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Ein Blick auf das Leben der Gesamtheit

Den Vogel erkennt man an seinen Federn.« Mit diesem Sprichwort unterscheidet das Volk sehr richtig die gefiederten Rückgrattiere von allen übrigen Wirbeltieren. Wenn man dem Sprichworte hinzufügt, daß die Kinnladen mit Hornschneiden bekleidet, die Vorderglieder in Flügel umgebildet, also nur noch zwei Beine vorhanden und in diesen Fußwurzel und Mittelfuß zu einem Stück verschmolzen sind, sowie ferner sich vergegenwärtigt, daß das Hinterhaupt mit einfachem Gelenkknopfe, der aus mehreren Stücken bestehende Unterkiefer an dem beweglich mit dem Schädel verbundenen Quadratbeine gelenkt, das Herz doppelte Kammern und Vorkammern besitzt, die Lungen mit Luftsäcken und den meist luftführenden Knochen in Verbindung stehen, das Zwerchfell unvollkommen und das Becken nicht offen ist, wird man auch dem Naturforscher gerecht.

So abweichend gebaut der Vogel zu sein scheint, so große Ähnlichkeit zeigt sein Gerippe mit dem der Säugetiere, so viele Übereinstimmung aber ebenso mit dem der Kriechtiere, weshalb letztere von nicht wenigen Naturforschern als Vorläufer der gefiederten Rückgrattiere aufgefaßt werden. Bezeichnend für die Vögel ist ihr Vermögen zu fliegen; mit ihm hängen die scharf ausgeprägten Eigentümlichkeiten der Gestalt und des inneren Baues aufs engste zusammen; aus ihm erklärt sich größtenteils die Umgestaltung, die die Vögel im Gegensatz zu Säuge- und Kriechtieren erlangen mußten, um das zu werden, was sie sind.

Der Schädel ist stark gewölbt und wird aus verschiedenen Knochen zusammengesetzt, deren verbindende Nähte, in der Jugend deutlich sichtbar, im Alter so miteinander verwachsen, daß von der vormaligen Trennung keine Spur mehr übrig bleibt. Die kleinen, aber sehr verlängerten Knochen, die das Gesicht bilden, bestehen aus zwei Oberkieferbeinen, dem Pflugschar- und Quadratbeine und den Verbindungsknochen sowie den Unterkiefern. Bemerkenswert ist die Größe der Augenhöhlen und die Dünne der zwischenliegenden, zuweilen auch wohl durchbrochenen Wand, ebenso der einfache Gelenkknopf am Hinterhauptsloche, der größere Beweglichkeit des Schädels ermöglicht, als sie beim Kopf des Säugetieres stattfinden kann. Die Halswirbel schwanken an Zahl zwischen neun und vierundzwanzig und zeichnen sich aus durch ihre Beweglichkeit, während die sechs bis zehn Rumpfwirbel und die neun bis siebzehn Lenden- oder Kreuzwirbel im Gegenteil sehr unbeweglich sind und oft miteinander verschmelzen. Im Gegensatz zu dem entsprechenden Teil der Säugetiere sind die Schwanzwirbel, deren Anzahl meist acht bis zehn beträgt, durch Verschmelzung jedoch herabgemindert werden kann, stets vollkommener ausgebildet als bei den Säugetieren, was sich namentlich an dem letzten, dem Träger der großen Steuerfedern, bemerklich macht; denn dieser Wirbel stellt sich als eine hohe, drei- oder vierseitige Knochenplatte dar. Die dünnen und breiten Rippen, deren Anzahl mit jener der Rückenwirbel im Einklang steht, gelenken an letzteren und durch besondere Knochenkörper am Brustbein, tragen auch, mit Ausnahme der ersten und letzten, am hinteren Rand hakenförmige Fortsätze, die sich auf dem oberen Rand der folgenden Unterrippen anlegen und zur Festigung des Brustkorbes wesentlich beitragen, dementsprechend auch bei den kräftigen Fliegern sehr entwickelt, bei den Läufern hingegen verkümmert sind oder gänzlich fehlen. Das Brustbein läßt sich mit einem großen Schilde vergleichen, auf dessen Mitte der Kamm aufgesetzt ist. Seine Größe und die Höhe des Kammes werden bedingt durch die sich hier ansetzenden gewaltigen Brustmuskeln, verändern sich also je nach der größeren oder geringeren Flugfähigkeit des Vogels. Bei allen Raubvögeln z. B. ist der Kamm sehr hoch und stark gebogen, bei den Kurzflüglern fehlt er gänzlich. Als besondere Eigentümlichkeit desselben mag noch hervorgehoben werden, daß er bei einzelnen Vögeln inwendig hohl ist und dann einen Teil der Luftröhre aufnimmt. Das Becken unterscheidet sich von dem der Säugetiere hauptsächlich durch seine Verlängerung. Der Schultergürtel besteht aus dem langen, schmalen, jederseits neben der Wirbelsäule den Rippen aufliegenden Schulterblatte, das sich vorn mit dem sogenannten Rabenbeine zur Bildung des Schultergelenkes verbindet, und den an ihrem vorderen Ende verschmolzenen Schlüsselbeinen, die gemeinschaftlich das Gabelbein darstellen; der Flügel aus dem Oberarm, einem langen, luftgefüllten Röhrenknochen, der im Gegensatz zu den Säugetieren starken Elle und der verhältnismäßig schwachen Speiche, die den Unterarmteil bilden, zwei, höchstens drei Mittelhandknochen und drei Fingern; einem Daumen, der bei mehreren Vögeln einen wirklich krallenartigen, aber unter den Federn versteckten Nagel trägt und dann zwei Glieder hat, dem großen, zweigliederigen und dem mit ihm verwachsenen kleinen, eingliederigen Finger. Die Beine werden gebildet aus dem Ober- und dem Unterschenkel, dem Laufe und dem eigentlichen Fuß oder den Zehen. Am Unterschenkel zeigt sich das Wadenbein als ein verkümmerter, mit dem starken Schienbein verwachsener Knochen; der Lauf besteht aus einem langen Röhrenknochen, an dem die Zehen gelenken. Von den letzteren sind gewöhnlich drei nach vorn, eine nach hinten gerichtet; bei einzelnen Vögeln kehrt sich die Hintere Zehe jedoch nach vorn, bei andern verkümmert sie, bei andern wendet sich eine Zehe, die äußere oder die innere, nach hinten, bei einzelnen endlich verkümmert der Fuß bis auf zwei außen sichtbare Zehen. Der Daumen besitzt in der Regel zwei, die erste Vorderzehe drei, die zweite vier, die äußere fünf Glieder.

Das ganze Gerippe verknöchert ungemein schnell, und die Knochenmasse ist viel dichter und spröder, auch weißer als bei den Säugetieren. Besonders aber unterscheiden sich die Knochen der Vögel von denen der Säugetiere dadurch, daß sie luftführend sind. Das bei dem jungen Vogel vorhandene, sehr blutreiche Mark wird allmählich aufgesaugt, der Knochen also hohl und damit befähigt, Luft in sich aufzunehmen.

Unter den Muskeln stehen die Brustmuskeln, die die Flügel bewegen, obenan. Sie erreichen hier einen Umfang wie bei keinem Wirbeltier weiter. Ihnen gegenüber treten die Muskeln des Rückens auffallend zurück. Am Bein haben in der Regel nur der Ober- und der Unterschenkel kräftige Muskeln; denn bloß bei denjenigen Vögeln, deren Fänge bis zu den Zehen herab befiedert sind, erstrecken sich die Muskeln weiter nach unten bis gegen die Zehen hin, bei den übrigen sind sie am Laufteile bereits sehnig geworden. Besonders entwickelt zeigen sich die Hals- und ebenso die Hautmuskeln, verkümmert die Gesichtsmuskeln.

Das Nervensystem kommt dem der Säugetiere sehr nahe. Das Gehirn überwiegt an Masse noch das Rückenmark, ist jedoch schon einfacher gebildet, teilt sich in das große und kleine Hirn und zeigt beide Halbkugeln des ersteren, nicht aber die Windungen, die das Hirn der Säugetiere so auszeichnen. Das verlängerte Mark ist beträchtlich groß, das Rückenmark in der Röhre der Halswirbel rundlich und gleich dick, in der Röhre der Brustwirbel breiter und dicker, in den Kreuzwirbeln wieder dünner. Die Nerven Verhalten sich in ihrem Verlaufe ungefähr ebenso wie die der Säugetiere.

Alle Sinneswerkzeuge sind vorhanden und wohl entwickelt, einzelne zwar vereinfacht, nicht aber verkümmert. Das Auge steht obenan, ebensowohl wegen seiner verhältnismäßig sehr beträchtlichen Größe wie seiner inneren Bildung. Gestalt und Größe sind sehr verschieden; alle fernsichtigen und alle nächtlichen Vögel z. B. haben sehr große, die übrigen kleinere Augen. Dem Vogelauge eigentümlich sind der sogenannte Knochenring, gebildet aus zwölf bis dreißig vierseitigen, dünnen Knochenplatten, die sich mit ihren Rändern dachziegelartig übereinander schieben, hinsichtlich ihrer Größe, Stärke und Form aber vielfach abweichen, sowie der Fächer oder Kamm, eine dicht gefaltete, gefäßreiche, mit schwarzem Farbstoff überzogene Haut, die im Grunde des Glaskörpers auf der Eintrittsstelle des Sehnerven liegt und oft bis zur Linse reicht. Beide, Ring und Fächer, ermöglichen wahrscheinlich, daß der Vogel nach Belieben fern- oder kurzsichtig sein kann, bedingen jedenfalls die außerordentliche innere Beweglichkeit des Auges. Neben den beiden Augenlidern, die stets vorhanden sind, besitzen die Vögel noch ein drittes, halbdurchsichtiges, die sogenannte Nickhaut, die im vorderen Augenwinkel liegt, seitwärts vorgezogen werden kann und bei sehr grellem Licht sich nützlich erweisen mag. Die Regenbogenhaut ändert in ihrer Färbung nach Art, Alter und Geschlecht ab. Bei den meisten Vögeln sieht sie braun aus; von dieser Farbe durchläuft sie alle Schattierungen bis zu Rot und Hellgelb oder Silbergrau und ebenso vom Silbergrau zu Hellgrau und Blau. Einige Vögel haben ein lebhaftgrünes, andere ein bläulichschwarzes Auge. Ein äußeres Ohr ist nicht vorhanden. Die großen Ohröffnungen liegen seitwärts am hinteren Teile des Kopfes und sind bei den meisten Vögeln mit strahligen Federn umgeben oder bedeckt, die die Schallwellen nicht abhalten. Bei den Eulen wird die Muschel durch eine häutige, höchst bewegliche, ausklapp- und verschließbare Falte ersetzt. Das Paukenfell liegt nahe am Eingange; der Gehörgang ist kurz und häutig, die Paukenhöhle geräumig. Anstatt der drei Gehörknöchelchen der Säugetiere ist nur ein einziger, vieleckiger Knochen vorhanden, der mit dem Hammer einige Ähnlichkeit hat und gleichzeitig Steigbügel und Amboß ersetzen muß. Die Geruchswerkzeuge stehen denen der Säugetiere entschieden nach. Eine äußere Nase und große Nasenhöhlen fehlen. Die Nasenlöcher, am Oberkiefer gewöhnlich nahe der Wurzel des Schnabels liegend, öffnen sich als rundliche Löcher oder Spalten, ausnahmsweise auch in längeren Hornröhren und sind entweder nackt oder mit Haut oder mit borstenartigen Federn bedeckt. Innen teilt sich die Nase in zwei Höhlen, in denen je drei häutige, knorpelige oder knöcherne Muscheln liegen, und aus deren sie überziehenden Schleimhaut der Riechnerv sich ausbreitet. Einen seinen Geschmackssinn scheinen nur wenige Vögel zu besitzen, da die Zunge bloß bei einzelnen so gebildet ist, daß wir auf ihre Fähigkeit zum Schmecken schließen dürfen. Bei den meisten ist sie im Gegenteil mehr oder weniger verkümmert, entweder verkürzt und verkleinert, oder mit einer hornartigen Haut überzogen, bei wenigen lang und fleischig. Mehr als zum Schmecken mag sie im allgemeinen zum Tasten benutzt werden, und ebenso kann sie zum Anspießen oder Ergreifen der Nahrung dienen. Der Sinn des Gefühls, möge er nun als Empfindungs- oder als Tastvermögen aufgefaßt werden, scheint hoch entwickelt zu sein; denn die äußere Haut ist reich an Nerven, und der so oft tastfähigen Zunge kommt auch der mit weicher Haut überzogene Schnabel noch zu Hilfe.

Sehr vollkommen sind die Organe des Blutumlaufes und der Atmung. Die Vögel besitzen ein Herz mit zwei Kammern und zwei Vorkammern, das in seiner Bildung dem der Säugetiere sehr ähnelt, verhältnismäßig aber muskelkräftiger ist. Zu beiden Seiten desselben liegen die Lungen und seitlich der Spitze des Herzens die beiden Leberlappen. Die Lungen sind mit den Rippen verwachsen und erstrecken sich weiter nach unten als bei den Säugetieren, wie denn überhaupt eine scharfe Scheidung zwischen Brust und Bauchhöhle nicht stattfindet. Außer den Lungen füllen die Vögel noch mehrere Säcke und Zellen, die im ganzen Körper liegen, mit der eingeatmeten Luft an, indem diese aus den Lungen in die Brustfellsäcke eindringt und sich dann von hier aus weiter im Körper verbreitet, ja sogar den größten Teil der Knochen, entweder die Röhren, oder die außerdem vorhandenen Zellen, erfüllt. Die Luftröhre besteht aus knöchernen, durch Haut verbundenen Ringen und besitzt einen oberen und unteren Kehlkopf. Ersterer liegt hinter der Zunge, ist fast dreieckig und hat keinen Kehldeckel? seine Stimmritze wird von nervenreichen Wärzchen umgeben und an den Rändern mit einer weichen, muskeligen Haut bekleidet, die eine vollkommene Schließung des Kehlkopfes ermöglicht. Der untere Kehlkopf liegt am Ende der Luftröhre vor der Teilung in die Aste und ist eigentlich nur eine Vergrößerung des letzten Luftröhrenringes. Ein Steg in der Mitte, gebildet durch Verdoppelung der inneren Haut der Luftröhre, teilt ihn in zwei Spalten oder Ritzen, deren Ränder beim Ausströmen der Luft in Schwingungen gesetzt werden, also zur Erzeugung der Stimme dienen. An jeder Seite des unteren Kehlkopfes liegen Muskeln, einer bis fünf an der Zahl, die jenem, dem eigentlichen Stimmwerkzeuge, vielseitige Beweglichkeit ermöglichen. Bei wenigen Vögeln fehlen diese Muskeln gänzlich, bei andern, zu denen die meisten Singvögel zählen, sind fünf Paare vorhanden. Zu beiden Seiten der Luftröhre verlaufen außerdem lange Muskeln, die am unteren Kehlkopfe beginnen, bei einzelnen bis zu den Ohren aufsteigen und durch ihre Tätigkeit Verkürzungen oder Verlängerungen der Luftröhre bewirken können. Höchst eigentümlich ist der Verlauf der letzteren bei manchen Vögeln; denn nicht immer senkt sie sich vom unteren Ende des Halses unmittelbar in das Innere des Brustkorbes, tritt vielmehr, wie bereits bemerkt, bei einzelnen vorher erst in den Kamm des Brustbeines ein oder bildet auf den äußeren Brustmuskeln eine mehr oder weniger tiefe Schlinge, kehrt nach oben zurück und senkt sich nun erst in das Innere des Brustkorbes.

Die Verdauungswerkzeuge der Vögel unterscheiden sich von denen der Säugetiere schon deshalb wesentlich, weil jene keine Zähne haben und alle Bissen ganz verschlucken. Speicheldrüsen sind vorhanden? eine wirkliche Durchspeichelung in der Mundhöhle aber findet kaum statt, weil der Bissen vor dem Verschlingen nicht gekaut wird. Bei vielen Vögeln gelangt er zunächst in eine Ausbuchtung der Speiseröhre, die man Kropf nennt, und wird hier vorläufig aufbewahrt und vorverdaut; bei andern kommt er unmittelbar in den Vormagen, eine Erweiterung der unteren Speiseröhre, die reich an Drüsen und stets dünner als der eigentliche Magen ist, keinem Vogel fehlt und bei denjenigen Arten am größten ist, die keinen Kropf besitzen. Der Magen kann sehr verschieden gebildet sein. Bei denen, die vorzugsweise oder ausschließlich von andern Tieren leben, ist er gewöhnlich dünnhäutig; bei denen, die sich von Pflanzenstoffen nähren, sehr starkmuskelig und innen mit einer harten, gefalteten Haut ausgekleidet, die wirklich die Stelle eines Reibers vertritt und, von den kräftigen Muskeln bewegt, die Speisen, denen Sandkörner und Kieselchen beigemischt werden, zerkleinert und zermalmt. Im Darmschlauche fehlt der Dickdarm, ist wenigstens nur beim Strauß sozusagen angedeutet. Der Mastdarm erweitet sich gegen sein Ende zur sogenannten Kloake, in die die beiden Harnleiter, die Samengänge und die Eileiter münden. Die Milz ist verhältnismäßig klein, die Bauchspeicheldrüse groß, die hartkörnige, in mehrere Lappen geteilte Leber ansehnlich, ebenso die Gallenblase, die Niere endlich lang, breit und gelappt.

Einige Vögel besitzen eine deutliche Rute, alle, wie selbstverständlich, Hoden und Samengänge. Erstere liegen in der Bauchhöhle am oberen Teil der Nieren, schwellen während der Paarungszeit außerordentlich an und schrumpfen nach ihr auf kleine, kaum bemerkbare Kügelchen zusammen; letztere laufen, stark geschlängelt, vor den Nieren neben den Harnleitern herab, erweitern sich und bilden vor ihrer Mündung eine kleine Blase. Der traubenförmige Eierstock liegt am oberen Ende der Niere und besteht aus vielen rundlichen Körperchen, den Dottern, deren Anzahl sich ungefähr zwischen hundert und fünfhundert bewegt. Der Eileiter ist ein langer, darmförmiger Schlauch mit zwei Mündungen, von denen eine in die Bauchhöhle, die andere in die Kloake sich öffnet.

Die Haut der Vögel hat hinsichtlich ihrer Bildung im wesentlichen mit jener der Säugetiere Ähnlichkeit. Auch sie besteht aus drei Lagen; der Oberhaut, dem Schleimnetze und der Lederhaut. Erstere ist dünn und faltenreich, verdickt sich aber an den Fußwurzeln und Zehen zu hornigen Schuppen und wandelt sich auch am Schnabel in ähnlicher Weise um; die Lederhaut ist verschieden dick, bei einzelnen Vögeln sehr dünn, bei andern stark und hart, stets gefäß- und nervenreich und nach innen zu oft mit einer dichten Fettschicht bedeckt. Die Federn entwickeln sich in Taschen der Haut, die ursprünglich gesäßreiche, an der Oberhaut liegende Wärzchen waren, jedoch allmählich in Einsenkungen der Lederhaut aufgenommen wurden. Die Wärzchen haben, nach Carus, auf ihrer vorderen Fläche eine tiefe Furche, von der rechts und links seichtere Furchen abgehen, die, wiederum mit kleinen seitlichen Furchen verbunden, um die Tasche herumziehen und auf der hinteren Fläche derselben flach auslaufen. Die Oberhaut, die die Tasche mit allen ihren Unebenheiten bedeckt, wuchert vom Grunde aus und verhornt; der verhornte Teil wird nach außen geschoben und stellt die Feder dar. Diese entspricht hinsichtlich ihrer Form den Furchen der Tasche; der Schaft oder Kiel der tieferen vorderen, der Bart den beiden seitlichen. Gegen Ende des Wachstums der Feder schwinden die Furchen; der Schaft schließt sich zu einem dünnwandigen Rohre, und die in dieses hinein verlängerte Warze vertrocknet. Somit stellen sich die Federn als Erzeugnisse der Oberhaut dar. Sie sind ähnliche Gebilde wie Haare, Stacheln oder Schuppen der Säugetiere, bei den verschiedenen Vögeln aber Vielfachen Veränderungen unterworfen und auch an den verschiedenen Teilen des Vogels selbst abweichend gebildet. Man unterscheidet den Stamm, die Fahne oder den Bart, am Stamme die Spule und den Schaft. Ersterer ist der untere, in der Haut steckende Teil der Feder, ein rundes, hohles, durchsichtiges Gebilde, das nach oben hin vierkantig wird und mit zelligem Marke sich füllt, während es in der Mitte die oben und unten angewachsene Seele, eine Reihe tütenförmiger, ineinandersteckender Zellen enthält, die die Nahrung zuführen. Der obere Teil des Schaftes ist gewölbt und ebenfalls mit glatter, horniger Masse bedeckt, der untere durch eine Längsrinne geteilt und minder glatt. Am Schafte stehen zweizeilig die den Bart bildenden Strahlen, dünne Hornplättchen, die schief von innen nach außen am Schafte befestigt sind und an deren oberen Kante sich zweizeilig die Fasern ansetzen; letztere tragen fast in gleicher Weise angereihte und gebildete Häkchen, die den innigen Zusammenhang der Federn vermitteln. Unter diesen selbst unterscheidet man Außen- und Flaumfedern oder Dunen. Erstere werden in Körper-, Schwung-, Steuer- und Deckfedern, die Schwungfedern in Hand-, Arm und Schulterschwingen eingeteilt. Am Handteile des Flügels stehen gewöhnlich zehn Handschwingen oder Schwungfedern erster Ordnung, während die Anzahl der Armschwingen oder Schwungfedern zweiter Ordnung schwankend ist; der Schwanz wird in der Regel aus zwölf, selten aus weniger, öfter aus mehr Steuerfedern gebildet. Von der Wurzel vieler Außenfedern zweigt sich oft eine Nebenfeder, der Afterschaft ab, der meist sehr klein bleibt, bei dem Emu aber dieselbe Länge und eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Hauptfeder erlangt. Alle Außenfedern stehen nicht überall gleich dicht, sind vielmehr in gewisser Weise nach Fluren geordnet, so daß eigentlich der größte Teil des Leibes nackt und die Befiederung nur auf schmale, reihenartige, bei den verschiedenen Vögeln auch verschieden verlaufende Streifen beschränkt ist. Diejenigen Vögel, die gleichmäßig dichtes Federkleid tragen, sind zum Fliegen unfähig. Die Körperfedern liegen dachziegelartig, die Schwung- und Steuerfedern fächerförmig übereinander; die Deckfedern legen sich von oben nach unten über die Schwung- und Steuerfedern und werden demgemäß als Hand-, Ober- und Unterflügel- oder Schwanzdeckfedern unterschieden. Bei den Dunen ist die Fahne weitstrahliger, lockerer und biegsamer, der Verband der Häkchen mehr oder weniger aufgehoben und das ganze Gefüge dadurch ein anderes geworden. Auch mit den verschiedenen Farben, die an den Federn haften, steht Verschiedenheit der Bildung im Einklang; eine und dieselbe Feder, die verschiedene Farben zeigt, kann auch verschieden gebildet sein, da ihre Pracht weit weniger auf den an ihr haftenden Farbstoffen, als vielmehr auf Strahlenbrechung beruht. Ausbleichen der Federn kommt häufig, Nachdunkeln seltener vor; Weißlinge sind daher nicht ungewöhnliche Erscheinungen und werden bei den verschiedenartigsten Vögeln beobachtet.

Für die Bestimmung der Vögel ist es von Wichtigkeit, die übliche Benennung der verschiedenen Federn und aller Teile des Vogelleibes überhaupt genau zu kennen; unsere Abbildung Mit gütiger Erlaubnis von Herrn Geheimrat Reichenow entnommen seinem grundlegenden Werke: »Die Kennzeichen der Vögel Deutschlands«, Neudamm 1902. Herausgeber. mag daher zu allgemeinem Verständnisse dienen.

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Keine Klasse hat einen so regen Stoffwechsel, keine andere so warmes Blut wie die der Vögel. Eins geht aus dem andern hervor: die gesteigerte Atmung ist es, die den Vögeln ihre erhöhte Tätigkeit und Kraft verleiht. Sie atmen ungleich mehr als andere Tiere; denn die Luft kommt überall in ihrem Leibe zur Geltung und Bedeutung, da, wie bereits bemerkt, nicht allein die Lungen, sondern auch die Luftsäcke, die Knochenhöhlen und Knochenzellen, zuweilen sogar noch besondere Hautzellen mit ihr angefüllt werden. Das Blut wird reichlicher mit Sauerstoff versorgt als bei den übrigen Tieren; der Verbrennungshergang ist beschleunigter und bedeutender, seine reizende Eigenschaft größer, der ganze Kreislauf rascher und schneller; man hat gefunden, daß die Schlag- und Blutadern verhältnismäßig stärker sind, das Blut röter ist und mehr Blutkügelchen als das der übrigen Wirbeltiere enthält. Hiermit steht die unübertroffene Regsamkeit in engster Verbindung, und der durch sie notwendig bedingte Kräfteverbrauch hat selbstverständlich wiederum lebhaftere Verdauung zur Folge.

siehe Bildunterschrift

Benennung der äußeren Vogelformen (Nach Reichenow: Die Kennzeichen der Vögel Deutschlands, 1902)

Man darf behaupten, daß der Vogel verhältnismäßig mehr verzehrt als jedes andere Geschöpf. Nicht wenige fressen beinahe ebenso lange, als sie wach sind, die Kerfjäger so viel, daß die tägliche Nahrungsmenge an Gewicht ihre eigene Körperschwere zwei- bis dreimal übersteigt. Bei den Fleischfressern gestaltet sich das Verhältnis günstiger; denn sie bedürfen kaum ein Sechstel ihres Körpergewichts an Nahrung, und alle Pflanzenfresser brauchen wohl nicht mehr als sie; trotzdem würden wir auch sie als Fresser bezeichnen müssen, wenn wir sie mit Säugetieren vergleichen wollten. Die Nahrung wird entweder unmittelbar in den Vormagen oder in den Kropf eingeführt und hier vorverdaut, im Magen aber vollständig zersetzt, oder förmlich wie zwischen Mahlsteinen zerkleinert. Manche Vögel füllen sich beim Fressen die Speiseröhre bis zum Schlünde mit Nahrung an, andere den Kropf so, daß er kugelig am Halse hervortritt. Raubvögel verdauen noch alte Knochen, größere Körnerfresser verarbeiten sogar verschlungene Eisenstücke derartig, daß ihre frühere Form wesentlich verändert wird. Unverdauliche Stoffe liegen bei einzelnen wochenlang im Magen, bevor sie abgehen, während sie von andern in zusammengeballten Kugeln, sogenannten Gewöllen, wieder ausgespien werden. Für alle Vögel, die zeitweilig Gewölle bilden, ist Aufnahme unverdaulicher Stoffe notwendige Bedingung zu ihrem Gedeihen; sie verkümmern und gehen nicht selten ein, wenn sie gezwungen werden, auf solche Stoffe gänzlich zu verzichten, leiden auch wohl unter Wucherungen der inneren Magenhaut und werfen diese von Zeit zu Zeit anstatt der Gewölle aus. Trotz des regen Stoffwechsels sammelt sich bei reichlicher Nahrung unter der Haut und zwischen den Eingeweiden sehr viel Fett an; mehrere Hungertage nacheinander verbrennen dasselbe aber auch vollständig wieder. Dennoch ertragen die Vögel Hunger länger als die Säugetiere.

Auch die willkürlichen Bewegungen der Vögel geschehen rascher und sind ausdauernder, ihre Muskeln in der Tat dichter und fester, reizbarer und ihre Zusammenziehungen kräftiger als bei den übrigen Tieren, über den Flug, die ausgezeichnetste Bewegung, habe ich (Bd. 1, S. 12) schon einige Worte gesagt und möchte an sie erinnern, weil das Nachfolgende damit in Verbindung steht. Alle übrigen Tiere, die fähig sind, sich in der Luft zu bewegen, flattern oder schwirren, die Vögel fliegen. Dies danken sie der Bildung ihrer Fittiche. Alle Federn derselben liegen dachziegelartig übereinander und sind gebogen, wodurch der Flügel eine muldenartige Ausbuchtung nach oben erhält. Werden die Schwingen emporgehoben, so lockert sich die Verbindung der einzelnen Schwungfedern, und die Luft kann zwischen den Federn durchstreichen; beim Niederdrücken hingegen schließen sich die Fahnen innig aneinander und setzen der Luft einen bedeutenden Widerstand entgegen, der Vogel muß sich also bei jedem Flügelschlage erheben, und da nun der Flügelschlag von vorn nach hinten und von oben nach unten geschieht, findet gleichzeitig Vorwärtsbewegung statt. Der Schwanz dient als Steuer, wird beim Emporsteigen etwas gehoben, beim Herabsteigen niedergebogen, bei Wendungen gedreht. Selbstverständlich ist, daß die Flügelschläge der vollendeten Flieger bald rascher, bald langsamer erfolgen, bald gänzlich unterbrochen werden, daß die Flügel mehr oder weniger gewendet werden, und der vordere Rand demnach bald hoher, bald niederer zu stehen kommt, je nachdem der Vogel schneller oder gemächlicher auf- und vorwärts fliegen, schweben oder kreisen will, und ebenso, daß die Fittiche eingezogen werden, wenn sich derselbe aus bedeutenden Höhen jäh zum Boden hinabzustürzen beabsichtigt. Die Wölbung der Flügel bedingt auch, daß er zum Fluge Gegenwind bedarf? denn der von vorn kommende Luftzug füllt ihm die Schwingen und hebt ihn, während Rückwind ihm die Federn lockert und die Flügel herabdrückt, die Bewegung überhaupt beeinträchtigt. Die Schnelligkeit und die Art und Weise des Fluges selbst steht mit der Gestaltung der Flügel und der Beschaffenheit des Gefieders im innigsten Einklang. Lange, schmale, scharf zugespitzte, hartfederige Flügel und kurzes Gefieder befähigen zu raschem, kurze, breite, stumpfe Flügel und lockeres Gefieder umgekehrt nur zu langsamem Fluge; ein verhältnismäßig langer und breiter Schwanz macht jähe Wendungen möglich, große, abgerundete und breite Flügel erleichtern längeres Schweben usw. Hinsichtlich der Schnelligkeit des Fluges habe ich bereits gesagt, daß sie die jedes andern Tieres übertrifft; bezüglich der Ausdauer mag bemerkt sein, daß der Vogel hierin hinter keinem Tiere zurücksteht, daß er für uns Unbegreifliches leistet und im Verlaufe weniger Tage viele Tausende von Kilometern zurücklegen, binnen wenigen Stunden ein breites Meer überfliegen kann. Zugvögel fliegen tagelang ohne wesentliche Unterbrechung, Schwebevögel spielen stundenlang in der Luft, und nur sehr ungünstige Verhältnisse entkräften einzelne schließlich wirklich. Bewunderungswürdig ist, daß der Vogel in den verschiedensten Höhen, in denen doch die Dichtigkeit der Luft auch verschiedenen Kraftaufwand bedingen muß, anscheinend mit derselben Leichtigkeit fliegt. Als sich Humboldt in der Nähe des Gipfels vom Chimborasso befand, sah er in unermeßbarer Höhe über sich noch einen Kondor schweben, so hoch, daß er nur als kleines Pünktchen erschien; der Vogel flog anscheinend mit derselben Leichtigkeit wie in der Tiefe. Daß dies nicht immer der Fall ist, hat man durch Versuche feststellen können: Tauben, die Luftfahrer frei ließen, flogen in bedeutenden Höhen weit unsicherer als in tieferen Schichten.

In der Regel sind die guten Flieger zum Gehen mehr oder weniger unfähig; indessen gibt es auch unter ihnen einige, die sich laufend mit Leichtigkeit bewegen. Der Gang selbst ist vielfach verschieden; es gibt Renner, Traber, Läufer und Springer, Schreiter, Gänger und endlich ungeschickte Watschler oder Rutscher unter den Vögeln. Von dem Gange des Menschen, der wie sie auf zwei Füßen einherschreitet, weicht ihr Laus merklich ab. Mit Ausnahme weniger Schwimmvögel, die sich nur rutschend bewegen, gehen alle Vögel auf den Zehen, diejenigen, bei denen der Schwerpunkt in die Mitte des Körpers fällt, am besten, wenn auch nicht am raschesten, die hochbeinigen gut, jedoch mit gemessenen Schritten, die kurzbeinigen schlecht, gewöhnlich hüpfend, diejenigen mit mittelhohen Beinen sehr schnell und mehr rennend als laufend. Alle, die sich steil tragen, bewegen sich schwerfällig und ungeschickt, diejenigen, bei denen die Beine ebenfalls weit hinten am Körper eingelenkt sind, aber den Vorderteil desselben herabbiegen, kaum leichter, weil bei ihnen jeder Schritt auch eine merkliche Wendung des Vorderkörpers notwendig macht. Einige vortreffliche Flieger können gar nicht mehr gehen, einige ausgezeichnete Taucher bloß rutschend und kriechend sich fördern. Bei sehr eiligem Laufe nehmen viele ihre Flügel zu Hilfe.

Nicht wenige Mitglieder der Klasse bewegen sich im Wasser mit Behendigkeit, führen schwimmend die meisten Handlungen aus, fördern sich rudernd auf der Oberfläche weiter und tauchen in dessen Tiefe hinab. Jeder Vogel schwimmt, wenn er auf das Wasser geworfen wird; die Schwimmfähigkeit beschränkt sich auch nicht ausschließlich auf die eigentlichen Schwimmer. Bei diesen, wie bei allen im Wasser lebenden Vögeln überhaupt, stehen die Federn dichter als bei den übrigen, werden auch beständig reichlich eingefettet und sind so vortrefflich geeignet, die Nässe abzuhalten. Der auf der Oberfläche des Wassers fortschwimmende Vogel erhält sich ohne irgendwelche Anstrengung in seiner Lage, und jeder Ruderschlag hat bei ihm einzig und allein Fortbewegung des Körpers zur Folge. Zum Schwimmen benutzt er gewöhnlich nur die Füße, die er zusammengefaltet vorwärts zieht, ausbreitet und dann mit voller Kraft gegen das Wasser drückt, bei ruhigem Schwimmen einen nach dem andern, bei raschem meist beide zugleich. Um zu steuern, legt er ein Bein mit ausgebreiteten Zehen nach hinten und rudert mit dem zweiten. Mit dem Schwimmen ist oft Tauchfähigkeit verbunden. Einige Vögel schwimmen unter der Oberfläche des Wassers schneller als auf ihr und wetteifern mit den Fischen; andere sind nur dann imstande zu tauchen, wenn sie sich aus einer gewissen Höhe herab auf das Wasser stürzen. Beide Fähigkeiten sind bedeutsam für die Lebensweise. Diejenigen, die von der Oberfläche des Wassers aus mit einem mehr oder weniger sichtbaren Sprunge in das Wasser tauchen, werden Schwimm- oder Sprungtaucher, jene, die sich aus der Luft herab in die Wellen stürzen, Stoßtaucher genannt. Die Schwimmtaucher sind Meister, die Stoßtaucher eigentlich nur Stümper in ihrer Kunst: jene können ohne weiteres in die Tiefe hinabtauchen und längere Zeit in ihr verweilen, diese zwängen sich nur durch die Macht des Stoßes unter die Oberfläche und werden gewiß gegen ihren Willen wieder emporgeschleudert; jene suchen unter Wasser nach Beute, diese sind bestrebt, eine bereits erkundete wegzunehmen. Kurze Flügel ermöglichen das Schwimmtauchen, lange sind zum Stoßtauchen unerläßlich, weil hier das Fliegen Hauptsache, das Tauchen Nebensache geworden ist. Nur eine einzige Vogelfamilie, die der Sturmtaucher, vereinigt im gewissen Sinne beide Fertigkeiten. Bei den Schwimmtauchern werden die Füße und der Schwanz gebraucht, bei den Stoßtauchern hauptsächlich die Flügel, bei einzelnen der ersteren, bei den Flossentauchern namentlich, Füße, Schwanz und Flügel. Die Tiefe, bis zu der einzelne unter das Wasser tauchen, die Richtung und Schnelligkeit, in der sie sich hier bewegen, die Zeit, die sie unter der Oberfläche zubringen, sind außerordentlich verschieden. Eiderenten sollen, wie schon früher bemerkt wurde, bis sieben Minuten verweilen und, laut Holboell, bis in eine Tiefe von einhundertundzwanzig Meter hinabsteigen können; die Mehrzahl besucht so bedeutende Tiefen sicherlich nicht, erscheint auch schon nach höchstens drei Minuten an der Oberfläche, um Luft zu schöpfen. Einige Vögel, die nicht zu den Schwimmern zählen, sind nicht bloß fähig, zu schwimmen und zu tauchen, sondern auch auf dem Grunde des Wassers umherzulaufen.

Noch eine Fertigkeit ist den Vögeln eigen: viele von ihnen klettern, und zwar ganz vorzüglich. Hierzu benutzen sie vorzugsweise die Füße, nebenbei aber auch den Schnabel und den Schwanz, bedingungsweise sogar die Flügel. Die unvollkommenste Art zu klettern ist die, die die Papageien ausüben, wenn sie mit dem Schnabel einen höher stehenden Zweig ergreifen, an ihm sich festhalten und den Körper nachziehen, die vollkommenste die, die wir von den Spechten beobachten können, bei denen nur noch die Füße und der Schwanz in Frage kommen. Einige flattern mehr in die Höhe, als sie klettern, indem sie bei jeder Aufwärtsbewegung die Flügel lüften und wieder anziehen, somit eigentlich emporfliegen und sich dann erst wieder festhängen; in dieser Weise verfährt der Mauerläufer, während die Spechte sich hüpfend vorwärts bewegen, ohne die Flügel merklich zu lüften. Fast alle Kletterer steigen nur von unten nach oben oder auf der oberen Seite der Äste fort; einzelne aber sind wirklich imstande, kopfunterst am Stamme herabzulaufen und andere an der unteren Seite der Äste hinzugehen.

Eine ausgezeichnete Begabung der Vögel bekundet sich in ihrer lauten, vollen und reinen Stimme. Zwar gibt es viele unter ihnen, die wenig Töne oder bloß unangenehm kreischende und gellende Laute vernehmen lassen; die Mehrzahl aber hat eine ungemein biegsame und klangreiche Stimme; wirklich stumme Vögel kennt man nicht. Die Stimme ermöglicht reichhaltige Sprache und anmutigen Gesang. Jede eingehendere Beobachtung lehrt, daß die Vögel für verschiedene Empfindungen, Eindrücke und Begriffe besondere Laute ausstoßen, denen man ohne Übertreibung die Bedeutung von Worten zusprechen darf, da sich die Tiere nicht allein unter sich verständigen, sondern selbst der aufmerksame Beobachter sie verstehen lernt. Sie locken oder rufen, geben ihre Freude und Liebe kund, fordern sich gegenseitig zum Kampfe heraus oder zu Schutz und Trutz auf, warnen vor Feinden und anderweitiger Gefahr und tauschen überhaupt die verschiedensten Mitteilungen aus. Und nicht bloß die Arten unter sich wissen sich zu verständigen, sondern Bevorzugte auch zum minder Begabten zu reden. Auf die Mahnung größerer Sumpfvögel achtet das kleinere Strandgesindel, eine Krähe warnt Stare und anderes Feldgeflügel. Auf den Angstruf einer Amsel lauscht der ganze Wald. Besonders vorsichtige Vögel schwingen sich zu Wächtern der Gesamtheit auf, und ihre Äußerungen werden von andern wohl beherzigt. Während der Zeit der Liebe unterhalten sich die Vögel, schwatzend und kosend, oft in allerliebster Weise, und ebenso spricht die Mutter zärtlich zu ihren Kindern. Einzelne wirken gemeinschaftlich in regelrechter Weise am Hervorbringen bestimmter Sätze, indem sie sich gegenseitig antworten; andere geben ihren Gefühlen Worte, unbekümmert darum, ob sie Verständnis finden oder nicht. Zu ihnen gehören die Singvögel, die Lieblinge der Schöpfung, wie man sie wohl nennen darf, diejenigen Mitglieder der Klasse, die dieser unsere volle Liebe erworben haben. Solange es sich um reine Unterhaltung handelt, stehen sich beide Geschlechter in ihrer Sprachfertigkeit ungefähr gleich; der Gesang aber ist eine Bevorzugung des männlichen Geschlechtes, denn höchst selten nur lernt es ein Weibchen, einige Strophen abzusingen. Bei allen eigentlichen Sängern sind die Muskeln am unteren Kehlkopfe im wesentlichen gleichartig entwickelt; ihre Sangesfertigkeit aber ist dennoch höchst verschieden. Jede einzelne Art hat ihre eigentümlichen Töne und einen gewissen Umfang der Stimme; jede verbindet die Töne in besonderer Weise zu Strophen, die sich durch größere oder geringere Fülle, Rundung und Stärke der Töne leicht von ähnlichen unterscheiden lassen; das Lied bewegt sich bei einzelnen in wenigen Tönen, während andere Oktaven beherrschen. Werden die Gesangsteile oder Strophen scharf und bestimmt vorgetragen und deutlich abgesetzt, so nennen wir das Lied Schlag, während wir von Gesang reden, wenn die Töne zwar fortwährend wechseln, sich jedoch nicht zu einer Strophe gestalten. Die Nachtigall oder der Edelfink schlagen, die Lerche oder der Stieglitz singen. Jeder Singvogel weiß übrigens Abwechselung in sein Lied zu bringen, und gerade deshalb wirkt es so mächtig auf uns. Auch die Gegend trägt zur Änderung das ihrige mit bei; denn dieselben Arten singen im Gebirge anders als in der Ebene, wenn sich auch das Wie nur von einem Kenner herausfühlen lassen will. Ein guter Schläger oder Sänger in einer gewissen Gegend kann tüchtige Schüler bilden, ein schlechter aber auch gute verderben: die jüngeren Vögel lernen von den älteren ihrer Art, nehmen aber leider lieber das Mangelhafte als das Vollendetere an. Einzelne begnügen sich nicht mit dem ihnen ursprünglich eigenen Liede, sondern mischen ihm einzelne Töne oder Strophen anderer Vögel oder sogar ihnen auffallende Klänge oder Geräusche ein. Sie nennen wir Spottvögel, obwohl wir ihnen mit dieser Bezeichnung Unrecht tun. Singvögel im eigentlichen Sinne des Wortes, also solche, die nicht bloß die Singmuskeln am unteren Kehlkopfe haben, sondern auch wirklich singen, gibt es in allen Ländern der Erde, jedoch vorzugsweise in denen der gemäßigten Gürtel.

Schon vorhin wurde angedeutet, daß keine Sinnesfähigkeit der Vögel verkümmert ist. Dieser Schluß läßt sich aus der einfachen Betrachtung des Sinneswerkzeuges ziehen, erhält aber doch erst durch Beobachtung seine Bestätigung. Alle Vögel sehen und hören sehr scharf, einzelne besitzen ziemlich feinen Geruch, andere, wenn auch beschränkten, Geschmack und alle wiederum feines Gefühl, wenigstens soweit es sich um das Empfindungsvermögen handelt. Die leichte, äußere und innere Beweglichkeit des Auges gestattet dem Vogel, ein sehr weites Gesichtsfeld zu beherrschen und innerhalb desselben einen Gegenstand mit für uns überraschender Schärfe wahrzunehmen. Raubvögel unterscheiden kleine Säugetiere, Kerfjäger fliegende oder sitzende Kerbtiere auf erstaunliche Entfernung. Ihr Auge bewegt sich fortwährend, weil der Brennpunkt für jede Entfernung besonders eingestellt werden muß. Nur hierdurch wird es erklärlich, daß diese Vögel, wenn sie Hunderte von Metern über dem Erdboden schweben, kleinere Gegenstände wahrnehmen und auch in der Nähe sehr scharf sehen können. Von dem vortrefflichen Gehör der Vögel gibt schon ihr Gesang uns Kunde, da dieser erst eingelernt werden muß. Wir können uns von seiner Schärfe durch unmittelbare Beobachtung überzeugen. Scheue Vögel werden oft nur durch das Gehör auf eine Gefahr aufmerksam gemacht; gewöhnte Hausvögel achten auf den leisesten Anruf. Daß die großohrigen Eulen bei ihrer Jagd das Gehör ebensowohl benutzen werden wie das Gesicht, läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, wennschon bis jetzt noch nicht bewiesen; doch stehen auch sie den feinhörigen Säugetieren wahrscheinlich noch nach, es liegen wenigstens keine Beobachtungen vor, die uns glauben machen können, daß irgendein Vogel ebenso fein hört wie eine Fledermaus, eine Katze oder ein Wiederkäuer. Über den Geruchsinn herrschen noch heutigestags sehr verschiedene Meinungen, weil man sich in entschiedenen Fabeleien gefallen hat. Daß der Rabe das Pulver im Gewehr riecht, ist heutigestags noch bei vielen Jägern eine ausgemachte Sache; daß der Geier auf viele Kilometer hin Aasgeruch wahrnehme, wird selbst noch von manchem Forscher geglaubt. Daß ersteres nicht der Fall, braucht nicht erwähnt zu werden; daß letzteres unrichtig, kann ich, auf vielfache Beobachtungen gestützt, mit Entschiedenheit behaupten. Ein gewisses Maß von Geruch ist gewiß nicht zu leugnen; dies beweisen uns alle Vögel, mit denen wir hierauf bezügliche Beobachtungen anstellen. Von einer Witterung aber, wie wir sie bei Säugetieren wahrnehmen, kann unter ihnen gewiß nicht die Rede sein. Auch der Geschmack der Vögel steht dem der Säugetiere unzweifelhaft nach. Wir bemerken zwar, daß jene gewisse Nahrungsstoffe andern vorziehen und schließen daraus, daß es geschehe, weil die gedachten Stoffe für sie einen höheren Wohlgeschmack haben als andere; wenn wir uns aber erinnern, daß die Bissen gewöhnlich unzerstückelt verschlungen werden, erleidet eine etwaige Schlußfolgerung aus jener Wahrnahme doch eine wesentliche Beeinträchtigung. Die Zunge ist wohl eher Werkzeug der Empfindung als des Geschmacks; sie dient mehr zum Tasten als zum Schmecken. Bei nicht wenigen Vögeln hat gerade der Tastsinn in der Zunge seinen bevorzugten Sitz: alle Spechte, alle Kolibris, alle Zahnschnäbler untersuchen mit ihrer Hilfe die Schlupfwinkel ihrer Beute und scheiden diese durch sie von ungenießbaren Stoffen ab. Nächst ihr wird hauptsächlich der Schnabel zum Tasten gebraucht, so z. B. von den Schnepfen und Zahnschnäblern. Alle Vögel bekunden die größte Empfindlichkeit gegen Einwirkungen von außen, gegen Einflüsse der Witterung sowohl als gegen Berührung.

Die Vögel sind Weltbürger. So weit man die Erde kennt, hat man sie gefunden: auf den Eilanden um beide Pole wie unter dem Äquator, auf dem Meere wie auf oder über den höchsten Spitzen der Gebirge, im fruchtbaren Lande wie in der Wüste, im Urwalde wie auf den kahlen Felskegeln, die sich unmittelbar am Meere erheben. Jeder einzelne Gürtel der Erde beherbergt seine besonderen Bewohner. Im allgemeinen gehorchen auch die Vögel den Gesetzen der tierischen Verbreitung, indem sie in den kalten Gürteln zwar in ungeheurer Anzahl, aber in nur wenigen Arten auftreten, und mehr nach dem Äquator hin stetig an Mannigfaltigkeit und Vielartigkeit zunehmen. Das ausgleichende Wasser übt seinen Einfluß auch auf sie aus: es besitzt und erhält verhältnismäßig wenige und sich im wesentlichen ähnelnde Arten, während das Land seinen vielfachen Wechsel auch in der Vogelwelt widerspiegelt. Denn nicht bloß in jedem Gürtel, sondern auch in jeder Örtlichkeit treten gewisse Vögel auf, in der nordischen Tundra, der Wüste des Wassers, andere als in der Wüste des Sandes, in der Ebene andere als im Gebirge, im baumlosen Gebiet andere als im Walde. Als Ergebnisse und Erzeugnisse der Bodenbeschaffenheit und des Klimas müssen die Vögel in eben demselben Grade abändern wie ihre Heimat selbst. Auf dem Wasser ist der Verbreitungskreis der einzelnen Arten größer als auf dem Lande, wo schon ein breiter Strom, ein Meeresteil, ein Gebirge zur Grenze werden kann; aber Grenzen gibt es auch auf dem Meere. Nur äußerst wenige Vögel bewohnen buchstäblich alle Teile der Erde, soviel bis jetzt bekannt, nur ein einziger Landvogel und einige Sumpf- und Wasservögel; Weltbürger ist z. B. die Sumpf- oder Kurzohreule, die in allen fünf Erdteilen gefunden wurde, Weltbürger ebenso der Steinwälzer, der an den Küsten aller fünf Erdteile und auf der westlichen wie auf der östlichen Halbkugel vorkommt und vorkommen kann, weil er überall auf der ganzen Erde die gleichen Lebensbedingungen vorfindet. In der Regel erstreckt sich der Verbreitungsgrad weiter in der Richtung der Längengrade als in jener der Breitengrade. Im Norden der Erde leben viele Vögel, die in allen drei Erdteilen mehr oder weniger in gleicher Anzahl gefunden werden, während einige hundert Kilometer vom Norden nach Süden hin schon eine große Veränderung bewirken können. Die Bewegungsfähigkeit des Vogels steht mit der Größe des Verbreitungskreises nicht im Einklang: sehr gute Flieger können auf einen verhältnismäßig geringen Umkreis beschränkt sein, minder gute sich viel weiter verbreiten als jene. Auch die regelmäßigen Reisen, der Zug und die Wanderung der Vögel, tragen, wie wir später sehen werden, zur Ausdehnung gewisser Verbreitungskreise nicht bei.

Der Aufenthalt der Vögel ist höchst verschieden. Sie besiedeln alle Orte, die ihnen die Möglichkeit zum Leben gewähren. Von dem Meere an steigen die im Wasser hausenden Vögel bis hoch in das Gebirge empor, und mehr noch als sie erheben sich die Stelzvögel, aus dem einfachen Grunde, weil sie weniger als jene an das Wasser gebunden sind. Das trockene Land besitzt ebenso überall seine ständigen Bewohner; selbst inmitten der Wüste, auf Sandflächen, die unserer Meinung nach kaum ein Geschöpf ernähren können, finden sie noch ihr tägliches Brot. Doch ist die größere Menge, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar, ebenso an Pflanzen gebunden wie die Säugetiere. Erst im Walde entfaltet unsere Klasse ihren vollen Reichtum und ihre Mannigfaltigkeit. Das Meer ernährt Millionen von Einzelwesen derselben Art, und die Brutzeit versammelt sie auf einzelnen Felswänden, Inseln, Schären; wie zahlreich aber auch die Gesellschaft sein möge, aus dem Lande und selbst im Walde gibt es Schwärme von ähnlicher Stärke, und während dort die Einförmigkeit vorherrscht, bekundet sich hier nebenbei Verschiedenartigkeit. Je mehr man sich dem Äquator nähert, um so artenreicher zeigt sich die Klasse der Vögel, weil in den Wendekreisländern das Land selbst wechselvoller ist als irgendwo anders und mit dieser Vielseitigkeit der Erde eine Vermehrung verschiedener Lebensbedingungen im Einklang stehen muß. Dem entspricht, daß es nicht die großen Waldungen sind, die die größte Mannigfaltigkeit zeigen, sondern vielmehr Gegenden, in denen Wald und Steppe, Berg und Tal, trockenes Land und Sumpf und Wasser miteinander abwechseln. Ein durch Wälder fließender Strom, ein von Bäumen umgebener Sumpf, ein überschwemmter Waldesteil versammelt stets mehr Vogelarten, als man sonst zusammen sieht, weil da, wo die Erzeugnisse des Waldes und des Landes sich vereinigen, notwendigerweise auch ein größerer Reichtum an Nahrungsmitteln vorhanden sein wird als da, wo das eine oder andere Gebiet vorherrscht. Die größere oder geringere Leichtigkeit, sich zu ernähren, bindet die Vögel, wie alle übrigen Geschöpfe, an eine gewisse Stelle.

Die Vögel verstehen es meisterhaft, ein bestimmtes Gebiet auszubeuten. Sie durchspähen jeden Schlupfwinkel, jede Ritze, jedes Versteck der Tiere und lesen alles Genießbare auf. Wenn man die Art und Weise der Ernährung in Betracht zieht, kann man auch bei ihnen von Beruf oder Handwerk reden. Einzelne, wie viele Körnerfresser und die Tauben, nehmen offen zutage liegende Nahrungsmittel einfach auf; andere Körnerfresser ziehen Sämereien aus Hülsen heraus, die Hühner legen Wurzeln, Knollen und ähnliche Stoffe durch Scharren bloß. Die Fruchtfresser pflücken Beeren oder Früchte mit dem Schnabel ab, einzelne von ihnen, indem sie sich fliegend auf die erspähte Nahrung stürzen. Die Kerbtierfresser lesen ihre Beute in allen Lebenszuständen derselben vom Boden ab, nehmen sie von Zweigen und Blättern weg, ziehen sie aus Blüten, Spalten und Ritzen hervor, legen sie oft erst nach längerer und harter Arbeit bloß oder verfolgen sie mit der Zunge bis in das Innerste ihrer Schlupfwinkel. Die Raben betreiben alle diese Gewerbe gemeinschaftlich, pfuschen aber auch schon den echten Räubern ins Handwerk. Unter diesen beutet jeder einzelne seinen Nahrungszweig selbständig aus. Es gibt unter ihnen Bettler oder Schmarotzer, Gassenkehrer und Abfallsammler, solche, die nur Aas, andere, die hauptsächlich Knochen fressen, viele, die Aas nicht verschmähen, nebenbei jedoch auch schon auf lebende Tiere jagen; es gibt unter ihnen einzelne, die hauptsächlich größeren Kerfen nachstreben und höchstens ein kleines Wirbeltier anfallen, andere, deren Jagd bloß diesen gilt; es gibt Raubvögel, die nur auf sitzendes oder laufendes, andere, die bloß auf fliegendes Wild stoßen, einzelne, die die verschiedenartigsten Gewerbe betreiben. Unter den Sumpf- und Wasservögeln ist es ähnlich. Viele von ihnen lesen das auf, was sich offen findet, andere durchsuchen Versteckplätze der Tiere; einige fressen pflanzliche und tierische Stoffe, andere letztere ausschließlich; diese seihen sich aus flüssigem Schlamm ihre Nahrung ab, jene holen sie tauchend aus bedeutenden Tiefen empor; die einen suchen ihre Beute unter dem Wasser, die andern stürzen sich auf bereits erspähte von oben herab. Es gibt keine Gegend, kein einziges Plätzchen auf der ganzen Erde, das von ihnen nicht ausgebeutet würde. Ein jeder versucht seine Ausrüstung in der besten Weise zu verwerten, jeder sich schlecht und recht durch das Leben zu schlagen. Die Ausrüstung, also die Gestaltung und Bewaffnung des Vogels, ist es, die das Gewerbe oder den Beruf bestimmt.

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Der Vogel lebt eine kurze Kindheit, aber eine lange Jugendzeit, wenn auch nicht gerade im Verhältnis zu dem Alter, das er erreicht. Allerdings ist sein Wachstum rasch beendet und er schon wenige Wochen nach dem Eintritt in die Welt befähigt, deren Treiben und Drängen, Fordern und Anstürmen die Brust zu bieten; aber eine lange Zeit muß vergangen sein, ehe er seinen Eltern gleich dasteht. Er entwickelt sich, wie wir alle wissen, aus dem Ei, und zwar durch die Wärme, die die brütenden Eltern oder die brütende Mutter, gärende Pflanzenstoffe oder die Sonne diesem spenden. Größe und Gestalt des Eis sind sehr verschieden. Erstere in der Regel dem Umfang des Körpers der Mutter insofern angemessen, als das Ei einen gewissen Gewichtsteil des Körpers beträgt, schwankt aber erheblich; denn es gibt Vögel, die verhältnismäßig sehr große, andere, die verhältnismäßig sehr kleine Eier legen. Die Gestalt weicht von der des Hühnereis gewöhnlich nicht auffällig ab, geht jedoch bei einzelnen mehr ins kreisel- oder birnenförmige, bei andern mehr ins walzige über. Über die Färbung der Eier läßt sich im allgemeinen wenig, nur ungefähr soviel sagen, daß diejenigen Eier, die in Höhlungen gelegt werden, meist weiß oder doch einfarbig, die, die in offene Nester zu liegen kommen, getüpfelt sind. Die Anzahl der Eier, die ein Vogel legt, schwankt von eins bis vierundzwanzig; Gelege von vier bis sechs Eiern dürften am häufigsten vorkommen.

Sobald das Weibchen die gehörige Anzahl von Eiern gelegt hat, beginnt das Brüten. Die Mutter bleibt auf dem Nest sitzen, angespornt durch einen gleichsam fieberhaften Zustand, und spendet nun, entweder allein oder abwechselnd mit ihrem Gatten, dem im Ei eingebetteten Keim die Wärme ihrer Brust, macht sich auch wohl zeitweilig die Sonnenstrahlen oder die durch Gärung faulender Pflanzenstoffe sich erzeugende Wärme nutzbar. Je nach der Witterung werden die Eier früher oder später gezeitigt; die Zeitschwankungen sind jedoch bei den einzelnen Arten nicht besonders erheblich. Anders verhält es sich, wie zu erwarten, rücksichtlich der Brutdauer bei den verschiedenen Arten; ein Strauß brütet selbstverständlich länger als ein Kolibri, jener fünfundfünfzig bis sechzig, dieser zehn bis zwölf Tage. Achtzehn bis sechsundzwanzig Tage mögen als eine mittlere Zeit angesehen werden.

Zur Bildung und Entwicklung des Keimes im Ei ist eine Wärme von dreißig bis zweiunddreißig Grad Reaumur Bedingung. Sie braucht nicht von der Brust des mütterlichen Vogels auszustrahlen, sondern kann, mit gewissen Beschränkungen, beliebig ersetzt werden. Plinius erzählt, daß Julia Augusta, des Tiberius Gemahlin, in ihrem Busen Eier ausgebrütet habe, und die alten Ägypter wußten bereits vor Tausenden von Jahren, daß man die brütende Henne durch künstlich erzeugte, gleichmäßig unterhaltene Wärme ersetzen könne. Dreißig Grad Wärme einundzwanzig Tage lang gleichmäßig unterhalten und in geeigneter Weise zur Einwirkung auf ein befruchtetes Hühnerei gebracht, liefern fast unfehlbar ein Küchlein. Stoffwechsel, insbesondere Zutritt der Luft, ist zur Ausbildung des Keimes unerläßliche Bedingung; ein Ei, das keinen Sauerstoff aufnehmen kann, geht stets zugrunde.

Wenige Vögel gelangen im Ei zu ähnlicher Ausbildung wie das Huhn; verhältnismäßig wenige sind imstande, einige Minuten nach dem Auskriechen unter Führung der Mutter oder sogar ohne jegliche Hilfe der Eltern ihren Weg durchs Leben zu wandeln. Gerade diejenigen, die als Erwachsene die größte Beweglichkeit und Stärke besitzen, sind in der Jugend ungemein hilflos. Die Nestflüchter kommen befiedert und mit ausgebildeten Sinnen, die Nesthocker nackt und blind zur Welt; jene machen nach dem Auskriechen einen höchst angenehmen Eindruck, weil sie bis zu einem gewissen Grade vollendet sind, diese fallen auf durch Unansehnlichkeit und Häßlichkeit. Die weitere Entwicklung bis zum Ausfliegen beansprucht verschieden lange Zeit. Kleinere Nesthocker sind drei Wochen nach ihrem Auskriechen flügge, größere bedürfen mehrerer Monate, bevor sie fliegen können, einzelne mehrerer Jahre, bevor sie ihren Eltern gleich dastehen. Denn die Jugendzeit des Vogels ist nicht mit dem Ausfliegen, sondern erst dann beendet, wenn er das Alterskleid anlegt. Nicht wenige erhalten anfangs ein Federkleid, das mit dem ihrer Eltern keine Ähnlichkeit zeigt; andere gleichen in der Jugend dem Weibchen, und die Unterschiede, die hinsichtlich des Geschlechts bemerklich werden, zeigen sich erst mit Anlegung des Alterskleides. Einzelne Raubvögel müssen eine Reihe von Jahren erlebt haben, bevor sie alt, d. h. wirklich erwachsen genannt werden können.

Alle Veränderungen, die das Kleid erleidet, werden hervorgebracht durch Abreibung, Verfärbung und Vermauserung oder Neubildung der Federn. Abreibung bedingt nicht immer Verringerung, im Gegenteil oft Erhöhung der Schönheit; denn durch sie werden die unscheinbarer gefärbten Spitzen der Federn entfernt und die lebhafter gefärbten Mittelstellen derselben zum Vorschein gebracht. Die Verfärbung, eine bisher von vielen Forschern geleugnete, jedoch unzweifelhaft bestehende Tatsache, bewirkt auf anderem, bis jetzt noch nicht erklärtem Wege Veränderungen der Färbung einzelner Teile des Gefieders. Junge Seeadler z. B. tragen in der Jugend ein ziemlich gleichmäßig dunkles Kleid, während im Alter wenigstens der Schwanz, bei andern Arten auch der Kopf weiß aussieht. Nun werden weder die Steuer- noch die Kopffedern vermausert, sondern einfach verfärbt. Man bemerkt auf den breiten Steuerfedern, die sich zu fortgesetzten Beobachtungen sehr günstig erweisen, zuerst lichte Punkte; diese vermehren und vergrößern sich, bleichen gleichzeitig ab, fließen endlich ineinander, und die Feder ist umgefärbt. Mauserung findet dann statt, wenn die Federn durch längeren Gebrauch, durch Einwirkung von Licht, Staub, Nässe usw. mehr oder weniger unbrauchbar geworden sind, in der Regel nach beendigtem Brutgeschäft, das die Federn besonders abnutzt, vielleicht infolge des fieberhaften Zustandes, in dem sich der brütende Vogel befindet. Dieser Federwechsel beginnt an verschiedenen Stellen des Körpers, insofern aber immer gleichmäßig, als er stets die entsprechenden Federn einer Körperhälfte betrifft. Bei vielen Vögeln werden bei einer Mauser nur die kleinen Körperfedern und bei der zweiten erst die Schwung- und Steuerfedern mit jenen erneuert; bei andern bedarf der Ersatz der letzteren eines Zeitraumes von mehreren Jahren, da immer nur zwei gleichzeitig neu gebildet werden, während bei andern die Mauserung dieses Teiles des Gefieders so rasch stattfindet, daß sie flugunfähig werden. Solange der Vogel gesund ist, verleiht ihm jede neue Mauser neue Schönheit, und diese nimmt mit dem Alter zu, nicht ab wie bei andern Tieren. Wird die Mauser unterbrochen, so erkrankt der Vogel; denn der Neuersatz seiner Federn ist ihm für sein Leben unbedingt notwendig.

Das Alter, das ein Vogel erreichen kann, steht mit der Größe, vielleicht auch mit der Jugendzeit, einigermaßen im Einklang. Im allgemeinen läßt sich behaupten, daß der Vogel ein sehr hohes Alter erreicht. Kanarienvögel leben bei guter Pflege ungefähr ebensolange wie Haushunde, zwölf, fünfzehn, achtzehn Jahre, im Freien, wenn nicht ein gewaltsamer Tod ihr Ende herbeiführt, wohl noch viel länger; Adler haben über hundert Jahre in der Gefangenschaft ausgehalten, Papageien mehrere Menschenalter erlebt. Krankheiten sind selten unter den Vögeln; die meisten enden wohl zwischen den Zähnen und Klauen eines Raubtiers, die wehrhaften an allgemeiner Entkräftung und Schwäche. Doch hat man auch Seuchen beobachtet, die viele Vögel einer Art rasch nacheinander hinrafften, und ebenso weiß man von Haus- und Stubenvögeln, daß es gewisse Krankheiten unter ihnen gibt, die in der Regel mit dem Tode endigen. Im Freien findet man selten eine Vogelleiche, im allerseltensten Falle die eines größeren Mitgliedes der Klasse, vorausgesetzt, daß der Tod ein sogenannter natürlicher war. Von vielen wissen wir nicht, wo und wie sie sterben. Das Meer wirft zuweilen die Leichen seiner Kinder an den Strand; unter den Schlafplätzen anderer sieht man auch wohl einen toten Vogel liegen; die Leichen der übrigen verschwinden, als ob sie die Natur selbst begrabe.

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»Kein anderes Geschöpf«, so habe ich in meinem ›Leben der Vögel‹ gesagt, »versteht so viel zu leben, wie der Vogel lebt; kein anderes Geschöpf weiß so ausgezeichnet hauszuhalten mit der Zeit wie er. Ihm ist der längste Tag kaum lang, die kürzeste Nacht kaum kurz genug; seine beständige Regsamkeit gestattet ihm nicht, die Hälfte seines Lebens zu verträumen und zu verschlafen; er will wach, munter, fröhlich die Zeit durchmessen, die ihm gegönnt ist.«

Alle Vögel erwachen früh aus dem kurzen Schlaf der Nacht. Die meisten sind rege, noch ehe das Morgenrot den Himmel säumt. In der Ländern jenseits des Polarkreises machen sie während des Hochsonnenstandes zwischen den Stunden des Tages und denen der Nacht kaum einen Unterschied. Ich habe den Kuckuck noch in der zwölften Abendstunde und in der ersten Morgenstunde wieder rufen hören und während des ganzen dazwischenliegenden Tages in Tätigkeit gesehen. Wer bei uns im Hochsommer früh in den Wald geht, vernimmt schon mit dem ersten Grauen der Dämmerung die Stimmen der Vögel und dieselben ebenso noch nach Sonnenuntergang. Eine kurze Zeit in der Nacht, einige Minuten dann und wann am Tage scheinen ihnen zum Schlafen zu genügen. Unsere Hühner setzen sich zwar schon vor Sonnenuntergang zur Nachtruhe auf, schlafen jedoch noch nicht und beweisen durch ihren Weckruf am Morgen, daß kaum drei Stunden erforderlich waren, um sie für die lange Tagesarbeit zu stärken. Ähnlich ist es bei den meisten andern Vögeln; nur die größeren Raubvögel, insbesondere die Geier, scheinen ihre Schlafplätze spät zu verlassen.

Der Vogel, dem Stimme und Klang geworden, begrüßt den kommenden Morgen mit seinem Gesang, tut dies wenigstens während der Paarungszeit, in der die Liebe sein Wesen erregt und vergeistigt. Erst nachdem er gesungen, beginnt er Nahrung zu suchen. Fast alle nehmen zwei Mahlzeiten zu sich, eine am Morgen, eine gegen Abend, und widmen die Mittagsstunden der Ruhe, der Reinigung des Gefieders, der Ordnung ihrer Federn. Ausnahmen von dieser Regel bemerken wir bei allen Vögeln, die hinsichtlich ihrer Nahrung mehr als andere auf einen günstigen Zufall angewiesen sind. Die Raubvögel fressen gewöhnlich nur einmal täglich, und diejenigen unter ihnen, die nicht selbst Beute gewinnen, sondern einfach Aas aufnehmen, sind keineswegs immer so glücklich, jeden Tag fressen zu können, sondern müssen oft tagelang hungern. In den meisten Fällen wird nur diejenige Speise verzehrt, die der Tag erwerben ließ; einzelne aber, beispielsweise Würger, Spechte und Kleiber, tragen sich Speiseschätze zusammen und bewahren diese an gewissen Orten auf, legen sich also förmlich Vorräte an, auch solche für den Winter. Nach der Mahlzeit wird ein Trunk und dann ein Bad genommen, falls nicht Sand, Staub oder Schnee das Wasser ersetzen müssen. Der Pflege seines Gefieders widmet der Vogel stets geraume Zeit, um so mehr, je ungünstiger die Einflüsse, denen jenes trotzen muß, um so weniger, je besser imstande die Federn sind. Nach jedem Bade trocknet er zunächst durch Schütteln das Gefieder einigermaßen ab, sträubt es, um dies zu beschleunigen, glättet hierauf jede einzelne Feder, überstreicht sie mit Fett, das er mittels des Schnabels seiner Bürzeldrüse entnimmt, mit demselben auf alle diesem erreichbaren Stellen austrägt oder mit den Nägeln vom Schnabel abkratzt, um es mit letzterem den nicht erreichbaren Stellen einzuverleiben, auch wohl mit dem Hinterkopf noch verreibt, strählt und ordnet hierauf nochmals jede Feder, hervorragende Schmuckfedern, Schwingen und Steuerfedern mit besonderer Sorgfalt, schüttelt das ganze Gefieder wiederum, bringt alle Federn in die richtige Lage und zeigt sich erst befriedigt, wenn er jede Unordnung gänzlich beseitigt hat. Nach solcher Erquickung pflegt er in behaglicher Ruhe der Verdauung; dann tritt er einen zweiten Jagdzug an. Fiel auch dieser günstig aus, so verfügt er sich gegen Abend nach bestimmten Plätzen, um sich hier der Gesellschaft anderer zu widmen, oder der Singvogel läßt noch einmal seine Lieder mit vollem Feuer ertönen; dann endlich begibt er sich zur Ruhe, entweder gemeinschaftlich mit andern nach bestimmten Schlafplätzen oder während der Brutzeit in die Nähe seines Nestes zur brütenden Gattin oder zu den unmündigen Kindern, falls er diese nicht mit sich führt. Das Zubettgehen geschieht nicht ohne weiteres, vielmehr erst nach längeren Beratungen, nach vielfachem Schwatzen, Lärmen und Plärren, bis endlich die Müdigkeit ihr Recht verlangt. Ungünstige Witterung stört und ändert die Regelmäßigkeit der Lebensweise, da das Wetter auf den Vogel überhaupt den größten Einfluß übt.

Mit dem Aufleben der Natur erlebt auch der Vogel. Sein Fortpflanzungsgeschäft fällt überall mit dem Frühling zusammen, in den Ländern unter den Wendekreisen also mit Beginn der Regenzeit, die, wie ich schon wiederholt zu bemerken Gelegenheit nahm, nicht dem Winter, sondern unserem Frühling entspricht. Abweichend von anderen Tieren leben die meisten Vögel in geschlossener Ehe auf Lebenszeit und nur wenige von ihnen, wie die Säugetiere, in Vielweiberei oder richtiger Vielehigkeit, da eine Vielweiberei einzig und allein bei den Kurzflüglern stattzufinden scheint. Das Pärchen, das sich einmal vereinigte, hält während des ganzen Lebens treuinnig zusammen, und nur ausnahmsweise geschieht es, daß einer der Gatten, von heftiger Brunst ergriffen, die Gesetze einer geschlossenen Ehe mißachtet. Da es nun auch unter den Vögeln mehr Männchen als Weibchen gibt, wird es erklärlich, daß von jeder Vogelart beständig einzelne Junggesellen oder Witwer umherstreifen, in der Absicht, sich eine Gattin zu suchen, und es läßt sich entschuldigen, daß diese dann auf die Heiligkeit der Ehe nicht immer die gebührende Rücksicht nehmen, vielmehr einem verehelichten Vogel ihrer Art sein Gespons abwendig zu machen suchen. Die notwendige Folge von solch frevelhaftem Beginnen und Tun ist, daß der Eheherr den frechen Eindringling mit allen Kräften zurückzuweisen sucht, unter Umständen also zu Tätlichkeiten übergehen muß: daher denn die beständigen Kämpfe zwischen den männlichen Vögeln während der Paarungszeit. Wahrscheinlich macht jeder einzelne Ehemann böse Erfahrungen; vielleicht ist auch sein Weib »falscher Art, und die Arge liebt das Neue«: kurz, er hat alle seine Kräfte aufzubieten, um sich ihren Besitz zu erhalten. Eifersucht, wütende, rücksichtslose Eifersucht ist somit vollkommen entschuldigt. Allerdings gibt es einzelne Vogelweibchen, die dann, wenn sich ein solcher Eindringling zeigt, mit ihrem Gatten zu Schutz und Trutz zusammenstehen und gemeinschaftlich mit letzterem über den Frevler herfallen; die meisten aber lassen sich ablenken vom Pfade der Tugend und scheinen mehr am Manne als an einem Manne zu hängen. Man hat sonderbare Beobachtungen gemacht. Vögel, deren Männchen getötet wurde, waren schon eine halbe Stunde später wieder verehelicht; der zweite Gespons wurde ebenfalls ein Opfer seiner Feinde: und dieselben Weibchen nahmen ohne Bedenken flugs einen dritten Gatten an. Die Männchen legen gewöhnlich viel tiefere Trauer um den Verlust ihrer Gattin an den Tag, wahrscheinlich aber nur, weil es ihnen ungleich schwerer wird als den Weibchen, wieder einen Ehegenossen zu erwerben.

Die männlichen Vögel werben unter Aufbietung ihrer vollen Liebenswürdigkeit um die Weibchen, einige durch sehnsüchtiges Rufen oder Singen, andere durch zierliche Tänze, noch andere durch Flugspiele usw. Oft wird die Werbung sehr stürmisch, und das Männchen jagt stundenlang hinter dem Weibchen drein, dieses scheinbar im Zorne vor sich hertreibend; in der Regel aber erhört das Weibchen seinen Liebhaber bald und widmet sich ihm dann mit aller Hingebung. In ihm ist der Geschlechtstrieb nicht minder mächtig und bekundet sich in gleicher Stärke in frühester Jugend wie im spätesten Alter. Schon während der Liebesspiele eines Pärchens sucht dieses einen günstigen Platz für das Nest, vorausgesetzt, daß der Vogel nicht zu denjenigen gehört, die Ansiedlungen bilden und alljährlich zu derselben Stelle zurückkehren. In der Regel steht das Nest ungefähr im Mittelpunkt des Wohnkreises, nach der Art selbstverständlich verschieden. Streng genommen findet jeder passende Platz in der Höhe wie in der Tiefe, auf dem Wasser wie auf dem Lande, im Walde wie auf dem Felde seinen Liebhaber. Die Raubvögel bevorzugen die Höhe zur Anlage ihres Horstes und lassen sich selten herbei, auf dem Boden zu nisten; fast alle Laufvögel hingegen bringen hier das Nest an; die Wald-, und Baumvögel stellen es in die Zweige, auf die Äste, in vorgefundene oder von ihnen ausgemeißelte Höhlen, in das Moos am Boden usw., die Sumpfvögel zwischen Schilf und Röhricht, Ried und Gras am Ufer, auf kleine Inselchen oder schwimmend auf das Wasser selbst; einzelne Meervögel verbergen es in Klüften, selbstgegrabenen Höhlen und an ähnlichen Orten; kurz, der Stand ist so verschieden, daß man im allgemeinen nur sagen kann, jedes Nest steht entweder verborgen und entzieht sich dadurch den Blicken der Feinde, oder ist, wenn es frei steht, so gebaut, daß es nicht leicht bemerkt werden kann, oder steht endlich an Orten, die dem in Frage kommenden Feinde unzugänglich sind. Die Familien- oder Ordnungsangehörigkeit eines Vogels berechtigt nicht anzunehmen, daß er sein Nest in derselben Weise errichtet wie seine Verwandten, denn gerade hinsichtlich des Standortes unterscheiden sich die verschiedenen Glieder einer Familie, ja sogar die einer Sippe erheblich. Der Mensch beeinflußt den Standort eines Nestes oft wesentlich, sei es, daß er neue Wohnsitze schafft oder alte vernichtet. Alle Schwalbenarten, die in Häusern brüten, haben diese freiwillig mit Felsnischen oder Baumhöhlungen vertauscht und gehen unter Umständen noch heutzutage solchen Tausch ein; Sperling und Hausrotschwanz, Turm-, Rötel- und Wanderfalk, Schleiereule, Käuzchen, Felsen- und Turmsegler, Dohle, Hirtenstar, Wiedehopf und andere mehr sind ohne Einladung des Menschen zu Hausbewohnern geworden; der Star und einer und der andere Höhlenbrüter haben solche Einladung angenommen. Andererseits zwingt der Mensch durch Ausrodung hohler Bäume und deren Reste oder Abtragung der Steinhalden Meisen und Steinschmätzer, in Erdhöhlen Niststätten zu suchen.

Die einfachsten Nester benutzen diejenigen Vögel, die ihre Eier ohne jegliche Vorbereitung auf den Boden ablegen; an sie reihen sich diejenigen an, die wenigstens eine kleine Mulde für die Eier scharren; hieraus folgen die, die diese Mulde mit weicheren Stoffen auskleiden. Dieselbe Steigerung wiederholt sich bei denen, die anstatt auf dem flachen Boden in Höhlen brüten, und in gewissem Sinne auch bei denjenigen, die ein schwimmendes Nest errichten, obgleich diese selbstverständlich erst eine Unterlage erbauen müssen. Unter den Baumnestern gibt es fast ebenso viele verschiedenartige Bauten als Baumvögel. Die einen tragen nur wenige Reiser liederlich zusammen, die andern richten wenigstens eine ordentliche Unterlage her, diese mulden letztere aus, jene belegen die Mulde innen mit Ried und feinem Reisig, andere wiederum mit Reisern, Rütchen, Würzelchen, Haaren und Federn; mehrere überwölben die Mulde, und einzelne verlängern auch noch das Schlupfloch röhrenartig. Den Reisignesterbauern zunächst stehen die Weber, die nicht bloß Grashalme, sondern auch wollige Pflanzenstoffe verflechten, verweben und verfilzen, dieselben sogar mit vorgefundenen oder selbstbereiteten Fäden förmlich zusammennähen und sich damit die Meisterschaft erwerben. Aber Meister in ihrer Kunst sind auch die Kleber, die die Wandungen ihres Nestes aus Lehm herstellen. Dieser Stoff wird durch Einspeichelung noch besonders durchgearbeitet und verbessert oder sein Zusammenhang vermehrt, so daß das Nest eine sehr bedeutende Haltbarkeit gewinnt. Mehrere Kleber verschmähen übrigens Lehm gänzlich, tragen dagegen feine Pflanzenstoffe, z. B, Moos und Blatteilchen, zusammen und überziehen diese mit ihrem Speichel, andere endlich verwenden nur den letzteren, der, bald erhärtend, selbst zur Wand des Nestes werden muß. In der Regel dient das Nest nur zur Aufnahme der Eier, zur Wiege und Kinderstube der Jungen; einige Vögel aber erbauen sich auch Spiel- und Vergnügungsnester oder Winterherbergen, benutzen die Nester wenigstens als solche. Zu jenen gehören mehrere Weber- und die Atlas- und Kragenvögel, auch ein Sumpfvogel, dessen riesenhaftes Nest einen Brut- und Gesellschaftsraum, ein Wach- und Speisezimmer enthält, zu diesen unter andern die Spechte, die immer in Baumhöhlen schlafen, oder unsere Sperlinge, die während des Winters in dem warm ausgefütterten Neste Nachtruhe halten.

Jede Art verwendet in der Regel dieselben Baustoffe, bequemt sich jedoch leicht veränderten Umständen an, zeigt sich auch zuweilen ohne ersichtlichen Grund wählerisch und eigensinnig. Erzeugnisse des menschlichen Kunstfleißes, die die Vorfahren heute lebender Vögel offenbar niemals zum Bau ihres Nestes benutzen konnten, werden von letzteren regelmäßig verbraucht, Samenwolle eingeführter Pflanzen und andere passende Teile nicht verschmäht. Gefangene Vögel sehen nicht selten gänzlich von denjenigen Stoffen ab, die sie in der Freiheit vorzugsweise verarbeiten, und ersetzen sie durch andere, die sie dort nicht beachten.

Das Weibchen baut, das Männchen trägt zu. Dies ist die Regel; aber auch das Umgekehrte findet statt. Bei den Webervögeln z. B. bauen die Männchen allein, und die Weibchen lassen sich höchstens herbei, im Innern des Nestes ein wenig nachzuhelfen. Bei den meisten übrigen Vögeln übernimmt das Männchen wenigstens das Amt des Wächters am Neste, und nur diejenigen, die in Vielehigkeit leben, bekümmern sich gar nicht um dasselbe. Während des Baues selbst macht sich das Männchen vieler Vögel noch in anderer Weise verdient, indem es mit seinen Liedern oder mit seinem Geschwätz die arbeitende Gattin unterhält. Der Bau des Nestes selbst beansprucht vollste Tätigkeit und Hingabe, wird soviel als tunlich ununterbrochen weiter- und rasch zu Ende geführt, zuweilen allerdings auch wiederholt begonnen und verlassen; die Arbeit macht erfinderisch und bringt Tätigkeiten zur Geltung, die außerdem gänzlich ruhen. Baustoffe werden mit Schnabel und Füßen abgebrochen, vom Boden oder Wasser aufgenommen, aus der Luft gefangen, zerschleißt, geschmeidigt, gezwirnt, mit dem Schnabel, den Füßen, zwischen dem Rückengefieder zum Nest getragen, hier mit dem Schnabel und den Füßen an die rechte Stelle gelegt, unter Mithilfe des Gatten um Zweige gewunden, mit den Füßen zerzaust und mit der Brust angedrückt. »Sorglose Vögel«, so schreibt mir Hermann Müller, dessen langjährige, treffliche Beobachtungen ich der nachfolgenden Schilderung des Brutgeschäftes kleiner Nesthocker zugrunde lege und größtenteils wörtlich wiedergebe, »werfen die zum inneren Ausbau bestimmten Niststoffe vom Nestrande aus in die Mulde und hüpfen nach; sorgsame tragen sie mit dem Schnabel hinein und legen sie behutsam unter ihren Leib. Die einen wie die andern erfassen sie nunmehr mit den Füßen, zerteilen und verbreiten sie kreiselnd mit wahrhaft wunderbarer Geschicklichkeit und drücken sie fest. Die Form der Mulde wird durch die Brust hervorgebracht, indem sich der Vogel mit fast senkrecht gehaltenem Schwanze im Neste dreht und die Stoffe andrückt; die darüber befindliche steilere Nestwand erhält ihre Gestalt durch abwechselnde Arbeit der Brust, des Flügelbuges und Halses; der Nestrand endlich wird teils durch den Unterschnabel, bzw. das Kinn, ungleich mehr aber durch schnelle niederdrückende und wackelnde Bewegungen des Schwanzes geformt, durch Hin- und Herstreifen des Unterschnabels aber geglättet.« Lange, zum Umwickeln von Zweigen bestimmte Halme werden vorher mit dem Schnabel gekaut und geknickt, Lehmklümpchen stets erst längere Zeit geknetet. Außen oder innen vorragende Halme nimmt ein sorgsam bauender Vogel weg; ungenügende Nester erhöht und erweitert er oft noch, nachdem bereits Eier in ihnen liegen.

Einige Vögel errichten gemeinschaftlich Nester, und die verschiedenen Mütter legen in diesen zusammen ihre Eier ab, brüten wohl auch auf letzteren abwechselnd; andere teilen einen gesellschaftlich ausgeführten Hauptbau in verschiedene Kämmerchen, von denen je eines einer Familie zur Wohnung dient; andere wiederum bauen ihr Nest in das anderer Vögel, zumal in den Unterbau desselben, und nisten gleichzeitig mit ihren Wirten.

Über das Legen der Eier hat Hermann Müller ebenfalls die genauesten Beobachtungen gesammelt und mir zugunsten des »Tierlebens« mitgeteilt. »Die meisten Vögel legen morgens zwischen fünf und neun Uhr, und zwar häufig in derselben Stunde. Das Legegeschäft vom Besetzen bis zum Verlassen des Nestes nimmt durchschnittlich eine halbe Stunde in Anspruch; diese Zeit kann sich aber erheblich verlängern und ebenso wesentlich verkürzen. Schon am Tage, zumal am Nachmittage, vorher verrät der Vogel durch ungewöhnlich starke Aufnahme von Futter, Sand und Kalkstoffen, daß er legen wird. Lebhafte Bewegung oder Kreiseln im Neste scheint das Legen zu befördern. Mit Eintritt der Wehen schlüpft der Vogel ins Nest. Die Wehen bekunden sich durch kürzeres Atmen bei ein wenig gesperrtem Schnabel, Emporrichten des Vorderleibes, zitterndes Ausbreiten und darauf folgendes Senken der Flügel. Unmittelbar vor dem Legen öffnet der Vogel den Schnabel sehr weit, preßt ersichtlich so stark er kann, und das Ei schießt heraus. Die Nachwehen sind kürzer, aber sehr empfindlich; denn der Vogel setzt sich nicht unmittelbar nach dem Legen in das Nest, sondern bleibt noch einige Minuten mit gestreckten und gespreizten Beinen emporgerichtet stehen, wahrscheinlich, um den gereizten Leib nicht mit dem Nest in Berührung zu bringen. Erst nach dieser Ruhepause senkt, ja drückt er sich mit ersichtlicher Wollust in den Kessel und beginnt zu jubeln.« Fast alle brütenden Vögel besetzen und verlassen das Nest mit großer Vorsicht. »Sie nahen sich verstohlen, bleiben einige Augenblicke auf dem Nestrand stehen, besichtigen aufmerksam die Eier und deren Lage, hüpfen mit ausgespreizten Beinen und Zehen in die Mulde, schieben die Eier mit dem Unterschnabel oder Kinn unter ihren Leib, versenken sich hierauf ganz in den Kessel, bewegen sich nach rückwärts, um die Eier unter die Federn zu schieben, rücken nunmehr wieder vor, bauschen, sich schüttelnd, die Federn nach allen Richtungen, senken Flügel und Schwanz auf den Nestrand und stellen so einen möglichst luftdichten Verschluß her.« Schwimmvögel, die, aus dem Wasser kommend, ihr Nest besetzen, versäumen nie, zuvor ihr Gefieder sorgsam zu trocknen. »Beim Verlassen des Nestes dehnen und strecken die brütenden Vögel zunächst ihre Beine behaglich nach hinten, heben den Rücken bucklig empor, drehen Hals und Kopf, lüften die Flügel, richten sich auf und begeben sich nun erst mittels eines leichten Sprunges ins Freie.« Ehe sie sich entfernen, bedecken alle, die Daunen ausrupfen, das Gelege mit diesen, andere mit Erde oder Sand, während die meisten solche Vorkehrungen nicht treffen. »Für den Inhalt des Nestes und die Beschaffenheit der Eier haben die Vögel kein Verständnis; denn sie brüten mit gleicher Hingabe auf fremden wie auf den eigenen Eiern, auch auf fremdartigen Gegenständen, wie auf Nüssen, Kugeln, Steinen, vor dem Legen eine Zeitlang selbst im leeren Nest. Ausgebrütete und taube oder faule Eier haben für sie den gleichen Wert. Aus der eigentlichen Mulde gerollte Eier bleiben regelmäßig unberücksichtigt, gerade als wüßten sie, daß ihnen gegenüber der Liebe Mühe fernerhin doch umsonst ist. Dagegen verändern sie, wenn die Eier in der Mulde frei liegen und sie dies merken, ihren Sitz so lange, bis sie alle wieder bedeckt haben. Abnahme der äußeren Wärme empfinden sie meist sehr lebhaft, werden traurig oder verdrießlich, wenn kühle Witterung eintritt, und erlangen ihre Heiterkeit erst wieder, wenn ein erwünschter Umschlag sich bemerklich macht. Die höchste Wärme während der ganzen Brutzeit tritt drei bis vier Tage nach dem Ausschlüpfen der ersten Jungen ein, kommt daher Spätlingen oft sehr zustatten.

Die Entwicklung der Keimlinge eines und desselben Geleges vollzieht sich nicht immer in gleichen Fristen; auch bei durchaus regelmäßiger Bebrütung kommt es im Gegenteil und ziemlich oft vor, daß einzelne Junge einen und selbst mehrere Tage später das Licht der Welt erblicken. In der Regel fällt das Ausschlüpfen in die Früh- und Vormittagsstunden; doch kann ausnahmsweise auch das Entgegengesetzte stattfinden. Beim Auskriechen leisten die Eltern den im Innern des Eies arbeitenden Jungen keine Hilfe. Wie diese es anfangen, um sich aus der sie umschließenden Hülle zu befreien, weiß man noch nicht genau. Ihre Arbeit im Innern des Eies ist eine ziemlich geräuschvolle, wie jedes Haushuhnei belehren kann. Daß die brütenden Vögel dieses Geräusch vernehmen, beweisen sie durch häufiges aufmerksames Hinabblicken ins Nest, helfen aber können sie nicht. Das Geräusch wird treffend mit Picken bezeichnet und hört sich an, als ob das Küchlein mit dem Schnabel gegen die Eischale stoße. Endlich zerspringt die Schale, wie oben beschrieben, in der Regel an der Stelle, an der die im stumpfen Ende ausgespannte innere Haut anliegt; doch geschieht das Durchbrechen nicht immer in stetigem Zusammenhange, manchmal vielmehr auch, indem rundum mehrere Löcher durchgearbeitet werden. Durch strampelnde Bewegungen verläßt das Junge die gesprengte Schale. Unmittelbar darauf wird diese von den Eltern entfernt, und zwar entweder weit vom Neste weggetragen oder mit Lust verspeist. Junge, die an der Schale kleben, laufen Gefahr, von den Eltern mit der unnützen Hülle aus dem Nest geschleppt zu werden. Sofort nach geschehener Räumung des Nestes kehrt die Mutter zu diesem zurück, läßt sich vorsichtig in die Mulde hinab, klammert sich rechts und links an den Wänden an, um die zarten Jungen nicht zu drücken oder sonstwie zu beschädigen und spendet ihnen vor allem Wärme. In den ersten vier bis sieben Tagen verläßt sie die kleinen, meist nackten Nesthocker so wenig als möglich und immer nur auf kurze Zeit; nach Ablauf dieser Frist bedingt schon das Herbeischaffen größerer Futtermengen wesentliche Änderungen. Die Bedeckung der Küchlein bei Tag und bei Nacht währt bei kleineren Arten durchschnittlich so lange, bis ihre Rückenfedern sich erschlossen haben. Mit zunehmendem Wachstum der Jungen verändert die wärmende Mutter ihre Haltung im Nest, insofern sie ihre Füße auf jener Kücken setzt; dies aber geschieht, wie aus dem Stillsitzen der Jungen hervorgeht, so leicht, daß dadurch keinerlei Belästigung verursacht wird.

Die jungen Vögel selbst legen, sobald sie das Ei verlassen haben, ihre Köpfe in das Innere der Mulde und benutzen die noch vorhandenen Eier als willkommene Kopfkissen. Wenn keine Eier vorhanden sind, liegt ein Hals und Kopf über dem andern, und der unterste muß oft stark ziehen und rütteln, um sich zu befreien und aus dem Amboß zum Hammer zu werden. Junge Zeisige sind bereits am vierten Tage ihres Lebens kräftig genug, um sich zu wenden und die Köpfe an die Nestwand zu legen. Wird es ihnen unter der mütterlichen Brust zu schwül, so schieben sie ihre Köpfchen nicht selten mit weit geöffneten Schnäbeln hervor, als ob sie ersticken müßten. Sorgsame Mütter wissen natürlich, was ihren Sprößlingen frommt, und lassen sich durch sie in ihren Obliegenheiten nicht stören. Eine junge, unerfahrene Zeisigmutter vermutete in den weit geöffneten Schnäbeln ihrer Erstlinge Zeichen von Hunger und stopfte ununterbrochen Speisebrei hinein, auch wenn die Kröpfe bis zum Platzen gefüllt waren. Geschah dadurch des Guten zu viel, dann zogen die Kleinen es vor, aus der Charybdis in die Seylla zurückzusinken und gelassen weiterzuschwitzen.

Selbst die jüngsten Vögelchen klammern sich, wenn sie merken, daß sie aufgenommen werden sollen, mit den Nägeln an die Neststoffe. Dasselbe geschieht, wenn sie zur Entleerung ihren schweren Leib an der Nestwand emporschieben oder die ersten ängstlichen Flugübungen anstellen. Auf diese Weise mögen sie sich bei zu großer Kühnheit vor dem Hinausstürzen zu schützen suchen. Die ersten Flügelschläge fallen mit der ersten Fütterung zusammen, verstärken sich allmählich und gewinnen schließlich anmutige Leichtigkeit, wie dies bei jungen Straßensperlingen so leicht zu sehen ist. Die ersten Bewegungen des Mißbehagens stellen sich ein, wenn die Mutter das Nest verläßt und kühlere Luft eintritt; dann zittert mit den Flügeln der ganze Körper der Kleinen, und vielleicht wird durch diese raschen Bewegungen der Blutumlauf beschleunigt und die innere Wärme erhöht. Den ersten ernstlichen Gebrauch der Flügel zur Erhebung über das Nest zeigte ein Kanarienvogel an seinem sechzehnten Lebenstage. Junge Nestvögel sind wie kleine Affen; das Beispiel steckt an. Es gewährt einen erheiternden Anblick, wenn ein Junges mit befiederten oder auch nackten Flügeln zu flattern beginnt und unmittelbar darauf alle Flügelpaare gleichzeitig durcheinanderschwirren. Die ersten Gehbewegungen geschehen nicht auf den Zehen, sondern auf den Hacken. Haben es die Vögel eilig, so fallen sie nach vorn über und stützen und fördern sich vermittels der Vorderflügel. Wann die Füße ihre Tätigkeit beginnen, konnte ich wegen der inzwischen entfalteten und verhüllenden Federn nicht wahrnehmen. Das geschlossene Auge junger Zeisige öffnet sich mit dem fünften Lebenstage. Doch währt es bis zum zehnten Tage, bevor die Augen völlig erschlossen sind.

Gleich nach dem Abtrocknen beginnen die Jungen ihre Stimme hören zu lassen. Bei im Zimmer erbrüteten Kanarienvögeln, Stieglitzen, Zeisigen und Dompfaffen piepten am frühesten und lautesten die Kanarienvögel, später und schwächer die Stieglitze und Zeisige, am schwächsten und spätesten die Gimpel, gleich als ob die spätere Gesangsfähigkeit der verschiedenen Arten schon beim ersten Lallen sich bekunden wollte. Diese Laute, zippende Töne, sind keineswegs Zeichen von Hunger, sondern im Gegenteil solche des höchsten Wohlbehagens, denn sie verstummen augenblicklich, wenn die Mutter sich erhebt und kühlere Luft das Nest erfüllt. Mit der Entwicklung des Körpers hält die der Stimme nicht gleichen Schritt. Kanarienvögel piepen am sechsten und siebenten Lebenstage nicht stärker als am ersten. Nach Öffnung der Augen schreien sie lauter, jedoch auch nur dann, wenn sie sehr hungrig oder aufeinander neidisch sind. Nähert sich ihnen etwas Verdächtiges, so verstummen sie sofort und tauchen in den Kessel hinab. Bei jungen Dompfaffen tritt der Stimmwechsel am vierzehnten Lebenstage ein. Junge Kanarienhähne verraten schon als Nestlinge ihr Geschlecht durch Knurren und knurrendes Zirpen, ebenso die Zeisige. Das erste Dichten auf der Sprosse vernahm ich bei Kanarienvögeln am neunzehnten, bei Zeisigen am einundzwanzigsten Lebenstage. Erstere verlassen, nachdem sie einige Tage vorher vom Nestrande aus ihre Flügel wiederholt erprobt haben, am vierzehnten bzw. sechzehnten Lebenstage die Wiege, kehren jedoch bei kühler Witterung auch wohl noch mehrere Tage und Nächte in dieselbe zurück. Einzelne waren am neunzehnten Lebenstage flügge und sind am zweiundzwanzigsten bereits vollständig selbständig. Andere ernähren sich zwar teilweise selbst, lassen sich jedoch noch am dreißigsten Tage ihres Lebens füttern. Junge Zeisige laufen Kanarienvögeln in vielen Beziehungen den Rang ab, verlassen am dreizehnten, vierzehnten oder fünfzehnten Tage das Nest und werden unter Umständen schon am neunzehnten Tage von der Mutter als erwachsen angesehen, nämlich weggebissen, wenn sie sich an dieselbe herandrängen wollen.

In den ersten Tagen der Kindheit, bevor die winzigen Jungen ihre Köpfe an die Nestwand legen, pflegen sich ihre Väter bei der Fütterung gewöhnlich nicht unmittelbar zu beteiligen. Diese Vernachlässigung gleichen sie dadurch reichlich aus, daß sie später, zumal wenn die Weibchen vor eingetretener Selbständigkeit der Kinder bereits wieder brüten, die Pflege der letzteren fast ganz allein übernehmen, sowie dadurch, daß sie in den ersten Tagen und während der ganzen Brutzeit ihren Gattinnen reichliche Nahrung zutragen, damit sie die Brütung nicht so oft zu unterbrechen brauchen. Den Jungen erwachsen hieraus doppelte Vorteile. Sie genießen ungestörter die Wärme der Mutter und erhalten zwiefach eingespeichelte und deshalb leichter verdauliche Speise. Ehe die Eltern sich oder ihre Kinder atzen, wetzen sie aus Reinlichkeitssinn in sorgfältigster Weise die Schnäbel. Die jungen Vögel kommen mit starkem Hunger auf die Welt. Sie erheben, sobald sie trocken geworden sind, wie in schlaftrunkenem Taumel die unverhältnismäßig großen Köpfe mit so weit aufgerissenem Schnabel, daß derselbe zu zittern pflegt. Jeder sucht dem andern den Bissen wegzuschnappen, und in der Tat wird derjenige, der den Hals am längsten reckt, regelmäßig zunächst bedacht, und erst wenn sein Kopf in den Kessel zurückgesunken ist, kommen die kleineren Kinder an die Reihe. Hierin liegt eine wirksame Ursache für das Zurückbleiben einzelner Nesthäkchen. Dank ihres überaus schnellen Stoffwechsels brauchen die Jungen in der Regel von ihren Eltern nicht zum Fressen, aufgefordert zu werden. Solange sie blind sind, erheben sie bei der geringsten Bewegung der Mutter ihre weit geöffneten Schnäbel. Verzieht dieselbe zu lange, dann drücken sie die Schnabelspitze an die mütterliche Brust. Tritt einmal der seltene Fall ein, daß sie übersättigt in tiefen Schlaf gesunken sind und nicht sperren mögen, so werden verschiedene Ermunterungsversuche angewendet. Zunächst stoßen die Eltern sanft girrende Töne aus. Fruchten diese nicht, so tippen sie in erster Reihe auf die Schnabelwurzel, in zweiter Reihe nach fruchtlosem Bemühen auf die empfindlicheren Augenlider. Bleibt auch dies ohne Erfolg, dann bohren sie ihre Schnabelspitze in den Schnabelspalt der Jungen, um denselben gewaltsam aufzubrechen. Der Speisebrei, der anfänglich verfüttert wird, ist dick und zähe wie starker Sirup und dabei doch so wasserhaltig, daß eine besondere Tränkung nicht stattzuhaben braucht. Durch würgende Bewegungen wird immer eine zu drei, seltener fünf oder einer Gabe ausreichende Menge von Speisebrei aus dem Kropf hervorgestoßen, mit der Zunge sorgfältig untersucht, damit kein harter Teil mitverfüttert werde, und dann am Gaumen der Jungen abgesetzt, so daß er, Dank seiner Glätte und Schwere, ohne anstrengende Schluckbewegungen der letzteren in deren Schlund hinabsinkt. Gewahren die Eltern beim Sperren der Jungen, daß von der vorigen Fütterung ein Krümchen auf der Zunge, an den Rachenwänden oder am Gaumen hängengeblieben ist, so wird es behutsam aufgenommen, verschluckt und dann erst weiter gefüttert. Ist der in einen der Schnäbel gelegte Bissen zu groß ausgefallen, so wird ein Teil zurückgenommen. Alle härteren Teile von Kerbtieren werden immer ängstlich gemieden, weil die jungen Körnerfresser hornige Bestandteile ebensowenig zu verdauen vermögen als die Wurmfresser.

Manche Mütter sind so fütterungssüchtig, daß sie ihre Kinder förmlich martern. Ein Zeisigweibchen pickte in dieser Sucht so häufig an dem Schnabelwinkel seines Kindes, daß dort feine Blutstreifen entstanden. Der Kropf eines Nestzeisigs war einmal so überfüllt, daß der Vogel wegen Belästigung den Schnabel längere Zeit nicht zu schließen vermochte, der eines jungen Kanarienvogels so dick aufgetrieben, daß er den Kopf nicht drehen konnte, um die Federn zu bearbeiten.

Reinlichkeit ist zumal für junge Vögel das halbe Leben, und verkleisterte Afterfedern sind ein sicheres Zeichen des Todes. Daher sieht man Eltern und Kinder in gleicher Weise bemüht, dieser ersten Bedingung Genüge zu leisten. Ihre Triebe ergänzen sich gegenseitig, wie man dies besonders während der Brütung und der ersten Lebenstage der Jungen im Neste beobachten kann. Der Mastdarm der Alten wie der Jungen ist bedeutender Erweiterung fähig. Während unter gewöhnlichen Umständen die Entleerungen in sehr kurzen Fristen stattfinden, werden sie im Neste, beispielsweise bei Winterbrütungen, oft sehr verzögert, zuweilen um volle sechzehn Stunden. Wegen dieser langen Enthaltung erreichen die Kotballen nicht selten die Größe der von ihrer Trägerin gelegten Eier. Junge Vögel entleeren sich nicht, solange sie von ihrer Mutter bedeckt werden. Dauert ihnen dies zu lange, dann geben sie ihre Bedürfnisse durch unruhige Bewegungen nach rückwärts zu erkennen. Augenblicklich erhebt sich die Mutter, und nun eilt auch, ungerufen und ungelockt, der Vater, der im kleinen Nistbauer jede Bewegung gehört und gesehen hat, schleunigst herbei. Gemeinschaftlich achtet jetzt das Elternpaar mit gespanntester Aufmerksamkeit, mit niedergebeugtem Kopf und unverwandten, glänzenden Augen auf die rückwärtigen Bewegungen ihrer Kinder. Diese schieben, mit den Nägeln in die Nistwand eingreifend, ihren schwer beladenen, massigen Leib empor, halten, an der höchsten erreichbaren Stelle angelangt, einen Augenblick an, bewegen sich, um den Kotballen zu lösen, einige Male rasch seitlich schlängelnd und treiben den angesammelten Kot hervor, dem Anschein nach mehrere Millimeter weit über die Afteröffnung hinaus. Nestlinge entleeren sich, sobald sich die Mutter erhoben hat, gewöhnlich gemeinschaftlich in einer Minute und machen den Eltern deshalb viel zu schaffen. Haben sie einmal ausnahmsweise in Abwesenheit der letzteren ihr Bedürfnis befriedigt, so ist der Schaden auch nicht groß. Denn die Kotballen junger Nestlinge sind bekanntlich mit einer gallertartigen Haut überzogen, die einige Zeit vorhält und erst durch die Einwirkung von Luft und Wärme zerstört wird. Die Eltern finden dadurch bei ihrer Rückkehr noch Gelegenheit, für Reinlichkeit des Nestes zu sorgen. Wie die alten haben auch die jungen Vögel viel von Ungeziefer aller Art zu leiden. Verschiedenartige Milben werden allen kleineren Vogelarten zur schlimmsten Plage. Schon ein Dutzend dieser Schmarotzer reicht hin, um ihnen die nächtliche Ruhe zu verkümmern. Hauptsitze der Unholde bilden Kopf und Flügel, wie man am sichersten an dem Zittern und Schütteln dieser Teile beobachtet. Ist die Plage besonders arg, dann knirschen und knistern die gequälten Vögel im Schlaf oder Traum laut mit den Schnäbeln. In einem Brutnest kann die Vermehrung der Milben schreckenerregend werden. Da die Vögel im Bauer nicht so viele und gute Gelegenheit haben, sich durch Baden oder Einsanden von den lästigen Gästen zu befreien, auch wiederholt in einem und demselben Neste brüten, werden sie hier weit mehr belästigt als im Freien. Oft sieht man sie die Brütung unterbrechen, den Schnabel rüttelnd, tief in die Niststoffe einbohren, um auf die abscheulichen Kerbtiere zu jagen. Mehr noch als die Alten werden erklärlicherweise die Jungen, und zwar von der ersten Lebensstunde an, durch die Schmarotzer geplagt. Da die unmündigen Kleinen sich nicht selbst zu helfen vermögen, bedürfen sie besonderer Obhut ihrer Mütter. Sobald die Jungen abgetrocknet sind und sich vom beschwerlichen Eintritt in die Welt erholt haben, setzt sich die Mutter zurecht und beginnt zu milben.

Die Entwicklung der Federn junger Nestvögel geht in der ersten Woche ihres Lebens unverhältnismäßig langsamer vonstatten als in den folgenden. Eine mitwirkende Ursache liegt außer anderm darin, daß die Mutter kleiner Nesthocker von der zweiten Woche an das Nest häufiger und länger verläßt, Luft und Licht beliebig eindringen und den Kleinen zur Bearbeitung der Federn Gelegenheit gegeben wird. Einen ergötzlichen Anblick gewährt der Eifer, mit dem die unbehilflichen Vögelchen die Köpfe drehen, um bald an den eben hervorsprießenden, kaum faßbaren Kielen, bald an den nackten Stellen, die letztere eben erst bilden sollen, zu knabbern. Beim Verlassen des Nestes ragen, zumal auf dem Kopf, noch viele ursprüngliche Haarfedern über die andern empor. Die meisten mögen sich unter die Deckfedern legen; andere werden höchst wahrscheinlich von den Eltern ausgerupft; wenigstens bemerkt man, daß letztere ihre auf den Sprossen sitzenden Kinder eine Zeitlang unbeweglich betrachten, plötzlich zupicken und die Kleinen durch zuckende Bewegungen verraten, daß ihnen weh getan wurde. Die Anlegung des Alters- oder zweiten Jugendkleides beansprucht verschieden lange Zeit, meist aber einige Monate.«

Die vorstehend wiedergegebenen unübertrefflichen Beobachtungen sollen, wie ich ausdrücklich hervorheben will, nur für Zeisige, Kanarienvögel und Gimpel Gültigkeit haben; es läßt sich jedoch wohl annehmen, daß sie bis zu einem gewissen Grad sich verallgemeinern lassen. Wenn nicht genau in der gleichen, so doch in ähnlicher Weise verfahren sicherlich auch die übrigen kleinen Nesthocker. Bei größeren Arten ändern sich die Verhältnisse mehr oder weniger. Die zarten Jungen werden allerdings ebenfalls solange bedeckt, als dies unbedingt nötig erscheint; ihre eigene Wärme ist jedoch bedeutend größer als die der kleineren Arten, und viele von ihnen schützt außerdem ein wolliges Dunenkleid, das sie, beispielsweise die Raubvögel, aus dem Ei mit auf die Welt bringen. Unverhältnismäßig geringer sind die Elternsorgen der Nestflüchter, die in Beziehung auf Frühreife mit den Wiederkäuern unter den Säugetieren ungefähr auf gleicher Stufe stehen. Unmittelbar nachdem die durch sorgsame Bebrütung gezeitigten Jungen das Ei verlassen haben, ihr dichtes Dunenkleid durch die Wärme der brütenden Mutter abgetrocknet ist, entfernen sie sich mit den Eltern aus dem Nest und sind von nun an mehr oder weniger befähigt, den Alten zu folgen. Die landlebenden Arten durchstreichen nunmehr unter deren Führung Feld und Flur, die schwimmfähigen ziehen mit ihnen wenigstens großenteils auf das Wasser hinaus. Ohne Hilfe sind jedoch weder die einen noch die andern imstande, selbständig ihre Wege durchs Leben zu wandeln; auch sie beanspruchen im Gegenteil noch geraume, oft lange Zeit, bevor sie der mütterlichen Obhut entbehren können. Vater und Mutter, wenigstens die letztere, führt und leitet, vereinigt, wärmt und schützt sie gegen mancherlei Gefahren, die ihnen drohen. Wie uns jedes Haushuhn vorführt, sorgt die Mutter nicht allein durch Aufscharren passender Nahrung für ihre Bedürfnisse, sondern spendet ihnen auch, wenn es nötig erscheint, mit rührender Hingabe die Wärme ihrer eigenen Brust. Jede die Sonne verhüllende Wolke verursacht ihr Sorge; ein aufsteigendes Gewitter versetzt sie in wahre Todesangst. Mit ihrem eigenen Leib deckt sie bei fallendem Hagel ihre Brut, und ob auch die herabstürzenden Eisballen sie vernichten sollten; sorglich wählt sie diejenigen Stellen aus, die die meiste Nahrung versprechen, und auf weit und breit durchstreift sie mit der hungrigen Kinderschar das Brutgebiet, fortwährend bedacht, drohendem Mangel vorzubeugen. So, wie unser Haushuhn, verfahren alle übrigen Scharrvögel, so die meisten Laufvögel, nicht anders auch die Schwimmvögel, die zu den Nestflüchtern zählen. Treulich beteiligt sich der Schwan, der Gänserich an der Sorge um die Jungen; willig nimmt die Entenmutter diese allein auf sich. Sind die Kleinen ermüdet, so bietet sie ihren durch Lüftung der Flügel etwas verbreiterten Rücken zum bequemen Ruhesitz. Droht jungen Steißfüßen Gefahr, so nehmen die Eltern sie unter ihre Flügel, tauchen mit ihnen herab in die sichere Tiefe, erheben sich sogar mit den zwischen ihren Federn haftenden Küchlein in die Luft und entziehen sie so wenigstens oft den Nachstellungen der Feinde. Diesen gegenüber betätigen alle Vögel eine Hingabe, die sie Bedrohung des eigenen Lebens vollständig vergessen läßt, ihr ganzes Wesen verändert und Mut auch in die Seelen der furchtsamsten unter ihnen legt oder sie erfinderisch erscheinen läßt in Verstellungskünsten aller Art. Mit scheinbar gebrochenem Flügel flattert und hinkt die Mutter, bei vielen auch der Vater, angesichts des Feindes dahin, versucht ihn vor allem von den Kindern abzulenken, führt ihn weiter fort, steigert seine Raubgier durch allerlei Gebärden, erhebt sich plötzlich, gleichsam frohlockend, um zu den jetzt geborgenen Jungen zurückzukehren, führt diese eiligst weg und überläßt dem bösen Feind das Nachsehen. Elternsorgen betätigen auch die Nestflüchter, und Elternliebe bekunden sie in nicht geringerem Grad als die Nesthocker.

Aber weder die einen noch die andern haben ausgesorgt, wenn die Jungen das Nest verlassen haben oder so weit erstarkt sind, daß sie auch wohl ohne die Mutter sich durchs Leben zu helfen vermöchten, mindestens ihre Nahrung zu finden wissen. Denn die Vögel unterrichten ihre Jungen sehr ausführlich in allen Handlungen, die für die spätere Selbständigkeit unerläßlich sind. Unter gellendem Ruf sehen wir den Mauersegler, sobald die Jungen flugbar geworden sind, durch die Straßen unserer Städte jagen oder unsere Kirchtürme umschweben, in wilder Hast unter allerlei Schwenkungen dahinstürmen, bald hoch zum Himmel aufsteigen, bald dicht über dem Boden dahinstreifen und damit eine Unterrichtsstunde vor unsern Augen abhalten. Es handelt sich darum, die jungen Segler in der schweren Kunst des Fliegens genügend zu üben, zu selbständigem Fang der Kerbtiere, die die Eltern bis dahin herbeischleppten, anzuhalten und für die demnächst anzutretende Reise vorzubereiten. Bei allen guten Fliegern erfordert solcher Unterricht längere Zeit, bei denen, die fliegend ihre Nahrung erwerben müssen, besondere Sorgfalt. So vereinigen sich bei den Edelfalken Männchen und Weibchen, um die Kinder zu belehren, wie sie ihre Jagd betreiben sollen. Eines der Eltern fängt eine Beute, fliegt mit ihr weit in die Luft hinaus, erhebt sich allmählich über die folgende Kinderschar und läßt die Beute fallen. Fängt sie eines der Jungen, so belohnt sie ihn für die aufgewandte Mühe; wird sie von allen verfehlt, so greift sie, noch ehe sie den Boden im Fallen berührte, der unter den Kindern einherfliegende Gatte des Elternpaares und schwingt sich nun seinerseits in die Höhe, um dasselbe Spiel zu wiederholen. So sieht man alle Vögel durch Lehre und Beispiel Unterricht erteilen; erst wenn die Jungen selbständig geworden und im Gewerbe vollkommen geübt sind, endet solcher Unterricht, und nunmehr wandelt sich die Zuneigung der Eltern oft in das Gegenteil um. Dieselben Vögel, die bis dahin unermüdlich waren, um ihre Brut zu ernähren und zu unterrichten, vertreiben sie jetzt rücksichtslos aus ihrem Gebiet und kennen sie fortan nicht mehr. Erwähne ich nun noch, daß es einzelne Vögel gibt, die vom ersten Tag ihres Lebens außerhalb des Eies an jeder elterlichen Fürsorge entbehren und dennoch ihre Art erhalten, so habe ich in großen flüchtigen Zügen ein allgemeines Bild des Jugendlebens entrollt.

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Mehrere Vögel treten unmittelbar nach vollendeter Brutzeit eine Reise an, die je nach Art und Familie oder nach Heimat und Wohnkreis, eine längere oder kürzere, ausgedehntere oder beschränktere ist. Wir unterscheiden diese Reisen als Zug, Wanderschaft und Streichen. Unter Zug verstehen wir diejenige Art der Wanderung, die alljährlich zu bestimmter Zeit stattfindet und in bestimmter Richtung geschieht; unter Wandern ein Reisen, das bedingt wird durch die Notwendigkeit, also weder eine bestimmte Zeit noch Richtung hat, nicht alljährlich geschieht, und endet, wenn seine Ursache aufgehoben wurde; unter Streichen endlich eine Wanderschaft in engeren Grenzen, hervorgerufen durch den Wunsch, einen früheren Wohnsitz gegen einen andern umzutauschen, von einer gewissen, gerade jetzt in Fülle sich findenden Nahrung Vorteil zu ziehen.

Der Zug ist es, der uns im Herbst unsere Sänger nimmt und sie im Frühjahr wiederbringt, der unsere Wasservögel vertreibt, noch bevor das Eis ihr Gebiet ihnen unzugänglich macht, der viele Räuber zwingt, ihrer abgereisten Beute nachzufliegen. Von den europäischen Vögeln ziehen mehr als die Hälfte, von den nordasiatischen und nordamerikanischen verhältnismäßig ebenso viele. Alle wandern in mehr oder weniger südlicher Richtung, die auf der Osthälfte der Erde lebenden von vielen Ländern aus auch nach Südwesten, die auf der Westhälfte wohnenden mehr nach Südosten, entsprechend der Weltlage ihres Weltteiles und der Beschaffenheit des Gürtels, in dem die Winterherberge liegt. In der Zugrichtung fließende Ströme oder verlaufende Täler werden zu Heerstraßen, hohe Gebirgstäler zu Pässen für die Wanderer; in ihnen sammeln sich nach und nach die Reisenden an. Einige ziehen paarweise, andere in Gesellschaft, die schwachen hauptsächlich des Nachts, die starken auch bei Tage. Sie reisen meist so eilig, als ob ein unüberwindlicher Drang sie treibe; sie werden um die Zeit der Reise unruhig, auch wenn sie im Käfige sich befinden, werden es, wenn sie als Junge dem Neste entnommen und in der Gefangenschaft aufgefüttert wurden. Die einen verlassen uns schon früh im Jahre, die andern viel später, jeder einzelne aber zu einer bestimmten, nur wenig wechselnden Zeit. Diejenigen, die am spätesten wegzogen, kehren am ersten zurück, die, die am frühesten uns verließen, kommen am spätesten wieder; der Mauersegler reist schon in den letzten Tagen des Juli ab und stellt sich erst im Mai wieder ein; die letzten Nachzügler wandern erst im November aus und sind bereits im Februar wieder angelangt. Ihre Winterherbergen sind ungemein ausgedehnt; von manchen kennt man die Stätte nicht, in der sie endlich Ruhe finden. Mehrere überwintern schon in Südeuropa, viele in Nordafrika zwischen dem siebenunddreißigsten und vierundzwanzigsten Grad der nördlichen Breite; nicht wenige gehen bis tief in das Innere des heißen Gürtels und finden sich während der Wintermonate von der Küste des Roten oder Indischen Meeres an bis zu der des Atlantischen. Eine ähnliche Herberge bilden Indien, einschließlich der benachbarten großen Inseln Birma, Siam und Südchina. Die nordamerikanischen Vögel reisen bis in den Süden der Vereinigten Staaten und bis nach Mittelamerika. Auch auf der südlichen Halbkugel findet ein regelmäßiger Zug statt. Die Vögel Südamerikas fliegen in nördlicher Richtung bis nach Süd- und Mittelbrasilien, die Südaustraliens wandern nach dem Norden dieses Erdteiles, teilweise wohl auch bis nach Neuguinea und auf die benachbarten Eilande.

Vor dem Weggang pflegen die Abreisenden Versammlungen zu bilden, die einige Tage an einer und derselben Stelle verweilen, die einzeln Vorüberziehenden zu sich herbeilocken und endlich, wenn der Schwarm zu einer gewissen Stärke angewachsen ist, mit diesem plötzlich aufbrechen und davonfliegen. Einzelne halten vorher förmliche Musterung über die Mitglieder der Reisegesellschaft. Diese bleibt unterwegs, meist auch in der Winterherberge, mehr oder weniger vereinigt. Reisend beobachten die Zugvögel entweder eine bestimmte Ordnung, gewöhnlich die eines Keiles oder richtiger die zweier gerader Linien, die in schiefer Richtung gegeneinander laufen und vorn an der Spitze sich vereinigen, einem V vergleichbar; andere fliegen in Reihen, andere in einem gewissen Abstand durcheinander, in wirren, nach außen hin jedoch einigermaßen gerundeten Haufen. Die meisten streichen in bedeutender Höhe fort, manche stürzen sich aber aus dieser Höhe plötzlich tief nach unten herab, stiegen eine Zeitlang über dem Boden weg und erheben sich allgemach wieder in ihre frühere Höhe. Schwächere Vögel benutzen unterwegs Wälder und Gebüsche zu ihrer Deckung, fliegen wenigstens tagsüber soviel als möglich von Baum zu Baum, von Wald zu Wald. Laufvögel, denen das Fliegen schwer wird, legen einen guten Teil des Weges zu Fuß, manche Wasservögel geringere Strecken schwimmend zurück. Gegenwind fördert und beschleunigt, Rückwind stört und verlangsamt den Zug, hält ihn wohl auch tagelang auf. Die lebhafte Unruhe, die aller Gemüter erfüllt, endet erst am Ziel der Reise; jedoch tritt auch dort das gewohnte Leben nicht früher ein, als die neu erwachende Liebe im Herzen sich regt. Nunmehr trennen sich die Gesellschaften, die auch in der Fremde noch vereinigt blieben, in kleinere Flüge, Trupps oder Paare; alte Ehen werden neu befestigt, junge geschlossen, und singend und werbend kehren die Männchen, beglückend und gewährend die Weibchen heim zur Stätte vorjährigen Glückes oder der Kindheit. Wie immer der Vogel reisen möge, ob als ziehender Wanderer oder Landstreicher, und wie weit seine Reise sich ausdehne; seine Heimat haben wir immer nur da zu suchen, wo er liebt und sich fortpflanzt. In diesem Sinne darf das Nest das Haus des Vogels genannt werden.

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Die Säuger sind die Nutztiere, die Vögel die Vergnügungstiere des Menschen. Jene müssen zollen und geben, wenn sie vom Menschen nicht vertilgt werden wollen, diese genießen eine Bevorzugung vor allen übrigen Tieren; sie besitzen des Menschen Wohlwollen und des Menschen Liebe. Die Anmut ihrer Gestalt, die Schönheit der Farben, die Schnelligkeit und Behendigkeit ihrer Bewegungen, der Wohllaut ihrer Stimme, die Liebenswürdigkeit ihres Wesens ziehen uns unwiderstehlich an. Schon die ersten Menschen, von deren Gefühle wir Kunde haben, befreundeten sich mit den Vögeln; die Wilden nahmen sie unter ihren Schutz; Priester vergangener Zeiten sahen in ihnen heilige Tiere; Dichter des Altertums und der Gegenwart lassen sich begeistern von ihnen. Ihr Leben, ihre Stimme, ihr Flug, ihre ersichtliche Zufriedenheit mit dem Dasein erhebt und erbaut uns. Ihnen gewähren wir gern die Gastfreundschaft, die wir den Säugern und noch mehr den Lurchen entschieden versagen, gewähren sie ihnen, auch wenn sie uns wenig Nutzen bringen; unter ihnen werben wir uns mehr Haus- und Stubengenossen als unter allen übrigen Tieren; selbst wenn wir uns anschicken, ihnen mit Netz und Schlinge nachzugehen, wenn wir uns mit ihrer Jagd beschäftigen, erstirbt nicht die Zuneigung, die wir gegen sie hegen. Sie sind unsere Schoßkinder und Lieblinge. Ihr Leben ist von hoher Bedeutung für unser Besitztum und Wohlbefinden. Die Vögel bilden ein unentbehrliches Glied in der Reihe der Wesen; sie sind die Wächter des Gleichgewichts in der Tierwelt und wehren den verderblichen Übergriffen der andern Klassen, insbesondere der Kerbtiere, denen preisgegeben die Natur vielleicht veröden würde. Der Nutzen, den sie uns bringen, läßt sich allerdings weder berechnen noch abschätzen, weil hierbei ungelöste Fragen in Betracht kommen; wohl aber dürfen wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß dieser Nutzen größer ist als der Schaden, den die Vögel uns zufügen. Und darum tun wir wohl, sie zu hegen und zu pflegen. Unsere heutige Land- und Forstwirtschaft schädigt gerade die uns besonders werten Vögel im höchsten Grad; denn sie raubt oder schmälert ihre Aufenthaltsorte, Brutstätten und Wohnplätze, zwingt sie daher, auszuwandern und anderswo ein wirklicheres Heim zu suchen. Hier und da tritt wohl auch der Mensch unmittelbar ihnen entgegen, indem er ihre Nester plündert und ihnen selbst mit Gewehr, Netz und Schlinge nachstellt; doch fallen die Verluste, die dem Vogelbestande durch Jagd und Fang zugefügt werden, kaum ins Gewicht gegenüber der Schädigung, die der Bestand durch unsere gegenwärtige Ausnutzung des Grundes und Bodens erleidet. Hege und Pflege der heimischen Vögel wird also nur dann als ersprießlich sich erweisen, wenn wir auf natürlichem oder künstlichem Wege Aufenthaltsorte, Wohnplätze und Brutstätten schaffen, die noch vorhandenen mindestens erhalten. Alle übrigen Maßregeln, die Gefühlsüberschwenglichkeit, Unkunde, Unwissenheit und Unverstand vorgeschlagen haben, werden die tatsächlich stattfindende Verminderung einzelner Arten ebenso wenig aufhalten, als sie die nicht minder tatsächliche Vermehrung anderer befördern konnten. Gesicherte Wohn- und Niststätten müssen wir erhalten oder schaffen; die Vögel werden sich von selbst auf ihnen einfinden. Nur in diesem Sinne will ich die ernste Mahnung verstanden wissen, die ich schon seit Jahren allen verständigen Menschen ans Herz lege:

»Schutz den Vögeln!«


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