Lily Braun
Die Liebesbriefe der Marquise
Lily Braun

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Das Kind

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 30. September 1777.

Sie hatten mich, teuerste Marquise, durch Ihr monatelanges Schweigen auf die Folter gespannt. Stellten Sie Ihre Freunde schon durch Ihre fluchtartige Abreise vor ein Rätsel, wie viel mehr durch Ihr völliges Verstummen. Die abenteuerlichsten Gerüchte trug man einander zu: daß Sie mit einem Liebhaber entflohen seien, daß Sie sich in ein Kloster zurückgezogen hätten. Schließlich verschwand Ihr Name aus der Chronique scandaleuse; die sturmbewegten Wellen unserer raschlebigen Zeit peitschten darüber hinweg; nur wer sich selbst noch nicht ganz verliert, dem blieben auch Sie unverloren.

Haben Sie Dank, wärmsten Dank, daß Sie in Ihrem Kummer meiner gedachten. Sie gaben mir damit den kostbarsten Beweis Ihrer Freundschaft. Nur daß Sie über ein Jahr stumm gelitten haben, mache ich Ihnen zum Vorwurf, nicht, weil ich Ihr Vertrauen teile, der Einzige zu sein, der zu helfen vermag, sondern weil die Aussprache an sich schon Erleichterung bedeutet. Es ist eine der wertvollsten Errungenschaften unserer Epoche, daß wir unsere eigenen Gedanken denken, unsere eigene Sprache sprechen lernten.

Sie haben sich, wie Sie schreiben, ganz Ihrem Sohn gewidmet, nachdem Sie ihn durch »einen wahren Feldzug von Kämpfen und Intrigen« sich erst erobern mußten; und mit einer Ehrlichkeit, die zu der Sentimentalität der meisten Frauen, die sich heute ihrer Mutterschaft erinnern, in erfreulichem Gegensatz steht, fügen Sie hinzu: mich trieb nicht die Liebe, sondern nur das Gefühl einer heiligen Pflicht, deren Erfüllung meinem Leben Inhalt und Ziel geben sollte.«

Ich habe den Satz zehnmal gelesen, ehe ich mir vorzustellen vermochte, daß von den Rosenlippen der Marquise Delphine so schwere Worte fallen konnten, und erst als ich weiter las, sah ich Sie wieder lebendig vor mir. »Aber die Aufgabe erhebt mich nicht, sie drückt mich nieder,« schreiben Sie. Ein Tempel der Mutterliebe sollte das Schlößchen sein, das sich im Park von Froberg am Ufer des Sees weiß und leuchtend erhebt. »A L'Enfant« ließen Sie in goldenen Lettern über die Türe meißeln, wo kurz vorher »Mont de ma joie« gestanden hatte. Die schönsten Blumen ließen Sie pflanzen, mit Tieren aller Art bevölkerten Sie den Park – »die Natur selbst sollte meines Sohnes Erzieherin sein.« Und dann kam das Kind, »es zerpflückte und zertrat die Blumen, es schlug nach dem sanften Reh und dem kleinen Kätzchen, es warf mit Steinen nach den Tauben,« und seine Häßlichkeit zwang Sie, alle Spiegel aus den Zimmern entfernen zu lassen, um sie nicht verzehnfacht um sich zu sehen.

»Was soll ich tun?« fragen Sie mich verzweifelt; »alle Mittel das Kind zu beeinflussen, sind erschöpft; seine Neigungen bleiben roh wie die Umgebung, aus der es seine ersten Eindrücke empfing.« Vielleicht waren Sie zu gut für diesen kleinen Wilden; vielleicht bedarf es nur eines Mittels, seine unbändige Tatkraft in richtige Wege zu leiten; vielleicht fehlt ihm der Ernst und die Strenge eines männlichen Erziehers.

Sie erwähnen Ihres Herrn Gemahls nicht, und ich darf wohl annehmen, daß er sich selten in Froberg aufhält, da ich ihm in Paris häufig begegne und man sogar von der Möglichkeit seines Eintritts in das Ministerium schon gesprochen hat. Er scheint sich also wenig um seinen Sohn zu kümmern.

Werden Sie mich recht verstehen, wenn ich Sie darum bitte, mir zu gestatten, zu Ihnen zu kommen? Nur als ein Gast zunächst und als ein Freund, dem nichts mehr am Herzen liegt, als Ihnen helfen zu können, der aber mit einem bloßen Rat nicht zu helfen vermag, solange er sich nicht durch eigenen Augenschein ein klares Bild von der Lage der Dinge hat machen können.

Ihrer Antwort sehe ich klopfenden Herzens entgegen. Ein Ja würde den düsteren Nebel, der seit Monaten mein Leben verschleiert, wie mit einem ersten Sonnenstrahl durchbrechen.

Seit dem Tode der Lespinasse und der Geoffrin bin ich, wie viele mit mir, heimatlos geworden. Niemand und nichts hat für das Verlorene einen Ersatz schaffen können. Mit dem fehlenden geistigen Mittelpunkt, um den sich die ersten Männer Frankreichs versammelten, lockert sich auch mehr und mehr ihr geistiger Zusammenhang. Müssen wir es doch jetzt erleben, daß der aufs neue wütend entfachte Kampf zwischen den Anhängern Glucks und denen Piccinis auch die Reihen der Enzyklopädisten in zwei feindliche Lager teilt.

Mehr denn je gehen die Männer in ihre Klubs und Kaffeehäuser; die Frauen dagegen haben in den überhandnehmenden Teevisiten ein Mittel des Zusammenseins gefunden. In der Vergröberung der Sitten meine ich jetzt schon den Fortfall des zugleich anregenden und mildernden weiblichen Einflusses im Leben der Männer zu spüren; treffen sich die beiden Geschlechter bei festlichen Gelegenheiten, so herrscht zwischen ihnen, die geistig nicht mehr miteinander leben, nur die Atmosphäre schwüler Sinnlichkeit.

Sie sehen, es wäre für mich eine Erlösung, die Mauern von Paris hinter mir zu haben; Sie müssen aber auch wissen, teuerste Marquise, daß ich das Glück, bei Ihnen zu sein, selbst seinen größten Genüssen vorziehen würde.

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 3. Oktober 1777.

Meine Liebe, die Nachricht, daß der Deutsche Kaiser noch diesen Monat nach Straßburg kommt, veranlaßt mich, schleunigst dorthin abzureisen, ohne Froberg zu berühren. Er befindet sich auf dem Wege nach Paris, und es ist von größter Wichtigkeit, den Monarchen vor der Begegnung mit seiner erlauchten Schwester, der Königin von Frankreich, zu sprechen und, wenn irgend möglich, zu beeinflussen. Er reist zwar, ein moderner Harun al Raschid, als einfacher Edelmann, sollte aber trotzdem vom elsässischen Adel kaiserlich empfangen werden. Ich muß daher in diesem Falle darauf bestehen, daß meine Gemahlin in unserem Hotel die Honneurs macht, wobei ich nicht unterlassen will zu bemerken, daß ich es endlich, nach Monaten der Nachsicht, müde bin, die Marquise Montjoie die Rolle einer Kinderfrau spielen zu sehen. Engagieren Sie so viel Personal, als Sie es für nötig finden, aber schützen Sie unser Haus vor den wahnwitzigen, alle guten Traditionen umstürzenden Ideen der Pariser Philosophen; sie führen unser Vaterland dem Verderben entgegen; wenigstens die Familie will ich vor ihnen gerettet wissen.

Wie wenig besonders Herr Rousseau, auf den Sie sich zu berufen pflegen, das Vertrauen verdient, das Sie in seine Erziehungsprinzipien setzen, habe ich jetzt erst erfahren. Ganz abgesehen davon, daß er durch seine Undankbarkeit jeden seiner Gönner vor den Kopf stieß, hat er es –, nachdem er schon fast vergessen war –, für nötig befunden, seine Memoiren zu schreiben, die, was Mangel an Diskretion, an Takt und Schamgefühl betrifft, aller Beschreibung spotten sollen. Er liest sie gegenwärtig in Pariser Salons vor und hat erreicht, was offenbar seine einzige Absicht war: wieder von sich reden zu machen. Intime Erlebnisse, die Menschen von guter Lebensart ebenso sorgfältig dem Anblick Fremder entziehen wie ihre körperlichen Mängel und Gebrechen, schildert er mit derselben Behaglichkeit, mit der sich die Schweine in ihrem eigenen Schmutze wälzen, und bis in die Kreise des Hofes hinein gibt es Leute, die vor diesen Bekenntnissen der »Wahrheit und Natürlichkeit« bewundernd in die Knie sinken; die Marquise Girardin ist sogar soweit gegangen, dem Verfasser ihr Schloß Ermenonville als Zufluchtsort anzubieten.

Auch sonst mehren sich die Zeichen der gesellschaftlichen Auflösung. Hatte man bisher nur ganz im stillen gewagt, die Handlungsweise des Marquis Lafayette und seiner Freunde, – zu denen ja leider auch der Prinz Montbéliard gehört –, zu entschuldigen, während die einflußreichen Kreise der Gesellschaft in der Verurteilung der französischen Offiziere und Aristokraten einig waren, die ihren Degen in den Dienst von Insurgenten, und damit gegen das Königtum zu stellen wagten, so beginnt man jetzt, sich in aller Öffentlichkeit für sie und damit für die Sache, der sie dienen, zu begeistern. In einigen Journalen wird bereits dem offenen Kriege gegen England das Wort geredet, und wir können uns im Augenblick glücklich schätzen, daß wenigstens Herr Necker, in Rücksicht auf die Finanzen, hirnverbrannten Plänen wie diesen abgeneigt ist. England bekämpfen, hieße die amerikanische Republik unterstützen und die Berechtigung der republikanischen Ideen auch bei uns anerkennen. Ich hatte kürzlich eine ernste Aussprache mit Herrn von Vergennes, aber so sehr mir der Minister prinzipiell recht gab, so sehr scheint er praktisch durch seine unvorsichtige geheime Unterstützung von Herrn von Beaumarchais' amerikanischen Unternehmungen bereits engagiert zu sein.

Wir haben also zunächst nur an Herrn Necker einen Rückhalt. Dieser bourgeoise Genfer Bankier, dem man die Ordnung der Finanzen Frankreichs anvertraute, aspiriert jedoch leider den Ministerposten und damit eine Hofstellung, und der König, in unbegreiflicher Nachgiebigkeit gegenüber der nivellierenden Zeitströmung, zieht ihn bereits ganz in sein Vertrauen.

So sehr man sich diesen Herrn als ein notwendiges Übel gefallen lassen muß, so gehört er doch ebensowenig in unsere Intimität wie ein Haushofmeister, dem man seinen Weinkeller anvertraut.

Hofften wir bisher, auf die Königin rechnen zu können, – ich glaube sogar, daß Ihr Einfluß, meine Liebe, nicht zu unterschätzen gewesen ist, und der Fall Turgots, der klüger und darum weit gefährlicher war als Necker, auf das vorübergehende politische Interesse der Königin zurückgeführt werden kann, – so ist jetzt, wo die Gräfin Polignac und die Prinzessin Lamballe nichts als ihre teils sentimentalen, teils luxuriösen Neigungen unterstützen und die vergebliche Hoffnung auf einen Thronerben den König ihr entfremdet, keine Rede mehr davon. Sie spielt Komödie, sie tanzt, sie erteilt Schneiderinnen, Künstlern und Poeten Audienzen, – das ist die harmlosere Seite ihres Lebens –, sie erlaubt nicht nur dem Prinzen Artois, sondern auch den Kavalieren des Hofs, ihr zu huldigen als wäre sie keine Königin.

Alle dem gegenüber werden Sie begreifen, daß der Besuch des Deutschen Kaisers von größter Bedeutung ist.

Ich erwarte, daß Sie bereits Ende dieses Monats alle Anstalten zu unserem Straßburger Aufenthalt getroffen haben werden.

Kardinal Prinz Rohan an Delphine

Straßburg, am 18. Oktober 1777.

Es bedurfte also eines gekrönten Hauptes, um unsere schöne Marquise aus der selbstgewählten Verbannung zurückzurufen! Ich war entzückt, als ich auf meiner gestrigen Ausfahrt über den Platz St. Pierre le Jeune, die Pforten Ihres Hotels offen fand, und ich beeile mich, mit diesen Blumen und Konfitüren an die mir hoffentlich nicht immer verschlossene Pforte Ihres Herzens anzupochen. Sie haben für Ihre reizenden Sünden genug gebüßt; ich spreche Sie los und ledig, Frau Marquise!

S. M. der Kaiser wird mir die Ehre erweisen, morgen nach der Parade das Frühstück bei mir einzunehmen. Der Herr Marquis hat seine Teilnahme zugesagt; darf ich auch auf die Ihre rechnen? Ein Fest ohne Sie wäre keins, auch wenn alle Monarchen der Welt zusammen kämen.

Für den »Barbier von Sevilla«, – durch dessen Aufführung wir dem gekrönten Puritaner wohl beweisen wollen, wie wenig wir uns durch die Satire des Stücks getroffen fühlen! –, stelle ich Ihnen meine kleine Loge zur Verfügung. Herr von Beaumarchais, dessen Anwesenheit in Straßburg mich schließen läßt, daß eine politische Intrige in der Luft liegt, wird Sie dort ungestört begrüßen können, nachdem Ihr Herr Gemahl, wie er mir soeben mitteilte, ihn zu empfangen nicht geneigt ist. Sie sehen, schönste Frau, wie ich mich bemühe, Ihre unausgesprochenen Wünsche zu erfüllen. Darf ich dafür hoffen, endlich zu dem Kuß zugelassen zu werden, den Sie mir seit Chantilly schuldig sind?!

Herr von Beaumarchais an Delphine

Straßburg, am 25. Oktober 1777.

Verehrteste Frau Marquise, Sie haben es mir nicht glauben wollen, daß die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Ihnen mir Straßburg anziehender machte als die auf eine mögliche Begegnung mit dem Sohne Maria Theresias? Wir, denen die Politik noch eine Kunst ist, bedürfen der Frauen mehr als die gekrönten Handelsreisenden, die sie als ein Geschäft betreiben.

Nun haben Sie mich zwar mit größter Liebenswürdigkeit begrüßt, – vor dem ganzen Theater, in Ihrer großen Loge, ohne diskrete Vorhänge –, aber ich bin ein zu guter Kenner aller Nuancen des Frauenlächelns, um nicht empfunden zu haben, daß es weniger meinen Handkuß, als das Stirnrunzeln des Herrn Marquis, das sarkastische Lippenkräuseln des Herrn Kardinals hervorzurufen bestimmt war. Ich weiß darum nicht, ob ich die reizende Marquise Montjoie noch als meine Alliierte betrachten darf.

Frauen sind wie Kinder: sie spielen jedes ihrer Spiele mit vollkommener Hingabe, aber ohne die geringste Ausdauer. Wenn es keine Könige gäbe, würde ihr Wankelmut durch nichts übertroffen werden.

In diesem Fall wäre ich fast geneigt, ihn zu entschuldigen. Nicht, weil Sie augenblicklich Mutter spielen und damit mehr tun als Rousseau, der wie alle Priester sich auf bloßes Predigen seiner Lehre beschränkt hat, sondern weil ich selbst häufig genug das Bündnis mit mir brechen möchte.

Sie wissen: seit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ist unseren Philosophen ein Stein von der Seele gefallen, denn sie sehen ihre Ideen verwirklicht, ohne selbst dabei sein zu müssen. Man brüstet sich vor Stolz, daß der Abbé Mably von der jungen Regierung beauftragt wurde, seine Prinzipien der Gesetzgebung zu einem Verfassungsentwurf auszuarbeiten, und man schwärmt begeistert für die kommunistische Demokratie in – Amerika. Ich, der Erste, der Frankreich für Amerika engagierte, müßte mitschwärmen, aber seitdem Herr Franklin die Freiheit und die Gleichheit repräsentiert, bin ich geneigt, die Despotie zu vertreten.

Das Feuer der Begeisterung scheint auch bei den französischen Kämpfern jenseits des Meeres, nach denen Sie, verehrteste Frau Marquise, sich mit solchem Interesse erkundigen, um so niedriger zu brennen, je mehr sie einsehen, daß die Göttin der Freiheit für die biederen Farmer und kleinen Krämer doch nur ein Marktweib ist, das ihre Waren möglichst teuer an den Mann bringen soll. Die Nachrichten über die kriegerischen Erfolge lauten momentan nicht erhebend.

Ich wollte durch eine Politik, die eines Alexander würdig war, die Welt reformieren, aber ich sehe ein, unsere Reformen schädigen uns heute noch mehr als unsere Laster. Darum vertausche ich zu meiner Erholung das Schwert, das sich in dem Riesenviehstall Frankreichs als Ersatz für eine Mistgabel als unzureichend erweist, wieder einmal mit der Feder, die wenigstens spitz genug ist, um einzelne Stücke allgemeinen Unrats aufzuspießen.

Die guten Straßburger hätten es freilich lieber gesehen, wenn der andalusische Barbier aus Sevilla sich über spanische Sitten lustig machen würde, als französische Zustände zu kritisieren; ich habe ihnen zu ihrer Beruhigung versichert, daß ich mein Stück gewiß spanisch geschrieben haben würde, wenn Voltaire seine Lettres anglaises englisch und Montesquieu seine Lettres persanes persisch geschrieben hätten. Daß Sie mir übrigens zum Beifall des Kaisers gratulierten, beweist, wie lange – eine Ewigkeit von anderthalb Jahren! – und wie weit Sie von Paris entfernt sind. Nichts kompromittiert heute mehr als der Applaus der Fürsten, und ich würde gestern an meinem Talent irre geworden sein, wenn ich nicht zwischen dem Deutschen Kaiser in der grünen Uniform und Herrn Benjamin Franklin in dem erdbraunen Quäkerrock eine Ähnlichkeit entdeckt hätte: Beide freuen sich über meine Komödie nur darum so sehr, weil sich ihre eigene Tugendhaftigkeit so strahlend von dem dunklen Hintergründe abhebt.

Darum wird mir auch die Ehre einer Audienz zuteil. Joseph II. ist ein »aufgeklärter« Monarch, der Dichter und Denker zu schätzen weiß. Ich verstehe: wie bisher in der Garküche der Welt alle Gerichte nur deshalb hergestellt wurden, um den Gaumen hoher Herren zu kitzeln, so sind heute Gedanken und Gedichte für sie nichts weiter als Reizmittel für ihren erschlafften geistigen Magen.

Erzählen Sie dem Herrn Marquis von der Ehre dieses Empfangs, dann wird er nicht daran zweifeln, daß ich nur ein öffentlicher Spaßmacher bin, und die Stirn nicht mehr in Falten ziehen, wenn die Lippen eines Aventuriers die schöne Hand seiner Gattin berühren. Bedürfen Sie jedoch eines Funkens, um das Pulverfaß eheherrlichen Zorns zum Explodieren zu bringen, – wie ich fast vermute! – so sehen Sie mich mit Freuden auch zu dieser Rolle bereit. Sie dürften ja von vornherein der Gefahr sich bewußt sein, daß in Ihrer Nähe jeder Funken zur Flamme wird.

Herr von Beaumarchais an Delphine

Straßburg, den 30. Oktober 1777.

Teuerste Marquise – Welch eine Nacht liegt hinter mir! Angesichts der Nachrichten aus Paris sah ich alle Träume meiner Jugend vor mir auferstehen: Helden in Silberrüstung schlugen mit feurigem Schwert die bösen Geister meines skeptischen Alters in die Flucht!

Saratoga gefallen – die Engländer vernichtet – Amerika befreit! Das ist der Anfang einer neuen Epoche der Weltgeschichte! Wäre ich in Paris, ich würde sogar Benjamin Franklin in meine Arme schließen!

Wir müssen die Stunden, die wir durchlebten, festhalten, damit sie unser Leben noch erleuchten, wenn jede Erinnerung sich uns verdunkelte!

Wissen Sie noch, wie ich Ihnen nach der Tafel in der üppigen Bibliothek des Prinzen Rohan, wo es mehr schwellende Sofas und tiefe Polsterstühle als Bücher gibt, die Provinzkomödie schilderte, die Straßburg aus der Tiefe meines Tintenfasses grinsend hatte auftauchen lassen. Ich zeichnete Ihnen gerade die Porträts ihrer Helden: des Kardinals Rohan als des Hauptes aller Gläubigen, wie er in der roten seidenen Soutane, von Spitzen überrieselt, die an Wert eine Diözese aufwiegen, an der weißen Hand einen Brillanten, den die ganze Krone Frankreichs nicht ersetzen könnte, morgens an dem mit Rubinen und Smaragden besetzten Missale die Messe zelebriert und sein »Apage Satanas« gegen alle Aufklärer schleudert; des Prinzen Rohan sodann als des maître de plaisir der besten Gesellschaft, wie er im goldgestickten Surtout mit gemalter Weste, an der jeder Knopf eine kostbare Perle ist, abends vor der beladenen Tafel kleinen Tänzerinnen mitleidig Durst und Hunger stillt und sein Evoë allen Puritanern entgegenjubelt.

Ich höre noch Ihr helles Lachen, – das ich schon ganz verstummt glaubte –, als ich Ihnen auseinandersetzte, daß die beiden Helden notwendig von einem Schauspieler gespielt werden müßten! Und ich sehe noch das Zucken um Ihre Mundwinkel, – war es unterdrückte Freude oder niedergezwungene Empörung?! –, als ich Ihnen verriet, daß meine Bekanntschaft mit diesem Kardinal und Prinzen mir das Rätsel, warum die Theologen sich neuerdings so sehr bemühen, die Göttlichkeit Christi weg zu disputieren, gelöst hat: welch ein Triumph wäre es für die Kirchenfürsten, die Autorität dessen, der die Armut predigte, so erschüttert zu sehen!

Im Augenblick dieser blasphemischen Äußerung hörten wir Türen schlagen, Stühle rücken, lautes Stimmengewirr, – wir traten neugierig in den großen Saal –, es war ein unvergeßlicher Anblick für den Physiognomiker: alle Gemütsbewegungen malten sich auf den Gesichtern, Zorn und Freude, Enttäuschung und Befriedigung, Haß und Liebe.

»Saratoga ist gefallen!«

Die jungen Offiziere ließen die Sporen klirren, das Gefolge des Deutschen Kaisers verbarg hinter blassen festgeschlossenen Lippen seine Wut und affichierte durch sein Schweigen seine monarchische Gesinnung, während französische Aristokraten, ihren Jubel schwer unterdrückend, mich umringten, um mir verständnisvoll die Hand zu schütteln.

Den Grafen von Falkenstein, – wie der Deutsche Kaiser sich zu nennen beliebt, um seines Menschseins ein wenig froh zu werden –, sahen wir in ernstem Gespräch mit dem Kardinal Rohan und dem Marquis Montjoie.

»Sie konspirieren gegen die Freiheit«, sagte ich. Da fühlte ich Ihre Hand auf meinem Arm, sah in ein glühendes Antlitz, in tränenfeuchte Augen und hörte eine süße Stimme flüstern: »Ich bin noch Ihre Alliierte!«

War diese Nacht Fortuna selbst, die ihres Füllhorns ganzen Reichtum über mich auszuschütten im Begriffe stand?! Ich zog Ihre Hand an meinen Mund, der sekundenlang auf der weißen duftenden Haut zu ruhen wagte –, ich sah auf, – noch zitternd wie vom plötzlichen Fieber, da traf mich Ihr Blick –

O, Frau Marquise, ich hatte wahrhaftig vergessen, daß ich Figaro bin – nichts als Figaro!

Wenigstens will ich mich jetzt dieser Rolle würdig erweisen.

Die Ereignisse fordern meine schleunige Anwesenheit in Paris. Dieser Brief, zwischen Nacht und Morgen geschrieben, ist mein schriftlicher Abschied.

Leider muß ich erwarten, daß diese Eile Ihren Beifall findet: Figaro sollte ja Erkundigungen einziehen nach dem »Jugendfreunde«, dem Prinzen Montbéliard. Er wird es tun, und sollte er zu diesem Zwecke den Ozean durchkreuzen müssen! Nur daß er lächelte, als Sie mit dem ernstesten Gesichtchen von dem »Freunde« sprachen, dürfen Sie seiner Menschenkenntnis nicht verargen. Glauben Sie wirklich an eine Freundschaft zwischen Mann und Weib?! Sie ist entweder ein Deckmantel für die Asche ausgebrannter Flammen oder für die Glut entstehender! Trotz alledem: Figaro hält Wort!

Marquis Montjoie an Delphine

Paris, den 5. November 1777.

Meine Liebe! Sie werden inzwischen eingesehen haben, wie sehr ich recht hatte, als ich die Nachricht von unseres Sohnes Erkrankung nicht so tragisch nahm wie Sie und Ihre Abreise von Straßburg zu verhindern suchte. Der Anfall wäre auch ohne Ihre Anwesenheit vorübergegangen. Herr Dr. Tronchin wird Sie gewiß inzwischen über den Zustand des Kindes beruhigt haben.

Erwarten Sie übrigens nicht, daß ich über die eigentliche Ursache Ihrer Abreise und Ihrer Weigerung, mich zu begleiten, im Zweifel wäre. An Ihre überschwengliche Mutterliebe werden Sie mich kaum glauben lassen, nachdem Sie sich bis vor anderthalb Jahren um das Kind gar nicht gekümmert haben und ich seitdem oft genug beobachten mußte, wie Ihr allzu sprechender Blick eher mit einem Ausdruck des Erschreckens als der Zärtlichkeit auf dem Kleinen ruhte. Sie suchen vielmehr jeden Vorwand, um sich von mir fern zu halten. Ihre Auseinandersetzungen über die Gegensätze der Ansichten zwischen uns, die jede Annäherung verhinderten, sind auch nur ein solcher.

Die Ehe ist kein Ministerium, sonst müßten ihre Teile ebenso häufig wechseln wie ein solches; sie ist aber auch kein Liebesverhältnis, sonst würde sie vollends von kürzester Dauer sein. Sie ist vielmehr ein Bündnis zum Zweck der Förderung gemeinsamer Familieninteressen. Von diesem Standpunkt ausgehend, habe ich ein Recht, Ihre Teilnahme an meinen Bestrebungen, die das Ansehen, den Reichtum, die Macht meiner Familie zum Ziele haben, zu fördern. Daß dazu in erster Linie die Sicherung unserer Erbfolge gehört, ist selbstverständlich. Unser Sohn ist, – ich bin, wie Sie sehen, ebensowenig blind wie Sie –, kein erfreulicher Sproß unseres Hauses. Es ist nicht unmöglich, daß er nicht alt wird. Ich, als der Letzte meines Stammes, habe die Verpflichtung, für die Erhaltung meines Geschlechts zu sorgen. Nur deshalb wählte ich ein junges, blühendes Mädchen zu meiner Frau, ohne mich darum zu kümmern, daß sie nichts weniger als eine gute Partie gewesen ist.

Ich denke. Sie verstehen mich jetzt, meine Liebe, und werden sobald ich zurückkehre, Ihr Benehmen danach einrichten.

Mein Aufenthalt hier ist leider nicht so befriedigend, als ich gehofft hatte. Zwar haben unsere Ratschläge den Deutschen Kaiser nicht unbeeinflußt gelassen; seine große Einfachheit wirkt auf den Hof sichtlich beschämend; auch das Volk begeisterte sich vorübergehend für einen schlichten Soldatenrock.

Eine Fischhändlerin, – vermutlich die Geliebte irgend eines Philosophen –, hatte sogar die Keckheit, ihm einen Blumenstrauß mit den Worten zu überreichen: »Wie glücklich muß das Volk sein, das Ihre Tressen zu bezahlen hat.«

Aber im allgemeinen finde ich meine Ansicht bestätigt, daß ein Monarch, wenn er die Loyalität erhalten will, sich der Menge ebenso fern halten soll wie Gott den Gläubigen, den sie auch aufhören würden anzubeten, wenn er ihresgleichen wäre. Der Deutsche Kaiser ging ohne Gefolge spazieren, besuchte die Philosophen, ließ sich von Herrn von Vaucanson seine neue Spinnmaschine, von Buffon die geologischen Perioden erklären, sah in den verschiedensten physikalischen Kabinetten den elektrischen Experimenten zu und schien diesen Dingen eine größere Bedeutung beizulegen als den Fragen der Politik. Nach drei Tagen war er für Paris kein Kaiser mehr.

Ob er gegenüber seinen erlauchten Verwandten seinen Einfluß im Sinne des Friedens geltend gemacht hat, läßt sich heute noch nicht feststellen. Der allgemeinen Stimmung sich zu widersetzen, dazu bedürfte der König eines energischen Ratgebers. Alle Anstrengungen, die von mir und meinen Freunden ausgehen, werden in ihren Folgen von vornherein in Frage gestellt, wenn wir nicht einmal unser eigenes Haus von Leuten wie Herrn von Beaumarchais frei halten können.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, 5. November 1777.

Meine teuerste Marquise! Schon fürchtete ich aus Ihrem Schweigen schließen zu müssen, daß ich Sie in irgendeiner Weise verletzt haben könnte. Und nun begegnet mir das große, unaussprechliche Glück, dessen Fehlen wohl die Einsamkeit der Einsamen so fürchterlich macht: einem Menschen notwendig zu sein!

Sobald ich hier die nötigsten Geschäfte erledigt habe, werde ich auf dem raschesten Wege in Froberg eintreffen. Meine Freude würde mein Mitleid überflügeln, wären Sie nicht sein Gegenstand. Arme Delphine! kaum glaubten Sie sich dem Bann, der auf Ihnen lag, durch den Straßburger Aufenthalt ein wenig entrissen zu haben, als er Sie durch die schreckenerregenden Krämpfe des Kindes wieder in seine Gewalt bekam; und nicht genug, daß die Angst Sie peinigt. Sie überlassen sich auch in grausamer Selbstquälerei den Vorwürfen eines allzu zarten Gewissens.

Ist es Ihre Schuld, daß Sie, wie Herr Dr. Tronchin Ihnen sagte, zu früh Mutter wurden? Ist es nicht Schuld der Gesellschaft, die es zur Sitte werden ließ, daß die Töchter vornehmer Familien so früh als möglich – verkauft werden? Ist es Ihre Schuld, daß Sie nicht warten durften, bis Ihr Herz und Ihre Sinne den Vater Ihres Kindes wählten? Oder ist es nicht abermals die unsühnbare Schuld einer bis ins innerste Mark hinein verdorbenen Gesellschaft, daß sie die Ehe zu einem Geschäft erniedrigte und damit die Liebe zu einem Laster werden ließ? Ist es wirklich Ihre Schuld, daß der zarte Knabe einer derben Bäuerin zur Pflege anvertraut wurde? Kein Gärtner ist in seinem Fach so ungebildet, daß er eine blasse Treibhausrose in einen Küchengarten der Vogesen verpflanzen würde, aber die Gesellschaft rühmt sich, ihre Glieder dann am besten erzogen zu haben, wenn sie sich am weitesten von den Gesetzen der Natur entfernen.

Ich möchte Ihre Seele heilen, Frau Marquise, damit Sie die Dolchklingen des Gewissens nicht mehr selbstmörderisch gegen sich selber zückten, sondern gegen die großen Verbrecher wider die Natur: Staat und Gesellschaft. Die Zeit kann nicht mehr fern sein, wo sich alle seine unschuldigen Opfer wider ihn erheben. Wie Sturmzeichen wirkte schon der Fall von Saratoga auf die Pariser: arme Handwerker und kleine Staatsbeamte, die bis vor kurzem zu denken sich nicht erlaubten, sah ich mit erhitzten Köpfen und aufgeregten Gebärden im Garten des Palais-Royal zusammenströmen, als die Botschaft vom Siege der Freiheitskämpfer sich verbreitete; einer von ihnen, ein stubenblasser Schneider, sprang auf einen Stuhl und rief mit einer Stimme, die seine schmale Brust zu sprengen schien: »Nun, Europa, folge nach!« Eine Stunde später war sein Aufruf zum Refrain eines Liedes geworden, das heute schon die Kinder in den Höfen singen.

Sie schrieben von dem einsamen Winter in Froberg, als ob Sie sich darum bei mir entschuldigen müßten. Unsere hoffnungsvollen Träume sollen ihn bevölkern!

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 16. April 1778.

Verehrte Frau Marquise. Seit meinem Abschied von Straßburg ist fast ein halbes Jahr verflossen.

Mit den Farben der schönsten Frau geschmückt, vertraute ich mich, ein zweiter Bayard, den Meereswogen an und lenkte mein Schiff durch wilde Stürme und drohende Klippen dem fernen Ziele zu, das sie mir bestimmt hatte. An unwirtlicher Küste warf mich ein rasender Orkan ans Land. Mein Schwert hieb mir Bahn durch dunkle Urwälder, streckte gräßliche Ungeheuer vor mir nieder, verteidigte mein Leben gegen Horden feindlicher Rothäute und führte mich schließlich, sieggekrönt, in die Stadt der weißen Marmorpaläste und goldenen Bildsäulen. Vor dem Tempel der Freiheit, der wie die Sonne leuchtet, von Rosenbäumen, die hoch und stark sind wie unsere Eichen, dicht umgeben, fand ich die Helden Frankreichs auf purpurnem Pfühle von ihren Taten ruhen; die holdesten Töchter des Landes wuschen den Staub von ihren Füßen und boten ihnen lächelnd die Blüte ihrer Jugend dar.

Sie schütteln den Kopf, Frau Marquise, Sie glauben mir nicht? Sie behaupten, Beaumarchais habe Frankreich nicht verlassen? Wissen Sie vielleicht ebenso genau, wo Figaro inzwischen gewesen ist?! Mit Eiden, so heilig wie das Keuschheitsgelübde der Priester und der Treueschwur der Gatten, bezeuge ich Ihnen, daß er vor dem Tempel der Freiheit seine Andacht verrichtete und den Prinzen Montbéliard, den tapferen Kämpen, begrüßte.

Sie glauben mir noch nicht, Frau Marquise?! Wehe, wenn sogar bei Ihnen die verderbte Zeit den Glauben an die unverbrüchliche Heiligkeit des Eides zerstörte!!

Kurz und gut: der Prinz ist gesund, hat sich geschlagen wie ein Franzose, wird angebetet wie Apoll und ist keusch wie Joseph.

Nicht wahr, nun blättern Sie geärgert die nächsten Seiten meines Briefes um: »Habe ich ihm erlaubt, mir mehr zu schreiben?!« sagen Sie. Und doch müssen Sie mir zuhören, denn durch mich kommt in diesem Augenblick nicht nur Paris, sondern die Welt zu Ihnen, nachdem Jean-Jacques Sie dem einen entzog, der anderen entfremdete.

Voltaire ist in Paris! Das Pariser Parlament verbrannte seine Bücher, die französische Regierung trieb ihn aus seinem Vaterlande, aber seine Ideen stiegen, die Welt erleuchtend, aus dem Scheiterhaufen bloßen Papiers, und jedes Jahr seiner Verbannung bahnte ihm mit Feuer und Schwert den Weg nach Frankreich.

Das Erscheinen eines Propheten und Apostels hätte in Paris keine größere Begeisterung entfachen können als das seine. Alle anderen Interessen traten zurück: die Kriegsgerüchte, die Hofintrigen, selbst der große Kampf zwischen den Piccinisten und den Gluckisten. Das Parlament verstummte, die Sorbonne zitterte, die Enzyklopädisten, die sich sonst als Riesen gebärdeten, erschienen wie Zwerge. Und der König, eben gewillt, sich daran zu erinnern, daß der Ausweisungsbefehl gegen Voltaire noch nicht aufgehoben ist, fühlte plötzlich, daß es größere Mächte gibt als die der Majestät von Frankreich.

Nach Voltaires Ankunft drängte sich ganz Paris zu seiner Huldigung und mit jenem Esprit, jener Grazie und Höflichkeit, die nur er aus der Vergangenheit in die rauhe Gegenwart hinübergerettet hat, antwortete er jedem einzelnen.

Dann kam der Tag, der die Erfüllung seines Lebens war. Mittags empfing ihn die Akademie; sämtliche ihrer Mitglieder mit Ausnahme der Bischöfe, die sich hatten entschuldigen lassen, gingen ihm bis zum Portal entgegen, – eine Ehre, die noch keinem, selbst dem Könige nicht, zuteil geworden ist. Er stieg aus der Kalesche: klein und schmal mit der grauen Perücke, wie er sie schon vor vierzig Jahren trug, über der blassen Stirn, dem roten pelzverbrämten Samtrock um die fleischlosen Glieder und den breiten Spitzenmanschetten über den schmalen gelben Händen, deren lange Finger an die Krallen seines Geistes gemahnten, die er, ein blutdürstiges Raubtier, allem niedrigen Gezücht in die Flanken schlug, – da neigten sich jene Unsterblichen, die ohne ihn sehr sterblich geblieben wären, vor einem einzigen blitzartig aufzuckenden Blick seiner Augen.

Doch die Huldigungen der Akademie waren nur das Präludium dessen, was ihn im Theater der Nation erwartete. Der Einzug eines Triumphators war schon sein Weg vom alten Louvre bis zu den Tuilerien: Tausende säumten die Straße, alle Rangunterschiede vergessend; die roten Hacken der Kavaliere berührten sich mit den Holzschuhen der Handwerker, die seidenen Polonaisen der Damen mit den blauen Schürzen der Mägde. Im Theater empfing ihn frenetischer Jubel. Alles erhob sich, als er eintrat; von der ungeheuren Bewegung zitterten die Kerzen, das Rauschen der Kleider war wie fernes Wellenbrausen, und als eine reizende Schöne das greise Haupt des großen Mannes mit Lorbeer krönte und alle Blumen, die eben noch Haar und Busen der Frauen geschmückt hatten, ihm zuflogen, da schien der Augenblick gekommen, wo Intoleranz und Fanatismus, gefesselte Giganten, der Göttin Vernunft zu Füßen gezwungen wurden.

Dunkle Nacht empfing den Gefeierten, als das Theater sich hinter ihm schloß; aber kaum erschien er auf der Freitreppe, so flammten schon ringsumher Fackeln auf, unter denen sich eine unabsehbare schwarze Menschenflut auf und ab bewegte. War sein Antlitz bisher fast unbewegt geblieben, so sah ich ihn jetzt erbleichen, sah seine Augen sich weiten, sah wie die Arme, die eben noch schwer auf den Schultern seiner Begleiter gelegen hatten, sich aufwärts bewegten, wie die wächsernen Hände sich streckten.

Der Priester der zukünftigen Religion segnete die Menge. Ihr feierliches Schweigen bewies, daß sie ihn verstand.

Im Augenblick aber, da er, wieder ein müder Greis, auf die Freunde gestützt, die Stufen hinabzuschreiten begann, rief einer von unten, den niemand sah, der aber die Stimme aller zu sein schien, mit dem getragenen Tonfall des psalmierenden Kirchenchors:

»Je suis fils de Brutus et je porte dans mon coeur
La liberté gravée et les rois en horreur.«

Im Takt seiner eigenen Verse, die, ein unendliches Echo, von der Menschenmauer zu beiden Seiten der Straße widerklangen, fuhr Voltaire durch die Straßen. Erst die Ehrfurcht vor dem Schlaf des Erschöpften brachte sie vor seinem Hause zum Verstummen.

Daß uns unser gefährlicher Konkurrent, die Weltgeschichte, mit ihren großen Tragödien und kostbaren Lustspielen immer wieder als jämmerliche Stümper erscheinen läßt, sind wir nachgerade gewöhnt, daß sie uns aber auch mit der Aufführung der ergreifendsten Pantomime zuvorkam, ist beschämend. Herr Cochin, der Sekretär der Kunstakademie, der nicht aufhört zu verkünden, die Zukunft der Bühne gehöre der Pantomime, darf heute neben Voltaire den Triumphator spielen.

Nur in der Moral könnte die Weltgeschichte von uns Komödienschreibern lernen: wir entlassen unser Publikum im Augenblick der höchsten Gefühle: in seinem Schnupftuch trägt es seine Rührung, seine Erschütterung und Begeisterung nach Hause, wenn das Stück zu Ende ist.

Aber die Weltgeschichte! – hören Sie selbst:

Herr von Voltaire fühlte sich leidend –, sei es, daß er zu viel vom Champagner der Huldigungen getrunken hatte oder zu wenig, denn die Flasche aus den königlichen Kellern fehlte noch! – man schickte ihm den Arzt, aber er verlangte nach – dem Priester. Der Abbé Gauthier kam in fliegender Eile; es galt einen fetten Bissen für die Kirche! In einem Schlafgemach, das mehr dem Tempel der Wollust als dem Heiligtum der Musen glich, – Herr von Billette, Voltaires Freund und Gastgeber, huldigt wie die Weisen Griechenlands dem Kultus jener Liebe, die unsere christliche Moral zwar verdammt, unsere antike Bildung aber großzüchtet –, nahm er die Beichte des Ketzers entgegen. Wäre der Kranke gleich danach gestorben, sein letztes Wort würde nicht, wie wir großen Dichter es auf der Bühne wirkungsvoll arrangiert haben würden, »écrasez l'infâme« gewesen sein, sondern: »ich sterbe in der heiligen katholischen Religion . . .«

Daß der König ihn trotz dieses reumütigen Bekenntnisses nicht empfing, als er wieder genesen war, hat Herrn von Voltaire sehr gekränkt!

Aber unsere große Pantomime hatte noch mehr Mitwirkende, denken Sie. Das Alter hinderte den Patriarchen, die Rolle des Helden bis zu Ende zu spielen, das Schwert wurde ihm zu schwer. Die, die ihm zujubelten, nahmen es auf.

Es scheint mir nachgerade, daß es törichter ist, den Glauben an die Menschen zu bewahren als den an Gott und alle Heiligen. Denn trotz aller Beweise der Atheisten und der tausendneunundneunzig Paragraphen des Baron Holbach gibt es schlagendere gegen den Menschen- als gegen den Gottesglauben.

Zwei Tage nach dem Triumph Voltaires führte mich die Neugierde zu einem gewissen Herrn Mesmer, dem als Helfer in allen Leibesnöten ein geheimnisvoller Ruf vorangeht. Um einen Tisch fand ich dicht gedrängt eine Menge Menschen sitzen. Mit dem Ausdruck inbrünstiger Andacht drückte ein jeder das Ende eines Stahlrohrs, das aus dem Tisch hervorragte, an irgend einen, auch den unbeschreiblichsten Körperteil. Dazu spielte ein schwarzgekleideter Mann Harmonika, und ein anderer ging feierlichen Schrittes hin und her, die Fingerspitzen seiner Hände sekundenlang auf die Köpfe der Sitzenden pressend. Es waren Leute mit klingendem Namen darunter, – die Herzogin von Granville, der Graf von Artois und sogar einer Ihrer »Freunde«, der Graf Chevreuse –, manche von ihnen hatten vorgestern erst Voltaires Hand an die Lippen gezogen. Und heute glauben sie an die magnetische Zauberei Herrn Mesmers und würden ihm am liebsten die unheilbarste aller Kranken anvertrauen: Madame la France, – schon um Herrn Necker endlich wieder los zu werden!

Finden Sie nun nicht auch, schönste Frau, daß die Wirklichkeit ein miserables Stück ist?! Wo bleibt die Einheit der Handlung, die Steigerung des Konflikts, die erhebende Lösung?!

Wenn ich nicht wüßte, daß Sie in der Wüste leben, – gibt es außerhalb von Paris etwas anderes? –, ich würde mich dieses Briefes wegen entschuldigen, der mehr für die schwarzen Setzerfinger des Mercure de France als für die weißen Hände der reizenden Marquise bestimmt scheint.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Paris, 19. Juli 1778.

Ein Brief aus dem Jenseits, meine liebe Marquise, hätte mich nicht mehr überraschen können als der Ihre! Sie waren verschollen, wohl auf irgend eine selige Insel entführt, in Gesellschaft eines deutschen Philosophen, – kann man deutlicher zeigen, für uns eine Verstorbene sein zu wollen?

Sie fragen nach der neuesten Attraktion von Paris, Herrn Mesmer, bei dem mich Ihr geheimer Berichterstatter beobachtet haben will. Natürlich hat er richtig gesehen. Ich versäume grundsätzlich keine Sensation, weder die Menschenrechte, noch den Magnetismus. Es ist so wundervoll, sich auf die Freiheit berufen zu können, wenn man nichts anderes tun möchte, als was einem gefällt, und auf die Gleichheit, wenn man ein kleines Vorstadtmädchen verführen will! Da ich nun, wie Sie wissen, seit zwei Jahren am Herzen leide, ging ich zu Doktor Mesmer. Er heilte mich nicht, – seinem Magnetismus wirkt offenbar ein stärkerer entgegen! – aber sonst heilt er alles, selbst chronischen Blödsinn. Wir sind infolgedessen in Versailles erstaunlich geistreich geworden. Wollen Sie ernstere Beweise für seine Zauberkünste? Fragen Sie die Gräfin Polignac, die ihre Vapeurs, den Herrn von Champcenetz, der seine böse Zunge verloren hat, die Prinzessin Guéménée, die einen üppigen Busen bekam, und den Herzog von Orleans, dem die Haare wieder gewachsen sind. Am besten tun Sie aber, wenn Sie selber kommen! Mesmer heilt Ihren Sohn von seiner Krankheit, und Paris heilt Sie von der Philosophie.

Seit der Deklaration unseres offenen Bündnisses mit Amerika sind wir der Reden satt geworden und dürsten nach Taten: Der Herzog von Chartres, der im Gefecht von Quessant das erste Pulver gerochen hatte, wurde in der Oper gefeiert wie ein zweiter Turenne. Kriegshelden mit Lorbeeren zu schmücken ist etwas Neues für die Pariser und sich freuen zu können, ist, nachdem sie seit Wochen keine Zeit mehr hatten, lustig zu sein, ein so erfrischender Zustand, daß sie Siegeshymnen singen, wenn ein Franzose einem Engländer auch nur einen Nasenstüber versetzt.

Voltaire und Rousseau zu betrauern war notwendig, in Rücksicht auf unser Ansehen in Europa, aber im Grunde sind Berühmtheiten unbequem. Auch die Kinder amüsieren sich besser, wenn die Alten nicht daneben sitzen, übrigens hat Jean-Jacques noch seinen letzten Atemzug benutzt, um seinen Rivalen Voltaire, den der Ruhm und der Tod ihm vorgezogen haben, einen Denkzettel auf den letzten Weg zu geben:

Plus bel esprit que beau génie
Sans foi, sans honneur, dans vertu.
Il mourut comme il a vécu
Couvert de gloire et d'infamie.

Eine Freundin der Philosophen, der es wohl darum zu tun war, im Himmel ihren Salon rasch zu eröffnen, ehe Voltaire und Rousseau sich von der Geoffrin oder der Lespinasse einfangen ließen, die Marquise du Chatelet, ist vor ihnen gestorben. Infolge einer Frühgeburt –, müßte man nicht bei ihren Jahren eher von einer Spätgeburt sprechen?! Ihr Mann, der Marquis, war sehr verzweifelt und versicherte jedem Kondolierenden, daß er an ihrem Tode vollständig unschuldig sei. Als ob irgend jemand daran zweifeln könnte!

Wenn Sie sich entschließen, rasch zu kommen, teuerste Delphine, so würde die Königin sich freuen, Sie auf ihrem Sommerfest in Trianon, das diesmal dem Andenken griechischer Götter geweiht ist, begrüßen zu können. Seit Herr Laharpe Sophokles übersetzt, sind wir sehr klassisch geworden, und ich würde für die Antike schwärmen, wenn die reizende Marquise Delphine im Gewande olympischer Göttinnen an unseren Spielen teilnehmen wollte.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 30. Juli 1778.

Teuerste Frau Marquise. Sie fühlten, daß ich schweren Herzens von Ihnen ging; kein Opfer würde mir zu groß sein, wenn ich Ihnen damit nur eine frohe Stunde zu bereiten vermöchte. Was Sie jetzt von mir verlangen, ist aber nicht nur darum so schwer, weil ich meiner Überzeugung und meiner Erkenntnis zuwider handeln muß, indem ich einen Charlatan, wie diesen Herrn Mesmer, ernst nehme, sondern mehr noch deshalb, weil ich keine Hilfe von ihm erwarte.

Ich bin gleich nach meiner Ankunft zu ihm gegangen, habe ihm, – an dem nur die hellen, fast völlig farblosen Augen, die einem Wassertropfen gleichen, in dem sich ein Sonnenstrahl bricht, merkwürdig sind –, den Zustand Ihres Kindes geschildert: seine Apathie, seine Wutanfälle, seine grundlosen Tränenströme, seine Neigung zur Grausamkeit, sein Sprechen, das mehr dem Stöhnen eines wilden Tieres gleicht.

Er unterbrach mich mit keiner Silbe und frug danach nur nach Ihnen, nach der Amme und nach dem Vater des Kindes. »Ich will es versuchen«, sagte er dann; nichts weiter. Dutzende Wartender lösten mich ab. Die Erkundigungen, die ich über den Mann einzog, lauten sehr widersprechend: Die einen lachen und erklären ihn für einen Schwindler, den andern gilt er als Wundertäter. Da dieselben Enthusiasten mir aber zu gleicher Zeit von den Wundern des Herrn Sage, der Gold zu machen versteht, und des Herrn Dufour, der Wahnsinnige heilen soll, erzählten, so habe ich den Berichten von den Erfolgen des Mesmerschen Magnetismus wenig Glauben zu schenken vermocht. Aber den Versuch zu unterlassen, würde Sie wahrscheinlich noch mehr quälen, als wenn er sich schließlich als ein vergeblicher erweist, darum wage ich nicht, Sie zu beeinflussen.

Was ich empfinde, seit ich Froberg verließ, ist unsagbar. Die vergangenen Monate sehen mich an wie Freunde, die wir um so zärtlicher lieben, je mehr ihr Antlitz von Leid durchfurcht ist. Jeder Tag war ein Kampf mit dem kleinen wilden Tier, das seiner eigenen, wundervollen Mutter das Herz zerreißt und über nichts kreischender lacht als über ihre Tränen.

Aber dann kamen die Abende mit Ihnen, Delphine! Im Dunkel der Fensternische hörte ich Ihrem Harfenspiel zu; am Tisch unter dem rosigen Lichte der Lampe lauschten Sie mir, wenn ich Rousseau, Voltaire, Diderot und dazwischen die herrlichen Verse junger deutscher Dichter, eines Bürger, eines Goethe las. Und oft schwiegen wir zusammen, wie nur sehr Vertraute miteinander schweigen können. Die Stunden verflogen; mit müden Augen starrten Sie mich an; ich war vermessen genug, zu wähnen, daß Sie von mir sich nicht zu trennen vermöchten.

Bis ich eines Nachts hörte –, ich sprach niemals davon, Sie sollten sich vor mir nicht schämen müssen. – Aber von da an stand ich allnächtlich vor Ihrer Türe, bereit, sie einzustoßen und den Mann von Ihrer Seite zu reißen, der, weil er Sie zwang, seinen Namen zu tragen, ein Recht über Sie zu haben glaubt. Wußte er von dem Wachtposten? Fürchtete er die Wiederholung des auch für sein abgestumpftes Gefühl nicht gerade ehrenvollen Ringkampfs mit einer Frau? Oder klang ihm noch der Schrei in den Ohren, mit dem die Verzweifelte ihn von sich stieß: »Ich will keine zweite Mißgeburt von dir!«

Zürnen Sie mir nicht, daß ich an das schreckliche Geheimnis rühre. Ich konnte nicht anders. Sie sollen sicher sein, daß ein Mensch lebt, der noch als Leiche den Weg zu Ihnen versperren würde, daß Sie einen Freund besitzen, den die ungeheuerlichste Tat nicht zu schrecken vermöchte, wenn sie der Preis Ihres Glückes wäre.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 8. August 1778.

Holdseligste! Ist es möglich, daß die entzückende Frau in dem rührenden weißen Leinenkleide, mit der breiten Bergère auf den offenen Locken, den Namen derer trägt, die ich einst anbetete?

Sie war eine stolze Marquise; herrisch klapperten ihre Stöckelschuhe über das Parkett von Versailles; in ihren Augen lachte der Leichtsinn, ihre Lippen waren leuchtend rot. Aber diese Delphine, der ich gestern begegnete, schwebt auf weichen Sohlen über den Rasenteppich, ihre Augen sind tief und von Geheimnissen voll wie das Meer in der Mondnacht, ihre Lippen sind blaß wie ungeküßte Mädchenlippen.

Ich bin untreu aus Grundsatz; wer Treue glaubt fordern zu müssen, hat Liebe schon verraten. Und Sie, schönste Delphine, liebte ich viel zu heiß, als daß ich Ihnen hätte treu sein können. Gibt es einen stärkeren Beweis für meine Untreue, als daß ich mich Ihnen heute zu Füßen werfe? Mit der ganzen wundervollen Wandlungsfähigkeit des Weibes, die sich der Natur anpaßt wie die Blume dem Frühling, dem Sommer, der Nacht, dem Morgen, dem Regen und dem Sonnenschein, – immer dieselbe und doch immer eine andere, – sind Sie eine neue Delphine geworden. Diese, nur diese liebe ich –, und werde sie hoffnungslos lieben müssen. Denn an meinem Gesicht ging das Schicksal, der große formende Künstler, achtlos vorüber, und nur der Stümper, die Zeit, pinselte zum Ersatz ein paar winzige Fältchen hinein.

Ich will Sie nicht täuschen, Delphine; wenn ich philosophiere wie jetzt, bin ich darum noch kein Philosoph. Nur eine Wissenschaft habe ich studiert: die Liebe. Und so gewiß wie einst, als ich so glücklich war, Daphnis in ihre süßesten Mysterien einzuweihen, weiß ich heute, daß Delphine nach ihr verschmachtet.

Herr von Altenau erzählte neulich mit einem Stolz, als wäre es sein Werk, von den Büchern, die Sie gelesen, von den wohltätigen Anstalten, die Sie in Froberg gegründet haben. Ich sah indessen zu Ihnen hinüber, in Ihr schmales Gesicht, Ihre trauernden Augen, und mich fröstelte. Wissen Sie, warum unsere Königin unersättlich von einem Fest zum andern hetzt und nicht genug kühle Edelsteine haben kann, um die heiße Haut zu bedecken? Wissen Sie, warum die Marquise de Nesle und die Gräfin de Pons sich für die chemischen Experimente des Herrn Rouelle begeistern, und warum die kleine Coigny gelernt hat, Leichen zu sezieren?! Weil die Liebe an ihnen vorüberging, weil sie sie – aus Feigheit oder Sittsamkeit?! – vorübergehen ließen! Sie haben einen Gatten –, bedeutet das Liebe haben? Sie hatten wohl auch einen Geliebten –, heißt das die Liebe erschöpfen? Sie ist tief wie das Meer, reich wie das Herz der Erde, mannigfaltig wie ihr Kleid. Ihr Gegenstand mag wechseln wie die Generationen auf Erden; sie selber bleibt. Aber brächte die Erde keine Menschen hervor, existierte sie dann? Wer sähe, wer fühlte, wer besänge ihre Pracht!

Frauen altern rascher als Männer, sagt man. Weil Männer länger lieben. Ninon de l'Enclos war ewig jung, weil sie immer liebte.

Wird Daphnis gestatten, daß ich Delphine in meine Schule nehme?

Johann von Altenau an Delphine

Paris, den 25. August 1778.

Sie beriefen sich auf meinen letzten Brief, teure Marquise, verlangten von mir, daß ich Ihr Haus verlasse, Ihre Nähe meide, weil Herr Mesmer die Wirkung seiner Kur durch meinen dem seinen widerstehenden Magnetismus gefährdet glaubt! Obwohl ich genau weiß, daß Herr Mesmer nicht meinen Magnetismus, sondern meinen klaren Blick und meine Zweifel fürchtet, die ihm einen so wertvollen Patienten entziehen könnten, habe ich gehorcht. Ich bin ohne Abschied bei Nacht und Nebel wie ein Verbrecher von Ihnen gegangen. Ich hätte mich sonst vielleicht nicht beherrschen können.

Während eines unserer letzten langen Gespräche sagten Sie: »Wie viel glücklicher sind Homers Zeitgenossen gewesen als wir! Jeder Baum und jede Quelle war von Dryaden und Nymphen bewohnt; für uns ist sogar der Himmel leer geworden!« Ersetzt nicht aber unser Wissen den verlorenen Glauben, ist es notwendig, die Leere wieder mit Phantomen zu füllen, auf Hexenmeister und Zaubersprüche zu vertrauen, wie im dunkelsten Mittelalter? Sie sind müde, teuerste Delphine, von schlaflosen Nächten, erschöpft von selbstquälerischen Gedanken; sonst würden Sie nicht an all der Erkenntnis irre werden, die Sie vor kurzem noch reich und stark gemacht hat. Sie arbeiten an dem gräßlichen Werk der Selbstzerstörung, und das alles um eines Geschöpfes willen, das schlimmer ist als ein Tier. Noch einmal flehe ich Sie an: bringen Sie diesem Kinde, das kein Lebensrecht besitzt und in einer Anstalt für Unheilbare am besten untergebracht wäre, nicht sich selbst zum Opfer. Ich weiß, Sie antworten wie so oft: »Was habe ich dann noch vom Leben?« Das Leben, Delphine! Als ihr Freund, der seinen kühnsten Traum, Ihr Führer in eine neue Welt sein zu dürfen, begraben hat, spreche ich zu Ihnen.

Sie klagen um die entgötterte Welt. Und doch gibt es eine Macht, die alle Götter Himmels und der Erde zu ersetzen vermag. Sie sieht tiefer in die Herzen der Menschen, als sie selber sehen, sie gewährt sichereren Schutz, als je ein Gott hat gewähren können, und verleiht stärkere Kraft als der Glaube, der Berge versetzte. Weil ich mich ihr ergab, von dem Augenblick an, da Delphine Laval in mein Leben trat, habe ich in Ihrem Innern lesen können wie in einem aufgeschlagenen Buch. Ich fand ein verschüttetes Gefühl, eine schlafende Hoffnung; die Glut meiner Sinne malte mir ein leuchtendes Bild eigenen Glückes, so daß ich nicht sehen wollte, was ich sah. Jetzt, da ich weiß, daß ich die Frau, die ich mit der ganzen Kraft meines Herzens liebe, nie mein eigen nennen kann, will ich sie wenigstens vor ihrem größten Feinde, sich selber, retten.

Sie lieben. Ihr Stolz verbietet Ihnen nur, es sich einzugestehen. Sie hoffen. Ihr krankes Gewissen hindert Sie nur, diese Hoffnung zu Ihrer Lebenskraft werden zu lassen. Haben Sie den Mut zu sich selbst. Erhalten Sie sich dem Manne, der in die Fremde ging, weil er sich von Ihnen verlassen glaubte.

Jedes Wort, das ich schreibe, stößt mir den Stahl tiefer ins Herz. Einerlei. Meine erste Aufgabe im Leben ist Ihr Glück.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 18. September 1778.

Wie soll ich Ihnen danken für die Wohltat Ihrer Zeilen, teuerste Delphine, die am deutlichsten durch das sprechen, was sie verschweigen. Sie nennen mich Ihren einzigen Freund, denn nur Freundschaft, sagen Sie, vermag selbstlos zu sein. Sie wollen mir dadurch beweisen, daß ich mich über meine eigenen Gefühle täusche! – Ich soll Ihnen weiter ein Freund sein, soll Ihnen sagen, wie es mir geht.

Ich möchte darauf nicht mit banalen Phrasen antworten, sondern lieber versuchen, unsere Gespräche von einst fortzusetzen, also möglichst unpersönlich zu sein. Die Eindrücke, die ich bei der Rückkehr in meine alten Kreise empfing, sind bedeutungsvoll genug, um Ihnen dargestellt werden zu müssen.

Seit dem Tode unserer großen Vorkämpfer beherrscht eine tiefe Depression die Geister. Wir sehen uns einer neuen Generation gegenüber, finden eine beunruhigte, fiebernde, auch oft sentimentale Menge, in der das Vulgäre dominiert. Die wenigen Alten, die blieben, haben an Kraft und Einfluß verloren, sind in Cliquen zerrissen. Sollte die Zeit der Enzyklopädisten vorüber sein, ohne daß aus ihrem Samen die Frucht erwächst, für die wir allein gearbeitet haben?

Die Verfolgungen früherer Tage haben sie groß und stark gemacht. Um sich vor ihnen zu schützen, galt es alle Kräfte anzuspannen, galt es, sich fest zusammenzuschließen und mit dem Feuer ernster Überzeugung die geistige Welt zu erobern. So nur konnte im brandenden Meer des öffentlichen Lebens der Leuchtturm der Enzyklopädie errichtet werden, von dessen Spitze seine Erbauer das ganze Universum übersahen und allen Schiffen Richtung gaben. Ist nicht schon das Eine bezeichnend genug, daß die Männer, die dieses Werk geschaffen haben, heute für den Mercure de France Tagesartikel schreiben?!

Dann kam die Zeit, wo Europa die Verfolgten zu ihren Helden machte, wo der Ruhm eines Voltaire, eines Montesquieu, eines Rousseau über die Scheiterhaufen, auf denen ihre Bücher immer noch verbrannten, triumphierte, wo unterdrückte Menschlichkeit, vergewaltigte Unschuld bei dem Patriarchen von Ferney Zuflucht fand, und in seinem Namen Vernunft und Gerechtigkeit oft genug über alle Gewalthaber der Welt den Sieg errang.

Die Verfolgungen ließen nach; einige Prinzipien der Philosophen gelangten zu allgemeiner Anerkennung, ihre Ideen hatten sich, wie die Samenfäden von Bäumen und Blumen, von ihnen losgelöst und erfüllten die Luft. Aber indessen lockerte sich die Einheit der Menschen; Rousseaus Trennung von den Enzyklopädisten machte die innere Zerrissenheit zu einem öffentlichen Skandal. Seine Opposition gegen den Materialismus Holbachs und seiner Anhänger zeigte deutlich, daß auch die mit solcher Sicherheit verkündeten Überzeugungen und Erkenntnisse auf schwankendem Boden stehen.

Die Vertreter der Kirche und der Regierung, ja der Hof von Versailles selbst hörten auf, die Philosophen zu fürchten. Voltaires Triumphtag in Paris war seine Niederlage.

Als ich mich gestern, in meine pessimistischen Gedanken verloren, im Café de la Régence befand, traf ich Herrn Gaillard, mit dem ich mich lange unterhielt. Er lachte über meine Niedergeschlagenheit – kein freudiges, sondern ein hartes Lachen. »Was tut's, daß Rousseau ein Schwächling, Voltaire ein Verräter seiner eigenen Lehre war,« sagte er. »Die Ideen der Denker zeugen erst die Männer der Tat.« Ich glaubte, er spiele auf Necker an, dessen Tätigkeit im Volk eine so laute Anerkennung findet. Er lachte noch einmal. »Necker?!« rief er höhnend, »ein Mensch, der in seinen Schriften und öffentlichen Reden dem Volke schmeichelt, und im geheimen mit dem König die Waffen des Despotismus schleift!«

Am Abend führte er mich in seinen Klub, wo ich Zeuge leidenschaftlicher Diskussionen war. Junge Leute aus dem Bürgerstande überboten sich in wüstem Geschimpf auf alles Bestehende. Religion, Monarchie, Kunst, Frauen, selbst der sonst so verherrlichte amerikanische Freiheitskrieg, – nichts blieb von ihrem bitteren Spott verschont. Mißmutig wandte ich mich zum Gehen; Gaillard begleitete mich. »Sind das Ihre Männer der Tat?« frug ich ihn. »Gewiß,« antwortete er; »um bauen zu können, muß man erst einreißen.«

Vor dem Palais Royal begegneten wir übrigens dem Marquis, der sich zu spät in seinen weiten Mantel hüllte, um nicht erkannt zu werden. »Er ist ein häufiger Gast in den Hinterzimmern meiner Mutter,« sagte Herr Gaillard. Mir scheint, teuerste Delphine, daß eine solche Entdeckung Sie vollends jeder Rücksicht entbindet. Ich werde natürlich nicht versäumen, seiner Spur zu folgen, um Ihnen eine sichere Handhabe gegen ihn liefern zu können.

In vier Wochen also entscheidet sich das Geschick des Kindes; ich nehme an, Herr Mesmer wird klug genug sein, diese Entscheidung um abermals vier Wochen hinauszuschieben!

Graf Guibert an Delphine

Paris, den 25. September 1778

Ihre Rückkehr, verehrteste Marquise, hat mich mit den schönsten Hoffnungen erfüllt. Paris ist sehr öde geworden in den Jahren, die Sie fortgewesen sind. Der Salon Necker konnte, das brauche ich Ihnen kaum noch zu versichern, Menschen wie mir kein geistiges Obdach bieten. Sie selbst fühlten sich, wie ich bemerkte, recht unbehaglich im Kreise des Hauses, neben dem sentenzenreichen, tugendstolzen Minister, der nüchternen klugen Frau, dem frühreifen Töchterchen, dessen schriftstellerische Leistungen die Gäste zu bewundern genötigt wurden. Die Luft des achtzehnten Jahrhunderts weht hier nicht, und wenn es die des neunzehnten sein sollte, so möchte ich es nicht erleben.

Übrigens ist der Salon Necker typisch für alle jene vielen anderen, die heute, dank ihres Reichtums, den Ton angeben, Künstler protegieren und Kunstwerke sammeln. Wie ihre Frauen sich nur für die anderen anziehen, in der Intimität der Familie aber den ganzen Tag im Négligé bleiben, so schmücken sie ihre Zimmer mit berühmten Namen nicht zur Bereicherung ihres eigenen Lebens, sondern für den Eindruck nach außen. Sie können nicht anders, daher verzeihe man ihnen. Daß aber Künstler und Schriftsteller von Ruf sich dazu hergeben, ist ein trauriges Zeichen geistiger Dekadenz.

Das Theater bestätigt diesen Zustand, wie Sie gestern gesehen haben. Wir besitzen keine Schauspiele und keine Schauspieler mehr. Kleine Talente mit etwas Esprit aber ohne Geist. Raffinierte Dekorationen und reizende entblößte Glieder sollen uns darüber trösten, daß die Stücke nichts als Mittel zu diesen Zwecken sind.

Ich schlage Ihnen vor, schönste Frau, all diese mäßigen Vergnügungen aufzugeben und unsere jählings unterbrochenen Ritte in die freie Natur wieder aufzunehmen. Wir werden zwar gut tun, uns nicht allzu weit von Paris zu entfernen, denn seit dem trockenen Sommer dieses Jahres, der Mensch und Vieh mit der berechtigten Angst vor einer Hungersnot dem Winter entgegengehen sieht, muß man sich von den erregten Landleuten fern halten. Obwohl Grundbesitzer und Finanziers einander überbieten, durch Verteilung von Geld und Nahrungsmitteln, Gründung von Hospitälern und Asylen der Not abzuhelfen, läßt die Hast, mit der es geschieht, so viel mehr auf Angst als auf Menschenliebe schließen, daß die Empörung der Geister dadurch eher geschürt als unterdrückt wird. Auch werden jene frommen Seelen immer seltener, die sich mit Wohltaten abspeisen lassen, während die Ideen der Menschenrechte schon ihre Köpfe erhellen.

In meiner Begleitung werden Sie trotzdem nichts zu fürchten haben, und ich darf hoffen, in der frischen Luft Ihre Wangen sich wieder röten zu sehen, – ein um so holderer Anblick, als er uns Männern durch das stereotype Rouge, mit dem die Frauen die natürliche Farbe ihrer Haut versteckten, ein so vollkommen neuer ist.

Graf Guibert an Delphine

Paris, am 30. Oktober 1778.

Meine verehrte Frau Marquise! Endlich darf ich aufatmen! Wenn Sie mich auch noch nicht sehen wollen, so waren Sie doch gütig genug, mir durch ein paar Zeilen Ihrer eigenen Hand zu beweisen, daß ich nicht mehr um Sie zu zittern brauche.

Es waren entsetzliche Wochen seit unserem unglückseligen Ritt. Ich glaubte Sie schon verloren, als ich im Rasen neben Ihnen kniete und das rieselnde Blut aus Ihrer weißen Stirn vergebens zu stillen suchte; obwohl Sie die schönen Augen wieder aufzuschlagen vermochten, verging seitdem kein Tag, keine Nacht, ohne daß die Angst um Sie mir jede Ruhe benahm. In meiner ersten Verzweiflung erschoß ich den Rappen, der Sie trug; er starb unschuldig, aber ich hätte ihn nicht mehr sehen können.

Wie es möglich war, daß das ruhige Tier ohne jeden äußeren Anlaß über Stock und Stein mit Ihnen davonflog, um sich schließlich beim Sprung über die hohe Hecke zu überschlagen, ist mir noch heute ein Rätsel.

Sie waren seit langem nicht so heiter gewesen. Die mögliche Heilung Ihres Sohnes, von der Sie erzählten, machte mich mit Ihnen froh. Und der Herbsttag, der uns so sonnig umgab, schien nur ein Widerschein Ihrer Freude. Ich konnte an diesem Tage nur über Dinge sprechen, bei denen sich's lächeln läßt. Noch ganz erfüllt von der Neuigkeit, teilte ich Ihnen mit, daß unser tapferer Lafayette mit seinen Freunden sich in Amerika einzuschiffen im Begriffe wäre, um ihre Kräfte für den französisch-englischen Krieg dem Vaterland zur Verfügung zu stellen. In diesem Augenblicke sah ich Sie erblassen, sah Ihre Augen auf mich gerichtet, als wäre ich ein Gespenst, und fort ging's in wilder Jagd, als ob Sie stürzen wollten!

Mit bezaubernder Grazie haben Sie verstanden, während unserer Ritte das Gespräch von dem Thema abzulenken, auf das ich es zu richten suchte. Heute, holde Frau, wo die Freude über das Glück Ihrer Genesung mir jede Zurückhaltung unmöglich macht, können Sie mich nicht hindern. Ihnen zu sagen: wären Sie gestorben, auch ich lebte nicht mehr.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, den 3. November 1778.

Den grauen Novembernebel, der heute noch schwer auf meinem Herzen lag, hat Ihr Atem weggeweht, teuerste Marquise. Ein Blick in Ihr Antlitz zeigte mir, was ich Ihren Versicherungen nicht glauben wollte: nicht nur die Wunde auf Ihrer Stirne heilt, sondern auch die Ihres Innern. Ich vermag Sie mit meinen Zweifeln nicht mehr zu quälen, seit ich Sie wiedersah –, so wiedersah: schlank und blaß, zwei Augen wie glühende Kohlen unter der weißen Stirn mit der schmalen roten Narbe, um die sehnsüchtig geöffneten Lippen ein süßes Lächeln, der Körper, der noch matt in der Causeuse lag, in weiße Seide gehüllt, und die ganze Gestalt vom Feuer des Kamins übergossen. »Er sagt, der Knabe wird gesund,« flüsterten Sie und streckten mir beide Hände entgegen, »dann werde ich frei sein, ganz frei – für ein neues Leben!«

Sie sind wie ein gläubiges Kind. Wer hätte den grausamen Mut, ihm zu sagen: Der Gott, zu dem du betest, existiert nicht! Ich will von nun an mit Ihnen glauben. Am Tage der Entscheidung – Sie sprachen vom 21. Dezember? – werde ich vor Ihrem Hause die Nachricht erwarten. Bis dahin ergebe ich mich wieder in meine Verbannung.

Was ich über den Herrn Marquis erfuhr, wollen Sie jetzt nicht wissen. »Es ist mir jetzt so gleichgültig,« meinten Sie. Aber wenn einmal Ihre Freiheit von der Kenntnis dieser Dinge abhängt, dann vergessen Sie nicht, daß ich zu Ihrer Verfügung stehe.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Paris, den 20. Dezember 1778.

Sie ließen mich zu sich bitten, schönste Delphine, Sie lachten über all die Geschichten, die ich vor Ihnen auskramte und an denen die Welt nicht arm wird, obwohl die Menschen vor lauter Eifer, Gott und die Könige zu entthronen, für den Unsinn keine Zeit mehr zu haben behaupten.

Hat der famose Dr. Mesmer Ihr gelähmtes Herzchen wieder zum Schlagen gebracht oder war es die Erschütterung des Sturzes, die es aus der Lethargie aufrüttelte? Jede einzelne Ihrer rosigen Fingerspitzen ließen Sie mich küssen; »aber nicht als Liebhaber!« drohten Sie. Fast wäre ich darüber schwermütig geworden, wenn ich nicht inzwischen für meinen schrecklichen Kummer um Sie eine Trösterin mir hätte suchen müssen. Besinnen Sie sich? Sie sahen die kleine Thévenin kurz vor Ihrem unseligen Ritt in der Oper; sie war die jüngste der Nymphen im Ballett La rose, hatte nichts als ein rosa Wölkchen um die Hüften, die schönsten goldenen Haare auf dem Kopf und ebenholzschwarze an anderer Stelle.

Bitte: bedecken Sie den Mund nicht mit der Hand, ich weiß trotz Ihrer entrüsteten Blicke, daß Sie lachen!

Ich bin der Marquise Delphine sprechender Papagei, dem alles zu sagen erlaubt ist, vorausgesetzt, daß es die Herrin amüsiert! Und Sie sind ja im Augenblick allein, ohne den schrecklich ernsthaften Hausphilosophen und ganz gewiß ohne den Herrn Marquis. Soll ich weitere Proben meiner Künste zeigen?

Herr von Genlis überraschte neulich Mademoiselle Justine, seine niedliche Mätresse, im zärtlichen tête-à-tête mit dem Marquis Löwenstein. »Was wollen Sie, mein Herr,« sagte sie, als er ihr Vorwürfe machen wollte; »ich gebe mir die größte Mühe, den Herrn Marquis für Ihre Tochter zu interessieren –« Und schon am nächsten Tage war die kleine Genlis glückliche Braut. Haben Sie ihr nicht auch eine innige Gratulation zukommen lassen?!

Madame Chamans fand ihre siebzehnjährige Tochter vertieft in die Lektüre der Lettres du chevalier de Saint-Ilme. Sie riß ihr entrüstet das Buch aus der Hand. »Retif de la Bretonne«, sagte sie, »hat keine schlimmeren Bücher geschrieben.« Die Tochter starb fast vor Lachen. Der Roman ist nämlich von ihr!

Die Herzogin d'Anville wollte ihren Liebhaber, der an Leidenschaft manches zu wünschen übrig ließ, mit ihren Beziehungen zu Herrn d'Alembert eifersüchtig machen. »Er ist ein Gott!« schwärmte sie. »Ach, Madame, wenn er ein Gott wäre,« antwortete der Liebhaber gelassen, »so würde er damit angefangen haben, sich zu einem Manne zu machen.«

Und nun noch ein hübscher Spaß, der Paris während Ihres Krankseins tagelang amüsierte: Ein paar polnischen Edelleuten mit besten Empfehlungen erteilte der Graf Artois die Erlaubnis, seinen Pavillon de Bagatelle besichtigen zu dürfen. Vor einer Marmorbüste brachen sie in Tränen aus: »Wie gleicht sie unserer verstorbenen Schwester!« Zuvorkommend, wie er ist, machte der Graf die Büste noch am selben Nachmittag den Herren zum Geschenk. Sie wiederholten das gelungene Manöver bei einer Reihe unserer Mäzene und waren, ehe man den Schwindel entdeckte, mit ihrer reichhaltigen Kunstsammlung verschwunden.

Wenn Sie wieder lachen wollen, reizende Marquise, erinnern Sie sich meiner, der Vorrat ist unerschöpflich und mein Bestreben, mich Ihnen unentbehrlich zu machen, um so eifriger, als ich in der Ferne bereits die Rüstungen unserer heimkehrenden Kriegshelden klirren höre und leider weiß, wie oberflächlich alle Frauen sind: sie schwärmen für blutbespritzte Röcke und übersehen dabei die im stillen blutenden Herzen.

Übrigens bringen sie einen Harem bronzefarbener Indianerinnen mit, und ich sehe es kommen, daß ihre Toilette, – drei Federn auf dem Kopf und zwanzig Ringe durch die Ohren –, die große Mode der nächsten Saison sein wird. Sie würde Ihnen, Holdseligste, zum Entzücken stehen!

Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht: übermorgen treffen wir uns auf dem Maskenball!

Johann von Altenau an Delphine

Den 21. Dezember.

Kniefällig bitte ich Sie: lassen Sie mich ein! Nach dieser Nachricht dürfen Sie nicht allein bleiben.

»Alles ist vorbei. Ich fahre morgen mit dem Kinde nach Hause, um mich mit ihm zu vergraben.« Dieser gräßliche Zettel kommt mir in die Hand. Sie dürfen nicht fort. Sie müssen dem Schicksal trotzen, nicht sich ihm ergeben. Ich weiche nicht von Ihrer Schwelle und werde mich den Pferden in die Zügel werfen; hören Sie denjenigen, den Sie selbst Ihren einzigen Freund nannten.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Am 21. Dezember.

Sie halten sich allzulange mit der Toilette auf, Sie wollen zu schön sein, reizende Frau; nur darum, nicht wahr, lassen Sie mich warten? Bekomme ich keine Antwort durch meinen Jäger, so bin ich in einer Stunde bei Ihnen und entführe meine Schöne mit Gewalt.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 22. Dezember 1778.

Es ist geschehen. Ich war es. Sie, die einzige, die es wissen, können mich als den Mörder Ihres Kindes verfolgen lassen, und noch unter dem Galgen würde ich schwören, daß es die beste Tat meines Lebens war. Ich habe, barmherziger als die Mutter, einem armen Idioten eine Kugel in die Schläfe gejagt und eine Frau, die sich selbst zum Tode verurteilen wollte, dem Leben zurückgegeben.

Daß ich in der Nacht, als ich zum Zimmer des Kindes schlich, dem Grafen Chevreuse begegnete, hat meine Freude gedämpft. Sie ließen ihn zwar abweisen, aber er schien zu seinem Kommen ein Recht zu haben. Ich bedauere Ihre voreilige Wahl, aber ich habe mich durch meine Tat aller Ansprüche der Freundschaft, also auch der, zu warnen, begeben.

Leben Sie wohl, Delphine. Werden Sie glücklich!

 


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