Giovanni di Boccaccio
Fiammetta
Giovanni di Boccaccio

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Fünftes Buch

Fiammetta schildert, wie sie bei der Nachricht, daß Panfilo nicht verheiratet sei, sondern eine andere Frau liebgewonnen habe und deshalb nicht zurückkehre, in die höchste Verzweiflung geraten sei und sich selbst habe töten wollen.

Ihr habt nun, mitleidige Frauen, aus meinen Erzählungen genug begreifen lernen, welch ein Leben ich bei den Stürmen der Liebe führte und wie es noch weit ärger werden mußte. Denn gegen das Folgende kann alles, was ich bisher beschrieb, noch mit Recht ein Freudenleben genannt werden. Ich bebe noch jetzt bei der Erinnerung an das Ziel, wohin es mich zuletzt führte und wo ich beinah noch immer bin und an das zu kommen ich absichtlich gezögert habe. Teils hielt mich die Scham über meine eigene Raserei zurück, teils auch die Furcht, beim Schreiben vielleicht in diese zurückzufallen, und so schilderte ich mit langsamer Hand und mit großer Weitläufigkeit all diese minder ernsten und schweren Leiden meiner Liebe.

Jetzt aber, da ich nicht mehr ausweichen kann, da die Ordnung meiner Erzählung mich zu dieser Schilderung hinzieht, jetzt stehe ich zitternd an der traurigen Stelle. Du aber, heiliges Mitleid, das die zarte Brust sanfter Jungfrauen bewohnt, lenke jetzt mit stärkerer Hand als bisher die Zügel, damit du nicht, schneller als du solltest vorübereilend, mir zur Hälfte raubst, was ich suche: die Tränen der lesenden Frauen.

Schon zum zweitenmal hatte, seit Panfilo mich verlassen, Phöbus seinen Wagen wieder nach jenem Teil des Himmels gelenkt, der einst in Brand geriet, als sein verwegner Sohn Phaethon die Sonnenpferde regierte. Und ich Elende hatte durch lange Übung die Schmerzen besser ertragen lernen und grämte mich mit mehr Mäßigung als bisher. Das höchste Maß des Unglücks schien mir erreicht (ich glaubte nicht, daß es ein größeres geben könne), als das Glück, nicht zufrieden mit meinen Leiden, mir zeigte, daß es ein noch bittreres Gift für mich aufgespart habe. Es geschah nämlich, daß einer unserer liebsten Diener aus Panfilos Land in unser Haus zurückkehrte, wo er von allen und vorzüglich von mir sehr freundlich aufgenommen wurde. Als er erzählte, was ihm alles begegnet war und was er gesehen, Gutes und Böses in seiner Rede bunt durcheinander mischend, erinnerte er sich auch von ungefähr an Panfilo. Er rühmte, wieviel Gutes er von ihm empfangen habe, ein Lob, das mir die größte Freude bereitete. Kaum vermochte die Vernunft den Drang in mir zurückzuhalten, daß ich hinlief, ihn umarmte und nach meinem Geliebten mit all der zärtlichen Inbrunst fragte, die ich in mir empfand. Doch bezwang ich mich und schwieg, indes die anderen den Diener fragten, wie es Panfilo ginge. Und als er allen geantwortet hatte, es gehe ihm wohl, fragte ich ihn mit fröhlichem Gesicht, was er jetzt vorhabe und ob er zurückzukehren gedenke. Auf welche Frage er mir folgendes antwortete:

»Meine Gebieterin, warum sollte Panfilo wohl zurückkehren? Ist doch in seinem ganzen Lande, das mehr als alle andern reich ist an schönen Frauen, keine schöner als die, welche ihn, wie ich allgemein gehört habe, über alles liebt und die er, wie ich glaube, ebenso wiederliebt; denn täte er dieses nicht, so müßte ich ihn mit ebensoviel Recht einen Toren schelten, als ich ihn zuvor für den klügsten Mann gehalten habe.« Bei diesen Worten bewegte sich mein Herz und schlug wie einst Önonen, als sie auf dem Berge Ida ihres Geliebten harrte und die griechische Frau mit ihm in dem trojanischen Schiffe daherkommen sah. Kaum vermochte ich den Ausbruch meiner Bestürzung zu verhehlen, doch gewann ich es über mich, und mit falschem Lächeln sagte ich:

»Gewiß hast du recht. Hier in diesem ihm verhaßten Lande hätten wir ihm keine Dame zur Gemahlin geben können, die seiner würdig gewesen wäre. Hat er sie also dort gefunden, so handelt er weislich, wenn er bei ihr bleibt. Aber sage mir, auf welche Art lebt er denn mit seiner jungen Gemahlin?« Hierauf antwortete der Diener: »Er selbst hat keine Gemahlin; denn die, welche er vor nicht gar langer Zeit in sein Haus einführte, war eigentlich nicht für ihn bestimmt, sondern für seinen Vetter.«

Während er diese Worte sagte, während ich sie vernahm und mir, kaum von der einen Angst befreit, eine weit größere zuteil wurde, begann mein Herz, vom Pfeil des Schmerzes getroffen, zu pochen, als wenn die schnellen Flügel Proknens beim raschen Flug ihre weißen Seiten schlagen, und meine zitternden Lebensgeister erbebten gleich den Wellen des Meeres, wenn ein leichter Wind es auf seiner Oberfläche kräuselt, oder gleich den zarten Zweigen, die ein Lüftchen zitternd bewegt. Bald fühlte ich, wie alle Kräfte mich verließen, und ich eilte so verstohlen wie möglich in mein einsames Zimmer, ehe ein fremdes Auge mich hätte erraten können.

Hier, vor allen Augen verborgen, sah ich mich kaum allein, als zwei Bäche bitterer Tränen aus meinen Augen sich den Quellen gleich ergossen, die unversiegbar durch die feuchten Täler rinnen, und kaum konnte ich mich zurückhalten, meinen Jammer in lautem Klagegeschrei zu verkünden. Als ich eben sagen wollte: ›O Panfilo! warum hast du mich verraten!‹ sank ich auf das unselige Lager hin, das mich oft so glücklich gesehen hatte, halb vollendet stockte meine Rede, der Zunge und allen andern Gliedern fehlte plötzlich alle Kraft, und einer Toten ähnlich, und auch von vielen für tot gehalten, lag ich lange Zeit unbeweglich auf jener Stelle. Alle Kunst des Arztes war vergebens, nichts wollte das blühende Leben zurückrufen! Weinend hatte meine trauernde Seele schon mehr als einmal die schaudernden Lebensgeister zum Lebewohl umarmt; doch noch durfte sie den gequälten Körper nicht verlassen, sie mußte ihre zerstreuten Kräfte zurückrufen, und meine Augen sahen das halb verlorene Licht wieder.

Ich richtete das Haupt empor und sah viele Frauen über mich gebeugt, die mit frommer Hilfe, unter Tränen und Klagen, mich ganz in köstlichem Balsam gebadet hatten. Auch sah ich mannigfaltige hilfreiche Instrumente um mich her gebreitet.

Mit höchster Verwunderung sah ich die Tränen der Frauen und alles, was mich umgab, und sobald ich das Vermögen zu reden wieder erhalten hatte, verlangte ich die Ursache alles dieses zu wissen. Da nahm eine der Frauen das Wort und sagte: »Alles, was du um dich siehst, ist hier, um deine fliehende, verirrte Seele zur Rückkehr zu bewegen.«

Da stöhnte ich nach einem tiefen Seufzer mühsam die Worte hervor: »Weh mir! wie ist euer Mitleiden so grausam und meinen Wünschen entgegen! Ihr glaubtet mir zu nützen und fügt mir unendliches Leid zu, da ihr die Seele, die schon gerüstet war, den elendesten Körper, der jemals lebte, zu verlassen, mit Gewalt zurückgehalten habt. Ach! wisset, daß weder ich noch ein anderer jemals ein Gut mit solcher Inbrunst begehrt hat als das, was mir jetzt durch euch entrissen worden! Schon war ich frei von diesen Ängsten, dem Ziel der Ruhe nahe, und ihr habt es mir entrissen!«

Mannigfaltige Tröstungen der Frauen folgten dieser Rede, aber all ihre Mühe war vergeblich. Doch stellte ich mich von ihrem Zureden getröstet und ersann Ursachen, daß sie mich verließen und meinen Klagen freien Raum gestatten möchten.

Als nun die einen gegangen, die andern verabschiedet worden waren und ich dem Schein nach wieder ein heiteres Ansehen zeigte, blieb ich mit meiner alten Amme und der Dienerin, die um mein Unglück wußte, allein. Jede der beiden reichte mir köstliche Salben und Heilmittel dar, denen meine Krankheit hätte weichen müssen, wäre sie nicht tödlich gewesen. Aber meine Seele lebte nur noch einzig und allein in den unheilvollen Worten, die ich gehört, und plötzlich fühlte ich eine tödliche Feindschaft gegen eine von euch, ihr Frauen, ich weiß nicht gegen welche, in mir erwachen, und schwere Gedanken begannen in mir aufzusteigen. Und der Schmerz, welchen die Brust nicht mehr ganz erfassen konnte, bahnte sich durch Worte des Wahnsinns auf folgende Weise einen Weg:

O! ruchloser Jüngling, du Feind jeder Pflichten, größter Bösewicht von allen Lebenden, mich Unselige hast du nun vergessen, und eine andere Geliebte fesselt dich!

Verflucht sei der Tag, an welchem ich dich zuerst gesehen, verflucht die Stunde und der Augenblick, wo du mir zu gefallen wußtest! Verflucht sei die Göttin, die mir damals erschienen und mich mit süßen Worten, so fest ich auch der Liebe widerstand, dennoch von dem rechten Weg ablockte! Gewiß war es nicht Venus, sondern vielmehr eine höllische Furie, die ihre Gestalt angenommen, um mich mit Wahn und Raserei zu erfüllen. O du unendlich grausamer Jüngling, den ich Betrogene unter so vielen Edlen, Schönen und Kühnen als den besten erwählte; wohin sind jetzt deine Bitten, mit denen du mich oft weinend um die Rettung deines Lebens batest und mir schwurst, daß Leben und Tod in meinen Händen läge! Wo sind sie jetzt, die frommen Augen, denen du, Elender, nach Gefallen falsche Tränen entlocken konntest? Wohin die süßen Worte? Wohin die schweren Sorgen, die du um meinetwillen ertrugest? Ist dies alles aus deinem Gedächtnis verschwunden, oder hast du es jetzt wieder angewandt, deine neue Gebieterin zu entzünden? O verflucht sei das Mitleid, das mich bewog, ein Leben zu retten, das nun eine andere Frau erfreut, während es mir den Tod bringt. Jene Augen, welche mir nur weinten, lächeln jetzt der neuen Geliebten zu, und das bewegliche Herz hat seine süßen Worte und alle seine Huldigungen nun zu ihr gewandt.

Weh mir, o Panfilo! wo sind sie jetzt, die fälschlich angerufenen Götter, wo die versprochene Treue? Wo sind die unendlichen Tränen, deren ich so viele in mich getrunken? Ach! ich sah nur fromme Wahrheit in ihnen, und sie waren deines Verrates voll! Alles dies, ja dich selbst hast du mir entrissen, um es in die Arme deiner neuen Geliebten zu legen! Ach! Weh tat mir schon, als ich hörte, daß du durch die Gesetze der Ehe einer anderen Frau angehörtest. Aber ich fühlte, daß deine mir gelobten Pflichten jenen nicht vorgehen durften, und da ich annahm, daß du jenes Band nur mit vieler Mühe, nur um des Scheines willen ertrügest, litt ich auch viel geringere Qual. Jetzt aber, da ich höre, daß dieselben Gesetze, durch welche du mein wurdest, dich einer anderen gaben, ist mir dies eine unerträgliche Marter. Jetzt wird mir der Grund deines Bleibens klar, erkenne ich meine Einfalt, die mich oft überredete, du würdest gewiß zurückgekehrt sein, wenn du nur gekonnt hättest!

Ach Panfilo! war so viel Kunst wohl nötig, mich zu hintergehen? Warum die heiligsten Schwüre, die Verheißungen unverbrüchlicher Treue, wenn du nur auf Betrug dabei sannest? Warum verließest du mich nicht heimlich oder ohne das Versprechen, zurückzukehren? Zwar liebte ich dich, wie du wohl weißt, sosehr man nur lieben kann, aber ich hielt dich deshalb nicht gefangen, und du hättest ohne all die heuchlerischen Tränen nach deinem Gefallen abreisen können. Ich hätte dann zweifellos augenblicklich alle Hoffnung verloren und den bitteren Kelch auf einen Zug geleert, ich hätte deinen Betrug erkannt und wäre jetzt tot oder hätte dich vergessen, und meine Qualen wären zu Ende. Du aber wolltest sie verlängern und nährtest mich deshalb mit eitler Hoffnung, was ich nicht verdient habe. Ach! wie waren mir einst deine Tränen so süß, die jetzt, da ich ihre Quelle kenne, so unendlich bitter geworden sind! Ach wenn dich die Liebe ihre Herrschaft so hart fühlen ließ wie mich, so begreife ich nicht, wie du, zum zweitenmal ihr Sklave, dich einer zweiten Liebe unterwerfen konntest! Aber was sage ich? Du liebtest nie, freutest dich nur, mit den Herzen junger Frauen dein höhnisches Spiel zu treiben. Hättest du lieben können, so würdest du noch jetzt der Meine sein.

Aber wer du auch seist, o Frau, die ihn mir geraubt hat, so feindlich du mir auch bist, so fühle ich mich doch gewaltsam von Mitleid gegen dich durchdrungen! Hüte dich vor seiner Falschheit, denn wer einmal betrogen hat, den verläßt die heilige Scham auf immer, und er macht sich kein Gewissen daraus, künftig wieder zu betrügen. Weh mir! Du verräterischer Mann, wieviel Gebete und Opfer sandte ich nicht für dein Heil zu den Göttern, für dich, der mir entrissen und einer andern gehören sollte! Ach, ihr Götter, meine Gebete sind erhört, aber eine andere erntet die Früchte! Mir ward der Schmerz, und andere genießen die Seligkeit! Sag, du Verräter, war ich nicht schön genug für deine Wünsche, war mein Adel nicht des deinen würdig? Gewiß mehr als zu sehr! Habe ich jemals verweigert, meine Reichtümer mit dir zu teilen, oder habe ich dir deine geraubt? Gewiß nicht! Habe ich jemals in Wort, Tat oder Schein einen andern Mann geliebt als dich? Du wirst nein sagen müssen, wenn nicht die neue Liebe dir allen Sinn für Wahrheit geraubt hat!

Sprich also, welcher Mangel, welche gerechte Ursache, welche höhere Schönheit oder feurigere Liebe hat dich mir geraubt und einer anderen geschenkt? Gewiß keine! denn die Götter sind meine Zeugen, daß ich nie in irgend etwas gegen dich gefehlt, wenn nicht darin, daß ich dich über alle Grenzen der Vernunft hinaus geliebt habe. Ob ich dadurch dein Betragen gegen mich verschuldet habe? O ihr Götter! ihr gerechten Rächer unserer Vergehen! Ich fordere zur Rache auf, und zu keiner ungerechten! Ich will und suche nicht den Tod dessen, dem ich das Leben erhalten habe und der meinen Tod will. Ich will auch nichts Neues, Ungeheueres gegen ihn ersinnen, nur eines begehre ich: wenn er die neue Geliebte so liebt wie ich ihn, daß sie sich ihm dann entziehe und einem andern gebe, so wie er mir getan hat, und ihn in einem ebensolchen Leben zurücklasse, worin er mich gelassen hat!‹

Und als ich dies gesagt hatte, wand ich mich in wilden Bewegungen ungestüm auf dem Lager, und der ganze Tag ging unter ähnlichen Reden und Klagen hin. Aber als die Nacht herbeigekommen war, wo jeder Schmerz qualvoller wird, weil die Schatten dem Unglück näher verwandt sind als das Licht, da geschah es, daß ich an der Seite meines teuren Gatten ruhend lange Zeit stumm und mit schmerzlichen Gedanken beschäftigt dalag. Die verflossenen Zeiten, die traurigen und die fröhlichen, traten vor mein Gedächtnis, und vor allem die Erinnerung, daß ich meinen Geliebten durch seine neue Liebe verloren hatte. Da wuchs mein Schmerz schnell zu einer solchen Höhe, daß ich ihn nicht länger in mir verschließen konnte, sondern ihm unter heftigem Weinen in jammervollen Worten Luft machte, ohne jedoch die Ursache meines Leidens zu erwähnen.

Meine Klagen wurden endlich so laut, daß mein Gemahl, lange von tiefem Schlaf bezwungen, schließlich davon erweckt ward, sich nach mir hinwandte, die ganz in Tränen gebadet war, mich in seine Arme nahm und mit gütiger und milder Stimme zu mir sprach:

»O mein süßes Leben, sag, welches Leid zwingt dich, mit solchen Klagen die stille Nacht zu bewegen? Welches Leid hat dich nun schon lange mit ewiger Melancholie und Schmerz erfüllt? Verbirg mir nichts, was dich quälen könnte; gibt es etwas, was dein Herz begehrt und was nicht in meiner Macht stünde, dir sogleich zu gewähren? Bist du nicht allein meine Seligkeit, mein Trost? Weißt du nicht, daß ich dich mehr als alles in der ganzen Welt liebe? Nicht eine Probe, sondern gar viele müssen dir dafür bürgen. Warum also weinest du? warum zerquälst du dich mit herbem Schmerz? Scheine ich dir vielleicht unwürdig deines Adels, oder findest du irgend etwas Strafbares an mir, was ich ändern könnte? Sprich es aus, schildere, entdecke mir deine Wünsche: Keiner, der nicht das Gebiet der Möglichkeit überschreitet, soll unerfüllt bleiben! Sieh, wie dein Aussehen und deine Kleidung verändert und alles, was du tust, ängstlich und unstet geworden ist und wie du auf diese Weise auch mein eigenes Leben mit Schmerzen erfüllst. Und wenn ich dich öfters betrübt gesehen, so glaube ich, daß du es heute mehr als je bist. Lange glaubte ich, daß körperliches Übelbefinden an deiner Blässe schuld sei, jetzt aber erkenne ich unwidersprechlich, daß Angst der Seele deinen Körper angreift und dich in diesen Zustand gebracht hat. Und darum bitte ich dich herzlich, entdecke mir jetzt, was von dem allen die Ursache ist.«

Hierauf ersann ich mit weiblicher Gewandtheit mir schnell einen Rat und beschloß zu lügen, obgleich ich in solcher Kunst vorher niemals erfahren gewesen. Ich antwortete ihm:

»O Gemahl, der mir teurer ist als die ganze übrige Welt! Gewiß fehlt mir nichts, was du mir nicht gewähren könntest; auch weiß ich, daß du würdiger bist als ich; der Grund meiner Traurigkeit aber, der vergangenen und der gegenwärtigen, ist einzig und allein der Tod meines vielgeliebten Bruders, der dir bekannt ist. Sooft mir der Gedanke an ihn in die Seele kommt, zwingt er mich zu Klagen und Tränen. Auch ist es nicht eigentlich der Tod, denn ich weiß ja, daß er unser aller Ziel ist, sondern die Art des Todes, die ich beweine, weil sie, wie du weißt, so unglücklich und schimpflich ist. Dann aber zwingen mich die mannigfaltigen traurigen Folgen seines Todes noch zu größerem Schmerz.

Und so kann ich nicht einen Augenblick meine weinenden Augen schließen und mich dem Schlaf hingeben, daß nicht der Bruder blaß, mit Todesschweiß bedeckt und blutend vor mir steht und mir seine grausamen Wunden zeigt. So war es auch jetzt, als du mich weinen hörtest. Eben hatte mir ein Traum seine Gestalt auf das schreckbarste gezeigt; kraftlos, zitternd stand er vor mir, und seine ängstlich beklommene Brust schien kaum ein Wort hervorbringen zu können. Endlich stöhnte er mit höchster Anstrengung die Worte: ›O teure Schwester! Nimm die Schmach von mir, die mich zwingt, mit düsterer Stirn und zur Erde gesenktem Blick traurig unter den anderen Schatten umherzugehen!‹ Und ich, obgleich ich einigen Trost empfand, ihn zu sehen, ward von so heftigem Mitleiden mit seinem Zustande ergriffen, daß ich zusammenfuhr und der Traum entfloh. Ich erwachte und zerfloß in Tränen, die du mir jetzt liebreich trocknest, die Schuld meines Mitleids damit bezahlend. Ja, wenn Waffen mir geziemten, so wissen die Götter, ob ich nicht den Bruder schon längst gerächt haben würde, damit er mit freier Stirn unter den anderen Geistern einherschreiten könnte, aber so kann ich nichts tun als weinen. Und nun siehst du wohl, mein teurer Gemahl, daß ich nicht ohne Ursache so tief betrübt bin.«

O! wieviel liebe mitleidige Worte sagte er mir jetzt, um die Wunde zu heilen, die schon lange geheilt war! Wie bemühte er sich, meine erlogenen Klagen durch wahre Trostgründe zu mildern. Und nachdem er mich beruhigt und getröstet glaubte, gab er sich wieder dem Schlummer hin, während ich, durch seine Freundlichkeit mit desto grausamerem Schmerz erfüllt, alle vorige Angst von neuem empfand und leise weinend sprach:

›O! ihr tiefen, furchtbaren Klüfte, von reißenden Tieren bewohnt! O Hölle, du ewiger Kerker, zum Wohnort der Verbrecher bestimmt, und wenn irgend noch ein tieferer verborgener Verbannungsort, er nehme mich auf und gebe mich Strafbare der verdienten Marter hin! O höchster Jupiter! Mit Recht bist du gegen mich erzürnt, laß nun deine Donner hören und zerschmettere mich mit schneller Hand mit deinen feurigen Pfeilen! O heilige Juno, deren heiligste Gesetze ich Verworfene verachtete, räche dich! Ihr blutgierigen Geier, ihr kaspischen Schlangen, kommt und zerfleischt diese traurigen Glieder! Ihr grausamen Rosse, die einst den unschuldigen Hippolyt zertraten, tötet mich Schuldige jetzt! O frommer Gemahl, senke mit gerechtem Zorn den Stahl in meine Brust, daß mit meinem Blut auch die schuldbeladene Seele hinwegfliehe, die dich betrogen hat! Kein Mitleid, kein Erbarmen soll gegen mich geübt werden, weil ich die Treue gegen das heilige Band der Ehe der Liebe des fremden Jünglings aufopfern konnte! O ruchlose Frau, strafbarer als irgend eine andere! Du bist der Qual, die du duldest, würdig und noch größerer: sag, welche Furie blendete deine sonst so keuschen Augen an dem Tage, da Panfilo dir zuerst gefiel? Sag, wo ließest du die schuldige Pflicht gegen die heiligen Gesetze der Ehe, wo blieb die Zucht, die höchste Zierde der Frauen, als du deinen Gemahl verließest für Panfilo? Wo bleibt jetzt die Pflichttreue des geliebten Jünglings gegen dich? Wo findest du den Trost, den er dir in deinem Elend schuldet?

In den Armen einer andern Geliebten verscherzt er fröhlich die flüchtige Zeit, du kümmerst ihn nicht mehr, und er hat recht: denn du hast verdient, daß es dir also ergehe, dir und jeder Frau, die die rechtmäßige Liebe der leichtfertigen hintansetzt. Dein Gemahl, der dir mit Recht zürnen könnte, bemüht sich, dich zu trösten, da jener, der dich trösten sollte, sich nicht scheut, dich zu strafen. Und ach! ist dein Gemahl nicht so schön wie Panfilo? Gewiß ist er's; übertrifft er an Tugend, Adel und vielen andern Dingen ihn nicht weit? Warum denn also ihn um eines andern willen verlassen? Welche Verblendung, welche Selbstvergessenheit, welches Verbrechen, welche Gottlosigkeit hat dich dahin gebracht? Ach! weh mir, daß ich es selbst nicht weiß; nur das weiß ich, daß alle Dinge, in deren freiem Besitz wir sind, als wertlos und schlecht verworfen zu werden pflegen, so kostbar sie auch sein mögen, und was man mit Mühe gewinnt, so gering es oft ist, doch für höchst kostbar erachtet wird.

Die allzu innige Vereinigung mit dem Gemahl, die mir so teuer hätte sein sollen, hat mich zum Bösen verführt; und ich beweine jetzt mit bittern Tränen, daß ich ihm nicht widerstanden habe, zumal die Götter mich wachend und schlafend in der Nacht und am Morgen vor meinem Untergang gewarnt haben. Doch der Wille fehlte mir! Jetzt aber, da es nicht mehr in meiner Macht steht, nicht zu lieben, wenn ich das auch wollte, jetzt erkenne ich die Schlange, die unter Blumen mir nahte, mich nah am Herzen verwundete und mit meinem Blute gesättigt davonschlich. Jetzt weiß ich auch, was die Blume bedeuten sollte, die damals von meinem unseligen Haupte herabfiel; aber zu spät kommt mir diese Erkenntnis!

Vielleicht wollten die Götter ihrem Zorn gegen mich Genüge leisten, bereuten die Winke und raubten mir die Erkenntnis, da sie die Zeichen selbst nicht ungeschehen machen konnten, so wie einst Apollo der geliebten Cassandra erst die Gabe der Weissagung verlieh und ihr dann die Glaubwürdigkeit nahm. Deshalb verzehre ich mich, in tiefen Jammer versenkt, nicht ohne rechtmäßige Ursache!‹ In solchen leisen und bitteren Klagen warf ich mich auf dem Lager hin und her und brachte die Nacht ohne viel Schlaf hin. Wenn auch der Schlummer vielleicht auf Augenblicke die traurige Brust besuchte, so war er so schwach, daß auch die leiseste Regung ihn unterbrechen konnte, und dennoch stark genug, durch seine verworrenen Bilder wilde Kämpfe in meinem Gemüt hervorzubringen. Und so ging es mir nicht allein in dieser Nacht, sondern in vielen darauf folgenden, und bald in allen. Denn wachend und schlafend empfand und empfindet meine Seele dieselbe Qual und Unruhe. Die nächtlichen Klagen heben jedoch die Leiden des Tages nicht auf; ja, da ich jetzt durch die meinem Gemahl erzählte Fabel meinen Schmerz für gerechtfertigt ansah, hielt ich seit dieser Nacht meine Tränen nicht mehr zurück und scheute mich nicht, meinen Schmerz sogar öffentlich zu zeigen.

Aber als der Morgen gekommen war, trat meine teure Amme, der ja kein Teil meiner Qual verborgen war, herein. Sie hatte zuerst auf meinem Gesicht die Liebe entdeckt und sogleich die Folgen geahnt. Sie hatte mich auch jetzt beobachtet, als ich die Nachricht von Panfilos Treulosigkeit gehört, und sehr um mich besorgt, eilte sie, sobald mein Gemahl das Gemach verlassen hatte, zu mir. Und als sie mich, von den Ängsten der vergangenen Nacht noch ganz entkräftet, auf dem Lager liegen sah, versuchte sie mit mancherlei Reden meinen wilden Schmerz zu lindern; sie nahm mich in ihren Arm, trocknete mit bebender Hand mein trauriges Gesicht und flüsterte mir von Zeit zu Zeit folgende Worte zu:

»Mein Töchterchen, glaube mir, dein Unglück kränkt mich über alles und würde es noch mehr, wenn ich dich nicht vorher gewarnt hätte. Du aber, lüsterner als weise, verschmähtest meinen Rat und folgtest deinen Trieben, und so sehe ich dich nun auch mit betrübtem Gesicht an das Ziel gelangt, wohin dergleichen Fehltritte immer führen. Weil aber nun jeder Mensch, wenn er anders guten Willen hat, sich, solange er noch lebt, von den bösen Wegen abwenden und auf den Weg des Guten zurückkehren kann, so wollte ich recht sehr froh sein, wenn du nur jetzt die Augen deines Gemüts, die von dem täuschenden Dunkel dieses gottlosen Tyrannen ganz umfangen sind, wieder erheben und ihnen das klare Licht der Wahrheit wiedergeben wolltest! Wer dieser Tyrann sei, das können dir die flüchtigen Freuden und die langen Schmerzen, die du durch ihn erlitten hast und leidest, zur Genüge kundtun!

Jung wie du bist, bist du lieber deiner Neigung als der Vernunft gefolgt; und weil du liebtest, hast du nach dem Ziel der Liebe gestrebt und, wie ich dir vorhergesagt, ein kurzes Entzücken genossen. Niemand kann ein anderes wünschen und haben, als dir geworden ist. Ja, wenn es auch geschähe, daß dein Geliebter in deine Arme zurückkehrte, so würdest du dennoch nichts anders als die gewohnte Lust empfinden. Die heftigen Begierden pflegen sonst nach neuen Dingen zu trachten, weil die Hoffnung, irgendein verborgenes Gut zu finden, das doch niemals kommt, die Begierde reizt. Nach schon bekannten Dingen dagegen verlangt man mit weit mehr Mäßigung. Du aber tust das Gegenteil, weil du allzu heftig den verbotenen Gelüsten nachjagst und nichts als dein Vergnügen willst. Wer weise ist, pflegt sich zurückzuziehen, sobald ihn sein Weg auf gefahrvolle, beschwerliche Stellen führt. Er will lieber alle Mühe verloren geben und sicher zurückkehren als durch ein weiteres Fortgehen sich der Todesgefahr aussetzen. Solchem Beispiel folge du auch, dieweil du noch kannst, und da du jetzt ruhiger geworden bist, so setze die Vernunft an die Stelle des Willens und ziehe dich geschickt aus den Gefahren und Ängsten heraus, in die du durch deine Torheiten geraten bist. Das Glück, wenn du nur mit gesundem Auge um dich her schauen willst, ist dir geneigt; es hat dir nicht den Rückweg abgeschnitten noch dich so verstrickt, daß du nicht deine Fußtapfen wohl unterscheiden, auf denselben Pfad zurückkehren und wieder die Fiammetta werden könntest, die du vormals warest. Dein guter Ruf ist unverletzt, und alles, was du getan, hat ihn in der Meinung der Menschen nicht mit dem kleinsten Flecken verunstaltet, während viele andere junge Frauen durch den Verlust ihres guten Namens in zahllose Übel gestürzt worden sind. Wolle denn also nichts weiter begehren, damit du nicht das verlierst, was die Glücksgöttin dir noch gelassen hat. Tröste dich und denke bei dir selbst, du hättest Panfilo nie gesehen oder dein Gemahl sei Panfilo. Die Phantasie paßt sich allem an, und gutgemeinte Einbildungen lassen sich leicht nach Gefallen formen. Es ist kein anderes Mittel, dich wieder leicht und fröhlich zu machen, als dies, doch mußt du von ganzer Seele darnach verlangen, wenn du wirklich so geängstet bist, als deine Gebärden und Worte bezeugen.«

Diese und ähnliche Reden der alten Amme hörte ich oft mit schwerem Herzen an, ohne ein Wort darauf zu erwidern. Und obgleich meine Verwirrtheit unaussprechlich war, so erkannte ich doch ihre Wahrheit, aber meine Gedanken waren nicht fähig, sie mit Nutzen aufzunehmen. Geängstigt wandte ich mich bald hier-, bald dorthin, und plötzlich rief ich, die Gegenwart der Amme nicht achtend, von ungeheurem Zorn überwältigt, mit einer Stimme, ungestümer als weibliche Würde sie erlaubt, und mit heftigem Weinen aus:

»O! Ihr Furien der Hölle, ihr Peinigerinnen der verdammten Seelen, schüttelt eure fürchterlichen Locken und wendet alle eure Schlangen von Grimm entbrannt mit neuen Schrecken gegen mich! Eilet pfeilschnell in die verfluchte Kammer jener verräterischen Frau, zündet eure unseligen Fackeln an und beleuchtet zur schrecklichen Warnung für alle strafbar Liebenden ihr hochzeitliches Lager! O ihr Bewohner aus Plutos schwarzem Hause! O ihr Götter der unsterblichen stygischen Reiche, erscheint und haucht mit euren Wehklagen Schrecken in die Brust jener treulosen Liebenden! Du Unglück weissagende Eule, singe dein trauriges Lied auf ihrem Dach! Und ihr, Harpyien, gebet schreckliche Zeichen vom kommenden Verderben! Ihr unterirdischen Schatten, du ewiges Chaos, ihr Finsternisse, Feinde alles Lichts, kommt, umwachet das verbrecherische Haus, daß die verruchten Augen keines Lichtstrahls mehr genießen! Und ihr ewigen Rächerinnen der Schuld, sendet euren Haß, eure Zwietracht in die wankelmütigen Seelen, damit eine unversöhnliche Feindschaft sie voneinanderreiße!«

Hier hielt ich mit einem tiefen Seufzer inne, dann fuhr ich fort: »O du verabscheuungswürdige Frau! Wer du auch seist, mir unbekannt, du besitzest jetzt den Geliebten, den ich so lange erwartet, und ich Unselige schmachte von ihm entfernt! Du erntest den Lohn für meine Mühe, die Aussaat meiner Gebete trägt keine Früchte für mich! Ich opfere den Göttern Gebet und Weihrauch für das Glück dessen, den du mir stehlen durftest, und alles ward erhört zu deinem Glück! Ich weiß nicht, wie und durch welche Künste du es dahin gebracht hast, dich statt meiner in sein Herz zu schleichen, ich weiß nur, daß es geschehen ist. Doch wie du meinen Frieden gestört hast, so wird auch der deine nicht ohne Störung bleiben. Und wenn er vielleicht zum drittenmal liebt und die Götter seiner Liebe feindselig sind, so wird all ihr Zorn und ihr hartes Urteil sich gegen dich wenden, er aber wird unangetastet bleiben.

O Verräterin! wenn du jemals sein Angesicht genau betrachtetest, konntest du wohl glauben, daß dieser Jüngling ohne Geliebte sei? Und wenn du es dachtest, wie konntest du dann wagen, zu nehmen, was schon einer andern gehörte? Gewiß mit feindseliger Seele tatest du es. Und so will auch ich dich als meine Feindin und unrechtmäßige Besitzerin meines Gutes immer verfolgen, und mein ganzes Leben soll sich einzig und allein durch die Hoffnung deines Todes nähren; doch bitte ich, daß du nicht so leicht und gemein wie andere hinsterben möchtest. Unter wütende Feinde müßtest du geschleudert werden, und kein Feuer oder Grabmal soll deinen zerfleischten Körper aufnehmen, sondern Geiern oder Hunden, nach Raub begierig wie du selbst es im Leben wärest, müsse er zur Speise dienen! Kein Tag, keine Nacht, keine Stunde soll vergehen, ohne daß mein Mund Verwünschungen gegen dich aushauche, und nie, nie werde ich damit einhalten! Ja, eher wird das Himmelsgestirn, der Bär, sich in dem Ozean baden und die schnell reißende Welle der sizilianischen Charybdis unbeweglich stillstehen; eher wird das Hundegebell der Scylla schweigen und in dem Ionischen Meere reifes Korn wachsen; eher die dunkle Nacht Licht verbreiten und das Wasser mit dem Feuer, der Tod mit dem Leben und das Meer mit den Winden friedlich zusammen bestehen; ja, solange der Ganges lau bleiben wird und der Istro kühl, solange die Berge Eichen tragen und die Wiesen Kräuter, will ich meinen Krieg mit dir führen! Und diese Feindschaft wird auch der Tod nicht brechen; auch unter den Schatten will ich dir folgen und mit allen Schmähungen, die dort in meiner Macht stehen, dir noch zu schaden streben! Und wenn du mich vielleicht überleben solltest, wie auch die Art meines Todes sei, wohin auch mein unseliger Geist gehen wird, so will ich mich gewaltsam dort loszureißen suchen und in dich dringen, dich gleich den delphischen Priesterinnen, wenn der Gott sie ergreift, zur Raserei treiben. Oder ich erscheine dir; schrecklich soll, wenn du wachest, meine Gestalt vor dich treten und oft dich in fürchterlichen Formen während der stillen Nacht emporschrecken. Mit einem Wort, was du auch beginnen magst, so will ich stets vor deinen Blicken schweben und nie dir Ruhe gönnen. Solange ich lebe, will ich dich mit ebender Furie quälen, die mich quält, und bin ich tot, dir noch weit ärgere Qualen bereiten.

Aber ach! an wen richten sich meine Worte? Was ich dir drohe, das machst du an mir wahr; und im Besitz meines Geliebten kümmern dich meine Flüche sowenig wie den größten Monarchen die Drohungen des ohnmächtigsten Sklaven. O! hätte ich jetzt die Erfindungskraft des Dädalus oder den Wagen der Medea, wie schnell wollte ich mit Flügeln an den Schultern oder durch die Lüfte getragen mich an dem Ort einfinden, wo du deinen Liebesraub birgst! O! mit was für Worten wollte ich – zornigen und drohenden – den falschen Jüngling und dich, Räuberin fremder Güter, überströmen! O! mit welchem Schimpf wollte ich euch euren Fehltritt klarmachen, und wenn ihr dann beide voll Scham über eure begangene Schuld vor mir stündet, ohne Verzug zur ausgelassensten Rache schreiten. Vor den Augen des treulosen Geliebten wollte ich meinen Zorn an dir sättigen; zerfleischen wollte ich dein Gesicht, das ihn bezaubert hat, unheilbar verletzen deine falschen Augen, vernichten all deine Schönheit, die du zu meinem Verderben gebrauchst, und hätte ich dich dann in einen Zustand versetzt, daß er, der dir jetzt schmeichelt, dich nur mit Bedauern und Widerwillen ansehen und statt deines Liebhabers dein Arzt werden müßte, da würde ich leicht und fröhlich in mein trauriges Haus zurückkehren!«

Während ich diese Worte sagte, funkelten meine Augen, meine Zähne schlugen zusammen, und meine Fäuste ballten sich, gleich als wenn ich wirklich alles vor mir sähe und bereits einen Teil der ersehnten Rache vollzogen hätte.

Aber fast mit Weinen sagte mir die alte Amme: »Ach! meine Tochter, da du die rasende Tyrannei des dich beherrschenden Gottes kennst, so mäßige dich und halte dein Geschrei zurück. Und wenn das schuldige Mitleid gegen dich selbst dich nicht dazu bewegt, so tue es um deiner Ehre willen, damit nicht aus der alten Schuld leicht neue Schmach erwachsen möge. Schweige wenigstens, damit nicht dein Gemahl die traurige Geschichte vernehme und mit vollem Recht aus doppelter Ursache sich über deinen Fehltritt beklage.«

Kaum gedachte ich des Gatten, kaum trat das Bild der gebrochenen Treue, der schlecht gehaltenen Gesetze vor meine Seele, als ich von neuem Schmerz durchdrungen noch stärker weinte und also zur Amme sprach:

»Ach! du getreueste Gesellin meiner Leiden, mein Gemahl hat wenig Ursache, sich zu beklagen! Der Urheber meiner Schuld hat sie bereits strengstens gerächt! Den Lohn, den ich verdiente, habe ich empfangen, und der Gemahl könnte mir keine größere Strafe auferlegen, als mir der Liebhaber schon gegeben hat. Nur der Tod allein – wenn er anders so schmerzhaft ist, wie man sagt – bleibt meinem Gatten noch übrig, um mich zu strafen. Er komme und gebe mir ihn! Mir ist er nicht Pein, sondern Freude, denn ich sehne mich nach ihm, und er wird mir von der Hand des Gatten freundlicher sein als von meiner eigenen. Gibt sie mir nicht den Tod und kommt er auch nicht von selbst, so werde ich ihn schon selbst herbeiführen; denn durch ihn hoffe ich an das Ende aller Schmerzen zu gelangen. Die Hölle, der Ort der Unseligen, hat in ihren brennendsten, tiefsten Schlünden keine Qual, die meiner gleich ist. Tityus' Schicksal galt den Alten als das stärkste Beispiel des Leidens, weil die Geier ihm unaufhörlich die stets frisch wachsende Leber fraßen. Achte ich diese Pein auch nicht gering, so kommt sie doch der meinigen nicht gleich. Ihm fraßen die Geier die Leber, mir aber zernagen hunderttausend Sorgen, die schärfer als der Schnabel irgendeines Vogels sind, das Herz. Tantalus stirbt mitten im Wasser unter herabhängenden Früchten vor Hunger und Durst, und so verlange ich auch mitten unter allen Ergötzlichkeiten der Welt mit nie gesättigter Begierde nur nach meinem Geliebten, und da ich ihn nie erreichen kann, leide ich in demselben Maße als er, ja noch mehr. Denn Tantalus hält bei dem Anblick der nahen Welle und der benachbarten Früchte noch immer an der Hoffnung fest, sich einmal sättigen zu können. Ich aber muß jetzt an dem verzweifeln, was ich zu meinem Trost gehofft hatte, und er, den ich mehr liebe denn je, hat sich gutwillig durch fremde Gewalt zurückhalten lassen und mich ganz und gar von sich entfernt. Ja selbst der unselige Ixion, der auf ewig auf das Rad geflochtene, empfindet keinen Schmerz, der mit dem meinigen sich vergleichen dürfte. Und wenn Danaus' Töchter mit vergeblicher Mühe das Wasser in die bodenlosen Krüge schöpfen und sie immer noch voll zu sehen hoffen, so ergießen sich auch aus meinem traurigen Herzen ewig verlorene Tränen durch die verweinten Augen.

Doch warum bemühe ich mich, alle die höllischen Strafen nacheinander aufzuzählen? Ist es nicht genug, zu wissen, daß in mir sich eine größere Qual vereinigt findet, als die Verdammten einzeln oder zusammen erdulden? Wiegt nicht allein schon die Angst, mit der ich meine Schmerzen oder wenigstens ihre Ursachen verborgen halten muß, alles andere auf? Jene dürfen ihre Schmerzen laut ausschreien und in allen Mienen und Gebärden ausdrücken. Schon dadurch ist meine Qual größer als die ihrige. Ach! wie weit heftiger tobt und verzehrt das verschlossene Feuer als das, dessen Flammen frei auflodern können! Und wie hart ist es, keine Stimme für seine Schmerzen haben, niemandem sein Leid klagen zu dürfen, sondern unter dem erlogenen Schein eines fröhlichen Gesichts den schweren Kummer still im Herzen zu verschließen! Darum würde mir der Tod kein Schmerz, sondern vielmehr Erlösung vom Schmerze sein. Er komme denn, der teure Gatte, daß er mit einem Male sich räche und mich befreie! Er öffne mit seinem Schwert meine unglückselige Brust, daß mit dem Blute zugleich die trauernde Seele und ihre Qualen hinwegströmen; er zerreiße den Aufenthalt all dieser Gedanken, das Herz, das ihn betrogen und das Bild seines Feindes willig aufgenommen hat, und bestrafe mich so, wie meine Schuld verdient!«

Hierauf sagte die alte Amme mit leiser Stimme, als sie mich von neuem in stummem, bitterm Schmerz vertieft sah:

»O teures Kind! was hast du doch für seltsame Träume! Wie sind deine Worte so eitel, und noch weit mehr dein Tun! Ich habe lange in der Welt gelebt, und du kannst glauben, daß ich viele Dinge gesehen und die Liebeshändel vieler Frauen gekannt habe. Und ob ich mich gleich nicht unter deinesgleichen zählen kann, so habe ich doch deshalb nicht minder das Gift der Liebe kennenlernen, das schmerzlich und noch viel schmerzlicher wirkt bei geringem Volk als bei den Großen; denn den Geringen sind alle Wege zur Zerstreuung verschlossen, die durch Reichtum mit leichter Mühe geöffnet werden können. Aber das, was dir unmöglich und so sehr schmerzlich erscheint, habe ich von niemandem so hart schildern hören noch empfunden. In diesem Schmerz, so heftig er auch sein mag, soll man sich doch nicht ganz verzehren und deshalb den Tod herbeirufen, den du mehr zornig als verständig begehrst. Wohl weiß ich, daß die Raserei des entbrannten Zorns ganz blind ist, sich um kein Verbergen mehr kümmert, keine Schranken erträgt und dem Tode trotzt; ja in ihrer Vermessenheit sich selbst der tödlichen Spitze des scharfen Eisens entgegenstellt. Aber wenn man diesen Zorn ein wenig abkühlen läßt, so zweifle ich nicht, daß sich die große Torheit desselben kundtun werde. Und darum, Töchterchen, ertrage jetzt den heftigen Anfall der Wut und laß ihm freien Lauf. Merke nur ein wenig auf meine Worte und stärke deine Seele durch die Beispiele, die ich dir anführe. Wenn ich anders deine Worte recht begriffen habe, beklagst du dich mit schwerem Herzen über die Abreise des geliebten Jünglings, über die verletzte Treue und über die neue Geliebte. Und keine Pein scheint dir der deinen gleichzukommen.

Aber wenn du weise bist, wie ich es wünsche, so wirst du meine Reden wohl anhören und alles dies mit gutem Erfolg wie eine heilsame Arznei betrachten. Nach den Gesetzen der Liebe sollte der Mann, den du liebst, dich ohne Zweifel mit gleicher Liebe wiederlieben; tut er es nicht, so handelt er schlecht, aber keine Gewalt kann ihn zwingen, es zu tun. Denn jeder kann das Geschenk der Freiheit so gebrauchen, wie es ihm gefällt. Wenn du ihn heftig liebst, um seinetwegen unerträgliche Qualen leidest, so trägt er deshalb keine Schuld, und du hast kein Recht, dich über ihn zu beklagen. Du selbst bist die Urheberin von allem diesem. Amor, eine so mächtige Gottheit er auch ist und so unbezwinglich seine Gewalt, hätte doch gegen deinen eigenen Willen dir das Bild des Jünglings niemals tief ins Gemüt eindrücken können.

Dein Gefühl und die müßigen Gedanken waren die erste Veranlassung, dich zu verlieben. Hättest du nur tapfer widerstanden, so wäre dies alles nicht geschehen, sondern mit freiem, unbezwungenem Mut hättest du über ihn und jeden andern lachen können, so wie du sagst, daß er unbekümmert um dich jetzt deiner lache.

Nun aber, da du ihm deine Freiheit ganz unterworfen hast, folgt auch notwendig, daß du dich ganz nach seinem Belieben richten mußt. Ihm gefällt es jetzt, fern von dir zu sein, und so muß es dir gleichfalls ohne den geringsten Verdruß gefallen. Wenn er dir mit Tränen unverletzte Treue gelobte und bald zurückzukehren versprach, so tat er nichts Neues, Unerhörtes, sondern er tat, was seit den ältesten Zeiten alle Liebhaber zu tun pflegen. Das sind ja die Sitten, die an dem Hof deines Gottes üblich sind. Und wenn er dir sein Gelübde nicht gehalten hat, so gibt es keinen Richter, der darüber Recht spricht. Niemand kann etwas anderes sagen, als er habe schlecht gehandelt, und sich dann mit dem Gedanken beruhigen, daß, wenn das Schicksal sich jemals so gegen ihn stellte, wie es dich jetzt behandelt hat, ihm dasselbe widerfahren müsse. Auch ist er keineswegs der erste, der so handelt, noch du die erste, der solches begegnet.

Jason reiste von Lemnos ab, verließ Hypsipylen und kehrte nach Thessalien zur Medea zurück. Paris ließ Önonen in den Wäldern des Ida und eilte nach Troja zu Helenen, Theseus eilte nach Athen zur Phädra und verließ Ariadnen, und doch töteten sich die verlassenen Geliebten deshalb nicht; sie verjagten die unnützen Gedanken und vergaßen ihre falschen Liebhaber. Ich wiederhole dir, du darfst dich nicht über Amors Bosheit beklagen, er hat dir kein Leid zugefügt, als was du von ihm hast haben wollen. Unbefangen gebraucht er Bogen und Pfeile und bekümmert sich nicht, was er damit stiftet. Ist er schuld, wenn man sich nicht gegen seine Pfeile verwahrt oder die empfangene Wunde mutwillig pflegt und nährt? Und so hat sich keiner bei dem, was geschieht, über ihn, sondern nur über sich selbst zu beklagen. Amor ist ein weichliches, nacktes, blindes Kind, das fliegend umherschweift, ohne zu wissen wohin. Alle Klagen über ihn, die Verzweiflung und die Verwünschungen, sind nur leere Worte, die niemand hört.

Und so hat vielleicht auch die vielgeschmähte Gebieterin, die deinen Geliebten gefesselt hält oder von ihm gefangen worden ist, nicht durch eigene Schuld, sondern von dem Jüngling verführt gehandelt. So wie du seinen Bitten nicht hast widerstehen können, hat vielleicht sie, leicht beweglich wie du, ihn nicht ohne Rührung anhören können. Da er, wie du sagst, weinen kann, wann er will, so hast du erfahren, welch eine unwiderstehliche Gewalt Tränen haben, wenn sie mit Schönheit vereint sind. Und gesetzt auch, daß die Dame ihn durch Worte und Gebärden mit einem Liebesnetz umsponnen hat: ist es nicht heutzutage in der ganzen Welt Brauch, daß jeder nur seinen Vorteil sucht, und wenn er ihn gefunden, ihn ohne Rücksicht auf andere festzuhalten sucht? Die gute Dame war vielleicht nicht minder klug in solchen Dingen als du, und da sie ihn sehr liebenswürdig fand, hat sie ihn für sich behalten.

Und was hält dich denn ab, mit einem anderen ein Gleiches zu tun? Zwar würde ich es nicht raten und loben, aber wenn du nicht anders kannst und ohne Liebe nicht zu leben weißt, so solltest du dir deine Freiheit wiedererobern. Schwer wird es nicht sein, denn es gibt zahllose Jünglinge, die sicherlich deiner würdiger sind und sich dir willig unterwerfen werden. Die Freude an ihnen wird Panfilos Bild dann ebensoleicht aus deinem Herzen verdrängen, als die neue Geliebte wahrscheinlich dein Andenken in seinem verwischt hat. Glaube nur, Jupiter lächelt über gebrochene Schwüre und Gelübde der Liebenden. Und wer andern tut, wie ihm selbst geschehen ist, tut nicht unrecht, denn die ganze Welt verfährt nach diesem Grundsatze. Einem Ungetreuen treu zu sein wird heutzutage für Torheit geachtet, aber den Betrug mit Betrug zu vergelten heißt weise handeln. So tröstete sich Medea, als Jason sie verlassen hatte, mit Ägeus, und die vom Theseus betrogene Ariadne ward die Braut des Bacchus, deren Tränen sich in Fröhlichkeit verwandelten. Ertrage drum also deine Leiden geduldiger, denn du hast dich eigentlich weniger über andere als über dich selbst zu beklagen. Hast du nur erst den ernstlichen Willen, deinen Gram zu verjagen, so werden sich bald Mittel dazu finden. Bedenke auch, daß noch härtere Leiden doch endlich vorübergegangen sind. Wie viele liebten noch heftiger als du, wurden getrennt und mußten sich dennoch zufriedengeben. Erforsche die Geschichte der Heroen und hervorragenden Menschen, und du wirst finden, daß sie noch weit tiefer verwundet wurden als du und sich doch in Geduld faßten. Da du nun weder die erste noch die einzige bist, die solches Leid erduldet, so ermanne dich. Alles, wobei der Mensch Gefährten hat, kann nicht so ganz unerträglich und schwer sein, wie du es schilderst.

So erfrische dein Gemüt, fasse neuen Mut, verjage die alten Sorgen und beherrsche dich vor deinem teuren Gemahl, damit ihm diese Begebenheit nicht zu Ohren komme. Wenn er auch, wie du sagst, dir nichts als das Leben nehmen kann, so muß doch der Mensch, da er nur einmal stirbt, sehen, daß es auf die bestmögliche Art geschehe. Bedenke doch, wenn du den Tod auf die Weise fändest, wie du dir wünschest, mit welcher Ehrlosigkeit und ewiger Schmach dein Andenken unter den Menschen befleckt sein würde! Wir müssen lernen, alle irdischen Dinge als vergänglich zu betrachten; keiner soll der Zukunft fest vertrauen, wenn er glücklich ist, aber keiner auch soll im Unglück an dem Besserwerden zweifeln. Clotho verwirrt die irdischen Fäden, sie hintertreibt Fortunas Beständigkeit und dreht unaufhörlich an dem Rade des Schicksals. Niemandem noch ist es gelungen, sich die Götter so geneigt zu machen, daß sie ihm für das Künftige Bürgschaft geleistet hätten. Die Götter reißen voll Zorn wieder nieder, was sie aufbauten, wenn sie durch Sünde gereizt werden, Fortuna aber erhebt die Starken und zertritt die Verzagten!

Jetzt ist es Zeit, zu zeigen, ob du Tugend besitzest oder ob die Widerwärtigkeiten deines Geschicks imstande sind, sie ganz zu verhüllen. Leider ist es ja die Eigenschaft der Hoffnung, daß sie in großer Trübsal stumm ist und uns keinen Ausweg zeigt. Wer nur noch etwas hoffen kann, der verzweifelt nicht. Wir alle sind dem Schicksal unterworfen, und glaube mir, wir können mit aller Sorge nicht das mindeste an den Dingen ändern, die es vorschreibt. Alles, was wir Sterbliche tun oder leiden, ist vom Himmel über uns verhängt. Lachesis spinnt unseren Lebensfaden an ihrem Rocken nach abgemessenen Gesetzen und führt alle Dinge auf vorgeschriebenen Wegen zum Ziel; dein erster Tag bestimmt deinen letzten. Es ist uns nicht vergönnt, den einmal festgesetzten Schlüssen eine andere Wendung zu geben. Vor der unbeweglichen Ordnung der Dinge zu zittern hat schon vielen geschadet, vielen auch, daß sie sie nicht fürchteten. Während sie noch vor ihrem Schicksal zagten, hatte sie dasselbe bereits ereilt.

Darum laß die Schmerzen, die du eigenwillig erwählt hast, fahren, lebe fröhlich, hoffe auf die Götter und tue Gutes. Schon oft gelangte der Mensch, wenn er am fernsten von aller Glückseligkeit zu sein glaubte, mit einem einzigen Schritte wieder zu ihr. Wie viele Schiffe, die in stolzer Sicherheit die offene See durchliefen, strandeten ganz nahe beim sicheren Hafen; während andere, an deren Rettung jedermann verzweifelte, endlich wohlbehalten zurückkehrten. Auch sah ich schon Bäume, die Jupiters Blitz entzündet hatte und die dennoch nach wenigen Tagen in neuem Blätterschmuck prangten, dagegen andere, die mit der größten Sorgfalt gepflegt wurden, durch unbekannte Ursache vertrocknen und sterben. Das Schicksal, das dir soviel Leid bereitet hat, kennt auch – wenn du nur dein Leben mit Hoffnung nährst – ebensoviel Wege, dich mit Freude zu erquicken.«

Mit solchen Reden suchte die kluge Alte nicht einmal, sondern oft meine Schmerzen und meine Angst zu verjagen, was doch nur der Tod allein vermocht hätte. Wenige ihrer Worte oder besser kein einziges rührten mein bewegtes Gemüt, und der größte Teil verlor sich fruchtlos in den Lüften. Mein Leiden aber nahm von Tag zu Tag mehr die trauernde Seele ein. Wenn ich in solcher Verfassung ohne Ruhe auf dem reichgeschmückten Lager lag und mit dem Arm das Gesicht verdeckte, wälzten sich mannigfaltige und wunderliche Gedanken in meinem Kopfe hin und her. Schreckliche Sachen werde ich sagen müssen, von denen man nicht glaubt, daß ein Weib sie gedacht haben könnte, wenn nicht schon in der Vergangenheit Beispiele von solchen und noch ärgeren Dingen zu finden wären. Im tiefsten Herzen von einem unendlichen Schmerz ganz überwältigt, voll Verzweiflung, von dem Geliebten entfernt zu sein, hielt ich folgendes Selbstgespräch:

›Siehst du nun, daß du ebensoviel Ursache hast, diese Welt zu verlassen, wie einst Dido und daß dich Panfilo ebensosehr und noch weit mehr dazu veranlaßt, als Äneas? Sein Wille ist, daß ich diese Erde verlasse und neue Regionen suche. Und ich, die ihm nun einmal unterworfen ist, will tun, was er will, und mit einem Male auf eine würdige Weise meinem Geliebten, der begangenen Schuld und dem betrogenen Gatten Genüge tun. Und wenn dem aus des Leibes Kerker erlösten Geist in der neuen Welt einige Freiheit vergönnt ist, will ich unverzüglich zu ihm eilen, damit die Seele lebe, wo der Körper nicht verweilen konnte. Ich will also sterben, und diesen grausamen Dienst kann ich am besten mir selbst erzeigen. Denn keine fremde Hand könnte so mitleidslos sein, daß sie mir den verdienten Tod würdig genug bereitete. Ohne weiteren Verzug erwähle ich also den Tod, und so dunkel auch sein Bild vor mir steht, so ist mir doch die Erwartung desselben lockender als das jammervolle Leben!‹

Da ich nun diesen festen Entschluß gefaßt hatte, begann ich bei mir selbst zu überlegen, welche unter den tausend verschiedenen Todesarten wohl die beste für mich sei.

Zuerst dachte ich an den Stahl, dessen Spitze schon manches Leben durchschnitten hat, und dann fiel mir der Tod von Byblis und Amata ein, der mir als Vorbild hätte dienen können. Da mir aber mein Ruf sehr am Herzen lag und ich die Art des Todes mehr als den Tod selbst fürchtete, so schien mir der eine schimpflich und der andere zu grausam, und ich verwarf beide. Jetzt überlegte ich, ob ich es nicht wie die Sagombiner und Abydener machen wollte, die den karthaginensischen Hannibal und Philipp von Macedonien fürchteten und sich und alle ihre Güter von den Flammen verzehren ließen. Kaum aber wurde mir klar, daß auf diese Weise mein teurer, unschuldiger Gatte großen Verlust erleiden würde, so verwarf ich diese wie die vorigen Todesarten.

Nun kamen mir die Gifttränke in den Sinn, durch die einst Sokrates, Sophonisbe, Hannibal und viele andere sich ihre letzte Stunde herbeigerufen hatten, und dieses Mittel schien mir vor allen am angemessensten. Bald aber überlegte ich, daß eine lange Zeit hingehen würde, ehe ich es mir verschaffen könnte, und da ich der Unbeweglichkeit meines Entschlusses nicht genug traute, beschloß ich, auf andere Mittel zu sinnen. Die glühenden Kohlen der Porcia fielen mir ein, aber ich schlug sie mir aus dem Sinn, weil ich eine Störung bei dieser Todesart befürchten konnte. Nun gedachte ich des Todes der Ino, des Melicertes und des Erysichthon, aber für den ersten bedurfte ich zuviel Raum, für den zweiten zuviel Zeit, und gegen den letzten sprach die lange körperliche Qual. Außer diesem allem fiel mir der Tod des Perdix ein, der von seinem Lehrmeister aus Eifersucht von einer hohen Mauer herabgeworfen wurde, und dieser Tod allein schien mir für mich geeignet zu sein, weil ich so unfehlbar sicher und frei von aller Schande sterben konnte. Ich sagte zu mir selbst: ›Von dem Gipfel meines Hauses will ich mich herabwerfen, und wenn der hundertfach zerschmetterte Körper die unglückliche Seele den traurigen Göttern zusendet, wird niemand einen absichtlichen Tod vermuten. Jeder wird einen Zufall darin suchen, mir fromme Tränen nachweinen und der feindlichen Schicksalsgöttin meinetwegen fluchen.‹ Mit diesen Überlegungen beschäftigte sich meine Seele und vertiefte sich gern in sie; denn ich dachte mir selbst den größten Dienst zu erzeigen, wenn ich die größte Grausamkeit gegen mich verübte.

Schon war dieser Gedanke fest in mir geworden, und ich wartete nur auf den Augenblick der Ausführung, als plötzlich ein schneidender Frost meine Gebeine durchdrang, banges Zittern mich befiel und ich folgende Worte zu vernehmen glaubte: ›Unselige! sag, was gedenkst du zu tun? Willst du aus Zorn und Herzeleid dich vernichten? Bedenke, wenn dich jetzt eine schwere Krankheit an die Pforten des Todes führte, würdest du nicht aus allen Kräften streben, das Leben festzuhalten, damit du wenigstens nur einmal noch deinen Geliebten wiedersehen könntest? Wähnst du, ihn wiederzusehen, wenn du tot bist? Keine seiner Tränen wird dich wieder ins Leben zurückrufen können. Was half es der Phyllis, daß sie ihres Geliebten verzögerte Rückkehr nicht abwarten konnte? Als blühender Baum fühlte sie seine Nähe ohne das mindeste Entzücken, anstatt daß sie als fühlendes Weib ihn mit unendlicher Lust bewillkommnen konnte, wenn sie ausgeharrt hätte. Lebe also! denn mag er liebend oder hassend wiederkommen, genug, er wird einst zurückkehren, und wie er sich auch gegen dich verhält, du wirst ihn lieben, wirst ihm zu begegnen suchen und vielleicht sein Herz von neuem rühren. Ihn hat ja keine Eiche, keine Höhle, kein harter Felsen erzeugt, noch ein Tiger oder anderes, grausameres Tier ihn gesäugt; auch ist sein Herz nicht aus Stahl oder Diamant geformt, daß es nicht einer mitleidigen, milden Regung fähig wäre.

Bliebe er aber dennoch bei deinem Anblick hart und unerbittlich, so wird alsdann der Tod dir um so leichter werden. Länger als ein Jahr hast du jetzt dein trauriges Leben, ohne ihn ertragen, versuche es, noch ein zweites auszuhalten. Noch nie hat der Tod sich einem versagt, der ihn wirklich suchte; ebensoschnell und weit schicklicher als jetzt wird er auch dann auf deinen Wunsch herbeieilen. Auch darfst du hoffen, daß Panfilo deinem Tode einige Tränen weihen wird, wie grausam und feindselig er auch empfinden mag. Nimm also deinen allzu raschen Entschluß wieder zurück, denn einem solchen folgt eine lange Reue. Dein Vorhaben ist nicht von der Art, daß ihm nicht Reue folgen könnte, und wenn sie folgt, wird sie nie wieder von dir weichen.‹

Diese Erwägungen hielten mein Seele eine Zeitlang über ihr finstres Vorhaben in Zweifel. Aber die höllische Furie fiel mich von neuem mit ihren giftigen Schlangen an, bis sie jedes Widerstreben besiegte und ich mir schweigend vornahm, meinen Plan dennoch ins Werk zu setzen. Mit sanften Worten und erlogener Ruhe auf dem traurigen Gesicht bemühte ich mich nun, die treue Amme, die traurig stillgeschwiegen, über meinen wahren Zustand zu täuschen, damit sie mich verlassen möchte, und deshalb sagte ich ihr: »Du siehst nun, teure Mutter, wie deine weise Rede in meiner Brust zu guten Früchten gereift ist. Doch bitte ich dich, verlaß mich jetzt und gönne mir einige Stunden ruhigen Schlummers, nach dem mich sehr verlangt, damit die blinde Wut gänzlich aus meiner verirrten Seele weiche.«

Sie aber, die Wohlerfahrene, als erriete sie meine Gedanken, lobte zwar meinen Entschluß zu schlafen und entfernte sich, meinem Befehl zufolge, ein wenig von mir; die Kammer aber wollte sie um keinen Preis verlassen. Und um ihr keinen Argwohn gegen mein Vorhaben einzuflößen, ertrug ich, wenn auch mit Unlust, ihr Dableiben, hoffend, daß sie weggehen werde, sobald sie mich ruhig sähe.

Ich verbarg also unter tiefer Ruhe meine trugsinnenden Gedanken, und unter einem gelassenen Äußeren sagte ich in der Stunde, die meine letzte sein sollte, zu mir selbst: ›O arme Fiammetta, die du elender bist als je eine Frau war, sieh! Nun ist er da, der letzte Tag deines Lebens; denn sobald du dich von dem Gipfel deines Palastes herabgeworfen hast und die Seele aus dem zerschmetterten Körper gewichen ist, werden all deine Tränen, Seufzer, Angst und Wünsche ein Ende haben, und ein Augenblick wird dich und deinen Panfilo von dem Gelübde der Treue lossprechen. Heute noch wirst du von ihm die wohlverdiente Umarmung empfangen. Heute noch wird die Kriegsfahne der Liebe, zu der du geschworen, deinen Körper mit schimpflichen Wunden bedecken, aber dein Geist wird auch heute noch den Geliebten sehen. Heute wirst du erfahren, für wen er dich verlassen hat, heute ihn zwingen, Erbarmen mit dir zu haben. Heute wird deine Rache an deiner tödlichen Feindin beginnen. Ihr aber, o Götter! wenn ihr in unsterblicher Brust noch einiges Mitleid hegt, o so seid meinen letzten Bitten huldreich! Gebt, daß mein Tod in den Augen des Volks nicht schmachvoll erscheine, und wenn irgendeine Schuld auf mir lastet, so nehmt meine freiwillige Buße gnädig an. Vergönnt mir zu sterben mit dem Geheimnis meiner Liebe, vergönnt mir den großen Trost, daß ich ohne Schande zu den Toten hinabgehen dürfe! Gebt auch, daß mein teurer Gatte meinen Tod mit Fassung ertragen möge. Ach! hätte ich seine Liebe so treu bewahrt, wie ich gesollt, so dürfte ich noch lange hoffen, ohne solche Bitten an euch in Freuden mit ihm zu leben! Aber ich wußte das empfangene Gut schlecht zu würdigen und streckte wie alle Frauen die Hand nach dem falschen Scheine aus. Nun gebe ich mir selbst den Lohn dafür. O Atropos! du, die mit unfehlbarem Streich jedes irdische Leben durchschneidet, dich flehe ich demütigst an, leite mit deiner Hand den fallenden Körper und lasse die geängstigte Seele schnell aus dem Gespinst deiner Schwester Lachesis entfliehen. Und dich, o Minos, der die Seele empfangen wird, dich flehe ich an um der Liebe willen, die dich selbst einst entflammte, und um meines Blutes willen, das ich dir jetzt darbiete: leite sie gütig an den Ort, den deine Milde ihr bestimmte, und bereite ihr keine so strenge Buße, daß nicht die irdischen Leiden dagegen geringgeachtet werden müßten.‹

So redete ich leise mit mir selbst, als plötzlich Tisiphone mit schrecklichem Antlitz und drohendem, unverständlichem Gemurmel vor meine Augen trat und mich mit der Vorstellung weit größerer Qualen als der erlittenen ängstigte. Bald aber sprach die Furie deutlich die Worte: »Nichts ist schwer, was nur einmal empfunden wird«, und entzündete damit die gequälte Seele mit einem noch brennenderen Verlangen nach dem Tode. Und da ich sah, daß die alte Amme immer noch nicht von dannen wich, und befürchtete, daß ein zu langes Zögern meinen Entschluß verraten oder ein Zufall die Ausführung verhindern könnte, so breitete ich meine Arme über mein Lager und sagte weinend, indem ich es mit zärtlicher Umarmung zum letztenmal an mein Herz drückte:

»O! Lager, du müßtest in dem Schutz der Götter bleiben, und ich rufe sie an, daß sie dich deiner künftigen Besitzerin freudevoller gestalten als mir.« Und als ich jetzt die Blicke in der Kammer, die ich nie wieder zu sehen hoffte, umherschweifen ließ, entschwand mir von plötzlichem Schmerz ergriffen das Licht, und von unbekanntem Entsetzen zusammengepreßt wollte ich mich zagend erheben, als die bebenden Glieder mir den Dienst versagten und ich dreimal wieder auf das Angesicht niedersank. Und tief in mir fühlte ich heftigen, wilden Kampf entstehen zwischen der entbrannten Seele und den furchtsamen Lebensgeistern, welche die Fliehende mit Gewalt zurückhalten wollten. Aber die Seele siegte, sie verjagte die kalte Furcht aus meinem Innern und gab mir neue Kräfte zurück.

Die Farbe des Todes schon auf dem bleichen Angesicht, riß ich mich ungestüm empor, und gleich dem gewaltigen Stier, der, vom tödlichen Streich getroffen, wütend bald hier-, bald dorthin läuft, sprang ich vom Lager auf den Boden. Das Bild Tisiphones schwebte vor meinem irren Blick, und meiner selbst nicht mächtig, eilte ich der Furie nach, die mich nach den Stufen zog, welche zu dem höchsten Gipfel meines Hauses führten. Schon hatte ich mein trauriges Gemach verlassen und schaute heftig weinend mit verstörten Blicken umher, indem ich mit schwacher, gebrochener Stimme sagte:

»O! Wohnung, die so unselig für mich war, mögest du auf ewig erhalten bleiben, um meinem Geliebten Kunde von meinem Falle zu geben, wenn er zurückkehrt! Und du, geliebter Gatte, tröste dich und suche dir künftig eine weisere Fiammetta! Ihr teuren Schwestern, ihr Verwandten und all ihr ändern Gespielen und Freundinnen! Ihr treuen Dienerinnen, alle sollt ihr im Schütze der Götter bleiben!«

So strebten Worte und Handlungen zu dem einen traurigen Ziele, als die alte Amme, die anfänglich von dem, was sie hörte und sah, wie von einem schweren, ängstlichen Traum gelähmt war, plötzlich erwachte, die Spindel wegwarf, ihre altersschweren Glieder aufrichtete und mir mit lautem Geschrei folgte, so schnell sie konnte. Mit einer Stimme, die ich ihr kaum zugetraut hätte, rief sie mir zu:

»Ach! Töchterchen, wohin läufst du? welche Furie jagt dich fort? sind das die Früchte des Trostes, den meine Reden in deiner Brust erweckt haben? wo eilst du hin? warte doch auf mich!« Darauf schrie sie noch stärker: »Ihr Leute, kommt herbei, ergreift die wahnsinnige Dame und tut ihrer Wut Einhalt!« Doch all ihr Lärmen war vergeblich, ebenso wie ihr schwerfälliges Laufen. Es schien, als wären mir Flügel gewachsen, und schneller als der Wind eilte ich meinem Tode zu.

Aber unerwartete Zufälle, welche so oft den guten wie den bösen Vorsätzen in den Weg treten, wurden Ursache, daß ich noch unter den Lebendigen bin. Denn die langen Gewänder, die ich trug, waren mir hinderlich. Zwar konnten sie mich mit ihrer Länge nicht in meinem fliegenden Lauf zurückhalten, aber sie verwickelten sich, ich weiß nicht wie, an einem aus dem Gebälk hervorragenden Holze und hemmten meine wilde Eile dermaßen, daß, während ich mich heftig bemühte, mein Gewand loszureißen, die Alte mich erreichte. Ich aber schrie ihr mit brennendem Gesicht und lauter Stimme zu: »O! elende Alte, fliehe von hier, wenn dir dein Leben lieb ist! Du glaubst mir zu helfen und schadest mir. Laß mich das Totenopfer vollbringen, jetzt, da ich die größte Begier danach habe! Wisse: wer einen, der sich heftig nach dem Tode sehnt, am Sterben hindert, tut nichts anderes als ihn morden. Du glaubst mich vom Tode zu retten und wirst meine Mörderin, denn du gibst mir mit dem Leben nur tausendfachen Tod.«

So schrie ich laut, während mein Herz vor Zorn pochte und meine Hände durch die wilde Hast, mit der sie mich befreien wollten, sich nur noch fester verwickelten. Und da ich mich auf keine Weise losmachen konnte und die Amme noch immer aus allen Kräften schrie, so ward ich endlich zurückgehalten. Doch hätte ihre Kraft nichts über mich vermocht, wenn nicht unterdessen die jungen Dienerinnen auf ihr Geschrei von allen Seiten herbeigelaufen wären und mich festgehalten hätten. Doch suchte ich mich auch aus ihren Händen auf mancherlei Weise und mit der höchsten Anstrengung zu befreien – endlich überwand mich doch ihre Übermacht, und aufs höchste abgemattet brachten sie mich in das Zimmer zurück, das ich geglaubt hatte nie wieder zu sehen.

Ach! wie oft rief ich ihnen jammernd zu: »O! ihr schändlichen Dienerinnen, welcher Übermut verführt euch, so gewaltsam mit eurer Gebieterin umzugehen? Welche Furie hat euch, Elende, verblendet? Und du, verfluchte Ernährerin dieses elenden Leibes, der künftig ein Tummelplatz bitterster Schmerzen sein wird, warum hast du dich meinem letzten Wunsche widersetzt? Weißt du noch nicht, daß es für mich eine weit größere Gunst bedeutet, zum Tode verdammt zu sein, als zum Leben? Laß mich denn, wenn du mich so liebst, wie du vorgibst, meinen traurigen Entschluß vollziehen und über mich selbst nach meinem Sinn gebieten und wende dein Mitleid an, den zweifelhaften Ruf zu retten, der mir nachfolgen wird. Denn für das, was du jetzt beginnst, ist doch all deine Mühe verloren. Wähnst du, du könntest des Eisens spitzigen Zahn zerbrechen, nach dem mich verlangt, oder die unheilvolle Schnur, die tödlichen Krauter und das Feuer aus der Welt schaffen? Was nützt dir nun all deine Sorge? Sie verlängert für eine kurze Zeit mein gequältes Leben und gesellt zu dem verzögerten Tod, der jetzt ohne Schmach erfolgt wäre, vielleicht noch die Schande.

Du, Elende, kannst mir mit aller deiner Beaufsichtigung den Tod nicht rauben, denn er ist an allen Orten und in allen Dingen verborgen; ja, selbst in den Quellen des Lebens ist er schon gefunden worden. So laß mich denn jetzt sterben, ehe ich noch gequälter den Tod noch rasender von dir fordere.«

Während ich im höchsten Jammer diese Worte sprach, blieben meine Hände nicht ruhig. Mit wilder Raserei packte ich bald die eine, bald die andere der Dienerinnen, riß ihnen die Flechten vom Haupte, zerkratzte ihr Angesicht, daß Blut herabfloß, und einer von ihnen zog ich das armselige Gewand ganz von den Schultern herab. Aber ach! weder die alte Amme noch die mißhandelten Dienerinnen erwiderten mir nur ein einziges Wort, sondern weinend erfüllten sie gegen mich gewissenhaft ihre Pflicht.

Jetzt bemühte ich mich, sie durch sanfte Worte zu bestimmen; aber da auch diese nichts fruchteten, hub ich mit lauter Stimme zu schreien an: »O, ihr ruchlosen Hände, die zur Ausübung jegliches Bösen geschickt sind, ihr habt einst meine Schönheit gepflegt, und durch eure verderbliche Sorgfalt erschien ich ihm, den ich über alles liebe, begehrenswert. Da nun euer Diensteifer soviel Unheil über mich gebracht hat, so wendet zum Lohn eure gottlose Grausamkeit gegen den gleichen Leib, zerfleischt, öffnet ihn und reißt unter Strömen von Blut die wilde, unbezähmbare Seele heraus. Nehmt das Herz, das von blinder Liebe verwundet ist, und wenn euch fremde Waffen versagt sind, so zerreißt es als die vornehmste Ursache aller Schmerzen ohne Schonung mit euren Nägeln!«

So bedrohte ich mich mit den Übeln, die ich ersehnte, und gebot den bereitwilligen Händen die Ausübung derselben; aber die aufmerksamen, schnellen Dienerinnen kamen mir zuvor und hielten mir die Hände wider meinen Willen fest. Und die tiefbetrübte Amme begann mit klagender Stimme folgendermaßen: »O! teure Tochter, bei dieser unglückseligen Brust, die dir die erste Nahrung reichte, beschwöre ich dich, du wollest mit demütigem Geist jetzt einige Worte von mir anhören! Ich will mich herzlich bemühen, dir nichts zu sagen, was dich schmerzen könnte, nur das, wodurch du vielleicht den gerechten Zorn, der dich mit solcher Wut entflammt, von dir jagst oder durch die Zeit ihn brichst oder mit ergebenem Gemüt willig erträgst; nur das, was dir Leben und Ehre wiedergeben wird, will ich dir in deinen verstörten Sinn zurückrufen. Dir, einer Dame, durch soviel Tugenden berühmt, dir ziemt es nicht, dem Schmerz zu unterliegen, noch als eine Überwundene dem Unglück den Rücken zuzukehren.

Es ist nicht ehrenvoll, den Tod zu begehren und das Leben zu fürchten, wie du es tust; aber es ist der höchste Ruhm, dem hereinbrechenden Unglück kühnen Widerstand zu leisten und nicht vor ihm zu fliehen. Wer so wie du sein Glück zerstört und die Güter des Lebens von sich wirft, ich wüßte nicht, welche Wollust der darin finden könnte, den Tod zu suchen oder das Leben zu fürchten. Beides ist die Gesinnung des Feigen. Wenn du aber das höchste Elend begehrest, so mußt du nicht den Tod suchen, denn er verschlingt ja alles. Verbanne die Raserei, durch die du, soviel ich sehen kann, zu gleicher Zeit den Geliebten zu besitzen und zu verlieren suchst. Glaubst du ihn wiederzufinden, nachdem du dich selbst verloren hast?« Auf dies alles erwiderte ich nichts.

Ein dumpfes Gerücht des Vorfalls hatte sich schon in dem geräumigen Palast und in der benachbarten Straße verbreitet; und wie bei dem Geheul eines Wolfes sich alle Umstehenden auf einen Haufen zu drängen pflegen, so liefen die Diener von allen Seiten herbei und fragten erschrocken, was dies zu bedeuten habe. Aber schon hatte ich allen, die darum wußten, streng verboten, die Wahrheit zu sagen, und mit einer Lüge, die den schauderhaften Vorgang verhüllte, wurden alle befriedigend abgefertigt. Mein teurer Gatte eilte herbei; es eilten herbei die Schwestern, die geliebten Verwandten und Freunde; und ich, die Verbrecherin, ward von allen, die da um die Wahrheit betrogen wurden, mit frommem Mitleid betrachtet. Jeder war unter vielen Tränen bemüht, zuerst mich an mein trauriges Leben zu erinnern und dann mich zu trösten. Ach! es geschah auch, daß einige mich von irgendeiner Furie besessen glaubten und mich wie eine Rasende streng bewachten. Aber andre, frömmeren Sinnes, erwogen meine Sanftmut und glaubten, wie es wirklich war, daß irgendein geheimer Schmerz mich quäle; sie spotteten über die Behauptungen der ersten und bemitleideten mich. Auf solche Weise brachte ich, von vielen besucht, in großer Geistesdumpfheit unter der schonenden Aufsicht der weisen Amme mehrere Tage schweigend hin.

Doch da auch der glühendste Zorn durch die Zeit endlich abgekühlt wird, so fand auch ich nach einigen bewußtlosen Tagen mich endlich wieder und fühlte lebhaft, wie wahr die Worte der erfahrenen Amme waren. Und mit bittern Tränen beweinte ich meine vergangene Torheit. Aber obgleich meine Raserei sich mit der Zeit verlor, so blieb doch meine Liebe stets dieselbe; auch blieb mir stets die gewohnte Schwermut nebst den anderen traurigen Empfindungen; und unaussprechlich betrübte es mich, um einer ändern willen verlassen worden zu sein. Und oft pflog ich mit der verschwiegenen Amme heimlich Rat, um irgendein Mittel zu erfinden, wie ich mir den Geliebten zurückrufen könnte.

Zuweilen wollten wir ihm durch Briefe eine getreue rührende Schilderung meiner traurigen Lage geben; ein andermal aber hielten wir es für weit ratsamer, ihm durch einen klugen Boten mit den lebendigeren Farben mündlicher Rede meine Martern zu schildern. Und so alt die Amme war und so gefährlich und weit der Weg, war sie doch gern entschlossen, für mich die Reise zu unternehmen. Doch wenn wir genauer überlegten, sahen wir das Mißliche unserer Entwürfe. Denn die Briefe konnten unmöglich wirksam genug sein, so rührend sie auch sprechen mochten, um eine neue herrschende Leidenschaft zu verdrängen, und wir mußten sie als ungeeignet verwerfen. Wollte ich auf der andern Seite die Amme hinsenden, so erkannte ich klar, daß sie nicht lebendig zu ihm gelangen würde; ebenso unmöglich schien es mir, mich einer andern anzuvertrauen; und so blieben die meisten unserer Pläne ohne Frucht.

Nur ein einziges hielt ich fest im Sinn: daß ich ihn nämlich auf keine andere Weise wiedergewinnen könnte, als indem ich selbst zu ihm hinreiste. Manches ersann ich, um dies zu bewerkstelligen, doch alle meine Anschläge wurden durch triftige Gründe von der Amme vernichtet. Lange hing ich an der Vorstellung, mit irgendeiner treuen Gefährtin, als Pilger verkleidet, nach seinem Lande zu wallfahrten. Aber so zweckmäßig mir auch die Ausführung schien, so erkannte ich doch ihre große Gefahr, weil ich wußte, wie schimpflich wandernde Pilgerinnen, die einige Schönheit besitzen, oft unterwegs von verworfenen Menschen behandelt werden; und überdies sah ich nicht ein, wie ich ohne meinen Gatten, dem ich mich so sehr verpflichtet fühlte, eine solche Reise unternehmen könnte, da ich seine Genehmigung dazu doch niemals erwarten durfte. Deshalb verwarf ich auch diesen Gedanken bald als unausführbar, fühlte aber plötzlich einen neuen nicht minder frevelhaften Plan in mir entstehen; und gewiß hätte ich diesen bereits verwirklicht, wenn nicht etwas Unerwartetes geschehen wäre; doch hoffe ich, wenn ich am Leben bleibe, ihn künftig noch auszuführen.

Ich gab nämlich vor, Gott während meiner vorhin beschriebenen Leiden, im Fall er mich von ihnen erlösen würde, ein Gelübde getan zu haben, dessen Erfüllung mich ganz natürlich durch das Land, wo mein Geliebter wohnt, geführt haben würde. Und war ich einmal dort, so konnte mir die Gelegenheit nicht fehlen, ihn zu sehen, um dann das fahrenzulassen, was ich erst als Zweck meiner Reise angegeben hatte. Ich entdeckte meinem Gatten mein Vorhaben, und er willigte gern und mit Freuden in meine Bitte; nur verlangte er, daß ich eine schickliche Zeit zur Vollziehung meines vorgeblichen Gelübdes abwarten sollte.

Mir war dieser Aufschub höchst schmerzhaft, und immer fürchtete ich, daß er mir verderblich sein möchte. Deshalb sann ich auf noch andere Anschläge, die ich jedoch alle bald wieder verwarf, und nur in geheimen Zauberkünsten schien noch eine Zuflucht für mich zu sein. Deshalb hielt ich mit mehreren Personen, die sich solcher Künste rühmten, häufige Zusammenkünfte, um die furchtbaren Geister für mich zu gewinnen. Einige dieser Zauberkundigen versprachen mir, meine Reise schnell zu fördern; andere, des Geliebten Herz von jeder fremden Liebe zu heilen und ganz mir wieder zuzuwenden, und noch andere, mir meine ehemalige Freiheit wiederzugeben. Doch wenn ich statt der Worte Taten forderte, so versagten die Zauberkünste.

So ward ich mehr als einmal von ihnen in meiner Hoffnung betrogen und irregeführt, bis ich es zuletzt doch für das beste hielt, nicht mehr an diese Dinge zu denken, sondern die Zeit zu erwarten, die mein Gemahl zur Erfüllung meines vorgeblichen Gelübdes festgesetzt hatte.


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