Paul Bourget
Kosmopolis. Erster Band
Paul Bourget

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Sechstes Kapitel.

Florent Chapron

Während der Pole wie ein Wahnsinniger zum Fürsten Ardea stürzte, um mit einer Art von wilder Lust dessen Beistand bei dem zwecklosesten aller Zweikämpfe zu erbitten, war Florent Chapron nur von einer Sorge erfüllt: sein Streit mit dem betrogenen Liebhaber der Gräfin Steno und dessen Folgen müßten seinem Schwager um jeden Preis verheimlicht werden. Florents leidenschaftliche Freundschaft für Lincoln war so übermächtig, daß sie ihn ganz und gar vor der Entmutigung bewahrte, die so leicht einem ersten Zweikampf vorangeht, besonders wenn der Anfänger die Kunst, Degen oder Pistole zu handhaben, sein Leben lang vernachlässigt hat. Für einen geübten Fechter, auch wenn er kein Meister ist, für einen selbst mittelmäßigen Pistolenschützen übersetzt sich die Vorstellung des Zweikampfes in bestimmte Bilder, die der Gefahr wenigstens ihre dunkle Unbestimmtheit und ihr blindes Ungefähr benehmen. Der Mensch erfaßt die Möglichkeit, den Kampf tapfer zu bestehen, überlegt sich einen Hieb oder die Art, wie er seine Pistole abdrücken will. Dadurch bewahrt er die Kaltblütigkeit, die bei vollständiger Unkenntnis der Waffen unfehlbar verloren geht, falls nicht ein Gefühl, das stärker ist als Fleisch und Blut, ihn aufrecht erhält.

Dorsenne, der für Herzenssachen eine fast körperliche Fühlung besaß, hatte sich nicht getäuscht, der junge Mann hing mit völlig selbstvergessender Liebe an dem Gatten seiner Schwester. Es war das Blut seiner Vorfahren, der Sklaven, das sich in dieser grenzenlosen Hingebung aussprach. Die Dienstbarkeit bringt in Jahrhunderten zweierlei sich nur scheinbar widersprechende Charakterzüge hervor, entweder unerschöpfliche Opferfähigkeit, oder unergründliche Treulosigkeit. Diese zwiespältige Naturanlage war hier in Bruder und Schwester getrennt verkörpert, sie hatten die Doppelseele ihrer Rasse geteilt; ihm war alle edle Aufopferungsfähigkeit, ihr die Gabe der vollendetsten Heuchelei zugefallen. Aber erst der durch die Leichtfertigkeit der Gräfin Steno entstandene und durch Gorkas Raserei entfesselte Zwiespalt sollte diese von Dorsenne dunkel geahnten sittlichen Eigenschaften ans Licht ziehen. Der Schriftsteller kannte die frühere Entwickelung dieser drei Menschen und die Verhältnisse, worunter sie sich vollzogen hatte, zu wenig, um volles Verständnis dafür zu besitzen.

Boleslavs rohe Anspielung auf das dunkle Blut in Florents Adern hatte genügt, um dieses Blut zu entzünden, so daß dieser den Stock gegen seinen Beleidiger erhob, denn dieser mit eifersüchtiger Angst verborgene Fleck seines Ursprungs war für den jungen Mann, was er für seinen Vater gewesen war, der wunde Punkt, wovon insgeheim und beständig Demütigungen ausgingen. Der Tropfen dieses dunklen Blutes war so gering, so verschwindend, daß kein Uneingeweihter ihn wahrnahm: aber er hatte genügt, um die Familie, die doch einen Namen trug, der sie mit berechtigtem Stolz erfüllen durfte, aus Amerika zu vertreiben. Florents Großvater war in der That kein andrer gewesen, als jener Oberst Chapron, der, als Napoleon am Ufer des Dnjepr Aufklärung der feindlichen Stellung wünschte, zu Pferd schwimmend über den Fluß gesetzt, am andern Ufer einen Kosaken wie ein Stück Wild erjagt, den vom Schreck Gelähmten über seinen Sattel gelegt und ins französische Lager geschleppt hatte. Als das Kaiserreich zusammenbrach, verließ der Held, den sein Verhalten bei der Loirearmee unheilbar kompromittiert hatte, die Heimat und gründete mit einer Handvoll Soldaten in Südamerika, in Alabama, eine Art von Kolonie. Die Tapferen gaben ihr den heute noch fortlebenden Namen Arcola, eine wehmütige, kindliche Ehrbezeigung für das sagenhaft klingende Heldentum, das doch ihr wirkliches Leben ausgemacht hatte. Wie weit zurück das schon im Jahre 1820 lag!

Schwerlich würde man in dem vierundfünfzigjährigen Pflanzer, der ganz in seiner Seidenzucht und seinem Zuckerrohr aufging und thatkräftig und umsichtig genug war, um rasch ein Vermögen zu erwerben, den jungen Kriegsgott der Napoleonschen Feste wieder erkannt haben! Die Kunde von seinen Erfolgen veranlaßte in Frankreich sogar die unter dem General Lallemand unternommene Expedition nach Texas, die so übel ablaufen sollte. Der Oberst Chapron hatte sich auf seinen Kriegszügen durch ganz Europa gerade keine besondere Gewissenhaftigkeit im Verkehr mit dem weiblichen Geschlechte angeeignet, als ihm jedoch eine sehr hübsche, sanfte Mulattin, die er in New Orleans gefunden und mit sich nach Arcola genommen hatte, einen Sohn gebar, empfand er eine große Anhänglichkeit für das liebliche Geschöpf und ihr Kind. Daß der Knabe, abgesehen von dem leisen Unterschied in Haar- und Hautfarbe, sein leibhaftiges Ebenbild war, verdoppelte diese Vatergefühle, und er hinterließ bei seinem Tod diesem selbstverständlich Napoleon getauften Sohn sein ganzes Vermögen. Solange der berühmte Kriegsmann gelebt hatte, war niemand von den Nachbarn kühn genug gewesen, dem jungen Menschen anders zu begegnen, als sein eigener Vater es that; sobald er aber dieses Schutzes verlustig war, bekam er das Vorurteil der Rassen zu fühlen.

Dieser Rassenhaß ist sittlich ein Unrecht, nationalökonomisch ein Selbsterhaltungstrieb von unfehlbarer Sicherheit. Die Kreuzung der Rassen hätte zweifelsohne die bewunderungswürdige Thatkraft der angelsächsischen Rasse geschwächt, die im Kampf mit einer ebenso reichen als feindseligen Natur Wunder vollbracht hat. Wer aber selbst das Opfer eines derartigen Naturtriebes wird, fühlt natürlich nur seine Grausamkeit, und niemand kann von ihm verlangen, daß er dessen Berechtigung anerkenne.

Napoleon Chapron, der verschiedenemal als Freier zurückgewiesen, in seinen Unternehmungen gehemmt, in tausenderlei Kleinigkeiten gedemütigt worden war, verfiel zuerst in Menschenhaß. Was ihn aufrecht erhielt, war der doppelte Vorsatz, reich zu werden und eine Weiße zu heiraten. Mit fünfunddreißig Jahren erfüllte sich ihm der zweite Wunsch. Im Jahre 1857 lernte er auf einer Reise nach Europa eine junge englische Erzieherin kennen, die von Kanada zurückkehrte; sie wurde seine Frau und die Mutter von Florent und Lydia. Das zweite Kind kostete sie das Leben gerade in dem Augenblick, wo der Secessionskrieg ausbrach und Chaprons Besitz sehr gefährdet war. Zum Glück hatte er sein Geld in so mannigfaltiger Weise arbeiten lassen, daß nur die Hälfte verloren ging, was ihn aber immerhin an der geplanten Uebersiedelung nach Europa verhinderte. Er mußte in Alabama bleiben, um die Verluste wieder einzubringen. Der Erfolg war mit ihm, und als er im Jahre 1880 starb, hinterließ er jedem seiner Kinder fast eine halbe Million Dollars. Nicht nur im Erwerben indes hatte sich seine väterliche Fürsorge geäußert, er hatte auch den Opfermut gehabt, auf die Nähe der zärtlich geliebten Wesen zu verzichten, um ihnen die Demütigungen in einer amerikanischen Schule zu ersparen. Florent war zwölfjährig nach England zu den Jesuiten von Beaumont, die elfjährige Lydia zu den Schwestern vom heiligen Herzen in Rochampton geschickt worden.

So ängstlich dieser Vater auch seine Kinder vor all dem Herzeleid zu bewahren gesucht hatte, das durch den Makel seiner Geburt über ihn selbst gekommen war, ganz hatte er es ihnen nicht ersparen können. Durch die wenigen Altersgenossen, die Florent zufällig in Amerika, sei es in Gasthöfen, sei es auf Spielplätzen, getroffen hatte, waren ihm schon Demütigungen genug bereitet worden, und der schweigsame, thöricht empfindliche Junge von zwölf Jahren, der an einem dunstigen Herbstmorgen zum erstenmal den frischen Rasen des friedlichen englischen Institutsgartens betrat, brachte schon ein schwer verwundetes Selbstgefühl mit. Welch wonnige Ueberraschung war es für ihn, daß keiner der gleichalterigen Knaben eine Ahnung zu haben schien, daß eine trennende Kluft zwischen ihm und ihnen läge! In der That konnte nur der geübte Blick eines Yankee unter den Fingernägeln des schönen Knaben den dunklen Schatten entdecken, der die schon so entlegene Beimischung andern Blutes verriet. Nie ist es einem Europäer gelungen, Quadronen und Kreolen zu unterscheiden. Florent war der Klasse als Enkel eines der tapfersten Offiziere des Kaiserreiches und als Franzose vorgestellt worden; daß er zufällig aus Alabama kam, focht die Knaben nicht an. Wer die herzbeklemmende Angst der Kindheit kennt, wird sich vorstellen können, wie dem armen Jungen zu Mute war, als nach vier glückseligen Monaten rückhaltlosen freundschaftlichen Zusammenlebens einer der geistlichen Lehrer ihm sagte, daß demnächst ein junger Amerikaner, Lincoln Maitland, eintreffen werde. Der Pater hatte ihm eine Freude zu machen geglaubt. Florent aber war derart erschrocken, daß er zwei Tage lang ernstlich gefiebert hatte. Nach langen Jahren konnte er sich noch deutlich in die qualvolle Stimmung zurückversetzen, womit er am Tage der Ankunft des neuen Zöglings von seinem Stübchen nach dem gemeinsamen Speisezimmer hinuntergegangen war, fest überzeugt, daß er sofort dem verächtlichen Blick begegnen werde, der ihn in den Vereinigten Staaten so oft gestreift hatte. Er zweifelte gar nicht daran, daß nach der Entdeckung seines Ursprungs das allgemeine Wohlwollen, das ihm so warm und wohlthuend entgegengebracht wurde, in allgemeine Gehässigkeit umschlagen werde. Nach langen Jahren sah er sich noch, vom Pater Roberts herbeigerufen, quer über den Spielplatz schreiten, fühlte noch, welche Ueberraschung ihn bei dem herzhaften Händedruck des halben Landsmannes durchzuckt hatte. Später lernte er verstehen, daß dieses freundliche Entgegenkommen keinem besonderen Edelmut entsprungen war, sondern sich einfach daraus erklärte, daß Lincoln ausschließlich von einer englischen Mutter erzogen und schon mit fünf Jahren von New York nach England verpflanzt worden war. Damals gab sich Chapron indes keine Rechenschaft über die Ursachen dieser Unbefangenheit: sein weiches Herz floß über von Dank, der ebenso leidenschaftlich war, als die vorangegangene Angst, und acht Tage darauf waren Florent Chapron und Lincoln Maitland unzertrennliche Freunde geworden.

Für Maitlands gleichmütige Natur war diese Freundschaft eben ein Schulerlebnis wie ein andres, für Florent wurde sie zum tiefsten, alles andre aufsaugenden Gefühl seines Lebens. Solche Wahlbrüderschaft, die zarteste, reinste Blüte des männlichen Herzens, ist ja nichts Seltenes in der Jünglingszeit. Das Alter von zehn bis sechzehn Jahren, wo die Seele noch so taufrisch, so unberührt, so fruchtbar in schwärmerischen Zukunftsträumen ist, bildet in der Regel die Periode leidenschaftlicher Knabenfreundschaft. Man baut gemeinsame Luftschlösser, man träumt von einer beinahe mystischen Lebensgemeinschaft mit dem Freund, dem man sich ganz hingibt, dessen Wesen man sich mit einem wahren Heiligenschein verklärt, in dessen Achtung man den Lohn für all sein Streben erblickt, dem ähnlich zu werden, man in rührender Bescheidenheit als höchstes Ziel ansieht. Zwischen zwei geplagten Schuljungen, die über einer geometrischen Aufgabe oder einem Geschichtsabschnitt brüten, entstehen wahre Dichtungen voll innigster Zärtlichkeit. Der gereifte Mann, der vielleicht später in Anschauungen und Regungen, durch seine ganze Natur himmelweit verschieden ist von dem einstigen Herzensbruder, wird häufig darüber lächeln.

Für gewisse Naturen jedoch, für Menschen von frühreifem und zugleich tiefem Gemüt ist das erste Erwachen des Gefühlslebens etwas so Bedeutsames, daß die leidenschaftliche Freundschaft sogar den zweiten Wendepunkt, den ersten Ansturm der für alle zarten Empfindungen so mörderischen Sinnlichkeit und den für unsre Jugendideale nicht minder gefährlichen Eintritt in die Gesellschaft überdauert.

Dieser Fall trat bei Florent Chapron ein. Sei es, daß seine heftige und doch unterwürfige Natur ihn zur Selbstverleugnung der Freundschaft geschickter machte als andre; sei es, daß der Mutterlose, von Vater und Schwester getrennt, ein stärkeres Bedürfnis nach Anschluß hatte; sei es, daß Maitlands Kraft und Selbstbewußtsein auf den schwächlichen, schüchternen Knaben einen besonderen Zauber ausübten; genug, diese Freundschaft blieb der Mittelpunkt seines Daseins, Bewunderung für die erstaunliche künstlerische Begabung des Freundes gesellte sich dazu und Rührung über die ihm nach und nach klar werdenden mißlichen Familienverhältnisse Maitlands, die er sich mehr zu Herzen nahm als dieser selbst.

Gordon Maitland, Lincolns Vater, der aus einer der besten Familien New Yorks stammte, war in der Schlacht von Chancellorsville heldenhaft gefallen. Seine Witwe, die Tochter eines englischen Geistlichen an einer kleinen Kirche in Newport, die ihn nur des Geldes wegen geheiratet hatte, kannte nach seinem Tode nur den einen Wunsch, nach Europa zu gehen. Wohin, wußte sie nicht, Europa war für sie ein unbestimmter, lockender Ort, wo sie durch Geist und Schönheit Aufsehen zu machen hoffte. Sie war hübsch, eitel und thöricht, und der Drang, irgend eine Rolle in der Alten Welt zu spielen, führte zu einer zweijährigen Wallfahrt von Gasthof zu Gasthof. Das Traumbild, in den Olymp des englischen Adels aufgenommen zu werden, verleitete sie, den zweiten Sohn eines verarmten irischen Edelmanns zu heiraten. Um dieses teuer bezahlte Glück zu erreichen, war sie samt ihrem Knaben katholisch geworden, aber der vornehme Herr, dessen Namen sie tragen durfte, war nicht nur ein roher Trunkenbold, sondern auch einer der leidenschaftlichsten Spieler in ganz England. Den Stiefsohn ließ er auswärts erziehen; er prügelte seine Frau und starb im Jahre 1880, nachdem er das ganze Vermögen des armen Geschöpfes und die Hälfte von dem ihres Sohnes durchgebracht hatte. Mit seinem Austritt aus der Schule von Beaumont hatte Lincoln, dessen Entwicklung natürlich niemand beeinflußte, in Venedig, Rom und Paris ein wenig Kunst getrieben, jetzt war er einer der besten Schüler Bonnats geworden. Als er die Mutter mit vierundvierzig Jahren aller Mittel beraubt sah, folgte der einer ruhmvollen Zukunft sichere junge Mann einer jener großartigen Regungen, wie sie der Jugend eigen sind und mehr dem gesteigerten Gefühl eigener Kraft als dem Edelmut entstammen, indem er ihr von seiner fünfzehntausend Franken betragenden Jahresrente zwölftausend abtrat. Ein Jahr darauf heiratete er die Schwester seines Freundes und eine halbe Million Dollars – er hatte dem Elend ins Gesicht gesehen und war erschrocken! Die Großmut gegen seine Mutter rechtfertigte in seinen Augen diese Geldheirat, die seinem Pinsel volle Ungebundenheit sicherte. Man findet derartige Gewissen manchmal bei Künstlern. Maitland hätte in seiner Kunst nie das leiseste Zugeständnis gemacht; Künstler, die dem Geschmack des Publikums entgegenkamen und einen Teil ihrer Eigenart der Verkäuflichkeit opferten, waren für ihn kurzweg Schurken. Aber Fräulein Chaprons Millionen zu nehmen, fand er ganz natürlich, obwohl er sie nicht liebte und jetzt, nachdem er mehr mit Amerikanern verkehrt hatte, auch nicht mehr frei von ihrem Rassenvorurteil war. Der Ruhm des kaiserlichen Obersten und seine Freundschaft für »diesen guten Florent« deckten das Ganze.

»Der gute Florent«, so hieß er mit Recht. Diese Heirat war für ihn die Verwirklichung seiner Jugendträume; sie hatte ihm von dem Tag jenes ersten Händedrucks an als höchstes Glück vorgeschwebt. Im Schatten seines Freundes zu leben, der zugleich sein Schwager und sein »großer Mann« geworden war, dünkte ihm die Erfüllung des eigenen Schicksals. Maitlands Fehler, die sich mit den Jahren, dem Erfolg und Vermögen voll entwickelt hatten, blieben für ihn ebenso unsichtbar als zur Zeit des Cricketspiels in Beaumont. Dorsenne hatte sehr richtig hier jene Art von Bewunderungshypnotismus erkannt, den manche Künstler, ob groß oder klein, auf ihre Umgebung ausüben; aber, immer vorschnell in der Verallgemeinerung, hatte er übersehen, daß bei Florent die Bewunderung auf eine Freundschaft gepfropft war, die ihn zu einem Modell für La Fontaine oder Balzac, die beiden Dichter der Freundschaft, gemacht hätte.

Florents Liebe entsprang nicht der Bewunderung. Er überschätzte Maitland nicht, wenn er ihn für eines der größten Talente der letzten Jahrzehnte hielt; aber hätte Lincoln auch nicht die elegante Kühnheit des Strichs, nicht diese Leuchtkraft der Farbe, nicht seine Erfindungsgabe besessen, Florent würde sich mit gleicher Glut dem Dienst und Ruhm seines Freundes gewidmet haben. Wollte Lincoln reisen, so konnte er keinen gewandteren Reisemarschall finden als seinen Schwager, brauchte er ein Modell, so genügte ein Wort, und Florent machte es ausfindig. Ob Maitland in Paris oder London ausstellte, Florent ermittelte Termin und Bedingungen, überwachte die Verpackung, verkehrte mit Kritikern und Kunsthändlern, schrieb die Dankesbriefe an Zeitungen mit einer der seinigen so ähnlich gewordenen Schrift, daß der Maler nur seinen Namen darunter zu setzen brauchte.

Aus Liebe zu diesem selbsterwählten Bruder hatte er Malerei verstehen gelernt wie der Maler selbst. Die Tragweite dieses Wortes werden alle ermessen, die je vertrauten Umgang mit Künstlern gepflogen haben und die Kluft kennen, die den Maler vom verständigsten Kunstfreund trennt. Der Kenner kann urteilen und empfinden, der Künstler allein, der selbst das Werkzeug handhabt, sieht dem Bild an, wie es gemacht ist, er weiß, wie und warum dieser Pinselstrich hingesetzt wurde, wie der Arbeiter sein Material verteilt hat, und deshalb ist die Meinung des geistvollsten Kunstfreundes in seinen Augen null und nichtig. Florent hatte seinem Schwager so oft beim Malen zugesehen, ihm so viele Handlangerdienste geleistet, daß jeder Strich, jedes Licht auf seinen Bildern für ihn lebte. Diese Aufsaugung der eigenen Persönlichkeit durch den andern war so vollständig, daß sie zuletzt in der That zu jener naturwidrigen Empfindung geführt hatte, die selbst Dorsenne trotz seiner Milde für menschliche Abweichungen abscheulich fand – Florent war Lincolns Schwager und fand es offenbar ganz berechtigt, wenn dieser außerhalb der Ehe Liebesabenteuer suchte, vorausgesetzt, daß diese Anregung ihn künstlerisch förderte.

Nur wer diese Vorbedingungen kannte, war imstande, die Gefühle zu begreifen, womit der junge Mann nach dem unerwarteten Zank mit Boleslav Gorka die Treppe seines und Lincolns Hauses wieder hinaufstieg. Nur dies Verständnis kann das strenge Urteil mildern, das einfache Naturen über ihn hätten fällen müssen. Das erste, was die Entwicklung jeglicher Leidenschaft in einem Herzen vollbringt, ist die Abschwächung der übrigen Gefühle. Chapron war zu ausschließlich Freund, um ebensosehr Bruder sein zu können. Ihm kam es selbstverständlich und gerecht vor, daß seine Schwester so gut als er dem Genius des Gatten dienstbar sein müsse, von den Kämpfen und Stürmen, die seit ihrer Heirat in diesem Herzen wühlten, ahnte er nichts. Woher hätte er auch diese schweigsame, in sich gekehrte Lydia kennen sollen, über die sein Urteil, wie es unter Verwandten fast immer der Fall ist, ein- für allemal feststand? Sich täglich sehen und sich jung gekannt haben, macht, daß wir den andern selten erkennen, wie er ist, sondern immer das in ihm erblicken, was er in einem bestimmten Augenblick war. Florent hielt seine Schwester für herzensgut, weil er sie ehedem als gut erprobt; für sanft, weil sie ihm nie widersprochen hatte; für wenig begabt, weil sie für sein Gefühl zu wenig Anteil an der Kunst des Malers nahm; für eitel und oberflächlich, weil sie gern in Gesellschaft ging. Was für eine Märtyrerin sie war und wie wild sich die Seele dieses geknechteten Geschöpfes, das zwischen der blinden Vorliebe des Bruders und der Selbstsucht des sie verachtenden Gatten zu Grunde ging, gegen ihre Unterdrücker auflehnte, davon hatte er ebensowenig eine Ahnung als von den entsetzlichen Thaten, die aus dieser schweigsamen Unterwerfung hervorgehen mochten.

Bei Maitlands erster Annäherung an die Gräfin Steno hatte Florent nicht für die Schwester gezittert, sondern nur für die Arbeitskraft des Künstlers. Ohnehin hatte er im letzten Jahr, wenn nicht einen Niedergang, so doch eine gewisse Unruhe in den Arbeiten des Meisters beobachtet, der viel zu persönlich war, um gleichmäßig zu sein. Nur was mit einer gewissen Unbewußtheit geschaffen wird, zeigt den beständigen Kern unsres Wesens. Bald aber hatte Florent eingesehen, daß dieses Liebesabenteuer den Schwung des Künstlers hob. Albas Bild ließ sich beim ersten Entwurf als ein Meisterwerk an, ein Seitenstück zu der berühmten »Dame in Violett und Gelb«, die man ihm in letzter Zeit mahnend vorgehalten hatte. Zudem vollendete der Künstler in einem Zuge zwei längst zurückgestellte Entwürfe. Wie hätte also Florent angesichts dieser gesteigerten Schaffenskraft der Gräfin Steno fluchen sollen? Um seiner Schwester gegenüber sein Gewissen zu beruhigen, brauchte er ja nur die Augen zu schließen und nichts zu wissen, und doch wußte er alles. Der Schauder bei Dorsennes Mitteilung von Boleslavs heimlicher Rückkehr hatte es bewiesen, die Hast, womit er in Gorkas Verhandlung mit dem Diener eingegriffen hatte, zeugte dafür. Und jetzt hatte er die Herausforderung angenommen, die der rasende Liebhaber seinem teuren Lincoln zugedacht hatte, und nur an diesen dachte er dabei.

»Es muß ihm verschwiegen bleiben, sonst würde er den Kampf ausfechten wollen, während ich doch wenigstens Aussicht habe, diesen Gorka zu töten, mindestens zu verwunden . . . Jedenfalls soll es dem Verrückten schwer werden, eine zweite Herausforderung ins Werk zu setzen! Jetzt muß ich mich aber vor allem überzeugen, ob das Geschrei dieses Tölpels nicht bis hinauf gedrungen ist . . .«

So nannte er mit voller Ueberzeugung seinen Gegner – um ein Haar hätte er ihm zugemutet, sich für die Ehre zu bedanken, die seiner Geliebten durch den großen Künstler widerfahren sei.

Als dieser bis zur Gewissenlosigkeit, aber auch bis zur Heldengröße hingebende Freund das Atelier betrat, konnte er sich beim ersten Blick überzeugen, daß er die Stimme seines hitzigen Gegners überschätzt und daß kein störender Laut in diese friedliche Kunstwerkstätte gedrungen war. Das Atelier war mit der vornehmen, einheitlichen Pracht ausgestattet, die jeder wahre Künstler, sobald er die Mittel hat, um sich zu verbreiten weiß. Das breite Fenster ließ ein Stück von Rom hereinblicken, ein Stück des neuen Rom, das sich mit festem Bedacht neben die alte Stadt drängt. Der Blick fiel auf einen Garten, der durch ein kürzlich begonnenes Bauwesen verstümmelt war, die Trümmer eines antiken Gebäudes und darüber einen neuen Glockenturm.

Diese Wirklichkeit, der tiefblaue Himmel, das Grün und die hereinragenden Ruinen waren mit einem etwas fernen Horizont als Hintergrund genommen, wovon sich das Profil des jungen Mädchens in der trockenen plastischen Manier jenes Pier della Francesca abheben sollte, der Maitland seit sechs Monaten beherrschte, förmlich verfolgte. Alle sehr produktiven Künstler, deren Begabung mehr vielseitig als ursprünglich ist, unterliegen solchen Bezauberungen, die ihren ganzen Standpunkt, ja ihre Technik selbst verwandeln.

Maitland stand vor der Staffelei. Sein Anzug war von jener tadellosen Eleganz, die fast alle angelsächsischen Künstler, auch wenn sie noch so tolle Phantasten sind, kennzeichnet. Mit den ausgeschnittenen Lackschuhen, den schwarzseidenen, rotgetüpfelten Socken, dem seidenen Jackett, der Perlnadel in der hellen Krawatte und der feinen Wäsche erschien Maitland mehr wie ein großer Herr, der zu seinem Vergnügen pinselt, als wie der geduldige, fleißige Kunstbeflissene, der er in Wirklichkeit war. Aber die zwischen Gobelins und Teppichen angehefteten Studien und Skizzen zeugten von seinem Bienenfleiß und erzählten von einem verbissenen Ringen nach der immer wieder fliehenden Individualität. An Maitland offenbarte sich ein all seinen früh nach Europa verpflanzten Landsleuten gemeinsamer Zug im höchsten Maße, die Gier, sich nichts von der Zivilisation entwischen zu lassen. Der Amerikaner kommt nicht wie ein Kind der alten Welt schon gebildet, reif, gemodelt zur Welt, er muß sich erst aus eigener Willenskraft selbst erschaffen. Mit seiner großartigen, aber rein äußerlichen Begabung war Maitland ein »self made man« in der Kunst, wie sein Vater es im Geschäft, sein Großvater im Waffenhandwerk gewesen war. In Hand und Auge mit Malerwerkzeugen ohnegleichen ausgerüstet, besaß er in der Ausdauer, diese zu handhaben, eine ebenso ans Fabelhafte grenzende Kraft, aber immer sollte er einem gewissen unerläßlichen Etwas, der Eigenart und dem Lokalton nachzujagen haben, die manchem weit unter ihm stehenden Maler das unbeschreibliche Uebergewicht des Erdgeruchs verleiht. Die im Atelier zerstreuten Studien zeigten zuerst den Einfluß seines ersten Lehrers, des tüchtigen, gesunden Bonnat. Dann hatten ihn die englischen Präraphaeliten gefesselt, und eine schöne Kopie des »Liebesliedes« von Burne Jones zeugte von seiner Hinneigung zu dieser mehr vergeistigten, poetischen Kunst, die der Maler, der nur Maler sein will, wegwerfend farbige Litteratur nennt. Lincoln war zu vollsäftig, um es lange bei diesem Schmachten auszuhalten, und wendete sich andern Idealen zu. Spanien lockte ihn, und Velasquez, dieser Kolorist von so eigenartiger Phantasie, daß man nach einem Besuch im Prado das Gefühl hat, das Einzige gesehen zu haben, was den Namen Malerei verdient, die Sturmwindsgewalt des großen Spaniers, sein herrischer Pinselstrich, der die Farben aus dem Bild selbst herauszuschöpfen scheint, um sie zu beinahe greifbaren Farbhügeln aufzuwerfen, die vollständige Abwesenheit abstrakter Gedanken, die Kühnheit der Neuerung, die alles Vorherige einfach verneint, diese ganze Kunstformel entsprach Maitlands Natur. Ihm hatte er denn auch seinen »Schlager« zu danken gehabt, die »Dame in Violett und Gelb«, von der eine verkleinerte Wiedergabe von seiner eigenen Hand im Atelier leuchtete und alles andre verblassen ließ. Aber sein unruhiges Tasten war dabei nicht stehen geblieben; die Italiener hatten ihn wieder gefangen genommen, besonders die Florentiner, diese Gegenfüßler des Velasquez, die als Maler noch Plastiker und Goldschmiede bleiben, Pollajuoli, Andrea del Castagna, Paolo Uccello und jetzt zuletzt Pier della Francesca. Niemand würde es für möglich gehalten haben, daß die Pinselstriche, womit »die Dame in Gelb« auf die Leinwand geworfen war, von derselben Hand herrührten, wie die strenge, fast herbe Linie von Albas Profil.

Der Maler war so in seine Arbeit vertieft, daß er die Thür nicht gehen hörte und Florent nicht bemerkte. Ebensowenig ward die Gräfin Steno seiner Anwesenheit inne; sie ruhte, lässig ausgestreckt, auf einem Ruhebett, rauchte Cigaretten und blickte zwischen halbgeschlossenen Lidern auf den geliebten Mann. Aus einer Veränderung in Albas Ausdruck erriet Lincoln, daß eine weitere Person im Zimmer sei. – Gott! Wie blaß das Mädchen heute früh war! Unbeweglich verharrte sie in dem altertümlichen geschnitzten Lehnstuhl in ihrer Modellstellung: die weißen Hände umfaßten beinahe krampfhaft die Armlehnen, der Mund drückte solche Bitterkeit aus, der Blick dieser Augen so tiefes Leid! Sagte ihr eine Ahnung, daß mit diesem Besucher ihr Schicksal über die Schwelle getreten war?

»Da bin ich noch einmal,« sagte Florent, der vor einer Viertelstunde weggegangen war und nun seine Rückkehr bemänteln mußte, »denn ich habe ganz vergessen, dich zu fragen, ob du diese drei Zeichnungen von Ardea zum Anschlagspreis wirklich haben willst?«

»Warum haben Sie mir das gestern nicht gesagt, mein kleiner Linco?« fiel die Gräfin ein. »Ich habe Peppino heute früh gesprochen und hätte den eigentlichen äußersten Preis von ihm erfahren können.«

»Das fehlte gerade noch!« erwiderte Maitland, laut lachend. »Er gibt ja gar nicht zu, daß er die Blätter hat, liebe Dogaressa! Sie bilden einen Teil jener Kostbarkeiten, die er schlau dem Inventar seiner Gläubiger entzogen und ein bißchen überall herum untergebracht hat. Bei sieben oder acht Altertumströdlern stecken sie, und in den nächsten zehn Jahren werden alle Spießbürger meines Vaterlandes mit dem Zaubersprüchlein gegängelt werden: ›Das stammt aus dem Hause Castagna . . . ich habe es unter der Hand bekommen . . .‹ Wenn man das so mit dem richtigen Augenzwinkern vorträgt« – er zwinkerte selbst mit dem Aug' und glich sofort einem der bekanntesten Kuriositätenhändler Roms, denn mimische Kunst lernt sich nirgends besser als in Pariser Schülerwerkstätten – »wird man die Ladenhüter zu Dutzenden losschlagen! Augenblicklich halten sich diese drei Zeichnungen bei einem Trödler in der Babuinostraße auf; echt sind sie . . .«

»Bis auf den Namen,« unterbrach ihn Florent.

»Man gibt sie für Vinci aus, weil der große Leonardo linkshändig war und die Schraffierungen von links nach rechts gehen.«

»Und Sie glauben, daß Ardea auch mir gegenüber sich nicht dazu bekennen würde?« fragte die Gräfin.

»Nicht einmal Ihnen gegenüber,« versicherte der Maler. »Ich habe sie gestern in seiner Gegenwart erwähnt, und er hat die Stirne gehabt, nach der Adresse zu fragen, wo er sie ansehen könne!«

»Aber woher kennen Sie denn ihren Ursprung?«

»Fragen Sie den da!« erwiderte der Künstler, mit dem Malstock auf Chapron deutend. »Wenn es die Sammlung seines alten Maitland gilt, wird er selbst ein Handelsmann und lockt alles aus ihnen heraus. Vinci hin, Vinci her, unverfälschte lombardische Manier ist's jedenfalls. Kaufe sie nur, sie fehlen mir gerade.«

»Abgemacht!« versetzte Chapron. »Ich habe die Ehre, meine Damen . . .«

Chaprons Gruß wurde von der Mutter mit ihrem sonnigsten Lächeln erwidert, denn sie gehörte nicht zu den Frauen, die im Freund des Geliebten einen Feind erblicken, im Gegenteil, sie ließ den Ueberschwang ihrer Liebesfähigkeit auch auf ihn ausstrahlen. Bei Alba dagegen verriet sich der Abscheu, den alle diese Ränke und Abenteuer ihr einflößten, in dem steifen Kopfnicken, womit sie Chapron entließ. Dieser bemerkte das Lächeln so wenig als die Unfreundlichkeit; er war nur glücklich, daß der Streit oben nicht gehört worden war.

Florent war ein sehr besonnener Mensch, der, wo es sich nicht um die überschwänglichen Gefühle für seinen Schwager handelte, Menschen und Dingen gegenüber ein richtiges Maß hatte. Seine Beobachtungsgabe war geschärft wie bei allen, die ein verletzbares Gemüt zu schützen und zu wahren haben. Er verschob die richtige Wahl eines Zeugen auf später und ging vorderhand ins Restaurant zu seinem Frühstück, wo ein Bekannter ihn erwartete. Der französische Diplomat, der in München beschäftigt war und nur auf der Durchreise in Rom verweilte, ahnte nicht, daß der junge Mann, der ihm hier ein Stelldichein gegeben hatte und sich mit Interesse nach Lenbachs neuesten Bildern und andern Münchener Ereignissen erkundigte, einen vielleicht tödlichen Streit auszufechten hatte.

Erst als er in aller Ruhe gefrühstückt hatte, ließ Chapron im Geiste seine Bekannten an sich vorüberziehen und beschloß, sich mit seiner Bitte an Dorsenne zu wenden. Die geheimnisvolle Warnung, die der Schriftsteller ihm erteilt, und die Anerkennung für Maitland, die er in einem größeren Aufsatz ausgesprochen hatte, bestimmten ihn dazu. Ueberdies nahm er fest an, Julian Dorsenne sei in Alba Steno verliebt, und hoffte darum, daß er sorgsamer als jeder andre das Geheimnis bewahren werde. Wurde dieser Zweikampf ruchbar, so konnte es nicht fehlen, daß der Name der Gräfin hineingezogen wurde, denn daß Gorka und Chapron keinen Anlaß zu persönlicher Feindschaft hatten, lag auf der Hand.

All diese Erwägungen miteinander führten Chapron um halb drei Uhr, also genau drei Stunden nach dem Wortwechsel mit Gorka, in die Wohnung des Schriftstellers, den er zu Hause und noch mit Korrekturenlesen beschäftigt fand. Die vertrauliche Mitteilung seines Besuchers versetzte Julian derart in Bestürzung, daß er mit zitternden Fingern seine Papiere zusammenschob. Er glaubte, Boleslav wieder wie vor achtundvierzig Stunden auf diesem selben Diwan sitzen zu sehen – wie furchtbar rasch sich die tragische Schürzung zusammenzog, wenn dieser Rasende in solchem Tempo weiter arbeitete!

»Aber das ist ja rein abgeschmackt!« rief er. »Wegen einer solchen Geschichte wollen Sie sich schlagen? Sie treffen sich auf der Straße, wechseln ein paar gereizte Worte und dann gleich Zeugen her! Ein Zweikampf! Das ist ja der helle Unverstand! . . .«

»Sie übersehen, daß ich mich so weit vergessen habe, meinen Stock zu erheben,« fiel ihm Florent ins Wort, »und da er Genugthuung fordert, bin ich verpflichtet, sie zu geben.«

»Und Sie glauben, daß die Neugier sich damit abspeisen lassen werde? Sie bilden sich ein, man werde nicht geheime Ursachen dieser Herausforderung vermuten, aufspüren? Was weiß ich – jedenfalls rät man auf eine Frau . . . Merken Sie wohl, ich stelle keine Frage an Sie, aber ich möchte, daß Sie sich mir ganz anvertrauten. Die Welt ist nun einmal, wie sie ist, und Sie werden ihren Glossen nicht entrinnen.«

»Gerade deshalb habe ich Sie um unbedingte Verschwiegenheit gebeten, gerade deshalb habe ich die Bitte, mein Zeuge zu sein, an Sie gerichtet. Ich schenke niemand so volles Vertrauen wie Ihnen, darin liegt die einzige Entschuldigung für meine Zudringlichkeit.«

»Ich danke Ihnen,« versetzte der Schriftsteller.

Einen Augenblick schwankte er noch, dann stieg Albas Bild vor ihm auf. Er erinnerte sich ihrer düsteren Angstblicke und der Erleichterung, die sie empfunden hatte, als die Mutter lächelnd zwischen Gorka und Maitland getreten war; er erinnerte sich der anonymen Briefe und des geheimnisvollen Feindes, der die Gräfin verfolgte. Wenn der Streit zwischen Boleslav und Florent bekannt wurde, so mußte jeder annehmen, Chapron schlage sich an Stelle des Schwagers selber. Dieser Klatsch würde ebenso zweifellos dem Komteßchen hinterbracht werden – also blieb für ihn keine Wahl.

»Ich danke Ihnen,« wiederholte er, »und stehe ganz zu Ihren Diensten. Bitte, bitte, keinen Dank, das hieße Zeitverschwendung. Sie brauchen einen zweiten Zeugen – wen haben Sie im Auge?«

»Niemand. Ich gestehe, daß ich auf Ihre Hilfe dabei gerechnet habe.«

»Machen wir ein Verzeichnis und raupen wir's dann ab,« sagte Julian. »Dadurch kommt man am ehesten ins klare.«

Dorsenne brachte eine Reihe von bekannten Namen zu Papier und betrieb das »Abraupen« so gründlich, daß in kürzester Frist sämtliche verworfen waren. So hilflos wie zuvor sahen sie sich ins Gesicht, bis ein freudiges Aufleuchten über Dorsennes Züge flog.

»Halt, ich hab's! Kennen Sie den Marquis von Montfanon?«

»Den Einarmigen? Ich habe ihn einmal gesprochen aus Anlaß einer Gedenktafel, die ich in der St. Ludwigskirche errichten ließ.«

»Jawohl, davon hat er mir ja erzählt. Für einen Verwandten, nicht?«

»Für einen entfernten Vetter, einen Hauptmann Chapron, der im Jahre 49 . . .«

»Das ist unser Mann, Montfanon muß Ihr Zeuge werden!« rief der Schriftsteller, sich die Hände reibend. »Erstens ist er ein alter, erfahrener Haudegen, während ich ein Neuling in solchen Dingen bin. Und das ist sehr wichtig – Sie kennen ja den Satz, daß weder Degen noch Pistolen tödlich sind, sondern ungeschickte Zeugen. Falls es aber möglich ist, die Sache beizulegen, so hat sein Wort viel mehr Gewicht als das meinige.«

»Undenkbar! Der Marquis von Montfanon! Er wird sich niemals dazu hergeben . . . ich bin für ihn ein Nichts . . .«

»Lassen Sie das meine Sache sein,« entgegnete Julian. »Ich werde ihn zuerst vertraulich darum bitten, und erst wenn er ja sagt, rücken Sie mit Ihrem Gesuch hervor. Nur haben wir gar keine Zeit zu verlieren. Gehen Sie nach Hause und rühren Sie sich bis sechs Uhr nicht von der Stelle. Bis dahin erhalten Sie Bescheid.«



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