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Ein wenig verwundert war Klaus Rittland doch, als er am späten Abend die Drahtmeldung seiner Tochter erhielt.

Er war gerade aus dem Werk nach Hause gekommen und erwartete den Besuch des Intendanten des Braunschweiger Theaters, der sich nach dem Abendessen bei ihm angemeldet hatte, weil er anders des stets beanspruchten Mannes nicht habhaft werden konnte.

Und dann erwartete er noch einen anderen Besuch, der ihm wichtiger war als jener. Aber davon brauchte niemand etwas zu wissen.

Er aß nach seiner schnellen Art mit der Zobelmann in dem großen, protzigen Speisesaal das Abendbrot, begab sich dann in das Arbeitszimmer, das, streng abgeschlossen, ganz am Ende der langen Korridorflucht lag, einen besonderen gepolsterten Eingang vom Flur hatte, und in dem er stets allein war.

»Also mit Übinger zusammen!« sprach er vor sich hin. »Und da der verletzte Fuß immerhin einige Tage der Ruhe bedürfen und er ihr ritterlich Gesellschaft leisten wird – nun, er wird ihr nicht gefährlich werden! Wie es ihr noch keiner geworden ist ... auch der flotte Rockert nicht, den ich ganz gern zum Schwiegersohn gehabt hätte, wenn er sich nicht schon anderswo festgelegt hätte!«

Er wollte einige Briefe erledigen, die auf seinem Schreibtisch lagen, als der Diener den Intendanten meldete.

»Bitten Sie ihn in die Bücherei! Ich werde sofort kommen.«

Intendant Rolf Gellert war ein hochaufgeschossener Herr von vornehmer Lebensart, der in seiner Loge nur im Smoking saß und bei Erstaufführungen und festlichen Veranstaltungen den Frack anzog. Er war erst seit zwei Jahren am Landestheater und hatte dieses vermöge seiner, insbesondere auf musikalischem Gebiete liegenden Gaben und der unbeirrten Energie, mit der er sein Zepter führte, zu einer früher nie dagewesenen Höhe gebracht.

»Es tut mir leid, daß ich Sie zu einer so ungewohnten Stunde in gewiß wichtigeren Verrichtungen stören muß«, führte er sich ein. »Freilich ist der Anlaß meines Kommens auch kein unwichtiger – für mich wenigstens nicht.«

»Sie können beruhigt sein, Herr Intendant. Sie machen erst den Anfang der Besuche, die ich heute abend zu empfangen habe.«

»So werde ich sofort zur Sache kommen. Es handelt sich um Fräulein Mangold.«

Klaus Rittland zog die dichtbuschigen Brauen zusammen.

»Und ihretwegen kommen Sie zu mir? Was soll ich denn dabei tun?«

»Sie sollen mir helfen.«

»Gern, wenn es in meinen Kräften steht.«

»Wie Ihnen bekannt ist, will Fräulein Mangold unsere Bühne mit dem Abschluß dieser Spielzeit verlassen. Ein Gastspiel, zu dem sie im Frühjahr nach Danzig gerufen war, führte zu einem großen Erfolg und, was freilich nicht zu verwundern ist, zu einer Verpflichtung.«

»Sie sprach mir davon.«

»Ich aber kann Fräulein Mangold nicht entbehren ... unter keinen Umständen entbehren!« erwiderte Rolf Gellert mit großer Entschiedenheit. »Sie hat sich gerade in diesem letzten Jahr nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch zu einer Reife ihrer Kunst entwickelt, die sie zu dem ausgesprochenen Liebling des Publikums, ja, der ganzen Stadt gemacht hat. Alle die Damen, die ich mir auf anderen Bühnen angehört oder zum Probespiel hierherkommen ließ, reichen ihr nicht das Wasser. Und dann ist noch etwas anderes –«

Er tupfte mit den rosigen, sorgsam gepflegten Fingern an die Lippen und fuhr fort:

»Wir alle verstehen ihren Entschluß nicht. Danzig mag ein gutes Theater haben. Es ist aber mit dem unseren, ich darf das wohl ohne Überhebung sagen, nicht in eine Reihe zu stellen. Die Gage, die Fräulein Mangold hier bezieht, war schon damals weit größer, als Danzig sie ihr zahlen kann. Ich habe sie erhöht, ich wäre in der Lage, sie zu verdoppeln – Fräulein Mangold bleibt bei ihrem Entschluß.«

Er mochte erwarten, daß der andere etwas erwidern würde. Der aber verharrte in seinem Schweigen.

»Künstlerischer Ehrgeiz kann es nicht sein. Wenn sie noch ein oder zwei Jahre hierbleibt, stünden ihr die ersten Theater Deutschlands offen. Sie kann auch nicht geltend machen, daß sie zu wenig beschäftigt wird. Als Vertreterin des Zwischenfaches singt sie die Elisabeth wie die Turandot, ja, als ich sie in der Isolde herausstellte, hatte sie einen solchen Erfolg, daß ihr trotz ihrer Jugend das Fach der Hochdramatischen gesichert ist. Ich stehe also vor einem vollkommenen Rätsel.«

»Das ich Ihnen nicht lösen kann.«

»Doch, Herr Rittland.«

Und über dessen sichtbare Verwunderung hinweggleitend:

»Gestatten Sie mir, den eigentlichen Anlaß zu sagen, der mich zu dieser ungewohnten Stunde zu Ihnen treibt. Es ist dies hier; erst heute nachmittag ging es mir zu.«

Er nahm aus seiner Brusttasche ein Schreiben, reichte es Rittland.

Der überflog es. Es enthielt eine in dringenden Worten abgefaßte Eingabe an den Intendanten, die gefeierte Sängerin unter allen Umständen Braunschweig und seinem Landestheater zu erhalten.

»Wie Sie sehen, macht man mir hier den mehr oder minder versteckten Vorwurf, daß ich als Leiter des Theaters nicht imstande bin, eine solche Kraft an meine Bühne zu fesseln, vielmehr untätig zusehe, daß ein anderes Theater sie fortkapert. Es handelt sich also um nichts weniger als um meine Ehre, ja, um meine Stellung. Denn nicht nur der Oberbürgermeister, fast sämtliche Mitglieder des Theaterausschusses haben diese Eingabe unterfertigt.«

»Nur ich nicht, der ich ja wohl auch den Vorzug habe, diesem Ausschuß anzugehören.«

»Deshalb erlaubte ich mir zu sagen: ›fast‹ sämtliche Mitglieder.«

»Wunderbar, daß man mir dies Schreiben nicht unterbreitet hat.«

»Vielleicht doch nicht.«

»Was wollen Sie damit sagen, Herr Intendant?«

Der antwortete nicht sogleich.

»Ich weiß nicht«, sagte er schließlich, »ob ich offen sprechen darf.«

»Ich bitte Sie darum.«

»Nun gut. Man hat Sie, wie ich es von ganz einwandfreier Seite gehört habe, nicht zur Unterzeichnung aufgefordert, weil man in diesen Kreisen erzählt, daß Sie die Veranlassung sind, die Fräulein Mangold zu ihrem Entschlusse getrieben hat.«

Es war kühn, was er da sagte. Sehr kühn, einem Manne wie Klaus Rittland gegenüber. Er war sich dessen wohlbewußt. Aber es galt seine Ehre, galt seine Stellung.

»Hat Ihnen das Fräulein Mangold selber gesagt?«

So fest und durchdringend blickte das graue Auge unter den buschigen Brauen auf den anderen, daß dem kein Ausweg mehr blieb.

»Sie hat es mir gesagt!«

Ein schweres Schweigen.

»Um so berechtigter«, erwiderte dann Klaus Rittland mit eisiger Ruhe, »erscheint mir meine Frage: In welcher Weise ich Ihnen helfen kann?«

»Um Ihnen das zu sagen, Herr Rittland, müßte ich noch offener sprechen. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich das darf. Denn es handelt sich um etwas, das ich vertraulich gehört habe.«

»Das Sie aber mir zu verschweigen keine Verpflichtung übernommen haben?«

»Nein. Das um so weniger, als durch dies Gerücht, denn ein solches möchte ich es vorläufig nur nennen, mir vielleicht die einzige Handhabe gegeben wäre, Fräulein Mangold meiner Bühne zu erhalten.«

»Wollen Sie sich ein wenig deutlicher ausdrücken?«

»Ein Intendant pflegt sich grundsätzlich nicht um irgendwelche persönliche Angelegenheiten seiner Mitglieder zu kümmern. Und ich wäre der letzte, der es täte –«

»So sprechen Sie doch!« unterbrach ihn Klaus Rittland, zum ersten Male ungeduldig.

»Fräulein Mangold geht, wie Ihnen gewiß bekannt ist, wie ein Kind im Hause eines großen Künstlers unserer Stadt ein und aus –«

»Nun ja ... bei Alberti, dem Bildhauer; selbstverständlich ist mir das bekannt. Was aber in aller Welt hat das mit der Sache zu tun?«

»Nicht er – aber sein Sohn –«

Klaus Rittland warf einen kurzen Blick zu dem Sprechenden hinüber. Etwas wie Furcht lag in diesem Blick, zugleich ein dumpfaufglimmender Argwohn.

»Sein Sohn?« erwiderte er tonlos. »Ich verstehe noch weniger, was er –«

Er wurde unterbrochen. Der Diener trat ein, überreichte eine Karte: »Leo Bettelheim, Kunsthändler und Antiquar, Berlin.«

Der Intendant erhob sich. Er wußte, daß er sein Spiel gewonnen hatte.

»Ich bedaure, Ihnen nicht länger zuhören zu dürfen«, sagte Klaus Rittland, und ein leicht ironischer Klang war in seinen Worten. »Aber dieser Besuch ist dringend.«

»Ich weiche ihm gern, wenn ich es in der Hoffnung tun kann, daß unsere Unterredung nicht fruchtlos geblieben ist.«

»Sie können sich darauf verlassen. Ich werde selber zu Fräulein Mangold gehen oder sie zu mir bitten.«

»Und eines noch. Die Loslösung der Sängerin von ihrer Danziger Verpflichtung wäre nur möglich durch die Zahlung einer nicht unbedeutenden Konventionalstrafe. Ich weiß nicht, wie weit mein knapp bemessener Etat es mir gestattet –«

»Ich stehe auch hier zu Ihrer Verfügung.«

Und als der Intendant gegangen war, zum Diener:

»Bitten Sie den Herrn!«

»Soll ich ihn auch hierher in die Bücherei führen?«

»Nein ... nach hinten, in mein Arbeitszimmer! Und nicht durch den Saal, sondern direkt durch den Flur. Er möchte sich einige Minuten gedulden! Solange er bei mir ist, darf ich von niemand gestört werden. Hören Sie wohl: von niemand, wer es auch sei!«

Nein, es war ihm nicht möglich, sich jetzt unmittelbar zu dem anderen zu begeben. So wichtig dessen Besuch ihm war, so ungeduldig er ihn erwartet hatte – er konnte eben nicht!

Er sah auf die Uhr. Es war gerade neun. So hatte er noch Zeit!

Er nahm eine Zigarette, tat einige Züge, warf sie wieder fort.

Michael Albertis Sohn!

War das die Vergeltung? Die unbewußte, ungeahnte?

Und was war mit ihm? Liebte er Erika Mangold? Erwiderte sie seine Liebe?

Der Festabend in seinem Hause stand vor seiner Seele, da er sie in auffälliger Weise umwarb und seine Eifersucht weckte.

Er war hübsch und gut gewachsen, war kaum aus den Knabenjahren heraus, hatte das Feuer und die Kraft der Jugend. Und er kam mit redlichen Absichten, würde sie heiraten und doch nicht der Bühne entziehen wollen.

Selbstverständlich! Das war es, worauf der gewitzte Intendant seinen Plan baute, was er ihm mit aller Schonung beibringen wollte!

Noch konnte man ihn nicht ganz ausschalten. Vielleicht fürchtete man, daß er auch hier als Widersacher auftreten, daß sein Einfluß auf die gefeierte Sängerin noch nicht ganz gebrochen war.

Aber wenn es doch der Fall wäre? Wenn die Jugend, die immer das Recht hat, auch hier die größere Macht hatte?

Er nahm die zweite Zigarette, tat wieder einige hastige Züge, warf sie dann wiederum in den Aschenbecher.

Vergangene Zeiten standen auf, riefen, lockten. Damals, als er als ihr Schützer und väterlicher Freund in ihr Leben trat, die junge, verheißungsvolle Blume unter seinen Augen wachsen und zu schönster Entfaltung kommen sah, als die Natürlichkeit und Frische ihres Wesens ihn entzückte, mit sich fortriß. Was je Gutes in ihm gewesen, begann damals, ihm selber zum Erstaunen, zu werden und zu reifen. Er lebte nicht mehr für sich, er lebte für eine andere, war opferfreudig und lernte die Seligkeit des Gebens.

Und doch hatte er nicht den Mut, fürchtete die Welt und seine Tochter, die dieser Neigung, die ihr vom ersten Augenblick nicht entgangen war, feindlich gegenüberstand.

Und dann kam die Stunde ... die törichte, die unverantwortliche – –

»Du hast zuviel in mir getötet!« hatte sie ihm damals gesagt.

Er aber hatte ihr entgegnet, daß der Tag kommen würde, an dem ...

War der Tag da?

Sein Besuch fiel ihm ein, der dort hinten in seiner verschwiegenen Arbeitsstube seiner harrte. Er durfte nicht länger warten.

*

Als er geräuschlos die schwergepolsterte Tür zu seinem Zimmer öffnete, erhob sich ein untersetzter Mann, der Hut und Mantel neben sich gelegt hatte, reichte ihm eine fleischige, von bläulichen Adern durchsetzte und mit einem mächtigen Wappenring in alter Fassung geschmückte Hand.

»Ich habe mich auf Ihre Drahtnachricht sofort auf den Zug gesetzt«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Sie wollen den Transport noch heute nacht vornehmen?«

»Es ist alles für ihn eingerichtet. Mein Wagen ist um zehn Uhr bestellt. Wir fahren zusammen hinaus.«

»Die Frachtbriefe für das Ausland, die Zollschwierigkeiten – alles ist geregelt, damit wir nicht Scherereien haben wie damals an der Grenze?«

»Alles in bester Ordnung. Sie können ganz ruhig sein. Allmählich lernt man die Sache. Ich legte diesmal nur Wert auf Ihre Mitwirkung, weil die Verpackung und der Versand in so weite Ferne bei der subtilen Ausführung der neuen Figuren nicht ganz einfach ist.«

»Es ist auch besser so. Damals erlitt die Ariadne durch nicht sachgemäße Behandlung Schaden –«

»Der uns der eigenen Arbeit enthob und ihren Wert nur steigern wird.«

Leo Bettelheim hörte nur mit halbem Ohre hin. Er schien mit anderem beschäftigt. Das breite Lächeln, das um seine Lippen spielte, wurde noch um einen Grad verschmitzter.

»Haben Sie die neuesten Zeitungsberichte gelesen?« fragte er mit geheimnisvoll gedämpfter Stimme. »Aber nein ... Sie konnten ja noch gar nicht. Sie wurden eben erst auf den Berliner Bahnhöfen ausgerufen. Ich kaufte gleich ein halbes Dutzend. Hier haben Sie einige!«

Er nahm seinen Mantel, reichte ihm ein Pack Zeitungen, faltete sie raschelnd auseinander, legte den Finger mit dem Wappenring auf eine fettgedruckte Stelle.

Und Klaus Rittland las:

Aufsehenerregende Entdeckungen.

Einem durch seine kunstgeschichtlichen Forschungen bekannt gewordenen Professor in Rom, Baptista Varena, ist eine Entdeckung gelungen, die ganz Italien in Aufregung versetzt. Es handelt sich um drei in prachtvoller Bronze ausgeführte Plastiken von ganz eigenartiger, fraglos alter Oxydation: einen unbekleideten männlichen und einen weiblichen Körper, ferner um eine besonders schöne Gruppe, einen Mann, der mit einem formvollendeten Weibe in heißem Wettkampf ringt. Was die beiden mit unvergleichlicher Kraft und Anmut gemeißelten Figuren im Grunde darstellen, harrt noch der endgültigen Lösung. So viel aber ist klar, daß sie alle drei bis in die Anfänge des 15. Jahrhunderts zurückreichen. Die männliche Statue wird Donatello zugeschrieben, an dessen David sie augenscheinlich erinnert, die weibliche seinem Zeit- und Kunstgenossen Luca della Robbia, nach anderer Meinung dem Andrea Verrochio, die prachtvolle Gruppe aber, die leider einige Verletzungen aufweist, keinem Geringeren als dem Mino da Fisole.

Professor Varena wurde auf sie aufmerksam, als er bei einem Besuche in Florenz zufällig in das Geschäft des dortigen Kunsthändlers und Antiquars Benedetto Angliano trat. Jahrelang sollen sie unbeachtet in dessen Laden gestanden haben. Jetzt bietet man die ungeheuerlichsten Summen für sie, zumal die angesehensten Kunstsachverständigen sie einstimmig als Werke toskanischer Meister aus dem 14. und 15. Jahrhundert anerkannt haben, so daß jeder Zweifel an ihrer Echtheit ausgeschlossen ist.

Wie wir eben noch kurz vor Redaktionsschluß hören, ist die weibliche Figur, an der ein Arm fehlt, nachdem sie von der Galerie Frichs in New York wegen zu hoher Forderung abgelehnt wurde, an den berühmten Dollarkörnig Eduard Steep in Chicago verkauft, während um die männliche ein Wettbewerb mehrerer Museen stattfindet und die unvergleichliche Gruppe hoffentlich in Rom oder Florenz bleiben wird. Namhafte Mittel sind für diesen Zweck bereits von reichen italienischen Kunstfreunden gezeichnet.

Jedenfalls handelt es sich hier um eine Entdeckung, wie sie seit langen Jahren auf kunsthistorischem Gebiete nicht gemacht ist. Professor Varena äußerte einem Mitarbeiter des »Corriere della Serra« gegenüber, dem es gelang, ihn zu interviewen, daß seine sensationellen Entdeckungen mit diesen drei Plastiken voraussichtlich noch nicht abgeschlossen wären.

»Herrlich! Unvergleichlich!«

Klaus Rittland legte das Blatt, das er, bald laut mitsprechend, bald schweigend und mit stammelnden Lippen gelesen, vor sich auf den Schreibtisch – und lachte. Lachte so laut und dröhnend, daß es seltsam durch den hohen, schmalen Raum hallte. Lachte, als wollte er sich in diesem Lachen Luft machen von alledem, was in dieser Stunde schwer und drückend auf ihm gelegen.

»Dieser Alberti hat ein Stilgefühl für die italienische Renaissance«, sagte Leo Bettelheim, »wie man es wohl nie wieder findet. Er hat sich so in sie hineingearbeitet, daß es kein Wunder ist, daß die gewiegtesten Kenner seine Werke den alten Meistern zuschreiben.«

»Michael Alberti«, erwiderte Rittland, »ist ein großer Künstler. Aber er hat keinen Namen. Die Leute kannten ihn nicht und hätten ihn im Elend sterben lasten. Da gab ich ihm den Namen. Und nun priesen sie seine Schöpfungen als die Offenbarung der größten Kunst, posaunten ihre Schönheit in alle Welt hinaus, bezahlten sie mit überschwenglichen Summen. Das, Verehrtester, ist das Publikum und sein Urteil! Und wer es an der Nase herumführt, tut der ein Unrecht?«

Leo Bettelheim nickte zustimmend. Er tat es aber nur mechanisch. Denn obwohl er ein erprobter Kenner auf dem Gebiete der Plastik war, so war er doch in erster Reihe Geschäftsmann, und das Publikum, sein schlechter oder guter Geschmack, interessierten ihn lediglich von dem Gesichtspunkt aus, ob es zahlungsfähig war oder nicht.

»Unser Florentiner Freund hat seine Sache nicht schlecht gemacht«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Einen geeigneteren konnten wir nicht finden.«

»Die Hauptsache ist, daß er dicht hält und bei seiner hübschen Geschichte von den heimlichen Ausgrabungen der verschütteten Abtei in der Nähe von Monte Aniato bleibt.«

»Das wird er. Er hat ja den Dingern erst den letzten Schliff gegeben. Die Italiener haben für so etwas eine besondere Begabung. Aber den Löwenanteil haben Sie, Herr Rittland! Die ›eigenartige Oxydation!‹ Ihre Patina ... die ist es erst gewesen! Wie haben Sie die nur zustande gebracht? Denn allein Ihre Salzsäure kann es doch nicht gewesen sein.«

Klaus Rittland zog die buschigen Brauen in die Höhe, sein Auge blickte über den anderen hinweg, weilte in weiter Ferne.

»Das sind Geheimnisse ... dunkle, undurchdringliche Geheimnisse.« Und dann in völlig verändertem Tone: »›Geschäftsgeheimnisse‹ würden Sie es nennen. Und sie als gesiebter Händler sollten wissen, daß man die niemals preisgibt.«

»So sollten Sie ein Patent darauf nehmen. Vielleicht bringt das mehr ein als Ihr ganzes Werk.«

Klaus Rittland liebte derartige Andeutungen nicht, gerade dann nicht, wenn sie ein Korn Wahrheit enthielten.

»Mein Werk steht glänzend da«, erwiderte er mit stolzer Ablehnung, »seitdem ich meine ganze Kraft in seinen Betrieb geworfen habe. Alles dies hier sind doch Nebensachen, Spielereien – wenn Sie wollen: ein Nervenkitzel, den ich brauche –«

»Aber zugleich ein recht einträgliches Geschäft.«

»Für Sie vielleicht.«

Wegwerfende Verachtung lag in seinen Worten. Eisige Kälte, die eine scharfe, nie aufzuhebende Scheidewand zwischen ihm und jenem zog.

»Ob Sie es mir glauben oder nicht«, fuhr er fort, »das soll mir gleichgültig sein. Ich aber kann Ihnen sagen, daß das Materielle an der Sache für mich nicht das Ausschlaggebende ist. Keiner weiß es so gut wie Sie, daß ich dem Alberti aus freien Stücken von vorneherein eine Summe ausgezahlt habe, die ich glatt verlor, sowie die Sache schief gegangen wäre. Und was meinen ›Löwenanteil‹ betrifft, von dem Sie vorhin sprachen, ich habe ihn mir sicher gelegt ... für alle Fälle ... man kann nie wissen, wozu man ihn einmal nötig haben wird ... im Auslande sichergelegt. Ein gleiches, nebenbei bemerkt, möchte ich auch Ihnen raten. Aber die Hauptsache, ich wiederhole es, ist mir das alles nicht.«

»Dann ist es vielleicht der Reiz der Gefahr, die mit dem Ganzen verbunden ist und der bei außerordentlichen Naturen mitunter stark entwickelt sein soll.«

»Auch der nur in untergeordnetem Grade. Nein, es ist etwas anderes, wenn Sie das auch noch weniger verstehen werden.«

Und indem er noch einmal das Zeitungsblatt in die Hand nahm:

»Es ist das wundervolle Triumphgefühl über die Dummheit der Menschen. ›Die angesehensten Kunstsachverständigen haben sie einstimmig als Werke toskanischer Meister aus dem 14. und 15. Jahrhundert anerkannt, so daß jeder Zweifel ausgeschlossen ist.‹ Steht es hier nicht? Dem Donatello schreibt man sie zu, dem Luca della Robbia, Andrea Verrochio und Mino da Fisole, und wer weiß wem noch! Ein Professor der Kunstgeschichte fällt auf die plumpen Schwindeleien Ihres florentinischen Helfershelfers hinein, setzt Kopf und Würde zum Pfand, daß sein Urteil unfehlbar und alle diese Werke unverfälschte altitalienische Kunst sind! Ist das nicht köstlich? Ich sage Ihnen, nie ist ein wahreres Wort gesprochen als dies: ›Wer über alles lachen kann, wird die Welt beherrschen!‹«

Leo Bettelheim kniff die Lider zusammen, daß die schmalen Augen nur wie zwei blanke Striche zwischen den kurzen, graugesprenkelten Wimpern blinzelten.

»Es gibt aber auch ein anderes Wort«, erwiderte er langsam und bedächtig, »und das ist vielleicht nicht weniger wahr als das Ihre. Ich jedenfalls würde mich ihm lieber anvertrauen. Und es heißt: ›Hochmut kommt vor dem Fall.‹«

Klaus Rittland zuckte die Achseln und wandte sich ab.

Was nahm der Mann sich heraus? Welch eine Sprache wagte er gegen ihn? Vergaß er, daß auch er, mochten sie hundertmal gemeinsames Spiel treiben, nur eine Karte in seiner Hand war?

Der aber schien von seiner deutlich bekundeten Ablehnung wenig berührt zu sein.

»Herr Rittland«, hub er noch einmal an, nachdem er sich jedes Wort zurechtgelegt hatte: »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann sollten Sie eine Sache nicht so einfach, ich möchte sagen, nicht so gefahrlos ansehen, die uns alle drei hinter Schloß und Riegel bringen kann.«

»Gefahr!« gab Klaus Rittland höhnend zurück. »Von wem sollte ich Gefahr fürchten? Etwa von Ihnen, daß Sie mich eines Tages verrieten? Das werden Sie bleiben lassen, denn Sie sind am Geschäft beteiligt. Oder von meinem Freund Alberti? Er ist von einer so rührenden Arglosigkeit, vertraut mir so unbedingt, arbeitet jetzt bereits mit Begeisterung an einem neuen Werke, daß ich von ihm nichts zu befürchten habe.«

Einen Augenblick zauderte Leo Bettelheim. Auf der ganzen Eisenbahnfahrt hatte er überlegt, ob er es sagen sollte oder nicht. Jetzt bestimmte ihn die Sicherheit, die ihm hier in einer ihm unbegreiflichen Verblendung begegnete und die er warnen mußte, bevor es zu spät war.

»Nein, von dem alten Alberti brauchen Sie nichts zu befürchten. Um so mehr aber von dem jungen.«

Klaus Rittland zuckte mit dem Kopfe empor. Hatte er recht gehört? War es das zweitemal, daß ihm innerhalb einer Stunde dieser Name entgegentrat? Und in einem fast ähnlichen Zusammenhang?

Er sah den anderen nicht an, wie er es niemals im Gespräche tat, blickte vielmehr über ihn hinweg in die dämmernde Tiefe des Zimmers.

Ein Argwohn tauchte auf, der schon einmal ... damals im Atelier des Alten –

»Und warum, meinen Sie, sollte ich gerade den jungen Alberti fürchten?«

»Weil er Verdacht geschöpft hat. Vielleicht noch nicht einen bestimmten. Aber seitdem er an jenem dunklen Abend gerade dazutrat, als man die Ariadne seines Vaters aus dem Waggon hob und in Ihrem Werk unterbrachte –«

»Es war ein böser Zufall –«

»Ein nie mehr gut zu machendes Versehen war es. Er wußte, daß die Statue längst bezahlt war, wähnte sie in irgendeiner Galerie. So hatte es ihm der Alte gesagt. Dann findet er sie ausgerechnet in Ihrem Werke wieder.«

»Das ganze Unglück war, daß ich an diesem Abend nicht zugegen war. Aber ich hatte den Kopf mit der plötzlichen Umgestaltung meines Werkes so voll –«

»Niemals würde irgend etwas an den Tag kommen, wenn nicht auch der Klügste einmal eine Dummheit machte.«

Klaus Rittland schien diese Bemerkung wiederum wenig zu passen. Er ließ es sich aber diesmal nicht merken.

»Woher wissen Sie denn, daß er irgendwelchen Verdacht geschöpft hat?«

»Weil er bei mir war.«

»Bei Ihnen? In Berlin?«

»Jawohl. Er schien lediglich deshalb die Reise gemacht zu haben.«

»Und was wollte er?«

»Er gab sich den Anschein, als wäre er gekommen, meine Ausstellung antiker Kunstgegenstände zu besichtigen. Aber es war nicht schwer zu erkennen, daß dies nur Vorwand war. Denn mit einem Male fragte er mich nach dem Joseph seines Vaters.«

»Es war zu der Zeit, da die Gruppe hier bei mir war?«

»Sie war zwei Tage vorher in der Gießerei fertig geworden, und wir transportierten sie auf schnellstem Wege in Ihr Werk.«

»Und nun meinen Sie im Ernst –«

»Ich kann nur berichten, was ich von ihm gehört habe. Er sagte, die Gruppe hätte ja wieder die besten Aussichten. Sie hätten dem Vater eine Summe genannt, die die der beiden anderen Statuen noch überträfe. Ihm wäre erzählt worden, daß solche Gelder für Kunstwerke nur im Ausland bezahlt würden. Dann wollte er wissen: Wer die Gruppe kaufen wollte –«

»Und Sie?«

»Nun, ich half mir, so gut ich konnte, und sagte ihm, daß hierüber vorläufig strengstes Schweigen gewahrt werden müßte. Er beruhigte sich aber nicht mit meiner Antwort und fragte ganz unvermittelt: Ob der Joseph auch wieder nach Braunschweig in das Rittlandsche Werk geschafft würde?«

»Was Sie verneinten –«

»Das wäre töricht gewesen. Denn wie konnte ich wissen: ob er nicht auch davon Wind bekommen?«

Es lag eine Spitze in seinen Worten, die sich gegen Klaus Rittland richtete und diesem nicht entging.

»Und nun eins noch, Herr Rittland! Sie dürfen es mir aber nicht verargen. Es geschieht nur in Ihrem Interesse, und es ist vielleicht gut, daß Sie es erfahren.«

»Sparen Sie die Vorreden!«

»Ich mag mich irren – aber ich hatte während der ganzen Unterredung den Eindruck, als ob der junge Mensch etwas wider Sie hätte. Es war ein so seltsamer Ausdruck in seinen Augen –«

»Den haben sie immer. Er ist eine schwärmerische Natur –«

»Die unter Umständen zu allem fähig wäre«, ergänzte Leo Bettelheim. »Und gerade deshalb sollten Sie die Sache nicht mehr so leicht nehmen. Kommt er hinter unsere Schliche, so wären wir alle verloren. Zuerst aber Sie!«

Klaus Rittland zuckte nichtssagend die Achseln.

»Ich habe meine Vorkehrungen getroffen.«

Draußen ertönte die Hupe seines Wagens.

»Es ist Zeit, wir müssen aufbrechen!«

In die vom bläulich schimmernden Schnee geheimnisvoll durchdämmerte Nacht fuhr der Wagen, hielt an der Eingangspforte des Werkes.

Kein Pförtner öffnete dienstbeflissen die Tür. Rittland hatte sein Kommen in Geheimnis gehüllt.

Schweigend stapften die beiden Männer durch den Schnee, der während des Abends stärker gefallen war und das weite Gelände wie ein großes, dichtes Leichentuch deckte. Tiefe Stille war überall. Die Arbeit unmittelbar nach dem Feste war gering, nennenswerte Aufträge waren überhaupt seit längerer Zeit ausgeblieben.

Fester zog der Berliner seinen kostbaren Pelz an sich, steckte den Kopf mit den abstehenden Ohren möglichst tief in den Bisamkragen.

Klaus Rittland focht weder Kälte noch Schnee an. Elastischen Schrittes ging er voran, so schnell, daß der andere, der von kurzem Atem war, kaum folgen konnte.

Nun waren sie vor die große Lagerhalle gelangt, auf die Rittlands Privatlaboratorium mündete.

Auch hier war alles still – kein Mensch zu sehen, kein Laut zu hören.

Rittland hatte angeordnet, daß die von ihm jedesmal zu diesem Zwecke besonders ausgesuchten Arbeiter sich von zehn Uhr ab bereitzuhalten, aber erst auf ein von ihm gegebenes Zeichen zu erscheinen hätten.

Vom Schnee und Mondlicht umspielt, stand ein dunkelgrauer Waggon auf dem Gleise, unmittelbar vor dem Lagerschuppen. Die eben ausgefertigten Fracht-, Transport- und Zollscheine lagen auf einem kleinen Tische seitwärts.

Den Schritt noch mehr dämpfend, obwohl er im Schnee kaum hörbar war, trat Klaus Rittland auf die Eingangstür des Schuppens zu.

Mit einem Male aber stutzte er, blieb stehen, schattete die Hand über die Augen.

Hatte er recht gesehen? Oder war es ein Trugbild seiner heute seltsam erregten Sinne?

War ihm doch gewesen, als glitte da drüben, jenseits des Schuppens, ein dunkler Schatten über den Schnee, tauchte einen Augenblick hinter dem langgestreckten Gebäude unter, war verschwunden.

»Haben Sie nichts gesehen?« fragte er den neben ihm keuchenden Berliner.

»Nichts«, erwiderte dieser, merkbar von der Wanderung in dem hohen, an den Sohlen festklebenden Schnee ermüdet.

Noch einmal stellte Klaus Rittland dieselbe Frage an den Lagermeister, der ihm jetzt im Innern des Schuppens entgegentrat.

»Solange ich hier bin, habe ich niemanden gesehen«, erwiderte dieser.

»So war es ein Phantom!« sagte Klaus Rittland zu seinem Begleiter. »Wunderbar! Sonst pflegen mich Gespenster nicht zu beunruhigen. Aber die Schuld tragen Sie. Warum müssen Sie mir so dumme Geschichten am späten Abend erzählen?«

Dann ging man an das geheimnisvolle Werk, das stumm und in kurzer Zeit erledigt war.

Eine Lokomotive war vor dem dunkelgrauen Waggon gespannt, fuhr ihn und seine kostbare Last in die im weißen Glanze dämmernde Nacht hinaus.

* * *

 


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