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X.
Paris

»Unser Vaterland kann einen jeden von uns entbehren, aber keiner kann auf sein Vaterland Verzicht leisten … Der Kosmopolitismus ist eine Albernheit … Außerhalb der Nationalität ist weder eine Kunst noch eine Wahrheit …« Als Turgenjew so von Rudin sprach, ahnte er nicht, daß ein großer Bruchteil seines eigenen Lebens im Auslande dahingehen sollte. Auf Baden-Baden folgte Paris. Über den stillen Waldfrieden des Oostales dröhnte in den Augusttagen des Jahres 1870 ein dumpfes, fernes Krachen. Drüben im Elsaß flogen die preußischen Granaten nach Straßburg hinein. »Es ist sehr peinlich und traurig,« schieb der Dichter, »aber es muß sein.« Da die Viardots nicht in Deutschland bleiben konnten, endete auch Turgenjews Schwarzwaldidylle, Tage voll ruhigen Glücks und freudigen Schaffens. Reisen führten ihn nach England und Schottland, und als der Friede endlich kam, nahm er dauernd seinen Ausenthalt in Paris.

In den »Visionen« sieht er diese Stadt zu seinen Füßen liegen, die Tuilerien, die Saint-Roch-Kirche, den boulevard des Italiens, Haufen Volks, alte und junge Gecken, Blusenmänner, Frauen in prächtiger Toilette. Die Ladenfenster, die Restaurants und Kaffeehäuser erstrahlen im hellsten Lichterglanz; Omnibusse und Droschken rollen den Fahrweg entlang, – überall Leben, Licht und Glanz, – und doch zieht es zu der reinen Höhe des Äthers wie ein heißer, roter, schwerer, übelriechender Dampf hinauf. Die grelle Stimme einer Straßendirne, verletzend wie der Stachel eines Ungeziefers, tönt dazwischen; und dann blickt ein starres, flaches, knochiges, gieriges Gesicht hindurch, weiß und rot geschminkt, mit lüsternen Augen, zerwühltem Haar, einem Bouquet grellfarbiger, falscher Blumen unter dem spitzen Hute, mit Nägeln wie Krallen und einer unförmlichen Krinoline. Dies Paris mit seiner Mabille, seinen Maisons dorées, seinen Gandins und Biches, seinem Jokeyklub und Figaro, mit den glattrasierten Soldatenköpfen und glattgetünchten Kasernen, mit den spitzbärtigen Schutzleuten, mit den Gläsern voll trüben Absinths, den Dominospielern und Börsenjobbern, mit den roten Bandschleifen im Knopfloch, mit den literarischen Cirkeln, den regierungsfreundlichen Broschüren, mit der französischen Komödie und der französischen Oper, den französischen Witzen und der französischen Unwissenheit.

In dieser Fremde war Turgenjew wie ein ausgerenktes Glied am Leibe. Was hielt ihn da an der Seine zurück, wenn schon der Geruch eines Hanffeldes seine leidenschaftliche Sehnsucht nach dem Vaterlande weckte! Es war die überfeinerte geistige Genußsucht, die in dem hoch entwickelten Kultus der schönen Künste hier ihre Befriedigung suchte. Sie waren ihm Inhalt und Zier des Lebens geworden. An dem Paris der Kaiserzeit hatte der Krieg nicht viel geändert, er hatte nur die Fassade gestreift; das Leben war dasselbe geblieben; Paris war noch immer die Hauptstadt der Welt. Und dann wußte Turgenjew hier seine besten Freunde, deren Verkehr seinen einsamen Tagen Anmut und Frische gab. Seine Briefe, die alle auf den Ton der Freundschaft gestimmt sind, bestätigen das mit jeder Zeile. Ob freilich diese französischen Vertrauten die Hingebung des Russen mit der gleichen Selbstlosigkeit erwiderten, wer will das sagen! Was Turgenjew bot, wuchs aus seinem Herzen; was er empfing, war aus dem Boden schöngeistiger Neigungen gespeist. Als Madame Viardot nach dem Kriegsjahre von London zurückgekehrt war, hatte sie in Paris ein Konservatorium der Musik eröffnet. In dem zweiten Stockwerk ihres Hauses in der rue de Douay verlebte Turgenjew die Wintermonate, bis ihn der Frühling nach Bougival lockte. Hier hatte er in der Nähe der Viardotschen Villa seine Kottage inmitten eines prächtigen Gartens bauen lassen. »Das Schicksal hat mir eine eigene Familie nicht gewährt,« sagte er, »da habe ich mich an eine fremde angehängt und mein Los mit dem ihrigen verknüpft. Hier sieht man mich wenigstens nicht als Schriftsteller an, sondern als Menschen; hier fühle ich mich ruhig und warm. Verlegen sie ihre Häuslichkeit, so tue ich es auch. Ziehen sie nach London, Baden-Baden, Paris, so ziehe ich mit ihnen.« Mit Herrn Viardot pflegte er auf die Jagd zu gehen, und an den Kindern, besonders an den Töchtern Claudia und Marianne, hing er mit rührender Zärtlichkeit. Sie kamen oft genug zu ihm herüber, und er las dann wohl mit ihnen ein Kapitel aus Scheffels Ekkehard.

Zu Frau Viardot flogen seine Gedanken, wenn ihn die Ferne hielt, und zart war die Aufmerksamkeit, die er ihr überall und stets erwies. Er war ein starker Schnupfer, und in Spaßkoje konnte er sich mit Behagen dem Genuß des Schnupfens hingeben. Aber Madame Viardot mochte in ihrem Hause den Geruch nicht wittern. Da trennte sich Turgenjew von seiner Dose und verfaßte mit traurigem Spott eine Strophe auf seine arme Nase, die ohne den Tabak verwaist war.

Voll von Sang und Klang und reich an geistiger Anregung war das Haus Viardot … Es ist ein Matinee bei Madame in der rue de Douay. Über die große Menge der ankommenden Gäste hebt sich die ragende Gestalt Turgenjews, der in seiner liebenswürdigen Art die Honneurs macht. Die festliche Stimmung des Salons erregt ihn fröhlich. Nun schweigt das Stimmengewirr; Frau Viardot singt eine russische Romanze. Ihre edle Stimme – es ist im Jähre 1879 – hat die gerühmte Stärke und die weiche Geschmeidigkeit eingebüßt. Alle Anwesenden fühlen es, nur Turgenjew nicht. Er steht noch immer unter dem alten Bann dieser Töne, deren Zauber seine schönsten Erinnerungen beherrscht, und er klatscht Beifall, klatscht mit überquellendem Herzen. Dabei strahlen seine Augen, und die weiße Haarlocke fällt ihm auf die Stirn. Und noch immer ruft er sein bravo, bravo! – Eine junge Russin soll nun singen. Sie ist nicht gekommen. Da betritt Turgenjew selbst die Estrade. Er schlägt eine Erzählung aus dem »Tagebuch eines Jägers« auf. Er liest ruhig, mit einer Meisterschaft, daß den Hörern ganz der Lesende entschwindet und sie von den Bildern erfüllt werden, die er vor ihrem Geiste ausbreitet. Dann greift Turgenjew zu Puschkins Epos »Die Zigeuner«. Eine glutvolle Leidenschaft und der Schwung der Verse bricht durch seine kühle Bedächtigkeit hindurch, die Stimme zittert ihm, sein Gesicht wird bleich, der Körper neigt sich vornüber, er vergißt die Umgebung, vergißt die ganze Welt ringsum. Und denselben Bann, unter den ihn der Geist des großen Landsmannes zwingt, legt er über alle Anwesenden, daß sie festgewurzelt lauschen, als er mit erlöschender Stimme und zitternd die Schlußscene liest.

An derselben Stelle hatte im Jahre vorher Zola einen qualvollen Moment seines Lebens verbracht. Auf den Wunsch einiger Damen, deren Neugier auf den Dichter des l'Assommoir brannte, hatte Turgenjew ihn zu einer Viardotschen Matinee geladen und um seine Mitwirkung gebeten. Zola erschien mit freundlicher Bereitwilligkeit und stieg auf die Estrade, um aus seinen Werken vorzulesen. Einen Bohémien, borstig und keck, hatte man erwartet, aber dieser Naturalist da war salonmäßig zahm, und als er nun das Buch aufschlug, lähmte ihn eine entsetzliche Verlegenheit; er erbleichte und errötete, er brachte kein Wort heraus, die Zähne klapperten, die Blätter des Buches zitterten, es schwamm alles vor seinen Augen. Er stotterte endlich etwas vor sich hin, das keiner verstand, und drückte sich, während ein verletzendes Lächeln sich jedem allgewaltig aufdrängte. Noch nach Jahren überlief es den Beschämten heiß und kalt, wenn er des peinlichen Tages gedachte.

Im Salon Viardot traf sich das künstlerische und literarische Paris. Schon 1847 hatte Turgenjew hier bei seinem ersten Aufenthalt die Bekanntschaft George Sands gemacht. Die Romane der Dichterin, in denen die Macht der Leidenschaft auf den kühnen Schwingen einer feurig beredten Sprache himmelhoch dahinstürmt, hatten ihn in den Tagen der Jugend berauscht, die so leicht entzündlich ist und so gern an schöne Träume sich klammert. Er hat die Verfasserin le maître de ma jeunesse genannt. Aber auch in seinen späteren Jahren hat er dankbar den großen Einfluß der Schriftstellerin auf sein eigenes dichterisches Schaffen bekannt. Im Jahre 1868 erhielten durch Flauberts Vermittlung seine Beziehungen zu George Sand eine persönliche Note. Sie lernte ihn dann aus dem »Tagebuch eines Jägers« als Schriftsteller kennen, und die Verfasserin der Dorfgeschichten des Berry fand in dem Schilderer des russischen Bauernvolkes einen Geistesverwandten. Ihre rückhaltlose Bewunderung sprach sie in den Briefen an Flaubert aus. Als sie 1872 ihre Novelle »Pierre Bonin« im Temps erscheinen ließ und sie mit einer Widmung an Turgenjew versah, fühlte sie sich noch ganz unter dem Zauber seiner Kunst. Wie stolz und glücklich machte ihn die Huldigung der verehrten Frau. Seine Antwort war voll rührenden Dankes, daß sie, die Unsterbliche, durch ihr Lob auch ihm einen Anteil an ihrer Unsterblichkeit gewährte. Im Schlosse zu Nohant, »dem süßen Nest,« ist Turgenjew oft zu Gaste gewesen, willkommen der liebenswürdigen Schloßherrin und freudig begrüßt von der kleinen Lolo, der Enkelin George Sands, die er so sehr mit seiner Erzählungskunst entzückte. Betete er die Dichterin auch nicht mehr mit dem Enthusiasmus der Jugend an, so verehrte er desto inniger ihre Herzensgüte, ihre Menschlichkeit. »Jeder fühlte,« so sprach er zu einem russischen Landsmann, »in ihrer Nähe die Gegenwart einer unendlich reichen und wohlwollenden Persönlichkeit; in ihrer Seele war der Egoismus längst zu Asche zerfallen vor der unauslöschlichen Flamme der poetischen Begeisterung und des idealen Glaubens, dem alles Menschliche erreichbar und lieb ist und der allerorts helfen will; und über dem allen schwebte unbewußt wie eine Aureole etwas Freies, Erhabenes, Heroisches, – sie war eine Heilige.« Der Briefwechsel zwischen George Sand und Turgenjew begann im Jahre 1870 und dauerte bis zum Tode der Dichterin. In so vielen kleinen Zügen zeugt er von dem vertrauten Ton der Befreundeten, und als Beigabe zu diesem oder jenem Brief folgt oft genug von Turgenjews Seite ein Stück Jagdbeute, ein Hirsch oder ein paar Fasanen, oder, wenn die Büchse nichts getroffen hat, ein Fäßchen Austern oder ein Spielzeug für die Kleinen, die er nie aufs zärtlichste zu grüßen unterläßt. Als George Sand am 7. Juni 1876 starb, riß sich etwas vom Herzen des Dichters los. Er las die Notiz ihres Todes auf einer Reise in St. Petersburg in einem russischen Journal. Sein Impuls reizte ihn, im Namen des russischen Volkes ein Beileidstelegramm zu ihrem Begräbnis zu senden, aber eine Art lächerlicher Bescheidenheit – so schrieb er an Flaubert – und die Furcht vor dem Figaro hielt ihn davon zurück. »Auf das russische Publikum,« fuhr er fort, »hat Madame Sand den größten Einfluß geübt. Sie liebte Dich und mich, Dich vor allem. Welches goldene Herz hatte sie! Wie war sie so gar nicht kleinlich und falsch! – wie tapfer und gut! Und nun liegt das alles da in dem schrecklichen, unersättlichen, stummen, dummen Grabe, das nicht einmal weiß, was es verschlingt.«

In den literarischen Cercles von Paris gab es keine Größe, der Turgenjew fern stand, und wie heimisch bewegte er sich unter den glänzenden Namen Daudet, Flaubert, Zola, Victor Hugo, Edmond und Jules Goncourt, Augier, Théophile Gautier, André Theuriet, Prosper Mérimée, Edmont About, Francisque Sarcey und Guy de Maupassant. Der Kritiker Sainte-Beuve, die Geschichtsschreiber Taine, Guizot und Henri Martin, der Politiker Jules Simon und andere vervollständigten diese Elite des französischen Geistes. Der Schriftsteller Charles Edmond hatte Turgenjew in diese Welt eingeführt, die sich zu den berühmten Diners im Restaurant Magny zusammenfand. Im Journal des Goncourt heißt es unterm 23. Januar 1863 … »Heute Diner bei Magny. Charles Edmond führt den Turgenjew ein, diesen fremden Schriftsteller von einem so feinen und zarten Talent … Ein reizender Koloß, ein sanfter Riese mit weißem Haar, der wie ein gutmütiger Berg- und Waldgeist aussieht. Er ist so schön, großartig schön ( beau, grandement beau, énormément beau), mit dem Blau des Himmels in den Augen, mit dem Zauber des russischen Gesanges, der ein wenig vom Kinde und vom Neger an sich hat …«

Mit den besten dieser Geister stand Turgenjew im brieflichen Verkehr. In Victor Hugo konnte er den Gegensatz zu seiner eigenen menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit sehen. Das pompöse Selbstgefühl des französischen Romantikers spricht so charakteristisch aus einer Turgenjewschen Äußerung, die fast anekdotenhaft klingt: Beide unterhielten sich einstmals über Goethe. Victor Hugo wollte in seinen Werken nichts Besonderes finden; »sein bestes Werk ist noch Wallenstein,« meinte er mit dem Ton eines Olympiers. »Aber, Pardon, das Stück ist gar nicht von Goethe, sondern von Schiller,« warf Turgenjew ein. Und Victor Hugo versetzte: »Schiller oder Goethe – das bleibt sich vollkommen gleich. Glauben Sie mir, daß ich, ohne sie zu lesen, weiß, was Goethe sagt und gesagt haben könnte, und was Schiller geschrieben haben könnte.« Turgenjew sah in Victor Hugo eine wunderbare Verkörperung des französischen Geistes; er schätzte ihn sehr hoch als Lyriker, seine Romane hielt er kaum einer ernsten Kritik wert. Das Urteil ist scharf, aber der Entwicklungsgang der französischen Literatur hat es bestätigt. Die ganze Art seiner eigenen literarischen Begabung führte Turgenjew der jungen naturalistischen Schule zu, und hier schloß er herzliche Kameradschaft vor allem mit Zola, Daudet, Edmont de Goncourt und Flaubert. Seit 1874 wiederholten sich allmonatlich die Sociétés des Cinq bei Flaubert oder den Brüdern Goncourt, für die die Genossen auch den Namen les diners des auteurs sifflés gebrauchten. Flaubert durfte sich zu den Ausgepfiffenen wegen des Durchfalls seines Candidat rechnen, Zola wegen seines Bouton de rose, Goncourt wegen seiner Henriette Maréchal und Daudet wegen seiner Arlésienne. Turgenjew behauptete, einmal in Rußland ausgepfiffen zu sein, – wer konnte es ihm in Paris bestreiten! Edmond de Goncourt notiert gelegentlich in seinem Journal: » La femme, l'amour, c'est toujours la conversation d'une réunion d'intelligences en train de boire et de manger. La conversation est d'abord polisonne, et Tourguéneff nous écoute avec l'étonnement un peu médusé d'un barbare qui ne fait l'amour que très naturellement.«

Nicht immer tänzelte der französische Esprit bei diesen Gastmählern auf so schlüpfrigem Boden; es hat sich doch auch im fördernden Austausch der Gedanken hier Turgenjews Sinn für die sorgfältigste Durchbildung des Ausdrucks geschärft, die seine Novellen zu Meisterwerken des Stiles erhob. Kein anderer seiner Landsleute hat ihn darin erreicht.

Der Russe in dem Kreise der Franzosen empfing nicht nur, er gab auch. Er wurde fernen Freunden hier der Wegführer ins unbekannte Gefilde der russischen Literatur, und er bahnte andererseits ihren Schriften eine Gasse in sein Vaterland. Wie er auf Tolstoi die Augen Frankreichs lenkte, so hat er auch Zolas, Flauberts, Goncourts, Maupassants Namen in seiner Heimat bekannt gemacht.

Die Achtung und Verehrung, die Turgenjew in Paris fand, ist oft genug bezeugt. Zola nennt ihn: un être exquis à l'esprit juste et droit non sans un peu de caprice; Goncourt: l'aimable barbare, le doux géant; Maupassant: le plus honnête, le plus droit, le plus sincere en tout; und Flaubert, der ihn am besten kannte, schrieb an George Sand über ihn: Quel auditeur! et quel critique! Il m'a ébloui par la profondeur et la netteté de son jugement.

Über eine geistreiche und gesellige Kamaraderie hinaus fand nur einer der Pariser Literaten den Weg zum Herzen Turgenjews. Das war Gustav Flaubert, der Realist. Ihn liebte Turgenjew als Menschen, wie er ihn als Verfasser der »Madame Bovary« schätzte. Jedes Zusammensein mit ihm brachte eine wunderbare, wohltuende Ruhe und regte ihn zugleich an; wochenlang hätte er mit ihm plaudern mögen. Und Flaubert schrieb einmal: »Madame Sand und Turgenjew sind jetzt die einzigen Freunde, die ich habe, – aber diese beiden sind mehr wert wie eine ganze Masse, wahrhaftig!« Alphonse Daudet charakterisiert die Intimität Flauberts und Turgenjews: George Sand hatte die beiden genialen Naturen miteinander verheiratet … Flaubert, der Großsprecher und Frondeur, der Don Quixote mit seiner Trompetenstimme, seiner Ironie und mit den Allüren eines alten Normannen, war ohne Zweifel die männliche Hälfte dieser Ehe, – aber wer hätte in dem anderen Koloß mit den buschigen Augenbrauen und dem mächtig breiten Rücken die weibliche Hälfte erraten, eine Frau wie die Russinnen seiner Novellen, nervös und melancholisch, schlaff und leidenschaftlich und tragisch in ihrer Kraft, die sich auflehnt gegen einen bestehenden Zwang, – eine Frauenseele im Knochengerüst eines Cyklopen. Nach Guy de Maupassants aufmerksamer Beobachtung war es die Verwandtschaft des Talents und der Lebensauffassung, die Übereinstimmung ihres Geschmacks und ihrer literarischen Tendenzen, die beide Männer zusammenführte und bei jedem Wiedersehen so viele Berührungspunkte in ihrem Idealismus und in ihrem großen Wissen entdecken ließ, daß sie stets erneute Freude für Herz und Geist schöpften. Eine eigentümliche Gruppe: Turgenjew vergräbt sich mit seiner mächtigen Figur in einen Lehnstuhl, und dann spricht er langsam, etwas schwach und stockend; der sanfte Klang der Sprache gibt seinen Worten ungewöhnlichen Reiz. Vor ihm steht Flaubert und läßt seine großen, blauen, beweglichen Augen auf dem Sprechenden ruhen und antwortet dann mit einer sonoren Stimme, die wie Fanfarengeschmetter unter seinem alten gallischen Kriegerschnauzbart hervorkommt. Die Konversation entfernt sich selten von literarischen Fragen, um auf die Vorgänge des täglichen Lebens abzuschweifen. Zuweilen hat sich Turgenjew mit Büchern beladen und übersetzt dann geläufig Gedichte von Goethe, Puschkin und Swinburne.

Aus Turgenjews Briefwechsel spricht schlicht und schön die Freundschaft der beiden Männer. Seine Briefe beginnen 1863 und reichen bis zum Tode Flauberts. Schon in ihrer Anrede zeigen sie vom einfachen cher monsieur bis zum gemütlichen mon bon vieux oder mon vieux féroce das Crescendo der Herzlichkeit. Sie erzählen von den literarischen Arbeiten der beiden, und das Lob des einen macht den anderen stolz; sie begleiten die Ereignisse des Tages, sie atmen laute Freude, und sie klagen in trübseligem Schmerz, wenn der Schatten des Alters, das leidige Podagra, den armen Körper heimsucht. Der Tod Flauberts war der härteste Schlag, mit dem das Schicksal den Überlebenden traf. Es war in Spaßkoje, als Turgenjews Blick beim Durchblättern eines Journals im Mai 1880 völlig unvorbereitet auf die Todesnachricht fiel. Da konnte, nein, da wollte er von keinem Trost in seinem Schmerze hören.

Als Madame Sand und Flaubert dahingegangen waren, wurde es kalt um den Alternden. Das Einsiedlergefühl beherrschte ihn mehr und mehr. Bei uns in Paris – seufzte er – verstreichen die Tage einsam; man nimmt vielfach an, hier gehöre jeder Tag dem Theater; – durchaus nicht. Ich gehe drei- oder viermal im Jahre dorthin. Von den französischen Schriftstellern besuche ich Emile Zola drei- oder viermal, Victor Hugo zweimal, ungefähr ebenso oft Alphonse Daudet … Turgenjew war kein starker Tannenbaum, der in stolzer Verlassenheit auf kahler Höhe Winden und Wettern trotzt, seine weiche Natur suchte ängstlich mit klammernden Organen nach einem treuen Halt. Das frische, freudige Schaffen aus dem Vollen heraus, das dem Mann über die Stunden der Trübsal hinweghilft, die eiserne Arbeitskraft eines gesunden Körpers war ihm nicht gegeben. Äußerer Zwang stachelte ihn ebensowenig wie der Ehrgeiz des Poeten. Je suis devenu paresseux et vieux klagte er und dachte mit Wehmut der Jugendzeit, da er seine Dichterträume mit der Feder in der Hand gesponnen hatte, dachte seiner kleinen Stube in Spaßkoje, wo er die Arbeit geliebkost hatte wie eine Braut. Er vertröstete sich jetzt auf die Eingebung der Stunde, aber die Inspiration ist capriciös wie eine Frau und läßt den Harrenden harren. »Der erste Reiz ist vorbei,« sagte er zu Polonsky, »es ist dasselbe wie eine Muskelerschlaffung; so betrübend das auch ist, was läßt sich dagegen tun? – nichts!«

»Mit fünf Buchstaben kannst du meinen ganzen Charakter kennzeichnen: ich bin eine Memme; nicht für einen Heller Energie besitze ich, und welch eine Willenskraft kann man bei mir auch suchen, wenn mein Scheitel bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz verwachsen ist!« – und dabei zeigte der Grillenfänger dem Freunde eine kleine Einsenkung in der Schädeldecke.

Auch die Wahrnehmung, daß die Sympathieen des Vaterlandes anderen führenden Geistern sich zuwandten, lähmte ihn. Nebel des Parteigeistes verhüllten seine Gestalt dem Volke. Er war jetzt selbst jener Tschulkaturin, jener Überflüssige, der in sein »Tagebuch« geschrieben hatte: »Meine Freunde verhalten sich eigentümlich mir gegenüber, so oft sich unsere Pfade kreuzen oder ich in ihre Nähe gerate. Dann wird ihnen sichtlich unangenehm zu Mute. Sie lächeln in etwas gezwungener Weise, sehen mir weder in die Augen noch auf die Füße, sondern gewöhnlich nach den Wangen, drücken mir hastig die Hand und sagen ebenso hastig: Ah, guten Tag, Tschulkaturin! oder: Ah, sieh da, Tschulkaturin!, – und dann gehen sie sogleich weiter. Andere bleiben sogar eine Weile unbeweglich stehen, als suchen sie sich an irgend etwas zu erinnern.«

Turgenjew hatte in den vierziger Jahren sich mit Herzen, Belinsky, Panajew, ja, auch mit Bakunin verbunden gefühlt im Kampfe gegen das konservative Regime. Und es verstand sich für einen gebildeten Russen, der zur Zeit des Kaisers Nikolaus im Auslande lebte, von selbst, daß er frondierte. Aber Turgenjew kannte in seiner politischen Leidenschaft eine Grenze und ließ sich nicht in den Wirbel der revolutionären Elemente hinreißen. Er sah, daß die Theorien der radikalen Partei, ins Praktische übersetzt, nichts anderes vermochten, als ein neues terroristisches System an die Stelle des alten zu setzen. Mit der Regierung Alexanders, die der Nation ihre Menschen- und Bürgerrechte wiedergab, machte er seinen Frieden. Die enttäuschte Opposition klagte ihn darauf der reaktionären Feindschaft gegen die liberalen Zeitideen an.

Mit Schadenfreude wärmte man nun eine alte Anekdote auf, deren Wahrheit Turgenjew jedoch stets energisch bestritt. Einst ließ – so hieß es – die Kaiserin Maria Alexandrowna den Schriftsteller zu einer Tasse Kaffee bitten. Er erschien in seinem feinsten Frack. Man führte ihn in einen Salon. Dort wartete er, wartete eine Stunde lang. Ein Hofmohr erschien endlich, brachte eine Tasse Kaffee und verschwand. Turgenjew trank. Nach einer halben Stunde erschien der Lakai abermals, zeigte seine weißen Zähne und fragte, ob der Gast noch einen Wunsch habe. »Und Ihre Majestät?« – »Sie ist es, die mich schickt.« – Der verblüffte Dichter entfernte sich und schwur, niemals wieder eine kaiserliche Tasse Kaffee anzunehmen.

Der Aufenthalt in Paris machte ihn zu einem gemäßigten Republikaner, der vom reaktionären und vom radikalen Pol gleich weit entfernt war. Als der Großfürst Konstantin nach Paris kam und durch die französische Presse das Gerücht ging, er habe sich mit seinem kaiserlichen Neffen Alexander III. überworfen, mied ihn die russische Kolonie in kleinlicher Feigheit. Turgenjew hingegen übernahm es gern, den Gast in die Künstlerkreise von Paris einzuführen, wo dessen Liebenswürdigkeit bald alle Welt entzückte.

Turgenjew war zu sehr Künstler, um ein Parteigänger zu sein, und ein zu weicher Charakter, um ein Parteiführer zu werden. Inssarow, Basarow, Solomin ermangeln jeder ästhetischen Neigung, aber Rudin und Neschdanow freuen sich am heiteren Reimspiel. Am 14. April 1879 feuerte Ssolowjew vor dem Palais in St. Petersburg fünf Revolverschüsse auf den Zaren Alexander II. Ein junger Russe, Pawlowsky, traf am folgenden Tage in Paris den Dichter in einem Zustande unbeschreiblicher Erregung und in einer Entrüstung, die jene Tat und jedes Attentat als verblendete Torheit verwarf. Einige Monate vergingen, da sprach Turgenjew einen höheren Beamten, der der Verurteilung Ssolowjews beigewohnt hatte und mit Tränen der Rührung im Auge die Erscheinung des jungen Verbrechers schilderte – groß und schlank, mit langem, nach hinten geworfenem Haar, mit den ruhigen Manieren des Aristokraten zu den Richtern redend, wie ein Fürst zu seinen Dienern … Das Bild packte Turgenjew; greifbar stand nun Ssolowjew vor ihm, aber seine Dichterseele hatte aus dem Mörder einen Heros geschaffen.

Rußlands Zukunft – an dieser Frage »kauen die Russen wie die Kinder an einem Stück Gummi«. Wer wird diese Frage lösen? In einer seiner Phantasieen (»Gedichte in Prosa«) wendet sich der Dichter gegen die, die vom Leinwandkittel und Schafpelz des russischen Mushik das Heil der Welt erwarten: In der endlosen Sandwüste ragt die Sphinx, die rätselhafte, … ihre starren Züge wandeln sich mit einem Male; es erscheinen eine weiße, niedrige Stirn, vorstehende Backenknochen, eine kurze, gerade Nase, ein schöner Mund mit weißen Zähnen, ein weicher Schnurrbart und ein gelocktes Backenbärtchen, ein Schopf von gescheitelten Haaren … Ah, das bist du ja, mein Karp, mein Sidor, mein Semen, du Bäuerlein von Jaroslaw, von Rjäsan, du mein russisch Fleisch und Blut! Auch die Sprache deiner Augen ist stumm und rätselhaft … Indessen, wo ist dein Ödipus? – Ach, leider genügt es nicht, die Bauernmütze aufzusetzen, um dein Ödipus zu werden, du russische Sphinx!

Es fehlte der Slawophilenpartei nicht an tüchtigen und liebenswürdigen Männern, aber das große Wort führten die Heißsporne mit der dünkelhaften Parole, daß die russische Unfreiheit immer noch besser sei als die Freiheit des verfaulten Westens. Den Haß gegen sie hatte schon Belinsky gesät. Allein Turgenjew, der nie das schöne Maß der Dinge verlor, hat auch über die knechtische Anbetung der westeuropäischen Lebensformen seine Geißel geschwungen.

Die Romane »Väter und Söhne« und »Dunst« hatten die Hand auf die wunden Stellen eines kranken Volkes gelegt, die falsche Schamhaftigkeit und nationale Eigenliebe zu verbergen suchten. Nun bestritt man dem Dichter die objektive Treue seiner Schilderung, und die Chauvinisten warfen ihm einen frivolen Pseudopatriotismus vor. Die meisterlose Jugend verachtete ihn als einen Reaktionär, die Diener des alten Systems verfehmten ihn als einen Revolutionär. »Mein zwanzigjähriger Musendienst,« konnte Turgenjew 1869 resigniert sagen, »endete mit einer allmählichen Erhaltung des Publikums, und ich habe nicht Grund anzunehmen, daß es sich wieder für mich erwärmen sollte. Neue Zeiten sind gekommen, und neue Menschen nötig. Die literarischen Veteranen sind zu den Invaliden geworfen, – und wohl dem, der rechtzeitig seinen Abschied zu nehmen weiß!« – Er schrieb doch noch seine »Junge Generation«. Als er dann die Versicherung gab, von nun an keine Zeile mehr schreiben zu wollen, hielt er sein Wort. Er zitiert einmal bitter den Puschkinschen Spruch »Des Toren Urteil wirst du hören« und fährt dann in seiner Meditation (»Gedichte in Prosa«) fort: Es gibt Schläge, die empfindlicher berühren, die das Herz selbst treffen. Es hat jemand alles getan, was in seinen Kräften stand; er hat angestrengt, redlich, mit Hingebung gearbeitet, – da wenden sich ehrliche Herzen mit Widerwillen von ihm ab; ehrliche Gesichter erröten, wenn sein Name genannt wird. »Fort mit dir! Hebe dich von hinnen!« schreien ihm ehrliche jugendliche Stimmen entgegen. »Wir brauchen weder dich noch dein Bemühen; du entehrst unser Haus, du kennst und verstehst uns nicht, du bist unser Feind!« … Er denkt dann an den Reisenden, der den armen Landleuten die Kartoffel brachte und dem die Undankbaren das kostbare Geschenk aus der Hand schlugen, um es in den Kot zu treten.

Turgenjew dachte bescheiden von sich und seinem Talent, aber ein Wort liebevoller Anerkennung ist jedem Wanderer auf staubiger Heerstraße ein Labetrunk. Seine Briefe zeigen, wie unsagbar glücklich ein Lob aus dem Munde Flauberts oder der Madame Sand seine vibrierende Seele machen konnte.

Erst 1879, in den Schreckenstagen der Attentate, klärten sich die Meinungen, erloschen die Zweifel an der Wahrheit seiner Schilderungen und seines prophetischen Blickes. Nun war es eine glänzende Ehrenrettung, wie man ihn in Moskau und St. Petersburg empfing und überall zum Mittelpunkt herzlicher und begeisterter Sympathiebezeugungen machte. Sein Bild war endlich über das Niveau des Parteigezänkes hinaufgerückt. Wie lindernder Balsam berührte das alles seine weiche Seele, die Tränen traten ihm in die Augen. Bei einem Mahle, das ihm Professoren und Literaten in St. Petersburg gaben, schwoll ihm das Herz von inniger Dankbarkeit, und mit der Hoffnungsseligkeit, die über alle trüben Erfahrungen weit hinwegflog, sprach der Alternde einen glühenden Toast auf die Jugend. Und wer sich mit der Jugend seines Vaterlandes eins fühlt, wie könnte der verzagen! Den Moskauer Studenten, die ihm zujauchzten, erwiderte er: »Für den beginnenden Schriftsteller ist die Teilnahme der jungen Generation sehr wertvoll, sie ist seine mächtige Stütze – aber für den alternden Schriftsteller ist diese Teilnahme der höchste, einzige Lohn; sie zeigt ihm, daß seine Arbeit nicht vergebens war, daß der Same seine Frucht gezeitigt.«

Als Turgenjew von diesem Ausfluge nach Paris zurückkehrte, erschien er seinen Freunden so froh erregt, um zwanzig Jahre verjüngt. Noch war er übervoll von all den freudigen Eindrücken, und er verbarg seine Genugtuung nicht. »Ich hatte solche Ovationen nicht erwartet, geradesowenig, wie ich erwarten konnte, Kaiser von China zu werden; ich weiß aber wohl, daß der Beifall nicht mir galt, sondern den Ideen, die ich während meiner ganzen literarischen Laufbahn verteidigt habe.«

Die russische Jugend hat niemals einen besseren Freund gehabt, als es Turgenjew war. Der Mann, der keine Familie besaß, schloß alle seine jungen Landsleute ans Herz. Sein Haus in Paris war ihr Heim; seinem Ohre vertrauten sie ihren jugendlichen Kummer, ihre Freude, ihre Hoffnungen an. Sie brachten ihm die unreifen Proben ihres Talents, und er war unermüdlich, die Manuskripte zu lesen und zu korrigieren. Ein alter Felsen, den die jungen Möven umflattern, Schutz suchend vor dem Sturm.

Gar viele beanspruchten außer seinem Rat auch seine Börse. Mit Engelsgeduld hörte er auf die Klagen, mit dem Zartgefühl seiner vornehmen Natur half er den Bedürftigen. Seine Generosität war ohne Schranken. Den Arbeitslosen gab er Empfehlungen; er suchte für sie Beschäftigung, veranstaltete zu ihrer Unterstützung Wohltätigkeitsmatinees. Die russischen Künstler scharte er zu einem Klub; er gründete und unterhielt für sie eine russische Bibliothek.

Ein armer, todkranker russischer Schriftsteller hatte in Paris eine Heysesche Novelle übersetzt. Turgenjew sandte das Manuskript nach Rußland an einen befreundeten Verleger. Antworten Sie, – so bat er diesen – daß Sie es gelesen haben, und versichern Sie, auch wenn Ihnen die Arbeit nicht gefällt, daß Sie die Novelle drucken und dem Übersetzer zweihundert Francs schicken wollen; ich will ihm das Geld schon aus meiner Tasche zahlen. – Eine fromme Täuschung, die der Edelmut ersann, um die letzten Augenblicke eines Sterbenden zu übersonnen.

Unter Turgenjews Prosagedichten ist eins »Das Fest des höchsten Wesens« betitelt. Alle Tugenden sind zu diesem Feste geladen, und sie unterhalten sich aufs freundlichste miteinander, wie sich das für nahe Verwandte geziemt. Nur zwei Damen scheinen einander nicht zu kennen. Da stellt sie der Hausherr vor: – die Wohltätigkeit – die Dankbarkeit. Beide Tugenden waren im höchsten Grade erstaunt; seit der Erschaffung der Welt begegneten sie sich zum ersten Male.

In allem Neid und Streit hatte sich Turgenjew zwei Ideale gerettet, die hell durch den Nebel trüber Tage strahlten, – die russische Frau und die russische Sprache.

Die russische Frau – er denkt nicht an jene, die mit still brennender, verführerischer Macht die armen, sündigen Männer umstrickt, sondern an die Frau mit keuschem Reiz und keuscher Hoheit. Sie kann irren und fehlen, aber nichts tastet an den Zauber ihrer stillen Reinheit. In behaglicher Causerie sprach einst zu ihm sein junger Landsmann Poliwanow: »Die russische Frau ist ein sublimes und reines Wesen.« Und Turgenjew leitete den Gedanken fort: »Ja, keine andere kann so schrankenlos, so selbstlos lieben; sie liebt das Volk und dient dem Volke einfach und schlicht ohne jede Redensart, mit einer Hingebung, die sich selbst vergißt, die keinen Vorteil kennt und keinen Dank sucht.« Daß er mit seinem zartesten Farbenschmelz und in den edelsten Linien das Bild dieser russischen Frau aus dem heiligsten Winkel seines Herzens auferstehen ließ und daß er diesem wunderbaren Gebilde die Anbetung all der Tausende erzwang, die seine Leser sind, – das sichert ihm den ewigen Dank seiner Nation. Es unterscheidet ihn zugleich von Tolstoi, der im Gespräch mit dem Franzosen Jules Huret sagte: »Nach meiner Erfahrung halte ich die Frau dem Manne gegenüber für geistig minderwertig.«

»Ihr dauert mich, weil ihr nur einmal Liebende seid,« – hatte Turgenjews Mutter einst zu ihren beiden Söhnen gesagt – »euer ganzes Leben lang werdet ihr an ein und dieselbe Frau gefesselt sein, welcher Art sie auch sein möge.« Es scheint, als ob Iwan Turgenjews Leben diese Prophezeiung bestätigte.

Im »Dunst« und in den »Frühlingswogen« verspielt der Mann um Sinnenrausch das Herz der geliebten Frau. In anderen Novellen sind es Worte, an die das Glück sich klammert. Assja wird von dem Geliebten in schwächlicher Launenhaftigkeit fortgestoßen; ein Wort könnte sie zurückrufen, allein ein böser Dämon hält dies Wort gefangen. Da geht denn der Bereuende einsam durchs Leben dahin, kein Frauenblick kann ihm mehr den Blick jener beiden Augen ersetzen, die einst mit solchem Vertrauen, mit solcher Liebe auf ihn gerichtet waren. Schwach und kleinmütig verschmäht auch Rudin die hingebende Liebe seines herrlichen, starken Mädchens, bangt vor der Verantwortlichkeit, findet nicht den Mut zur Tat.

In diesen Zagen und Schwächlingen steckt etwas von Turgenjew. Zum stillen Glück eines ruhigen Familienlebens von seiner ganzen Natur prädestiniert, wähnte der Selbstquäler, daß ihm die Fähigkeit fehlte, eine Frau zu besiegen und zu leiten. So blieb das Wort unausgesprochen, die Leidenschaft verwehte, und nichts blieb als der schwache Duft des Geranienzweiges, den Assja einst dem Geliebten reichte und dessen kümmerlichen Rest nun das Abendrot einer poetischen Erinnerung umleuchtet. So oft der Dichter dem Problem Liebe und Ehe sich zuwandte, gelang es ihm nicht, eine befriedigende Lösung zu finden und das sicher umfriedete Familienglück zu verklären.

Turgenjews anderes Ideal – die russische Muttersprache. Im »Dunst« sagt der alte, ehrliche Potugin: »Peter der Große überflutete unsere Sprache mit Tausenden von fremdländischen Worten, holländischen, französischen, deutschen; diese Worte drückten Begriffe aus, mit denen das russische Volk bekannt gemacht werden mußte. Ohne alle Umstände schüttelte Peter unserem Volke diese Worte scheffel-, zuber-, faßweise in den Magen. Dann kam die Verdauung. Die Begriffe wurden eingeimpft; die fremden Formen verschwanden nach und nach, die Sprache fand in ihrem eigenen Innern einen Ersatz dafür, und jetzt übernimmt es ein mittelmäßiger Stilist, jede beliebige Stelle aus Hegel, ja, aus Hegel zu übersetzen, ohne auch nur ein einziges, nichtslavisches Wort zu gebrauchen.« Puschkin und Lermontow haben am Baume der russischen Sprache tausend neue Blüten hervorgelockt, und Turgenjew hat diesen Segen gesteigert. Er war ein Wortbildner, und seine musikalische Begabung goß über seine Diktion eine berückende Fülle des Wohlklangs aus. »Diese jungrussischen Dichter,« sprach er einst mißbilligend zu Pawlowsky, »haben Talent; man kann es nicht leugnen; sie beobachten gut; aber ihr Stil, ihr Stil ist furchtbar. Und warum verachtet man die Form? Das Werk des größten Genies wird morgen vergessen sein, wenn es nicht in einer schönen sprachlichen Form steckt. Was nützt mir der beste Stoff, wenn das Kleid nicht paßt!« Mit Wehmut gedachte dabei der Dichter seiner Jugendtage, da Puschkin, der große Meister der Sprache, noch in aller Herzen lebte und jeder Jüngling den »Eugen Onegin« auswendig kannte. Wie ein treuer Tempelhüter hätte er gern das Kleinod seiner Muttersprache gewahrt, daß keine plumpe Hand es entheiligte.

Die »Literatur- und Lebenserinnerungen« schloß er 1869 mit einem Appell an seine Landsleute, die Muttersprache zu schützen und dies mächtige Werkzeug, das in verständigen Händen Wunder zu tun im stande sei, nicht zu einem Mittel zu profanieren, das genüge, die Gedanken auszudrücken. Und feierlich erhob er – schon ein sterbender Mann – seine Stimme zum Volke und wies auf das Allerheiligste: »In den Tagen, da Zweifel, da bange Gedanken über das Schicksal meines Vaterlandes mich niederdrücken, bist du allein mir Halt und Stütze, o du große, gewaltige, wahrhaftige und freie russische Sprache! Wärst du nicht, – ich müßte verzweifeln angesichts all der Dinge, die daheim geschehen … Aber es ist unmöglich, daß eine solche Sprache nicht einem großen Volke verliehen sei!« (»Gedichte in Prosa«.)


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