Lily Braun
Die Liebesbriefe der Marquise
Lily Braun

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Der Prinz

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Versailles, den 12. April 1782.

Teuerste Frau Marquise. Im Augenblick, da ich den Boden Frankreichs wieder betrat und die Jahre zwischen damals und heute ausgewischt erschienen, war mir, als müßte ich Ihnen zuerst begegnen, als könne das neue Leben nur beginnen, wenn der Stern über ihm strahlte, der meiner ersten Jugend geleuchtet hat. Erst als der brave Gaillard, der Sie zwar nie mehr sah, aber trotzdem nie aus dem Auge verlor, mir von Ihnen und Ihrem Kinde erzählte, und als Sie im Schloß von Versailles zum ersten Male wieder vor mir standen und mich nicht anders begrüßten als jeden Fremden, fühlte ich, daß mehr als Jahre, daß Schicksale die Gegenwart von der Vergangenheit trennen.

Wenn Sie, an das Leben der großen Welt gewöhnt, das alle Abgründe der Seele mit Lärm und Zerstreuung füllt, imstande sind, während der kommenden Anwesenheit meiner Schwester, die uns notwendig täglich zusammenführen wird, gleichmäßig fremd neben mir herzugehen, – ich, Delphine, der auf den Steppen und in den Urwäldern Amerikas mehr denken lernte als reden, und mehr empfinden als überlegen –, ich vermag es nicht!

Es gibt nur zwei Wege für mich: entweder wir löschen aus, was uns trennte, und reichen uns als gereifte Menschen, die über kindische Torheiten zu lächeln lernten, die Hand, oder –, ich gehe. Ich habe Sie bitter gekränkt, – ich weiß es – ich habe aber auch bitter um Sie gelitten! Darum verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen Unrecht tat, und ich will den Stachel aus meinem Herzen reißen, der noch immer in ihm brennt.

Ich erwarte keine schriftliche Antwort. Sie sollen sich nicht, von irgendeinem äußeren Einfluß gezwungen, an den Schreibtisch setzen, und ich will nicht eins jener Billette von Ihnen lesen müssen, aus dem ich nicht zu sehen vermag, ob sein Inhalt Empfindung oder Höflichkeit ist. Wir sehen uns heute in der Akademie. Ein Blick von Ihnen wird mir mehr sagen können als viele Worte.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Versailles, den 13. April 1782.

Was ich gestern nicht auszusprechen vermochte, weil ich fürchtete, der lange zurückgedämmte Strom meiner Gefühle möchte nur zu stürmisch emporquellen, das muß ich Ihnen heute sagen: Ich danke Ihnen für Ihren Blick, für Ihren Händedruck; ich danke Ihnen dafür, daß Sie leben, daß ich Sie sehen darf!

Als Condorcet zu sprechen begann, war ich noch so bewegt von Ihrer Güte, teure Delphine, daß ich dem Redner trotz all meines Interesses für seine Persönlichkeit, lange Zeit nicht zu folgen vermochte. Ich stand in der Fensternische und sah nur Sie! An mein Ohr schlugen Worte, aber in ihm klang nur Ihre weiche Stimme nach!

Erst allmählich kam ich zu mir und horchte. Wie oft hatte ich mich draußen danach gesehnt, einen der führenden Geister Frankreichs zu hören. Nun stand er vor mir; das 18. Jahrhundert ist das Thema seiner Rede; die Entwicklung der Freiheit wird er rühmen, dachte ich –, der Freiheit, für die wir drüben bluteten.

»Ein junger Mann, der heute unsere Schulen verläßt, hat mehr Kenntnisse als die größten Genies der Antike«, – sagte er. Man klatschte Beifall, die jungen Männer am lautesten, als müßten sie sich selbst applaudieren.

Im stillen Zelt, am Lagerfeuer jenseits des Weltmeeres war unsere einzige Lektüre, die uns aufrichtete wie die Bibel die guten Christen, der Plutarch gewesen. Sind wir wirklich an Kraft und Tugend den Helden des Altertums überlegen, weil wir das Gesetz der Schwere kennen, oder weil wir wissen, daß die Erde sich um die Sonne dreht?! Ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, als ich Condorcet weitersagen hörte: »Jedes Jahr, jeder Monat, jeder Tag ist gleicherweise durch neue Entdeckungen und Erfindungen ausgezeichnet.« Aber ich habe nicht gefunden, daß Frankreich darum reicher und glücklicher geworden ist: die Spinnmaschine lockt arme Weiber in den Frondienst der Fabriken; die Elektrizität dient Nichtstuern zu amüsanten Experimenten, Blanchards famose Flugmaschine ist nichts weiter als ein neues Seiltänzerkunststück.

Und mit Emphase schloß der Redner, während seine Stimme melodisch anschwoll, als stände nicht der Gelehrte Condorcet, sondern der tragische Mime Le Kain auf der Tribüne: »Als Zeugen der letzten Anstrengungen der Unwissenheit und des Irrtums sehen wir, daß die Vernunft aus diesem langen schweren Kampf siegreich hervorgegangen ist, und können endlich ausrufen: die Wahrheit hat gesiegt! Die Vernunft ist gerettet.«

»Cagliostro!« rief jemand, und ein Degen klirrte heftig gegen die Dielen. Sie sahen sich erschrocken um; Sie fühlten wohl, daß nur ein Verwilderter wie ich sich so formlos hatte benehmen können!

Ich versichere Sie, die Empörung schnürt mir noch jetzt die Kehle zusammen: nach drei Jahren der Abwesenheit kehre ich wieder, finde den Ruin vor der Türe, die Angst um die Existenz in den Mienen eines Jeden, sehe die einen in sinnloser Furcht fremden Gauklern in die Arme laufen, die anderen ihren Zorn in nichts weiter als Reden und Journalartikeln Luft machen, und muß erleben, daß einer der Ersten im Lande die Vernunft für gerettet, die Wahrheit für siegreich erklärt!

Ach, Delphine, wer sich in die Einsamkeit zu flüchten vermöchte, fern all den wirren Stimmen der Gegenwart! Ich denke oft des weißen Schlößchens zwischen geschnittenen Laubengängen und des Schwanenweihers davor und des kleinen hellen Tempels auf grüner Wiese!

Aber die Zeit ist zu hart, als daß wir uns erlauben könnten, sentimental zu werden. Wir dürften nicht einmal fröhlich sein. Ich würde mich der Teilnahme an den kommenden Festen schämen, wenn Ihre Anwesenheit nicht alles entschuldigte. Nur zum Komödianten, mit anderen Worten: zum Spaßmacher der Gesellschaft, vermöchte ich mich nicht herzugeben; – es tut mir weh, daß Sie dazu imstande sind! Zürnen Sie mir nicht wegen meiner Offenherzigkeit! Das Verstecken alles wahren Gefühls hat die allgemeine Verlogenheit so sehr züchten helfen, daß ich lieber grob und grade bin wie die Amerikaner.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 6. Mai 1782

Ihre Absage, schönste Frau Marquise, können wir nicht gelten lassen; Sie stören unser ganzes Ensemble, die künstlerische Einheit und vor allem: das Vergnügen der Gäste, die reizendste der drei Grazien vor sich zu sehen. Der Vorwand schlechten Befindens gilt im Paris Cagliostros nicht, noch weniger der der schlechten Stimmung, die eine Marquise Montjoie weder haben und noch weniger bei ihrer Königin hervorrufen darf.

Ihre Majestät ist ernstlich gekränkt, und es ist nicht unmöglich, daß sie nunmehr befiehlt, nachdem sie umsonst gebeten hat. Setzen Sie sich dem nicht aus, Holdseligste; Ungnade schmeckt bitter. Ich habe mich gestern schon von einem Sturm allerhöchst schlechtester Laune bis in meine innersten Gemächer wehen lassen. Die Ursache ist gewichtig genug: Der Juwelier Boehmer wurde in Audienz empfangen, um ein Brillanthalsband vorzulegen, das an Pracht alles Dagewesene übertrifft. Die Gräfin Polignac schmückte Ihre Majestät damit, – eine Märchenprinzeß, der ihre Mutter, die Sonne, alle Sterne des Himmels um den Nacken legt, hätte sie nicht überstrahlen können. Nur die Freude, die ihre Augen erhellte, schuf noch glänzendere Edelsteine.

Sie ging damit zum König. Eine Viertelstunde verrann nach der anderen; auf dem Gesicht des Juweliers wechselte schon die Röte der Aufregung mit der Blässe der Angst; da hörten wir die bekannten Vorboten königlichen Zorns: rasche Schritte – Türenschlagen. Ihre Majestät erschien, – mit roten Augen und bebenden Lippen, das Halsband in zusammengeballter Hand.

»Da haben Sie Ihren Theaterschmuck,« sagte sie und warf ihn auf die Marmorplatte des Tisches, daß er klirrte. »Die Steine sind falsch.«

»Majestät,« stotterte der Mann entsetzt. Sie wies statt aller Antwort nach der Türe.

Der Herzog von Breteuil, den ich nachher sprach, vertraute mir an, daß nur der ungeheure Preis des Halsbands, – man forderte nicht weniger als anderthalb Millionen –, den König gezwungen habe, den Ankauf zu verweigern. Ehe ich heute abend entlassen wurde, erzählte ich der Königin von der Goldmacherkunst Cagliostros; sie hörte, sichtlich erheitert, zu und verwies der Gräfin Polignac ihre spöttischen Einwendungen.

»Und der Kardinal Rohan, sagen Sie, ist im Besitz des Geheimnisses?« frug sie interessiert; ich verbeugte mich stumm, sie versank in Nachdenken. Meine Anwesenheit schien sie zu vergessen, und schließlich entließ sie mich mit einer zerstreuten Handbewegung.

Heute früh war sie wieder in strahlender Laune, wollte aber trotzdem von Ihrem Rücktritt nichts wissen. Der Graf von Artois schlug die alte Herzogin von Montpensier zum Ersatz für Sie vor; – fürwahr ein glänzender Witz. Sie verlor kürzlich ihre letzten Goldstücke im Spiel und kokettiert seitdem nicht übel mit Monsieur Watelet, dessen Millionen sie sogar die Herzogskrone opfern würde. Er scheint nicht unempfänglich; für einen Bourgeois ist eine Herzogin immer dreißig Jahre alt!

Sie werden, wie ich höre, schon in nächster Woche als Gast des Hofes erwartet. Bis dahin müssen Sie sich entschieden haben!

Wir spielten schon einmal miteinander, schönste Marquise. Erinnern Sie sich des Spiels? Es war das entzückendste meines Lebens!

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, am 18. Mai 1782.

Als ein Bettler, teuerste Frau Marquise, erscheine ich vor Ihrer Türe. Wer, der Sie kennt, könnte anders erscheinen?!

Ich sah Sie gestern im Theater. Der Prinz Montbéliard saß neben Ihnen. Auf der Bühne schwangen antike Helden ihre Riesenschwerter, rollten mit den Augäpfeln und deklamierten von ihrer Tugend. Ich war nahe daran, das gequälte Publikum, das trotz der Verschwendung von roten und blauen und grünen Beleuchtungseffekten nicht an die Echtheit des Griechentums vor ihm glauben mochte, auf Ihre Loge aufmerksam zu machen: hier waren Mars und Venus in eigner Person.

Sie lachten, während die Helden des Dramas einander mordeten; Sie neigten Ihr rosiges Ohr dem Flüstergespräch des Prinzen, während das Liebespaar auf der Bühne ewigen Abschied nahm – kurz, Sie waren von der Dichtung auf das angenehmste angeregt. Ich wollte Sie nicht stören, beeile mich aber, die Stimmung zu benutzen, die dieser warme Maientag sicherlich festhalten wird.

Ihre Kaiserliche Hoheit, die Großfürstin, hat auf mein untertäniges Gesuch, ihr »Figaros Hochzeit« vorlesen zu dürfen, schon von Stuttgart aus zustimmend antworten lassen. Da ich aber die Erfahrung gemacht habe, daß die Menschen um so höflicher sind, je höher sie auf der Stufenleiter des Ranges stehen, – Höflichkeit ist immer nur eine Maske oder ein Parfüm, das die gute Gesellschaft allgemein anzuwenden für gut befand, nachdem sie ihres natürlichen schlechten Geruches gewahr wurde –, so glaube ich dieser Zustimmung nicht eher sicher zu sein, als bis Tag und Stunde mir angegeben worden sind. Das wird schwer halten. Um so mehr als die Gräfin du Nord das Versprechen der Großfürstin von Rußland vielleicht glaubt nicht erfüllen zu müssen. Das Vergnügungsprogramm der nächsten Wochen läßt kaum eine Stunde des Tages aus. Ich bedarf einer Zauberin, um Figaro einschlüpfen zu lassen. Wer anders könnte das sein als Sie?! Das Bild Pariser Lebens, das den hohen Gästen vorgeführt werden soll, wäre wahrhaftig unvollständig, wenn mein Barbier neben Herrn Laharpe, der Euripides von den Toten erweckte, Madame Bertin, über deren Roben man die Trägerinnen vergißt, Marmontel, der das Geheimnis der schönen Verse Racines zu besitzen behauptet, und es so gut wie keiner zu wahren versteht, den Herren Gluck und Piccini, die dafür sorgen, daß die großen Geister von Paris etwas zu tun haben, – fehlen würde.

Sie wissen, ich habe geschworen, daß Figaro die Bühne erobert. Sie sind zu gute Christin, teuerste Frau Marquise, als daß Sie einem armen Sünder nicht helfen würden, seinen Schwur zu halten. Hat erst der Großfürst von Rußland mir Beifall gespendet, wird der König von Frankreich mich – aus Höflichkeit gegen den illustren Gast! – nicht verdammen können.

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 20. Mai 1782.

Meine Liebe. Sie sind nach Versailles übergesiedelt, und wenn schon Ihr Leben eine ständige Flucht vor mir bedeutete, so ist es jetzt fast ganz unmöglich geworden, Sie allein zu sprechen: In aller Frühe beginnt mit dem Eintritt des Friseurs die Toilette, es folgen die Morgenspaziergänge mit der Königin, die Besuche und Diners, die Exkursionen zu Wagen und zu Pferde, die Nachmittagstees, die Bälle, das Theater, die Soupers –, wo bliebe bei alledem für den Gatten noch eine Zeit übrig, der, durch die »väterliche« Stellung, die Sie ihm anzuweisen die Gnade hatten, gewöhnt worden ist, auch, die wenigen Stunden Ihrer nächtlichen Ruhe zu respektieren?

Ich sehe mich infolgedessen zu brieflichem Verkehr gezwungen, wenn es sich um Fragen handelt, die weder vor der Dienerschaft, noch zwischen zwei Tänzen erledigt werden können.

Sie besitzen die Gunst der Königin und haben als Französin in diesen außerordentlich schweren Zeiten die Verpflichtung, sie nicht nur zu genießen, sondern guten Zwecken nutzbar zu machen. Es dürfte Ihnen bei den Neigungen der Königin nicht schwer fallen, einem Manne wie dem Grafen Cagliostro, der all ihre unbefriedigten Wünsche zu erfüllen vermöchte, Zutritt zu verschaffen. Der Dienst, den Sie damit Frankreich geleistet haben würden, wäre von unschätzbarer Bedeutung. Zwar ist der Graf Ihnen antipathisch, – die Furcht vor dem Unerklärbaren hält Sie von ihm zurück, – aber seine Fähigkeit, Gold zu schaffen, haben Sie mit eigenen Augen gesehen. Und nur auf diese Fähigkeit, – die unbedeutendste vielleicht, die er besitzt –, käme es an.

In letzter Zeit, wo er in fiebernder Erwartung der Stunde harrt, die ihn zum Retter Frankreichs machen soll, ist sie in merkwürdigster Weise erlahmt. Ein anderer könnte an ihm irre werden. Ich aber verstehe, daß gegenüber dem Schicksal eines ganzen Landes, das Schicksal des Einzelnen zurücktreten muß. Überdies weiß ich ja, daß mit der Erreichung des großen Zieles auch meine Interessen gewahrt werden.

Noch eins: Rohan setzt alle Hebel in Bewegung, um Cagliostro durch sich und sich durch Cagliostro bei der Königin einzuführen. Es bedarf um so weniger dieses Umwegs, als ich an der Ehrlichkeit der Absichten Rohans irre geworden bin. Er ersehnt, wie ich fürchte, die Rehabilitierung bei Hof und den momentan vakanten Posten des Kanzlers mehr um seine Finanzen als um die Frankreichs aufzubessern.

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 21. Mai 1782.

Sie lehnen es ab, meine Liebe?! »Gerade weil die Königin in gefährlicher Weise zu diesen Dingen neigt, will ich es nicht sein, die sie ins Unglück stürzt,« schreiben Sie. Verblendete! Sie verspielen vielleicht Ihre eigene Zukunft! Aber wir sind nicht so schwach, als daß mit Ihrer Weigerung unsere Hilfsquellen erschöpft wären!

Kardinal Prinz Louis Rohan an Delphine

Paris, am 24. Mai 1782

Verehrteste Frau Marquise. Noch stehe ich unter dem Eindruck des Staunens, den unser kurzes Gespräch in der Oper hervorrief. Sie wollen für einen alten Freund Ihres Hauses, wie ich es zu sein mir schmeicheln darf, kein gutes Wort bei der Königin einlegen?! Sie wünschen auch nicht den Schein zu erwecken, als gehörten Sie in die Reihe jener Intrigantinnen, die Frankreich als ihre melkende Kuh betrachtet haben?! »Nur auf geraden Wegen werden große Ziele erreicht,« – ich würde über diese Sentenz aus Ihrem blühenden Rosenmunde gelächelt haben, wenn nicht ein Blick auf Ihren illustren Nachbarn, der als Führer amerikanischer Rebellen gegen die geheiligte Majestät des Königs von England gekämpft hat, mich über ihren Ursprung und über ihren Sinn belehrt hätte.

Er ist der Freund Ihrer Kindheit, wie ich höre? Wie rührend ist eine solche Treue, die selbst die – Freundschaften mit Karl von Pirch, Guy Chevreuse, Guibert, Beaumarchais überdauert!

Die entzückende Königin von Golconda auf der Bühne vermochte keinen Blick des Prinzen Montbéliard auf sich zu lenken; Bestries, der Abgott aller Damen, tanzte für die Marquise Montjoie umsonst!

Besinnen Sie sich noch einmal, schönste Frau; ein Rohan ist ein gefährlicher Feind, selbst wenn er in Ungnade ist.

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, am 27. Mai 1782.

Wo gäbe es eine Anrede für Sie, die imstande wäre auszudrücken, was ich sagen möchte?! Der gestrige Abend war im wechselvollen Feldzug meines Lebens der Einzug durch bewimpelte Siegespforten!

Die Szenerie war so unvergleichlich wie die Akteure des Stückes, das der Rahmen meiner Komödie war: Der rote Salon im weichen Licht duftender Kerzen; vor dem weißen Kamin, dessen knisternde Flammen meine Vorlesung begleiteten wie eine darauf abgestimmte Melodie, die stolze Gestalt der Großfürstin im leuchtend-gelben Atlaskleide; auf dem Taburett ihr zu Füßen der kleine Gemahl mit dem häßlichen Slawengesicht, das man um seines Geistes willen lieben muß; dicht dahinter, geschmückt wie ein Pfau, aufgeblasen wie ein Truthahn, Monsieur Laharpe, von dessen immer gelber sich färbenden Zügen ich den Grad meines Erfolges ablas, neben ihm, klug wie immer den Schatten suchend, der Ausdruck und Meinung Geheimnis bleiben läßt, der Baron Grimm, der Freund aller unruhigen Geister und Korrespondent aller Potentaten. Auf der andern Seite aber meine reizende Gönnerin, von den durchsichtigen Falten himmelblauen Seidenmusselins weich umflossen, frische Rosen in den Haaren und ein Gesichtchen darunter, vor dem alle Blumen der Welt beschämt erbleichen müssen.

Wissen Sie, daß ich während des ganzen Abends mit Ihrer Schönheit kämpfte wie mit dem gefährlichsten aller Rivalen?! Lenkte sie doch die Aufmerksamkeit von Figaro ab; der Prinz Yousoupoff richtete immer wieder seine schwarzen runden Augen auf Ihre blendenden Schultern; es bedurfte der drastischsten Witze um ihn loszureißen. Und der Graf Kurakin schien die geschwungenen Linien Ihrer Füßchen studieren zu wollen, – erst Cherubins Liebesseufzer lenkten ihn ab. Trotzdem besiegte ich Sie nicht ganz, holde Zauberin, – den Prinzen Montbéliard, dessen gebräuntes Antlitz nur dann einige Bewegung verriet, wenn seine Blicke in die Ihren tauchten, gab ich auf!

Heute früh bereits bekam ich den Auftrag, meine Komödie der Kaiserin von Rußland einzusenden. Und das Frankreich der Enzyklopädisten, das sich rühmt, die höchste Kultur der Welt zu repräsentieren, verbietet ihre Aufführung! Zu gleicher Zeit erhielt ich die Nachricht, daß Voltaires Werke freigegeben wurden, – sie scheinen danach weniger gefährlich als Figaros Streiche!

Noch ein paar Jahre Kampf, – mit Ihnen als Bundesgenossin, schönste Marquise, noch ein paar Jahre Finanzwirtschaft des Herrn von Calonne, – und der Barbier besiegt den König!

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 7. Juni 1782.

Teuerste Marquise – verzeihen Sie die Störung im Morgengrauen. Wir sind in schrecklicher Aufregung und fürchten einen Skandal von unabsehbarer Tragweite, wenn wir Sie nicht unbedingt zu den Unseren zählen dürfen. Die Intimen des Herzogs von Choiseul, der Herzog von Brissac und der Marquis de la Suze haben bereits während der Nacht das Gerücht verbreitet, die Königin habe während des gestrigen Festes in Trianon dem Kardinal Rohan in der Fischerhütte ein Stelldichein gegeben. Vor Tau und Tage haben sie die Nachricht dem König überbracht. Es gab beim Lever Ihrer Majestät einen Auftritt, wie ich ihn noch nicht erlebte. Die Lakaien liefen vom Lärm erschrocken, aus allen Winkeln zusammen! Die Königin leugnet alles. Sie beruft sich auf Sie, die Sie stets in ihrer Nähe gewesen seien, auf mich, auf den Grafen Vaudreuil, auf Madame Campan, auf die Prinzessin Lamballe. Wir dürfen sie nicht im Stiche lassen, – wir dürfen nicht!

Man will den Schloßkastellan, der, wie es scheint, den Kardinal heimlich einließ, auf die Straße werfen. Er droht mit der Veröffentlichung der ganzen Affäre. Geschieht das, so haben wir bei der Stimmung in Paris noch heute die Revolution in den Straßen.

Der Überbringer des Billetts ist zuverlässig, übergeben Sie ihm Ihre Antwort und teilen Sie mir mit, ob Sie mich in einer Stunde ungefähr empfangen können.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Versailles, den 7. Juni 1782.

Geliebteste! So greift der Arm der Kabale bis in unser Geheimnis! Er reißt uns grausam aus dem süßen Traum dieser Nacht! Um mich hätte die Welt zusammenstürzen können, ich sah nur Sie, die Sie die Sehnsucht meines ganzen Lebens gewesen waren, ich hörte nur Ihre Stimme, die mir sagte, was ich nie zu hören gehofft hatte. Im Rausche höchster Seligkeit untergehen –, wäre es nicht vielleicht das beneidenswerteste Schicksal gewesen?!

Ich fühlte Sie plötzlich in meinen Armen erschauern; ich sah Ihre Augen, aus denen noch eben die Glut der Liebe mir entgegengestrahlt hatte, sich vor Entsetzen weiten, und ehe ich noch selbst um mich zu sehen vermochte, flüsterten Sie mit blassen Lippen: »Der Kardinal!« Ein Feuerrad, das auf dem Rasen hinter dem Laubengang, der uns verdeckte, Flammengarben nach allen Richtungen schoß, beleuchtete grell die schwarzvermummte Gestalt, die roten Strümpfe und Absätze darunter. Und wenige Schritte davor die weiße, schlanke Erscheinung, – und die stille Fischerhütte!!

Es war ein Weib, und meine Ritterpflicht ist es, dieses zu schützen. Aber es war die Königin, und meine Bürgerpflicht gebietet mir, sie preiszugeben. Die absolute Monarchie, an der dies arme Land langsam verblutet, würde einen Stoß empfangen, von dem sie sich nie mehr aufzurichten vermöchte!

Wenn ich trotzdem schweige, – nur schweige, denn ich wäre außerstande, das Gegenteil von dem zu bezeugen, was ich sah, – so unterwerfe ich mich damit dem einen, ungeheuren Gefühl, das wie ein Unwetter alle Dämme niederreißt, die der Verstand mühsam baute, alle Leuchttürme umwirft, die die Pflicht aufrichtete, um irrenden Schiffen Wege zu weisen: der Liebe, Delphine, zu Ihnen!

Sie haben die Königin gerettet, – durch eine Lüge! Und mich, geliebteste Frau, bitten Sie um Verzeihung deshalb?! O, daß ich die weichen Lippen um dieser Lüge willen, die sie aussprachen, küssen dürfte! Für das Weib ist rührende Tugend, was für den Mann eine schimpfliche Erniedrigung wäre.

Wäre ich der Beichtvater, zu dem Sie mich machen wollen, ich würde Sie freilich zu einer Buße verpflichten. Jetzt komme ich nur mit einer Bitte um unsrer Liebe willen – unserer, meine Delphine!

Sie ist so rein, – aber der giftige Atem dieser Gesellschaft droht, sie zu beschmutzen. Sie ist so tief, – aber die spürende Lüsternheit rings um uns wird kein Mittel scheuen, sie bis auf den Grund zu erforschen. Sie ist so heilig –, aber das ekle Gezücht der Hofschranzen wird alles daran setzen, sie ihren schmutzigen Zwecken dienstbar zu machen. Wir müssen sie retten –, sie ist vielleicht im Augenblick das beste auf der Welt.

Drüben, in der Nähe der Wälder, deren üppige Pracht noch keines Menschen rohe Faust entweihte, wo die Natur den Bewohnern auf eigenen Händen ihre Schätze entgegenträgt, wird sie frei atmen und zu wundervoller Schöne sich entfalten können.

Ich finde leicht ein Schiff, das uns hinüberträgt, und weiß hundert Arme, die sich uns zum Willkomm entgegenstrecken. Lassen Sie Ihr Herz entscheiden!

Prinz Friedrich-Eugen Monibéliard an Delphine

Paris, den 9. Juni 1782.

Eben erst komme ich von Ihnen, noch den Hauch Ihres Mundes auf meinen Lippen, von dem ich nicht begreife, daß ich ohne ihn, der mich erst zum Leben erweckte, jemals habe atmen können! – und schon muß ich in Gedanken wieder bei Ihnen sein.

Selbst die Wunden, meine Delphine, die Sie schlagen, tun wohl. Ich wiederhole mir jedes Ihrer Worte; mein inneres Auge sieht sie, als stünden sie in Marmor gemeißelt vor mir: »Es kann nicht sein. Es wäre der Tod des alten Mannes, dessen Namen ich trage,« sagten Sie. »Ich habe ihm viel zuleide getan, und er hat schließlich alles ertragen. Er ist mir in der schwersten Zeit Freund und Pfleger gewesen, ohne mich daran zu erinnern, daß er auch Gatte ist. Und als er mich erinnerte, hat er gegenüber meiner Abwehr seine Rechte nicht geltend gemacht, wie er durfte. Jetzt ist er krank und vergrämt, – ich würde mich ihm gern in Freundschaft nähern, wenn ich nicht fürchtete, daß er es anders auffassen könnte –; nur eins kann ich für ihn tun: den Skandal, den er über alles fürchtet, von ihm fern halten.«

Und dann, als Sie fühlten, wie Ihr »Nein« mich traf, sangen Sie mir unter Küssen und Tränen das Hohelied der Liebe, wie ein sterbliches Ohr es noch nie vernommen haben kann.

»Ich habe nie aufgehört, mich der Ehe zu schämen,« begannen Sie, »das verbriefte Recht auf Liebe ist der Liebe Tod. Liebe muß zwischen zwei Menschen das größte Geheimnis sein, wie sie das tiefste aller Mysterien ist. Auf den schwindelnden Höhen hoher Berge, die nur die Stärksten erreichen, in der Stille grüner Wälder, zu denen nur Weltflüchtige die Wege finden, sollen ihre Tempel stehen. Und auch dort dürften nur wenige im verborgensten Heiligtum die letzte Weihe empfangen.«

Zürne mir nicht, angebetete Frau, daß ich Worte zu wiederholen wage, die ohne den Klang Deiner Stimme nur stumme Vögel sind!

Prinz Friedrich-Eugen Montbiliard an Delphine

Versailles, den 1. Juli 1782.

Nur noch einen Gruß – einen letzten vor Ihrer Abreise nach dem Gebirge! Daß ich mich Jahre von Ihnen zu trennen vermochte, wo vierzehn Tage mir wie eine Ewigkeit schienen!

Ich folge Ihnen nach Barrêge-les-Bains, der Verabredung gemäß, sobald der Hof Versailles verlassen hat.

Als ich gestern von Ihnen ging, traf ich den Herrn Marquis. Im trüben Licht der Öllampe an der Tür erschien er mir sehr blaß. Er grüßte mich mit einem Lächeln, das mein Herz zittern machte. Ich bin darum die ganze Nacht vor Ihren Fenstern auf- und abgegangen. Aber nichts rührte sich, und Ihr zärtliches Billett heute morgen beruhigte mich vollends.

Ich küsse Ihre weiße Stirn, damit kein Gedanke hinter ihr wach wird, der einem anderen gehört als mir, und Ihre weichen Arme, daß sie in Fesseln liegen, bis ich sie löse, um sich um meinen Hals zu schlingen, und Ihre roten Lippen, daß kein Liebeswort ihnen entschlüpfen möge, bis die meinen den Zauber brechen!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Paris, am 25. September 1782.

Geliebte Frau! Nun tobt der Lärm der Straßen wieder um mich, und mitten in der Menge fühle ich mich sehr allein. Aber während ich noch eben glaubte, nach Wochen seligsten Glücks im Schmerz der Trennung vergehen zu müssen, fühle ich plötzlich, wie reich, wie stark meine Delphine mich gemacht hat, – so reich, daß ich ihren Besitz empfinde, auch wenn sie fern von mir ist, so stark, daß ich es ertragen kann, sie nicht mehr neben mir zu wissen.

Einer meiner ersten Wege führte mich nach dem Palais-Royal. Waren es die Monate der Ruhe, die mir das Leben dort so erregt erscheinen ließen, oder ist das Fieber, das alle erfaßt hat, tatsächlich in der Zwischenzeit so gestiegen? Unsere klägliche Niederlage vor Gibraltar, die Bedingungen, unter denen der Frieden mit England verhandelt wird, bilden das Thema aller Unterhaltungen. Ich hörte Gaillard in einer eng geschlossenen Gruppe von Zuhörern eine Rede halten, die der Haß gegen die Regierung und die Liebe zum Vaterlande mit gleichem Feuer durchglühten.

»Warum sind wir an den Felsen Gibraltars gescheitert?« rief er aus; »weil unser Heer vom Ruhm der Vergangenheit zehrt, statt den Ruhm der Zukunft in täglicher Arbeit vorzubereiten. Hunderttausende sind fortgeworfen worden, um die famosen schwimmenden Batterien d'Arcons zu bauen, die Englands glühende Kugeln in wenigen Stunden in Brand geschossen haben, statt daß dieselben Hunderttausende verwendet worden wären, um aus hungernden Arbeitslosen kräftige Soldaten zu machen. Niemals werden Maschinen Männer ersetzen! . . . Warum werden wir beim Friedensschluß tatsächlich die Unterlegenen sein? Weil ein Volk, das keine Knechte mehr kennt, unser Gegner war. Weil statt verantwortlicher Minister, statt eines Pitt und eines Fox, feile Höflinge die Regierung in Händen haben . . . Und trotzdem preise ich diesen Krieg, für den wir uns in seinem Beginn begeisterten, – weil er uns im strahlenden Lichte des Freiheitskampfes der Amerikaner erschien, – und der uns ein so bitterer Lehrmeister wurde. Mehr als durch alle Bücher der Philosophen ist uns durch ihn eingeprägt worden, was uns fehlt. Und wir haben gelernt, was wir lernen mußten, wenn anders unser eignes Vaterland nicht zugrunde gehen soll: für Ideale zu bluten.«

Der häßliche kleine Mann wurde schön, während er sprach. Ich konnte nicht anders, als ihm dankbar und hingerissen die Hand zu schütteln wie einem Kameraden, dann aber, als ich mich umsah unter denen, die ihm Beifall klatschten und sich in der Kommentierung seiner Worte ins Maßlose verloren, kam – ich will's nicht leugnen – etwas wie ein Gefühl innerer Feindschaft über mich. Diese Männer mit den rohen Begierden, beherrscht vom Rachedurst, mehr als vom Durst nach politischer Freiheit, sollten je die Macht in ihren harten Fäusten haben?! Wäre letzten Endes die Tyrannei der Masse nicht fürchterlicher als die des Einzelnen?

Als ich dann am Abend einer Einladung unseres neuen Schatzmeisters der Marine, Herrn Boutin, nach seinem herrlichen Lustschloß gefolgt war, wo eine Gesellschaft von einigen hundert Herren auf goldenen Schüsseln mit allen Delikatessen der Welt bewirtet wurde, schämte ich mich eines Gefühls, das zwar einem Aristokraten natürlich, für einen Bürger des heutigen Frankreich aber nichts als ein Zeichen jämmerlicher Feigheit ist. Selbst wenn die Masse uns erdrücken sollte, hat nur die Gerechtigkeit gesiegt. Wir haben unser Leben verwirkt.

Verzeiht mir meine süße Delphine, daß es Momente gibt, in denen meine Gedanken sich von ihr verirren? Du mußt verzeihen; denn sieh: auch die allerentferntesten lege ich schließlich Dir, meine einzig Geliebte, zu Füßen!

Werde ich bald von Dir hören und wissen, wie Du die Reise bis Straßburg überstanden hast? Und wann, Geliebteste, – ach wann! – werde ich Dich wieder umarmen können?!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Paris, den 8. Oktober 1782.

Wie Du mich glücklich machst! Wie jedes Deiner Worte mich berührt! O, daß ich jetzt die Flügel hätte, die Monsieur Blanchard der kommenden Menschheit prophezeite!

Es bedurfte nicht mehr Deiner rührenden Bitte; meine eigene brennende Sehnsucht zieht mich unaufhaltsam zu Dir. Ich werde über Montbéliard, wo meine Anwesenheit dringend nötig ist, – seit dem Tode meiner guten Mutter bin ich nicht mehr dort gewesen –, im Laufe des nächsten Monats nach Straßburg gehen. Die Geschäfte, die ich dort in Verbindung mit meinen Besitzungen im Elsaß habe, rechtfertigen meine Anwesenheit.

Seit meinem letzten Brief bin ich mit den verschiedensten Menschen in Berührung gekommen. An der Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände zweifelt niemand – außer dem Hof von Versailles! Die Königin tanzt und spielt Theater –, selbst die Wohltätigkeit, die sie ausübt, sieht einem sentimentalen Rührstück ähnlich. – Der König jagt, und empfängt, um sein Verständnis für den Geist der Zeit zu markieren, hie und da einen biederen Bourgeois, dem er jovial auf die Schulter klopft und den er – wenn er reich genug dazu ist – adelt. Dann reden die Träumer wieder ein paar Tage lang von der »Leutseligkeit des Monarchen.«

»Die Schwäche, die weder das Übel zu verhindern, noch das Gute zu fördern weiß, befestigt die Tyrannei« –, für diese Sentenz ist Diderot kürzlich nur mit knapper Not der Bastille entgangen!

Ich war auch in Saint-Quen bei Herrn Necker und kehrte enttäuscht zurück. Man muß in seinen Ansprüchen sehr bescheiden geworden sein, um ihn für bedeutend zu halten. Er läßt sich vom Strom der öffentlichen Ereignisse hin und her werfen und ist dabei natürlich außerstande, ihn in die richtigen Bahnen einzudämmen. Eine überraschende Erscheinung ist seine Tochter; sie gleicht ihren Eltern nur in einem Rest nüchternen Genfertums; ihre prachtvollen Augen, ihre schöne Gestalt versöhnen mit ihrer sonstigen Häßlichkeit. Ihre überlegene Klugheit zwingt zur Bewunderung. Trotzdem ist sie mir in tiefster Seele antipathisch. Nicht ohne Mitleid mit den Männern der Zukunft möchte ich sie für einen Typus kommender Frauen halten. Wie glücklich preise ich mich, daß ich die holdseligste Inkarnation des achtzehnten Jahrhunderts noch mein nennen darf!

Ich traf den Grafen Guibert bei ihnen. Die Art seines Verkehrs mit der Familie Necker ließ auf seine Intimität im Hause schließen, was mich nach seiner bisherigen Stellung zur Neckerschen Politik nicht wenig in Erstaunen setzte. Der Reiz Fräulein Neckers besiegte alle Bedenken der Überzeugung! Männer wie er sind zugleich die Voraussetzung und die Konsequenz solcher Frauen.

Weißt Du, Geliebteste, daß ich meiner Schweigsamkeit wegen bekannt bin?! Vor Dir werde ich zum Schwätzer: jedes kleinste Ereignis, jedes vorüberhuschende Gefühl, jeden auftauchenden Gedanken habe ich das Bedürfnis, Dir mitzuteilen. Ich glaube, diese vollkommene geistige Hingabe unterscheidet Liebe von Liebelei.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Etupes, den 26. Oktober 1782.

Mit den letzten, blassen Rosen aus Etupes sende ich diesen Gruß, Du Einzige, zu Dir. Ich ging allein durch die verwachsenen Laubengänge, und, tiefer Andacht voll, sank ich vor dem Tempel der Venus in die Knie. Wie eine Erleuchtung kam es über mich: seitdem ich Dich einstmals dort fand, Delphine, habe ich Dich nie verloren!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Straßburg, den 3. Januar 1783.

Der Kurier brachte mir heute früh die erschütternde Nachricht, daß der Neffe des Kardinals, der Prinz Rohan-Guéménée Bankrott gemacht hat. Ich teile sie Dir, Geliebteste, unverzüglich mit, weil auch Deine Freundin Clarisse ihr Vermögen dabei verloren haben dürfte. Zahllose arme Leute, unter anderem seine eigene Dienerschaft, die dem Prinzen in ehrfürchtigem Vertrauen ihr bißchen Erspartes überließen, hat sein verbrecherischer Leichtsinn an den Bettelstab gebracht. Daß die Empörung eine allgemeine ist und statt des Zorns gegen die Vorrechte der Stände, den persönlichen Haß gegen den einzelnen Aristokraten züchtet, ist nur allzu begreiflich.

Ich habe heute, zum Teil auch infolge dieses Ereignisses, sehr viel Korrespondenz zu erledigen und muß mich daher des Glücks Deiner Nähe berauben.

Sieh, meine Delphine, nun steht dieser Satz schwarz auf weiß auf dem Papier, damit Du selber erfahren sollst, daß ich nahe daran war. Dich zu belügen! Nein: es gibt keine Arbeit, die mir die Möglichkeit nehmen könnte, Dich, – und wäre es nur auf Minuten –, in meine Arme zu schließen. Aber zuweilen ist mir, als könnte ich mich vor mir selbst nicht mehr sehen lassen, geschweige denn vor Dir! Gestern, als der Marquis zum ersten Male, seit ich in Straßburg bin, den Abend mit uns verbrachte und das Gespräch nur schwerfällig von der Stelle kroch, von Pausen unterbrochen, die endlos schienen, wobei Du jedesmal von wachsender Glut überhaucht das Köpfchen senktest, während er, schmal, müde, grau, die blassen Hände auf dem dunklen Samt der Armlehne matt ausgestreckt, mit den tief in ihren Höhlen ruhenden Augen langsam von Dir zu mir herüberblickte, – da fühlte ich mit nagendem Schuldbewußtsein das Entsetzliche unsrer Lage. Nicht daß wir uns lieben, Geliebte, ist schuld, sondern daß wir es vor ihm verbergen wie ein Verbrechen!

Ich kann nicht leben ohne Dich, und ich kann doch so nicht leben!

Laß mir den einen Tag, damit ich zu mir selber komme!

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Chateau Larose, am 25. Januar 1783.

Teuerste Marquise. Meine arme Schwester ist von dem schweren Schlag, der sie getroffen hat, so erschüttert, daß sie noch nicht imstande ist, Ihren liebevoll teilnehmenden Brief zu beantworten; sie bittet mich, es an ihrer Stelle zu tun.

Ich kann nicht leugnen, Allerschönste, daß ich trotz des Unglücks, das den Anlaß zu diesem Schreiben bietet, die Gelegenheit freudig ergreife, wieder in Verbindung mit Ihnen zu treten. Zwinge ich doch auf diese Weise Ihr Auge, wenigstens auf meiner Schrift zu ruhen!

Sie sind ungeduldig? Gemach, ich komme bereits zur Sache! Clarisse hat fast ihr ganzes Vermögen verloren, was sie um so härter berührt, als sie infolgedessen fürchten mußte, in Abhängigkeit von einem Gatten zu geraten, der sie fortgesetzt betrügt. Aber kaum erfuhr unsere Königin von dem Unglück, als sie ihr aus freien Stücken eine Rente anbieten ließ, die den Zinsen ihres einstigen Besitztums entspricht. Wenn irgendetwas uns an Ihre Majestät noch fester hätte fesseln können, so ist es diese große Gnade, die vielleicht mehr noch um der Art, wie sie gewährt wurde, zu schätzen ist als um ihrer selbst willen.

Die Königin leidet; es gibt Stunden, wo sie stumm vor sich hin brütet und niemand von uns die Stille zu unterbrechen wagt, die gespenstisch den Saal beherrscht. Aber sobald jemand aus dem Kreise ihrer nächsten Umgebung Kummer hat, ist sie die erste, die hilft und tröstet, und dabei ihre alte Fröhlichkeit wiedergewinnt. Sie fand sogar, was allgemein auffiel, scharfe Worte, um die offene Schadenfreude der Partei Choiseul angesichts des Bankrotts der Rohan zurückzuweisen.

Ein Ausspruch der Herzogin von Grammont macht die Runde in Paris: »Die Rohans,« so sagte sie, »beanspruchen seit langem den Titel eines souveränen Hauses. Man darf hoffen, daß ihre jetzt enthüllte Geldwirtschaft der letzte Beweis für die Berechtigung ihrer Prätensionen, ist.«

Die Familie Rohan hat übrigens alles getan, um die Ehre ihres Namens zu retten: der Kardinal hat von seinem Schloß Savenne, wo er sich mit Cagliostro völlig einzuschließen scheint, die Nachricht von dem Bankrott mit der Zusicherung namhafter Summen beantwortet, – man akzeptiert sie nicht ohne leichtes Gruseln, da ihre Herkunft unter Umständen aus der Garküche Beelzebubs stammt! Die kleine Prinzessin Guéménée-Soubise hat ihre Juwelen geopfert; die Prinzessin Marsan nahm den Schleier und opferte ihr ganzes Vermögen der Ehre der Rohan.

Aber rührender als alle diese im Grunde selbstverständlichen Opfer der Nächststehenden ist folgende Geschichte:

Wir saßen beim Souper im Hotel Guimard; der Champagner hatte uns in die goldenen Tage völliger Sorglosigkeit zurückversetzt; in griechischem Gewände tanzte die entzückende Herrin des Hauses auf dem Parkett zwischen den üppig gedeckten Tafeln. Zum erstenmal führte sie uns vor, womit sie demnächst das große Publikum zu begeistern gedachte: eine antike Schale in der Hand, wiegte sie den schlanken Körper auf den nackten Füßen, um allmählich ihre Bewegungen, bei denen jede Linie ihrer Gestalt plastisch hervortrat, bis zum Taumel bacchantischer Lust zu steigern. Mit wogendem Busen, die Schale, die ich ihr füllte, in einem Zuge leerend, stand sie schließlich still, als vor dem Sultan der Oper, dem Prinzen Soubise, die Flügeltüren sich öffneten. Der Jubel über den Tanz verstummte bei seinem Anblick. Er brachte die Nachricht von dem Bankrott, der seine Tochter am schwersten treffen mußte. Ohne ein Wort zu sprechen, begab sich die Guimard an ihren Sekretär, schrieb ein paar Zeilen, reichte sie stumm ihren Kolleginnen vom Ballett, die sämtlich ihren Namen darunter setzten. Es war der formelle Verzicht auf die Rente, die der Prinz ihnen allen ausgesetzt hatte, zugunsten der verarmten Dienerschaft der Prinzessin Guéménée-Soubise! Sind sie nicht zum Küssen, diese kleinen lasterhaften Mädchen?

Wann wird Versailles Sie wiedersehen, reizende Marquise? Um das geschehene und das drohende Unheil zu vergessen, planen wir ausgelassenere Feste denn je.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Straßburg, den 11. März 1783.

Tränen, Geliebte, habe ich dir erpreßt – zum erstenmal! Ich würde mich töten lassen, wenn ich sie dadurch trocknen könnte, aber zu handeln vermag ich nicht anders, selbst wenn ich weiß, daß Du darum weiter weinst!

»Ich gebe mich Dir ohne Reue hin,« sagtest Du vorwurfsvoll. Verstehst Du denn nicht, Delphine, daß eines Weibes Liebe alles heiligt, während über der Liebe des Mannes seine Ehre steht? Ich weiß recht gut: Die Hofherrn von Versailles sind stolz darauf, einen Ehemann so raffiniert als möglich zu betrügen; ihr Ehrgefühl steht auf derselben Stufe wie das Gefühl, das sie Liebe zu nennen sich nicht mehr schämen. Ich aber fühle es mit wachsender Angst: die täglichen, häßlichen Heimlichkeiten, die verschlossenen Zimmer, die Furcht vor jedem Schritt, die Scheu vor den Augen der Lakaien, sind imstande, selbst meine große Liebe zu Dir in den Schmutz der Auffassung jener Männer herabzuziehen.

Ich muß fort, nicht weil ich aufhörte, Dich zu lieben, sondern weil ich Dich zu sehr liebe. Die Rolle des galanten Kavaliers liegt mir nicht. Erst wenn ich fern bin, werde ich wieder des ganzen Glücks unserer Liebe froh werden. Und erst dann, dessen bin ich gewiß, wirst Du mich verstehen lernen.

Über die Zukunft nachzudenken, bin ich im Augenblick dieses schrecklichen inneren Aufruhrs außerstande. Nur eins ist mir gewiß: daß nichts, am wenigsten die äußere Entfernung, uns zu trennen vermag.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Paris, den 6. April 1783.

Wie hätte ich mich in Dir täuschen können? Mit solcher untrüglichen Sicherheit würde Liebe nicht wählen, wenn Du nicht alles erfülltest, was ich von Dir träumte. Nur eine Liaison kann ein Ende nehmen –, gleichgültig ob sie durch das Sakrament der Ehe geheiligt wurde oder nicht –, wenn die Sinne sich nicht gegenseitig täglich aufpeitschen.

Meine Reise hierher war voller Abenteuer. Vielleicht wollte das Schicksal mir helfen, meine Gedanken abzulenken. Die Wege sind schlechter denn je, – es gibt kaum noch einen Bauern, der für ihre Ausbesserung Frondienste leisten will –, zuweilen sogar in offenbarer Absicht mit großen Steinen besät. Zweimal brach infolgedessen ein Rad meines Wagens; es erschienen im Augenblick zweifelhafte Gestalten in zerlumpten Röcke, die mit den Händen in den Hosentaschen zusahen, wie meine Diener sich mühten, den Schaden wieder gutzumachen. In meiner Herberge verweigerte man mir Futter für die Pferde; schon gab ich Befehl zum Aufbruch, als der Wirt nach einem kurzen Gespräch mit dem Kutscher es mir aufdrängte, ohne eine Bezahlung annehmen zu wollen. Wie ich erfuhr, hatte der Name meines Kriegskameraden Lafayette genügt, ihn umzustimmen. Als ich weiterfuhr, hatte sich die ganze Bewohnerschaft des Ortes um mich versammelt, und in der Stille der Nacht tönten mir noch lange ihre Rufe nach: »Es lebe die Freiheit!« – »Es lebe die Republik!«

Hier empfingen mich alarmierende Nachrichten. Die Schrift Mirabeaus über die Haftbriefe und die Staatsgefängnisse war trotz ihres Verbots in aller Händen. Sie ist eine glänzende Leistung voll Mut und Feuer, die die persönlichen Verfehlungen des Verfassers ganz vergessen läßt. Es gibt Zeiten, in denen Tatkraft und Kühnheit von so überwiegender Bedeutung sind, daß sie alle anderen Tugenden aufwiegen.

In den Cafés bilden noch immer die Ereignisse des letzten Opernballes den Gesprächsstoff, und auf der Straße den Gegenstand derber Chansons. Die Königin, die vollkommen maskiert und bis zur Unkenntlichkeit vermummt gewesen sein soll, wurde sofort – wahrscheinlich durch den Verrat eines Lakaien – erkannt und mit Späßen verfolgt, über die sie sich zunächst amüsierte, was natürlich ihre Dreistigkeit nur steigern half. Erst als eine Maske in Kardinalstracht sich ihr näherte und trotz aller Bemühungen nicht von ihr wich, brach sie schließlich in Tränen aus und entfernte sich rasch. Niemand hörte, was die Maske sprach; nur Guibert behauptet gesehen zu haben, daß sie ihr einen gefüllten Geldbeutel anbot. Erst widrige Szenen wie diese müssen die Monarchen davon in Kenntnis setzen, daß die auf ihren Empfang durch Hofansagen und Polizeimaßnahmen nicht vorbereitete Menge eher zu Pöbeleien als zu spontanen Huldigungen bereit ist.

Meine Feder stockt. Wie unwesentlich kommt mir vor, was ich schreibe, neben dem einen großen Gefühl, das mich beherrscht und das sich nicht in Worte fassen läßt. War es nicht doch Wahnsinn, daß ich von Dir ging? Ist nicht alles – alles einerlei, wenn ich nur Dich habe?! Delphine, Du geliebte Frau, was hast Du aus mir gemacht?! Das ganze Gebäude meines Lebens ist wie ein Kartenhaus vor dem Hauch Deines Mundes.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Versailles, am 3. Mai 1783.

Hast Du mich so lange auf einen Brief von Dir warten lassen, Geliebteste, damit alle anderen Empfindungen von der Glut meiner Sehnsucht verzehrt werden?! Und nun fragst Du mich, als wüßtest Du nicht im selben Augenblick schon die Antwort: »Darf ich kommen?« Wenn es zwischen uns etwas gäbe, das nur im entferntesten einem Befehl oder einem Verbot ähnlich sähe, so würde ich sagen: »Du mußt!« Du mußt, denn wenn ich auch lebe, atme, spreche, so bin ich es doch nicht selbst: mein ganzes Ich ist ja bei Dir! Nichts als ein Automat geht durch die Straßen von Paris, über das Parkett von Versailles. Komm, komm, so rasch deine Pferde den Weg von Froberg hierher zurückzulegen vermögen!

Die Königin frug oft nach Dir. Der liebenswürdige Empfang, der mir zu teil wurde, hatte mich zu der Hoffnung verleitet, sie vielleicht beeinflussen zu können. Aber schon die vierzehn Tage, die ich wieder in ihrer Umgebung bin, haben mir bewiesen, daß es nicht möglich ist. Sind es die Folgen der Monarchenerziehung, die sie zwingen, ihr eigentliches Wesen zu verstecken; oder – ist sie nicht anders, als sie sich zeigt? Ich habe versucht, ernstere Interessen wachzurufen, aber nichts vermag sie zu fesseln, was nicht eine persönliche Beziehung zu ihr selber hat: die Kunst nur, wenn sie ihre Schlösser schmückt, ihre Langeweile vertreibt, die Finanzen Frankreichs nur, insofern sie ihr Budget beeinflussen. Sie ist niemals glücklicher, als nach einer Toilettenkonferenz mit Madame Bertin oder nach einem Besuch Monsieur Boehmers.

Schlimm genug, wenn ein König nichts anderes zu sein vermag als der Träger der Krone, schlimmer noch, wenn eine Königin die Erde, auf der sie steht, nur insoweit bewertet, als sie ihr Nährboden ist!

Du schreibst mir noch, wann Du kommst. Ich wage nicht eher daran zu glauben, als bis ich Dich sehe, bis meine Arme Dich umschließen. Liebte ich Dich so wenig, daß ich sie jemals öffnen konnte, um Dich von mir zu lassen?

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, am 10. Juni 1783.

Teuerste Marquise. Ihre Rückkehr nach Paris ist für den Aberglauben eines Glaubenslosen wie der Aufstieg weißer Tauben über dem Tempel Apollos.

Seit drei Monaten proben die Schauspieler der Comédie française meine Komödie, seit acht Wochen habe ich das Versprechen des Grafen von Artois, daß sie auf der Bühne von Versailles das Licht der Welt erblicken wird, – denn wo sie auch immer zur ersten Aufführung gelangt, und wäre es im kleinsten Theater vor einem Dutzend Zuschauer: es wird die Welt sein, die sie damit erobert!

Aber erst Ihre Ankunft, die Aussicht, Sie vor dem Vorhang zu wissen, im Augenblick, wo er sich meinem Triumphe öffnet, bietet mir die Gewähr dafür, daß er nicht schließlich doch geschlossen bleibt.

In drei Tagen ist die Aufführung. Nachher werden Sie mir gestatten, Ihnen die Hand zu küssen,

Herr von Beaumarchais an Delphine

Versailles, Freitag den 13. Juni.

Soeben – fünf Stunden vor dem Beginn der Vorstellung – überbringen die uniformierten Boten des Marschalls Duras und des Polizeileutnants von Paris den Schauspielern und mir den Befehl des Königs: Figaros Hochzeit darf nicht gespielt werden.

Ludwig von Frankreich wirft mir seinen Fehdehandschuh vor die Füße. Ich, Caron Beaumarchais, nehme ihn auf. Jetzt ringen wir nicht mehr um die Daseinsberechtigung eines Stückes, sondern um die eines Standes!

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 3. Juli 1783.

Verehrte Frau Marquise! Der Abend bei Ihnen war deliziös! Um Ihretwillen nehme ich das ganze achtzehnte Jahrhundert in den Kauf; ja, ich wäre geneigt, wenn der Herrgott mich zu seinem verantwortlichen Minister ernennen wollte, es in Permanenz zu erklären.

Die Bekanntschaft mit dem Grafen Vaudreuil, die Sie vermittelten, ist unschätzbar. Ich fahre bereits morgen nach Gennevilliers, um die Bühne zu besichtigen, eventuell in aller Eile, – der Graf gab mir plein pouvoir, – umbauen zu lassen, und dann –!!

Seitdem der aerostatische Globus in die Lüfte stieg, und die Brüder Montgolfier sich anschicken, in eigener Person allem, was Flügel hat – den Adlern und den Engeln, den Amoretten und der Phantasie – Konkurrenz zu machen, rückt das Unmöglichste in den Bereich der Möglichkeit, – also auch die Geburt des Kindes meiner Laune.

Sie sollten nur hören, mit welch wahrhaft patriotischem Schmerz unsere Kaffeehauspolitiker die wachsenden Ausgaben erörtern, die die unabweisliche Schaffung einer Luftflotte notwendig verursachen wird, wie sie mit der Ausgestaltung der glücklichen Idee beschäftigt sind, für diejenigen, die vergebens auf einen irdischen Ministerposten warten, ein neues Departement der Lüfte einzurichten, und wie ernste Vaterlandsfreunde sich mit der brennenden Frage beschäftigen, was zu geschehen hat, um England beizeiten zu verhindern, daß es das Reich des Aeolos nicht usurpiert, wie es das des Poseidon bereits usurpierte. Was mich in Gedanken an all die luftigen Zukunftsmöglichkeiten am meisten lockt, ist die Aussicht, ganz sacht emporzusteigen und, mit einem guten Fernrohr bewaffnet, in aller Ruhe dort oben abzuwarten, bis unser Planet sich soweit gedreht hat, damit sich mein Ballon eines schönen Abends auf China herablassen kann. Für französische Dichter, Philosophen und Freiheitsschwärmer muß es ein ideales Land sein!

Marquis Montjoie an Delphine

Froberg, den 20. Juli 1783.

Meine Liebe! Für Ihre freundliche Erkundigung nach meinem Befinden danke ich Ihnen bestens. Ihr Interesse dafür hätte ich nicht erwartet. Von einer Reise nach Paris will ich in diesem Jahre absehen. Seine Vergnügungen sind mit zu anstrengend und zu kostspielig. Ich ziehe die stille Arbeit in meinem Laboratorium vor. Da Sie vor dem Spätherbst nicht zurückzukehren gedenken, wird es Sie nicht genieren, wenn der Graf Cagliostro, der vor kurzem aus England wieder hier eintraf, sich bei mir aufhält, sobald der Kardinal ihn freiläßt.

Ich wünsche Ihnen so viel Amüsement, als Ihre Gesundheit und Ihr seelisches Gleichgewicht es irgend ertragen kann.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Versailles, den 1. August 1783.

Du klagst über meine finsteren Mienen; Du grämst Dich, Geliebteste, weil Du meinst, ich verschwiege Dir aus Schonung irgend einen geheimen Schmerz. Ach, Du weißt nur zu gut, was mich quält! Ich ertrage die lächelnden Fratzen nicht und die vielsagenden Mienen und das heimliche Flüstern um uns her! Ich habe oft die Empfindung, als stündest Du – Du, mein Heiligtum! – aller Hüllen bar vor den lüsternen Augen der Menge. Unwillkürlich faßt meine Hand nach dem Degen –.

Wie war es gestern auf dem Champ de Mars angesichts der ungeheuren Menschenmasse, die in atemloser Spannung den Aufstieg Mongolfiers mit dem Marquis d'Arlandes als erstem seiner Passagiere erwartete? Die Equipagen der Hofgesellschaft hielten nebeneinander; zu Fuß und zu Pferde umdrängten die Kavaliere die Damen darin. Als ich kam, suchte Dich mein Blick nicht lange, denn wo der Kreis am dichtesten war, da warst Du – »die schöne Montjoie« – »die süße Delphine« – »die Rose der Vogesen«. Wie die anderen trat ich heran und grüßte Dich. Und alles wich mit verständnisinnigem Ausdruck zur Seite, – etwa wie zu Zeiten Ludwigs XV. die Damen des Hofs, wenn die maîtresse en titre hineingerauscht kam. Ich verbeugte mich stumm und ging davon, ohne mich von Deinen schönen, tränenfeuchten Augen rühren zu lassen. Ich beneidete den Luftschiffer, der in der Lage war, auf Nimmerwiedersehen in den Wolken zu verschwinden.

Laß mich Dich von nun an nur in Deinem stillen Zimmer sehen; morgens, ehe die Nichtstuer ihren Tageslauf mit Besuchen beginnen, mittags, wenn die von tausend Klatschgeschichten Erschöpften sich zurückziehen, und nachts, Du geliebteste Frau, wenn ein gütiges Dunkel allen neugierigen Blicken den Zugang verwehrt.

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 26. August 1783.

Teuerste Marquise! Mein erster Weg nach meiner Rückkehr aus London war nicht zum Grafen Vaudreuil, sondern zu Ihnen. Ermessen Sie daraus, was ich für Sie empfinde! Und an Ihrer Türe erfahre ich, daß Sie krank sind –, grade jetzt!

In drei Wochen müssen Sie gesund sein, und wenn ich Ihnen die Wunderdoktoren der ganzen Welt verschreiben sollte! Haben Sie es schon mit den neuesten Heilweisen: den Zuckerkügelchen Herrn Dillons, dem Mäusefett Madame Renards, der elektrischen Behandlung Doktor Durands versucht?! Sie sind ja nicht Madame La France, der es für alle Kuren durch erste Autoritäten am Notwendigsten fehlt: am Gelde! Sie wird sich darum die Behandlung eines Barbiers gefallen lassen müssen, die Arme!

Darf ich auf Nachricht hoffen, sobald Sie mich empfangen können?

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 12. September 1783.

Sie sind nirgends zu sehen, Ihre Fenster sind verhängt –, und doch grübeln Sie nicht im einsamen Laboratorium über das Geheimnis des Goldmachens! Ihre Türe bleibt mir verschlossen, und doch sah ich einen Gast, dem sie sich öffnete.

Fürchten Sie nichts: was sich laut oder leise gegen Gesetz und Herkommen empört, steht unter Figaros Schutz.

Wissen Sie, daß ich aus diesem Grunde beginne, eine sehr hochgestellte Dame unter meine Schützlinge zu zählen?! Sie denken vielleicht an die Herzogin von Bourbon, die ihrem ungetreuen Gatten mit gleicher Münze zahlte, an die kleine Prinzessin Chartres, die, während ihr Gemahl bei Madame Genlis die – Harfe spielen lernte, mit seinem schönen Adjutanten – Duette sang, oder an die hübsche Condé, die in süßer Mädchenunschuld von irgend einem unsichtbaren Gott erobert wurde, und, – wahrscheinlich zur Belohnung ihrer Heiligkeit! – doch noch einen Prinzen königlichen Geblütes fand, der sie zum Altar, aber nie zum – Bett geleitete? Gehen Sie auf diesem Gedankengang nicht weiter, meine Schöne; er ist zwar fast endlos, aber er führt doch nicht zu meiner Dame.

Ich wollte Ihnen erzählen, was mir begegnete, in Ihren ausdrucksvollen Augen Neugier, Bewegung, Erschrecken lesen, kurz –, all die Empfindung, die Ihr Mund mir aus Diskretion verschweigen würde. Soll ich nun schweigen? Ich bin zu sehr Dichter, als daß ich es ertragen könnte, den spannenden Akt des Schauspiels, den ich sah, – der zweifellos weder der erste noch der letzte gewesen ist! – ganz für mich zu behalten. Hören Sie also:

Ich gehe, wie Sie wissen, nur des Nachts spazieren. Wenn die Körper sich ihrer Paruren entledigen, die rote Farbe von den gelben Wangen wischen, die Lockenperücke von dem kahlen Kopfe nehmen, die schönen reinen weißseidenen Strümpfe mit dem üppigen Wadenpolster von den schmutzigen, dürren, haarigen Beinen ziehen, dann entkleiden sich auch die Geister. Auch ihre Nacktheit ist nicht immer erfreulich, aber stets unglaublich interessant. Ich sah Marschälle von Frankreich als blutige Revolutionäre, Erzbischöfe als Teufelspriester, und auch Possendichter als tragische Helden, Hetären als Madonnen, Königinnen als –. Schweigen wir, um endlich zu meinem Abenteuer zu kommen!

Im Parke von Versailles war es. Niemand in Frankreich hat solch gesunden Schlaf wie seine Wächter, und in jener Stunde vollends hemmte kein Ruf, kein Säbelklirren meinen Schritt. Spätsommernacht. Der erste leise Duft der Verwesung, – viel sinnenverwirrender noch als die ersten unschuldigen Frühlingsgerüche, – lag schwer über dem Park.

Da hörte ich ein Rascheln, dann ein Knirschen im Kies, – ich versteckte mich rasch hinter dem nächsten Boskett, – nicht um den Späher zu spielen, sondern um das Liebespaar ungestört zu lassen. Aber die Männer und Frauen, die in Mäntel gehüllt hin- und herhuschten, führte nicht Liebessehnen zueinander. Zuweilen zuckte ein scharfer Strahl verborgener Blendlaternen unter den Mänteln hervor. Schon wollte ich die Wache alarmieren, »Diebe!« schreien, – doch mein Blick fiel auf zarte Füßchen, elegante Schnallenschuhe.

Und plötzlich zogen sich die Gestalten zurück. Drei andere tauchten auf: ein schlanker Elegant, nur eine Halbmaske vor dem Gesicht, vielleicht: – der Graf Chevreuse! – ein kleinerer folgte ihm; ich sah den seidenen Mantel des Priesters, die Tonsur auf dem unbedeckten Kopf, vielleicht: – Rohan, der Kardinal! – und dann ein Weib, das Haupt von Schleiern umweht, unkenntlich, aber von einer Haltung! – vielleicht –: die Königin Marie Antoinette. Ich hielt den Atem an. Die drei sprachen kein Wort. Irgend ein dunkles Etwas legte der Priester in zwei Hände, so schneeweiß, daß sie zu leuchten schienen. Pariser Klatsch fiel mir ein: daß Rohan sich mit dem famosen Halsband Boehmers die Gunst der Königin erkaufen wolle –, aber ich hatte keine Zeit, nachzudenken. Wieder ein Rascheln, ein Knirschen, – ich rieb mir die Augen; vielleicht war alles nur nächtlicher Spuk! Vielleicht hat es mich gerade darum so erschüttert; ich glaubte bisher nicht an Geister.

Ist der Graf Chevreuse nicht Ihr Freund? Warnen Sie doch durch ihn die Dame mit der verräterischen Gestalt! Nicht alle unberufenen Lauscher sind Figaro!

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 15. September 1783.

Der Gedanke, verehrteste Marquise, daß ich mich bei meinem gestrigen Besuch ungeschickt benahm, erregter zeigte, als es der Sache entsprach, – einer offenbaren Dienstbotenaffäre, wie ich Ihnen schon versicherte, – nötigt mich zu diesen Zeilen. Die Parkwächter sind bereits aufs strengste instruiert, nächtlichen Spuk der Art nicht mehr zuzulassen. Um alle Ihre Befürchtungen zu zerstreuen, möchte ich Ihnen noch versichern, was ich gestern, – empört über die Verdächtigung unserer teuren Königin, – zu sagen vergaß: ich befand mich in derselben Nacht in Paris bei der Guimard; sie und alle ihre Gäste würden meine Anwesenheit bezeugen. Und Ihre Majestät hatte sich, wie mir die Prinzessin Lamballe erzählte, wegen starker Kopfschmerzen bereits um neun Uhr zur Ruhe begeben.

Die Pariser sehen überall Gespenster, seit Cagliostro Geister erscheinen läßt.

Daß Sie hartnäckig dabeibleiben, nicht nach Gennevilliers fahren zu wollen, bedaure ich nicht nur um meinetwillen. Sie warnten mich; darf ich Ihnen meine Dankbarkeit für Ihre gute Absicht auch durch eine Warnung beweisen?

Es ist oft sehr unklug, krank zu sein!

Wenn ich hoffe, Ihnen bei dem versprochenen Bericht über den großen Tag sagen zu können, daß man Sie – und den Prinzen! – nicht zu sehr vermißte, so müssen Sie fühlen, daß ich nicht aus Unhöflichkeit, sondern aus Freundschaft diese Hoffnung hege.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, den 27. September 1783.

Daß Sie nicht dabei gewesen sind! Es war ein Tag ohnegleichen: Die Straße nach Gennevilliers von früh an überflutet mit Karossen und Reitern; die Säle des Schlößchens überfüllt von allem, was durch Schönheit, Geburt, Geist und Reichtum Paris zur Zentralsonne des Erdballs macht; dabei jene fieberische Spannung auf allen Zügen, die die Augen leuchten und jeden glauben läßt, daß der beschleunigte Herzschlag nichts als das Zeichen der Kraft und der Jugend ist. Man vergaß in der Erwartung die neuesten Skandale und Chansons, von denen man sonst zu leben pflegt.

Der Saal war kaum imstande, die Masse der Gäste zu fassen. Noch hatte sich der Vorhang nicht geteilt, und schon lag es wie Gewitterschwüle über allen Köpfen. Sie steigerte sich mit jeder Szene. Recht und Gesetz, Moral und Religion, Philosophie und Politik –, all das zog in den Gestalten des Guzmann und des Bartholo, des Basilio und der Marzeline, des Almaviva und des Figaro auf der Bühne an uns vorüber, wurde besprochen, verhöhnt, mit den Geißelhieben des Witzes blutig geschlagen. Und wir saßen da, wie gebannt, zwischen Empörung und Beifall, Zähneknirschen und Gelächter hin und her gerissen.

War es die Erregung, die heiß aus allen Poren drang, war es das Feuer der zahllosen Kerzen, – die Sonne der Sahara kann nicht glühender sein als die Luft, die wir atmeten. Schon hörte ich Schreckensrufe ohnmächtig werdender Damen, als die Scheiben der hohen Fenster in gleichmäßigen Intervallen klirrend zerbrachen: Beaumarchais selbst schlug sie mit der Krücke seines Stockes ein, um die Frische von draußen hereinzulassen. Erst als sie mir den Kopf umwehte, wurde mir klar, daß sein Stück wie ein Sturmwind über uns weggefegt war.

Er wurde mit Beifall überschüttet. Kein Zweifel, daß er nun in kurzer Zeit die öffentliche Aufführung seines Werkes durchsetzen wird. Ob es uns dann noch ebenso amüsiert? Ich lache gern über mich selbst, aber es wäre das Zeichen einer gefährlichen Gleichstellung, wenn der Pöbel sich je erlauben sollte, über mich zu lachen.

Die meisten Gäste, die Graf Vaudreuil nicht zu logieren vermochte, fuhren in der Nacht noch zurück. Die Pariser Ärzte werden zu tun haben; es regnete in Strömen, und bei den aufgeweichten Wegen und der fast undurchdringlichen Finsternis bewegten sich die Wagenreihen mit ihren frierenden Insassen nur ganz langsam vorwärts.

Ich fuhr mit Herrn von Wurmser. Er ist in sehr gedrückter Stimmung. Sollte er in seinem Vertrauen zu Cagliostro zu weit gegangen sein? »Ich fürchte, die Zeit der Goldmacher ist vorüber und die der Barbiere gekommen,« meinte er bitter.

Marquis Montjoie an Delphine

Schloß Froberg, den 2. Oktober 1783.

Meine Liebe. Ihre Absicht, das seit langem unbenutzte Schloß Laval zu ihrem Aufenthalt zu wählen, noch dazu jetzt, wo der Winter vor der Türe steht, ist befremdend. Da es aber ausschließlich Ihr Besitztum ist und Sie, wie mir scheint, nur zwischen diesem und irgendeinem andern Ort wählen wollen, um weiter von mir getrennt zu leben, so will und kann ich Ihre Entschlüsse nicht beeinflussen. Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, werde ich einen Teil der Dienerschaft nach Laval senden, um wenigstens das Notwendigste für Sie vorzubereiten.

Mir geht es gut.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, den 19. Oktober 1783.

Meine geliebte Delphine. Wie recht Du hattest: schon atme ich freier in der trauten alten Umgebung; schon sehe ich, wie viel hier vernachlässigt wurde, seitdem mein Bruder, der regierende Herzog, sich ganz auf seine preußischen Besitzungen zurückgezogen hat, wie ich alle Kräfte anspannen muß, um die Folgen jahrelanger Mißwirtschaft durch gewissenlose Verwalter wieder gutzumachen. Daß ich notwendig bin, daß Arbeit meiner wartet, macht mich schon froh.

Ich ritt heute nach Laval, – den schönen Waldpfad, der mich täglich zu meinem Engel führen soll. Klopfenden Herzens sah ich die altersgrauen Türme vor mir aufsteigen, aus deren Fenstern das süße Köpfchen eines kleinen Mädchens mir einst schelmisch entgegennickte.

Im Schloßhofe fand ich reges Leben: man lud von hochbepackten Wagen Möbel und Kisten und Kasten ab. Sonderbar: mir schnürte der Anblick, der doch ein Zeichen Deines Nahens ist, das Herz zusammen! Ich fühlte, daß hier die Sorge dessen waltet, der Dich mir stumm überläßt –, ob aus verächtlicher Gleichgültigkeit, oder aus großmütiger Entsagung, beides ist gleich niederdrückend.

Aber ich will Dich nicht wieder quälen, Du armes Herz, die Du mir alles zu Liebe tust und so grenzenlos um mich leidest!

Marquis Montjoie an Delphine

Schloß Froberg, am 1. November 1783.

Meine Liebe! Es bedarf nicht des Dankes. Ich habe nur meine Pflicht getan, indem ich das Schloß Ihrer Väter, aus dem ich einst ein unwissendes Kind entführte, für seine Rückkehr empfangsbereit machen ließ. Ich wünsche nur eins: von Zeit zu Zeit, – nach vorheriger Ansage, – empfangen zu werden, um möglichem Getuschel böser Zungen die Spitze abzubrechen. Da ich Anfang nächsten Jahres in Sachen meiner Vermögensverwaltung nach Paris zu gehen beabsichtige, werde ich mir erlauben, mich in den Weihnachtstagen nach Ihrem Befinden zu erkundigen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, den 6. Januar 1784.

Heute nur einen zärtlichen Gruß, Geliebteste. Ich kann nicht kommen; Scharen von Landleuten strömen in die Stadt und sammeln sich vor dem Schloß. Die fürchterliche Kälte treibt sie her, aber obwohl ich fast allen Vorrat an Holz und Nahrungsmitteln verteilen ließ und die Erlaubnis gab, den Wald von Navire zu schlagen, nehmen vor allem die fremden Leute eine drohende Haltung an. Ich habe die Ställe und die Reitbahn öffnen lassen, um wenigstens den Frauen und Kindern Unterkunft gewähren zu können.

Mein Bote ist beauftragt, Deine Antwort entgegenzunehmen und sich durch eignen Augenschein zu überzeugen, ob Laval in Sicherheit ist. Im Notfall lasse ich selbstverständlich alles im Stich und komme zu Dir.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, den 7. Januar 1784.

Geliebteste! Fürchte Dich nicht. Wie kann mir etwas geschehen, da ein Engel wie Du mich mit seiner Liebe schützt! Der Reitknecht erzählte mir alles, selbst gerührt von dem, was er gesehen hatte: im Rittersaal von Laval die Menschenmenge, blasse Gesichter, zerlumpte Kleider, magere, von Frostbeulen bedeckte Glieder, von den glühenden Scheiten im Kamin grell beleuchtet. Du selbst mitten unter ihnen, furchtlos auch angesichts der rohesten Gesellen!

Ich schicke Dir heute ein paar handfeste Leute zum Schutz. Ein Feuersignal auf dem Bergfried, und ich selbst bin in kürzester Frist bei Dir.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Etupes, den 9. Januar.

Landstreicher erbrachen das Schloß. Ich warf sie mit meinen Leuten hinaus. Ein Schuß traf mich in die Hüfte. Ich habe nur einen Gedanken: Dich. Mein Reitknecht jagt dem Wagen voran, der mich zu Dir bringt. Niemand außer ihm und dem Kutscher kennt das Ziel der Fahrt.

Baron von Wurmser an Delphine

Straßburg, den 10. Februar 1784.

Verehrteste Frau Cousine. Vergebens habe ich versucht, Sie hier und in Froberg aufzusuchen und erfuhr erst dort, daß Sie sich in Laval befinden. Nach langem, inneren Kampf halte ich es für meine Pflicht, Ihnen folgende Mitteilung zu machen: der Graf Cagliostro ist ein Betrüger. Die Kräfte, die er besitzt, – und ich hörte und sah zu viel, als daß ich an ihnen zu zweifeln vermöchte, – hat er in teuflischer Weise benutzt, um seine Opfer zu fangen. Auch ich gehöre zu ihnen. Das kleine Vermögen, das ich besaß, ist in seinen Händen. Ich dachte daran, ihn ohne weiteres arretieren zu lassen, aber ich habe keine Beweise, und die Zeugen, die ich nennen könnte, würden teils aus Feigheit, teils aus Angst, sich lächerlich zu machen, versagen; außerdem ist dem Grafen alles Geld, das er erhielt, freiwillig gegeben worden. Mich selbst kann ich nicht mehr retten, vielleicht aber andere.

Um klar zu sehen, habe ich mein Mißtrauen noch nicht laut werden lassen und habe vor wenigen Tagen einer Sitzung im Palais des Kardinals beigewohnt, an der sich außer dem Hausherrn und mir nur Ihr eben aus Paris wieder zurückgekehrter Herr Gemahl beteiligte. Man erwartete so etwas wie ein Wunder; Haufen Goldes lagen bereit, die ja von jeher die Voraussetzung aller Experimente waren. Je länger die Versuche resultatlos blieben, desto erregter wurde der Kardinal. »Ich bin verloren – ich und sie!« schrie er schließlich in fassungsloser Verzweiflung. Und als der Graf als Antwort grell auflachte, stürzte er sich auf ihn, packte ihn mit eisernem Griff an die Kehle und brüllte mit der Stimme eines wilden Tieres: »die Million oder –.« Wir rissen ihn los und während ich noch um den Tobenden beschäftigt war, verließ Cagliostro mit dem Marquis das Zimmer.

Rohan reiste gestern nach Paris. Der Marquis hat sich mit dem Schwindler eingeschlossen; er vertraut ihm um so mehr, als er seine Kräfte nun für sich allein in Anspruch nehmen zu können hofft.

Nur Sie, teuerste Cousine, können den Verblendeten retten und damit Ihre eigene Existenz. Was Sie auch immer von ihm trennen, was Sie in Laval festhalten mag, kommen Sie rasch! Könnten Sie den Marquis sehen, wie er gebeugt, mit zitternden Knien durch die Straßen schleicht, rotgeränderte, des Schlafs entwöhnte Augen über den spitz hervortretenden Backenknochen, – das Mitleid würde Sie zu ihm führen, auch wenn er Ihnen ein Fremder wäre.

Marquis Montjoie an Delphine

Straßburg, den 15. Februar 1784.

Meine Liebe. Ihr Anerbieten ist gut gemeint, aber Ihre Besorgnis unbegründet. Ich bin gesund. Meinetwegen brauchen Sie Laval nicht zu verlassen. Die chemischen Experimente, mit denen ich mich beschäftige, sind rein wissenschaftlicher Natur. Es kann Sie nur beruhigen, daß diese Tätigkeit mir alles ersetzt, was ich bisher als Lebensinhalt betrachtet habe: den Hof, die Politik, die Frauen.

Ich höre, daß Sie im Schloß so etwas wie ein Hospital eingerichtet haben. Frauen, Kinder und Greise finden bei Ihnen Schutz vor Hunger und Kälte, auch Kranke werden gepflegt. Das ist sehr lobenswert und wird einer frommen Frau wie Ihnen die Freuden von Versailles vergessen machen.

Der Vetter Wurmser, nach dem Sie fragen, widmete sich neuerdings eifrig in Verbindung mit Herrn Adorn der Konstruktion eines neuen aerostatischen Globus. So findet jeder eine Ablenkung von Gedanken und Erinnerungen, die nicht immer belustigend sind.

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, am 30. April 1784.

Schönste Marquise. Sie lieben nur die Unterlegenen und finden größeren Genuß darin zu trösten, als zu bewundern? Denn seit Figaro triumphiert, sind Sie ihm untreu geworden. Ich aber dachte mitten im tobenden Theater an Sie; ich suchte Ihr reizendes Köpfchen in allen Logen; mir fehlte die Herzenskönigin, vor der der Sieger im Turnier das Knie beugt, um von ihr allein den Kranz zu empfangen.

Figaro hat gesiegt, Frau Marquise! Und er hat Gedanken aus dem Gefängnis feiger Köpfe befreit, Stummen die Sprache gegeben und Blinden das Gesicht. Bald gibt es in Paris kein Fischweib mehr und keinen Lastträger, der ihn nicht jubelnd begrüßt hätte; Hunde und Katzen ruft man an allen Straßenecken mit seinem Namen; mit Hüten und Mänteln à la Figaro schmücken sich Dirnen und Hofdamen, so daß sein Name schließlich auch denen gellend in die Ohren klingt, die ihn verdammen.

Es war eine Komödie in der Komödie: Von früh an belagerten die Eintrittheischenden die Pforten des Theaters. Vornehme Frauen hielten, um rasch ein Plätzchen zu erhaschen, stundenlang in den Toilettenzimmern kleiner Schauspielerinnen aus. Herzoginnen kämpften mit Freudenmädchen um einen Sitz. Ganz Versailles war im Theater. Der König muß sehr verlassen gewesen sein!

»Worin besteht das Handwerk des Höflings?« frug Figaro; »im Empfangen, im Nehmen, im Fordern« –, und die Herren und Damen in den Logen hörten erblassend den brüllenden Beifall des Parketts.

Wahrhaftig noch toller als mein Stück ist sein Erfolg!

Der laute Lärm erstickte tagelang alles heimliche Flüstern, das immer schärfer, immer feindlicher durch die Hintertüren der Schlösser kriecht.

Sie erinnern sich des Schauspielaktes, den ich sah. Nun: die vornehmen Akteure und Aktricen machen nicht den Eindruck, als ob der Schluß, wie der des Figaro, in Chansons bestehen würde. Selbst der Graf Chevreuse, – er muß als Knabe meines Cherubin Zwillingsbruder gewesen sein, – hat seinen Leichtsinn so sehr verloren, daß die Guimard ihm den Laufpaß gab.

Warum ich Ihnen schreibe? aus Eitelkeit und aus Neugierde. In Frankreich zieht sich eine schöne Frau wie Sie nur aus drei Gründen von der Welt zurück: entweder sie hat die Blattern, oder einen Blaubart zum Mann, oder ihren Lakai zum Geliebten. Da keiner dieser Gründe auf Sie zutreffen kann – die Blattern würden sich schämen, ein Gesicht wie das Ihre zu zerstören, der Marquis hat sich dem Teufel verschrieben, und Sie haben zu viel Geschmack für eine Liebschaft mit einem Bedienten –; so fragt sich alles, was hindert Sie, uns zu beglücken?!

Ich suche nach einem neuen Stoff für ein Stück. Vielleicht liefern Sie ihn mir, wenn es sich um keine Tragödie handelt.

Marquis Montjoie an Delphine

Straßburg, im Juli 1784.

Meine Liebe. Damit Sie nicht aus den Journalen davon erfahren, teile ich Ihnen mit, daß Baron Wurmser gestern beim ersten Aufstieg im Ballon Monsieur Adorns verunglückt ist. Er brach beim Absturz aus einer Höhe von kaum dreißig Metern beide Beine. Die Ärzte geben Hoffnung, ihn am Leben zu erhalten. Ich sprach ihn heute. Er hat mir Grüße an Sie aufgetragen und mich ausdrücklich gebeten, Ihnen zu erzählen, daß er sich nun erst tatsächlich »nicht auf der Höhe erhielt«.

Ich habe heute noch eine Bitte an Sie. Meine Gesundheit ist nicht die beste; ein Aufenthalt in Spa würde mir gut tun, und es wäre mir erwünscht, wenn Sie mich begleiten wollten. Alle unliebsamen Gerüchte würden durch diese gemeinsame Reise im Keime erstickt. Falls Sie zustimmen, werde ich sobald als möglich meine weiteren Dispositionen treffen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, den 25. Juli 1784.

Das war ein böser Ritt: in der schwülen Nacht, die fern am Horizont nur fahle Blitze hie und da erleuchteten, das Herz von Kummer schwer, die Stirne heiß von Zorn. Zorn auf Dich, meine süße Delphine, die Du unser Glück zerstörst aus lauter grausamer Güte!

Weil einen alten Mann plötzlich die Laune packte, sich mit seinem schönen jungen Weib der Welt zu zeigen, warst Du sofort bereit, ihm zu willfahren? Du behauptest ihm Dank schuldig zu sein. Wofür?! Weil er Dir Freiheit läßt. Tut er es vielleicht aus Güte, oder nicht vielmehr aus Selbstsucht? Er stört Dich nicht, weil er in seinem dunklen Beginnen nicht gestört sein will. Und weil er unsere Beziehungen nicht sieht, nicht sehen will, hältst Du ihn für einen entsagenden bewundernswerten Freund. Ich halte ihn für einen jämmerlichen Feigling! Dir erscheint als ein bescheidener Wunsch, worin ich die Geltendmachung verbriefter Gattenrechte sehe. Er kümmert sich nicht um Dich, solange es ihm paßt, er fordert Dich, sobald die greisenhafte Lust ihn reizt. Und Du beugst Dich seinem Verlangen! Mich, den die Natur selbst Dir angetraut hat, dem Du allein gehörst im Namen ewiger Liebe, mich ließest Du von Dir gehen!

Du sagst, der Marquis sei unglücklich. – Auch zu einem großen Unglück gehört ein großer Mensch; dieses Mannes Unglück ist klein, kalt, verächtlich, und Du willst ihm unser großes, heißes überreiches Glück opfern?!

Du sagst, er ertrüge es nicht, wenn Du den Mut der Wahrheit hättest. Was wäre verloren, wenn er wirklich daran zugrunde ginge? Gibt es auch nur einen einzigen Menschen, dem er unersetzlich wäre? Würde er eine Lücke hinterlassen, die kein anderer auszufüllen vermöchte?

Ich liebe Dich um Deiner rührenden Güte willen, die niemanden wehe zu tun vermag, um Deiner sorgenden Liebe willen, die alles Schwache und Alte schützt und pflegt. Wo wäre ich heute ohne Deine weichen zarten Hände?! Aber das Leben, Geliebte, ist männlich und hart, der morsche Stamm kann nicht erhalten werden, wenn junge Bäume zum Licht verlangen, und den alten Staat, der schon in seinen Grundfesten zittert, dürfen wir nicht stützen, wenn er einem neuen Geschlecht zu eng geworden ist.

Wir werden Monate getrennt sein und wollen einander auch nicht mit brieflichen Klagen und Vorwürfen quälen. Aber prüfen sollst Du, Geliebte, Dein Herz, damit Du zu entscheiden vermagst, wenn wir uns wiedersehen. Er oder ich –, das ist die Frage, die ich Dir stelle.

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 30. September 1784.

Meine Liebe. Es freut mich zu hören, daß Sie die Reise gut überstanden haben und ich benutze die Gelegenheit, Ihnen für die Zeit zu danken, die Sie mir widmeten. Ich hoffe, Sie werden nicht ganz ohne Befriedigung an die vollkommen ruhigen Wochen zurückdenken, die auch Ihnen notwendig waren.

Mein Aufenthalt hier wird höchstens zwei Monate dauern. Paris, wo der Pöbel überall das große Wort führt, und Versailles, wo nichts als Lakaiengesinnung herrscht, widern mich an.

Die Königin spielt ihre Schäferspiele jetzt nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Boudoir. Man erzählt sich in allen Pariser Kaffeehäusern, daß Chevreuse und Vaudreuil ihre Partner sind.

Herr von Calonne, den ich sprach, ist in schlechtester Stimmung. Er würde denjenigen zum höchsten Orden der Monarchie vorschlagen, der ihm die Möglichkeit einer neuen Steuer nachweisen könnte. Die unaufhörlichen Fürstenbesuche, – eben erst hat der König von Schweden Paris verlassen –, verschlingen Unsummen, was in dieser Zeit ungewöhnlicher Teuerung sehr verbitternd wirkt. In den ärmeren Stadtteilen von Paris hat die Polizei immer häufiger Revolten zu unterdrücken, an denen sich sogar Frauen beteiligen sollen. Über die Hilfsaktionen der königlichen Familie, des Adels und der Finanziers schwirren die Spottlieder durch ganz Paris. Daß der König von Schweden zehntausend Franken den Armen stiftete und für dreimalhunderttausend allein in Sèvres Porzellan kaufte, daß Ihre Majestät fünfhundert Louisd'or für Suppen hergab und Mademoiselle Bertin zu gleicher Zeit tausend für eine neue Toilette – schuldig blieb, – das alles bietet freilich, da es in die breiteste Öffentlichkeit getragen wird, Stoff genug. Man müßte die halbe Bevölkerung von Paris einsperren, wenn man wie früher jeden Witz, jede Beleidigung der Krone und der Kirche bestrafen wollte.

Ich bin zufrieden, in die ungestörte Ruhe meines Laboratoriums zurückkehren zu können. Daß ich den größten Teil der Dienerschaft von Froberg entließ, braucht Sie wirklich nicht zu beunruhigen. Es hieße Tagediebe erziehen, wenn ich sie behalten hätte.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Etupes, den 3. Oktober 1784.

Wie habe ich auf einen Brief von Dir gewartet! Je mehr meine Sehnsucht wuchs, in je glühenderen Farben meine Erinnerung mir das Bild vergangenen Liebesglücks vor die Augen zauberte, um so gewisser wurde mir, daß Delphine mein, ganz mein werden würde!

Und nun diese geheimnisvollen Zeilen: »Erwarte mich in Etupes. Jeder Baum, jede Blume, jede kleine Welle im Teich werden für mich bitten.« Du kommst zu mir, und doch bedarfst Du noch irgend welcher Fürsprache?! Aber ich will nicht grübeln, will Dich mit keinem Zweifel verletzen, will nur der seligen Erwartung leben!

Jeden Tag lasse ich die Blumen in allen Vasen durch frische ersetzen, stelle Körbe voll Obst auf den runden Tisch im Gartensaal, fülle, wenn ich einsam vor meiner Mahlzeit sitze, immer zwei Gläser mit feuerrotem Wein. Mit dem Fernrohr sehe ich stundenlang die Straße hinab, stehe, bis der feuchte Herbstwind mich frösteln macht, auf der Terrasse und warte, ob nicht drüben ein Kleid auftaucht, eine Stimme ruft.

Wann wirst Du kommen, Geliebte, um nie mehr weg zu gehen?! Es ist alles bereit!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Etupes, den 23. November 1784.

Und nun bist Du wieder fort! Ein dunkler Trauerschleier, hängt der Nebel über den Gärten, mit geschlossenen Läden trauert das weiße Schlößchen. Ich kann nicht hier sein ohne Dich. Wie auf einem Kirchhof ist es: In jedem Raum, auf jedem Sessel, vor jedem Tisch, – draußen unter den Buchen und Trauerweiden, und tief unten im Teich schlummert ein totes Glück. Die letzten späten Blumen, die Du pflücktest, welken in den Gläsern und füllen mit Modergeruch die Räume, die eben noch Deines Duftes voll waren.

Du überschüttetest mich mit unsagbarer Seligkeit, Du machtest die Tage zu einem süßen Traum der Nacht und die Nächte zu einem Fest der Götter. Warst Du heimlich bei Aphrodite zu Gast und lerntest von ihr den Zaubertrank der Liebe bereiten, der Gedanken bändigt, Zweifel verscheucht, Willen in Ketten legt? Jetzt erst beginne ich vom Rausch zu erwachen. Sagtest Du nicht: »habe Geduld«? Sprachst Du nicht von ein paar Wochen, oder waren es am Ende gar Monate?!

Du hast also meine Frage nicht beantwortet, die ich Dir stellte, als Du mich damals gehen hießest? Ich saß heute vor dem Tempel der Venus im Regen gelber Blätter; das Lächeln der Göttin erschien mir plötzlich so spöttisch, so – zweideutig.

Delphine, wäre es möglich, daß Du nur mit mir spielst?! Pirch, Chevreuse, Altenau – alle fallen mir ein, deren bloßer Name mich einst zur Verzweiflung brachte, und die ich in Deinen Armen vergaß. Bin ich nur einer mehr in der Reihe?!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, am 6. Dezember 1784

Geliebteste. Daß auch ich Dich quälen mußte, als Du so Böses erfuhrst! Von dem plötzlichen Verschwinden Cagliostros hörte ich. Es kamen mir sogar Gerüchte zu Ohren, daß Rohan sich infolgedessen zu töten versuchte. Er soll alles verloren und andere in den finanziellen Zusammenbruch mit hineingerissen haben.

Was Du, Geliebte, selbst erlebtest, erschütterte mich aufs tiefste. Entsetzlich, wie der Marquis in sinnloser Wut mit dem Hammer sein Laboratorium zerstörte, so daß das Volk, vom Lärm gelockt, vor seinen Fenstern zusammenlief! Und wie muß Dein sanftes Herz geblutet haben, als der Betrogene weinend vor Dir zusammenbrach!

Etwas wie Mitleid mit ihm regt sich sogar in meinem Herzen. Alle Zweifel, alle Vorwürfe, alle Ungeduld will ich zurückdrängen, bis der alte Mann zu sich selbst gekommen sein wird und Du klarer siehst. Für ihn mag es schon jetzt eine Beruhigung sein, daß er nur die Hälfte seines Besitztums verlor; für Dich, meine süße Delphine, ist all das einerlei. Wenn Du zu mir kommst, nur vom schimmernden Seidenmantel Deiner Haare umhüllt, bringst Du mir den unerschöpflichsten Reichtum der Erde.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, am 15. Januar 1785.

Du kehrst nach Laval zurück, so plötzlich?! Deine Schrift zittert auf dem Papier, als hätte Dein Herzschlag die Feder regiert? Ich folge dem Boten auf dem Fuße.

Marquis Montjoie an Delphine

Straßburg, den 17. Januar 1785.

Meine Liebe. Ihre Mitteilung hat mich weniger überrascht, als Sie geglaubt haben. Schon vor drei Jahren hat mich der Kardinal auf Ihre Beziehungen zum Prinzen Montbéliard aufmerksam gemacht. Ich hielt sie damals nur für eine Liaison mehr und war überzeugt –, nicht nur im Vertrauen auf den Ausspruch Cagliostros, sondern auch in Erinnerung an die schnelle Verabschiedung Ihrer früheren Liebhaber –, daß Sie um so eher ein Ende machen würden, je rascher ich Sie zur beneidetsten Frau Europas zu machen imstande wäre. Ich habe mich nach beiden Richtungen getäuscht, und wenn trotzdem mein Glaube in die hellseherischen Fähigkeiten des Grafen eine Stärkung erfuhr, so deshalb, weil er Ihnen, wie Sie sich erinnern werden, noch ein Kind prophezeite, von dem ich allerdings fälschlicherweise annahm, daß es auch das meine sein würde.

Über die Sache selbst wollen wir uns nicht mehr erregen, als es nötig ist. Sie ist bestenfalls eine – Ungeschicklichkeit, die sich unter Umständen reparieren läßt. Ich kenne in Paris Ärzte, die sich ausschließlich mit dergleichen Operationen befassen und infolge ihrer sehr großen Praxis den besten Ausgang gewährleisten.

Was nachher zu geschehen hat, wird sich finden. Gewöhnlich wirkt ein solches Ereignis wie Frostwetter auf den lustigen Quell der Liebelei. In dem Fall steht mein Haus Ihnen als Zuflucht offen.

Marquis Montjoie an Delphine

Straßburg, den 22. Januar 1785.

Meine Liebe. Ich muß gestehen, daß Sie mich diesmal wirklich überrascht haben. Sie wollen das Kind: »und wenn ich mich vor der ganzen Welt zu seiner Herkunft bekennen müßte«. Sie behaupten sogar, es bereits glühend zu lieben: »weil ich nie einen andern Mann geliebt habe und lieben werde als seinen Vater«. So bleibt denn nur ein Ausweg.

Mir ist im Leben alles unter den Händen entschlüpft: Liebe, Macht, Reichtum. Nur eins war ich stark genug, festzuhalten: den unbefleckten Schild meiner Ehre. Ich war nahe daran, ihn mir von Ihnen entwenden zu lassen. Das Gefühl, das ich für Sie besaß, und das Sie immerhin Liebe nennen können, machte mich schwach, so daß ich es unterließ, Sie gewaltsam an mich zu fesseln, und schuldbewußt, so daß es mir wie Entsühnung schien, Ihre, wie ich annahm, flüchtigen Freuden nicht zu stören, die ich nicht zu schaffen vermocht hatte.

Jetzt aber, glaube ich, gleicht sich unser gegenseitiges Schuldkonto aus.

Behalten Sie das Kind, – aber es wird vor der Welt mein Kind sein. Sie kehren unverzüglich in mein Haus zurück, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu versichern, daß Ihre Stellung genau dieselbe sein wird wie immer.

Mein Entschluß ist in diesem Punkt unabänderlich. Ich würde sogar vor ernsteren Maßregeln nicht zurückschrecken, wenn Sie sich widersetzen sollten.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Straßburg, den 30. Januar 1785.

Meine geliebte Delphine! Soeben komme ich von einer stundenlangen Unterredung mit dem Marquis. Ich verschwieg Dir meine Absicht, ihn aufzusuchen, um Dich nicht zu erschrecken. Jetzt schreibe ich Dir, du Einzige, selbst in zitternder Angst, denn an Dir wird es liegen, ob wir uns wiedersehen!

Ich habe dem Marquis nahe gelegt, mich unter den schwersten Bedingungen zum Zweikampf herauszufordern. Er lehnte es mit einem verächtlichen Lächeln ab.

»Wenn es sich um eine bloße Liaison der Marquise handeln würde, könnte vielleicht davon die Rede sein,« sagte er; »ob ich oder Sie am Platze blieben, würde nur ein paar Tränen mehr oder weniger kosten; ein Ersatz für jeden von uns wäre bald gefunden. Aber es handelt sich leider um jene unbequeme Passion, die im Roman schöner ist als im Leben. Glauben Sie, meine Ehre wäre gewahrt, wenn Sie fielen? Glauben Sie, die Marquise würde je wieder in mein Haus zurückkehren? Und halten Sie es für möglich, daß sie über meinem Sarge mit Ihnen, durch dessen Hand ich gefallen sein würde, jemals glücklich zu werden vermöchte?! Nein, die Geschicke der Menschen und der Völker lösen sich nicht mehr durch einen Schwertstreich.«

Ich hatte ihm stumm, gesenkten Hauptes zugehört. Ich mußte ihm recht geben. Als ich dann versuchte, ihn zu einer Trennung von Dir zu bewegen, blieb er unerbittlich.

»Die Marquise kennt meine Antwort, sie hat die Wahl. Nur dann, wenn sie die Folgen ihres Verhältnisses nicht sichtbar werden läßt, bin ich bereit, – da ich auf die Ansprüche des Gatten ein für allemal verzichte –, sie zeitweise in Laval wohnen zu lassen. Kommt das Kind zur Welt, so ist es mein Kind und gehört in mein Haus.«

Du mußt wählen zwischen mir und dem Ungeborenen, zwischen deinem Geliebten und einer Hoffnung, die noch nicht einmal Leben ist.

Wirst du so unbarmherzig sein und gegen unsere Liebe entscheiden? Du kannst mich nicht töten wollen, Delphine; Du kannst Dich nicht in Ketten schmieden! Bei jeder Erinnerung, die uns gemeinsam ist, bei jedem Glauben, bei jedem Gefühl, das wir teilen, beschwöre ich Dich: bleibe Dir treu! Opferst Du mutig die erste Frucht unserer Liebe, so bleibt uns die süße Gegenwart und die Hoffnung auf eine befreiende Zukunft, in der Du glückliche Kinder gebären kannst. Tust Du es nicht, so ist nichts mehr unser als der Schmerz um ewig Verlorenes.

Antworte mir nicht. Du könntest vorschnell sein, wenn Deine Augen nicht in den meinen lesen, daß Du mein Todesurteil sprichst.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Montbéliard, am 5. Februar 1785.

»Ich kann das Kind nicht töten, weil es Dein Kind ist. Sein Leben ist mir Gewähr, daß nichts uns trennen kann« –, ich trage den Zettel auf dem Herzen, den der alte Gärtner mir gab, als ich vor dem verödeten Hof, vor Deiner verschlossenen Pforte stand – ein Ausgestoßener.

Ich versuche, Dir zu zürnen und liebe Dich nur immer mehr, ich versuche, das Kind zu hassen, und ein Gefühl tiefer Zärtlichkeit erfaßt mich.

Die Zeit, in der es unter Deinem Herzen ruht, soll mir heilig sein. Auch mein Schmerz soll Dich nicht stören.

Lebewohl!

Marquis Montjoie an Delphine

Straßburg, am 12. Juli 1785.

Meine Liebe. Da es mir wünschenswert erscheint, Ihnen die letzten Wochen vor der Entbindung jede Erregung fernzuhalten, will ich Ihnen zunächst nicht nach Froberg folgen, sondern erst in dringenden Geschäften nach Paris geben. Habe ich bisher vergebens versucht, unser Vermögen zu vergrößern, so muß ich es jetzt erhalten, – schon um des Erben willen, den ich mir gewählt habe.

Ich werde zugleich mit Herrn Dr. Douzet Rücksprache nehmen und ihn veranlassen, zur rechten Zeit in Froberg zu sein.

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 25. Juli 1785.

Meine Liebe. Ich fürchte, die alarmierenden Nachrichten in den Journalen könnten Sie erschrecken, darum beeile ich mich, ihnen zuvorzukommen. Man spricht in Paris laut und leise von einem märchenhaften Schmuck, den der Kardinal im Auftrag der Königin für sie erwarb, und den sie zu bezahlen offenbar – vergessen hat. Gestern war ich zum Souper in Trianon geladen. Als ich das Schloß betrat, hörte ich lautes Lachen und Schwatzen fast wie auf einer Bauernkirmes. Erstaunt stand ich still, da öffneten sich die Türen zum Theatersaal, ein Schwarm von Menschen strömte daraus hervor, mitten unter ihnen die Königin, sehr erhitzt, sehr ausgelassen, dicht hinter ihr mit der Miene eines Triumphators – Herr von Beaumarchais. Ich verbeugte mich um einen Zoll weniger tief als sonst.

»Wir probieren den Barbier von Sevilla,« hörte ich laut wie ein Kommando auf dem Paradeplatz Herrn von Beaumarchais Stimme. Aufs äußerste überrascht von dieser unerhörten Formlosigkeit, erwartete ich einen Eklat. Aber die Königin lachte nur noch lauter. Es war jedoch, wie mir schien, ein falscher Ton in ihrer Stimme.

Beim Souper beobachtete ich sie: Röte und Blässe wechselten auf ihren Zügen. Unter Außerachtlassung jeder Etikette verließ sie nach dem Schluß des Essens die Tafel und verschwand, – allein mit Herrn von Chevreuse –, in den Laubengängen des Parks. Wir alle verstummten. Nur Herr von Beaumarchais versuchte mit gewagten Späßen die Stimmung aufzuheitern.

Herr von Beaumarchais als Regisseur der Königin –, ich bin geneigt, jetzt an die bösesten Gerüchte zu glauben.

Gestern abend entschloß ich mich, die berühmten Arkaden des Palais-Royal zu besichtigen, die der Herzog von Chartres eigens gebaut zu haben scheint, um allerlei wüstem Gesindel Obdach zu gewähren. Mit den frechen Reden der Männer wetteifert nur die Schamlosigkeit der weiblichen Besucher. In diese Gesellschaft mischten sich mit sichtlichem Vergnügen Damen und Herren des Hofes, als sie aus der Oper kamen, und ich muß zu ihrer Schande gestehen, daß im Ton und Benehmen zwischen ihnen und den anderen kaum ein Unterschied mehr zu bemerken war.

Marquis Montjoie an Delphine

Versailles, den 16. August 1785.

Ein schreckliches Ereignis, meine Liebe, verzögert meine Abreise: Der Kardinal, Prinz Louis Rohan, wurde gestern vor der Schloßkapelle von Versailles in vollem Ornate, angesichts aller versammelten Würdenträger des Hofes verhaftet!

Kaum war das Ungeheuerliche geschehen, als die ganze Familie Rohan, die Prinzen Soubise, Guéménée und Montpensier zugleich mit den Bischöfen und Kardinalen das Schloß verließen. Der König und die Königin fanden sich bei ihrem Erscheinen einem fast leeren Saal gegenüber. Marie Antoinette schien einer Ohnmacht nahe.

Was geschehen ist, weiß niemand genau. Man sagt, daß Rohan sich für die Königin habe opfern lassen. Und Cagliostro hatte ihm prophezeit: »An Ihren Namen wird Frankreichs Befreiung sich knüpfen!«

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine

Die ganze Nacht stand ich wie ein Dieb unter Deinem Fenster, Geliebte. Jeder Schrei, den ich hörte, zerriß mir das Herz, Dann wurde es still – totenstill. Die Angst schnürte mir die Kehle zusammen. Bis plötzlich ein leises Weinen wie Vogelzwitschern durch die Finsternis zu mir drang: Unser Kind, Du meine süße Frau! Leg ihm die roten Blätter dieser Rose aufs Herz; sein armer Vater grüßt es tausendmal!

 


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