Paul Bourget
Kosmopolis. Zweiter Band
Paul Bourget

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Auf dem Kampfplatze

Nachdem Maud Gorka das maurische Haus in der Leopardistraße verlassen hatte, stürmte sie anfangs gerade vor sich hin, eilig, blindlings, ohne zu sehen, wo sie war, ohne einen Laut zu vernehmen, genau wie ein Wild, das, durch einen Schuß vom Lager aufgescheucht, durchs Dickicht bricht, um der Gefahr, der schmerzenden Wunde, sich selbst zu entrinnen. Ueberraschende Seelenschmerzen gleichen in ihrer unmittelbaren Wirkung den körperlichen. Im einen wie im andern Falle zuckt das in seinem tiefsten Quell bedrohte Leben und windet sich in schmerzhaftem Krampfe. Es war halb vier Uhr vorüber gewesen, als die unglückliche Frau aus dem Atelier entflohen war, weil sie sich unfähig gefühlt hatte, Lydia Maitlands Nähe länger zu ertragen, weil ihr vor diesem finstern Rachegeiste gegraut hatte, der auf so grausame Weise und mit so unwiderleglichen Beweisen das Entsetzlichste vor ihr enthüllte, den seit lange geübten, ehrlosen, unsühnbaren Verrat. Erst gegen sechs Uhr kehrte ihr das eigentliche Bewußtsein ihrer Persönlichkeit wieder. Eine sehr alltägliche Empfindung entriß sie dem nachtwandlerischen Leidenszustande, worin sie seit zwei Stunden umhergeirrt war.

Das Gewitter, das schon seit Mittag gedroht hatte, war jetzt ausgebrochen, und Maud, die den ersten schweren Regentropfen keine Beachtung geschenkt hatte, mußte wohl oder übel vor dem bald darauf beginnenden Wolkenbruch flüchten und stand, eh' sie sich's versah, unter dem Säulenumgang des Petersplatzes ganz am äußersten rechten Ende – wie war sie nur hierher gekommen? Genau wußte sie es selbst nicht, aber sie erinnerte sich jetzt dunkel, daß sie durch ein Labyrinth enger Gäßchen geeilt war, den Tiber überschritten hatte – ohne Zweifel auf der Garibaldibrücke – dann durch einen großen Garten – jedenfalls die Janiculusgärten – gelaufen und schließlich längs den alten Festungsmauern hingegangen war.

Offenbar hatte sie die Stadt durch das Pankratiusthor verlassen und war bis zum Cavalleggerithor der Bogenlinie der schönen Urbanschen Mauern gefolgt. Dieses Stück Rom mit seinem Durchblick auf die Pinien der Villa Pamfili und die Rückseite des Vatikans ist im Winter der bevorzugte Spaziergang römischer Prälaten, denen hier der Genuß der Nachmittagssonne nur selten durch Fremde verkümmert wird. Im Mai ist es schon eine sonnverbrannte Einöde. Die glühenden Strahlen benagen den von zwei Jahrhunderten ihres unerbittlichen Lichts geröteten Backstein und gleiten liebkosend über die bunt schimmernde Haut der Eidechsen, die zwischen den Bienen des Wappens von Papst Urban VIII. vom Hause der Barberini hin- und herhuschen. Mauds Instinkt hatte sie also richtig an einen Ort geführt, wo ihr keine Begegnungen drohten.

Jetzt stellte sich das Gefühl der Wirklichkeit wieder bei ihr ein. Sie fand sich in ihre Umgebung zurecht und erkannte den der gläubigen Katholikin so vertrauten Rahmen, den weitgestreckten Platz mit dem Obelisk Sixtus V. in der Mitte, die Brunnen, den Halbkreis des mit Märtyrer- und Apostelgestalten bekrönten Portikus, den Palast des Vatikan zur Seite und weiter unten die stolze Stirnseite des päpstlichen Doms mit dem Erlöser und den Apostelstatuen. Bei jedem andern Anlaß würde das gläubige Gemüt der jungen Frau in dem Zufall, der ihre Schritte unbewußt an diese Stelle gelenkt, eine höhere Fügung erkannt haben, eine Aufforderung, einzutreten und an heiliger Stätte Kraft zu erbitten von dem Gott, der gesagt hat: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.«

Allein sie befand sich noch im ersten, herben Stadium des Unglücks, wo die empörte Natur ihre Stimme erhebt und man nicht beten kann. Später erst glaubt der Mensch in der ihm auferlegten Prüfung die Hand der Vorsehung zu erkennen, im ersten jähen Schmerz sieht er nur eine gräßliche Ungerechtigkeit des Schicksals darin, die sein Wesen bis in die innersten Falten erschüttert und gegen die sich seine Seele mit all ihren Kräften auflehnt.

Was diese Auflehnung bei Maud besonders heftig und stürmisch gestaltete, war die Plötzlichkeit, womit der tödliche Streich sie, einem Blitzstrahl gleich, ereilt hatte. Es ist ja etwas Alltägliches, daß eine ehrbare Frau Beweise von der Untreue eines heißgeliebten Mannes erhält, aber in der Regel gehen Argwohn und Zweifel der Gewißheit voran. Der Ungetreue vernachlässigt sein Heim; seine Lebensgewohnheiten verändern sich, ungreifbare, aber fühlbare Veränderungen lassen die beleidigte Gattin das Vorhandensein einer Nebenbuhlerin ahnen, deren Spur die weibliche Eifersucht so leicht erkennt, als der Haushund die Nähe eines Fremden wittert. Wie schwer das Herz auch unter dem Uebergange von banger Ahnung zur Gewißheit leidet, es ist kein jähes Zerrissenwerden. Diese Vorbereitung, diese Anpassung der Seele an die furchtbare Wahrheit, war Maud Gorka nicht vergönnt gewesen. Das von der Gräfin Steno mit solcher Geschicklichkeit angezettelte Freundschaftsband zwischen ihr und Alba hatte alle Anzeichen des Gewitters von ihr abgehalten. Boleslav hatte nicht das geringste an seiner Tagesordnung zu ändern gebraucht, um nach Belieben mit seiner Geliebten verkehren und sie täglich mit einer Vertraulichkeit besuchen zu können, die ihm die eigene Frau ermöglichte. So war sie denn auch wirklich ahnungslos geblieben, sie hatte sich über die Untreue ihres Gatten mit einer Blindheit täuschen lassen, die gleichgültige, fernstehende Zuschauer nicht glauben können, weil sie sich nicht Rechenschaft geben über die Macht der Gewohnheit, aus der sie hervorgeht. Das Erwachen aus solcher trügerischen Ruhe ist entsetzlich. Mancher, der von der Gesellschaft einfach für einen gefälligen Gatten, manche Frau, die von ihren Freunden für duldsam und nachsichtig gehalten wurde, begeht plötzlich zur höchsten Verwunderung von aller Welt einen Mord oder Selbstmord. Selbst dann zögern die Leute noch, in diesem »Anfall von Wahnsinn« den Blitzstrahl zu erkennen, der verheerender, furchtbarer ist als die Leidenschaft selbst, die plötzliche Vernichtung der Illusion. Auch wenn dieser innerliche Schicksalsschlag nicht durch äußerliche Gewaltsamkeiten ans Tageslicht tritt, bedeutet er doch die unwiederbringliche Zerstörung unsrer Jugend im Gemüt, den Keim zu der unausrottbaren Vorstellung, daß alles trügerisch sei, weil wir verraten werden konnten. Jahre, mitunter das ganze Leben hindurch, bleibt uns jene Unfähigkeit, zu hoffen, zu glauben und mitzufühlen, die an diesem Spätnachmittag Maud Gorka an den Säulensockel bannte und sie in den strömenden Regen starren ließ, statt in die Basilika aller Völker einzutreten, wo in jeder Sprache der Menschheit Vergebung der Sünden und Balsam für alle Leiden dargeboten werden. Ach, schon dort zu knieen, ist Trost, und die arme Frau war erst an der ersten Stufe ihres Kalvarienberges.

Sie sah den Regen herabstürzen und fand eine gewisse Beruhigung in diesem furchtbaren Aufruhr der Natur, worin sich das Leuchten des Blitzes und das Donnergekrach mit dem Klatschen der windgepeitschten Wassermassen mischten und auf dem ungeheuren Platze widertönten. Nach dem Wirbelsturme von Schmerz ordneten sich ihre Gedanken und Vorstellungen wieder. Seit dem kurzen Blick auf das verräterische Blatt hatte sie nicht mehr klar denken können, nun stand jedes Wort wieder vor ihr, wie in Flammenschrift leuchtend, daß sie die schmerzenden Augen zudrücken mußte. Die beiden letzten Jahre ihres Lebens, die Zeit ihres Umganges mit der Gräfin Steno, tauchten in furchtbarer Klarheit vor ihr auf und jede Erinnerung entlockte ihr den Schmerzensruf: »Wie konnte er nur?« Sie sah sich wieder in Venedig, wohin Boleslav sie nach dem Tode ihres Töchterchens geführt hatte, damit die träumerische Ruhe der Lagunen ihr wild erregtes Gemüt beschwichtige. Wie gütig war die Gräfin Steno damals gewesen oder wenigstens ihr erschienen, wie zartfühlend und verständnisvoll! Die in Rom angeknüpfte oberflächliche Bekanntschaft wurde zur Freundschaft – damals hatte wahrscheinlich der Verrat begonnen! Unter dem Deckmantel einer Teilnahme, die Maud so aufrichtig erschienen war, hatte sich die Liebesdiebin eingeschlichen, und sie hatte die Lästereien und den Klatsch über eine Frau, die solcher Herzensgüte und Großmut fähig war, mit Verachtung als Lügen bezeichnet und ihre Ohren dagegen verstopft! Und damals, damals hatte ihr die ehrlose Frau den Gatten gestohlen! Tausend Einzelheiten, die sie zu jener Zeit nicht beachtet hatte, tauchten jetzt aus der Vergangenheit auf: die langen Gondelfahrten Boleslavs mit der Gräfin, die sie nie beargwöhnt hatte, ein Besuch, den er in Piave gemacht und wobei er unter dem Vorwande, den Abendzug verfehlt zu haben, über Nacht geblieben war, ihre abendlichen Zwiegespräche auf dem Altan des Stenoschen Palastes, während sie plaudernd mit Alba im Zimmer saß. Jawohl, in Venedig war das schändliche Verhältnis angeknüpft worden unter den Augen der arglosen Frau, deren Herz damals von untröstlichem Weh über den Verlust ihres kleinen Engels ausgefüllt gewesen war!

»Ach! Wie konnte er?« stöhnte sie abermals, und neue Bilder strömten herbei, als ob in ihrem Geiste alle die von Boleslav und der Steno so sorgfältig vermauerten Fenster mit grausamer Hand plötzlich aufgestoßen worden wären. Sie durchlebte die Monate nach ihrer Rückkehr wieder, den ersten römischen Winter mit den für die Schuldigen so bequemen Lebensgewohnheiten. Wie oft hatte sie nicht den Auftrag übernommen, Alba spazieren zu führen, und damit die Mutter von der einzigen lästigen Aufsicht, den Gatten von ihrer eigenen störenden Gegenwart befreit! Wie oft hatte sie nicht bei ihrer Rückkehr in den Palazzetto Doria die Steno neben Boleslav in der Bibliothek sitzend gefunden, und keine Ahnung hatte ihr gesagt, daß diese Frau in ihrer Abwesenheit gekommen sei, um ihren Mann zu küssen und Liebesworte zu flüstern! Sie erinnerte sich ihres Zusammentreffens in Bayreuth im vorigen Sommer, wo sie mit ihrem Sohne nach England gereist war, während Boleslav die Gräfin und Alba von Rom nach Bayern begleitet hatte. In Nürnberg hatten sie sich getrennt, sie war in ihren Eisenbahnwagen gestiegen mit dem kleinen Luc, er im Gasthof zurückgeblieben, Thür an Thür mit Katharina Steno . . .

Diese Vorstellung entriß ihr aufs neue den Schmerzenslaut: »Ach! Wie konnte er?«, und an das Bild ihrer eigenen Reise reihte sich der Gedanke an die überstürzte Rückkehr ihres Mannes. Sie sah ihn auf eine anonyme Verdächtigung hin Europa durchjagen, um vierundzwanzig Stunden früher in die Nähe dieser Frau zu kommen, die ihn nicht einmal liebte, denn sie betrog ihn ja mit Maitland. Wie rasend mußte seine Leidenschaft sein, daß er Zweifel und Trennung einfach nicht mehr hatte ertragen können! Sie hinterging ihn und er wollte sich ihretwegen schlagen! Dieses Frauenherz krümmte sich jetzt noch qualvoller im Bann der Eifersucht als vorhin vor Entrüstung. Sie, die große, kräftige, fast männlich gebaute Engländerin mit den mächtigen, aber schwerfälligen Gliedern verglich sich im Geist mit der geschmeidigen Italienerin mit den weichen Formen, den elastischen Bewegungen, den schlanken Händen, den winzigen Füßchen, diesem zur Liebe geschaffenen Geschöpf, das bei jeder Bewegung eine magnetische Anziehungskraft ausströmte, und sie fragte nicht mehr: »Wie konnte er?«

Sie hatte die Macht ihrer Nebenbuhlerin erkannt und gefühlt. Damit war aber für diese gemarterte, stolze Seele auch die Rückkehr der Willenskraft angebrochen. Ein Ekel erfaßte sie, ein so heftiges und tiefes Grauen vor diesem Dunstkreis der Lüge und Sinnlichkeit, worin Boleslav zwei Jahre lang gelebt hatte, daß sie die alte Kraft, die unerbittliche Strenge wiederfand. Dem Regen Trotz bietend, machte sie sich auf den Heimweg, und dabei stand der Entschluß: »Nicht einen Tag länger werde ich in der Nähe dieses Mannes bleiben, morgen bin ich mit meinem Sohn unterwegs nach England,« so klar und fest vor ihrer Seele, als ob er Wochen und Monate lang Zeit gehabt hätte, um auszureifen.

Wie viele haben sich nicht in ähnlicher Lage diesen Schwur der Selbstbefreiung geleistet, um ihn alsbald zu brechen, wenn sie dem immer noch geliebten Verräter gegenüberstanden! Trotz ihrer heißen Liebe gehörte Maud Gorka nicht zu dieser Art von Frauen. Gewiß, sie liebte ihn, liebte ihn aus tiefster Seele, diesen bezaubernden Polen, den sie gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet hatte, diesen Treulosen, dem sie alles geopfert hatte, Vaterland und Familie, weil es sein Wunsch war, fern von England zu leben, und sie nur für ihn und ihren Sohn atmete.

Aber was Mauds etwas langes und eckiges Kinn, die kurz abgeschnittene Nase und die energische Stirne andeuteten, war richtig; sie besaß jene Unbeugsamkeit, die den durch und durch rechtlichen Naturen eigen ist. Die Liebe mußte in ihr vom Ekel erstickt werden, oder wenigstens, da wir nur Herren unsrer Handlungen, nicht unsrer Gefühle sind, sie mußte es jetzt als eine Schmach ansehen, den noch zu lieben, den sie verachtete, und in diesem Augenblick beherrschte unendliche Verachtung ihr ganzes Herz. Sie besaß im höchsten Grad die große Tugend, die von wirklich vornehmer Gesinnung unzertrennlich ist, und die besonders in England zur Grundlage der sittlichen Erziehung gemacht wird – die Wahrhaftigkeit, die ihre Religion, ihre Leidenschaft war. Von jeher hatte sie unter den Unklarheiten und Schwankungen in Boleslavs Natur gelitten, aber so schmerzlich es ihr gewesen war, Uebertreibungen des Ausdrucks, gemachte Gefühle und eine bedenkliche Dehnbarkeit des Gewissens an ihm wahrzunehmen, sie hatte mit der Großmut der Liebe Entschuldigung für all diese Fehler in einer schlechten Erziehung gefunden. Gorka war nämlich schon als Kind in eine Familientragödie verwickelt worden; seine Eltern hatten getrennt gelebt, aber weder Vater noch Mutter hatten die Erziehung ausschließlich geleitet.

Woher sollte sie aber jetzt Milderungsgründe nehmen für diese schmähliche Heuchelei der beiden letzten Jahre, für die Niedertracht eines am häuslichen Herd verübten und fortgesetzten Verrates, für diese vorbedachte, überlegte, freiwillige Untreue an jedem Tag, zu jeder Stunde? Maud empfand denn auch bei aller Verzweiflung eine Art von Beruhigung, die von der Gewißheit eines unerschütterlichen Entschlusses ausgeht, und schöpfte daraus die Kraft, bei ihrer Heimkehr – ach, ach, was hatte sich nicht in den paar Stunden ihrer Abwesenheit in ihr abgespielt! – mit ruhiger Stimme zu fragen, ob ihr Mann in seinem Zimmer sei.

Der Diener bejahte es, setzte aber hinzu: »Die Frau Gräfin Steno und Komtesse Alba warten im Salon . . .«

Wie ihr da zu Mute wurde! Bei der Vorstellung, daß die Frau, die ihr den Gatten entrissen hatte, sich gerade jetzt unter ihrem Dache befinde, glaubte sie ihr Herz stillstehen zu fühlen. Es war ja ganz natürlich, daß Albas Mutter sie wie sonst besuchte, es war noch erklärlicher, daß sie es heute that, denn vermutlich war auch zu ihr die Kunde von dem Zweikampf gedrungen. Und doch erregte die Gegenwart dieser Frau zu dieser Stunde in Maud eine solche Aufwallung aller Gefühle, daß sie einen Augenblick versucht war, hineinzugehen und Boleslavs Geliebte fortzujagen, wie man einen beim Diebstahl ertappten Dienstboten fortjagt. Aber da stand mit einemmal Albas Bild vor ihr, das Bild des sanften, reinen Mädchens mit der unschuldigen Seele, deren teuerste Freundin sie war. Seit der unseligen Eröffnung war der Gedanke an Alba hin und wieder im Wirbel ihrer Gefühle aufgetaucht, aber der Jammer hatte alle Kraft ihrer Seele derart aufgesogen, daß ihre Freundschaft für das zarte, hübsche Kind schattenhaft verblaßt war. Im Augenblick jedoch, wo sie das Urteil an der Feindin ihres Glücks nach Pflicht und Gebühr vollstrecken wollte, erhob dieses Gefühl seine Stimme. Ein seltsames Erbarmen durchströmte ihr Herz und hemmte ihren Schritt mitten in der mit Säulen und Statuen geschmückten Vorhalle. Der Diener, der ihr die Salonthür öffnen wollte, hatte schon die Hand auf die Klinke gelegt, als sie ihn zurückrief. Die Aehnlichkeit der Lage, worin sie selbst sich befand und in die ihre rasche That Alba versetzen würde, hatte sie überwältigt. Blitzschnell war ein Gefühl über sie gekommen, das Alba schon so oft im Beisammensein mit Fanny Hafner empfunden hatte, Teilnahme für einen Schmerz, der dem ihrigen so gleich sein würde. Nach dem, was sie erfahren hatte, wäre es ihr körperlich unmöglich gewesen, der Gräfin Steno die Hand zu geben oder wie sonst mit ihr zu sprechen. Wenn sie hineinging, mußte sie ihr die Thür weisen, aber vor Alba ein einziges Wort fallen lassen, eine Handbewegung machen, wodurch die arme Kleine eine Enttäuschung dieser Art über die eigene Mutter erfahren würde, nein, das wäre eine ungerechte, eine heillose Rache!

Sie wendete sich der Thür zu, die in ihre persönlichen Zimmer führte, und sagte dem Diener, sie lasse den Grafen bitten, sie aufzusuchen. Ein andres Mittel, ihrem gerechten Zorn Genüge zu thun, war ihr eingefallen, ein Ausweg, wodurch sie das Herz der immer noch geliebten Freundin schonen konnte, die ja nicht dafür verantwortlich war, daß zwei Ehrlose sich hinter ihrer unschuldigen Gegenwart verschanzten. Kaum in das kleine Wohnstübchen eingetreten, das den Zugang zu ihrem Schlafzimmer bildete, setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Ihr erster Blick fiel auf ein Bild der Gräfin Steno, in einer kleinen, aus Boleslav, Alba und ihr selbst bestehenden Gruppe, das ihr mit so stolzer Vermessenheit zulächelte, daß der durch Mitleid zwar gehemmte, aber nicht gestillte, wilde Groll wieder mit voller Macht über sie kam. Sie nahm den Rahmen zur Hand, warf ihn zu Boden, trat das Glas unter ihre Füße und warf dann auf das erste beste weiße Blatt, das ihre zitternden Finger finden konnten, Worte hin, wie nur die Leidenschaft sie wagt.

»Ich weiß alles. Seit zwei Jahren sind Sie die Geliebte meines Mannes. Leugnen Sie nichts – ich habe das Geständnis von Ihrer eigenen Hand gelesen. Ich will Sie weder sprechen, noch sehen. Richten Sie sich so ein, daß Sie keinen Fuß mehr über meine Schwelle setzen. Wenn ich Sie heute nicht selbst fortjage, so unterbleibt es nur aus Rücksicht auf Ihre Tochter. Ein zweites Mal werde ich auch davor nicht zurückschrecken.«

Sie war eben daran, ihr energisches »Maud Gorka« darunter zu setzen, als sie die Thür gehen hörte. Boleslav war eingetreten. Ein rätselhafter Ausdruck auf seinem Gesicht trieb die unglückliche Frau vollends zum Aeußersten. Er war vor einer Stunde nach Hause gekommen, hatte gehört, daß Maud die von einem Unwohlsein befallene Frau Maitland in ihre Wohnung gebracht habe, und hatte seither mit brennender Ungeduld gewartet, weil ihm sofort der Gedanke aufgestiegen war, Lydias Zustand könnte mit dem morgigen Zweikampf in Zusammenhang stehen und Maud also auch Kenntnis davon erhalten. Gewisse Erörterungen und namentlich das Abschiednehmen pflegt ein Mann, der im Begriff ist, sich zu schlagen, gerne zu vermeiden. Obwohl er sich zu einem Lächeln zwang, war ihm seine Vermutung zur Gewißheit geworden, denn die sichtbare Erregung, worin er seine Frau sah, bedurfte für ihn keiner weiteren Erklärung. Aber wie konnte er ahnen, daß sie nicht nur von dem Zweikampf, sondern auch von dem Liebeshandel Kunde erhalten, der jetzt beendigt war und den sie zwei volle Jahre nicht geahnt hatte?

Da Maud ihn schweigend empfing und er in diesem Schweigen eine gewisse Drohung herausfühlte, wollte er, um Fassung und Zeit zu gewinnen, ihre Hand ergreifen und, wie er es gewöhnlich that, einen Kuß darauf drücken. Aber mit einem Blick, den er nie in ihren Augen gesehen hatte, drängte sie ihn zurück und bot ihm das Briefblatt, das sie eben beschrieben hatte.

»Sei so gut und lies dies, ehe ich's der Gräfin Steno schicke, die mich mit ihrer Tochter im Salon erwartet . . .«

Boleslav nahm das Blatt, überflog die wenigen Zeilen und wurde erdfahl. Seine Erschütterung war so groß, daß er das Billet wortlos seiner Frau zurückgab und nicht einmal den leisesten Versuch machte, diese blutige Schmähung von dem Haupt der einstigen Geliebten abzuwenden, die ihm noch teuer genug war, um sein Leben ihretwegen aufs Spiel zu setzen. Und doch wäre das seine Pflicht gewesen, allein dieser tapfere und dabei so kluge und gewandte Mann war von einer jener Ueberraschungen betroffen, die all unsre Fähigkeiten in Verwirrung bringen. Regungslos sah er zu, wie Maud das Billet in einen Umschlag steckte, die Adresse darauf schrieb und klingelte.

»Bringen Sie das der Gräfin Steno und entschuldigen Sie mich bei den Damen,« hörte er sie dem Diener sagen. »Ich bin nicht wohl genug, um Besuch zu empfangen – bleiben Sie dabei, auch wenn die Damen dringend wünschen sollten, mich zu sprechen. Es wird niemand angenommen, verstehen Sie mich wohl, gar niemand . . .«

Der Mann hatte das Briefchen an sich genommen, war hinausgegangen und hatte ohne Zweifel seinen Auftrag ausgeführt, während die beiden Gatten sich noch schweigend ansahen, ohne daß eines von beiden den Mut gefunden hätte, dieses erneute, gewitterschwüle Schweigen zu brechen. Die Feierlichkeit dieser Stunde lastete schwer auf ihnen. Seit dem Tage, wo der Kardinal Manning in der alten Kapelle von Schloß Ardrahan ihre Geschicke aneinander geknüpft hatte, war kein so entscheidender, furchtbarer Augenblick für sie angebrochen. Solche Momente legen den innersten Kern unsres Wesens bloß. Die mutige, vornehme Frau dachte nicht daran, ihre Worte zu wägen. Es lag ihr weder daran, ihre Eifersucht an neuen Einzelheiten zu weiden, noch die Pfeile zu schärfen, die sie mit Fug und Recht dem Manne zuschleudern durfte, dem sie heute früh noch arglos, zärtlich und unbefangen vertraut hatte. Niedrigkeit und Grausamkeit sollten dieser Frau auch im äußersten Falle fremd bleiben, aber der stolze Entschluß, den sie gefaßt hatte, kam keinen Augenblick ins Schwanken. Was sie einzig und allein noch von diesem Manne erwartete, den sie so sehr geliebt, so hoch gestellt hatte und den sie jetzt so tief gesunken vor sich sah, war ein Aufschrei der Wahrhaftigkeit, ein Geständnis, worin sie einen letzten Rest von Ehrgefühl beben hören würde. Doch wenn er schwieg, so that er es nicht, weil er sich zum Leugnen anschickte. Der Ton von Mauds Erklärung an die Gräfin ließ ihm keinen Zweifel über die Vollwertigkeit der Beweise, die man ihr gezeigt, die sie vielleicht in Händen hatte.

Wie kam sie dazu? Um diese Frage aufzuwerfen, war er von einem wunderbaren inneren Vorgang, der die Widersprüche seiner Natur merkwürdig klar beleuchtete, zu sehr in Anspruch genommen. Boleslav hatte bei der Mitteilung, daß Maud in sein schuldvolles Thun eingeweiht sei, wirklichen Schmerz empfunden, und zwar litt er nicht nur um sich, sondern ebenso sehr um sie. Das genügte, um diesem Schmerz ein paar Minuten oder ein paar Stunden lang sein ganzes inneres Sehfeld einzuräumen. Er lebte sich jetzt ohne alle Heuchelei in die Rolle des zärtlichen Gatten ein, der wohl schwach war, aber seine Frau selbst während des Verrats geliebt hat. Allerdings war diese Schattierung wirklich in seinem Abenteuer vertreten gewesen, aber wie leise! Und doch glaubte er nicht zu lügen und war es nicht Lüge, als er jetzt endlich das Schweigen brach und die so lang Getäuschte anredete:

»Du hast dich mit großer Härte gerächt, Maud, aber es war dein gutes Recht! Ich weiß nicht, wer dir diese Verirrung enthüllt hat, aber sie war eine große Schuld, eine Schmach und auch ein großes Unglück . . . Es ist mir bekannt, daß ich irgendwo in Rom erbitterte Feinde habe, die mich zu Grunde richten wollen, und ich bin überzeugt, daß sie mir kein Mittel der Verteidigung übrig gelassen haben. Aber auch wenn sie's gethan hätten, ich würde nicht danach greifen. Ich habe dich zu lange getäuscht und zu schwer darunter gelitten.«

Er hielt inne, der bebende Herzenston, womit er gesprochen hatte, war nicht gemacht. Daß er vor zehn Minuten mit dem festen Vorsatze ins Zimmer getreten war, dieser Frau den Zweikampf und seine Ursache sorgfältig zu verheimlichen, war längst vergessen. Er würde in diesem Augenblicke ohne Zaudern sein Leben für ihre Vergebung hingegeben haben.

»Was man dir auch gesagt haben mag,« fuhr er mit weicher, halb erstickter Stimme fort, »was du auch gelesen haben magst – alles weißt du nicht, Maud!«

»Ich weiß genug,« unterbrach sie ihn, »denn ich weiß, daß du der Geliebte dieser Frau gewesen bist, daß du mit der Mutter meiner teuersten Freundin an meiner Seite, unter meinen Augen, ein Liebesverhältnis unterhalten hast. Wenn es wäre, wie du sagst, wenn du unter dieser Lüge und Heuchelei gelitten hättest, so würdest du mit deinem Bekenntnis nicht gezögert haben, bis ich die unwiderleglichen Beweise deiner Treulosigkeit in Händen hielt. Du hast die Maske nicht abgeworfen, ich habe sie dir vom Gesichte gerissen. Mehr wollte ich nicht . . . Die Einzelheiten dieses unwürdigen Romans wirst du mir erlassen. Nicht um danach zu forschen, bin ich in ein Haus zurückgekehrt, worin jede Ecke, jedes Gerät mich daran erinnert, wie kindlich, rückhaltslos und blind ich an dich geglaubt habe und wie du mich verraten hast, nicht einmal, nein Tag für Tag, daß du mich noch gestern, vorgestern, heute, diesen Morgen belügen und betrügen konntest – das genügt mir!«

»Aber mir genügt es nicht!« rief Boleslav. »Was du mir da sagst, ist Wort für Wort wahr, und ich habe verdient, es von deinen Lippen zu hören. Was du aber in den dir ausgelieferten Papieren nicht lesen konntest, was seit zwei Jahren in meinem tiefsten Herzen verschlossen war und jetzt ans Licht drängt, ist eine andre Wahrheit. Maud, ich habe während all dieser unseligen Verirrungen nie aufgehört, dich zu lieben! Ach! Weiche nicht von mir zurück – sieh mich nicht mit diesem Blicke an! Wenn ich es bisher nicht gewußt hätte, an dem Schmerze, womit mir deine Worte ins Herz schneiden, hätt' ich's gefühlt, daß etwas in mir ist, das immer dein eigen blieb! Diese Frau konnte ein Irrlicht für mich sein, sie hat meine Sinne, meine Leidenschaft, meine Thorheit, all meine bösen Triebe gefangen nehmen können, du bist mein Heiligtum, mein Glaube, meine Liebe geblieben. Wenn ich dich belogen habe, geschah's nur, weil ich viel zu genau wußte, daß ich dich am Tage der Entdeckung so vor mir sehen würde, wie ich dich jetzt sehe, unerbittlich, an mir verzweifelnd – ach, und ich kann's nicht ertragen, dich so zu sehen! Richte mich, verdamme mich, fluche mir, aber wisse, fühle dabei, daß ich dich geliebt habe, daß ich dich liebe . . .«

Die Erregung, womit er gesprochen hatte, war wieder nicht erkünstelt gewesen. Nachdem er selbst in so grausamer Weise verraten worden war, erkannte er den Wert dieses lauteren Geschöpfes, das er nun auch noch verlieren sollte, in seinem vollen Umfange. Wenn es ihm heute nicht gelang, ihr Herz zu rühren, heute, am Vorabend seines Zweikampfes, wann würde es ihm dann gelingen? Darum hatte er sich ihr auch mit dem nämlichen Ausdrucke leidenschaftlicher, demütiger Anbetung genähert, womit er ihr einst in den ersten Zeiten ihrer Ehe, vor seiner Untreue, von Liebe gesprochen hatte. Ohne Zweifel drängte sich diese Erinnerung auch Maud auf, hatte aber nur eine verletzende Wirkung, denn mit gesteigertem Grauen wich sie noch mehr vor ihm zurück.

»Schweig!« versetzte sie voll Widerwillen. »Diese Lüge ist noch abscheulicher als die andre. Sie schmerzt mich mehr und ich schäme mich für dich, daß du nicht einmal den Mut deiner Schuld hast. Gott ist mein Zeuge, wenn du mir gesagt hättest: Ich liebte dich nicht mehr und habe mir eine Geliebte genommen. Dich zu belügen, war mir bequem. Ich habe meiner Leidenschaft alles geopfert, Pflicht, Ehre, Eid und dich, so hätte ich ein gewisses Maß von Achtung wiederfinden können. Ach! Sprich so zu mir, nur daß ich endlich das Gefühl habe, dein wahres ›Ich‹ zu kennen . . . Daß du es wagen kannst, mir nach dem Geschehenen noch mit zärtlichen Redensarten zu kommen, das empört mich, das ekelt mich an, das ist zu bitter!«

»Jawohl – so mußt du denken. Wie sollte deine schlichte, gerade Natur Verständnis haben für einen schwachen Willen, der will und nicht will, der aufschnellt und zurücksinkt? Und doch – wenn ich dich nicht liebte, wozu sollte ich dich belügen? Hab' ich denn noch etwas zu schonen, zu retten? O, wenn du wüßtest, in welcher Lage ich mich befinde, am Vorabend welchen Tages ich dich anflehe, dich beschwöre, mir zu glauben, daß das Beste in mir nie aufgehört hat, dein eigen zu sein!«

Diese Anspielung auf seinen Zweikampf war die stärkste Versuchung, die er diesem tief verwundeten Frauenherzen zumuten konnte. Da sie nicht davon gesprochen hatte, nahm er an, daß sie noch nichts davon wisse, aber ihre Entgegnung, die ihm den Höhegrad ihrer Entrüstung deutlich vor Augen rückte, sollte ihn mit neuer Bestürzung erfüllen.

»Wenn du es wüßtest,« wiederholte er.

»Daß du dich morgen schlagen willst, weiß ich,« sagte sie, »und ich weiß auch, daß es nur deiner Geliebten halber geschieht.«

Die Empörung hatte die Liebe verschlungen.

»Das ist nicht wahr, nicht ihretwegen! . . .«

»Du bist etwa nicht ihretwegen in die Leopardistraße gegangen, um mit deinem Nebenbuhler Streit zu suchen? Denn nicht einmal treu ist sie dir, und das ist nur gerecht. Nicht ihretwegen wolltest du in das Haus eindringen, obwohl dir der Schwager des Begünstigten den Einlaß verwehrte, wodurch ein Wortwechsel entstanden ist, dem schließlich die Herausforderung folgte? Nicht ihretwegen bist du wie ein Rasender von Warschau hierhergereist, nachdem anonyme Briefe dich über ihre Treulosigkeit aufgeklärt hatten? Du wußtest darum – wußtest alles – und es hat dir dieses Geschöpf nicht verleidet! Wenn sie es der Mühe wert gefunden hätte, dich zu täuschen, so lägst du heute noch zu ihren Füßen! Und du wagst es, von Liebe zu mir zu sprechen, zu mir, der du nicht einmal die Schmach erspart hast, all diese Schändlichkeiten und Erbärmlichkeiten aus fremdem Munde zu erfahren?«

»Aus welchem Mund?« rief Boleslav außer sich. »Nenne mir den Judas!«

»Sprich dieses Wort nicht aus – du hast das Recht dazu eingebüßt,« fiel ihm Maud mit Bitterkeit ins Wort. »Und suche nicht in der Ferne. Ich habe heute niemand gesprochen als Frau Maitland.«

»Frau Maitland?« wiederholte er. »Maitlands Frau hat mich bei dir verklagt? Sie hat die anonymen Briefe geschrieben?«

»Sie wollte sich rächen, und sie hatte ein Recht dazu, weil deine Geliebte auch ihr den Gatten genommen hat.«

»Nun denn, ich werde mich auch rächen! Ich werde ihr diesen Gatten töten – sie will es ja nicht anders – aber erst den Bruder. Beide werde ich niederschießen, einen nach dem andern . . .«

Seine beweglichen Züge, die eben noch nichts als heißes Flehen und Zerknirschung ausgedrückt hatten, waren jetzt ein Spiegel von Haß und Wut, und derselbe Umschlag hatte sich in seinem zügellosen Gemüt vollzogen.

»Jetzt habe ich nichts mehr zu schonen, keine Rücksicht mehr zu nehmen,« fuhr er fort. »Die Einzige, die ich schonen wollte, warst du . . . Allein ich sehe es klar, zwischen uns ist alles zu Ende. Stolz und Rachsucht sind stärker in dir als die Liebe. Wenn dem nicht so wäre, hättest du mich beschworen, mich nicht zu schlagen, und mir hernach und nicht heute die Vorwürfe gemacht, deren Berechtigung ich nicht bestreite. Von dem Augenblick an, wo ich weiß, daß deine Liebe tot ist – wehe jedem, der mir in den Weg tritt! Wehe dieser Lydia Maitland und allen, die ihr lieb sind!«

»Dieses Mal wenigstens sind deine Gefühle aufrichtig!« versetzte Maud mit erneuter Bitterkeit. »Du findest also, ich hätte noch nicht genug Demütigungen erfahren? Du wolltest, daß ich, deine Frau, vor dir auf den Knieen liegen sollte und dich anflehen, dich nicht für die Geliebte zu schlagen? Und du fühlst nicht, daß dieser Zweikampf die tiefste Schmach für mich ist? Uebrigens,« setzte sie mit feierlichem Ernst hinzu, »habe ich dich durchaus nicht hierher gebeten, um diese frucht- und trostlose Erörterung herbeizuführen. Ich werde die Mittel anrufen, die das Gesetz zu meiner Verfügung stellt.«

»Das habe ich nicht verdient!« entgegnete Boleslav hochfahrend.

»Ich werde heute nacht noch hier schlafen,« fuhr Maud, ohne den Vorwurf zu beachten, fort, »und morgen abend nach England abreisen.«

»Du bist frei!« sagte er, sich verbeugend.

»Und meinen Sohn nehme ich mit.«

»Unsern Sohn!« verbesserte er mit der Kaltblütigkeit eines Mannes, dessen Herz zurückgewiesen worden ist und der sich in sich selbst zurückzieht. »Nein, ich verweigere dir ihn.«

»Du verweigerst mir ihn? Nun denn, so werden wir kämpfen. Ich wußte es ja, daß du mich nötigen würdest, den Schutz des Gesetzes anzurufen, aber auch ich werde vor nichts mehr zurückschrecken. Der Verrat, den du an mir geübt hast, war auch ein Verrat an deinem Kind. Ich werde es dir nicht lassen – du bist seiner nicht mehr würdig . . .«

»Höre mich an, Maud!« begann Boleslav nach kurzem Schweigen mit Wehmut. »Bedenke, daß es heute vielleicht das letzte Mal ist, daß wir uns sehen! Falle ich morgen, so bist du ohnehin frei, bleibe ich am Leben, so verspreche ich dir, mich jeder billigen, gerechten Anordnung zu fügen. Um was ich dich bitte und was, trotz all meiner Verirrungen im Namen unsres einstigen Glückes, im Namen dieses Kindes selbst von dir zu verlangen ich das Recht habe, ist, daß wir nicht so voneinander gehen. Gib einer Regung – ich will nicht sagen der Versöhnlichkeit – aber doch des Mitleids Raum . . .«

»Hast du Mitleid mit mir empfunden, als du, mein Herz zertretend, deiner Leidenschaft gefolgt bist? Nein!« – Sie schritt an ihm vorüber der Thür zu und streifte ihn mit so hochmütigem Blick, daß er die Augen senken mußte. – »Du hast keine Frau mehr, ich keinen Gatten. Ich bin keine Frau Maitland – ich räche mich weder durch anonyme Briefe, noch durch Verrat. Aber verzeihen? Niemals – versteh mich wohl, niemals!«

Mit diesem Worte, worein sie alle unbeugsame Willenskraft ihrer Natur zu legen gewußt hatte, verließ sie das Zimmer. Boleslav machte keinen Versuch, sie aufzuhalten. Als der Diener eine Stunde später hereinkam, um ihm zu melden, daß aufgetragen sei, saß der Unglückliche, den Arm auf die Kaminplatte, die Stirne auf die Hand gestützt, noch am nämlichen Fleck. Er kannte Maud zu genau, um sich der Hoffnung auf eine Willensänderung hinzugeben, und trotz aller Fehler, Thorheiten und sittlicher Verworrenheit besaß er zu viel echte Ritterlichkeit, um Gewaltmittel anzuwenden und die Frau, an der er sich so schwer versündigt hatte, wider ihren Willen festzuhalten. Sie wollte sich also von ihm trennen! Wenn er auch vorhin den Ausdruck seiner Gefühle übertrieben oder vielmehr sich selbst vorgespiegelt hatte, daß er nie aufgehört habe, sie zu lieben, so war doch ein Kern von Wahrheit darin gewesen. Durch alle Verirrungen hatte er ihr in der That eine Art von Neigung bewahrt, die aus Dankbarkeit, Achtung, Gewissensnot und namentlich aus Selbstsucht zusammengesetzt war. Er hielt in ihr ein Herz hoch, auf dessen Hingebung er unfehlbar zählen durfte, und, wie viele Männer, die eine makellose Gattin hintergehen, war er stolz auf die Liebe, die er verriet. In ihr sah er gleichzeitig die Würde und die Gnade seines Lebens. Sie war in seinen Augen der Punkt geblieben, zu dem man immer zurückkehrt. Die sichere Freundin in der Stunde der Prüfung, der Ankerplatz nach sturmgepeitschter Fahrt, der Friede, für den der Leidenschaft müde Gewordenen.

Was für ein Leben lag vor ihm, wenn sie ihn verließ? Und sie wird ihn verlassen! Ihr Entschluß war unwiderruflich. Alles um ihn her ging in Trümmer. Die Geliebte, der er das reinste, zärtlichste Herz geopfert hatte, war ihm unter so widerlichen Umständen verloren gegangen, daß auch die zwei Jahre leidenschaftlichen Glückes davon besudelt waren. Seine Frau verließ ihn, und würde es ihm gelingen, seinen Sohn zu behalten? Um Rache zu üben, war er zurückgekommen, und bis jetzt hatte er seinen Nebenbuhler nicht einmal treffen können! Dieser Stimmungsmensch war von all diesen gleichzeitigen Schicksalsschlägen so völlig gebrochen, daß ihm die Aussicht, morgen sein Leben aufs Spiel zu setzen, als ein süßer Trost erschien. Zugleich stieg eine herbe Bitterkeit gegen alle mit seinem Abenteuer verknüpften Personen in ihm auf. Er hätte die Steno und Maitland, Lydia und Florent mit seinen Händen erwürgen mögen, und ebenso diesen Dorsenne, der seinen Rachedurst durch einen Meineid auf ein paar Stunden eingewiegt und dadurch nur um so heißer entfacht hatte.

Als er mit seinem Knaben allein zu Tische ging, nahm das Wirrsal seiner Gedanken noch zu. Heute früh noch war er an dieser Stelle den treuen, heiteren Augen seiner Frau begegnet. Die Entziehung ihrer Gegenwart, deren unersetzlicher Wert ihm jetzt voll zum Bewußtsein kam, schmerzte ihn so tief, daß er einen letzten Versuch wagen wollte und nach der Mahlzeit den kleinen Luc in ihr Zimmer schickte, um die Mama zu fragen, ob sie beide zu ihr kommen dürften. Das Kind brachte eine verneinende Antwort.

»Die Mama ruht aus. Sie hat gesagt, man dürfe sie nicht wecken.«

Es war also nichts zu machen. Er würde sie vor morgen nicht wiedersehen – wenn er dann noch lebte. Zwar hatte er sich heute abend durch eine kleine Schießübung vor den Augen seiner bewundernden Zeugen von der Sicherheit seiner Hand überzeugt, aber ein Zweikampf ist immer eine Lotterie. Er konnte fallen. Nicht einmal die Möglichkeit dieser ewigen Trennung hatte die beleidigte Frau gerührt – was blieb ihm sonst, um ihren Sinn zu beugen? Er sah sie im Geiste vor sich, wie sie hinter geschlossenen Fensterläden die Kerzen auslöschte und in tiefer Dunkelheit alle Schmerzen durchmachte, das bittere, versöhnungslose Weh, das nur fluchen kann, und dieses Bild zerriß ihm das Herz. Damit sie wenigstens durch einen unbestechlichen Zeugen erfahre, daß auch er gelitten habe, zog er den Knaben an sich und schloß ihn stürmisch an die Brust.

»Wenn du die Mama früher siehst als ich,« flüsterte er ihm zu, »nicht wahr, dann wirst du ihr erzählen, daß wir den Abend ohne sie recht traurig verbracht haben?«

»Was hast du denn, Papa?« rief das Kind. »Ich werde ja ganz naß, weinst du?«

»Erzähl' ihr auch das, versprich mir's! Wenn sie sieht, wie lieb wir sie haben, wird sie sich um so sorgfältiger pflegen.«

»Aber die Mama ist gar nicht so krank,« bemerkte das Kind nachdenklich. »Wir sind spazieren gegangen und da war sie ganz lustig!«

»Ich hoffe auch, es hat nichts zu bedeuten,« versetzte Gorka.

Er mußte den Knaben fortschicken und ausgehen, denn er fühlte sich so unglücklich, daß es ihm geradezu unmöglich war, allein zu sein. Aber wohin sollte er gehen? Unwillkürlich wendete er seine Schritte dem Klub zu, obwohl es noch zu früh war, zahlreiche Gesellschaft dort zu finden. Er stieß auf Pietrapertosa und Cibo, die im Klub gespeist hatten und nun auf einem Diwan ausgestreckt mit dem feierlichen Ernst von zwei Botschaftern, denen die Lösung der orientalischen Frage übertragen ist, halblaut verhandelten.

»Du siehst recht angegriffen aus,« bemerkte der eine, »und warst heute nachmittag doch ganz ruhig?«

»Ja,« stimmte Cibo bei. »Du hättest mit uns essen sollen, wie wir's haben wollten . . .«

»Am Abend vor einem Zweikampf,« fuhr Pietrapertosa lehrhaft fort, »muß man weder mit seiner Frau, noch mit seiner Geliebten zusammen sein. Die Gräfin Gorka hat doch keinen Verdacht geschöpft?«

»Keine Rede,« versetzte Boleslav. »Aber ihr habt recht, ich hätte bei euch bleiben sollen. Nun, jetzt bin ich da und wir werden die schwarzen Gedanken bei Spiel und Abendbrot vergessen.«

»Spiel und Abendbrot!« rief Pietrapertosa. »Und deine Hand? Bedenke deine Hand! Du wirst zittern . . .«

»Eine leichte Mahlzeit, um zehn Uhr zu Bett, um halb sieben Uhr heraus, zwei weiche Eier und ein Glas Portwein, das ist Machaults Vorschrift für Duellanten.«

»Die ich nicht befolgen werde,« warf Boleslav hin. »Ich gebe euch mein Wort, daß ich nicht in diesem Zustand wäre, wenn mich nichts andres bedrückte als dieser Zweikampf.«

Die Italiener fühlten, daß der traurige Ton aus dem Herzen kam, und waren taktvoll genug, nicht weiter in ihn zu dringen. Selbstverständlich waren sie mit dem Klatsch des großen Dorfs Rom viel zu genau vertraut, um über die wahre Ursache dieses Zweikampfes im Dunkel zu sein. Andrerseits kannten sie auch Boleslav hinreichend, um seine Aeußerungen nicht immer buchstäblich zu nehmen, allein dieses Mal lag ein so schlichtes Gefühl in seinem Ton, daß sie davon ergriffen wurden und wie auf Verabredung den Launen ihres phantastischen Freundes nachgaben, der sich nicht vor morgens um zwei Uhr von ihnen trennte. Sie fuhren nicht schlecht dabei. Boleslav setzte sich gegen Mitternacht in den Kopf, Bank zu halten, und da sich die Zeugen je mit einem Prozent daran beteiligten, konnten sie nach einer waghalsigen, ungewöhnlich tollen Partie je ein paar tausend Franken in die Tasche stecken, somit bei ihrer nächsten Reise einige Tage länger in Paris bleiben. Es war daher wirklich verdienstlich, daß sie beim Abschied wehmütige Bemerkungen über das Glück ihres Freundes austauschten.

»Ich habe Angst für ihn,« sagte Cibo. »Solches Glück im Spiel am Vorabend eines Duells ist ein böses Zeichen, sehr bös . . .«

»Um so mehr, als eine gewisse Person dabei war,« setzte Pietrapertosa hinzu, indem er das Zeichen machte, womit die »jettatura«, der böse Blick, unschädlich gemacht wird.

Um keinen Preis würde er den Mann genannt haben, gegen dessen unheimliche Kraft er sich in dieser Weise vorsah, aber Cibo verstand ihn wohl. Die Uhr aus der Hosentasche ziehend, wo er sie nach englischer Sitte an einer am Gürtel befestigten Sicherheitskette trug, wies er ihm unter den Anhängseln eine kleine Korallenzacke.

»Die hab' ich den ganzen Abend nicht losgelassen,« sagte er. »Das Schlimmste ist, daß Gorka nicht schlafen wird, und dann – die Hand –«

Von diesen Weissagungen sollte nur die erste sich bewahrheiten. Unter die eigentümlichen Erscheinungen der Nervenüberreizung gehört auch die Unermüdlichkeit, die jedenfalls auf Kosten der echten Lebenskraft geht, aber augenblicklich Wunder thut. Zu dieser thöricht späten Stunde heimgekehrt, legte sich Boleslav nicht einmal nieder. Er verbrachte den Rest der Nacht damit, einen Brief an seine Frau zu schreiben und einen zweiten an seinen Sohn, der diesem, falls er starb, an seinem achtzehnten Geburtstage übergeben werden sollte. Dann ordnete er seine Papiere und bekam dabei auch Katharina Stenos Briefe in die Hand. Als er diese durchblätterte und ein paar Photographieen der ungetreuen Geliebten erblickte, steigerte sich seine Wut derart, daß er alles zusammen in einen großen Umschlag steckte und ihn an Lincoln Maitland adressierte. Kaum hatte er jedoch sein Siegel darauf gedrückt, so fragte er sich achselzuckend: »Wozu?« und zog das Stück Stoff heraus, womit die Oeffnung des Kamins verstopft war, legte den Umschlag auf den Rost und zündete ein Feuerchen an. Als der Morgen graute, stocherte er noch mit der Feuerzange in den Kohlen herum und steckte die verschont gebliebenen Blätter vollends in Brand, die einzigen Ueberreste seiner großen gewaltigen Leidenschaft. Diese unzweckmäßige Verwendung der möglicherweise letzten Nacht hatte keine Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen. Er war kaum bleicher als sonst, und doch erschraken die Freunde, als er gegen acht Uhr vor dem Wirtshaus, das zum Schauplatz des Kampfes bestimmt war, von seinem Phaethon stieg, über die starre, maskenhafte Ruhe seiner Züge. Das Anspannen hatte er gestern schon auf eine frühere Stunde befohlen, um seine Frau durch den Vorwand eines morgendlichen Ausflugs zu täuschen. In seiner Verwirrung hatte er es unterlassen, einen Gegenbefehl zu geben, und war durch diesen Zufall zwei Schutzleuten entronnen, die auf Lydia Maitlands Anzeige hin den Ausgang des Palazzetto Doria bewacht hielten. Die Droschke, worin diese Agenten dann dem Phaethon gefolgt waren, hatte bald seine Spur verloren, denn Boleslav fuhr mit einem englischen Vollblut, das, von einem Mann seiner Art und von seiner Gemütsverfassung gelenkt, wie ein Pfeil dahinflog. Somit waren die Vorsichtsmaßregeln Lydia Maitlands nach dieser Seite hin fruchtlos, und ebenso wurden sie bei ihrem Bruder zu Schanden, der, um Lincoln nichts merken zu lassen, gleichfalls einen Ausflug in die Campagna vorgeschützt und im Gasthof zu Nacht gespeist und geschlafen hatte. Dort hatten ihn Montfanon und Dorsenne im vorschriftsmäßigen Landauer abgeholt. Ungefähr auf der Höhe des Zirkus Maxentius auf der Appischen Straße sauste Boleslavs leichtes Gefährt an ihnen vorüber und Montfanon bemerkte: »Da können Sie gute Ruhe haben, lieber Chapron! Wie soll einer zielen, der sich die Arme vorher derart ermüdet?«

Das war die einzige Anspielung auf den Zweikampf, die während der etwa einstündigen Fahrt zwischen den dreien gemacht wurde. Florent hatte sich unterhalten wie sonst, alle möglichen Fragen gestellt, die seine Freude an eingehender Belehrung verrieten – er fragte meist nach Dingen, die zu wissen seinem Schwager nützlich sein konnte! – und der Marquis hatte ihm mit gewohnter Redseligkeit Auskunft gegeben und seine Betrachtungen und Erinnerungen angeknüpft an die unermeßliche Ebene mit ihren verfallenen Gräbern, Palästen und Aquädukten, die mit der bläulichen Linie der Albaner Berge so herrlich abschließt.

Nur Dorsenne war schweigsam geblieben. Es war zum erstenmal, daß er einem Zweikampfe beiwohnen sollte, und er konnte eine nervöse Angst nicht überwinden. Bange Vorgefühle schnürten ihm das Herz zusammen, und dabei hatte er fortwährend die Sorge, Montfanons religiöse Bedenken könnten wiederkehren und es nötig machen, einen neuen Zeugen zu suchen, wodurch sich die ersehnte Lösung verzögern würde.

Allein der Kampf, der sich in dem Herzen des Legitimisten von echtem »Schrot und Korn« zwischen dem Edelmann und dem Christen abspielte, äußerte sich unterwegs nur in einer fast unmerklichen Bewegung. Als der Wagen am Eingang zu den Calixtus-Katakomben vorüberfuhr, wendete der einstige päpstliche Soldat den Kopf ab, dann aber führte er das Gespräch um so lebhafter fort, bis der Wagen beim Grabmal der Cäcilia Metella in einen Querweg einbog. Hier stand die auf Cibos Grundstück errichtete Osteria »del tempo perso«, wo der Zweikampf stattfinden sollte. Drei Wagen hielten schon vor der Spelunke, deren Wirtsschild von dem stolzen Wappen des Papstes Innocenz VIII. überragt war: Gorkas Phaethon, ein Landauer, worin seine Zeugen mit dem Arzt herausgefahren waren, und eine einfache Droschke, die einen Heilgehilfen hergebracht hatte. Diese ungewöhnliche Ansammlung von Wagen war allerdings geeignet, die Aufmerksamkeit auf der Streife befindlicher Carabinieri zu erregen, aber Cibo bürgte für die Verschwiegenheit des Gastwirts, der seinem Herrn die echte Lehenstreue entgegenbrachte, die man in Italien noch häufig findet.

Die drei Neuangekommenen brauchten keinerlei Erklärung zu geben. Ein Dienstmädchen führte sie sofort durchs Schankzimmer, wo zwei Jäger, die Flinte zwischen den Knieen, beim Frühstück saßen, echte Römer, die den Fremden kaum einen Blick gönnten. Vom Haus traten sie in ein Höfchen, dann durch eine Scheune auf einen großen, mit Brettern umzäunten Rasenplatz, wo da und dort ein paar Pinien angepflanzt waren. Cibo hatte früher hier eine Art von Pferdezucht betrieben, das heißt er hatte, um seine bescheidenen Einkünfte zu vermehren, aufs Geratewohl dürre Klepper aufgekauft, um sie, herausgefüttert und erholt, mit mäßigem Gewinn an Droschkenkutscher zu verkaufen. Das Unternehmen hatte nicht viel eingetragen und die Weide lag jetzt unbenutzt und verlassen da, bis sie von Zeit zu Zeit für Zwecke wie der heutige gebraucht wurde.

»Wir sind die letzten,« sagte Montfanon, nach der Uhr sehend, »und doch fehlen noch fünf Minuten an der festgesetzten Zeit.«

Leise erteilte er Florent noch ein paar Verhaltungsmaßregeln.

»Danke!« erwiderte der junge Mann mit einem Blick auf seine beiden Zeugen, wie er ihn sonst nur für seinen Schwager hatte. »Und wie es auch gehen möge, Sie wissen, daß mein Herz voll aufrichtigen Dankes für Sie ist . . .«

Es lag ein solcher Zauber in diesem Abschiedswort, sein Mut war so ehrlich und aufrichtig, die Aufopferung für den Freund so großherzig und selbstverständlich, und Montfanon und Dorsenne hatten in diesen Tagen den ganzen Reiz und Wert dieser herrlichen, von aller Selbstsucht freien Natur so schätzen gelernt, daß sie ihm mit wahrer Innigkeit die Hand drückten. Ueberdies wurden beide sofort von jenen Vorbereitungen in Anspruch genommen, ohne die es für Menschen von einigem Gefühl gar nicht möglich wäre, die Zeugenrolle überhaupt auszuhalten. Unter erfahrenen Männern, wie Montfanon, Cibo und Pietrapertosa, sind diese Einleitungen im Nu erledigt, denn alles ist gesetzmäßig geregelt, wie die Figuren eines Tanzes. Zwanzig Minuten nach Chaprons Ankunft standen sich die Gegner Aug' in Auge gegenüber, das Zeichen erfolgte, die beiden Schüsse knallten gleichzeitig und Florent stürzte in das kurze, schon sonnverbrannte Gras. Er hatte eine Kugel in den Schenkel erhalten.

Dorsenne hat es später oft als einen Zug schriftstellerischen Heißhungers angeführt, daß er trotz seiner Angst in der Sekunde, als der Verwundete zusammenbrach, Montfanon beobachtet habe, um ihn zu studieren. Er pflegte hinzuzusetzen, daß er schmerzliches Erbarmen nie deutlicher ausgedrückt gesehen habe, als auf dem Antlitz dieses Mannes, der, aller Menschenscheu vergessend, sich bekreuzigte. Das war der gläubige Christ, der sich vom Altar der Märtyrer in den Katakomben losgerissen hatte, um ein Werk der Barmherzigkeit zu erfüllen, und, von der eigenen Heftigkeit hingerissen, in die Notlage gekommen war, einem Zweikampf beizuwohnen, wofür er ohne Zweifel Gottes Verzeihung anrief. Das arme Herz des von widerstreitenden Gefühlen erfüllten Gläubigen hatte wenigstens den Trost, daß der Arzt nach der ersten Untersuchung in einem durch Cibos Fürsorge bereitstehenden Zimmer den Ausspruch thun konnte, es sei keine Lebensgefahr vorhanden. Die Kugel, die weder den Knochen noch wichtige Muskeln verletzt habe, könne sofort herausgenommen werden und es handle sich nur um ein paar Wochen der Ruhe und Geduld.

»Wir haben also nichts mehr zu thun,« schloß Cibo, der diesen tröstlichen Bericht überbracht hatte, »als den Thatbestand schriftlich festzustellen.«

In dem Augenblick, als die Zeugen im Begriff standen, sich dieser letzten beruhigenden Förmlichkeit halber ins Haus zu begeben, trat ein höchst unerwarteter Zwischenfall ein, der das bisher alltägliche Duell in einen jener denkwürdigen Zweikämpfe verwandeln sollte, die für den Fechtsaal und Klub unerschöpflichen Gesprächsstoff liefern.

Boleslav Gorka, der, seit sein Gegner umgesunken war, ohne Teilnahme für die mehr oder weniger schwere Verwundung den Rasenplatz mit langen Schritten durchmessen hatte, trat plötzlich an die dicht beisammenstehenden vier Männer heran und sagte in einem Ton, der keine Vorbereitung auf das Unglaubliche enthielt: »Darf ich Sie noch einen Augenblick in Anspruch nehmen, meine Herren? Ich möchte Herrn Dorsenne in Ihrer Gegenwart ein Wort sagen.«

»Ich stehe ganz zur Verfügung, Gorka,« erwiderte Julian, der sich über die feindselige Gesinnung des einstigen Freundes keinen Augenblick täuschte. Die Form, worin sie sich äußern würde, erriet er freilich nicht, aber sein falsches Ehrenwort lag ihm schwer auf dem Gewissen und er war bereit, Rechenschaft darüber zu geben.

»Es wird Sie nicht lange aufhalten, mein Herr,« fuhr Boleslav mit der nämlichen herausfordernden Höflichkeit fort, »und Sie wissen ja, daß wir eine Rechnung zu begleichen haben. Da ich nun triftigen Grund habe, Ihren Ehrbegriff nicht für voll zu nehmen, möchte ich Ihnen jeden Vorwand zu Ausflüchten entziehen.«

Ehe sich jemand dem unerhörten Verfahren widersetzen konnte, hatte er seinen Handschuh geschwungen und Dorsenne ins Gesicht geschlagen. Während Gorkas Rede war der Schriftsteller erschreckend fahl geworden. Die ihm angethane Schmach thätlich zu erwidern, hatte er nicht Zeit, denn die drei Zuschauer warfen sich blitzschnell zwischen ihn und den Angreifer, und er hatte vollauf zu thun, sie mit entschlossener Gebärde von sich abzuwehren.

»Nehmen Sie sich in acht, meine Herren!« sagte er. »Wenn Sie mich verhindern, dem Grafen Gorka die verdiente Züchtigung zu erteilen, so zwingen Sie mich dadurch nur, auf andre Art Genugthuung zu fordern, und zwar sofort. Ich werde diesen Ort nicht verlassen, ohne sie erlangt zu haben . . .«

»Und ich nicht, ohne sie gegeben zu haben!« fiel Gorka ein. »Das war ja mein Zweck.«

»Nein, Dorsenne,« rief Montfanon, der dem Schriftsteller zuerst in den Arm gefallen war. »So werden Sie sich nicht schlagen! Einmal haben Sie gar nicht das Recht dazu . . . zwischen der Veranlassung zum Zweikampf und diesem selbst müssen mindestens vierundzwanzig Stunden liegen . . . Und Sie, meine Herren, werden schwerlich darauf eingehen, einem Mann als Zeugen zu dienen, der sich eben so schwer gegen alle Regeln des Zweikampfes vergangen hat . . . wenn Sie sich dazu hergeben, so ist's eine Barbarei, Wahnsinn, alles, was Sie wollen, nur kein ritterlicher Kampf . . .«

»Ich wiederhole Ihnen, Montfanon,« sagte Dorsenne, »daß ich nicht vom Platze weiche und den Grafen Gorka nicht von hier fortlasse, ehe ich Genugthuung erlangt habe, und ich fühle, daß ich dazu berechtigt bin, und zwar auf der Stelle.«

»Und ich wiederhole, daß ich Herrn Dorsenne sofort zur Verfügung stehe,« erklärte Boleslav.

»Gut, meine Herren,« versetzte Montfanon, »dann bleibt uns nichts übrig, als Sie die Sache nach Ihrem Geschmack abmachen zu lassen und uns zurückzuziehen. Sie sind doch auch dieser Ansicht?«

Seine Frage an Cibo und Pietrapertosa wurde nicht ohne weiters beantwortet.

»Allerdings ein schwieriger Fall,« stammelte der eine.

»Doch immerhin nicht ohne Vorbild,« bemerkte der andre.

»O ja,« setzte Cibo hinzu, »man braucht nur an die aufeinanderfolgenden Duelle Henry de Pènes zu denken.«

»Ein Beispiel, das ich für maßgebend halte,« fiel Pietrapertosa ein.

»Maßgebend ist mir hierin niemand!« rief Montfanon. »Ich weiß nur, daß ich für meinen Teil nicht hierher gekommen bin, um einer Schlächterei beizuwohnen, und daß ich ihr nicht beiwohnen werde. Meine Herren! Ich gehe, und rechne darauf, daß Sie es ebenso machen werden, denn ich nehme nicht an, daß Sie Ihre Kutscher als Zeugen verwenden wollen. Leben Sie wohl, Dorsenne . . . an meiner Freundschaft werden Sie deshalb nicht zweifeln . . . ich glaube sie Ihnen aufrichtig zu beweisen, indem ich verhindere, daß Sie sich unter solchen Umständen schlagen.«

Als der alte Edelmann in das Wirtshaus zurückgekehrt war, wartete er zehn Minuten. Er war fest überzeugt, daß sein Abgang auch für Cibo und Pietrapertosa bestimmend sein und dieser so befremdlich an den ersten angeheftete zweite Waffengang auf übermorgen vertagt werde. Es war keine Unwahrheit gewesen, er hatte wirklich aus warmer Freundschaft für Julian gegen diesen Zweikampf mit zornerhitztem Blut Einsprache erhoben. Gorkas unsäglich heftige Handlungsweise ließ ja keinen friedlichen Ausgleich zu, aber je häßlicher der Schimpf war, desto kälteres Blut und reifere Ueberlegung waren zur Feststellung der Kampfbedingungen nötig. Um sich das bange Warten auf die Rückkehr der vier jungen Männer zu kürzen, bat er den Wirt, ihm das Zimmer zu zeigen, wohin Florent gebracht worden war, und wurde in den ersten Stock geführt, wo der Arzt eben den Verband anlegte.

»Sie sehen, ich werde vier Wochen lang hinken dürfen,« sagte ihm der Verwundete, der ein wenig blaß, aber ruhig aussah. »Wo ist Dorsenne?«

»Er wird gleich kommen, hoffe ich,« erwiderte Montfanon. »Dorsenne ist ein Narr!« setzte er in grimmiger Laune hinzu. »Ja, Dorsenne ist ein Narr und Gorka ein wildes Tier, das man niederschießen sollte wie einen tollen Hund. Ein Tier ist er, der Graf Gorka.« Er schilderte nun den Vorgang, der die beiden Zuhörer derart überraschte, daß der Arzt mit der Binde in der Hand wie erstarrt dastand. »Und da wollten sie sich auf der Stelle schlagen wie zwei Rothäute! Warum nicht gleich skalpieren, wenn sie doch einmal d'ran sind? Und dieser Cibo und dieser Pietrapertosa, die zu dem Unfug Ja und Amen gesagt hätten, wenn ich nicht dazwischen gefahren wäre! Glücklicherweise fehlen ihnen jetzt zwei Zeugen und es würde schwer halten, so von ungefähr in der Campagna zwei geeignete Personen zu finden, die ein Protokoll unterzeichnen könnten, und heutzutage ist ihnen ja der Fetzen Papier die Hauptsache! Wir haben einmal derartige Zeugen gehabt, ein Freund von mir und ich, zu zwanzig Franken per Kopf . . . aber das war in Paris, im Jahr 1862.«

Er verlor sich in Einzelheiten über diesen Fall, nur um seine Hörer und sich selbst über die Angst zu täuschen, die doch von Zeit zu Zeit wieder zum Vorschein kam.

»Wie lang es dauert, bis sie auseinandergehen!« rief er wiederholt. »Und doch ist's ja unmöglich, daß sie sich schlagen . . . kann man von hier nicht hinaussehen?«

Er trat ans Fenster, das in der That auf den Weideplatz ging und ihm einen Anblick bot, der ihn aller Fassung beraubte.

»Die Unseligen!« stammelte er. »Das ist ja eine Ungeheuerlichkeit! Sind sie denn alle wahnsinnig geworden? Sie haben Zeugen gefunden – und welche? Die beiden Jäger, die unten in der Wirtsstube saßen! Ach mein Gott! Mein Gott!«

Montfanon konnte nicht weiter sprechen. Der Arzt war ebenfalls ans Fenster gestürzt und beachtete nicht, daß auch Florent sich mühsam hinschleppte. Ob sie eine Viertelstunde oder nur ein paar Minuten dort standen? Keiner hätte es nachher zu sagen gewußt, so sehr hatte das Entsetzen sie gelähmt. Wie Montfanon vorhergesehen hatte, waren die Duellbedingungen gräßlich geworden, denn Pietrapertosa, der offenbar die Leitung übernommen hatte, war jetzt eben damit beschäftigt, nachdem er zuvor eine Strecke von fünfzig Schritt abgemessen hatte, in einer Entfernung von zehn bis zwölf Schritt zwei Linien zu ziehen.

»Sie haben zwölf Schritt Barrière mit Avancieren gewählt!« stöhnte der alte Haudegen, den seine Sachkenntnis nicht täuschte, denn Dorsenne und Gorka, die sich auf fünfzig Schritt gegenüberstanden, begannen in der That, die Waffe bald hebend, bald mit entsetzlicher Besonnenheit von Gegnern, die um keinen Preis fehlen wollen, senkend, sich gegen die Mitte in Bewegung zu setzen. Der erste Schuß wurde abgefeuert. Es war Gorkas Schuß – Dorsenne war unverletzt. Dieser hatte noch ein paar Schritte bis zur Barrière – er machte sie und stand mit so sichtlicher Absicht, seinen Gegner zu treffen, zielend still, daß man Cibo rufen hörte: »So drücken Sie doch ab! Um Gottes willen los!«

Julian drückte, diesem höchst gesetzwidrigen, aber unter diesen Umständen höchst natürlichen und verzeihlichen Zwischenruf ganz mechanisch gehorchend, ab, der Schuß ging los und ein dreifacher Schrei entfuhr den Lippen der Zuschauer am Fenster, als Gorkas Arm schwer herabsank und die Waffe aus seinen Händen glitt, er selbst aber nicht ins Wanken kam.

»Ein zerschmetterter Arm, weiter nichts!« rief der Arzt.

»Unser Herrgott ist wieder einmal barmherziger gewesen, als wir's verdienen,« sagte der Marquis.

»Jetzt wird der Rasende doch Ruhe geben – wackerer Dorsenne!« sagte Florent, im Gedanken an seinen Schwager erleichtert aufatmend. Auf Montfanon und den Arzt gestützt, erreichte er das Sofa wieder und setzte heiter hinzu: »Beeilen Sie sich, Doktor, man wird Sie da unten gleich nötig haben.«



 << zurück weiter >>