Clemens Brentano und Sophie Mereau
Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau
Clemens Brentano und Sophie Mereau

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Einleitung des Herausgebers

Im Mai des Jahres 1798 bezog der neunzehnjährige Clemens Brentano die Universität Jena, um Medizin zu studieren. Die Wahl dieser Bildungsstätte, wo so bedeutende Professoren wie Schiller, die Philosophen Fichte und Schelling, der Physiker Ritter lehrten, wurde entscheidend für die ganze Richtung seines ferneren Lebens und Dichtens; denn hier trat er in enge Beziehungen zu der jungen, aufblühenden romantischen Schule, deren Führer sich in Jena zusammenfanden und einen Kreis von höchst talentvollen Schülern um sich sammelten. In schwärmerischer Verehrung schloß auch Clemens sich den Aposteln der neuen Lehre an, die zunächst nicht erkannten, welch hoher, wirklich schöpferischer Dichtergeist sich ihnen unterwarf. Aber auch trotz ihres wenig ermutigenden Verhaltens überließ sich der reiche Frankfurter Kaufmannssohn willig und vollständig ihrem Einfluß.

Der Salon Karoline Schlegels war der gesellige Mittelpunkt des romantischen Kreises, hier war es wohl auch, wo Clemens der Dichterin Sophie Mereau zum erstenmal entgegentrat. Die achtundzwanzigjährige schöne und hochgebildete Frau lebte in unglücklicher Ehe mit dem Professor der Jurisprudenz Friedrich Ernst Carl Mereau. Als Tochter des gräflichen Sekretarius, später herzoglich sächsischen Obersteuerbuchhalters Gotthelf Schubart, den Sophie in ihrem Erstlingswerk ›Das Blütenalter der Empfindung‹ liebevoll zeichnete, und seiner Frau Johanna Sophie Friederike geb. Gabler war sie am 28. März 1770 in Altenburg geboren und hatte mit ihrer älteren Schwester Henriette eine vorzügliche Ausbildung in den modernen Sprachen, im Zeichnen und in der Musik erhalten. Früh auch entwickelte sich ihr Talent zur Dichtkunst; schon 1791 nahm Schiller ein Gedicht von ihr ›Die Zukunft‹ mit der Unterschrift Demoiselle S–t in die ›Thalia‹ auf. 1794 erschien dann anonym ihr erstes größeres Werk ›Das Blütenalter der Empfindung‹.

Der reizenden, geistvollen Frau gelang es mühelos, nach ihrem Eintritt in die Jenaer Gesellschaft die Herzen aller, die mit ihr in Berührung kamen, für sich zu gewinnen. Die akademische Jugend huldigte mit Begeisterung der von Schiller ausgezeichneten Dichterin, viele von Studenten an sie gerichtete schwärmerische Gedichte sind in ihrem Nachlaß erhalten. Herder, Matthisson, Jean Paul, Kotzebue, Böttiger, Knebel und die Professoren der Universität sah sie ebenso wie die Brüder Schlegel und Tieck oft als Gäste in ihrem Hause. Mit mancher der dem Hofe nahestehenden Damen stand sie in engem Verkehr. Schiller nahm sich ihrer tätig an; kein Wunder, daß sie sich in ihren Dichtungen seiner Leitung willig ergab.

Rist, der in seinen ›Lebenserinnerungen‹ aus dem Jenaer Kreise nur über Goethe, Herder und Sophie ausführlich spricht, schildert die Dichterin folgendermaßen: »Eine liebliche Erscheinung in jenen Zusammenkünften [des Professorenklubs, zu denen auch Goethe sich einfand] war die Professorin Mereau, eine reizende kleine Gestalt, zart bis zum Winzigen, voll Grazie und Gefühl. Beides an einen rohen Gatten gekettet und verschwendet, ließ sie später von der geraden Linie weiblicher Einfalt abschweifen . . . Damals war sie von Allem, was Sinn und Geschmack besaß, hoch gefeiert; wo sie erschien, drängte man sich um sie, und fast um sie allein, ein dichter Schwarm von Bewunderern, die nach einem Wort, einem Lächeln von ihr haschten; ringsumher schlossen noch die Gaffer einen undurchdringlichen Kreis, aus dem mich ein richtiges Gefühl entfernt hielt; wenn ich gleich, als an ihren Mann empfohlen, auch mitunter in ihrem Hause eingeladen war. Es ist das Schicksal schöner und geistreicher Frauen, vorzüglich auf den Universitäten, daß sie, allein stehend in ihrem Geschlecht, selten die rechte Haltung bewahren und der gefährlichen, stets erneuerten Versuchung so vieler Huldigungen zu widerstehen vermögen.«

Ihrer Ehe mit Mereau entsprossen zwei Kinder, Gustav (geb. am 27. Januar 1794, gest. am 29. Januar 1800) und Hulda (geb. am 3. September 1797), die später den Professor der Theologie Ullmann heiratete. Nicht lange blieb das Glück in der Mereauschen Familie ungetrübt: die Gatten verstanden sich nicht. Sophie hielt sich für verkannt und mißhandelt von ihrem Mann, der aber gewiß manchmal Grund zur Eifersucht hatte. Sie schrieb damals in ihr Tagebuch: »Alles kann und muß man ertragen im Gefühl des Guten, was man stiftet, nur nicht mit einem Menschen zu leben, den man nicht achten kann.« Und über ihren Seelenzustand sprach sie sich selbst mit folgenden Worten aus: »Ich bin ein resigniertes Wesen, das keine Hoffnungen mehr hat als das Grab; denn es ist nicht mehr Zeit, das, was ich erreichen wollte, ist nun zu fern von mir, das Leben reicht nicht zu, es einzuholen. Weil ich mich verweilte, die kleinen Blumen der Gegenwart zu pflücken, so führten die Wellen der Zeit die einzige Blume, die mir Lebensgenuß geben konnte, hinab, ich werde sie nimmer erreichen. Der heitre Himmel lockt mir Tränen ins Auge; ach! er beleuchtet nur die Trümmern meines Erdenglücks. Ein feindseliges Gestirn waltete bei meiner Geburt, und der Zufall schwor, mir niemals günstig zu sein. Wo hätte ich Mut hernehmen sollen, das Schicksal zu bezwingen? – ich fand in mir eine Welt, die mich beschäftigte, die ich gern in die Wirklichkeit hinstellen wollte, ein angenehmes Bild für die Zuschauenden! wo ich nur Ruhe von außen brauchte, um auszubilden, was in mir lag! – Das Schicksal gönnt mir diese Ruhe nicht. Es drängt mich in Verhältnisse, wo alles mich peinigt, wo die heitern Bilder, die in mir liegen, nur wie Blumen aus Trümmern sich hie und da hervorringen, worinnen meine Weichheit mich festhält. Meine Ruhe ist Traum, meine Freude ist das Lachen der Verzweiflung, meine Harmonien sind einzelne abgerissene Töne, die von seinen Freudensälen durch die Einöde hallen. Eine unbezwingliche Neigung, meine Kräfte harmonisch auszubilden, bewahrte mich vor jener oft glücklichen Einseitigkeit, die einzelne Seiten des Geistes hervorhebt und zu hohen Genüssen beflügelt. Was ich erreichen wollte, war mehr, aber es bedurfte des Sonnenscheins glücklicher Umstände, und ein Nebel vergiftete die Blüten meines Geistes.«

Clemens hatte bald sein leicht entzündbares Herz verloren an die zierliche Frau, deren schöne blaue Augen oft so traurig blickten. Er besuchte sie häufig, erzählte ihr »sehr interessant seine Geschichte« und las ihr »seine Schrift«, den ›Godwi‹, vor, während sie »aufwachende Neigung und Wohlgefallen an ihm« empfand. Ein Freund, der den Scherznamen Catalog führte, erkundigte sich schon am 9. Juli 1796: »Schreibe mir doch etwas von der Geschichte Deines Herzens und von den Revolutionen, die die kleine Mereau nach und nach darin anrichtet.« Gegen Ende des Jahres wurde er täglicher Tischgast im Hause Mereau und bevorzugter Verehrer der »Poesie«, wie man Sophie im Freundeskreise gern nannte.

Die ärztliche Verlegenheitsberufswahl erkannte er bald selbst als Irrtum, machte allerlei Pläne für Studien in Naturwissenschaften und Sprachen, aus denen auch wieder nichts wurde, lebte der Liebe und liebte das Leben und ergab sich mehr und mehr seinem eigentlichen Beruf, seiner Berufung: der Dichtkunst.

Am 23. Juli 1799 fuhr Clemens mit Sophie Mereau nach Oßmannstedt, wo seine Großmutter Sophie von la Roche und seine Schwester Sophie (»das schwarzlockichte Mädchen mit dem einen schönen Auge«) bei Wieland zu Besuch waren, und vier Tage später überraschte die Schwester die Geliebte des Bruders in Jena und machte dort einen »angenehmen Eindruck«.

Für Sophiens ›Kalathiskos‹ schrieb Clemens den ›Sänger‹ und auch wohl das ›Fragment eines Briefes über Wilhelm Meisters Lehrjahre. 1799‹. Am 27. Februar 1801 schrieb Dorothea Schlegel an ihn: »Ihr ›Sänger‹ nimmt sich sehr gut aus, er ist auch die Vanille in dieser liebenswürdigen, milchkalten Schale. Da kein Name darunter steht, so hat S[ophie] M[ereau] von vielen Seiten her Komplimente grade über diesen ›Sänger‹ erhalten.«

Der Verkehr zwischen Sophie und Clemens gestaltete sich immer inniger, aber außer den vielen »glücklichen, heiteren Stunden« muß sie öfter und öfter »schreckliche Szenen« und »Mißverständnisse« ihrem Tagebuche anvertrauen, bis schließlich im August 1800 der »Umgang mit B. gänzlich aufgehoben« wurde. Nach den angeblich von Winkelmann verfaßten ›Nachrichten‹ am Schluß des ›Godwi‹ soll Clemens im Sommer 1800 die Frau, die er liebte, nach ihrer Rückkehr aus Italien in Dresden wiedergefunden haben. Die in Wirklichkeit gar nicht »große Frau« ist tatsächlich nie in Italien gewesen, und erst 1803 kam sie zum erstenmal nach Dresden. An dem Bruch zwischen den Liebenden war Friedrich Schlegel, der beiden Freundschaft heuchelte und Clemens ausnutzte, mitschuldig, durch seine Eifersucht und seine Zwischenträgereien entstanden häufig jene Mißverständnisse, die die Trennung herbeiführten. Hämisch berichtete Dorothea Schlegel ihrem Schwager August Wilhelm: »Ja, ja, Meeräffchen hat dem Angebrannten eklatanten Abschied gegeben, so daß er nicht angebrannt, sondern ganz abgebrannt ist.« Leider kam Clemens zu spät zur Erkenntnis über Schlegels Charakter: »Schlegel hat mich betrogen, und der bezauberte Drache, der ihn mit starrer, angebannter Liebe besitzt.« Und wenn er ihn später für einen »Schuft« erklärte, so ist diese Kennzeichnung nicht ganz unverdient.

Die Scheidung der Ehe zwischen Mereau und Sophie, die schon längere Zeit getrennt voneinander lebten, wurde von einer Kommission unter Herders Vorsitz am 27. Juli 1801 ausgesprochen. Schon vorher hatte Sophie Jena verlassen und war, nach einem längeren Aufenthalt in Schwarzburg während der Sommermonate 1800, mit ihrer Tochter Hulda nach Kamburg übergesiedelt, wo sie nach einer schweren Zeit voll Trübsinns und innerer Kämpfe endlich glücklich wurde und Ruhe fand. Das Tagebuch verzeichnet aus dieser Zeit nur wenige Sätze: »Vom 14ten Mai 1801 bis den Frühling 1802 das tiefste Leiden, Kampf, Nachdenken, Ruhe, Rückfälle und Kleinmut und Irrtum. Vom Frühling 1802 volle Klarheit, Frieden, Religion, unzerstörbares Glück. Lohn nach überstandener Prüfung.« Dabei war sie sehr fleißig, denn sie verdiente sich mit ihren literarischen Arbeiten und ihren Übersetzungen selber den Lebensunterhalt.

Die Freunde in Jena und Weimar hatten die ihrem Kreise Entrissene nicht vergessen; ein lebhafter Briefwechsel erhielt das Andenken, häufige Besuche brachten willkommene Abwechslung in das zurückgezogene, arbeitsame Leben in Kamburg. So war Schlegel oft Gast der Dichterin, die er bei der letzten Durcharbeitung ihrer ›Serafine‹ beriet. 1802 erschien dies Gedicht in Berlin bei Unger, der durch Böttigers Vermittlung Sophie die Herausgabe einer ›Sammlung neuer Romane aus dem Englischen‹ übertrug, als deren erster Band ›Die Margarethenhöhle oder die Nonnenerzählung‹ herauskam. Die bereits 1797 in Schillers ›Horen‹ erschienenen Briefe von ›Amanda und Eduard‹ wurden jetzt fortgesetzt und beendet, die Gedichte zum Göttinger Musen-Almanach für das Jahr 1803 nicht ohne Geschick und Geschmack zusammengestellt.

Clemens konnte die Geliebte auch am Rhein und in Göttingen nicht vergessen, er erkundigte sich am 14. Juli 1800 beim Freunde Winkelmann: »Antworte mir bald; die Mereau hat noch keine Zeile geschrieben, und du weißt, daß ich mit dem, was ich liebe, in Verkehr stehen muß, weil ich all mein Leben daher hole.«

In dem gleichen Brief spricht Clemens von den zwei liebenswürdigen Mädchen, die sein einziger Umgang sind und mit denen er die Lucinde liest. Eines dieser Mädchen war Minna Reichenbach. Es war also mit seiner Sterbensverliebtheit in diese ebenso wenig weit her wie später mit Gritha Hundhausen, denn da wie dort lebte im Hintergrund die Liebe zu Sophie. Clemens verlangte von der Geliebten ein stetes Aufgehen in ihm, da er »all sein Leben daher hole«. Nach dem plötzlichen Tode der geliebten Schwester Sophie (29. September 1800 bei Wieland in Oßmannstedt) war, bevor Bettine beherrschend in sein Leben trat, Kunigunde, Savignys spätere Gattin, die Vertraute seiner widerspruchsvollen Gefühle. Sie legte auf sein flehentliches Bitten hin bei Sophie ein gutes Wort für den Bruder ein; und Sophie antwortete freundlich, blieb aber Clemens gegenüber ablehnend. All die Erlebnisse mit Sophie waren Clemens unter der Arbeit an seinem Roman ›Godwi‹, den er eben abzuschließen im Begriff stand, wieder lebendig geworden, und die alte Liebe brannte lichterloh; er wollte und mußte mit Sophie wieder einig werden. Und wenn er auch in Göttingen und dann in Frankfurt sehr fleißig war (auch die Arbeit am Lustspiel ›Ponce de Leon‹ schritt tüchtig voran), so waren seine sehnsüchtigen Gedanken doch immer in Kamburg. Schließlich reiste er Ende November 1801 nach Weimar und bestürmte Sophie mit Briefen, die aber absagend beantwortet wurden. Sie lehnte es auch bei ihrem kurzen Aufenthalt in Weimar um die Jahreswende ab, ihn zu treffen. Auch Majers Vermittlungsversuche blieben vergeblich, so daß Clemens sehr gedemütigt und tief gekränkt wieder abreisen mußte. Er berichtete darüber an Winkelmann: »Nach Kamburg hatte ich ihr, weil sie von mir selbst nichts hören wollte, geschrieben als einer Schwester von mir über mich. Da ich keine Antwort erhielt, ging ich nach Weimar zum vortrefflichen Majer, der immer der treue Cavalier Servente ist, und dieser wirklich gediegene, einfache, vortreffliche Mensch hat mich in meiner Krankheit unterstützt und alles an mir getan, wie er es einstens schon getan. Er gab der Mereau Briefe von mir; sie soll dabei gerührt gewesen sein und bezog sich auf ihre Antwort auf den Kamburger Brief, den ich nicht erhielt, und der Schlegeln in die Hände kam, ohne mir bis jetzt ausgeliefert zu sein. Das Zettelchen, das sie mir schrieb, ist ein würdiger Geselle aller gezierten, herzlosen Papiere, die ich von ihr habe, und bei Gott ein leeres Geschwätz mit einem spitzen Mäulchen. Ich bat, sie möge in Majers Gesellschaft mir nur einige Worte gönnen, ganz gleichgültige, damit ich sie im ›Ion‹, der abends gegeben ward, nicht öffentlich zum ersten Male sehen möchte. Das wollte sie nicht, aber sie hätte wohl so gütig sein können, auch aus dem ›Ion‹ zu bleiben, da er den andern Tag wieder annonciert war, wo ich morgens abreiste. So stand ich mit unsäglicher Pein im Schauspielhaus, und da sie wegging, begegnete ich ihr vielmal, und im Gedränge der Herausgehenden hielt ich sie einige Sekunden mit inniger, herzlicher Liebe wie einen Engel, den ich nie gesehen, fest in meinen Armen. Wäre mir das Wagenrad des Herrn Kotzebue da über das Herz gegangen, so wäre es wahr, daß ich niederträchtig und selig umgekommen. So steht es. Was ich sonst weiß, ist, daß Du einstens recht hattest, als Du Schlegels Einmischen in die Sache verdächtig fandest, denn ich weiß nun sicher, daß ich von ihm mißbraucht bin in seiner ganzen Freundschaft.«

Den Juli 1802 brachte Sophie in Lauchstädt zu, wo die Oberkammerfrau Karoline von Egloffstein ihr eine Wohnung »dem Pranger gegenüber« besorgt hatte. Später dachte diese noch oft »an Lauchstädt, die musikalischen und unmusikalischen Stunden!«

Clemens hielt sich Ende des Jahres 1802 in Düsseldorf auf, wo sein Singspiel ›Die lustigen Musikanten‹ als Oper aufgeführt wurde. Die Hauptdarstellerin glich äußerlich der geliebten Sophie. »Ich habe sie kaum gesprochen, denn ich wollte mir die schönste Täuschung nicht nehmen, Sie, liebe Mereau, täglich in einem andern Bilde vor mir zu sehen. So hatte ich Sie ein Vierteljahr lang alle Wochen fünf Abende vor meinem Augenglas, so liebte ich Sie ungestört von Ihren Remarquen und Precautionen, ich war unaussprechlich glücklich.«

Im Dezember 1802 zog Sophie nach Weimar, und nicht lange danach sollte sich hier ihr Schicksal entscheiden. Der Brief Christian Brentanos gab die Veranlassung zu erneuter Anknüpfung der Beziehungen zwischen den beiden, die doch nicht voneinander lassen konnten. Sophie sandte auf Christians Bitte ein von ihr aufbewahrtes Bildnis Maximiliane Brentanos mit einem kurzen Schreiben an Clemens zurück, der beides bei seiner Rückkehr aus Düsseldorf in Marburg vorfand. Im Februar 1803 schrieb er selbst über die nächste Entwicklung der Angelegenheit an Arnim, der sich damals in Paris befand: »Merkwürdigkeiten meines Lebens sind: ein kleiner, etwas fader Brief der Mereau ohne Veranlassung, in dem sie mich auffordert, ehrlich und ohne Witz mich gegen sie zu erklären. Meine Antwort hierauf aus vollem wahren Herzen ohne Schonung für mich und sie, wie ein geistreicher Dritter, alles mit den scharfsinnigsten Nuancen ausgeführt, ihre Geschichte in dreierlei Gestalten, voll Mutwill, wahr bis zur Zote, Erklärung meines großen Lüsten, sie zu beschlafen, Trauer über ihr Alter und ihre unendlich schlechten Verse, überhaupt der freiste, kühnste und glücklichste Brief, den ich je geschrieben, und der längste. Er schloß in einigen brünstigen Handwerksburschen-Liedern. Ich behandle bei meinem völligen Unglauben an sie die ganze Sache wie einer, der seine letzten Groschen in Opium versäuft, aber oh, die Katzen leben der Liebe, ich sterbe nicht; stelle Dir vor, die Mereau antwortet zum erstenmal auf diesen Brief, gesteht die Wahrheit meiner meisten Vorwürfe ein, plötzlich wird sie durchschimmernd ironisch, dann wieder freundlich, und in dem ganzen Brief liegt eine geschämige Einladung, wieder anzuknüpfen; doch traue ich der Sache nicht und halte das Ganze für Coq et de ris, für einen alten Hahn in Reis. Bei allem dem wende ich mich künstlich zu ihr, und die ganze Sache kann ich nun wie all mein Glück ruhig treiben, ich will sehen, wer den andern überlistet. Mit Füßen soll sie mich nicht wieder treten, denn sie ist, seit ich Dich kenne, keine Bedingung meines Glückes mehr und könnte mir vielleicht nur noch ein Amüsement werden. Mein nächster Brief wird eine Mausefalle sein, in der sie selbst der Speck ist und die Egoistin gefangen wird. Du sollst bald Nachricht davon haben.«

Es kam anders, als er sich gedacht hatte, er fing sich selbst in der »Mausefalle« – zu seinem Glücke. Die Erlaubnis, sie wiederzusehen, versetzte ihn in einen Taumel des Entzückens, er reiste von Frankfurt ab, ohne sich von den Seinigen, ja sogar von Bettine, zu verabschieden. Ein Vorwand für sein plötzliches Erscheinen in Sophiens Nähe war die Absicht des Freundes Wrangel, nach seiner Heimat zurückzukehren, und Clemens' Wunsch, ihn in Deutschland festzuhalten. Von Jena aus bat er Sophie, den Tag des Wiedersehens zu bestimmen. Am 14. Mai 1803 fanden sich die Herzen zusammen. Jubelnd schrieb Sophie in ihr Tagebuch: »Frühling des Gemütes. Großer Wechsel. Blumen, Liebe, Andacht, Leben.« Und nochmals auf ein anderes Blatt: »Glücklicher Tag! Wo ich endlich bestimmt die eigentlichen Vergehungen meines Lebens einsehen konnte, wo ich die wahre Quelle meines Unglücks fand, wo mein Geist sich gestärkt fühlte, wie die Natur nach einem Gewitterregen, und wo der wahre Genuß des Lebens an keine Zeit, kein Alter gebunden, nahe und erreichbar vor mir dastand!« In seliger Stimmung dichtete Clemens zum Sophientag:

Süßer Mai! Du bringest nieder
Blume, Blüte, Sonnenschein,
Daß ich wisse, wem die Lieder,
Wem das Herz, das Leben weihn.

In der Zeit vom 21. Juli bis 14. September 1803 entstand das wundervolle Kunstwerk der Büste, die Friedrich Tieck, der Bildhauer, Bruder des Dichters, von Clemens schuf. »Tieck hat mich gegriffen aus deinem Herzen, wie du mich liebst, wie du mich neu gebären wirst«, schrieb Clemens an Sophie. Diese aber wurde begeistert zu dem Sonett, das sie später in ihrer »Bunten Reihe« veröffentlichte.

Welch süßes Bild erschuf der Künstler hier?
Von welchem milden Himmelsstrich erzeuget?
Nennt keine Inschrift seinen Namen mir,
Da diese holde Lippe ewig schweiget?

Nach Hohem lebt im Auge die Begier,
Begeistrung auf die Stirne niedersteiget,
Um die, nur von der schönen Locken Zier
Geschmücket, noch kein Lorbeerkranz sich beuget.

Ein Dichter ist es. Seine Lippen prangen
Von Lieb umwebt, mit wundersel'gem Leben,
Die Augen gab ihm sinnend die Romanze,

Und schalkhaft wohnt der Scherz auf seinen Wangen,
Den Namen wird der Ruhm ihm einstens geben,
Das Haupt ihm schmückend mit dem Lorbeerkranze.

Und bald danach entstand eins seiner ergreifendsten Gedichte: »O Mutter, halt dein Kindlein warm!«

Dem Freunde Arnim berichtete er: »In Weimar bin ich meist den ganzen Tag bei dem Bildhauer Tieck gewesen, er hat meine Büste für Bettinen, Sophie und dich gemacht. Wenn du nach Deutschland kommst, kannst du mich auf deinem Schreibpult stehen haben, und zwar mit einer so freien, edlen, stolzen Miene, wie sie deinen Freund bezeichnen muß, wenn er einst etwas hervorgebracht, wobei ihm Gott mehr ins Ohr geflüstert als bis jetzt. Ludwig Tieck, der dorthin zu Besuche kam, machte mich durch seine viele Liebe zu mir und sein Interesse für meine neueren Arbeiten recht glücklich und mutig.«

Glückliche Sommerwochen waren das für die Liebenden, bis sie sich am 22. August trennten, um bald darauf sich für immer zu vereinigen. Sophie machte mit ihrer Freundin Charlotte von Ahlefeld eine Reise nach Dresden, und Clemens kehrte nach Marburg zurück. Von dort unterrichtete er Arnim über das, was inzwischen sich ereignet hatte:

»Da ich die M[ereau] wiederfand, waren wir uns gegenseitig durchaus zuwider, und ich hatte die erniedrigende Empfindung, ein Weib geliebt zu haben, das durchaus meiner unwürdig sei. Jener magische Schleier der Trauer war von ihr gewichen, und in der platten Umgebung fader, langweiliger Lustigkeit gesunken, erschien sie mir eine gemeine Kokette (ach, Arnim, wenn Du wüßtest, wie ungern ich das alles wiederhole, solche Liebessachen sind so abgedroschen), aber bald löste sich alles. Ich fand in ihr nicht mehr jenen göttlichen Zug, der alle Nachkommen der göttlichen Stämme bezeichnet, die der Beherrscher der Welt, das Schicksal, mit dem Unglück belehnt hat. Aber ich fand in ihr eine Güte, eine Unschuld, eine Menschlichkeit, die nur die Götter und Kinder auf der Erde rein erhalten können. Und muß dies Wesen nicht das vortrefflichste sein, das nach grenzenlosem Unglück, verlassen von Gott und der Welt, beschimpft und arm, ein menschenliebendes leichtes, fröhliches Herz erhielt? Nachdem meine frühere Leidenschaft lange noch mit ihr kämpfte, nach einigen schrecklichen Wochen, die in Liebe, Haß, Verachtung, Hingaben, Tränen und wieder Liebe wechselten, traten wir beide, wie zwei feindselige Zauberer, die in demselben Schiffe sich trafen und deren jeder, dem anderen Sturm bereitend, sich eignes Verderben bereitete, an ein neues, uns unbekanntes Land. Hier auf dieser Insel ist kein Jenseits, ein andres Leben setzt seinen Fuß hierher und hebt sein ruhiges Aug zu andern gütigeren Göttern. Sie ist es, die, als unter uns der Kiel versank, mich umarmte, mich hinüberbrachte. Sie liebt mich, wie ich sie ehedem liebte, und sie ist das einzige Weib, die jener unendlich ähnlich sieht, die ich mit Dichteraugen in ihr gesehen. Genug, Arnim, sie liebt mich grenzenlos, sie verläßt alle ihre Verhältnisse und folgt mir nach. Der Lärm unter ihren und meinen Angehörigen, der Unwill, das Gegenarbeiten, als es bekannt ward, daß sie entschlossen sei, Weimar zu verlassen und sich mir auf Tod und Leben zu ergeben, äußert sich auf eine fürchterliche Art. Dein armer Freund und seine arme Geliebte, die durch einander reich genug sind, wurden von den beiden Chören mit den schrecklichsten Verbrechen ausgestattet, doch dieses alles zu wiederholen, ermüdet mich. Diesen Winter schon wohnt sie in Marburg bei mir, in sechs Wochen erwarte ich sie. Wir sind noch nicht einig, uns zu heiraten. Sie will es nicht, um mich nicht zu beschränken, ich will es, um mich zu befreien, denn Ruhe, Unbemerktheit vor der Welt, Einfachheit ist mein innigstes Bedürfnis. Meine Familie, in der sich die streitenden Elemente immer mehr durch ihre Produkte gegeneinander organisieren, war mir lange der Krebs, der den Herkules in die Ferse kneipt. Ich knüpfe nun ein neues Band, ich lebe und dichte neben einem guten, freundlichen Weib, die durch Erfahrung, Geduld und das ihr vielleicht außer Dir allein eigene Talent, mir das Leben zu beflügeln, alles in mir ausgleicht und beruhigt, was der Kampf der Eigentümlichkeit mit dem Allgemeinen zerstörte. Ich sage Dir nichts, als daß ich durch sie alle natürlichen Dinge im vollsten Maße erhalte und nicht mehr aus Bedürfnis dichten werde. Wünsche mir Glück und liebe mich, denn jener wunderliche Kampf in mir um sie ist gelöst, und ich kenne sie so, daß ich mit Ruhe sagen mag, ich habe zuviel erhalten für meine Arbeit im Weinberg, denn sie ist in allem mir angemessen und in Güte und Liebe überschwenglich.« –

Und schon vorher hatte er geschrieben:

»Wenn Sophie einen Jungen kriegt, so soll er Achim heißen, ist es ein Mädchen, so heißt es Betine, der Grund ist gelegt, vielleicht wächst Dein Pate schon unter ihrem Herzen, drum ehre sie und denke mit Liebe an sie. Arnim, was Du von mir im Hollin sagst: ›ist das alles‹, wie wahr ist es – Kunst, Kunst, Du mußt alles sein, sonst ist es nichts mit dem Leben. – Genug hiervon. Eines nur befehle ich Dir, habe keine Sorge um mich, meine Lage steht wie immer, meine Freiheit wie immer, ich gehöre Dir und unsren Hoffnungen wie immer, meine liebenswürdige Gesellin geht mich nichts an und Dich also auch nicht, sie gehört nur zu meinen natürlichen Dingen, und ich erringe so Trost rückwärts, das Ganze ist mein. Ende gut, alles gut, ach, so hat mein Erhabenes denn nun endlich auch ein romantisches Dach und Fach, und ich werde in Marburg nicht mehr so erhaben langeweilt sein.«

Bis Eisenach reiste Clemens seiner Braut entgegen, am 21. November traf er dort mit ihr zusammen, dann führte er sie dem neuen Wohnort Marburg zu, wo »Herr Clemens Brentano aus Frankfurt a. M., privatisierender Gelehrter und Frau Professorin Mereau aus Jena« am 29. November in der lutherischen Pfarrkirche getraut wurden.

 

Im ganzen gestaltete sich die Ehe nicht sehr glücklich, denn die wilden Stürme, die Clemens' Geist beunruhigten, störten gar zu oft den Frieden und die Stille im Hafen der Ehe. Anfangs waren auch dem unruhigen und immer reiselustigen Jüngling die Fesseln, mit denen er sich durch die Heirat gebunden hatte, ungewohnt und beschwerlich; als dann die hohen Erwartungen und Hoffnungen, mit denen er in die Ehe getreten war, sich nicht ganz erfüllten, wurde er mißmutig und quälte seine Frau, die in kurzer Zeit der Geburt eines Kindes entgegensah. An Arnim schrieb er am 2. April 1804: »Du mußt nicht glauben, lieber Achim, als sei ich unglücklich oder verändert durch meine Verbindung mit Sophien; nein, ich fühle mein Dasein durch sie verschönt, aber beflügelt sehe ich es nicht. Sie ist ein gutes Kind und eine freundliche Frau, die ich liebe, aber ich bin ohne Gehilfe, ohne Mitteilung in meinem poetischen Leben, ich möchte sagen in meinem poetischen Tod.« Der Günderode schildert er Sophie in einem Briefe vom 2. Juni: »Sophie freut sich nicht weniger als ich, Sie zu sehen, und ich glaube, Sie werden sich lieben. Sie ist die gesündeste, kräftigste Natur, die ich kenne, und würde manches Stuben- und Stadtwetter von Ihrer Seele ableiten . . . Meine Frau ist ein tüchtiges Weib, an Leib und Seele gesund, und mehr noch rüstig, gewandt, und bis zur Kunst an beiden gelangt durch Anlage, Lust und Übung; wenn man sie auf den Kopf stellt, fällt sie immer wieder auf die Füße. Es macht mir oft einen großen Spaß, daß sie bei mir ist, sie ist ein allerliebster Kamerad, wenn sie vergnügt ist . . . Bis jetzt weiß ich noch nicht, wo ich meine Heimat finden werde. Ich möchte gern meinem Vaterlande nah oder auch in meinem Vaterlande wohnen, aber die Teuerung! Alles andere ist in Frankfurt für mich beinahe besser als sonstwo, und auch für Sophien, welche Gesellschaft und Vergnügungen bedarf, denn ihr Element ist Freude, und in der Freude ist sie auch wie ein Kind und oft wie ein Engel.« – Nur schade, daß er die Freude nicht oft recht aufkommen ließ oder gar zu schnell störte!

Das Zusammenleben mit Clemens, schrieb Sophie an Charlotte von Ahlefeld, enthalte Himmel und Hölle, aber die Hölle sei vorherrschend. Gewiß war es nicht leicht, die Gefährtin eines genialen, von wechselnden Stimmungen fortwährend beherrschten Dichters zu sein. Und doch fand er gerade in der Marburger Zeit Muße, an der ›Chronika eines fahrenden Schülers‹ zu arbeiten, die tiefsinnige Dichtung der ›Romanzen vom Rosenkranz‹ zu beginnen und manche seiner schönsten Lieder zu dichten. Darin zeigt sich am deutlichsten der wohltätige Einfluß Sophiens.

Der am 11. Mai 1804 geborene Knabe Achim Ariel Tyll wurde im Juni gefährlich krank und starb bereits im Alter von fünf Wochen. Nun hielt es Clemens in Marburg nicht länger aus, zumal da auch sein Schwager Savigny mit seiner jungen Frau Kunigunde eine für längere Zeit berechnete wissenschaftliche Forschungsreise nach Paris angetreten hatte. Ende Juli 1804 verließen Clemens und Sophie mit Hulda Marburg und blieben zunächst drei Wochen im ›Goldenen Kopf‹ zu Frankfurt, wo sie von den Brentanos herzlich aufgenommen wurden. Dann zogen sie voll froher Hoffnungen um die Mitte des Monats August nach Heidelberg und fanden dort an der von neuem aufblühenden Universität eine Reihe von Professoren, mit denen sie schon von Jena und Marburg her bekannt und befreundet waren. Die »liebe, herrliche Frau«, wie Fries Sophie nannte, verstand es auch hier, die Herzen für sich einzunehmen.

Aber auch die landschaftliche Schönheit der Neckarstadt konnte Clemens nicht lange fesseln, eine unwiderstehliche Reiselust erfaßte ihn, so daß auch Sophie ihn in dem Vorsatz bestärkte, den von seinen großen Fahrten zurückgekehrten Arnim in Berlin zu besuchen. Sie erhoffte von dieser Reise Ruhe für sich und für ihn. Gewiß urteilte Clemens sehr ungerecht, als er, vom Rheumatismus gequält und daher in reizbarer Stimmung, am 3. Oktober an Arnim schrieb: »Glaubst Du wohl, Arnim, daß es schmerzt, mit einem kalten Wesen täglich zusammen zu sein, das die Häuslichkeit verachtet, ohne zu einem andern Dasein Talent zu haben? Man kann nur mit zweierlei Weibern leben, entweder mit der frommen, häuslichen, begrenzten Frau oder mit der beflügelten, gedankenerweckenden, phantastischen, und beide müssen unergründlich sein. Sophie ist immer traurig, launenvoll und hart, ihr poetisches Streben, welches nie ein echtes war, ist mit ihrem Leiden und meiner Nähe zugrunde gegangen, sie glänzte unter den Studenten und war eine Mythe des jenaischen glänzenden Enthusiasmus, mit dem sie unterging, ich glaubte, sie sei ein Kind, und an der Grenze ihres Sturzes, den sie mit der sentimentalen Epoche in ihrer Ehescheidung begründete, kam ich ihr entgegen, aber sie gab sich mir nicht hin, ihre vorige, sehr schlechte Welt ging nicht in dem großen Liebesmeere unter, das ich, mich selbst auflösend, um ihre Brust ergoß. Stirb, stirb in mir, so rief ich ihr im Anfang zu, aber die Götter verwandelten sie in eine kalte, nordische Insel, ein traurig Feld, um das ich mein begehrend Herz bewegte. Alles wendete ich auf, rastlos hoffend, alle meine wunderbaren südlichen Feenschlösser riß ich ein und spielte die glänzenden Krystalltrümmer hin auf den Sand, ich warf alle reichbeladenen Schiffe auf die Bank hin, und was mein Schoß verbarg, alles, alles gab ich hin. Arnim, öde ist das Feld, mutlos, trüb und liebt mich nicht. Sie fühlt das, so wie ich, wir haben oft ruhig darüber gesprochen.«

Arnim, der seinen Clemens besser kannte als dieser sich selbst, und Sophie freundlich beurteilte, setzte ihm den Kopf zurecht: »Ich kann darüber nichts erraten noch Dir raten: nur um eines bitte ich Dich, störet Euer Vertrauen nicht. Es ist eine höhere Durchdringung als Liebe, und die Liebe hat nur darin ihren Wert. Vertrauen ist die höchste Leidenschaft und die höchste Tat zugleich, so daß Leiden und Schaffen darin als Tat sich figuriert.«

Am 27. Oktober bestieg Clemens den Postwagen; in Würzburg bei Niethammer, in Gotha bei Geißler, und in Leipzig machte er Stationen, und am 13. November traf er in Berlin bei dem geliebten Freunde ein, den er seit zwei und einem halben Jahre nicht gesehen hatte. Ein längst gehegter Wunsch war nun in Erfüllung gegangen, ein sorgenloses, abwechslungsreiches Leben konnte beginnen, aber kaum war Clemens aus Heidelberg fort gewesen, da hatte ihn schon eine heiße Sehnsucht nach Sophie geplagt, so daß er bereits in Würzburg beinahe die Weiterreise aufgegeben hätte. »Soll ich weinend oder lachend auf Deinen letzten Brief antworten?« warf sie ihm liebevoll vor, »einen größern Don Quichotte wie Dich trug gewiß nie die prosaische Erde! Zu Hause sitzt sein treues Weib, liebt ihn, lebt eingezogen, arbeitsam, trägt ihn in und unter dem Herzen und ist ganz zufrieden – er reist ganz lustig durch die Welt, zu einem geliebten, wunderholden, einzigen Freund, er könnte ganz ruhig und glücklich sein, aber weil er gar nichts weiß, ihm gar nichts fehlt, so kämpft er gegen Windmühlen und trägt sich mit den unwesentlichsten Grillen! – Ich bitte Dich, nimm doch das Gute wahr, das Dein ist, es nicht genießen, ist auch Sünde, und bekämpfe diesen unbeschreiblichen Hang, stets nach dem Fernen Dich zu sehnen. Diese ewige Sehnsucht gehört nur Gott. – Meine Liebe, meine ich, müßte Dich umgeben wie ein warmes, weiches Kleid, das Du überall mit Dir trägst und in dem Du Dich wohl befindest, aber es scheint, als bedürfe Dein Gefühl, um zu fühlen, öfters einen Reiz, der, wie spanische Fliegen, Blasen zieht. Du bist es, nicht ich, der ewig nach der Fremde trachtet. Deine Begierde nach mir ist eben das, was Du oft bei mir empfunden, was Dich jetzt zu mir zieht, zog Dich oft von mir weg, es ist ein allgemeines Gefühl, ein stetes Sehnen nach dem Entfernten, das mich eigentlich insbesondre gar nichts angeht. Ich bitte Dich, lieber Fremdling, komm doch endlich einmal nach Hause, Du bist stets nicht bei Dir, und es ist so hübsch bei Dir; versuch es nur und komm zu Dir selbst, Du wirst die Heimat finden, sie lieben und dann immer mit Dir tragen!«

Indessen lebte er mit Arnim doch ganz vergnügt in Berlin, eine Menge neuer Bekanntschaften wurde angeknüpft und alte erneuert, im Dezember machten sie gemeinschaftlich eine Reise nach Ziebingen, wo Ludwig Tieck weilte, der dringend verlangt hatte, Clemens wiederzusehen, und den Freunden aus seiner Übersetzung der Nibelungen vorlas, und auf Arnims Gut Wiepersdorf. Mit der bestimmten Zusicherung des Freundes, im Frühjahr 1805 nach Heidelberg zu kommen, wo sie den inzwischen gründlich durchdachten Plan einer Volksliedersammlung ausführen wollten (›Des Knaben Wunderhorn‹), schied Clemens am 19. Dezember von Berlin und traf am 1. Januar daheim ein. »Clemens freut sich, wieder zu Haus zu sein, und ist zärtlicher gegen seine Frau als jemals«, meldete Creuzer der Günderode. Und Clemens selbst teilte Arnim seine glückliche Rückkehr mit: »Mehrere Tage bin ich nun wieder in meiner Heimat, wo ich liebevoll, ja sozusagen recht verliebt aufgenommen worden bin. Das ganze Gemüt Sophiens hat sich in meiner Abwesenheit gesetzt, und sie ist recht liebenswürdig, gütig und leidenschaftlich geworden . . . Sophie war im höchsten Putz, da ich in Deinen Stiefeln anlatschte. Es war Neujahr, sie wollte zum Schmaus gehen und nahm mit mir vorlieb . . . Sophie dankt Dir für den schönen Titel ›Bunte Reihe‹, sie wird ihn beibehalten; sie hat während meiner Abwesenheit einige schöne Lieder geschrieben, die in einer andren Art und besser als alle ihre vorhergehenden sind.« Diese »Bunte Reihe kleiner Schriften« erschien zur Ostermesse 1805.

Sehr originell erklärt Arnim in einem Briefe (3. Januar 1805) An Sophie die Unstimmigkeiten in ihrer Ehe mit Clemens, er vergleicht die beiden mit zwei Meistern auf der Orgel, »die beide recht spiellustig sind, doch fällt es erst dem einen ein zu spielen, wenn schon der andre angesetzt, da zieht er ihm die Pfeifen aus und will sie stimmen. Da tadeln sie sich wohl einander, daß jenem nun die Töne fehlen, die er ihm selber ausgezogen, und jener diesen, daß er so ungezogen dazwischenpfeift und stimmt . . . Wenn ich mir Brentano denke, so sehe ich in seiner Hand eine andre, die ihn festhält. Sie sind sehr glücklich, und er ist sehr glücklich, so notwendig sich verbunden zu haben. Es ist herrlich, sein Leben ganz und ungeteilt ohne Geheimnis und blinde Hoffnung an eine unendliche Tat zu setzen, das ist Gottes-Freiheit, jedes, das in sich schließt, endet miserabel in Launen, die des Teufels Macht auf Erden vorstellen. Was kann ich Ihnen Besseres wünschen zum neuen Jahre, es sei wie das alte, ich wollte Ihnen etwas viel Besseres sagen, aber das Beste kann doch nie gesagt werden; ich wünschte bei Ihnen zu sein, ich wünschte, daß Sie hierhergekommen wären. Sie hätten mir einen Orakelspruch geben können, was ich werden soll, da Sie meine Verhältnisse nicht kennen; nichts ist unpoetischer in der Welt als das Leben eines Dichters. Maler, Bildhauer usw. kann man sein, um Poet zu sein, müßte man Gott selber werden. Dichter sind nur Lichter, wenn sie wirklich notwendig der Welt; um der Welt notwendig zu sein, muß man sich frei in ihrer Not wenden lernen. – Sie sollten beide zusammen promovieren in Heidelberg, zusammen Collegia lesen über die Literatur aller Welt, aller Zeit, aller Zonen. Ich schwatze so in die Welt hinein, wird die Welt mir widerhallen – alles ist still, und ich glaube, daß ich recht habe.«

Arnim hielt sein Versprechen: er kam im Frühling nach Heidelberg und blieb den ganzen Sommer hindurch. Viele Stunden reinster Freude bereitete den Dreien die Arbeit für das ›Wunderhorn‹, das Familienglück wurde allerdings schmerzlich gestört durch den frühen Tod der im Mai 1805 geborenen Tochter. Das war ein harter Schicksalsschlag für Clemens, der überdies noch von heftigen rheumatischen Schmerzen gepeinigt wurde. Um Heilung zu suchen, ging er im August nach Wiesbaden, Arnim begleitete ihn bis Frankfurt, wo er blieb, um den Druck des ›Wunderhorns‹ zu beaufsichtigen. Clemens hatte seine Frau wieder sehr gequält, voller Verzweiflung schrieb sie in ihr Tagebuch:

»Viele Tage sind vorübergegangen, doch sollen sie nicht ganz vergessen sein. O! sie waren von trauriger großer Wichtigkeit für mich! was für Tränen mußten fließen, um die unerklärliche Seelenstarrheit von vormals zu verlöschen! Ach! mein armes Herz kämpft mit unsichtbaren Gegnern: hart muß es sich selbst verklagen und weiß nicht, wo es Vergebung suchen soll. O Vater des Himmels, nur einen Funken Deines Lichts, nur eine Ahndung Deines Geistes, daß kühler Friede und heilige Glut der Hoffnung in meine Seele zurückkehre! Bin ich nicht mehr Dein Geschöpf wie ehmals? Hast Du mich ganz von Deinem Angesicht verstoßen? Ach! schone, schone meiner, die oft der Verzweiflung nahe ist!«

Nach Beendigung der Kur machte Clemens mit Sophie und Arnim eine vergnügte Rheinreise, von der sie am 25. September nach Heidelberg zurückkehrten. Für einige Zeit war das Zusammenleben der beiden nun ruhiger und glücklicher. Clemens berichtete darüber am 1. Januar 1806 an Arnim:

»Ich lebe jetzt häuslich sehr ruhig, Sophie ist oft recht liebevoll gegen mich, aber über eine wunderbare Trauer, die sie bei dem Blick auf ihre Geschichte dann und wann erstarrt, habe ich keine Gewalt, da sie alle Liebe verloren. Härter, hilfloser, starrer, kälter gibt es keine Tränen als die trauernder Frauen, die keinen Gott haben. Ich habe neulich nach stundenlangem Flehen nichts erfahren über die Ursache solcher Tränen, als: ›Dich trifft meine Trauer nicht, ich traure über mein verlorenes Leben, ich traure, daß ich nichts bin und daß ich noch nicht gedemütigt bin‹, und das kommt manchmal mitten in den freundlichsten, gegenseitig liebevollsten Tagen, ohne alle Veranlassung.«

Sophie hatte in ihr Tagebuch geschrieben: »Mein Herz schlägt ruhig. Ist es Ermüdung der Seele von der schweren, traurigen Anstrengung, die sie erlitten, ist es der Einfluß freier, freundlicher Beschäftigungen, ist es der ruhige, über weite Felder herabfließende Schimmer des Mondes, oder hat das Herz in dem Studium der Menschengeschichten Trost gefunden, da gefehlt zu haben, wo viele fehlten, auch Vortreffliche?«

Clemens verstand es nicht, sich Freunde zu machen. Professor Friedrich Wilken urteilte wohl wie viele, wenn er seiner Braut Caroline Tischbein schrieb: »Vorgestern habe ich bei Brentano Kaffee getrunken; sie gefällt mir sehr, und ich bedauere nichts mehr, als daß ihr Mann so hasenfüßig und überhaupt nicht zu einem näheren Umgang geeignet ist. Dies bedauert hier jeder, mit dem ich von ihr gesprochen habe.«

Zusammen mit Sophie und Hulda besuchte Clemens Anfang Juni 1806 den Wallfahrtsort Walldürn in Franken. Da sich um jene Zeit, wie der Biograph Diel sagt, der Tod des Professors Mereau ereignet habe, sei Clemens jetzt in der Lage gewesen, »dem Unstatthaften seines Ehebündnisses ein Ende zu machen«. Er habe deshalb in Walldürn seine Ehe kirchlich regeln lassen. In den Kirchenbüchern von Walldürn findet sich eine derartige Eintragung nicht. Immerhin wäre es möglich gewesen, daß ein Gerücht von dem Tode Mereaus nach Heidelberg gedrungen war, denn Mereau wurde damals von einem französischen Kriegsgericht wegen Spionage zum Tode verurteilt, später aber freigesprochen. Er lebte, wiederverheiratet, noch bis 1825.

Von diesem Besuch in Walldürn brachte Bertuchs »Journal des Luxus und der Moden« einen klatschhaften Bericht, gegen den sich Clemens in der Badischen Wochenschrift »mit tiefer Indignation« öffentlich zur Wehr setzte.

Im Juli 1806 bat Clemens Arnim, wieder nach Heidelberg zu kommen, er solle im Herbst zum drittenmal Pate bei ihm werden. »Du sollst Dich freuen, was Sophie mich lieb hat und wie gut sie ist. Wir leben in einer wunderschönen, einigen Ehe.«

Aber plötzlich sollte das Glück ein vorzeitiges Ende finden. Sophie verschied am 31. Oktober 1 Uhr nachts bei der Geburt des dritten Kindes, einer Tochter, die mit der Mutter starb. Die Teilnahme unter den Heidelberger Bekannten war allgemein; hatte sich doch Sophie überall herzlicher Beliebtheit erfreut. Professor Friedrich Creuzer teilte die Trauerkunde seinem Vetter, dem Pfarrer Leonhard Creuzer in Marburg, mit: »Ich kam von zwei Leichnamen zurück, die ich soeben noch in ihrem Frieden ruhen sah. Es ist Brentanos Frau und Kind, mit dem sie diese Nacht im Wochenbett gestorben ist, nachdem sie noch gestern Abend auf dem Schlosse war, heiter wie immer und abends noch die Wiege besorgend, in der das Neugeborene liegen sollte. Es ist ein ergreifender Anblick, eine Mutter hingestreckt zu sehen vom Tode mit ihrem Säugling, auf einem Bette, festlich geschmückt wie ein Brautbett. Ich verweilte gern bei der Leiche, da ihr Anblick ganz den Frieden des Todes zeigt. Sie ist sanft gestorben und ruht unentstellt und lieblich. Brentano aber ist fürchterlich in seinem Schmerz und fast einem Wahnsinnigen ähnlich.«

Friedrich Creuzer hatte von dem traurigen Ereignis auch dem freundlichen Gothaer Bibliothekar Friedrich Jacobs Nachricht gegeben, der ihm antwortete: »Der frühe plötzliche Tod der armen Brentano hat mir sehr weh getan. Ich kenne sie seit langer Zeit, und ob ich gleich nie weder eine Geliebte noch eine Freundin aus ihr gemacht haben würde, so hat sie mich doch durch mancherlei gute Eigenschaften und durch die schöne und seltene Bildung ihres Geistes angezogen. Den zarten Duft der Weiblichkeit hatte sie freilich schon früh verloren, da sie durch den Tod ihrer Mutter in eine Unabhängigkeit geriet oder vielmehr in eine Schutzlosigkeit, durch die ein Schwarm schmeichelnder, verderbender, eigennütziger Männer um sie versammelt wurde. Ein Wunder ist's, daß dabei noch so viel sich erhielt. Dann kam sie in die rohen Hände eines gutmütigen Tyrannen oder eines tyrannischen bon mari, der sie aus Eitelkeit heiratete, aus Eitelkeit quälte und aus Eitelkeit fortschickte. Vieles hat sie da freilich verschuldet, was einer Frau nie verziehen werden kann, aber nichts, was nicht mit vielen und guten Gründen zu entschuldigen ist. Sie war gewiß besser, als sie schien; und sie würde ein Engel geworden sein, wenn sich ein verständiger und gebildeter Mann ihres Herzens durch eine große Leidenschaft bemächtigt und die zarten Saiten ihres Wesens harmonischer zu stimmen gewußt hätte. Ich beklage sie herzlich, ihres Lebens und ihres Todes halber.«

Mit Arnim war infolge der politischen Ereignisse des Jahres 1806 jede Verbindung abgerissen. In Königsberg hatte ihm der Jenenser Doktor Schlosser, der als Militärarzt ein Opfer des Krieges wurde, erzählt, er habe in der Zeitung vom Tode Sophiens gelesen. »Wir sind hier«, schrieb er damals in einem Briefe, der erst nach Monaten Clemens erreichte, »von allem abgeschnitten, ich möchte sagen von der Zeit; doch habe ich eine Zuversicht und behalte sie, Deine Frau müsse leben . . . Küsse die gute, liebe Frau, um Dich ihres Lebens zu versichern. Sie war immer so gütig gegen mich, so wenig Zutrauen sie auch zu mir hatte, nur jemals ein Wort vorzulesen, was sie für das ganze Publikum geschrieben.« Im April hatte sie ihm noch ihre Übersetzung von Boccaccios »Fiametta« geschickt und er ihr für dies Buch den Verleger besorgt. Nach dreiviertel Jahren erst konnte Clemens, der den furchtbaren Schicksalsschlag immer noch wie am ersten Tage empfand, dem Freunde genau berichten:

»Sophie, die mehr zu leben verdiente als ich, die die Sonne liebte und Gott, ist schon lange tot. Blumen und Gras wachsen über ihr und dem Kinde, welches, getötet durch sie, sie tötete, Blumen und Gras sind sehr traurig für mich! Sie war froh und gesund den 30. Oktober 1806, wir waren auf dem Schloß. Sie sah in die Sonne mit den Worten: ›Ich will Dir einen Jungen gebären, wie die Sonne so feurig! er soll uns so lieb werden wie Arnim, wenn er im Kriege untergeht!‹ Aber die Sonne ging unter. Hinten im Schloßgarten wurden grade die schönen Linden durch Gatterer abgehauen: ›Ach, wenn nur die nicht umfällt, die wir aus unsrem Fenster sehen!‹ Sie eilte hin, sie bat, aber der Baum war schon unterwurzelt. Die Stricke zogen, er schlug vor ihren Füßen nieder. Da faßten wir uns in den Arm und gingen sehr erschüttert und sehr liebend, aber traurig nach Haus, Zu Haus war wunderlicher Besuch: die alte Lassaulx aus Koblenz, die Du kennst, und Görres mit seiner Frau, derselbe, der mir einmal so wütend ins Auge geschlagen. Er war auf demselben Schiff bis nach Heidelberg gefahren, auf welchem wir einst mit Sophien gefahren. Er war gekommen, Philosophie in Heidelberg zu lesen. Er bat mich herzlich wegen jener Geschichte um Verzeihung, wir liebten uns schnell, Sophie und seine Frau freuten sich herzlich aufeinander. Sophie fühlte Wehen, mit unendlicher Freude und Seelenruhe rief sie mich hinaus. Ich trug die neue Wiege mit ihr in die Stube; da dachte ich, daß es die dritte neue Wiege war, und weinte. Aber Sophie war wie eine Heilige froh. Sie neckte mich, und wir rüsteten zusammen die Wiege und das Geräte, ihre Stube hatten wir selbst noch dekoriert. Ich holte noch Dein Bild und eine Madonna, die hängte ich hinein, es war abends acht Uhr. ›Nimm die Hulda und gehe mit Görres auf das Schiff, damit sie nicht jammert, wenn ich schreie; es wird bald vorüber sein!‹ Die Mutter Lassaulx blieb, ich ging aufs Schiff. Ich wartete, ich erzählte Görres, wie wir lagen auf jener Reise: wie Du unten lagst, wo Sophie lag, wo ich. Wie ich auf jenem Schiff damals in der Nacht sehr traurig war, wie ich Sophien weckte und ihr sagte: ›Sieh, was unser Arnim so hübsch und grad da auf dem Boden liegt! Ach, wenn er tot wäre, Sophie, wenn Du und er tot wären!‹ Damals schliefst Du, und meine Tränen fielen auf Dein Antlitz, ich habe es Dir nie gesagt. Da ging Sophie hinaus aufs Verdeck, ich war eingeschlafen in großer Trauer. Da ich erwachte, war sie nicht da. Ich griff nach einer grünseidenen Decke, die sie bei sich hatte, die war leer, sie ist auch unter ihr gestorben. Ich drückte die Decke ans Herz mit dunkelm Schmerz und ging aufs Verdeck. Da stand sie, der Rhein rauschte, die Sterne spielten: ›Liebe Sophie, warum bist Du allein heraus?‹ Sie war still. ›O antworte mir, ich bin entsetzlich traurig, ich liebe Dich entsetzlich!‹ – ›Clemens, Du bist ein Dämon! Du bist wunderlich, Du bist ein Geist, kein Mensch!‹ – Da sprang ich auf und küßte sie heftig und war unaussprechlich glücklich. Diese Dinge erzählte ich dem ernsten, lächelnden Mann; er ist ein göttlicher Mensch, dieser Görres. Über seiner Brust und seiner Stirn schlagen alle Wünschelruten und schwebt kein Irrlicht mehr. Auf dem Verdeck pochte ich noch mit Tiecks Stock und rief: ›Görres, hier war's!‹ und dann lief ich ans Land. Da ich nach Haus kam, hörte ich Sophie jammern: ›Lieber Clemens, rufe mir den Arzt! Ach Gott, ach Gott, stärke mich!‹ Ich rief den Doktor Mai. Um zwölf Uhr kam die Mutter Lassaulx und sagte: ›Das Kind ist da, man sucht es zu beleben, es ist ein Mädchen.‹ Und ich sprach: ›Lebt mein Weib? ich habe keine Freude an Kindern, sie sterben.‹ – ›Ihr Weib ist sehr schwach!‹ – Da hörte ich Sophien schwer, schwer atmen; sie sagte: ›Lebt mein Kind?‹ und starb, und die Erde starb, alles starb! und ich schrie ›Arnim! Arnim!‹ und rang die Hände nach Deinem Bild. Und Schwarz und Zimmer und Fries trugen mich zu Görres auf das Schiff, und Görres drückte mich fest, fest ans Herz, und ich schrie immer: ›Sophie, das Herz ist zerbrochen!‹ – Den anderen Tag brachte mich Görres bis Darmstadt.«

 

Der Traum von Glück und Liebe war für Clemens zu Ende, die mit Sophie verlebten Jahre waren wohl die glücklichsten seines Lebens. Einen Altar hat er ihr in seinem Herzen errichtet, vor dem er in der seelischen Zerrissenheit der späteren Jahre oft Zuflucht und Trost suchte, und im Traum erschien sie ihm »schier alle zwei oder drei Nächte sehr liebevoll und schön und heilig, ach so wie in der ersten Liebe.«



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