir dar, die er nicht ohne große Anstrengung und Seelenangst erduldet haben mag. Aber Ulysses war ein Mann und also von der Natur besser zum Leiden ausgerüstet als ein zartes Weib. Er war rüstig und stets kühn in der Gefahr, an Beschwerden gewöhnt, und gleichsam durch sie genährt und gereift konnte er ihnen mit Ruhe entgegensehen. Mir aber, die ich im stillen Zimmer inmitten weichlicher und zarter Umgebungen genährt und gepflegt bin, gewohnt, die Stunde mit süßem Liebesspiel hinzubringen, mir erscheint jede kleine Mühe schon unendlich groß. Ulysses' Feinde waren Neptun und Äolus. Sie trieben sein Schiff umher und bereiteten ihm das viele Ungemach auf der Reise. Mich aber peinigt der mächtige Amor, der selbst die Götterfeinde des Ulysses hat ängstigen und besiegen können. Und wenn der Held von tödlichen Gefahren bedroht war, so fand er ja nur, was er suchte. Durfte er sich dann darüber beklagen? Aber ich Unselige, ich würde gern in Ruhe leben, wenn ich könnte, und würde jede Gefahr scheuen, in die ich nicht hineingestoßen würde. Auch fürchtete er den Tod nicht, und deshalb trat er ihm gefaßt und ruhig in den Weg. Ich fürchte ihn, aber von wildem Schmerz durchdrungen, bin ich ihm dennoch mehr als einmal entgegengeeilt. Auch hoffte er bei seinen Kämpfen auf ewigen Nachruhm und Unsterblichkeit; ich aber dürfte, wenn meine Leiden je bekannt werden sollten, nur Beschämung und Schmach erwarten, und also übertrafen seine Leiden die meinigen nicht, sondern stehen ihnen vielmehr nach, um so mehr, da man von ihnen weit mehr berichtet, als sich zugetragen hat, meine Leiden aber größer sind, als ich sagen kann.

Ich vergaß neben allem diesem nicht der Bedrängnisse Hypsipylens, Medeens, Önonens und Ariadnens, deren Schmerzen und Tränen viel Ähnlichkeit mit meinen haben. Gleich mir sah sich eine jede dieser Frauen von ihrem Geliebten betrogen, weinte wie ich bitterlich, hauchte Seufzer und geriet in bittern, fruchtlosen Kummer. Aber eine gerechte Rache trocknete beizeiten ihre Tränen, was mir noch nicht zuteil wurde.

Hypsipyle mußte zusehen, wie Medea ihr den Jason, den sie so sehr geehrt und dem sie sich durch heilige Bande verbunden fühlte, entzog. Aber der Wille der Götter, die mit gerechtem Auge alle Dinge überschauen – nur meine Leiden nicht –, gab ihr einen großen Teil der ersehnten Freudigkeit zurück. Denn sie sah Medeen, die ihr den Geliebten geraubt hatte, von diesem wiederum für Creusen verlassen. Zwar will ich nicht sagen, daß mein Elend sein Ende fände, wenn ein gleiches Schicksal mich an der Geliebten meines Panfilo rächte, er müßte ihr denn durch mich selbst wieder entzogen werden – aber ein großer Teil meines Unmuts würde sicherlich schwinden. Medea tröstete sich durch Rache, ja sie wurde so hart, daß sie ebenso grausam gegen sich selbst wurde als gegen den undankbaren Freund. Vor seinen Augen tötete sie die Kinder ihrer Liebe und verbrannte den königlichen Palast mit der neuen Geliebten. Auch Önone erkannte endlich, daß ihr treuloser und redlicher Liebhaber ihrer nicht wert gewesen und die Strafe der verletzten Gesetze mit Recht verdient hatte, und so sah sie sein Land ruhig durch die Flammen verzehrt werden. Mir aber sind meine Schmerzen lieber als solche Rache an dem ungetreuen Geliebten. Und Ariadne schaute als die Gemahlin des Bacchus vom Himmel herab, wie Phädra, um derentwillen Theseus sie einst auf jener wüsten Insel verlassen, aus Liebe für ihren Stiefsohn Hippolyt in Wahnsinn unterging. So fühle ich, alles wohl überlegt, daß mir unter allen Unglücklichen der erste Rang gebührt. Wenn aber euch, ihr Frauen, meine Gründe gleichwohl leicht und unstatthaft erscheinen, so denkt, daß ein verblendetes Gemüt sie vorbrachte, und wenn ihr die Tränen anderer für bitterer erachtet als die meinigen, so gebe ein einziger und letzter Einwand den vorigen das fehlende Gewicht. Wenn es wahr ist, daß der Neider unglücklicher ist als der Beneidete, so bin ich unter allen Genannten die Unglücklichste, denn ich beneide sie um ihr Unglück, das ich für geringer halte als meines.

Seht denn, ihr Frauen, wie elend ich geworden durch die Treulosigkeit Fortunens, und wie hart sie mich getroffen; gleichwie die Lampe nahe am Verlöschen noch eine plötzliche Flamme, heller als gewöhnlich, zu werfen pflegt, so gab sie mir scheinbaren Trost, um mich dann ganz in das Elend meiner einsamen Tränen zu verweisen. Um euch nun meinen Kummer mit einem einzigen Bilde anschaulich zu machen, so beteure ich euch mit demselben Ernst, der auf den Versicherungen anderer Unglücklicher ruht, daß meine Leiden nach dem Untergang jener eitlen Hoffnung um soviel schwerer geworden sind, als das zweite Fieber den rückfallenden Kranken heftiger zu erschüttern pflegt als das erste, ob es gleich ebensoheiß war.

Da ich aber mit weiteren Klagen die Fülle eurer mitleidigen Schmerzen vergrößern würde, ohne doch neue Worte finden zu können, will ich still werden und keine Tränen mehr beanspruchen, deren ihr Leserinnen gewiß viele vergossen habt oder vergießt, und so habe ich mich denn entschlossen, auf daß ich die Zeit, die mich zu Tränen ruft, nicht mit Worten vergeuden möge, fortan zu schweigen, und zwar mit dem Zugeständnis, daß meine Erzählung der Empfindung selbst nur gleicht wie ein gemaltes Feuer einem wahrhaftig brennenden, welchem jener Gott, den ich anflehe, entweder um eures oder meines Gebetes willen eine wohltätige Flut löschend senden möge, sei es durch meinen Tod, sei es durch die freudige Rückkehr Panfilos.


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