Lily Braun
Die Liebesbriefe der Marquise
Lily Braun

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Schäferspiele

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Paris, am 1. August 1775.

Hiermit sende ich Ihnen, schönste Marquise, Ihre Rolle als Daphnis. Die Königin ist entzückt in dem Gedanken an Ihre Mitwirkung, und ich – o, es gibt keinen Ausdruck für meine Empfindung!

Delphine lacht über Guys Liebesschwüre, – Daphnis wird sogar Philidors Zärtlichkeit dulden müssen!

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 15. August 1775.

Holdseligste! Noch fühle ich Ihren Atem auf meiner Wange, Ihren schwellenden Körper in meinen Armen und Ihre Lippen, kühl und weich wie Rosenblätter auf meinem glühenden Mund. War es nur Daphnis, war es Delphine?!

Ach, als ich noch trunken vor Seligkeit im Schatten der Kulissen Ihnen zu Füßen sank, bereit, für ein zärtliches Wort mein Blut tropfenweise zu verspritzen, rissen Sie mich mit Ihrer Frage: »War Friedrich-Eugen unter den Zuschauern?« aus allen Himmeln. Als ich durch stummes Nicken bejahte, tief verletzt durch Ihr dauerndes Interesse an einem unliebenswürdigen Sonderling, und meine Leidenschaft die quälende Frage laut werden ließ: »Lieben Sie den Prinzen?« Da erfüllte mich Ihre rasche Antwort: »Ich hasse ihn!« mit neuer seliger Hoffnung. Und als Sie, an mich geschmiegt, strahlend von Schönheit, leuchtend von Übermut, vor dem entzückten Hof erschienen, und ein leiser Druck Ihres Arms mir die Erlaubnis gab, neben Ihnen bleiben zu dürfen, fühlte ich mich dem schwindelnden Glück Ihres Besitzes nahe.

Ihr kühler Abschied im Morgengrauen stürzte mich wieder in ein Meer von Zweifeln. Retten Sie einen Schiffbrüchigen, und wenn Ihnen das nicht der Mühe wert erscheint, die Hand auszustrecken, so retten Sie Ihre eigene blühende Jugend! Erinnern Sie sich, süße Delphine, daß Ihre Schönheit zwar göttlich, Sie aber trotzdem nicht unsterblich sind! Soll der Frühling Ihrer Jugend welken, noch ehe die Sonne der Liebe den Sommer entfaltete?

Sie leiden; ich weiß es, denn ich kenne alle Qualen wie alle Wonnen des Herzens. Die Sehnsucht glänzt aus Ihren Augen, glüht aus Ihren Fingerspitzen.

Wenn ich die Rosen, die ich Ihnen sende, heute abend an Ihrem Busen wiedersehe, soll mir das ein Zeichen süßester Hoffnung sein. Mag dann immerhin Guiberts Trauerspiel, dem der ganze Hof mit Spannung entgegensieht, so langweilig sein wie seine Kriegskunst, ich werde es unterhaltend finden; Sie werden also, reizende Daphnis, nicht nur für Ihres Schäfers Glück, sondern auch für des Dichters Ruhm verantwortlich sein.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, den 20. August 1775.

Seit jenem Abend, wo ich die dunkelroten Rosen meiner Leidenschaft an der weißen Seide Ihres Kleides glühen sah und hingerissen, mitten im Spiegelsaal von Versailles das Knie vor Ihnen beugte, bin ich im Zweifel, ob das Leben vorher mein Leben war, ob all die Liebe, die ich früher genoß, Liebe gewesen ist.

Wie im Traum höre ich noch Grétrys schmelzende Weisen, an deren Tönen das Licht in Ihren Augensternen sich entzündete, sehe in Ihren Händen das Glas mit dem perlenden Wein, dessen Feuer sich langsam in Ihre Adern ergoß, und fühle den heißen Atem all der schönen Frauen, all der glänzenden Kavaliere, der allmählich die duftenden Kerzen flackern, die schwüle Luft vibrieren ließ und Sie hineinzog in sein Fieber. War es nur die Pracht dieses königlichen Festes, die Sie berauschte, war es der Duft meiner Rosen?

Ich will keine Antwort auf diese Frage, ich will sie nicht! Nur dem göttlichen Augenblick will ich leben, süße Frau, gleichgültig, welch einem Wunder ich ihn verdanke.

Was in Paris an Blumen aufzutreiben war, sende ich Ihnen heute. In Lilienblätter will ich das Köpfchen der Geliebten betten, wenn ich komme, roten Mohn will ich über ihre weißen Glieder streuen, und Amor selbst erfülle mich mit seiner Kraft, daß ich die schönste der Frauen zum Leben der Liebe erwecke.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 10. September 1775.

Holde! Süße! Daß ich Sie gestern nicht sehen durfte! Und doch empfingen Sie den Grafen Guibert! Die wütendste Eifersucht würde mich plagen, wenn ich nicht wüßte, daß der berühmte Poet und Kriegsmann ebenso berühmt als der Liebhaber der Lespinasse ist. Aber ich gönne es ihm nicht, auch nur den Geist meiner Geliebten anbeten zu dürfen.

Selbst die Königin bemerkte meinen Unmut. »Wo ist Daphnis, armer Philidor?!« neckte sie. Wo ist Daphnis? wiederholt mein Herz jede Stunde, die ich fern von ihr bin.

Und auch heute wollen Sie mich nicht empfangen, weil Ihre Majestät die Schneiderin Bertin Ihnen Audienz erteilt?! Grausame, bedarf es wirklich noch neuer Spitzen, Gaze und Seidenstoffe, ist es nötig, die zarte Tüllwolke um den Busen, den schweren Brokat um die Hüften immer raffinierter zu falten und zu raffen? Sind Sie nicht verführerisch genug für mich, oder haben Sie die Absicht, mich durch Liebestollheit anderer Männer rasend zu machen oder durch ihre neidischen Blicke zu spießen?

Unten im Hof pfeift ein Schweizer sein Liedchen, drüben aus den Zimmern der Polignac klingen schwärmerische Harfentöne, aus den Hecken trillert ein Vogel, der vom Frühling träumt –, ich höre nur ein Wort aus allen Tönen: Delphine, Delphine! Und seine Melodie begleitet meines Herzens sehnsuchtsvoll-stürmisches Pochen: Denn in wenigen Tagen wird meine Geliebte mit mir in den Zaubergärten Armidens sein!

Keinen preise ich heute mehr als den Prinzen Condé, der Chantilly zum Sitz der Musen und Grazien schuf. Herr von Beaumarchais, der diesmal bei ihm den Zeremonienmeister spielt, machte mir mit seinem beziehungsvollsten Figarolächeln allerlei Andeutungen über die Wunder, die sich begeben werden.

»Für Liebhaber der Einsamkeit«, sagte er, »finden sich im meilenweiten Park stille Einsiedeleien für philosophische Gespräche, die ungestört bleiben müssen, gibt es im riesigen Schloß hinter unsichtbaren Tapetentüren sichere Verstecke.« Alles, was jung ist und schön, hat der Prinz geladen: »damit weder die bösen Zungen alter Weiber, noch die lüsternen Blicke verlebter Gecken die Liebe hindern, sich selbst zu leben.«

Darum, geliebteste aller Frauen, werden Sie nicht um unser Geheimnis zu zittern brauchen, werden nicht erbleichen, wenn meine Hand die Ihre sucht und fremde Blicke uns streifen, und nicht im Augenblick süßesten Taumels die schönsten Augen der Welt angstgeweitet auf mich richten. Sie werden endlich rückhaltlos mein sein.

Schon sehe ich uns in den verschwiegenen Tempeln der Gärten zu Eros, dem reizenden Gott, die verschlungenen Hände erheben und im stillen Dunkel der Hütte leise verschwinden, um die graue Buchenstämme als eherne Wächter stehen, und deren kleine Fenster Efeuranken schamhaft verhüllen.

Lucien Gaillard an Delphine

Paris, am 20. September 1775.

Verehrte Frau Marquise. Euer Gnaden gütige Erlaubnis, mich Ihnen bei Ihrer Anwesenheit in Paris wieder persönlich vorstellen zu dürfen, habe ich bisher nicht in Anspruch genommen. In den Ernst meines Lebens und meiner Gedanken sollte kein Strahl jener Welt fallen, der ich endgültig den Rücken kehrte. Ich, selbst ein Enterbter, will ganz meinen Brüdern gehören. Ich verzeihe es mir nicht einmal, wenn hier und da noch ein Gefühl der Sehnsucht in mir rege wird.

Um nicht zu wecken, was leider nicht tot ist, sondern nur eingeschläfert von dem Liede der Not, komme ich auch heute mit meinem Anliegen nicht in Person. Es handelt sich nicht um mich. Selbst wenn ich am Verhungern wäre, würde ich eher rauben als betteln. Ein paar arme Kinder sind es, für die ich Euer Gnaden Güte in Anspruch nehmen möchte.

Ich fand sie auf meinen Streifereien im Norden von Paris, der gewohnten Beschäftigung meiner Mußestunden. Wer immer über das Pflaster zwischen dicht gereihten Häusern trottet, vergißt allmählich, daß man auch auf weichem Rasen zwischen grünen Bäumen gehen kann. Und das ist gut.

Die Kinder bettelten. Eins von ihnen, ein Mädchen, suchte im Kehricht nach etwas Eßbarem. Ich folgte ihnen, als sie abends heimgingen. Das eine Mal stieg ich bis unters Dach. In eine Kammer, die weder Schloß noch Riegel hatte, blickte ich durch die fingerbreiten Spalten der Holzwand. Ich sah eine Schar von Kindern, die sich, von Hunger gepeinigt, über die eklen Speisereste stürzten, die das Mädchen aus der Gosse gefischt hatte und ihnen zuwarf. Ein andermal folgte ich einem Kinde in ein feuchtes Kellerloch tief unter dem Boden der Straße. Ein triefäugiges Weib riß ihm die Lumpen von den mageren Gliedern, ein anderes betrachtete die armselige Gestalt mit gierigen Blicken, als wäre es ein Stück raren Fleisches. Um fünf Sous kaufte sie schließlich die Kleine.

Seitdem ist es meine Leidenschaft, Kinder zu suchen. Ich habe mir schon eine lange Liste von denen angelegt, die ich fand. Es sind in sechs Gassen schon dreiundsiebzig, Mädchen und Knaben. Am liebsten hätte ich sie heimlich entführt. Aber in meiner Kammer hat nur mein eigenes Bett Platz, weil ich ein Krüppel bin und nie gerade liege, und das Weib, das mich geboren hat, würde mit meinen Schützlingen auch nur ein Geschäft machen wollen. Abnehmer hat sie immer für Menschenware.

Nun hörte ich, daß es bei den vornehmen Damen neuerdings Mode ist, arme Leute mit dem Abfall ihrer Küche und abgetragenen Kleidern dankbar zu machen. Einige gründen auch Hospitäler, weil sie für ihre glatte Haut die ansteckenden Krankheiten derer fürchten, die frei herumlaufen.

Wäre es nun nicht möglich, nachdem durch Herrn Rousseau sogar die Liebe zu den Kindern Mode wurde, einen Zufluchtsort für sie zu schaffen? Sie fänden wenigstens Schutz vor den wilden Bestien, die sie verfolgen: dem Menschen und dem Hunger. Auch würde es weniger kosten als ein neues Kleid, wenn die Damen des Hofs sich alle daran beteiligten.

Ich fürchte, ich kann für andere nicht betteln. Nichts macht so inbrünstig hassen, als bitten zu müssen.

Verzeihen mir Euer Gnaden gütigst all die Worte, die wie Steinwürfe sind und wie Schneeflocken sein sollten. Wenn Sie all die Güte, die Sie an mich verschwendeten, den armen Kindern zuwenden wollten, so wären sie gerettet.

Meine Liste steht Ihnen zur Verfügung.

Prinz Rohan an Delphine

Chantilly, am 25. September 1775.

Reizende Marquise. Sie weichen mir aus. Kaum glaube ich, Ihnen im Garten nahe zu sein, so glitzern die Goldschuhe an den kleinen Füßchen schon wieder fern zwischen den Hecken; sehe ich Sie im Salon, so umgibt Sie die Schar Ihrer Bewunderer wie eine Mauer; wage ich es, Ihnen abends zu folgen, so verscheucht mich gar bald die Kavalierpflicht der Diskretion. So wähle ich diesen Weg, der es mir zugleich erleichtert, vor Ihnen der zürnende Priester, statt der bewundernde Mann zu sein.

Sie vergessen über Ihrem Schäferspiel unser Intrigenstück, schöne Marquise, vielleicht weil der liebenswürdige Graf Chevreuse Ihr Partner ist? Daß der Weg zum Kopf der Frau immer durch das Herz geht!

Aber auch dort, wo ich den Einfluß des Liebhabers nicht zu entdecken vermag, hat Ihr Gemüt Ihren Verstand unterjocht.

Hören Sie, was mir jemand erzählte: »Jüngst ging die Königin, nur von wenigen ihrer Damen begleitet, durch die neuen Gärten von Trianon. Im Schatten der Weiden, vor dem Fischerhaus, begann sie, Geschichten zu erzählen, wie die Umgebung sie ihr eingab. Jede der Frauen folgte unter Lachen und Scherzen ihrem Beispiel. Nur die Marquise Montjoie, sonst die heiterste von allen, blieb schweigsam. ›Sollte unsere reizende Freundin sich angesichts dieser Hütte keiner Idylle erinnern,‹ mahnte die Königin; die Marquise entgegnete: ›Einer Idylle?! Nein! Wohl aber eines Trauerspiels!‹ und mit einer Beredsamkeit, bei der jedes Wort sich am Wort entzündete, sprach sie von den Bauern der Champagne, ihren Hütten ohne Fenster und ohne Bett, ihren verödeten Feldern und leeren Scheuern, ihren Weibern, deren Jugend die Not zerfrißt, an deren ausgedörrten Brüsten die Kinder verhungern. Die Damen hörten staunend zu, und die Königin weinte . . .«

Was ich fast nicht glauben wollte, hörte ich heute mit eigenen Ohren. Als mitten im Pfänderspiel die Reihe an Sie kam, mit einer kleinen Erzählung Ihr Perlenhalsband einzulösen, sprachen Sie mit jener Wärme, die der nüchternen Wahrheit stets fern bleibt, von dem Elend der Kinder von Paris. Sie erwähnten Dinge, die Ihr kultivierter Geschmack nicht wissen, Ihr weicher Mund nicht aussprechen dürfte. Aber je hinreißender Sie im Feuer Ihres Mitgefühls waren, um so gefährlicher war der Einfluß, der von Ihnen ausging. Heißt das, teure Marquise, die Stellung Turgots erschüttern, der nicht müde wird, dem Volke goldene Berge zu versprechen, wenn er seine Reformen durchführen kann?

Ich muß Ihnen den ganzen Ernst der Lage ins Gedächtnis zurückrufen, um Ihnen daran den Ernst unserer Aufgabe klar zu machen. Die Situation ist auf die Spitze getrieben, und nicht nur das Vaterland, sondern auch unsere heilige Kirche sind in höchster Gefahr, besonders seitdem der Herzog von Choiseul aus der Verbannung zurückberufen wurde, derselbe Choiseul, der – ein Pompadourminister – die frommen Väter des Ordens Jesu auswies und zu gleicher Zeit die Philosophen und Gottesleugner beschützte. Der Unglaube, die Verhöhnung menschlicher und göttlicher Autorität breiten sich aus wie eine Seuche; ein verworfener Mensch wie Voltaire wurde zum Orakel Frankreichs, die Enzyklopädie erscheint ungehindert und trägt die Ideen der sogenannten Aufklärer, die bisher nur in kleinem Kreise Unheil stifteten, in die Welt. Unsere Journale und Pamphlete, ja selbst unsere Konversationen bis in die Kreise des Hofs hinein sind erfüllt mit ihren Redensarten von der rechtlichen Gleichheit und der politischen Freiheit, und der Name der Vernunft wird häufiger angerufen als der Name Gottes.

Verzeihen Sie, daß meine Vaterlandsliebe und meine Pflicht als Diener der Kirche mich so weit treibt und in diese wolkenlosen Tage Ihres Vergnügens seine Schatten wirft. Aber gerade hier ist mir deutlich geworden, wie wertvoll Sie, verehrte Frau Marquise, unserer Sache werden können, denn alles, von unserem edlen Gastwirt und dem Herzog von Bourbon angefangen, huldigt Ihrer Schönheit, bewundert Ihren Geist. Ich appelliere an Ihren Ehrgeiz, den Sie leicht befriedigen könnten, wenn Sie Ihrer Pflicht als Tochter Frankreichs und der Kirche eingedenk wären. Sie können der Königin beweisen, daß Frankreich weiter reicht als die Gärten von Trianon, daß sie berufen ist, ihre Rolle in der Welt zu spielen, nicht nur auf der Bühne.

Wenn Sie daneben im stillen als heilige Elisabeth wirken wollen, – ohne die leicht erregten Gemüter überflüssig zu erhitzen –, so bin ich der Erste, der Sie unterstützen wird. Hundert Louis aus meiner Schatulle sende ich Ihnen noch morgen für Ihre armen Kinder und bin gewiß, daß Sie überall eben so offene Hände finden werden. Um Tränen zu trocknen, bedarf es, weiß Gott, keiner Reformgesetze. Das war von je die schönste Aufgabe guter Christen.

Darf ich Sie an dieser Stelle noch an eins erinnern, schöne Frau? Der Herr Marquis von Contades ist bereit, sein Wort als Edelmann dafür zu verpfänden, daß Sie – eine Französin! – Herrn von Pirchs Handlungsweise als Vaterlandsverrat verurteilt haben. Er versprach mir zwar, weil es meinem Einfluß gelang, ihn von der erhaltenen Ohrfeige rein zu waschen, von seiner Kenntnis keinen Gebrauch zu machen; aber es liegt natürlich in meinem Belieben, ihn dieses Versprechens zu entbinden. Wird die Marquise Delphine noch in der Lage sein, der Königin Geschichten zu erzählen, wenn die hohe Frau erfährt, daß ihre jüngste Freundin – preußisch fühlt?! Sie haben jetzt die reichste Gelegenheit, den kleinen Fehler, den Ihre Jugend gewiß entschuldigt, wieder gut zu machen.

Jedenfalls sind Ihnen die Unvorsichtigkeiten Ihres warmen Herzchens leichter zu verzeihen als die Ihres Kopfes. Der gute Marquis ist wirklich kein geeigneter Partner für die holden Freuden der Liebe. Darum drückte ich als Ihr ergebener Freund beide Augen zu, als ich diese Nacht an einer gewissen versteckten Hütte vorüberkam und bemerkte, wie entzückend natürlich Daphnis und Philidor ihre Rolle weiter spielen, – obwohl ich als Priester hätte zürnen und strafen müssen. Erschrecken Sie nicht, reizende Sünderin. Nur wenn das Vaterland es befiehlt, verrät ein Rohan eine Frau, die er anbetet.

Trüben Sie auch nicht den Glanz Ihrer Augen durch Tränen falschen Mitgefühls. Seien Sie gewiß: soweit der Arm der Kirche reicht, hungert kein Mensch auf dem üppigen Boden Frankreichs!

Ich kehre schon morgen nach Straßburg zurück. Sie werden mich gütigst bei der Königin in Erinnerung bringen.

Zum Abschied werde ich Sie morgen früh –, falls die Türe zu Ihrem Boudoir sich mehr als einem Kavalier öffnet –, nur um die eine Gnade bitten, den rosigen Arm küssen zu dürfen, der sich so zärtlich um den Hals des beneidenswerten Geliebten zu schlingen weiß.

Graf Guibert an Delphine

Paris, den 6. Oktober 1775.

Als ich mich Ihnen, verehrte Frau Marquise, für das Werk Ihrer Menschenliebe zur Verfügung stellte, hätte ich nicht geglaubt, daß wir so rasch das Ziel erreichen würden. Aber Schönheit und Güte vereint wirken Wunder! Die sechzig Kinder, die das Kloster zum Herzen Jesu aufnahm, sind ein lebendiger Beweis dafür.

Was mich aber noch tiefer ergriff als Ihr Eifer, eine Not lindern zu wollen, welche leider nur ein Symptom der großen Krankheit ist, die Frankreichs Leben bedroht, ist Ihr Unverständnis für die Medikamente, die die Wurzeln des Übels ausbrennen sollen.

Seien Sie versichert: Reformen, und wären Sie noch so gut gemeint, sind nichts als Betäubungsmittel. Neue Quellen des Reichtums gilt es zu erschließen. Und dafür, – ich wiederhole, was Herr von Beaumarchais und ich Ihnen schon auseinanderzusetzen versuchten –, bietet sich jetzt eine willkommene Möglichkeit. Unterstützen wir Amerikas Freiheitskampf, so wird Amerika uns für den Kampf gegen die Not die einzig siegreichen Waffen – die pekuniären Mittel – zur Verfügung stellen.

Ihre Schönheit, Frau Marquise, preist ganz Versailles; von Ihrer Güte spricht halb Paris; Ihrem Geist aber winkt erst ein fruchtbares Feld des Wirkens. Ihr Salon sollte der Mittelpunkt der besten Köpfe Frankreichs sein! Meine Vaterlandsliebe läßt mich freilich aussprechen, was mein Gefühl für Sie unterdrücken sollte. Oder dürfte ich hoffen, in Ihrem Salon auch unter vielen immer noch einer zu sein?

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Paris, am 10. Januar 1776.

Ist meine Göttin so wankelmütig wie die Sonne, die sich mehr und mehr hinter grauen Winterschleiern versteckt?

Als ich gestern die sonst so freudig empfangenen Konfitüren brachte, sagten Sie wegwerfend: »Die immer gleichen Süßigkeiten! sie widern mich an!«

Zum Abschied nach einem gequälten Zusammensein hielten Sie mir die Wange hin, als wären wir ein Ehepaar. Und als ich heute des kommenden Festes bei der Prinzessin Lamballe Erwähnung tat, riefen Sie aus, die Lippen unmutig schürzend: »Bietet Paris denn nichts anderes als Komödien und Feste, Feste und Komödien?!« Die neuesten Anekdoten, die ich erzählte, die pikantesten Chansons, die ich vortrug, nötigten Ihnen kaum ein Lächeln ab.

Da meldete Ihr Diener Herrn von Beaumarchais. Ihr Gesichtchen erhellte sich, und Sie, die Sie bisher unser tête-à-tête durch niemanden unterbrechen ließen, empfingen den Gast mit einem Aufatmen der Erleichterung.

Jetzt verstehe ich, reizende Delphine: auch bei Ihnen blühen Liebe und Treue nicht auf demselben Stamm. Ihre rasche Jugend, – an deren Existenz ich Sie zuerst erinnerte! –, Ihr stürmisches Temperament, – dessen Fesseln erst an meiner Glut zerschmolzen! –, Ihr sprühender Geist, – dessen Funken freilich erst der Dichter Beaumarchais herauszuschlagen vermochte, – verlangen nach Abwechslung.

Der große Dramatiker Beaumarchais ließ das ganze Welttheater an Ihnen vorüberziehen: die Kämpfe der Amerikaner, die Parlamentsreden der Engländer, die Finanzen Frankreichs –, und Ihre Begeisterung für die »Menschenrechte« der Bewohner der Neuen Welt flammte so hoch auf, daß die arme kleine Liebe daneben erlosch wie der Morgenstern vor der Sonne. Weiß Gott, ich, Guy Chevreuse gestehe ein, meine Rolle als Liebhaber noch nicht ausgelernt zu haben: Neben der Kleinigkeit des Herzens verlangt die kapriziöse Frau von heute auch noch Geist, auch noch Kenntnisse, am Ende gar Taten von uns!

Süße Delphine, um einen Kuß von Ihren Lippen, – aber einen, der der Sehnsucht, nicht der Gewohnheit entspringt, – könnte ich Riesen bezwingen und Drachen erlegen. Fordern Sie jedoch nicht, daß ich mich wegen so gemeiner Dinge wie der Zänkereien unserer unsympathischen Nachbarn mit ihren langweiligen Kolonialbrüdern echauffieren soll. Freilich, wenn ich mich erinnere, was uns alles Böses von England kommt: die Grundsätze der Moral, die demokratischen Ideen, die geschlossenen Kleider, die hohen Stiefel –, ich könnte doch am Ende noch rasend werden!

Darf ich morgen kommen? Zur gewöhnlichen Stunde? durch das Gartenpförtchen? Allein?! Ich bringe, da meine Zärtlichkeit mit den Konfitüren auf einer Stufe der Ungnade zu stehen scheint, ein ganzes Vergnügungsprogramm mit: Mademoiselle Duthé spielt in ihrem Privattheater ein von der Zensur verbotenes Stück, – der Graf von Artois ist seit acht Tagen bei ihr der glückliche Nachfolger des Herrn Larive; – eine vergitterte Loge steht Ihnen – mit mir?! – zur Verfügung.

Der Graf von Chartres arrangiert eine Schlittenfahrt, die in einem nächtlichen Fest im Schloß von Monceau enden soll.

Der junge Vestries wird bei seiner neuesten Gönnerin, der Gräfin Miramont, tanzen. Die weiblichen Gäste werden gebeten, die Belohnung des Tänzers für seine Sprünge wenigstens an diesem Abend der Gräfin allein zu überlassen!

Lucien Gaillard an Delphine

Paris, den 30. Januar 1776.

Hochverehrte Frau Marquise! Weil Sie es wünschten, bin ich im Kloster zum Herzen Jesu gewesen. Ich erkannte meine Kinder nicht wieder. Buben, die mich angespuckt hatten, küßten mir die Hände und nannten mich »gnädiger Herr!« Alle sind sauber und satt und lernten beten. Ich weiß nicht, warum mich die Lust ergriff, sie in die Höhlen ihres Elends zurückzubringen. Bleibt armen Leuten immer nur die Wahl zwischen der Knechtschaft der Seele und der des Körpers?

Sie müssen Nachsicht haben mit mir. Es ist mein Unglück, daß ich ebensowenig danken kann als bitten.

Meine Spaziergänge, nach denen Sie fragen, setze ich fort. Doch ich mache keine Listen mehr. Es lohnt sich nicht. Man müßte einen Strom von Gold durch die Häuser und Gassen leiten, um sie von Schmutz und Jammer rein zu waschen. Aber die großen Herren fürchten so sehr, zu verdursten, daß sie mit ihren Eimern und Flaschen schon an seinen Quellen stehn, um ihn abzufangen.

Gestern Nachts fand ich einen armen Jungen, einen Hessen, der über die Grenze gelaufen war, weil der Markgraf seine Untertanen gegen bare Münze verschachert. Englische Menschenhändler, so sagt er, kaufen Soldaten für den Krieg gegen die Amerikaner. So ist's recht: Während die Könige Europas den Philosophen Beifall klatschen, die von den Menschenrechten deklamieren; – die Kaiserin von Rußland bezahlt sie sogar dafür, daß sie ihr auf so amüsante Art die Langeweile vertreiben, – bauen die Fürsten aus Menschenleibern einen Damm gegen die Freiheit.

Es sieht fast aus, als sehnte ich mich nach der Bastille. Aber leider weiß ich: Sie sind sehr gut oder nicht gut genug, um mich hineinzubringen. Ich denke es mir nämlich wundervoll, einmal nichts zu sehen als Kerkerwände.

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 3. Februar 1776.

Verehrte Frau Marquise! Erst heute, bei Gelegenheit eines meiner kurzen Aufenthalte in Paris komme ich dazu, Ihnen für Ihren Empfang und – was mehr bedeutet – für die Art Ihres Empfangs meinen Dank auszusprechen. Sie sind die erste Frau unter den vielen geistreichen Frauen Frankreichs, die für meine umfassenden politischen Pläne Verständnis und Interesse gezeigt hat.

Selbst die Männer begegnen mir mit Mißtrauen. Weil man über meine Komödien lacht, hält man auch meinen Ernst für Witz; daß Staatsmänner Komödianten sind, wundert niemanden, aber daß Komödianten Staatsmänner sein können, erscheint abstrus. Nichts ist heute für einen Mann von Geist kompromittierender, als wenn er sich mit Politik beschäftigt. Und unsere Minister vor allem wollen sich nicht kompromittieren!

Herr von Vergennes war für die großen Aussichten blind, die der Konflikt zwischen England und Amerika Frankreich bietet. Ich öffnete ihm wenigstens ein Auge. Trotzdem bleibt er Philosoph aus Bequemlichkeit und beruft sich auf Grundsätze der Moral, weil das am wenigsten kostet. Heimlich gegen England zu konspirieren, das beleidigt seine Grundsätze. Wie kommt es nur, daß soviel Edelmut die Teilung Polens, die Kolonialkriege, den Sklavenhandel dulden konnte?!

Auch Turgot ist gegen alle Feindseligkeiten; er will nicht einsehen, daß es häufig sparsamer ist, Millionen zu verschwenden, als mit einem Sou zu geizen. Wenn Frankreich Partei ergreift, wird es die Scharte von 1762 wieder auswetzen und durch ein Bündnis mit Amerika alle die Vorteile genießen, durch die England sich seit einem Jahrhundert bereichert. Wir brauchen nichts als Schiffe, Munition, Waffen. Die Menschen sind da. In fieberhafter Ungeduld warten der Marquis Lafayette, der Prinz von Montbéliard und ihre Freunde darauf, den Namen Frankreichs wieder leuchten zu lassen wie unter dem großen König, wo die Welt ihr ganzes Licht von ihm empfing.

Verzeihen Sie mir die Kühnheit meiner Sprache; gedenke ich der schönen Frau, an die sie gerichtet ist, so müßte ich mich schämen, wenn sie nicht so klug wäre, nicht nur durch Schönheit herrschen zu wollen! Ich wage zu hoffen, daß Ihr Enthusiasmus diesen Wunsch unterstützt; macht der Kuß der Muse mir das Komödienschreiben zur Spielerei, so würde ich meine schwere verantwortungsreiche Arbeit unter den Strahlen Ihrer Gunst auszuführen vermögen, als tanzte ich Menuett mit Ihnen.

Wollen Sie die Gnade haben, meinem Diener wissen zu lassen, wenn Sie mich empfangen wollen? Ich bleibe bis nächsten Mittwoch hier und stehe ganz zu Ihrer Verfügung.

Prinz Louis Rohan an Delphine

Straßburg, am 10. März 1776.

Schönste Frau! Vergebens wartete ich auf eine Antwort von Ihnen und fürchtete schon, meine reizende Gönnerin durch ein paar harmlose Bemerkungen verletzt zu haben, als ich von Ihren Leistungen unterrichtet wurde: Sie eröffneten den Salon der Kriegspartei! Vortrefflich, ganz vortrefflich, Frau Marquise! Sollte die Gicht, die das gesamte Ministerium zu plagen scheint, weniger auf die guten Diners im Hause Geoffrin als auf die Enthaltsamkeit, die Sie ihm auferlegen, zurückzuführen sein? »Les ministres s'envont goutte à goutte,« schrieb mir neulich der Herzog von Chartres. Sie wissen, er hat für seine Bonmots seit einiger Zeit den Geist der Frau von Genlis zu freier Verfügung, – womit ich natürlich nichts Böses angedeutet haben will, denn Frau von Genlis spielt die Harfe und schreibt moralische Stücke für die Jugend.

Derselbe Korrespondent berichtet mir, daß Sie der Königin neuerdings von gefesselten Indianermädchen und liebenden Farmern rührende Geschichten erzählen. Ausgezeichnet, Frau Marquise! Man trägt sogar schon Federn à l'Amériquaine, und die Mode ist bei uns nicht nur Vorkämpfer, sondern Gradmesser der Gesinnung.

Auch Ihre Trabanten haben Sie gewechselt. Der kleine Chevreuse ist wohl jetzt vieux jeu? Ich wäre auch damit zufrieden, wenn ich nicht erfahren hätte, daß der Graf Guibert sich nicht ohne Erfolg um seine Stellung in Ihrem Boudoir bemüht. Er ist zwar im Augenblick sehr à la mode, – ein Hofdichter, ein Kriegsgelehrter, ein Herzensbrecher – aber sein Ruf als Freidenker, seine Freundschaft mit Fräulein von Lespinasse prädestinieren ihn zum Spion, nicht aber zum Mitglied unseres Kreises.

Sie haben die Wahl zwischen so vielen, warum muß es dieser sein?

So habe ich mir sagen lassen, daß der Prinz von Montbéliard sich nur darum grollend auf sein Schloß zurückzog, weil eine gewisse reizende Dame ihm ihre Gunst versagt. Er ist mit fast allen Höfen Europas verschwägert, also eine sehr beachtenswerte Potenz. Übrigens ist er hübsch und jung und erstaunlich tugendhaft. Er hätte sich gewiß nicht, wie der Graf Chevreuse, – den vielleicht nur die Verzweiflung über Ihre Untreue dazu getrieben hat! –, an dem berüchtigten Fest der Kavaliere beteiligt, das unter Leitung des Grafen Artois in Gesellschaft der bekanntesten Kurtisanen und im Hotel der Guimard stattfinden sollte. Gott sei Dank, daß der Erzbischof rechtzeitig Einspruch erhob! Eine reizende Geschichte übrigens: Hundert der vornehmsten Männer Frankreichs vereinigen sich. Um dem Vaterlande zu dienen? Nein! Der Religion? Noch weniger! All diese Gottheiten der Vergangenheit sind heute veraltet!

Lassen Sie bald von sich hören, teuerste Frau! Der Herr Marquis ist zwar im Augenblick in Straßburg, – erfolgreich beschäftigt mit der Sammlung des einheimischen Adels zu einem letzten Coup gegen Turgot; (die Stimmung ist eine aufs äußerste gereizte) –, er dürfte aber kaum zu Ihrer Intimität gehören.

Graf Guibert an Delphine

Paris, am 15. März 1776.

Ihr Wunsch, liebenswürdigste aller Marquisen, ist mir Befehl, um so mehr, als ich begreife, daß eine Frau wie Sie im Hofleben kein Genüge findet und das geistige Leben von Paris gerade dort kennen lernen will, wo es am stärksten pulsiert. Fräulein von Lespinasse wird sich freuen. Sie zu empfangen. Sie finden in ihr zwar eine schwer Kranke, aber um so bewundernswürdiger wird Ihnen ihre geistige Kraft, ihre immer gleiche Güte erscheinen. Wenn Sie den morgigen Tag zu ihrem Besuch wählen wollten, so würden Sie unter anderem auch den Erzbischof von Toulouse, Loménie de Brienne, bei ihr treffen, dessen Persönlichkeit insofern von größerem Interesse ist, als man ihn in eingeweihten Kreisen als den Nachfolger Turgots bezeichnet.

Leider hatte ich heute in der Akademie keine Gelegenheit, Ihre Eindrücke, teuerste Marquise, über die Aufnahme des Herrn von Boisgelin unter die Unsterblichen zu erfahren. Ist die ganze Feierlichkeit nicht mehr und mehr eine Farce?! Der Enzyklopädist d'Alembert, der einen konservativen Priester preisen mußte, und der konservative Priester, der der Nachfolger eines Voisenon, des typischen Abbé libertin, geworden ist! Die französische Akademie wird mehr und mehr aus einer Gesellschaft von Gelehrten zu einem Konzil der Ekklesiastiker und der Prinzen.

Werden Sie mir die Gunst gewähren, Sie morgen nach dem Besuch bei Fräulein von Lespinasse in die Comédie française zu geleiten? Ich nehme das Stück meines Rivalen gern in den Kauf, wenn es mir zum Vorwand dient, einige Stunden länger dieselbe Luft mit Ihnen zu atmen.

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 1. April 1776.

Verehrte Frau Marquise! Ich kann nicht anders, als meinem Erstaunen, meiner Überraschung, Worte zu verleihen. Nie hätte ich mir träumen lassen, eine verwöhnte femme du monde, wie Sie, in dem schlichten Salon unsrer guten Julie wiederzusehen! Alles, was man mir von Ihnen erzählt hatte, – Ihrer Stellung in Versailles, der Schar Ihrer Verehrer, mit denen man Sie spielen sieht wie mit Billardkugeln, – ließ mich, offen gestanden, fürchten, daß das Leben der großen Welt Sie die Existenz anderer Welten, die sich früher um Ihre Seele stritten, völlig vergessen ließ. Als Sie eintraten, – die schmale Tür schien viel zu eng für die starrende Seide Ihrer Polonaise, viel zu niedrig für die nickenden Federn auf Ihrem hochfrisierten Haupt –, und Fräulein von Lespinasse Ihnen entgegenkam, diese überschlanke Leidensgestalt in dem nonnenhaften Gewande, – und Ihnen die bleiche, blaugeäderte Hand entgegenstreckte, ein gütiges Lächeln um die blutleeren Lippen, richteten sich die Blicke aller fast erschrocken auf Sie, so fremd wirkte Ihre Erscheinung in diesem Kreise. Sie fühlten es selbst, Sie saßen, der einzige weibliche Gast, in all Ihrer Pracht neben der zusammengesunkenen Julie, eine stumme Zuhörerin! Sie lauschten staunend, als Bernardin de St. Pierre, der jüngste Dichter unter den Protégés dieses Salons, die schwärmerische Ode zum ewigen Frieden vorlas und d'Alembert über die Verbrüderung der Menschheit sprach. In Ihren Augen sah ich eine Flamme leuchten, – deren plötzliches Aufglühen nur an der kleinen Delphine Laval so vertraut war –, als der Chevalier von Chastellur Voltaires Eloge de la raison vorlas, jene herrlichen Sätze, durch die der Patriarch wieder einmal alles vergessen läßt, was er Falsches getan hat. Säße auf Frankreichs Thron ein Friedrich von Preußen, des großen Weisen Hoffnungen auf seine Regierung würden erfüllt, seine Ratschläge befolgt werden. Aber es gibt nur einen Friedrich. Ludwig XVI. tafelt, jagt und zeichnet dazwischen Allegorien; Marie-Antoinette spielt die Harfe. O du glückliches Frankreich, wo es für die Könige nichts weiter zu tun gibt!

Sie vernahmen dann verwundert das ungeteilte Lob Rétif de la Bretonne's, dessen Paysan perverti natürlich vom Hof, – dessen Sittenstrenge ja über allen Zweifel erhaben ist! – als unmoralisch verurteilt wird. Ich schicke Ihnen, wie ich versprach, das Buch, urteilen Sie selbst! Man reißt sich bei den Händlern darum, aber weniger weil man hinter seiner Schlüpfrigkeit das Medusenhaupt der Wahrheit sucht, als weil man auch die Wahrheit für Schlüpfrigkeit hält. Lassen Sie sich von all dem Unrat, den der Dichter aufrührt, nicht abschrecken. Die Schäferspiele der guten Gesellschaft, die den Schmutz unter Blumen verstecken, sind lasterhafter.

Rousseau schilderte die Tugend und Glückseligkeit einer kommenden Welt; – seine Predigt von der Rückkehr zur Natur wurde nur zum Vorwand neuer Moden. Es müssen andere kommen, um dem von grausen Gebrechen entstellten Gesicht der Gesellschaft einen mitleidslosen Spiegel vorzuhalten, damit das Entsetzen sie an den Arzt erinnert, – sagte Fräulein von Lespinasse.

Nicht wahr, hier spricht man anders als in Versailles, das von dem geistigen Leben der Gegenwart weiter entfernt ist als der Mond von der Erde, oder gar in Trianon, wo man zwischen Ställen mit Marmorkrippen und Hütten mit Damastmöbeln vom »natürlichen« Leben schwärmt.

Erst als Sie gingen, waren Sie wieder die Marquise Montjoie, so sehr hatte ich inzwischen die holde Gräfin Laval wiedergefunden. Graf Guibert, dessen schönheitsdurstiger Blick keinen Augenblick von Ihnen gewichen war, folgte Ihnen. Sie sahen nicht mehr, wie Julies bleiches Gesicht sich dunkel rötete, wie ihre Augen fiebrigen Glanz bekamen. Wir alle verabschiedeten uns rasch. Nur der treue d'Alembert wird den Tränenstrom der Unglücklichen noch gesehen haben. Guibert ist Julies letzte, große Leidenschaft. Und obwohl er ihr fast alles verdankt, – sie bahnte ihm den Weg zum Ohre des verstorbenen Kriegsministers, sie interessierte den Grafen St. Germain so sehr für ihn, daß er ihn zu seinem Adjutanten ernannte, sie korrigierte seinen »Connetable von Bourbon«, so daß er auf der Bühne aufführbar wurde, – vernachlässigt er die Arme und gönnt ihr nicht einmal den frommen Betrug seiner Liebe.

Sie waren so gütig, mich zu Ihren Empfangstagen einzuladen; werden Sie auch so gütig sein, meine Ablehnung zu entschuldigen? Ich möchte Delphine Laval wiederfinden; die Sehnsucht danach ist nie erloschen. Unter den vielen Gästen der Marquise Montjoie, wo ein Abenteurer wie Beaumarchais zu den geehrtesten gehören soll, fürchte ich, Sie nur noch mehr zu verlieren.

Aber vielleicht gestatten Sie mir, Sie an einem der nächsten Tage zu Madame Geoffrin zu geleiten. In der Atmosphäre dieses Salons müssen all die verborgenen Knospen Ihres Wesens aufspringen, die weder die Treibhaushitze, noch die Schneeluft Ihrer Welt zum Blühen zu bringen vermag. Meine alte Gönnerin wird Sie, wie ich Ihnen schon einmal schrieb, gern empfangen, obwohl sie nur selten Frauen bei sich sieht. Alles, was sie in ihrem langen Leben an Bitternissen erfahren, ist nämlich, wie sie sagt, von weiblichem Neid und weiblicher Eifersucht ausgegangen.

Prinz Louis Rohan an Delphine

Straßburg, am 20. April 1776.

Eine Antwort, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, Frau Marquise:

»Ich bin weder eine Puppe, die Sie dirigieren, noch Ihre Dienerin, der Sie befehlen können.« Teuerste, warum so heftig? Habe ich je etwas anderes gewollt, als daß Sie im Einverständnis mit mir handeln möchten? Bin ich Ihnen nicht dankbar ergeben für die Klugheit, mit der Sie vorgehen, und wenn Ihre Handlungsweise, wie Sie so scharf betonen, nur von Ihrem Willen geleitet wird, muß ich Ihnen dann nicht für diesen Willen doppelt dankbar sein?

»Einen Hofmeister brauche ich nicht,« schreiben Sie weiter. Wann hätte ich mir angemaßt, es zu sein? Aber einen Freund werden Sie doch hier und da brauchen, holde Delphine, wenn Sie den Priester auch glauben entbehren zu können!

»Ihre Drohungen fürchte ich nicht –.« Drohungen?! Ein Rohan gegenüber einer Frau?! Wenn ich nicht wüßte, daß Sie scherzen, würde ich glauben, daß Sie – ein schlechtes Gewissen haben! Sie müßten wissen, daß ich in dieser Zeit sanfter Sitten trotz meiner religiösen Strenge aufgeklärt genug bin, um einer reizenden Frau jedes Vergnügen zu gönnen, wenigstens insoweit, als mein Neid es zuläßt.

Aber selbst für meine vermeintlichen Sünden will ich, weil Sie mich ihrer zeihen, Buße tun: Graf Guibert sei Ihnen verziehen. Sie reiten mit ihm, wie ich höre. Hoffentlich stört Sie die Erinnerung an den Marschall Contades nicht in Ihrem Vergnügen!

Von Straßburg wird Ihnen der Marquis erzählt haben. Es ist zum Sterben langweilig; reichten die Fluten der Erregung nicht von Paris hierher, wir würden nicht wissen, daß wir leben. Ach, die Pariser Freuden, die Frauen, die Nächte! Können Sie sich vorstellen, daß wir hier nicht nur bei Tage schlafen?!

Johann von Altenau an Delphine

Paris, 10. Mai 1776.

Teuerste Marquise! Noch klingt jedes Wort in mir nach, das wir auf dem Heimweg von Madame Geoffrin miteinander wechselten. Einen tiefen Blick ließen Sie mich in Ihre Seele tun. Werden Sie mir je verzeihen, daß ich Sie so sehr verkannte, daß ich die Maske, mit der Sie selbst die bezaubernde Schönheit Ihres Innern deckten, nicht durchschaut habe? Ich war tagelang verzweifelt, weil ich Delphine nicht wiederfand. Oder konnte Delphine es sein, die die Liebe lästerte? »Daß eine Julie Lespinasse ihr Herz ebenso wegwerfen kann wie andere Frauen!« riefen Sie aus. Delphine hätte gewußt, daß ein Herz nur hat, wer es wegwirft, dachte ich!

Und nun hat die milde Hand einer alten Frau die Maske von Ihrem Antlitz genommen. Fast klang es brutal, als sie Ihnen, kaum daß Sie neben ihr saßen, die Frage stellte: »Womit beschäftigen Sie sich?« Und rasch griff ich ein, um Ihnen aus der Verlegenheit zu helfen, und erzählte von den armen Pariser Kindern, denen Sie helfen konnten. Madame Geoffrin streichelte Ihnen freundlich die Hand. »Das ist hübsch, sehr hübsch, Frau Marquise,« sagte sie lobend, um Ihnen gleich darauf mit der neuen Frage: »Haben Sie selbst kein Kind?« das Blut abermals siedendheiß in die Wangen zu treiben.

Sie waren tief erschüttert von dem, was Ihnen begegnete, und es ist doch nichts gewesen als eine alte Frau im Kreise ernster Männer. Sie fühlten plötzlich: Ihre Welt hat alles, was schimmert und funkelt, – Reichtum, Schönheit, Esprit – aber nur Kurzsichtigen täuscht dieser Glanz Feuer vor, kein Frierender kann sich daran wärmen; die Flamme der Begeisterung, die leuchtet und glüht, brennt auf unseren Altären. Fräulein von Lespinasse ist eine Sterbende, Madame Geoffrin eine alte, einfache Frau, Madame Dudeffant eine blinde Greisin, Frau von Epinay eine Schwerkranke –, und doch strömen bei ihnen all die Männer zusammen, die die Könige des Himmels und der Erde entthronten, so daß, wer jetzt vor ihnen kniet, nur zu Phantomen noch betet.

Woher kommt das? fragen Sie. Weil diese Frauen zuerst bei sich die Tyrannei des Herkommens, der Gesellschaft, der Küche und – der Ehe zertrümmert haben. Weil sie in diesem Kampf ihre Menschlichkeit zurückeroberten und nun erst Freundinnen, Beraterinnen, Trösterinnen sein konnten.

Herr von Condorcet hat Ihnen seine Ideen über die Befreiung der Frauen von einem Jahrtausende alten Joch entwickelt. Innerhalb der ungeheuren Umwälzung, die sich vorbereitet, wird dieser Kampf eine maßgebende Rolle spielen. Sie dürfen damit nicht verwechseln, was man Ihnen von dem Frauenklub, den Fräulein Raucourt gegründet hat, erzählte. Der Loge von Lesbos gehören Weiber an, die, entweder von Liebe übersättigt, neue Reizmittel suchen, oder an unbefriedigter Liebessehnsucht kranken. Sie bemänteln ihre Wünsche nur mit den tönenden Phrasen von der Gleichstellung der Geschlechter und glauben ihre Freiheit dadurch zu dokumentieren, daß sie Männerkleider tragen und in den Kaffeehäusern mit den Männern faulenzend umhersitzen, alle Probleme der Welt beschwatzend.

Herrn von Condorcets Bestrebungen haben damit nichts zu tun; er wünscht nicht die Freiheit von der Sitte, sondern die sittliche Freiheit. Ist es nicht eine innere Notwendigkeit, daß Sie zu uns gehören ?

Ich schicke Ihnen Rousseaus »Emil«, den Madame Geoffrin Ihnen so dringend zu lesen empfahl. Ob seine Probleme Ihnen nicht noch allzu fern liegen?

Johann von Altenau an Delphine

Paris, am 30. Mai 1776.

Die Nachricht vom Tode unserer teuren Julie, der für sie eine Erlösung ist, für all ihre Freunde aber ein unersetzlicher Verlust, ging mir zugleich mit Ihrem inhaltsreichen Briefe zu.

»Sie mißverstehen mich,« schreiben Sie. »Wenn mich die stille Größe all dieser Menschen so sehr ergriff, so vielleicht gerade darum, weil ich nur der Zuschauer dieses Schauspiels sein kann. Ich habe eingesehen, daß ich viel zu klein bin, um mich neben sie stellen zu dürfen. Madame Geoffrins Fragen fühle ich wie ein Brandmal. Ich möchte nicht eher zu ihr gehen, als bis ich ihr antworten und ohne Schamröte ins Auge sehen kann. Rousseaus wundervolles Buch ist eine Offenbarung für mich.«

Mir ist, als finge ich an, Sie zu verstehen. Sie erzählten mir von Ihrem Sohn und klagten sich an, ein Gefühl der Mutterliebe niemals empfunden zu haben. Hier sprach die Natur deutlich genug; in einem Überschwang der Empfindung sollten Sie nicht daran denken, sie bekämpfen zu wollen. Ihrem eigenen Kinde nur dürfen Sie leben, dem Kinde, das ein Pfand freier Liebeshingabe ist. O, daß Sie dieses Augenblickes noch warten wollten!

Graf Guibert an Delphine

Paris, am 3. Juni 1776.

Sie haben warme Worte der Teilnahme an mich gerichtet, teuerste Frau; Sie fühlten die ganze Zerrissenheit meines Herzens angesichts dieses Todes: Ich habe meiner wunderbaren Freundin nicht sein können, was sie mir sein wollte; ihre blasse Leidensgestalt ergriff mein Herz, ihr Verstand entzückte meinen Geist, aber für meine Sinne blieb sie nur meine Schwester. Als ich Ihnen begegnete, schönste Zauberin, war alles was in mir lebte, hingerissen, entflammt, und ich Unglückseliger besaß nicht genug Stärke, um vor der armen Julie heucheln zu können. Das ist meine Schuld, von der kein Beichtiger mich freizusprechen vermöchte, auch wenn ich an die Macht der Sündenvergebung zu glauben imstande wäre. Daß aber Sie sich mit Vorwürfen quälen, Sie, die Sie grausam genug sind, meine Anbetung nur zu empfangen wie ein Götze die Opfer – kühl, unnahbar –, das schmerzt mich tief. Muß sich die Sonne schämen, weil sie leuchtet und arme Sterbliche ihre Strahlen suchen?

An einen warmen Blick Ihrer Augen, an einen leisen Druck Ihrer Hand hoffte ich oft mehr glauben zu dürfen als an die Zurückhaltung Ihres Wesens. O Delphine, war sie vielleicht nur der Ausfluß Ihrer Güte, Ihres Mitleids für Julie?! Ich muß aussprechen, was meine größte Sünde ist: am Sarge der Unglücklichen schlägt meine selig-unselige Hoffnung die sehnsuchtsgroßen Augen auf. Werde ich Vergebung finden?

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 12. Juni 1776.

Meine verehrte Frau Marquise, Ihnen zuerst, der ich so viel verdanke, sei die Nachricht mitgeteilt: das Unternehmen ist gesichert. Herr von Vergennes hat mir vorgestern die Summe angewiesen, die es mir ermöglicht zusammen mit den Geldern, die in Ihrem Salon gesammelt wurden, die ersten Schiffe auszurüsten! Ist es auch nur ein schüchterner Anfang, so fühle ich mich doch der Sache sicher, denn die Regierung, die den ersten Schritt getan hat, wird weiter gehen müssen, wenn sie sich nicht selbst desavouieren will.

Der Herr Kriegsminister hat mich, wohl infolge der Empfehlung durch den Grafen Guibert, – deren Wärme nur eine Frau entzünden konnte! – auf das liebenswürdigste empfangen. Glauben Sie mir nun, daß Venus eine Kriegsgöttin ist?

Ich habe jetzt die Arbeit von hundert Köpfen zu verrichten, was mein Herz nicht hindert, immer für Sie frei zu sein. Wenn Rodrigue Hortalez – Sie erinnern sich, daß der Deckname unsrer Reederei schon feststand, als wir noch keinen Sou im Vermögen hatten! – in Bordeaux und Marseille Waren kauft und Schiffe verfrachtet, wird Beaumarchais am Hofe von Versailles, dessen Tore die schönsten Hände der Welt ihm geöffnet haben, den Schöngeist spielen. Wenn Hortalez den jungen Helden Frankreichs, – Lafayette und der Prinz Montbéliard werden unter den ersten sein, – die Wege über den Ozean bahnt, wird Beaumarchais der Königin von Frankreich die Rolle der Rosine einstudieren, und während gekrönte Häupter nach Figaros Pfeife tanzen, wird er selbst als gefesselter Sklave seiner Herzenskönigin dienen.

Ich sehe Sie schelmisch lächeln wie damals, als Sie mich schwarz auf weiß lesen ließen, daß »Herr von Beaumarchais ein Verschwender und ein Geldschneider ist, daß er – fi donc! – Mädchen aushält.«

Wer täte dergleichen sonst in diesem tugendhaften Lande?! Etwa der Graf Artois, der Herzog von Bouillon, der Graf von Chartres, der Prinz Rohan – Ihr Freund!! –, der für seine Verdienste Erzbischof von Straßburg geworden ist und demnächst Herrn von Malesherbes ersetzen dürfte, um die französische Literatur seiner sittlichen Empfindung anzupassen?! Verleumdung – nichts als Verleumdung, nicht wahr, schöne Frau? Werft den Beaumarchais in die Bastille!

Zur Strafe für Ihr Mißtrauen verrate ich Ihnen die bösen Dinge, die ich von Ihnen weiß.

Sie waren bei Madame Geoffrin. »Mais, voilà ce qui est bon!« Mit diesen sechs Worten regiert sie, so sagt man, alle Philosophen. Ich würde dem König von Frankreich diesen Zauberspruch verraten, aber ich fürchte, er wirkt nicht. Im Salon der Rue St. Honoré werden nämlich den Schreihälsen heimlich die Mäuler gestopft, ehe der Spruch ihnen den Mund verbietet. In Versailles fehlt es zu diesem Zweck an überflüssigem Kuchen. Sie sehen, Baron Holbach hat recht: nur das Materielle existiert!

Sie waren auch in der Kirche, aber nicht um den lieben Gott zu suchen, dem man es übrigens nicht verdenken könnte, wenn er vor den Herrn Philosophen in die dunkelste Kapelle flüchten würde. Sie hörten unsere modernsten Priester, die nur noch à la grecque von Moral und Tugend reden, weil das Wort »Religion« sie gar zu lächerlich machen würde.

Und man munkelt sogar, Sie hätten im Café de la Régence Linguets Journal gelesen, jenes Chamäleons, der nur eins in der Welt fürchtet: man könne ihn in irgendeine Sekte oder Partei einreihen. Darum wechselt er rasch die Farben, sobald er merkt, daß ein anderer dieselben trägt. Vor zehn Jahren erklärte er emphatisch: »Der Arbeiter hat keinen Anteil an dem Überfluß, dessen einzige Quelle seine Arbeit ist, und von der Aufhebung der Sklaverei hat er nichts gewonnen als die Freiheit, zu verhungern,« und heute beschimpft er Philosophen und Minister, so daß sein Blatt zum Leibblatt des Adels geworden ist; denken und regieren kann seiner Ansicht nach in Frankreich nur einer: Monsieur Linguet selbst.

Ich muß Atem holen. Das war ein zu langer Satz für mich. Nur der Haß konnte mich dieser Anstrengung fähig machen. Herr Linguet war nämlich mein bester Freund.

Mein Vorzimmer steht voll Wartender. Weiß Gott, fast vergesse ich über der reizenden Marquise die Befreiung Amerikas!

Graf Guibert an Delphine

Paris, den 21. Juni 1776.

Sie empfangen mich nicht, teuerste Frau? Verletzte Sie mein Geständnis? Nur um ein Wort, meinetwegen einen Gruß durch Ihre Zofe, bitte ich Sie!

Herr von Beaumarchais an Delphine

Paris, den 30. Juni 1776.

Verehrte Frau Marquise. Der Diener wies mich ab, weil Sie krank seien, und doch sah ich Sie gestern erst in Ihrem Wagen. Was bedeutet das? Unsere gemeinsame Arbeit ist noch nicht zu Ende. Wir bedürfen gerade jetzt Ihres ganzen Einflusses, schöne Frau.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, den 6. Juli 1776.

Turgot ist gestürzt, Malesherbes geht, hinter ihnen blüht wieder die Lust, der Leichtsinn, das Leben. Ich zürnte Ihnen, holde Delphine, weil die Amazonen-Rüstung, in der Sie sich gefielen, auch Ihr Herz grausam umhüllte. Nun sehe ich erst: die reizende Streiterin im Kampfe der Männer war nur die Windsbraut, die den Winter vertreiben half.

Jetzt schüttet Flora wieder ihr ganzes Füllhorn über unsere Gärten, und in einem Regen von Rosen kehrt Delphine uns zurück. Sie warfen den Panzer von sich; endlich sah ich wieder, daß der Atem den schönsten Busen leise bewegt; Sie legten das Schwert aus der weißen Hand; endlich war sie wieder frei für meine Küsse.

Warum zögerten Sie, als die Königin Sie bat, in dem neuen Singspiel unseres Hofdichters mitzuwirken? Weil Herr von Laharpe nicht Herr von Beaumarchais ist, oder der Graf Chevreuse nicht – der Graf Guibert? Ich würde trostlos sein, wenn Sie nicht verraten hätten, daß der Rivale von Ihrem Herzen noch nicht vollständig Besitz ergriff.

»War es amüsant in den Bädern am Barrêge?« frugen Sie mich; »Sie waren, wie ich höre, in lustiger Gesellschaft!« Dabei zuckte es um Ihren Mund, und der Ton Ihrer Stimme war ein Dolch, der mich armen Sünder durchbohren sollte. Sie versuchten sogar mir Ihre Hand zu entziehen, die ich in überströmender Dankbarkeit für dies Zeichen Ihrer Eifersucht an meine Lippen preßte.

Ja, süße Delphine, es war sehr amüsant und Mademoiselle Duthé eine reizende Trösterin für Ihre Untreue!

Meinen Sie, Guy Chevreuse könne ehrerbietig wartend im Vorzimmer stehen, bis seine Gebieterin die Gnade hat, ihn wieder zu empfangen? Jeder vertreibt sich die Zeit nach seinem Geschmack: Die Marquise, indem sie mit dem Grafen Guibert – philosophiert und mit Herrn von Beaumarchais intrigiert, der Graf, indem er in den Bergen mit einer kleinen Freundin – die Natur bewundert.

Müssen wir einander nun mit Vorwürfen quälen? Die Liebe, schönste Frau, hat weder Vergangenheit, noch Zukunft, nur Gegenwart. Sie ist wie der farbenleuchtende Schmetterling, den wir gestern über den Oleanderblüten gaukeln sahen: wer denkt daran, daß er eine häßliche Raupe war, wer wüßte nicht, daß man ihn spießen muß, um ihn zu erhalten? . . .

Wollen wir morgen unsere Rollen zusammen lesen, verehrte Marquise? In Ihrem blauen Boudoir, dessen Blumenteppich die Wiese vorstellen kann, auf der wir tanzen, dessen Nische mit den schwellenden Kissen auf dem Diwan und den goldenen Amoretten, die darüber die Vorhänge lächelnd heben, die Laube sein soll, in der wir uns finden?

Marquis Montjoie an Delphine

Froberg, am 8. Juli 1776.

Meine Liebe! Ihr rascher Entschluß, nach Froberg zurückzukehren, ist ein erfreuliches Zeichen Ihrer Einsicht. Ich ersehe daraus, daß wir uns die peinlichen Auseinandersetzungen über Ihre Unterstützung der Kriegspartei hätten ersparen können. Es war, wie ich von vornherein annahm, eine Laune, die nur ein wenig zu weit ging. Sie haben den Sturz des Ministeriums beschleunigen helfen und erwarben sich dadurch nicht nur meine Anerkennung, sondern auch ein Recht auf meine Nachsicht für Ihre übrigen Eskapaden.

Zu ihrer Ankunft ist alles bereit. Ich werde auch Ihren Wunsch, unseren Sohn zu Ihrem Empfang kommen zu lassen, gern erfüllen, obwohl ich diese überraschende Anwandlung von Sentimentalität nicht verstehe.

Graf Guy Chevreuse an Delphine

Versailles, am 12. Juli 1776.

Seltsam: auf einmal ist mir, als wäre meine Liebe eine Blume mit tiefen, starken Wurzeln. Hätte ich Sie bisher nicht geliebt, ich müßte Sie um des Abschieds willen lieben, den Sie mir geben.

Meine Zunge und meine Feder sind um Worte nie verlegen gewesen, heute versagen sie den Dienst. Ich kann nur ein Echo Ihrer Stimme sein und antworte Ihnen darum mit Ihren eigenen Worten:

»Noch sah ich überall: auch das süßeste Liebesglück hinterläßt schließlich nichts als Wunden. Ich aber möchte mich seiner erinnern können, wie man im Winter an einen sonnigen Sommertag denkt. Ich möchte nicht, daß Eitelkeit, Mitleid, Respekt vor der Tugend der Treue die Existenz eines Gefühls vorzutäuschen versuchen, das schon entschwand. Wir wollen darum den Schmetterling, statt ihn zu spießen, in der blauen Luft davonflattern lassen.«

Folgen Sie ihm nicht mit den Blicken, holde Delphine; mir gingen im Nachschauen die Augen über, denn der helle Himmel blendet so sehr. Ich möchte Ihnen auch diesen Schmerz ersparen.

 


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