Paul Bourget
Kosmopolis. Zweiter Band
Paul Bourget

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Achtes Kapitel.

Aus der Familie Jago

Die Selbstanklage über sein unkluges Betragen, die der Marquis so ehrlich geäußert hatte, sollte sich bald zu bitterer Reue steigern. »Die Sache läßt sich schlimm an,« war Montfanons erstes Wort über diesen Zweikampf gewesen, und es war in der That nicht leicht, eine friedliche Lösung herbeizuführen. In solchen Fällen kann jede Aufwallung eines Zeugen zur Katastrophe werden. Wie es unter derartigen Umständen zu geschehen pflegt, folgten sich die Ereignisse in überstürzender Hast und die trüben Weissagungen des reizbaren Marquis gingen, schon während er sie aussprach, in Erfüllung. Kaum hatten er und Dorsenne den Palast Savorelli verlassen, als der auf zehn Uhr von Hafner herbeschiedene Gorka dort eintraf. Die Entschiedenheit, womit er eine Versöhnung zurückwies, die auf Entschuldigungen von seiner Seite beruht hätte, gab dem vorsichtigen Freiherrn und dem nicht minder klugen Ardea das Zeichen, sich endgültig von der Sache zurückzuziehen. Ueberzeugt, daß zwischen diesem Rasenden und einem so schwierigen Manne wie Chaprons Hauptbevollmächtigtem ein gewaltsamer Zusammenprall nicht zu vermeiden sei, baten sie Boleslav gleichzeitig, sie ihrer Aufgabe zu entheben. Fannys Verlobung lieferte dafür einen so stichhaltigen Vorwand, daß er ihnen willfahren mußte, und der Rücktritt dieser beiden Zeugen war wieder eine Katastrophe.

Voll Ungeduld, neue, und zwar entschlossene und heißblütige Helfer zu finden, stürzte der Pole in den Jagdklub. Der Zufall wollte, daß ihm zwei Bekannte in die Hände liefen, ein Römer, der Marquis Cibo, und ein Neapolitaner, der Fürst Pietrapertosa, ganz die richtigen Leute, um selbst die harmloseste Sache folgenschwer zu machen. Die beiden jungen Männer aus dem besten Adel Italiens, beide gescheit, ehrenhaft und gut, gehörten zu einer Menschensorte, die man in Wien, Madrid und Petersburg wie in Mailand und Rom antrifft, zu den Klubmenschen, die unter dem Zauberbann von Paris stehen. Was für sie Paris heißt, ist das lebenslustige, lärmende Paris, das Paris, das am Morgen modische Leibesübungen betreibt, am Nachmittag auf dem Rennplatz erscheint, später auf dem Fechtboden und in verschwiegenen kleinen Gasthäusern zu finden ist, den Abend dem Theater und die Nacht dem Spiel widmet. Das ist ihr Orakel. Dieses Paris, das der Reihe nach zum Taubenschießen nach Monte Carlo, zur Rennwoche nach Deauville, zum Baccarat in die Badestadt Aix auswandert, hat seine eigene Moral, sein eigenes Rotwelsch, seine eigene Chronik und sogar seine eigene Spielart von Kosmopolitismus, denn es übt durch ganz Europa hindurch einen solch gebieterischen Zauber auf die Gemüter, daß Cibo und sein Freund Pietrapertosa zum Beispiel nie eine französische Zeitung zur Hand genommen hätten, die nicht vom Boulevard stammte. Sie suchten darin natürlich nur die vermischten Nachrichten, worin haarklein Bericht erstattet wurde über die neue Hauseinrichtung einer Halbweltdame, über das letzte Souper bei einem berühmten Lebemann, über die und die Gesellschaft in dem oder jenem Klub, den Ausgang eines Wettschießens bei Gastinne oder einen Waffengang zwischen zwei berühmten Fechtern.

Diese harmlose Narrheit, die aus dem derben, rotköpfigen Cibo und dem hagern, blassen Pietrapertosa zwei köstliche – Strohpuppen gemacht hatte, die für Dorsenne während seines römischen Winters ein ergötzliches Studium gewesen waren, sollte im Dienste von Gorkas Rache zwei bedenkliche Bevollmächtigte aus ihnen machen. Mit welcher Würde und welcher Lust sie den Auftrag annahmen, wird jeder begreifen, der sich solche Helden des Fechtbodens je aus der Nähe oder der Ferne besehen hat. Punkt neun Uhr am andern Morgen erschienen sie feierlich und streng vorschriftsmäßig bei den Zeugen des Gegners, um halb ein Uhr war der Zweikampf beschlossene Sache und bis in die kleinste Einzelheit geregelt. Montfanons ganze Willenskraft, die er in einer Erörterung von drei tödlich langen Stunden aufgeboten hatte, hatte nur dazu geführt, mildere Bedingungen zu erlangen – vier Kugeln auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Schritt. Am Tage darauf sollte der Zweikampf in aller Frühe in einem kleinen Gehölz stattfinden, das Cibos Eigentum war, in offener Campagna unweit des klassischen Grabes der Cäcilia Metella lag und in dessen Nähe eine kleine Weinkneipe stand. Selbst diese Entfernung und den Gebrauch neuer Waffen würde der Marquis schwerlich herausgeschlagen haben, wenn er nicht zufällig den in der Provinz und im Auslande legendenhaft fortlebenden Namen Gramont-Caderousse genannt hätte, der ihm in den Augen dieser Zeugen Glanz und Ansehen verlieh, während Paris ihn längst vergessen hat – sic transit gloria mundi!

»Und meine Schuld ist's,« stöhnte der wackere Mann mit feuchten Augen, als die italienischen Pariser sich endlich zurückgezogen hatten. »Mit diesem Hafner hätten wir bei etwas gutem Willen von unsrer Seite einen so bequemen Frieden schließen können. Der gute Chapron! Ich, ich habe ihn in die Gefahr hineingeritten, während es meine Schuldigkeit gewesen wäre, ihn zu schützen und bis zuletzt bei ihm auszuhalten. Und jetzt wieder Duellzeuge – in meinen Jahren! Haben Sie bemerkt, wie die jungen Laffen klein beigaben, als ich mein eigenes Duell mit dem armen Caderousse erwähnte? Zweiundfünfzig Jahre alt und sich noch nicht beherrschen können! Gehen wir zu ihm. Ich will unsern Freund um Verzeihung bitten und ihm einige Anleitung geben. Wir führen ihn dann zu einem alten Bekannten von mir, der in der Nähe der Villa Pamfili einen ganz einsamen Garten hat, wo wir ihn den Nachmittag über im Schießen einüben können. Ach! Meine verwünschte Heftigkeit! Es hätte so fadengerade abgehen können! Zwei oder drei Worte, und die Sache wäre aufs anständigste beigelegt gewesen . . .«

»Trösten Sie sich, Marquis,« erwiderte Florent auf den kläglichen Bericht des alten Edelmannes. »Es ist mir eigentlich lieber so. Graf Gorka hat eine Züchtigung verdient, und ich bedaure nur, sie ihm nicht gründlicher erteilt zu haben. Schlagen muß ich mich ja sowieso, und dann hätte ich wenigstens etwas davon!«

»Und Sie haben nie eine Pistole in der Hand gehabt?« fragte Montfanon.

»Pah! Ich bin ein leidlicher Jäger und weiß mit der Flinte umzugehen . . .

»Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht!« fiel ihm der Marquis ins Wort. »Machen Sie sich fertig. Um drei Uhr holen Sie mich ab und ich werde Ihnen noch Unterricht geben . . . überdies gibt's einen Herrgott für die Tapferen.«

Obwohl Chapron dieses Lob durch die heitere Ruhe seiner Antwort reichlich verdient hatte, war die erste Viertelstunde, nachdem seine Zeugen ihn verlassen hatten, denn doch recht peinlich. Der Marschall Ney, der doch in solchen Dingen kein Kind war, hat einmal eine Aeußerung gethan, die im Munde eines Helden den Eindruck erhabener Geradheit macht, indem er während des ganzen berühmten Marsches auf Orcha nichts sagte, als: »Es ist mir recht unbehaglich zu Mute.« Man muß das Wort immer wieder anführen, weil es ebenso menschlich wahr ist als das andre: »Wer ist denn der Held Y., der vorgibt, nie Angst gehabt zu haben?«

Was Chapron in diesen ersten Augenblicken empfand, war nichts andres, als eine nur zu berechtigte Beklemmung, eine Niedergeschlagenheit, womit er auf die Uhr sah und sich sagte: »In vierundzwanzig Stunden wird der Zeiger auf dieser Stelle stehen, aber ob ich dann noch leben werde?«

Allein er war ein Mann und wußte sich zu fassen. Er versuchte die Anwandlung von Schwäche zu bekämpfen und beschloß, ehe er die Freunde aufsuchte, seine letztwilligen Verfügungen zu treffen. Seit Jahren war es seine Absicht, dem Schwager sein ganzes Vermögen zu hinterlassen. Er entwarf also ein Testament in diesem Sinne und schrieb anfangs mit etwas zitternder Hand, später sicher und fest. Als er damit zu Ende war, fand er noch den Mut, zwei Briefe zu schreiben, den einen an Maitland, den andern an seine Schwester. Als er all diese Vorbereitungen getroffen hatte, war es noch zwanzig Minuten bis drei Uhr.

»Noch siebzehneinhalb Stunden der Erwartung,« dachte er, »aber die Nerven glaube ich jetzt in Zaum zu haben. Ein Spaziergang wird ihnen die Unruhe vollends vertreiben.«

Er nahm sich also vor, Montfanon zu Fuß aufzusuchen und verschloß die drei Schreiben sorgfältig in seinem Schreibtisch. Im Vorübergehen überzeugte er sich, daß Maitland nicht in seiner Werkstatt war, dann fragte er den Diener, ob seine Schwester ausgegangen sei, worauf er die Antwort erhielt, die gnädige Frau sei eben beim Ankleiden und habe auf drei Uhr den Wagen bestellt.

»Weder er noch sie haben Argwohn geschöpft,« sagte er sich, »also bin ich gerettet . . .«

Wie verwundert er gewesen wäre, wenn sein Auge, indes der immer ziemlich schleppende Schritt ihn dem Kapitol zutrug, in das eben verlassene Rauchzimmer hätte zurückblicken können! Er hätte dann eine Frau durch die mit allen Vorsichtsmaßregeln eines Missethäters lautlos geöffnete Thür hereinschleichen sehen. Er hätte gesehen, wie sie die auf dem Schreibtisch zerstreuten Papiere untersuchte, ohne ihre Lage zu verändern. Die Visitenkarten Dorsennes und Montfanons veranlaßten sie, die Stirne zu runzeln. Sie schüttelte die Löschpapierbogen und trug die einzelnen Blätter vor den Spiegel, um den verkehrten Abdruck der Briefaufschriften zu entziffern. Und endlich hätte er gesehen, wie diese Frau einen Schlüsselbund aus der Tasche zog. Sie versuchte eines der kleinen Schlüsselchen an dem von Florent so sorgfältig verwahrten Fach, öffnete es und nahm die drei überschriebenen, aber noch nicht versiegelten Schreiben heraus. Und diese Frau, die jetzt mit angstverzerrten Zügen die Briefe las, die sie dank ihrer schmachvollen Uebung im gemeinen Spionenhandwerk entdeckt hatte, war seine eigene Schwester, dieselbe Lydia, die er für eine so sanfte, einfältige Seele hielt, der er für den Fall seines Todes so innige Abschiedsworte hinterlassen hatte. Wenn er sie jetzt hätte sehen können, er wäre zurückgebebt vor dieser Lydia, so sehr entstellte die Leidenschaft dieses Gesichtchen, das für hübsch aber unbedeutend galt. Sie selbst, die vermessene Spionin, zitterte wie Espenlaub; ihre Pupillen vergrößerten sich, ihre Brust hob und senkte sich stürmisch, ihre Zähne schlugen gegeneinander, so sehr hatte das Entsetzen sie verstört. Was sie jetzt erfahren hatte, war ihr eigenes Werk. Hatte sie nicht die anonymen Briefe verfaßt, um die Steno bei Gorka zu verdächtigen? Hatte sie nicht die überstürzte Rückkehr des Eifersüchtigen herbeigeführt, um die gewisse Rache auf die verhaßten Häupter ihres Gatten und der Venetianerin zu lenken? Der Blitz schlug ein, wie sie es gewollt. Aber wen traf er? Den einzigen Menschen, den Lydia wirklich liebte, diesen Bruder, den sie allein der Gefahr preisgegeben hatte, und diese Vorstellung war ihr so gräßlich, daß sie ganz gebrochen auf den Stuhl vor Florents Schreibtisch sank und mit der Betonung einer Wahnsinnigen immerfort wiederholte: »Er wird sich schlagen! Er – er wird sich schlagen – nicht der andre!«

Die ganze Geschichte dieser finstern, gewaltthätigen Seele lag in dem Schmerzensschrei, worin sie die leidenschaftliche Liebe zum Bruder und den wilden Haß gegen den Gatten zusammenfaßte. Dieser Haß aber war das Ergebnis einer Kinder- und Mädchenzeit, die den Schlüssel bot zu dieser bei einem so jungen Geschöpf schier unbegreiflichen, verbrecherischen Doppelzüngigkeit. Dort lagen die Keime von Lydias heutigen Handlungen, aber wen hatte sie je zur Seite gehabt, um diese Natur in richtige Bahnen zu lenken, auf die von den Merkmalen einer unterdrückten Rasse die beiden hassenswertesten, die Heuchelei und die Ränkesucht, übergegangen waren? Und wer hatte in ihrer Kindheit die im Grundsatz landläufige, in der Ausübung so oft vernachlässigte Wahrheit berücksichtigt, daß die Fehler des zehnten die Laster des dreißigsten Jahres sind? Schon als ganz kleines Mädchen hatte Lydia ebenso selbstverständlich Lügen erfunden, als ihr Bruder die Wahrheit sprach. Wer sie genau beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß all ihre Unwahrheiten darauf hinausliefen, sie in einer edlen Rolle zu zeigen und ihre frühreife Eitelkeit in günstige Beleuchtung zu stellen. Ebenso früh hatte sich eine unbewußte, unvernünftige, beinahe krankhafte Eifersucht angekündigt. Sie konnte kein neues Spielzeug in Florents Hand sehen, ohne sofort zornig zu werden: sie duldete nicht, daß der Vater den Knaben liebkoste, ohne sich auf der Stelle dazwischen zu werfen, und ebensowenig ertrug sie es, daß Florent sich ohne sie mit andern Kindern belustigte.

Wenn Napoleon Chapron die Rätsel der Menschenseele so ernsthaft überdacht hätte, als den Verkauf seiner Kokons und seines Zuckerrohrs, so würde er mit Schrecken inne geworden sein, daß alle Anlagen eines schlechten Charakters sich in diesen Kleinigkeiten verrieten. Aber er gehörte wie sein Sohn zu den schlichten Seelen, die nicht urteilen, wo sie lieben. Ueberdies bildeten die beiden Kinder für das verletzbare Gemüt dieses halben Paria den einzigen frischen Trostesquell in der doppelten Vereinsamung des Witwertums und des Menschenhasses. Er hing an ihnen mit der vergötternden Liebe des Mannes der Arbeit, die eine der gefährlichsten Arten väterlicher Zärtlichkeit ist, besonders wenn die Hellsichtigkeit der Mutterliebe ihre Schwächen nicht mäßigt. Lydias werdende Laster dünkten dem Pflanzer reizende phantasiereiche Einfälle.

Wenn sie log, so rief der vortreffliche Mann: »Wie viel Geist die Kleine hat!« War sie eifersüchtig, so preßte er das zarte Körperchen an seine breite Brust und dachte: »Welches Gemüt sie hat!« Aus dieser selbstsüchtigen Verblendung – denn solche Liebe ist Selbstsucht – ergab sich, daß Lydia schon bei ihrem Eintritt in die Erziehungsanstalt von Rochampton ein verdorbenes, gerade in den wesentlichsten Gemütsanlagen verirrtes Geschöpfchen war. Aber sie war ein reizendes Kind, sie verdankte der Kreuzung dreierlei Rassen eine so eigenartige Anmut, einen so verführerischen Reiz, daß nur der Scharfblick einer genialen Erzieherin in diesem erlesenen zierlichen Wesen die bereits vorgezeichneten Umrisse des wahren Charakters unterschieden haben würde. Von genialen Erzieherinnen wimmelt es jedoch nicht in der Welt, am wenigsten in den Klöstern, und in Rochampton war zufällig keine einzige vorhanden, als Lydia in das fromme Haus eintrat, das ihr verhängnisvoll werden sollte. Was die Spielplätze des friedlichen Beaumont für Florent zum Freundschaftsparadies machte, hatte hier die entgegengesetzte Wirkung.

Unter den Schülerinnen, in deren Kreis sich Lydia vollends entwickeln sollte, befanden sich gerade vier junge Mädchen aus Philadelphia, die kaum zwei Jahre älter waren als die »Neue« und die wie sie Amerika zum erstenmal verlassen hatten. Aus der Heimat hatten sie sowohl das unüberwindliche Vorurteil gegen schwarzes Blut mitgebracht, als die wunderbare, dem echten Yankee angeborene Fähigkeit, es selbst am allerwinzigsten Anzeichen zu unterscheiden. Die kleine Chapron war als Französin eingetragen worden, und ihre Mitschülerinnen schwankten anfangs über den Verdacht, der jedoch bald zur Gewißheit wurde. Aus dieser Gewißheit ging ein Abscheu hervor, woraus sie kein Hehl machten, und sie hätten nicht Kinder sein müssen, wenn sie nicht grausam gewesen wären. Sie fingen alsbald an, der armen Lydia tausenderlei kleine Kränkungen anzuthun, es gelang ihnen jedoch nicht, ihre persönlichen Gefühle der ganzen Schule mitzuteilen. Schulen sind die menschliche Gesellschaft im Kleinen, auch hier wandert ungerechter Haß wie der Ring im Spiel von einem zum andern und kehrt zuletzt immer an seinen Ausgangspunkt zurück. Wer verachtet, wird immer auch selbst von irgend jemand verachtet, eine verdiente Züchtigung, die aber unsern Hochmut ebensowenig vernichtet, als die sonstigen Strafen, von denen das Leben wimmelt, unsre andern Fehler aufheben. Lydias Peinigerinnen waren selbst die Opfer des Hochmuts der in England geborenen Mädchen und mußten über gewisse Satzbildungen und ihr näselndes Sprechen viel Spott über sich ergehen lassen. Ihre Ungezogenheiten gegen die niedliche kleine Französin trugen dieser eine wirkliche Partei ein. Natürlich spielte sich dieses kindliche Intriguenstück in sehr harmloser Weise ab, und nur ein schwacher Widerhall davon drang an das Ohr der Aufseherinnen. Kinder empfinden ebenso heftige Leidenschaften als Erwachsene, aber sie flackern zwischen Spiel und Scherz so flüchtig auf, daß es schwer hält, ihre Kraft zu ermessen und ihre Wirkungen zu schildern. Die Enthüllung ihrer eigentümlichen Abstammung schlug Lydias Eigenliebe unheilbare Wunden. Gewisse Einzelheiten aus ihrem früheren Leben kamen ihr ins Gedächtnis und wurden ihr jetzt erst verständlich. Sie entsann sich des Bildes ihrer Großmutter, sie dachte über die Hautfarbe, die Haare und Hände ihres Vaters nach, sie schämte sich ihres Ursprungs und ihrer Familie. Dieses häßliche Gefühl ist bei Kindern viel häufiger, als wir in unsrer Zuversicht annehmen, und einer der schlimmsten unter den Keimen sittlicher Fäulnis. Eltern aus niedrigem Stande, die alles aufbieten, ihren Söhnen eine gute Erziehung zu geben, setzen sie immer dieser Gefahr aus, und wie viel verderblicher Klassenhaß entsteht in der Stunde, wo ein zwölfjähriger Knabe zum erstenmal vor sich selbst über die bescheidenen Verhältnisse der seinigen errötet!

Bei der von Natur neidischen und unwahren Lydia flossen aus diesen forteiternden Wunden nichts als Neid und Lügen. Jeder Vorzug, jede Ueberlegenheit, die sie bei einer Gefährtin wahrnahm, wurde für sie zu einem Quell der Schmerzen, und sie suchte durch persönliche Erfolge den Unterschied des Bluts auszugleichen, dessen Feststellung eine eitle Natur so schwer erträgt. Um sich diese Erfolge zu sichern, trachtete sie danach, Lehrerinnen wie Mitschülerinnen zu bezaubern, und sie begann jene ständige Schauspielkunst in Benehmen und Gefühlsäußerungen auszuüben, wie sie der Wunsch zu gefallen mit so verhängnisvoller Raschheit erzeugt, eine liebenswürdige, aber bedenkliche Neigung, die immer eher Falschheit als Güte in uns fördert. Besser in offener Selbstsucht die andern durch Schroffheit verletzen, als aus Anpassungstrieb seine Seele ohne Unterlaß nach ihren Forderungen modeln.

Mit achtzehn Jahren war Lydia in dieser beständigen Schulung des Komödiantentums ein tief verderbtes Geschöpf, obwohl sie selbst sich dieser Verdorbenheit, die unter so reizender Form verborgen war, kaum bewußt sein mochte. Wahres Gefühl hatte sie nur für ihren Bruder, im übrigen war ihre Liebesfähigkeit äußerst beschränkt, aber ihr Herz um so zugänglicher für alle Leidenschaften des Hasses, die auf dem Boden stolzer, harter und falscher Seelen so üppig gedeihen. Die Ehe sollte den mörderischesten dieser Triebe vollends in ihr entwickeln, den Neid.

Dieses häßliche Laster ist, obwohl es zu den Weltbeherrschern zählt, von den Philosophen, vermutlich als der Menschennatur unwürdig, so wenig beachtet und beleuchtet worden, daß diese Thatsache Zweifeln begegnen mag. Frau Maitland beneidete ihren Gatten seit Jahren, sie war neidisch auf ihn wie ein Künstler auf den andern, wie eine hübsche Frau auf die andre, wie ein Bankier auf den andern, ein Politiker auf seinen Nebenbuhler. Und zwar war ihr Neid von jener heißblütigen, unerbittlichen Art, die sich beim Erfolg des Gegners in Schmerzen krümmt, bei seiner Niederlage ein sinnliches Lustgefühl empfindet. Sehr mit Unrecht nimmt man an, daß diese sündige Leidenschaft ihre verheerende Macht auf das Gebiet beruflichen Wettkampfes beschränke. Wo der Neid tief wurzelt, heftet er sich nicht nur an die Leistungen einer Person, sondern an die Persönlichkeit selbst, und so beneidete Lydia ihren Mann. Vielleicht, daß die Darlegung dieses in seiner Häßlichkeit so fein zusammengesetzten Gefühls manchem traurigen Aufschluß zu geben vermag über unverständlichen Widerwillen, worauf er selbst bei seinen Nächsten gestoßen ist, denn nicht nur zwischen Gatten spielt heimlicher Neid seine Rolle, zwischen Freund und Freund, zwischen Bruder und Bruder, ja, Gott sei's geklagt, zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter weiß er sich zu drängen.

Lydia hatte in die Heirat mit Lincoln Maitland teils aus Nachgiebigkeit gegen Florent, teils aus Eitelkeit gewilligt. Weil der junge Mann ein Bürger der Vereinigten Staaten war, sah sie in dieser Verbindung einen Sieg über das Vorurteil der Rassen, das ihr immer vor der Seele stand, obwohl sie nie davon sprach. Nach kaum drei Monaten des Zusammenlebens wußte sie, daß Maitland selbst sich diese Heirat nie verzeihen konnte. Obwohl er sich darin gefiel, seine Landsleute über die Achsel anzusehen, und im Grunde den Anschauungen der Heimat, die er mit fünf Jahren verlassen hatte, völlig fremd gegenüberstand, war es ihm doch höchst peinlich, von verschiedenen Seiten Sticheleien über seine Heirat zu hören. Diese Demütigung legte er seiner Frau zur Last, und diese fühlte es deutlich. Die Geburt eines Kindes würde diese ersten Verstimmungen ohne Zweifel gemildert, jedenfalls die herbe Art der jungen Frau gemäßigt haben, aber dieses Glück blieb ihr versagt. Noch auf der Hochzeitsreise, auf der Florent sie begleitet hatte, begann denn auch ihr gemeinsames Leben in ein gemeinsames Schweigen überzugehen, und eine Förmlichkeit trat ein, wie sie Mißehen, all denen, wo die Gatten nach einem einfachen, herrlichen Volkswort nicht Herz an Herz leben, zur Grundlage zu dienen pflegt. Schon während dieser Reise durch ganz Spanien, die für die junge Frau voll von Glückstrunkenheit hätte sein sollen, war sie eifersüchtig gewesen auf den Vorzug, den ihr Bruder so sichtlich ihrem Gatten gab. Zum erstenmal war es ihr klar geworden, welchen Raum diese Freundschaft in Florents Herz einnahm. Wohl hatte er auch die Schwester lieb, aber sie stand ihm in zweiter Linie. Dieser Vergleich war ein täglicher, stündlicher Nadelstich, der zuletzt eine giftige Wunde veranlaßte. In den drei Jahren, die sie darauf in Paris verlebten, erweiterte sich diese Wunde durch die unbestreitbare Thatsache, daß Maitlands eigenartige Persönlichkeit die der Gattin in Schatten stellte; es geschah ohne sein Zuthun, beinahe mechanisch, wie der stärkere Baum den kleinen zur Seite drängt und ihm Sonnenschein und Luft raubt. Der Kreis von Kunstfreunden, Künstlern und Schriftstellern, der in ihrem Haus verkehrte, kam nur seinetwegen, das Haus selbst wurde nur nach seinen Bedürfnissen gemietet, die wenigen Veränderungen, die sie daran vorgenommen hatten, waren nach seinem Geschmack ausgeführt worden. Kurz, Lydia wurde so gut als Florent mit fortgerissen von der unwiderstehlichsten Gewalt der Erde, dem Planetenlauf eines berühmten Talents. Die Demütigungen, die es schließlich dahin brachten, daß die junge Frau dieses Talent und diese Berühmtheit ebenso glühend verabscheuen lernte, als Florent sie anbetete, würden, in voller Ausführlichkeit geschildert, ein Buch füllen. Sie blieb dabei freilich eine anständige Frau, wenigstens in dem Sinne, den die Gesellschaft diesem Wort beilegt, die den Frauen nur Liebesschuld anrechnet. Davor bewahrte sie ihr kühles Temperament; sie hatte, wie die meisten gebornen Komödiantinnen, mehr Nerven als Blut, zog aber dafür alle Triebe eines Mannes von niedriger Anlage in sich groß.

Allmählich ging Lydias Haß gegen Lincoln vom körperlichen Widerwillen auf geistige Gebiete über. Sie haßte zuerst das reine, weiße Blut in ihm, das den derben, blonden Mann zu einer so prächtigen Verkörperung des angelsächsischen Typus machte und zum vollsten Gegensatz ihrer dürftigen, trotz des hübschen, verzupften Gesichtchens, armseligen und vertrockneten Erscheinung. Dann haßte sie seinen Geschmack, die Eigenart, womit er seine Umgebung künstlerisch zu schmücken wußte, während sich bei ihr in jeder Anordnung von Stoffen und Farben immer wieder ein barbarisches Ungeschick verriet. Mußte sie einen Fortschritt in seiner Kunst anerkennen, so empfand sie beinahe Uebelkeit, war er verstimmt, unzufrieden mit sich und in einer jener Stimmungen, wo der Künstler an seinen Fähigkeiten zweifelt, so frohlockte sie, konnte aber auch diese Freude nicht recht genießen, weil sie wußte, wie Florent unter diesen Anfechtungen der Künstlerseele litt. Sooft sie des Bruders Augen mit jenem Ausdruck eines treuen Hundes, der Freud und Leid seines Herrn mitfühlt, auf Maitland ruhen sah, ging auch ihr, wie Alba Steno sagte, ein Stich durchs Herz. Der Götzendienst, den er mit Lincoln trieb, war ihr um so peinlicher, als sie mit dem scharfen Blick des Hasses längst begriffen hatte, wie wenig ihm der Maler dafür gab.

Um Florent über Maitlands Charakter aufzuklären, hatte sie vergebens all die hinterlistigen, harmlos klingenden Andeutungen hingeworfen, die der Frauen Stärke sind. Immer wieder hatte sie ihre Machtlosigkeit erkennen müssen, und all diese tausenderlei Bitterkeiten hatten sich bei ihr zu einem verhaltenen Rachebedürfnis angesammelt, das beim ersten Anlaß mit furchtbarer Gewalt zum Ausbruch kommen mußte. Wer den langsamen, unaufhaltsamen Entstehungsprozeß dieses Grolls nicht beobachtet hatte, der hätte jedenfalls von Geistesstörung, Unzurechnungsfähigkeit und Ungeheuerlichkeit reden können.

Mit diesen Bezeichnungen bemänteln wir unsre Unkenntnis der Menschennatur: in Wirklichkeit bringt die sittliche Welt so wenig Ungeheuer hervor als die physische, auch das Verbrechen hat seine Entwickelungsgesetze. Zwischen dem hübschen Kind, das in Thränen zerfloß, wenn sein Bruder ein neues Spielzeug bekam, und der Lydia Maitland, die Schlösser erbrach, anonyme Briefe versendete und nach Rache lechzte bis zur Ruchlosigkeit, lag keine gähnende Kluft. Dieser Charakter hatte keine sprungweise Umwandlung erfahren, sondern sich Schritt für Schritt folgerichtig entwickelt.

Die Gelegenheit, Lincoln an einer empfindlichen Stelle zu verletzen und ihrem tief eingefressenen, tödlichen Neid Genüge zu thun, hatte Lydia schon unzähligemale vergebens gesucht, bis jener sich in die Gräfin Steno verliebte. Bis dahin hatte sie sich mit den kleinen Nadelstichen weiblicher Gereiztheit begnügen müssen; sie hatte nichts thun können, als ihm scheinbar aus Ungeschicklichkeit abfällige Besprechungen über seine Bilder in die Hände zu spielen, in seiner Gegenwart unbefangen das Lob der Künstler anzustimmen, die ihn in den Schatten stellten, ihm in gemachter Entrüstung jeden in der Ausstellung aufgeschnappten Tadel zuzutragen, lauter armselige Bosheiten, die nur das Ergebnis hatten, Florent zu ärgern. Denn Maitland gehörte zu denen, die volle Schaffenslust für das Urteil der Welt gleichgültig macht. Geliebt hatte er nie, bis die Leidenschaft für die Venetianerin als Blitz in seine Seele schlug. Das ist bei Künstlern häufig der Fall. Aufwallungen, die von den Sinnen nicht ins Herz steigen, befriedigt ein prächtiges Modell. Um so stärker werden sie gepackt, wenn bei dem Weib, das ihnen solche Trunkenheit einflößt, geistige Anmut, Feinfühligkeit und die reizenden Zartheiten der Weltdame hinzutreten. Das war bei der Gräfin Steno der Fall, und der Künstler liebte sie mit aller Glut eines ersten Gefühls. Katharina, die eine Virtuosin der Liebe war, wußte das auch. Vom ersten Tag an hatte Lydia es gewußt; einmal, weil sie in der Beobachtung so geübt war als in der Verstellung, und ferner, weil sie noch zuverlässigere Mittel zur Verfügung hatte, als ihr Ahnungsvermögen. Sie hatte von jeher den abscheulichen Spürsinn ausgebildet, der, wenn wir ehrlich sein wollen, bei neun unter zehn Frauen vorhanden ist – und wie viel Männer sind nicht Weiber in diesem Punkt! sagt der Fabulist.

In der Schule hatte Lydia zu denen gehört, die sich ins Schlafzimmer oder in die Schulstube schleichen, um in den Schränken und Koffern der Mitschülerinnen zu kramen. Als erwachsenes Mädchen hatte sie nie einen Brief weitergegeben, ohne den Versuch gemacht zu haben, durch den Umschlag zu lesen oder wenigstens aus Poststempel, Siegel und Handschrift den Absender zu erraten. Die Neugier war so mächtig in ihr, daß sie sich nicht enthalten konnte, am Telegraphenschalter den vor ihr Stehenden über die Schulter zu blicken und womöglich zu lesen, was sie aufgeben wollten. Nie ließ sie sich ankleiden oder frisieren, ohne ihre Jungfer über die Vorgänge im Dienstbotenzimmer und die dort geäußerten Ansichten auszufragen. Das war auch die Quelle, woraus sie die Kunde von Gorkas und Florents Wortwechsel in der Vorhalle geschöpft hatte, woraus man, nebenbei bemerkt, deutlich ersieht, daß Dienstbotenausfragen zuweilen nützlich sein kann. Nur verrät diese Gewohnheit eine angeborne Niedrigkeit der Gesinnung, einen Charakter, der im gegebenen Fall vor keiner Schlechtigkeit zurückschrecken wird.

Sobald Lydia das Verhältnis der Gräfin Steno mit ihrem Mann gewittert hatte, war sie ebenso unbedenklich über seine Briefschaften gegangen, als heute über die ihres Bruders. Was sie in seinem Schreibtisch fand, war allerdings dazu angethan gewesen, ihren Rachedurst zur Wut zu entflammen. Denn nicht nur, daß ihr darin eine Glückseligkeit vor Augen trat, die für eine Frau, der Liebeslust wie Mutterfreuden fremd geblieben waren, die tiefste Demütigung war, nein, sie erhielt auch zahlreiche Belege dafür, daß die Gräfin sie um ihrer Rasse willen so tief verachtete, wie wenn Venedig in den Vereinigten Staaten läge. Der Strand der Adria nährt diese Vorurteile gegen fremdes Blut, wie jedes Küstenland, wo ein allzu buntes Völkergemisch zusammenströmt. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur einen einzigen Venetianer von den Morgenländern als »Gregugni« reden zu hören.

Katharina Steno nannte in diesen unbedachtsam hingeworfenen, leidenschaftlichen Briefen, die sie schrieb, wie sie zu sprechen pflegte, Lydia nie anders als die »Morettina«, und in widersprechender und doch so natürlicher Weise wurde der Bruder dieser Morettina nie ohne einen freundlichen warmherzigen Zusatz erwähnt. Lincolns Geliebte konnte Florent nur deshalb so gütig behandeln, weil sie vom Bruder seiner Frau keine Feindseligkeit zu fürchten hatte – Lydia begriff es nur zu wohl. Ein neuer Beweis seiner Gefühle für Maitland; wieder zog er den Freund der Schwester vor, und zwar bei welchem Anlaß!

Diese Briefe mit ihrem vertraulichen »Du«, ihren heißen Herzenstönen rissen alle Wunden ihres Herzens auf. Das Gelingen von Albas Bild, das ein Meisterwerk zu werden versprach, trieb sie zum Aeußersten. Sie beschloß, dem verratenen Geliebten den Treubruch zu offenbaren, und verfaßte die zwölf anonymen Briefe, die in wohlberechneter Steigerung Gorkas Rückkehr herbeigeführt hatten. Aber diese Rückkehr war diesem Geschöpf aus der Familie Jago nicht rasch genug erfolgt, und in ihrer Ungeduld hatte sie sich entschlossen, die Gräfin durch einen Pfeil in Albas Herz zu treffen. Mit welchem Namen läßt sich der anonyme Zettel stark genug bezeichnen, der einem Mädchen den zweifachen Liebeshandel ihrer Mutter enthüllte? Aber Lydia war jetzt ins Bereich bösartiger Verzweiflung eingetreten, der auch die giftigste, häßlichste Waffe willkommen ist, und ihr Haß gegen Maitland umschloß auch die unschuldige Alba, weil ihm ihr Bild gelungen war, eine Gefühlsverwicklung, die den Beweis liefert, daß der Neid die gefährlichste unter den Giftpflanzen war, die sich in diesem finstern Gemüt eingenistet hatten.

Ach, welch herbe Wonnen der gleichzeitige Erfolg dieser zweifachen Schändlichkeit ihr bereitet hatte! Mit welcher aus Bitterkeit und Ueberreizung zusammengesetzten wilden Lust sie vorgestern abend Albas Schlaffheit und Gorkas verbissenen Ingrimm beobachtet hatte! Schon hatte sie in Gedanken Maitland der Klinge oder der Pistole des in allen ritterlichen Uebungen gewandten Polen gegenüberstehen sehen. Sie hätte nicht die Urenkelin einer amerikanischen Sklavin sein müssen, um nicht neben der Kraft des Hasses auch ein gehöriges Teil Aberglauben zu besitzen. Eine Wahrsagerin hatte ihr dereinst verkündigt, daß sie den gewaltsamen Tod eines Menschen veranlassen werde. »Er wird es sein,« hatte sie oft gedacht, wenn sie ihren Gatten ansah, und ein hoffnungsfreudiger Schauer hatte sie dabei überrieselt. Und jetzt, jetzt hielt sie den unanfechtbaren Beweis in Händen, daß ihr Rachewerk einen andern der Gefahr preisgab, den einzigen, an dem ihr Herz hing. Daß der verhängnisvolle Zweikampf über ihn verhängt war, zeigten ihr Florents Briefe und sein Testament. Ihn, ihn hatte sie mit eigener Hand dem Schicksal in den Rachen geworfen!

Die Enttäuschung war so furchtbar für diese von allen Trieben eines wilden Tieres erfüllte Seele, daß sie gellende Laute ausstieß und, auf den Schreibtisch gestützt, zwischen Schreien und Stöhnen immer nur wiederholen konnte: »Er will sich schlagen! Er! Ich, ich bin daran schuld!«

Mit einemmale legte sie die Schriftstücke wieder an ihren Platz, verschloß das Fach, stand auf und sagte mit erhobener Stimme: »Nein. Es wird nicht geschehen. Ich werde es verhindern, und müßte ich mich zwischen sie werfen. Ich will es nicht; ich will es nicht!« Das war indes leichter gesagt als gethan, und Lydia fühlte es wohl, denn kaum, daß sie ihren Schwur herausgestoßen hatte, rang sie die Hände, diese schmalen Hände, die Katharina Steno in einem ihrer Briefe mit Affentatzen verglich, weil die Finger übermäßig lang und fast knochenlos geschmeidig waren, und rief der Unmöglichkeit ein »Aber wie?« entgegen; einen Ruf, den schon manche Verbrecher ausgestoßen haben, wenn der so sorgfältig abgeschossene Pfeil auf den Schützen zurückprallte. Der Dichter hat es in den Zeilen ausgesprochen, die unsrer großen und kleinen Fehler Geschichte erzählen: »Die Götter sind gerecht und unsre Lieblingssünden gebrauchen sie als Werkzeug unsrer Qual . . .« Und dieser Glaube an den unbegreiflichen, aber unparteiischen Richter muß tief im Menschen wurzeln, denn auch die stärksten Geister werden von unheimlicher Angst geschüttelt, wenn sie einem selbstverschuldeten Unglück die Stirne bieten sollen. Mit einemmale besann sich Lydia der Weissagung der Zauberin, und wieder stieß sie einen Schrei aus und rieb sich jetzt mit der Gebärde einer Nachtwandlerin die Hände. Sie glaubte das Blut des Bruders daran kleben zu fühlen . . . nein . . . dieser Zweikampf sollte nicht stattfinden! Aber wie war er zu verhindern?

»Wie? Wie?« wiederholte sie.

Florent war ausgegangen; ihn konnte sie also nicht anflehen. Ob es noch Zeit sein würde, wenn er nach Hause kam? Lincoln war auch nicht da. Wo war er? Vielleicht bei der Steno! Wie im Bild sah sie das herrliche Weib in den Armen des Malers versunken in die Liebestrunkenheit, die ihre Briefe so glühend schilderten. Welch ein Hohn für die neidische Frau, die Liebenden, die sie vernichten wollte, plötzlich, wie vom Blitz erleuchtet, mit wonnestrahlenden Blicken vor sich zu sehen! Lydia hätte sie ihnen ausreißen mögen, diese glückseligen Augen, sie mit Füßen zerstampfen, seine und ihre Augen! Wie ein heißer Lavastrom durchflutete der Haß ihr Herz. O Gott! Wie sie die beiden haßte und wie ohnmächtig ihr Haß an diesem Glück abprallte! Doch, ihre Zeit mußte ja kommen, jetzt hatte sie Dringenderes zu erledigen, den Zweikampf verhindern, ihren Bruder retten. An wen sollte sie sich wenden? An Dorsenne? An Montfanon? An Hafner? An Ardea? Sie dachte der Reihe nach an diese vier Bekannten, aus deren gleichzeitigem Besuch sie den Schluß zog, daß sie die Duellzeugen seien, und sie verwarf den einen nach dem andern im Gefühl, daß keiner so viel Einfluß besitze, um ihren Wunsch erfüllen zu können. Endlich hafteten ihre Gedanken an Florents Gegner, an diesem Boleslav Gorka selbst, dessen Frau sie Freundin nannte und der ihr immer so ritterlich begegnet war. Wenn sie ihn anflehte, ihren Bruder zu schonen? Der Haß des verabschiedeten Liebhabers galt ja gar nicht ihm! Würde er sich von ihren Thränen rühren lassen? Würde er ihr nicht den Anlaß des Streites offenbaren und ihr sagen, was von der Seite ihres Bruders geschehen müsse, um ihn beizulegen? Würde sie ihm nicht das Versprechen abringen können, ins Leere zu schießen, falls Pistolen, den Feind einfach zu entwaffnen, falls Degen bestimmt waren? Wie alle, die nichts davon verstehen, glaubte sie an unfehlbare Fechter und Schützen, die ihres Zieles immer gewiß sind; wie alle Frauen hatte sie vollständig unrichtige Begriffe von den Beziehungen, die im Beleidigungsfalle zwischen Mann und Mann bestehen. Wie sollten auch Frauen an die Unbeugsamkeit gewisser Entscheidungen des Mannes glauben, während sie selbst im Verkehre mit Männern und unter sich nie auf Unabänderliches stoßen? Gewöhnt, sich gegenüber dem Herkommen auf ihr natürliches Gefühl, gegenüber der Vernunft auf das Herz zu berufen, stehen sie den Geboten der Ehre sowohl, als denen der Gesetze mit einer Verständnislosigkeit gegenüber, die schlimmer ist als Unkenntnis. Ein Zweikampf erscheint ihnen zum Beispiel wie ein willkürliches Drama, dessen Ausgang jeder von den Beteiligten nach seinem Belieben gestalten kann. Es gibt unter den berühmten Bühnenaufschreien wohl keinen, der so sehr Ausnahmsmenschen erforderte, als das im Theater so laut beklatschte »Geh hin und schlage dich!« einer Heldin von Augier. Unter hundert Frauen würde in dieser Lage höchstens eine so sprechen, und diese eine in der Hoffnung, daß man ihr nicht gehorcht. Die neunundneunzig andern aber würden denselben Gedanken haben wie Lydia Maitland – zum Gegner des geliebten Mannes eilen und sein Leben erflehen. Setzen wir rasch hinzu, daß der größere Teil diesen Gedanken nicht zur That werden ließe, sondern sich begnügen würde, unter heißen Thränen ein Amulett in die Weste des Schützlings zu nähen und ihn der Vorsehung zu empfehlen, unter der sie sich etwas wie eine himmlische Günstlingswirtschaft vorstellen. Lydia hatte wohl das Gefühl, daß Florent außer sich käme, wenn er je ihren Bittgang zu Gorka erfahren sollte, aber wer würde ihm die Kunde zutragen?

Im Fieber der Gewissensnot und des Entsetzens mußte sie irgend etwas thun; sie mußte handeln, sonst war die Pein zu unleidlich. Ihr Wagen wurde gemeldet und sie gab dem Kutscher Befehl, nach dem Palazzetto Doria zu fahren. Was sollte sie dem Mann, dem sie diesen verwegenen, thörichten Besuch machte, zuerst sagen? Ach, was lag daran, der Augenblick würde ihr schon das rechte Wort eingeben! Der Wille, diesen Zweikampf abzuschneiden, war so mächtig in ihr, daß sie am Erfolg nicht zweifelte. Da war es ein harter Schlag, als ihr der stattliche Pförtner mitteilte, der Herr Graf sei ausgegangen. Im selben Augenblick rief eine helle Stimme sie mit fröhlichem Lachen an. Es war Maud Gorka, die eben mit ihrem kleinen Jungen vom Spaziergang zurückkam und Lydias Coupé erkannt hatte.

»Was für ein guter Einfall von mir, früher umzukehren!« sagte sie, an den Wagenschlag tretend. »Ich sehe, Sie haben ein Gewitter gefürchtet, sonst wären Sie nicht im geschlossenen Wagen ausgefahren. Sie kommen doch mit mir herauf?« – Jetzt bemerkte sie, daß Frau Maitland, deren Hand sie ergriffen hatte, am ganzen Körper zitterte. – »Was ist Ihnen denn? Sind Sie krank? Sie sehen ja ganz elend aus! O mein Gott! Sie wird ohnmächtig werden . . . Luc, laufe rasch hinauf und schicke mir das englische Riechsalz herunter . . . Rosa weiß schon . . . schnell, schnell!«

»Es hat nichts zu bedeuten,« sagte Lydia, die wirklich einen Augenblick die Augen geschlossen hatte, als ob sie einer Ohnmacht nahe wäre . . . »Sie sehen, mir ist wieder besser – aber ich glaube, es wird klüger sein, wenn ich nach Hause fahre.«

»Ich lasse Sie nicht allein,« erwiderte Maud, indem sie sich neben Lydia setzte, ihr das Salz an die Nase hielt und ihr zuredete wie einem kranken Kind. »Armes Frauchen! Wie Ihre Wangen glühen! Und in diesem Zustande wollen Sie Besuche machen? Nein, so etwas Unvernünftiges! Nach Hause, Kutscher, und zwar rasch!«

Der Wagen rollte davon, und Maud Gorka hielt immer noch Lydias Hände zärtlich zwischen den ihrigen und nannte sie ihre »arme Kleine«, was unter diesen Umständen etwas seltsam klang. Maud gehörte zu den Frauen, die, zur Ehre der gesunden britischen Civilisation sei es gesagt, in England sehr häufig vorkommen, ein Geschöpf voll Thatkraft und Güte. Ebenso groß und kräftig, als Lydia klein und dürftig war, würde sie die Amerikanerin eher auf ihren durch das Lawn Tennis gekräftigten Armen bis an ihr Bett getragen, als sie in diesem verstörten Zustande sich selbst überlassen haben. Ebenso praktischen als hilfreichen Sinnes oder, wie ihre Landsleute sagen, matter of fact begann sie ihre Kranke nach den Anzeichen zu fragen, die diesem Zufall vorangegangen waren, als sie plötzlich mit großer Bestürzung die ohnehin veränderten Züge der jungen Frau sich völlig verzerren sah. Thränen stürzten aus den bisher geschlossenen Augen, der zarte Körper krümmte sich in krampfhaftem Schluchzen. Es war ein wirklicher Nervenanfall, verursacht durch die Angst, die Enttäuschung, Boleslav Gorka nicht angetroffen zu haben, und ohne Zweifel gesteigert durch die Herzlichkeit, womit Maud sie behandelte.

»Nein, ich bin nicht krank,« stöhnte sie, das Taschentuch mit ihren weißen Zähnen zernagend. »Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen . . . nein . . . nein . . . ich kann ihn nicht ertragen. Ach, es ist um wahnsinnig zu werden! Ja, wissen Sie denn wirklich gar nichts?« stieß sie, Mauds Hände drückend, heraus. »Sie haben keine Ahnung, keinen Verdacht? Das bringt mich vollends zur Verzweiflung, Sie so ruhig, so heiter, so glücklich zu sehen, als ob nicht jede Minute drei- und vierfach zählte, für Sie so gut als für mich! Denn schließlich, wenn der eine mein Bruder ist, so ist der andre Ihr Mann . . . und Sie lieben ihn. Sie müssen ihn ja lieben, sonst hätten Sie ihm nicht verzeihen können, was Sie verziehen haben . . .«

Sie hatte die Worte im Taumel ihrer Nervenüberreizung herausgestoßen, sie, der Verstellung zur Natur geworden war, hatte die geheimsten Tiefen ihrer Seele bloßgelegt. Daß sie der Gräfin Gorka durch diese unverblümte Anspielung auf Boleslavs Verhältnis zu Katharina Steno etwas Neues sage, setzte sie nicht voraus, denn sie war, wie übrigens ganz Rom, fest überzeugt, daß Maud genau wisse, woran sie mit ihrem Gatten sei, und seine Untreue mit einem durch die Mutterpflicht gerechtfertigten heldenhaften Opfermute ertrage.

Wie viele Frauen haben nicht schon ihren weiblichen Stolz geopfert, um den Vater wenigstens äußerlich dem häuslichen Herde zu erhalten! Daß ganz Rom sich darüber täuschte, sollte Lydia Maitland bald in unerwarteter Weise bewiesen werden. Daß ihr Gatte mit der Mutter ihrer liebsten Freundin in einem unerlaubten Verhältnisse stehen sollte, war eine Möglichkeit, die Maud nie, auch nur vorübergehend, aufgestiegen war, die sie nie im entferntesten geahnt hatte. Um das zu begreifen, hätte man freilich auch die Herzensunschuld begreifen müssen, die der schönen, gesunden Engländerin mit den ehrlichen, hellen Augen trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre treu geblieben war. Sie gehörte zu den unberührbaren Frauen, die auch dem verwegensten Mann Achtung einflößen und in deren Gegenwart sich die in ihren Gesprächen sonst zügellosesten Frauen in acht nehmen. Niemals waren ihr von jenen Vertraulichkeiten zugetragen worden, wodurch uns der unsaubere Hintergrund manches äußerlich ganz geordneten Daseins beleuchtet wird, und sie hatte sogar in der sehr freien Umgebung einer Gräfin Steno leben können, ohne ihre Illusionen einzubüßen. Diese eigentümliche Erscheinung war übrigens in der Art ihrer geistigen Begabung begründet; sie hatte nur Sinn für positive Kenntnisse und Gespräche, war sehr unterrichtet, aber ganz ohne Neugier für menschliche Charaktere. Dorsenne pflegte zu sagen: »Maud Gorka ist mit einem Mann verheiratet, der ihr nie vorgestellt wurde,« und er wußte selbst nicht, wie zutreffend diese Bemerkung war, wie wenig diese Frau, ganz im Gegensatz zur allgemeinen Annahme, das tiefere Wesen dieses Mannes kannte und noch viel weniger diesen Verrat ahnte, dessen Opfer sie war. Und doch hatte der Romanschreiber wieder nicht ganz recht. Unaufrichtigkeit war ein zu wesentlicher Bestandteil von Boleslavs Wesen, als daß eine so leidenschaftlich ehrliche Natur wie sie, eine Frau, deren Religion die Wahrheit war, nicht darunter hätte leiden müssen. Aber zwischen peinlichen Empfindungen und der Vorstellung bestimmter Thaten, auf die Lydia so rücksichtslos anspielte, lag eine tiefe Kluft, und ein derartiger Verdacht lag Maud so ferne, daß die Worte der Morettina sie zuerst nur mit ängstlichem Staunen vor einer geheimnisvollen Gefahr erfüllten. Daß eine Gefahr in der Luft lag, wurde durch Lydias Zustand noch deutlicher bezeugt als durch ihre Aeußerungen.

»Ihr Bruder? Mein Mann?« wiederholte Maud. »Ich verstehe Sie nicht . . .«

»Natürlich nicht, weil er Ihnen alles verheimlicht hat, wie Florent mir,« versetzte Lydia. »Nun denn – sie wollen sich schlagen, und zwar morgen früh. O, zittern Sie jetzt nicht auch?« fuhr sie, die Gräfin umarmend, fort. »Wir sind ja nun Bundesgenossinnen und werden zu zweit diesen entsetzlichen Zweikampf hintertreiben.«

»Ein Zweikampf? Morgen früh?« stammelte die Gräfin bestürzt. »Boleslav soll sich morgen früh mit Ihrem Bruder schlagen? Das ist ja unmöglich! Wer hat es Ihnen gesagt? Woher wissen Sie es?«

»Ich hab's mit meinen eigenen Augen gelesen – habe Florents Testament gelesen! Ich habe die Briefe gelesen, die er für den Fall seines Todes an Maitland und mich geschrieben hat . . . Mein Gott, wäre ich denn in diesem Zustand, wenn mir ein Zweifel übrig bliebe?«

»Ja, ja! Ich glaube Ihnen!« rief Maud, die Hände auf ihre Augen pressend, als ob sie ein düsteres Bild verscheuchen müßte. »Aber wo haben sie sich denn gesehen? Boleslav ist kaum zwei Tage hier – was ist zwischen ihnen vorgefallen? Was können sie sich gesagt haben? Man setzt doch sein Leben nicht einer Kleinigkeit halber aufs Spiel, wenn man, wie Boleslav, Weib und Kind hat? Antworten Sie mir, ich beschwöre Sie! Sagen Sie mir alles! Ich will die ganze Wahrheit wissen – was liegt diesem Zweikampf zu Grunde?«

»Ja, was soll ihm zu Grunde liegen als diese Frau?« fiel ihr Lydia ins Wort. Sie hatte ihre Antwort mit einer so wilden Verachtung herausgezischt, als ob sie Katharina Steno öffentlich ins Gesicht spiee; ihre Wut verblaßte aber vor dem Staunen, womit Mauds Gegenfrage sie erfüllte.

»Was für eine Frau? Ich verstehe Sie noch viel weniger als vorhin . . .«

»Wenn wir zu Hause sind, werde ich Ihnen alles sagen,« versetzte Lydia mit einem Ausdruck der Verblüffung, der für die Aermste an und für sich die grausamste Auslegung bot.

Der Aufschub war gerechtfertigt, weil der Wagen schon in die Leopardistraße einbog. Schweigend saßen die beiden Frauen nebeneinander, und nun wäre Maud ihrerseits einer mitleidigen Freundschaft bedürftig gewesen, so tief beunruhigt, bis in die Wurzeln ihres Daseins erschüttert war sie durch Lydias Andeutungen. Die Frau, deren Arm im raschen Dahinfahren den ihrigen streifte, war ihr eine andre geworden, statt des warmen Mitleids flößte sie ihr jetzt Furcht ein. In diesem Geschöpf, dessen schmale Nasenflügel vor Leidenschaft bebten, dessen Mund so bitter verzerrt war und dessen Augen vor Wut funkelten, war die stille, kleine Frau Maitland, die für so unbedeutend galt, in der That schwer wieder zu erkennen. Was würde diese Stimme ihr kund thun, die sonst so weich und melodisch, jetzt so hart und scharf geklungen hatte und ihr schon die furchtbare Gefahr enthüllt hatte, die über Boleslav schwebte? Auf was für eine Frau hatte diese furchtbare Stimme angespielt und was hatte dieses plötzliche Verstummen zu bedeuten?

Lydia selbst gab sich vollkommen Rechenschaft über die Verstörung, die sie ohne Vorbedacht und der Tragweite ihrer Worte unbewußt angerichtet hatte. Einen Augenblick sagte sie sich, daß eine so arglose Frau des weiteren aufzuklären ein Verbrechen wäre. Aber sie sagte sich zu gleicher Zeit, daß die Enthüllung des Geheimnisses unzweifelhaft einen zweifachen Erfolg haben müsse. Wenn sie der Gräfin Gorka die Binde von den Augen riß, so trug es einmal Katharina Steno eine tödliche Feindschaft ein, und andrerseits würde diese in ihren Mann so ehrlich verliebte Frau nimmermehr zulassen, daß er einer einstigen Geliebten wegen einen Zweikampf bestünde. Als sie beide den kleinen maurischen Salon in ihrem Hause betraten, stand Lydias Entschluß demnach fest, sie wollte der unglücklichen Maud nichts vorenthalten.

Mit klopfendem Herzen und erstickter Stimme begann die geängstigte Frau: »Werden Sie mir jetzt erklären, was Sie mir vorhin sagen wollten?«

»Fragen Sie, und ich werde antworten!« sagte Lydia. »Ich bin zu weit gegangen, um den Rückzug anzutreten.«

»Sie behaupten, daß eine Frau die Veranlassung zu dem Zweikampf zwischen Ihrem Bruder und meinem Mann sei?«

»Ich weiß es gewiß.«

»Und wie heißt diese Frau?«

»Katharina Steno.«

»Katharina Steno?« wiederholte Maud. »Sie sollte der Anlaß dieses Zweikampfes sein? Wieso denn?«

»Weil sie die Geliebte meines Gatten ist,« versetzte Lydia hämisch, »wie sie die Geliebte des Ihrigen war, weil Gorka rasend vor Eifersucht hierherkam, um Lincoln zu fordern und mit Florent zusammengestoßen ist, der ihm den Zutritt wehrte. Sie haben einen Wortwechsel gehabt . . . was sie sich sagten, weiß ich nicht . . . aber ich weiß, daß dies der Anlaß des Zweikampfes ist. Hatte ich also recht oder nicht, wenn ich behauptet habe, daß sie sich wegen dieser Frau schlagen?«

»Die Geliebte meines Mannes!« rief Maud. »Sie sagen, Katharina Steno sei die Geliebte meines Mannes gewesen? Nein, das ist nicht wahr! Sie lügen . . . Sie lügen . . . und ich glaube Ihnen nicht!«

»Sie glauben mir nicht?« wiederholte Lydia, die schmalen Schultern in die Höhe ziehend. »Als ob ich einen Vorteil dabei hätte, Sie in die Irre zu führen, als ob man Lügen erfände, wenn es sich um das Leben des einzigen Menschen handelt, den man in der ganzen Welt lieb hat! Denn ich habe niemand als diesen Bruder, und morgen werde ich ihn vielleicht nicht mehr haben . . . Aber Sie werden mir glauben! Ich will, daß wir diese Elende zu zweit hassen, uns zu zweit an ihr rächen, wie wir zu zweit diesen Zweikampf verhindern wollen, dessen einzige Ursache – ich wiederhole es – sie ist. Sie glauben mir nicht? Wissen Sie denn, wer Ihren Mann nach Rom zurückgebracht hat? Sie werden mir zugeben, daß seine Rückkehr Ihnen überraschend kam? Ich, ich hab's gethan! Verstehen Sie mich recht, ich habe ihm geschrieben, wie die Steno und Lincoln es Tag für Tag trieben, ihre Liebe, ihre Zusammenkünfte, ihre Glückseligkeit habe ich ihm verraten. Ach! Ich war ja sicher, daß der Streich nicht daneben gehen würde, und er ist gekommen! Europa hat er durchquert, um seine Rache zu kühlen . . . ist Ihnen das kein Beweis?«

»Sie hätten das gethan?« rief Maud Gorka, entsetzt vor ihr zurückbebend. »Das wäre eine Ehrlosigkeit ohnegleichen . . .«

»Ich habe sie begangen – ich hab's gethan!« entgegnete Lydia mit wildem Stolz. »Und weshalb hätte ich's nicht thun sollen? Ich hatte wohl das Recht dazu, nachdem sie mir im eigenen Haus den Mann gestohlen hat. Sie brauchen nur in Ihre Wohnung zu gehen und nach Briefen zu suchen, die Gorka vor Ihnen geheim hält. Sie werden eine reiche Sammlung von der Sorte vorfinden, dafür stehe ich gut, denn die Dirne hat ja die Schreibwut. Werden Sie mir dann glauben, oder immer noch behaupten, ich lüge?«

»Niemals,« versetzte Maud mit dem Ausdrucke schmerzlicher Entrüstung in ihren schönen, ehrlichen Zügen, »niemals werde ich mich zu einer solchen Niedrigkeit herabwürdigen.«

»Gut, dann werde ich für Sie in die Niedrigkeit hinabsteigen,« sagte Lydia. »Ich habe den Mut, der Ihnen abgeht, und Sie werden mich noch bitten, Sie an ihm zu rächen. Kommen Sie!«

Die Hand der bestürzten Frau ergreifend, zog Lydia die Gräfin in die augenblicklich verlassene Werkstatt ihres Mannes. Sie ging auf ein spanisches, mit orientalischen Farben bemaltes Schränkchen, ein sogenanntes »Bargenno« zu und ließ die rot und golden bemalte Klappe herunter. Dann drückte sie auf zwei Federn, worauf sich ein Geheimfach öffnete, worin ein Bündel Briefe lag. Maud Gorka beobachtete diesen verräterischen Einbruch mit demselben Grauen, womit sie einem Diebstahl oder Mord beigewohnt hätte. Ihre gerade, rechtliche Natur empörte sich gegen dieses Verfahren, und es war ihr, als ob ihre Anwesenheit sie schon zur Mitschuldigen machte. Zugleich aber war sie, wie kürzlich ihr Gatte, dem wahnsinnigen Bedürfnis nach Gewißheit verfallen, das bei gewissen qualvollen Zweifeln zu einem körperlichen Schmerz, einem Notschrei unsres Gemüts, einem ebenso gebieterischen Drang wie Hunger und Durst wird.

»Werden Sie es vielleicht als Beweis gelten lassen, wenn Sie's Schwarz auf Weiß von ihrer eigenen Hand geschrieben sehen?« hörte sie jetzt Florents Schwester sagen. »Jawohl,« setzte sie mit grausamem Hohn hinzu, »sie liebt das Briefschreiben, unsre glückliche Nebenbuhlerin. Das muß man ihr lassen, mit schriftlichen Liebesgeständnissen knausert sie nicht . . . sie schreibt, wie sie fühlt . . . der Nachfolger scheint auf seinen Vorgänger eifersüchtig gewesen zu sein . . . halt – hier – ist das Beweis oder nicht?«

Lydia hatte die ersten Briefe durchblättert wie jemand, der längst mit ihrem Inhalt vertraut ist, nun hielt sie Maud ein Blatt hin, und die arme Frau hatte nicht die Kraft, die Augen davon abzuwenden. Was sie las, entlockte ihr einen Aufschrei der Todesqual, und doch hatte sie nur wenige Zeilen überflogen, die, nebenbei bemerkt, auch bewiesen, wie gründlich der Seelenkenner Dorsenne fehlging mit seiner Annahme, Maitland sei in Unkenntnis über Katharina Stenos frühere Beziehungen zu Boleslav. Die Größe dieser Frau, das, was sie in der Leidenschaft zu einer Heldin machte, war die schrankenlose Aufrichtigkeit und die großartige Verachtung für alle Schleichwege in Liebessachen. Es hätte sie angewidert, einem Liebhaber Lügen über ihre Vergangenheit aufzutischen, und die halben Geständnisse, die sonst ein beliebter Ausweg des weiblichen Geschlechts sind, wären ihr als noch schlimmere Feigheit erschienen.

»Du wirst mit mir zufrieden sein,« las Maud Gorka, »und ich werde in Deinen lieben, blauen Augen – die ich küsse, wie ich sie liebe, küsse, wie wir küssen – nicht mehr den Schimmer von Mißtrauen finden, der mir so weh thut. Sogar den Briefwechsel mit G. habe ich abgebrochen, und wenn Du es forderst, werde ich auch mit Maud brechen, obwohl das aus den Dir bekannten Gründen schwierig sein würde. Aber wie solltest Du noch eifersüchtig sein auf ihn? Ist meine Offenheit über diese Beziehungen nicht die sicherste Gewähr, daß sie zu Ende sind? Geh, sei nicht eifersüchtig. Begreife doch ein wenig, was mir so klar ist, daß ich wohl zu lieben geglaubt habe, daß mein Leben aber erst mit dem Tag begann, wo Du mich in die Arme geschlossen hast. Das Weib, das Du in mir erweckt hast, hat keiner vor Dir gekannt . . .«

»Sie schreibt gut, nicht wahr?« sagte Lydia mit einem wilden Blick des Triumphes. »Glauben Sie mir jetzt? Sehen Sie es jetzt ein, daß wir von heute an gemeinsame Sache machen, uns gemeinsam rächen müssen? Und wir werden uns rächen! Begreifen Sie jetzt auch, daß Sie nicht zugeben dürfen, daß Ihr Gatte sich mit meinem Bruder schlägt? Das zu verhindern, sind Sie mir schuldig, mir, die Ihnen die Waffen gegen ihn geliefert hat! Drohen Sie ihm mit Scheidung – das Vermögen gehört Ihnen, das Kind muß Ihnen zugesprochen werden. Sie halten ihn vollständig, unentrinnbar in der Hand. Aber Sie werden den Zweikampf verhindern. Sie geben mir Ihr Wort darauf?«

»Ach! Was bedeutet es jetzt noch für mich, ob er sich schlägt oder nicht? Wenn er mich verraten konnte, Tage und Monate lang verraten, bin ich da nicht längst Witwe? Nein, nein, kommen Sie mir nicht nahe!« rief sie mit hohlen Augen und von Ekel geschüttelt. »Sprechen Sie nicht mehr mit mir. Es graut mir vor Ihnen, wie vor ihm . . . lassen Sie mich fort! Fort von hier! Nur im selben Raume mit Ihnen zu sein, schändet mich! Ach, diese Schmach! . . .«

Sie war, die Augen unverwandt auf die Verräterin geheftet, bis zur Thür zurückgewichen und Lydia hielt diesem Blick voll namenloser Verachtung mit finsterem, stolzem Trotz Stand. »Welch eine Schmach!« wiederholte Maud im Hinausgehen, ohne daß die schmächtige Frau den Mund aufgethan hätte, denn dieser Erfolg ihrer Mitteilung war so ganz das Gegenteil von dem, was sie erwartet hatte, daß die Ueberraschung geradezu lähmend auf sie wirkte. Allein, das furchtbare Geschöpf war nicht gesonnen, sich der Reue und den Gewissensbissen hinzugeben. Ein paar Minuten blieb sie in Gedanken versunken, dann zerknitterten ihre zuckenden Finger den Brief, den sie der Gräfin Gorka gezeigt hatte, und der nun so leicht zum Verräter der Verräterin werden konnte, und sagte ganz laut vor sich hin: »Diese Feigheit! Gott, wie feig diese Frau ist! Sie liebt ihn und wird ihm verzeihen – wird mir denn niemand beistehen, niemand mir helfen, dieses freche Glück zu zertrümmern?«

Nach weiterer Ueberlegung warf sie die Papiere in ihr Fach zurück, und eine halbe Stunde später ließ sie einen Dienstmann rufen, dem sie einen Brief zur sofortigen Bestellung übergab. Sie hatte an den Polizeiinspektor des Stadtviertels geschrieben, ihm die Stunde des Zweikampfes, die Namen der Gegner und ihrer vier Zeugen angegeben. Wäre die Angst vor ihrem Bruder nicht gewesen, sie hätte dieses Mal gerne ihren vollen Namen daruntergesetzt.

»Damit hätte ich den Anfang machen sollen,« sagte sie sich, nachdem die Thür ihres kleinen Wohnzimmers hinter dem Boten zugefallen war, dem sie persönlich ihre Aufträge erteilt hatte. »Selbst wenn meine Bitten bei Florent nichts fruchten, wird die Polizei den Kampf zu verhindern wissen. Und er?« – ihr Blick haftete auf einem kleinen Bild ihres Mannes – »vielleicht – wenn ich ihm sagte, was vorgeht . . . nein, nein, ich werde ihn um nichts bitten . . . ich hasse ihn zu sehr! Einerlei . . .« setzte sie mit einem boshaften Lächeln hinzu, wobei ihre Zähne an den Mundwinkeln sichtbar wurden, eine angeborne Eigentümlichkeit, die nicht der farbigen Rasse zur Last gelegt werden konnte. »Ob sie will oder nicht, Maud Gorka muß mir doch in die Hände arbeiten! Einer verzeiht sie wenigstens nicht, und das ist die Steno . . .«

Trotz der martervollen Sorge erbebte das grausame Wesen vor Lust über sein heutiges Tagewerk.



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