Giovanni di Boccaccio
Fiammetta
Giovanni di Boccaccio

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Drittes Buch

Worin sich zeigt, welches die Gedanken und Handlungen Fiammettens waren, bis an den Zeitpunkt, wo ihr Geliebter zu ihr zurückzukehren verheißen hatte.

Der Zustand, den ich euch, meine Freundinnen, soeben geschildert habe, dauerte noch lange nach Panfilos Abreise. Viele Tage lang betrauerte ich diese Trennung mit unzähligen Tränen, und mein Mund hatte keine anderen Worte – obwohl leise gesprochen – als: »O mein Geliebter! wie ist es nur möglich, daß du mich verlassen hast?«

Ach! das Aussprechen seines Namens, ich entsinne mich dessen noch wohl, gewährte mir immer einigen Trost in meinen Tränen! In meinem Gemach war keine Stelle, die ich nicht mit dem Blick der höchsten Sehnsucht betrachtet hätte. ›Hier‹, so sagte ich mir, ›an diesem Ort hat er gesessen; hier ruhete er; dort versprach er mir, bald zurückzukehren; hier küßte ich ihn‹; und so bot jede Stelle mir eine köstliche Erinnerung dar. Mehrmals betrog ich mich selbst und glaubte, er müsse zurückkehren, mich noch einmal zu sehen. Dann, als wäre er wirklich zurückgekehrt, heftete ich die Augen unbeweglich auf die Schwelle meines Zimmers, und wenn ich mich endlich von meiner Einbildung geäfft und betrogen sah, fühlte ich mich so erbittert, als wenn ich wirklich, betrogen worden wäre.

Auch begann ich, um diese zwecklosen Blicke zu vermeiden, wohl mancherlei zu unternehmen, bald aber von neuer Phantasie bezwungen, ließ ich alles wieder liegen und hatte nur mit meinem armen Herzen zu tun, das mich mit ungewohntem Pochen peinigte. Darin kamen mir tausend Dinge in den Sinn, die ich ihm gesagt zu haben wünschte, andere, die ich ihm wirklich gesagt, und alles, was er mir darauf erwidert hatte.

So haftete der Geist an keinem Gegenstand, und mehrere Tage gingen mir schmerzhaft hin, bis endlich der tiefe Gram über die noch ganz frische Trennung durch die alles vermittelnde Zeit ein wenig gemildert zu werden begann und nach und nach zusammenhängendere Gedanken zu mir kamen und durch wahrscheinliche Gründe ihr eignes Dasein verteidigten.

Und als ich nach wenigen Tagen in meinem Zimmer allein geblieben war, geschah es, daß ich also zu mir selbst zu sprechen begann: ›Sieh! nun ist der Geliebte weggegangen und reist immer weiter, und du, Unglückliche, hast ihm nicht Lebewohl sagen, nicht seine letzten Küsse zurückgeben, ihn nicht bei seiner Trennung noch einmal sehen können! Wenn er nun jetzt vielleicht an diese Dinge zurückdenkt oder wenn irgendein schädlicher Zufall ihm begegnete, er dein Schweigen für eine schlimme Vorbedeutung hält, wird er sich dann nicht vielleicht über dich beklagen?‹

Dieser Gedanke fiel mir anfänglich unbeschreiblich schwer aufs Herz, aber ein neuer Einfall verdrängte ihn und tröstete mich. ›Von dieser Seite‹, dachte ich bei mir selbst, ›kann mich gewiß kein Tadel treffen, denn er, der Einsichtsvolle, wird und muß meinen Unfall gewiß eher für eine glückliche Vorbedeutung halten. Sie hat mir, wird er denken, kein Lebewohl gesagt, wie man es sonst denen zu sagen pflegt, die auf sehr lange Zeit oder auf immer von uns scheiden wollen; aber eben durch ihr Schweigen bezeigte sie mir ihren Widerwillen gegen mein Weggehen, und daß mir nur ein kleiner Zeitraum der Entfernung vergönnt sei.‹ Und so durch mich selbst getröstet, ließ ich davon ab und hing wieder neuen, mannigfaltigen Gedanken nach.

In dieser schmerzlichen Einsamkeit, nur mit ihm allein beschäftigt, wandte ich mich bald nach dieser, bald nach jener Seite meines Zimmers, und oft, wenn ich, den Kopf auf die Hand gestützt, auf meinem Lager ruhte, sagte ich zu mir selbst: welches Entzücken, wenn in diesem Augenblick mein Geliebter zu mir käme; und in diese Vorstellung verloren, spielte ich lange mit tausend anmutigen Bildern.

Ein andermal erschreckte es mich sehr, daß Panfilo, der Erzählung der getreuen Dienerin zufolge, beim Weggehen mit dem Fuß auf die Schwelle des Zimmers gestampft hatte. Ich erinnerte mich, daß Laodemia auf kein anderes Zeichen es für die ausgemachteste Sache hielt, daß ihr Protesilaus nie wieder zurückkehren werde, und dann beweinte ich schon damals oft mit bittern Tränen das, was mir in der Folge wirklich begegnen sollte. Doch meine Seele konnte den Gedanken, daß ein solches Schicksal mich treffen würde, damals noch nicht fassen, und als nichtige Träume, die ich nicht aufkommen lassen dürfe, wies ich diese Vorstellungen bald weit von mir hinweg.

Zwar gehorchten sie nicht immer meinem Willen, aber von einer Menge neuer verdrängt, mußten sie doch zuletzt aus meinem Gemüt weichen. Die vorigen Bilder kehrten zurück, und mein Geist wogte in einem Meer von verliebten Träumen, die alle zu schildern mir jetzt Mühe genug kosten würde.

Einmal erinnerte ich mich, im Ovid gelesen zu haben, daß Arbeit und Beschwerde die Liebe in jugendlichen Herzen zum Schweigen bringe: und sogleich dachte ich an ihn, wie er wohl jetzt auf der Reise mit mancherlei Ungemach zu kämpfen haben möchte. Und dies schien mir so schwer, besonders für den, der der Ruhe gewohnt ist oder wider Willen reiset, daß ich bei mir selbst fürchtete, ob nicht diese Beschwerden vielleicht Gewalt genug hätten, ihn von mir loszureißen, oder die ungewohnte Anstrengung und die feindliche Jahreszeit ihm Krankheit oder noch Schlimmeres bereiten könnten. Mit diesem Gegenstand blieb ich, wie ich mich noch sehr wohl erinnere, am längsten beschäftigt, und indem ich alles dafür und dawider erwog, bedachte ich endlich, daß seine vielen Tränen und meine eignen Leiden doch unsere Festigkeit nicht im mindesten zu erschüttern vermocht hätten und es also nicht möglich sei, daß eine so kleine Beschwerde so große Liebe bezwingen könne. Und gegen andere schädliche Zufälle, hoffte ich, würden seine Jugend und seine Vorsicht ihn schützen.

So unterhielt ich mich mit Gründen und Gegengründen, bis endlich so viele Tage hingegangen waren, daß ich seine Ankunft in seiner Heimat nicht allein vermuten konnte, sondern auch durch sein Schreiben ihrer gewiß ward. Dies war mir aus vielen Gründen höchst erfreulich, denn es zeigte mir ihn so leidenschaftlich wie je und belebte mit vielen Versprechungen meine Hoffnung, ihn bald wiederzusehen. Dieser Augenblick verscheuchte alle vorigen Bilder und streute an ihrer Statt den Keim zu einer neuen Gedankensaat aus. ›Jetzt,‹ sagte ich mir, ›jetzt wird Panfilo, der einzige Sohn des alten Vaters, der seinen Anblick so viele Jahre entbehrt hat, mit großer Festlichkeit im väterlichen Hause empfangen und nicht allein meiner nicht gedenken, sondern vielleicht die Zeit verwünschen, die er wegen seiner Liebe zu mir hier zugebracht hat. Und bald von diesem, bald von jenem Freund mit Ehrungen und Festen überhäuft, tadelt er vielleicht mich, die, als er hier war, nichts anders zu tun verstand, als ihn zu lieben! Herzen, von Freude und Glanz berauscht, sind leicht geneigt, sich der alten Bande zu entwöhnen und neue zu knüpfen. Weh mir! wenn es möglich sein könnte, daß ich ihn auf solche Art verlöre! Gott verhüte, daß solches geschähe: und wie ich mitten unter meinen Verwandten und in meiner Vaterstadt die Seinige geblieben bin und bleibe, so erhalte auch er sich mir unter den Seinigen.‹

Ach! wie zahllose Tränen mischten sich in diese Worte, und wieviel mehr würden geflossen sein, wenn ich das wirklich für wahr gehalten hätte, was sie prophetisch vorhersagten; aber doppelt habe ich seitdem und fruchtlos die Tränen vergossen, welche in jener Stunde noch zurückgeblieben waren. Bei diesem Selbstgespräch fühlte meine Seele – denn oft kennt die Seele dunkel ihr künftiges Unglück – sich von einer namenlosen Bangigkeit ergriffen und erbebte heftig, dann ergoß sich diese Furcht wohl zuweilen in folgende Worte: ›Jetzt lebt Panfilo in seiner Stadt, die voll von den herrlichsten Tempeln und schimmernden Festlichkeiten ist; auch er besucht sie ohne Zweifel und findet dort eine Menge Frauen, die bei hoher Schönheit an Leichtigkeit und Anmut, wie ich oft habe sagen hören, alle anderen übertreffen sollen und mehr als alle anderen die Kunst verstehen, die Seelen an sich zu ziehen und zu fesseln. Ach! wer ist der, der so streng über sich selbst wachen könnte, daß er nicht da, wo so vieles sich vereinigt, selbst wider seinen Willen und Vorsatz, gleichsam mit Gewalt, zuweilen gefangen werden sollte? Ward nicht mein eigen Herz gewaltsam gefesselt, und pflegt nicht überdies das Neue einen eignen Zauber auszuüben? Ach! wie leicht ist es also, daß er, der Neue, ihnen und wiederum sie ihm gefallen!‹

Weh mir! mit wie tiefen Qualen verwundeten mich dergleichen Phantasien, und kaum wollte es mir gelingen, sie durch allerlei Vorstellungen loszuwerden und mich von ihrer Unwahrscheinlichkeit zu überzeugen, dann sagte ich: ›Wie nur wäre es möglich, daß er, der dich mehr als sich selbst liebte, in seinem Herzen, wo nur dein Bild wohnt, eine neue Liebe aufnehmen könnte? Hast du vergessen, wie hier ein Weib um seine Liebe warb, das wohl seiner würdig war; wie sie mit stärkeren Waffen als mit Liebesblicken allein sein Herz zu erobern strebte und doch, obgleich sie hier jede andere Frau an Schönheit und an Kunst weit übertraf, nichts ausrichten konnte? Denn er war dein, wie er es noch ist. Wie meinst du also jetzt, daß er so schnell, wie du sagst, in neuer Liebe entglühen könnte? Und was noch mehr ist, glaubst du, daß er die dir gelobte Treue um irgendeiner andern willen verletzen könnte? Er wird es nimmer, und du kannst ihm darin fest und freudig vertrauen. Und muß es dir nicht deine eigene Vernunft sagen, daß er Klugheit genug besitzt, um zu wissen, der sei ein Tor, der das, was er besitzt, für ein ungewisses Gut hingibt, wenn anders nicht das Kleinste und Unbedeutendste an das Höchste zu wagen ist. Und darum darfst du die sichere Hoffnung haben, daß dies nicht geschehen wird, denn – wenn du anders Wahrheit gehört hast – du selbst würdest zu den Schönheiten seines Landes gehören: an Reichtum und Anmut käme dir keine gleich; und zu dem allem: wo würde er ein Herz finden, das ihn so liebt, wie du ihn liebst? Er, der in Liebe wohl erfahren ist, weiß sehr wohl, wie schwer und mühevoll es ist, ein Weib vom bloßen Gefallen bis zur Liebe zu verführen. Und wie selbst diejenigen Frauen, welche lieben – was sie doch selten verstehn –, fast immer das Gegenteil dessen zeigen, was sie eigentlich wünschen. Und selbst dann, wenn er dich nicht liebte, wie sollte er jetzt, so vielfach mit seinen Angelegenheiten beschäftigt, Muße finden, sich eine neue Geliebte zu erwählen? Deshalb verbanne diese Gedanken gänzlich und nimm es als eine ausgemachte Sache an, daß du ebenso geliebt wirst wie du liebst.‹

Ach! welche Sophistereien erfand ich nicht, um gegen die Wahrheit zu kämpfen, und doch wollte es allen nicht gelingen, die unselige Eifersucht aus meinem Herzen zu verbannen, die, um das Maß meines Kummers voll zu machen, Besitz davon genommen hatte! Gleichwohl fand ich mich durch diese Gründe, als wären sie wahr, etwas erleichtert.

Doch, liebende Frauen, damit ich nicht allzu viel Zeit mit der Aufzeichnung jedes Gedankens anfülle, so sollt ihr lieber eine Schilderung meiner Beschäftigungen hören; aber verwundert euch nicht, wenn sie neu und unerhört scheinen. Ich würde sie nicht aus freiem Trieb gewählt haben, aber da Amor mir sie aufgab, so geziemte es mir, zu gehorchen.

Fast jeden Morgen war mein erstes Geschäft, sobald ich aufgestanden war, auf den höchsten Gipfel meines Hauses zu steigen. Hier, den Schiffern gleich, die hoch auf dem Mastkorb ihres Fahrzeugs forschend umherschauen, ob sie irgendeine Klippe entdecken, die ihnen Unheil droht, betrachtete ich den weiten Himmel, und zuletzt nach Osten fest den Blick gerichtet, berechnete ich, wieviel die Sonne an diesem Tage bereits von ihrem Weg am Horizont zurückgelegt habe, und so viel höher sie hinaufgestiegen war, so viel näher schien mir die Zeit der Rückkehr des Geliebten zu sein. So beobachtete ich oft mit Ergötzen ihr Fortrücken, und an meinem kleiner gewordenen Schatten den Grad ihres Aufsteigens messend, klagte ich oft bei mir selbst, daß sie träger gehe als jemals. Ich schalt sie, daß sie den Tagen im Zeichen des Steinbocks mehr Länge gebe als denen im Zeichen des Krebses; so auch sagte ich, wenn sie die Mitte ihres Halbzirkels erreicht hatte, daß sie stillstehe, um die Erde zu ihrem Vergnügen zu beschauen, und so schnell sie auch im Westen herabstieg, schien sie mir doch stets unerträglich zu zögern.

Hatte nun die Sonne ihr Licht der Welt entzogen, damit das Licht der Sterne hervorbrechen konnte, so war ich freudig, und wenn ich dann die vergangenen Tage bei mir selbst überzählte, so bezeichnete ich auch diesen wie die andern vergangenen mit einem kleinen Stein, nicht anders, als die Alten sonst ihre freudigen und traurigen Tage durch weiße und schwarze Steine vor einander auszuzeichnen pflegten. O! wie oft geschah es, daß ich die Steinchen, welche die schon verflossenen Tage bezeichneten, überzählte und dann die, welche für die noch übrigen zurückgeblieben waren! Und so genau ich auch die Anzahl beider in meiner Seele wußte, so hoffte ich doch jedesmal, die einen vermehrt, die andern vermindert zu finden. So heftig trieb mich die Begierde, bald an die von ihm bestimmte Zeit der Rückkehr zu gelangen.

Hatte ich nun mit vergeblicher, ängstlicher Sorge umhergeschaut und berechnet, so kehrte ich gewöhnlich in mein Zimmer zurück, wo ich weit lieber allein als in Gesellschaft blieb. Hier öffnete ich, um den quälenden Gedanken zu entgehen, sobald ich allein war, ein Kästchen, aus welchem ich viele Sachen, welche einst ihm gehört hatten, Stück für Stück hervorzog. Auf diese heftete ich meine Blicke mit ebensoviel Liebe und Sehnsucht, als ich ihn selbst anzublicken pflegte. Und hatte ich sie nun lange betrachtet und mit kaum zurückgehaltenen Tränen unter Seufzern geküßt, so fragte ich sie, gleich als wären sie denkende und fühlende Wesen: »Sagt! o sagt! wann wird euer Herr wieder hier sein?« Hierauf legte ich sie wieder an ihren Ort und zog unzählige Briefe hervor, die er mir gesendet hatte. Diese las ich alle, und wenn ich auf solche Weise mit ihm zu sprechen, zu überlegen wähnte, fühlte ich mich nicht wenig dadurch getröstet.

Und oftmals geschah es auch, daß ich meine Dienerin zu mir rief und mit ihr mancherlei Gespräche über ihn begann. Bald fragte ich sie, welche Ahnung sie wegen Panfilos Zurückkunft habe; bald, wie er ihr gefiel; und bald, ob sie keine Nachricht von ihm gehört habe? Auf diese Fragen antwortete sie mir, teils um mir gefällig zu sein, teils ihrer Überzeugung gemäß, auf solche Weise, daß ich mich nicht wenig erleichtert fühlte, und so brachte ich oft einen großen Teil des Tages fast ohne Schmerz und Angst hin.

Nicht minder teuer als die eben beschriebenen Unterhaltungen war mir, ihr gefühlvollen Leserinnen, das Besuchen der Tempel und das Sitzen vor meiner Tür, im Kreis meiner Gespielinnen. Hier geschah es oft, daß in dem bunten Wechsel traulichen Gesprächs manches mich meiner unendlichen Unruhe und Pein vergessen ließ. In den Tempeln dagegen sah ich öfters jene Jünglinge, die ich sonst mehrmals mit Panfilo gesehen hatte, und niemals sah ich sie, ohne daß ich mit forschenden, sehnsuchtsvollen Blicken sie beobachtete, gleich als wenn ich den Geliebten unter ihnen herausfinden müßte. O! wie oft betrog mich mein Wahn auf diese Weise! Und dennoch, überzeugt von meinem Irrtum, blieb mir ihr Anblick stets erfreulich. Mitleid mit mir schien, wenn der Ausdruck ihres Gesichts nicht log, ihr Gemüt zu erfüllen, und es dünkte mir, als ob sie, von ihrem Gefährten verlassen, weit weniger fröhlich wären, als sie sonst zu sein pflegten. O! wie heftig war oft die Begierde in mir, sie zu fragen, was aus ihrem Gefährten geworden sei, und nur die Vernunft konnte mir die Lippen verschließen! Aber hier waltete das Glück und war mir günstig; denn unbemerkt von ihnen hörte ich sie zuweilen untereinander von ihm sprechen und sagen, daß seine Rückkehr nun nicht fern mehr sei. Wie sehr mich das entzückte, würde ich auszudrücken mich vergebens bemühen.

Auf diese Weise nun, mit solchen Gedanken, solchen Beschäftigungen und noch vielen andern ebendieser Art, bemühte ich mich, die Zeit des Tages hinzubringen, die mir, so kurz sie war, noch immer zu lang dünkte, und sehnte nur die Nacht herbei. Nicht als wäre mir diese angenehmer gewesen, sondern weil ihr Erscheinen mir jedesmal die Abnahme der ohne ihn verfließenden Zeit zu verkünden schien. Und wenn nun der Tag seine Stunden geendigt hatte und im Schoß der Nacht ruhte, da wachten bei mir meist neue Sorgen auf.

Ich, die von Kindheit an die Schatten der Nacht gescheut hatte, war jetzt, von der Liebe begleitet, verwegen geworden. Sobald ich merkte, daß in meinem Hause alles zur Ruhe gegangen war, stieg ich oft allein an den hohen einsamen Ort, wo ich am Morgen die Sonne zu beobachten pflegte. Und von diesem Ort aus, einem Sternseher gleich, der die Himmelskörper und ihre Bewegungen beobachtet, beschaute auch ich, weil ich empfand, daß meine tiefen Sorgen den Schlaf mir stören würden, den nächtlichen Himmel und warf dem schnellen Lauf seiner Gestirne die höchste Langsamkeit vor. Oft, wenn ich die Blicke auf den gehörnten Mond heftete, glaubte ich nicht, daß er sich seiner Rundung nähere, sondern vielmehr spitzer als in der vorigen Nacht wäre. Und um so heftiger ward mein Verlangen, daß die vier Kreise, welche er in seinem, schnellen Lauf durchwandeln sollte, schon vollendet wären. O! wie oft, wenn er nur ein mattes, kaltes Licht verbreitete, schaute ich ihn lange mit entzückten Blicken an, träumend, daß zur selben Stunde auch die Augen meines Geliebten wie die meinen auf ihn geheftet wären und dort mir begegneten! Er aber, in dessen Gemüt, wie ich jetzt nicht zweifle, bereits mein Bild verblichen war, blickte nicht nach dem Mond, ja dachte nicht einmal daran, sondern ruhte unbekümmert auf seinem Lager.

Auch erinnere ich mich, daß ich, über Lunas trägen Lauf entrüstet, dem alten Glauben zufolge mit mancherlei Tönen ihren Lauf zu beschleunigen und ihre Rundung herbeizuführen suchte; und wenn sie nun diese erreicht hatte, so schien es mir, als wenn sie, gleichsam mit ihrem vollen Lichte zufrieden, nicht sehr zu ihren neuen Silberhörnern eilte, sondern träg in ihrer Vollständigkeit verweilte. Da geschah es zuweilen, daß ich sie bei mir selbst entschuldigte, weil ich fühlte, daß es lieblicher sei, bei ihrer Mutter zu verweilen, als in die dunklen Reiche ihres Gemahls zurückzukehren. Aber wohl erinnere ich mich auch, daß ich oft die ihr geweihten Gebete und Bitten in Drohungen verwandelte und ihr dann zurief: »O! Phöbe, wie schlecht vergiltst du die empfangenen Dienste! Durch fromme Gebete strebe ich deine Beschwerden zu lindern; du aber trägst keine Bedenken, durch ein träges Verweilen die meinigen immer noch zu mehren. Aber wenn du einst, meiner Hilfe bedürftiger, gehörnt zurückkehrst, dann sollst auch du mich träg und langsam finden, wie du jetzt dich mir zeigst. Oder weißt du vielleicht nicht, daß, je schneller du dich viermal mit deinen Silberhörnern und viermal mit vollem Antlitz gezeigt hast, desto eher auch mein Geliebter zurückkehren wird? Und ist dieser nur zurückgekehrt, so durchwandle deine Zirkel so langsam oder schnell, als es dir selbst nur behagt!«

Gewiß war es dasselbe Gefühl, das mich zu Gebeten dieser Art antrieb, welches mich so sehr mir selbst entrückte, daß es mir oft vorkam, als beschleunigte Phöbe, meine Drohungen fürchtend, ihren Lauf nach meinem Willen; oft aber auch, als wenn sie, meiner gleichsam spottend, länger als gewöhnlich zu verweilen schien. Und durch solch emsiges und ernstes Anschauen war ich ihres Laufs so kundig geworden, daß sie nie ihr volles Antlitz zeigte, nie in irgendeiner Gegend des Himmels stand oder mit irgendeinem Gestirn zusammentraf, ohne daß ich die vergangene und künftige Zeit der Nacht ganz richtig darnach zu bestimmen gewußt hätte. Und erschien Phöbe nicht, so gab die Stellung des Großen und Kleinen Bären am Himmel auf dieselbe Weise mir sichere Kennzeichen.

Ach! wer hätte glauben sollen, daß die Liebe mir Astrologie lehren würde, eine Kunst, deren Ausübung den freiesten und feinsten Geist und kein von Liebesraserei erfülltes Gemüt erfordert!

War nun der Himmel ganz in dichtes Gewölk verhüllt und von gegeneinander streitenden wilden Sturmwinden bewegt, so daß ich an meinen Nachforschungen verhindert ward, so versammelte ich oft meine Dienerinnen in meinem Gemach und erzählte oder ließ Geschichten mancherlei Art erzählen. Je mehr sich nun diese von der Wahrscheinlichkeit entfernten – wie diese Gattung von Menschen fast immer tut –, desto mehr Gewalt schienen sie zu haben, meine Seufzer zu verjagen und mich durch ihre Anhörung zu ergötzen; ja oft geschah es, daß sie mir trotz meiner Schwermut ein herzliches Lachen abzwangen.

Und wenn auch dies aus irgendeinem wichtigen Grund nicht geschehen konnte, so bemühte ich mich, in Büchern nach fremdem Elend zu forschen, und wenn ich dies dann mit meinem eignen verglich, fühlte ich mich nicht mehr allein, und gemeinschaftliches Unglück erschien mir leichter zu tragen. So weiß ich nicht, was mir angenehmer war, die Augenblicke gleichsam vorüberschreiten zu sehen, oder, mit andern Dingen beschäftigt, sie schon vergangen zu finden.

Hatten nun die eben beschriebenen Dinge und andere ähnliche mich lang genug beschäftigt, so tat ich mir gleichsam Gewalt an, die Ruhe zu suchen – denn ich wußte wohl, daß es vergeblich sein würde –, das heißt, ich legte mich nieder, um zu schlafen.

Aber auf dem Lager, allein und von keinem Geräusch mehr gehindert, stürmten alle die Bilder des Tags wieder in mein Gemüt, und wider Willen mußte ich nun mit neuen Gründen dafür und dawider alles noch einmal überdenken. Oft bestrebte ich mich, andern Gedanken nachzusinnen, aber nur selten wollte es mir gelingen. Nur dann konnte ich sie loswerden, wenn ich die Stellen berührte, wo mein Geliebter oft verweilt hatte, und hier, wo ich gleichsam seine Gegenwart empfand, hier dünkte es mir, als wäre ich zufrieden.

Dann sprach ich bei mir selbst seinen geliebten Namen aus und bat, als könnte er mich hören, daß er doch bald zurückkehren möchte. Auch bildete ich mir wohl ein, er sei nun wirklich zurückgekommen, und mich selbst betrügend, sagte ich ihm dann vieles, tat tausenderlei Fragen und beantwortete sie mir in seinem Namen. Und zuweilen geschah es, daß ich unter solchen Gedanken einschlummerte. Ach! und wie weit holder war mir da der Schlaf als das Wachen; denn alles das, was ich mir wachend fälschlich als wirklich vorspiegelte, gestand er mir während seiner Dauer in süßer Bewußtlosigkeit als wahr zu. Nun war er zurückgekehrt; ich lustwandelte mit ihm in den schönsten Gärten, mit Laub, Blumen und Früchten aller Art geschmückt; wir fühlten uns aller Sorgen ledig, wie uns wohl ehemals schon zumut gewesen war. Er hielt mich bei der Hand, ich ihn, und er mußte mir alle seine Erlebnisse erzählen. Dann schien es mir oft, als ob ich, noch ehe er geendigt hatte, mit Küssen seine Rede unterbräche. So sehr glaubte ich an die Wahrheit dessen, was ich sah, daß ich sagte: »Ach! so ist es denn wahr, daß du zurückgekehrt bist? Ja, es ist wahr, denn ich habe, ich halte dich ja!« Und dann küßte ich ihn von neuem.

Ein andermal kam es mir vor, als wäre ich mit ihm an den Ufern des Meers, bei heitern, fröhlichen Festen; und ich erinnere mich, daß ich mir selbst damals jeden Zweifel ausredete und zu mir sagte: ›Jetzt aber ist es gewiß kein Traum, daß ich ihn in meinen Armen halte !‹

Ach! wie schmerzlich war es mir, wenn es nun endlich geschah, daß der Traum sich von mir wandte; bei seinem Scheiden verlor ich ihn und all die Güter, die er ohne Mühe mir verliehen hatte. Und so schwermütig mich auch diese Träume machten, so fühlte ich mich doch den ganzen folgenden Tag von süßer Hoffnung und geheimer Wonne belebt, und mein einziges Verlangen war, daß nur die Nacht bald kommen möchte, damit mir schlafend das würde, was ich wachend entbehren mußte.

Aber so hold mir auch der Schlaf bisweilen war, so verstattete er deshalb doch nicht, daß ich solche Seligkeit ganz rein, ohne die geringste Beimischung von Qual, genießen durfte; und so gab es Nächte genug, wo mir der Traum seine Gestalt zeigte, mit den häßlichsten Lumpen bekleidet, ganz bedeckt mit schwarzen Flecken, bleich und zitternd, als würde er verfolgt, und ich hörte ihn mir zurufen: »O hilf! rette, rette mich!« Ein andermal dünkte es mir, als hörte ich mehrere Personen von seinem Tode sprechen. Oder ich sah ihn wirklich tot vor mir liegen, oft auch unter andern schauderhaften Gestalten. Niemals aber geschah es, daß der Schlaf meinen Schmerz hätte bezwingen können, denn plötzlich erwachte ich dann, und die Nichtigkeit des Traumes erkennend, war ich froh, nur geträumt zu haben, und dankte Gott dafür. Doch blieb ich nicht ohne Unruhe und ängstigte mich, daß die Gesichte des Traums, wenn auch nicht ganz, so doch zum Teil wahr oder Vorbilder der Wahrheit sein möchten. Und was ich mir auch immer selbst über die Nichtigkeit der Träume sagen mochte oder von andern sagen hörte: ich konnte mich doch niemals ganz darüber beruhigen, bis ich Nachrichten von ihm erhalten hatte, und diese wußte ich mir durch die Schlauesten und feinsten Mittel immer bald zu verschaffen.

So brachte ich die Tage und Nächte mit Erwartung zu. Und als nun die Zeit der versprochenen Rückkehr näher kam, schien es mir ratsam, ein fröhlicheres, leichteres Leben zu beginnen, damit meine Reize, durch immerwährenden Gram und Unruhe verblichen, wiederum ihre gewohnte Wirkung ausüben möchten und ich ihm nicht, wenn er nun würde zurückgekehrt sein, durch mein verändertes Aussehen Mißfallen erregen möchte. Dies zu bewirken ward mir nicht eben schwer, denn mit der Sorge vertraut, ließ die Gewohnheit mich solche mit leichter Mühe ertragen; die freudige Hoffnung, ihn bald zurückkehren zu sehen, wuchs aber täglich mehr in mir an und durchdrang mich mit ungewohnter Fröhlichkeit. Nun begann ich alle die Festlichkeiten, an denen ich bis dahin unter dem Vorwand der ungünstigen Jahreszeit nur wenig Anteil genommen hatte, von neuem zu besuchen; und kaum atmete meine Seele, so lange vom größten Leid gedrückt, wieder frei und entfaltete sich in ein leichtes, freudiges Leben, als auch mein Äußeres bald reizender als jemals erschien. Und dem Ritter gleich, der zum nahen Kampf die Stärke und Festigkeit seiner Waffen prüft, untersuchte auch ich die geliebten Gewänder und den köstlichen Schmuck und verschönerte da, wo es nötig war, damit ich ausgeschmückt herrlicher erscheinen möchte bei seiner Rückkehr, der ich arme Getäuschte vergeblich entgegensah.

So wie meine Umgebungen eine andere Gestalt annahmen, so veränderten sich auch meine Gedanken. Jetzt war nicht mehr die Rede davon, daß ich ihn beim Abschied nicht gesehen hatte; die traurige Vorbedeutung des stampfenden Fußes, die von ihm erlittenen Kränkungen, all die Schmerzen, die tödliche Eifersucht, alles war aus dem Gemüt verschwunden; und schon war die Zeit geschmolzen bis auf acht Tage – dann sollte er zurückkehren –, da sagte ich bei mir selbst: ›Jetzt dünkt es meinem Freund unerträglich, länger von mir entfernt zu sein; er fühlt, daß die versprochene Zeit nun nahe ist, und rüstet sich zur Abreise. Und jetzt vielleicht sagt er dem alten Vater Lebewohl und begibt sich auf den Weg.‹ Wie süß waren mir diese Vorstellungen; wie gern spielte ich mit diesen Bildern und sann oft lange ernstlich nach, unter welcher Gestalt ich mich ihm wohl am gefälligsten zeigen sollte. Ach! wie oft dachte ich da: ›Wie will ich ihn bei seiner Rückkehr wohl hunderttausendmal umarmen, und die Flut meiner Küsse wird jedes Wort verschlingen, das von seinen Lippen fließen will; ja hundertfach will ich ihm alle jene Küsse zurückgeben, die er beim Abschied unerwidert auf mein blasses, kaltes Angesicht drückte.‹ Oft auch zweifelte ich in meinen Gedanken, ob ich wohl mein heftiges Verlangen, ihn zu umarmen, würde bezähmen können, wenn ich ihn zum erstenmal in Gegenwart anderer sähe. Ach! dafür wußten die Götter Rat, und auf eine mir nur allzu schmerzliche Weise!

Wenn ich damals in meinem Zimmer war, glaubte ich, sooft jemand zu mir hereintrat, er käme, um mir die Nachricht zu bringen, Panfilo sei zurückgekehrt! Wenn ich irgendwo Stimmen hörte, so verschlang ich die Worte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, denn immer dachte ich, jedes Wort müßte auf seine Rückkehr Bezug haben. Wohl hundertmal, glaube ich, stand ich von meinem Sitz auf, lief ans Fenster und schaute emsig, gleichsam als hätte ich nach andern Dingen zu sehen, die Straße auf und ab; dann sagte ich: ›Ist es denn möglich, daß Panfilo nun zurückgekehrt sein und jetzt zu dir kommen könnte?‹ Und wenn ich dann meine Hoffnung leer und nichtig gefunden hatte, kehrte ich beschämt und verwirrt ins Innere meines Zimmers zurück. Auch gab ich vor, daß er bei seiner Rückkehr meinem Gemahl etwas zu übergeben habe, und unter diesem Vorwand fragte ich oft und ließ oft fragen, ob er angekommen sei oder wann er erwartet würde. Aber niemals kehrte mir eine erfreuliche Antwort zurück, sondern stets wie von einem, der niemals mehr wiederkehren soll, wie er auch getan hat. Und so blieb ich voller Schmerzen so verlassen wie vorher.

Und also, ihr gefühlvollen Seelen, erreichte ich nicht nur unter tausend Sorgen den so heiß ersehnten, so schmerzlich erwarteten Zeitpunkt, sondern ich überschritt ihn auch um viele Tage, und im Kampf mit mir selbst, ob ich den Geliebten tadeln dürfe oder nicht, entfloh schon ein Teil meiner fröhlichen Gedanken, denen ich mich vielleicht allzu sorglos hingegeben hatte. Und neue, nie gedachte Vorstellungen fingen an, meinen Kopf zu erfüllen. Ich strengte mein Gemüt an, wo möglich zu ergründen, was wohl der Grund seines längern Ausbleibens wäre oder sein könnte; und indem ich daran dachte, fand ich vor allen andern Dingen so mannigfaltige Entschuldigungen für ihn, als er selbst gegenwärtig nur immer hätte finden können, und vielleicht noch mehr. Deshalb sagte ich zu mir selbst: ›O Fiammetta, wie magst du nur denken, daß dein Geliebter zögern würde zu kommen, wenn er es nicht müßte? Weißt du nicht, wie oft unvorhergesehene Geschäfte jemand umstricken und binden, so daß es nicht möglich ist, das Künftige so genau und fest vorherzubestimmen, als wohl der andere es glaubt? Und wer kann daran zweifeln, daß wir die Pflichten gegen die Gegenwärtigen und ihre Ansprüche auf uns weit mehr empfinden als gegen die Entfernten? Ich weiß es mit höchster Gewißheit, daß er mich über alles liebt, daß er jetzt an mein bitteres Leben denkt, herzlich mich bemitleidet und von der Liebe gespornt schon oft hat zu mir reisen wollen. Aber mit Tränen und Bitten hat dann der alte Vater das Ziel verlängert, mit gewaltsamer Liebe hat er ihn gegen seinen Willen zurückgehalten. O gewiß, er wird kommen, sobald er nur kann.‹

Aber diese Überlegungen und Entschuldigungen reizten mich bald zu neuen, ernsteren Gedanken. ›Wer weiß,‹ dachte ich, ›ob er, begieriger, mich wiederzusehn, als er sollte, nicht dem bestimmten Zeitpunkt hat zuvorkommen wollen, alle kindliche Pflicht beiseite gesetzt und jedes Hindernis überwunden hat? Wer weiß, ob er nicht, ohne die Ruhe des stürmischen Meeres abzuwarten, die besorgten Schiffer so lange verspottet hat, bis diese, kühn durch die Aussicht auf Gewinn, ihn in irgendein leichtes Fahrzeug auf genommen haben, wo er vielleicht ein Raub der zornigen Winde und Wellen geworden ist? Ach! nichts mehr bedurfte es ja, um einst die unglückliche Hero ihres Leander zu berauben!

Oder wer kann wissen, ob er nicht, durch Zufall an irgendeine unwirtliche Küste verschlagen, den Tod, welchem er in den Wellen entflohen, durch Hunger oder durch irgendein reißendes Tier gefunden hat? Oder ob er nicht, aus Vergeßlichkeit der andern zurückgelassen, gleich dem Achämenides ein Schiff erwartet, das ihn wegführt? Wer kennte nicht die Gefahren und Tücken der See? Vielleicht in Feindes Hand oder von Seeräubern ergriffen, schmachtet er jetzt im Kerker mit Ketten belastet umsonst nach Freiheit.‹

Alle diese Dinge sind möglich und geschahen schon oft in der Welt.

Wollte ich mir nun auf der andern Seite die Reise zu Lande sicherer denken, so kamen mir auch hier augenblicklich tausend Zufälle in den Sinn, die ihn zurückhalten konnten. Mein Geist verfiel schnell auf das Allerschrecklichste, weil er eine desto größere Rechtfertigung für den Erwarteten zu finden hoffte, je ernster er die Sachen nahm. Und so sprach ich wiederum: ›Siehst du nicht, wie die Sonne brennender als gewöhnlich schon den Schnee auf den hohen Gebirgen schmelzt, so daß die Gewässer mit schäumenden Wellen wild und verheerend herabstürzen? Und wenn er sich in eines derselben, deren er so viele auf seinem Wege findet, gewagt und von der Wut des Stroms ergriffen mit seinem Roß hineingerissen, kämpfend, strebend, endlich von den Wassern begraben worden ist? Ach! wie kann er da kommen? Es ist nicht das erstemal, daß die Flüsse zu dieser Zeit den Reisenden gefährlich wurden und daß ihr Abgrund sie verschlungen hat. Und wenn er auch diesem entgangen ist: kann er nicht in die Hände der Räuber gefallen, von ihnen beraubt, zurückgehalten worden sein? Oder vielleicht auf seiner Reise plötzlich erkrankt, muß er jetzt wider Willen irgendwo verweilen, bis er nach wiedererlangter Gesundheit ohne allen Zweifel zu mir eilen wird.‹

Ach! wenn dergleichen Bilder mein Gemüt bewegten, so überzog ein kalter Schweiß mir alle Glieder, ja meine Angst ward so lebhaft, daß ich mich mit Gebeten zu den Göttern wandte und sie, als hätte ich ihn wirklich mit meinen Augen in solcher Gefahr gesehen, innig anflehte, das Unglück von ihm abzuwenden. Ja ich weinte oft so heftig, als wäre er wirklich in einer von diesen erträumten Gefahren umgekommen, und seufzte: ›Weh mir! von welchen traurigen Ereignissen sind diese unseligen Bilder die Vorboten?

Gott verhüte, daß eines derselben in Erfüllung gehe! Mag er doch lieber verweilen, wo es ihm gefällt, lieber nie zurückkehren, als um meinetwillen sich irgendeiner von diesen Gefahren preisgeben, deren betrügerischer Schein mich schon so ängstigt. Denn gesetzt auch, daß ein solcher Fall möglich wäre, so ist es doch unmöglich, daß er verborgen bleiben könnte. Der Tod eines so ausgezeichneten Jünglings könnte nicht verborgen bleiben, und am wenigsten mir, die unermüdet sorgfältige Nachforschungen anstellt und Nachrichten von ihm einzuziehen sucht; mir würde Fama, die treueste und pünktlichste Verkünderin des Unglücks, es verkündigt haben, wenn nur das geringste der von mir geträumten schrecklichen Dinge geschehen wäre.

Ach! das Glück, das mir ohnedies jetzt nicht hold ist, würde nicht gesäumt haben, mit Blitzesschnelle diese Gerüchte zu mir zu senden, um mich ganz zu vernichten.

Gewiß ist es viel vernünftiger zu glauben, daß er wie ich in großer Betrübnis, wider Willen, verweilen muß, oder daß er bald kommen wird, oder daß zu meinem Trost bald ein Brief mir den Grund seines Zögerns sagt und ihn rechtfertigt.‹

So gelang es mir wirklich, eine Zeitlang die traurigen Gedanken noch leicht in die Flucht zu schlagen. Ich bot all meine Kräfte auf, die Hoffnung, die mit der vergeblich gekommenen Stunde des Wiedersehens die Schwingen ausbreitete, um mich zu verlassen, noch zurückzuhalten; ich stellte ihr die lang bewahrte Liebe und Gegenliebe vor, die gelobte Treue, die zu Zeugen angerufenen Götter und die unendlichen Tränen und behauptete fest, es sei unmöglich, daß unter so heiligen Dingen ein Betrug sich verbergen könne.

Aber ich konnte nicht verhüten, daß die gewaltsam zurückgehaltene Hoffnung den früher gehegten, vergessenen Gedanken wiederum Raum verstattete. Mit langsamem Schritt kehrten sie zurück, strebten nach ihrer vormaligen Herrschaft, frischten das Andenken jener traurigen Vorbedeutungen und Besorgnisse wieder im Gedächtnis auf und verdrängten schweigend und unvermerkt die Hoffnung aus meinem Herzen. Ach! sie hatte mich schon fast gänzlich verlassen, und jene Allmächtigen hatten bereits ihre Stelle eingenommen, als ich anfing, es zu gewahren.

Am meisten aber litt ich unter der Eifersucht, als nun wieder mehrere Tage hingingen ohne das selige Wort: ›Panfilo ist zurückgekehrt!‹

Ach! diese trieb mich weiter, als ich selbst wollte! Als wüßte sie um seine geheimsten Verhältnisse, vernichtete sie in mir alle Entschuldigungen, die ich mir für ihn ersonnen hatte. ›Ha!‹ rief sie, ›wie so töricht bist du! Wie vermochte wohl die Liebe zum Vater oder irgend etwas anderes, sei es Ernst oder Scherz, Panfilo zurückzuhalten, wenn er dich wirklich so liebte, wie er gesagt? Weißt du nicht, daß Liebe alles besiegt? Eine neue Leidenschaft hat ihn entzündet, und er hat dich vergessen. Jene Liebe, mächtiger, weil sie neu ist, hält ihn jetzt an jenem Ort zurück, wie die deinige ihn hier fesselte. Die Frauen seiner Vaterstadt, das weißt du, sind zur Liebe geschaffen, er selbst ist sehr liebenswert, so kommen sich beide entgegen, und in neuer Glut entflammt sein Herz. Wähnst du, andere Frauen hätten nicht Augen, seine Liebenswürdigkeit zu sehen, gleich dir; wären nicht Kennerinnen wie du? O! zweifle nicht, sie sind es!

Oder auch, wähnst du, daß ihm nur eine Frau gefallen könne? Ja, könnte er dich sehen, dann würde es ihm schwer sein, eine andere zu lieben, und seine Treue wäre gesichert, so aber bist du fern, und schon viele Monden sind vorübergegangen, seit er dich nicht mehr sah.

Du solltest doch wissen, daß kein irdisches Glück ewig dauert. Ebenso wie du ihm gefallen, wie er dich liebgewonnen hat, ist es möglich, daß jetzt eine andere ihn entzückt und daß er nun, der vorigen Liebe entfremdet, eine andere liebt wie einst dich. Das Neue reizt mit stärkerer Gewalt als das Gewohnte, und immer pflegt das Herz ein Ungewisses Gut mit größerer Innigkeit zu begehren als das, was ihm gewiß ist; auch ist nichts Irdisches so süß und so entzückend, daß ein langer Besitz nicht übersättigte.

Und wer würde nicht lieber in seiner Heimat einer neuen Geliebten huldigen als der alten in einem fernen, fremden Lande?

Auch hat er dich vielleicht gar nicht mit so heftiger Leidenschaft geliebt, als er vorgab. Nicht Tränen, nicht Beteuerungen sind glaubwürdige Zeugen des großen und echten Gefühls, mit welchem du dich von ihm geliebt glaubst.

Ich habe nicht einmal, sondern oft gesehen, daß die Männer wohl einige Tage lang sich quälen und beim Abschied bittere Tränen vergießen, auch vieles versprechen und mit Schwüren bekräftigen, was sie fest zu halten vermeinen. Aber bald kommt ein neuer Eindruck über sie und löscht in ihrem Herzen alle die Schwüre aus.

Tränen, Schwüre und Verheißungen der Jünglinge, sind sie wohl etwas anderes als ein neues Handgeld auf den künftigen Betrug der Frauen? Und sind sie nicht in diesen Künsten gewöhnlich Meister, noch ehe sie lieben? Ihr unstetes Herz zieht sie zu solchem Beginnen, und es gibt keinen, der nicht jeden Monat lieber zehnmal die Geliebten wechselte als zehn Tage lang einer treu bliebe. Immer glauben sie, neue Sitten, neue Formen zu finden, und brüsten sich damit, von vielen geliebt worden zu sein.

Was also hoffest du? und warum lassest du dich nichtigerweise von einem eitlen Glauben verführen? Es steht nicht in deiner Macht, das Unabänderliche zu ändern; hör auf, ihn zu lieben, und zeige keck, daß mit derselben Kunst, mit der er dich betrogen hat, du ihn selbst betrügst.‹

Dies und noch mehr sagte mir die Eifersucht und fachte mit ihren giftigen Worten einen solch wilden Zorn in mir an, daß er, vereint mit dem stillglimmenden Feuer liebenden Verlangens, mein ganzes Gemüt entzündete und mich einer Rasenden ähnlich machte.

Ach! dieses tobende Feuer, das in mir loderte, erlosch nicht eher, bis Ströme von Tränen aus meinen Augen geflossen und die bedrängte Brust in langen, schweren Seufzern sich erleichtert hatte; dann erst verwarf ich zu meinem Trost alles, was jener weissagende Geist zu mir gesprochen hatte, und rief gleichsam mit Gewalt die schon entflohene Hoffnung mit eitlen Gründen wieder in mein Herz zurück.

Auf solche Weise faßte ich von neuem einen freudigen Mut, oft hoffend, sehr oft aber auch verzweifelnd und stets aufs eifrigste bemüht, durch geschickte Mittel zu erfahren, was wohl aus ihm geworden sei, der ach! noch immer nicht zurückkehren wollte.


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