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Zwölftes Kapitel.
Von Frauen, Heiligen und Brahminen

So waren die Eindrücke, die ich in den ersten Monaten meines Aufenthalts in Mangalore erhielt, außerordentlich bunt und mannigfach, und so eifrig ich nach dem Sinn der Erscheinungen forschte, so verwirrte mich das meiste eher, als daß es mein Verständnis förderte. Aber wie der glückliche Zustand fröhlichen Wohlbefindens, besonders in der Jugend, eher zu gedankenloser Hingabe, als zu hingebenden Gedanken führt, so ließ ich die farbigen Bilder an meinen Augen vorüberziehen, wie ein munterer Wanderer die wechselnde Landschaft, und wenig von allem sank in mein Herz, bis zu jenem Tage, an dem Mangesche Rao mein Haus betrat.

Panjas Übermut verführte mich oft zu frohsinniger Oberflächlichkeit, wir bummelten am Hafen umher, der sich von Tag zu Tag mehr belebte, ließen uns zur Jagd auf Sumpfvögel die Flußarme emporrudern, die etwa um das Zehnfache breiter erschienen, als am Tage unserer Ankunft, wagten hier unser Leben und dort unser Geld und vergaßen miteinander, daß es in der Welt noch etwas anderes gab, als diese grüne, blühende Wildnis und diese bunte Stadt.

Vor den Tempeln und der Basarstraße gab es Feste heidnischen Götzendienstes, am Hafen Schlägereien zwischen mohammedanischen Hindus und den Negern, die in großen Seglern von Arabien kamen, um Gewürze einzutauschen. Es war ergötzlich, dem bald trägen, bald ausschweifenden Leben des Hafens beizuwohnen, in beschaulicher Tatlosigkeit der englischen Regierung und dem lieben Gott die Sorge für das eigene und fremde Wohlergehen überlassend. Ich schloß Freundschaft mit Negern, Elefanten und Königen, von denen allen es in Mangalore ein gut Teil gibt. Der Frühling spendete uns Rausch, Vergessen und Andacht, der durchsonnte Lebensstrom, der die ganze Stadt überflutete, riß uns mit sich fort.

Eingehüllt in die Geheimnisse der Fremde, wieder erlöst durch die himmlische Klarheit der Sonne und geleitet von der unermüdlichen Lebenslust der Jugend, flossen meine Tage dahin. Meine letzten Bücher wurden ein Raub der Insekten, meine Gedanken eine Beute der Träume, und selbst meine Zukunftshoffnungen fielen für lange dem sanften Rausch so vergänglicher wie überwältigender Genüsse zum Opfer. Ich erwachte unter dem Glitzern der Sonnenspeere, die durch die Blumen und Palmengefieder in mein Zimmer sanken, unter dem Duft des Tees, den Panja mir an mein Lager brachte, und meine erste Erwartung galt der grünlichen feuchten Landzigarre, die, dick und lang wie ein Treibhausspargel, aus besten. Blättern gewickelt worden war. Der goldene Tag zog herum bei Schmetterlingsjagden oder Kahnfahrten, am frischen Meer oder im tiefen Schatten des Palmendickichts, zwischen weisen und närrischen Menschen oder Tieren, zu Pferd oder zu Fuß verbracht, und immer in jener unnennbaren Erhobenheit, die das Bewußtsein einträgt, von allen geachtet oder gefürchtet, sicherlich aber für etwas ganz Außerordentliches angesehen zu werden. Bis der kühle Abend niedersank, mit dem Gesang der Menschen, dem gespenstig wandernden Licht der großen Leuchtkäfer, den Lauten der liebesseligen Tiere, und ob ich die weißen Nächte im Schein des gewaltigen Monds allein zubrachte oder nicht, werde ich nicht sagen, denn es gibt zu viele Menschen, die solcherlei Erwägungen in ernstliche Besorgnis wirft, und man soll niemand Sorge bereiten, am wenigsten durch die Erinnerung an eigene Freuden.

Auf diesem so ausgedehnten Gebiet muß Panja in ernstliche Bedrängnisse geraten sein, eines Morgens schüttete er mir sein Herz aus. Das hatte einen ganz besonderen Grund, und der Anlaß waren zwei lange Schrammen, die vom Auge über seine Wange niederliefen, und deren Ursprung sich um so leichter erraten ließ, als er die Nacht über fort gewesen war.

Als er sah, daß ich sein Gesicht musterte, während er das Frühstück bereitete, meinte er bedauernd:

»Diese Dornen, Sahib! Man weiß nicht, wie man ihnen im Dunkeln entgehen soll, es ist Zeit, daß ich im Garten wieder Platz schaffe.« Und wir klagten eine Weile miteinander über die Dornen.

»Zuweilen sitzen zwei nebeneinander,« sagte ich, »ähnlich wie die Fingernägel einer Hand.«

Panja musterte mich mißtrauisch, aber da ich ernst blieb, meinte er zögernd:

»Ja, auch das, es kommt allerlei vor.« Aber dann mußte er doch ein Lächeln gewahr geworden sein, denn er sprang ärgerlich auf, stampfte mit dem Fuß und rief:

»Also weißt du es, Sahib! Gut, aber was wird dadurch besser? Ist es schön von dir, jemand zu verhöhnen, der ohnehin Undank geerntet hat?«

Ich beruhigte ihn und sprach ihm Trost ein, er war ernstlich erbittert und weit davon entfernt, auch nur einen Schatten von Schuld an diesem Unheil bei sich zu suchen. Da wurde er melancholisch, wie gutmütige Leute mit bösem Gewissen es leicht werden, wenn man ihr Verbrechen auf andere schiebt.

»Kratzen die Frauen deines Landes auch?« fragte er, da er mein bewiesenes Verständnis aus meinen Erfahrungen ableitete.

»Und wie, Panja! Sich und andere.«

»Spotte nicht,« bat er, »dies sind ernste Dinge, und wenn ich auf den Schlaf warte, so muß ich viel darüber nachdenken.« Und er blinzelte in die Morgensonne, die grünes Feuer im Palmengitter entzündete, und spiegelte sich dann gedankenvoll in einer runden Kupferkanne, die ihm sein Bild ähnlich zurückgegeben haben mag, wie die Welt seiner Gedanken in seinem Kopf aussah.

»Warum heiratest du nicht?« fragte ich ihn. Es war einen Augenblick still. Das Geschrei der Handelsleute und Ausrufer von der Basarstraße klang zu uns herüber, und die Zweige im Gebüsch schaukelten unter dem Morgenspaziergang irgendeines größeren Tiers.

»Vielleicht ein Affe«, meinte Panja. Man sah, er dachte an etwas anderes. »Gut,« brach er plötzlich eifrig los, »ich heirate, aber was dann? Es ist nicht verlockend, zu wissen, was einem auf dem Nachtlager erwartet, solange man jung ist. Zur Liebe gehören die Neugierde und die Gefahr, die erlaubte Liebe ist wie ein gefangener Vogel.«

Ich beschloß, ein wenig ernster zu werden, und sagte deshalb leichthin:

»Wenn es nur das gäbe, was du jetzt Liebe nennst, Panja, so hättest du recht, aber es kann vorkommen, daß das Herz sich überall wie ein gefangener Vogel vorkommt, nur nicht dort, wo eine bestimmte Frau wartet.«

Panja dachte nach. »Es kommt vor, Sahib, aber es geht vorüber.«

»Vielleicht kommt dafür etwas anderes?«

»Was sollte kommen, Sahib?«

»Vielleicht ein Sohn.«

»O Gott,« sagte Panja betroffen, »wer denkt gleich an das Schlimmste!? Aber auch, wenn ich mich darüber freuen sollte, so kann ich doch nicht an einen Sohn denken, wenn ich keinen habe.«

»Ist das Vergessen schöner oder die Erinnerung, Panja? Sieh um dich in der Natur, wohin du willst, und unter den Menschen, immer geht die Liebe mit der Erinnerung und das Laster mit dem Vergessen. Ist nicht ein Kind die schönste Erinnerung an die Liebe und der lieblichste Begleiter auf dem Wege vom Sommer zum Herbst?«

Panja rückte an seinem Turban und kratzte sich umständlich, was immer ein Beweis war, daß etwas über seine Sinnenwelt hinaus in sein Herz gesunken war, aber es blieb in der Regel sein einziges Zugeständnis an mich.

»Ich bin kein Brahmine,« sagte er endlich, »warum soll ich also nachdenken? Du hast nur deshalb schöne Gedanken, Sahib, weil du die Frauen nicht kennst. Wenn du einmal ein Weib genommen hast, so werden die guten Gedanken ausbleiben.«

Ich mußte lachen, und Panja triumphierte. Nun war er es, der mich belehrte.

»Vielleicht sind die Frauen deines Landes anders, Sahib, aber wahrscheinlich ist es mit den Frauen wie mit der Palme, überall in der Welt ist sie dieselbe. Hast du niemals gemerkt, daß sie im Grunde alle dumm sind? Du kannst es daran sehen, daß sie sich in gleichem Maße vor einem Tiger fürchten wie vor einer Maus, denn nicht einmal zwischen diesen beiden Tieren können sie den Unterschied herausbringen. So kennen sie auch bei den Männern keine Unterschiede, und als der beste erscheint ihnen immer der, den sie lieben.«

»Ist das nicht ein Vorzug?«

Aber Panja ließ sich nicht ablenken: »Sagst du etwas recht Dummes, so reißen sie die Augen auf und strahlen, nur weil es vielleicht auf das Gleichgültigste der Welt zutrifft; sagst du aber etwas Gescheites, was alle Klugen bewundern würden, so vergessen sie es sofort, nur, weil sie es nicht in ihr Haar stecken können. Oh, was kann nicht alles geschehen! Mit der Zeit wird vielleicht deine Liebe abnehmen, und du kehrst zu vernünftigen Gedanken zurück, aber dann nimmt die ihre genau in dem Maße zu, wie sie dir gleichgültig wird. Sie behängt dich mit allem, was sie ausdenkt oder findet, wie einen wundertätigen Götzen, bis du anfängst, selbst so Ungeheuerliches von dir zu glauben, daß du ein Gespött der Männer wirst. Wie aber ist es erst, wenn dein Herz an dem ihren hängen bleibt, und dein Eifer und deine Mühe machen sie kälter und kälter? Gib du selbst alles, was du hast, und ohne Rückhalt dich selbst, sofort fängt sie an, nach anderen Männern Ausschau zu halten. Die Seele solcher Frauen ist wie eine Grube, die kleiner wird, je mehr man hinzutut, und das Elend in deinem Hause nimmt kein Ende. Ach, du weißt nicht, wie es selbst den Braven ergeht! Du hast einmal gesagt, durch Geben wird niemand arm, aber alles, was einem herzlosen Weib gegeben wird, ist verloren.«

»Das ist vielleicht richtig, Panja,« unterbrach ich seinen Eifer, »aber nicht alle Frauen sind herzlos.«

»O Sahib, solange du lieben mußt, ist in deinen Augen alles schön, was du an einer Frau erblickst,« entgegnete Panja überzeugt, »und das Böse an ihr entfacht nur den Eifer deiner Gunst.«

So fuhr Panja fort, mir noch lange die irdische Misere der Herzen zu schildern, die lieben, oder die es wollen, ohne es zu können, oder müssen, ohne es zu wollen. Ich antwortete ihm wenig, aber es wurde mir deutlich, wie viele Männer unserer Zeit und unseres Landes über eine ähnliche Betrachtung der Frau niemals hinausgekommen sind. Hatte Panjas Anschauung auch zweifellos die heitere Beigabe einer kindlichen Auffassung, so lag ihr doch ein Urteil zugrunde, das mir, im nachdenklichen Sinn bewegt, nur allzu vertraut war. Wenn ich ihm nur beiläufig widersprach, so bedachte ich bei meiner Zurückhaltung seine Jugend und die Tatsache, daß die meisten Männer erst durch die Erfahrung belehrt werden, und daß niemandes Erlebnisse größer sind als er selbst. Auch dient eine solche oder ähnliche Betrachtungsart gutmütigen Jünglingen zu einer Vorsicht, die dem Grade ihrer Widerstandskraft angepaßt sein mag.

Aber im Grunde ist es nicht gut, in solchen Anschauungen allzu lange ein Kind zu bleiben, und ich habe die Männer selten sonderlich ernst zu nehmen vermocht, die der Frau die selbständigen Kräfte des Gemüts nur deshalb absprachen, weil sie anderer Art als die des Mannes sind; denn nur Oberflächliche rechnen Verborgenes leichtfertig dem Fehlenden zu. Auch bleibt es hinreichend lächerlich, Eigenschaften der Frau zu tadeln, die wir nicht genug loben können, solange ihre Wirkung uns selbst zugute kommt. Je eher das Gemüts- und Geistesleben einer Frau im Zusammenhang mit ihren Eigenschaften einen Charakter darstellt, um so sicherer wird sie auch ohne äußere Erfahrung die Wahl treffen, die ihrem Werte entspricht. Dieser Wert aber wird sich, nach ihrer Entscheidung, nicht in ihrer Fähigkeit zeigen, die Männer gerecht miteinander vergleichen zu können, sondern in ihrer Beständigkeit.

So ging mancher Morgen in nachdenklicher Plauderei und gedankenlosem Spiel mit Nichtigkeiten herum, die Sonne begann uns Irdische dieser gesegneten Zone langsam wieder an Beständigkeit zu übertreffen, an Treue und Kraft. Wie es manchen auf der Reise ergehen mag, so verlangte es auch mich, im Übermaß der sonntäglichen Freiheit, nun oft nach der herben Sicherheit jener höheren Freiheit im Geist, die uns bei ganzer Anspannung unserer besten Kräfte vergönnt ist. Aber dies Klima erlaubt unserem Blut nicht den Ernst unserer Rasse, nicht den Eigensinn zur Tätigkeit, der ihr eigentümlich ist, und am wenigsten die Neigung zu beständiger Arbeit. Ungezählte unseres Volkes sind, solange die Geschichte es kennt, den Verführungen der südlichen Sonne erlegen, fast unvermerkt, unheilbar der Süßigkeit des tatenlosen Genusses verfallen, und erst nach eingebüßter Lebenskraft zu jenem Heimweh aufgeschreckt, das im Glanz der weichen Tage zu einer wollüstigen Wehmut herabgesunken war.

Oft, wenn ich am Meeresstrand unter schattigen Bäumen lag und Traum und Wille sich im Blau des Himmels und des Wassers schaukelten, gedachte ich Homers und seines Helden, der, an den Mastbaum seines Schiffes gefesselt, mit empfänglichen Sinnen, machtlos und zerrissen von Verlangen, an dem gepriesenen Eiland vorüberfuhr, erkennend und durch den Geist gefeit, vom Verstand gemeistert, der älter war als sein Verlangen, hingegeben und beherrscht. Oft beneidete ich ihn, oft bedauerte ich ihn, wie einen, den die Kälte seines Geistes vom Altar beseligter Hingabe verbannt hat. Aber in meinen Träumen erschienen mir die singenden Frauen, und ich ahnte unter dem Glanz ihrer lockenden Leiber die tödliche Kraft ihrer mörderischen Krallen.

Es trieb mich, bei innerer Ruhlosigkeit, äußerlich von einem zum andern, ich versuchte zu arbeiten, verbrannte aber bald nach den armen Anfängen die untüchtigen Versuche, die Herrlichkeit um mich her in Worten und Gestalten zu bannen. Entzündete die Sonne ihr grüngoldenes Morgenfeuer in den Büschen, die meine Fenster einhüllten, so tauchten meine Sinne in der Ahnung einer Vollkommenheit unter, die jedes Menschenwerk zu nichtigem und vergänglichem Tand herabsetzte, es gab nur Befreitheit in andächtiger Hingabe.

Panja beobachtete mich sorgenvoll, und eines Tages meinte er:

»Sahib, weshalb verbrennst du dein Papier nicht, bevor du es beschreibst?«

Nun, das ärgerte mich. Zu solcher Frage hat ein Diener kein Recht.

»Dummkopf,« sagte ich, »weißt du nicht, daß man Gedanken auf ein Blatt Papier niederschreiben kann, und daß, wenn beide zugleich verbrannt werden, der Gedanke als Rauch in die Köpfe von Menschen zieht, die wir von unserer Meinung überzeugen wollen?«

Panja riß die Augen auf und schwieg andächtig. Er hatte es noch nicht gewußt. Nach einiger Zeit ertappte ich ihn darüber, daß er im Garten unter merkwürdigen Sprüngen einen Brief verbrannte, und entfernte mich mit der Genugtuung, daß enttäuschte Hoffnungen ihn für seine unbotmäßige Frage strafen würden.

Auch mit den Vertretern der deutschen Mission in Mangalore kam ich flüchtig in Berührung, es sind tätige und ernste Leute, die in kleinen Industrien die übergetretenen Eingeborenen beschäftigen und den Geisteskampf mit den gebildeten Repräsentanten des Hinduismus nur vereinzelt und immer erfolglos wagen. Es fehlt ihnen an Bildung und Kenntnis und vor allem an Achtung vor dem Brahman oder der Lehre Buddhas, und der einfältige Glaube, es hier mit »finsterem Heidentum« zu tun zu haben, ist der beste Weg zur gründlichen Erfolglosigkeit. Ich habe kuriose Leute unter diesen Missionaren und Missionsfrauen angetroffen. Was sie einem feineren Anspruch immer wieder fatal macht, ist ihre bewußte Beschränkung und Ausschließlichkeit in einer Weltbetrachtung, deren wirkende Kraft unerprobt bleibt. Es ist leicht, recht zu behalten, wenn man nur sich selbst oder Meinungsgenossen hört, und das Lächerliche solcher Erscheinungen beruht darauf, daß ihre Einfalt mit Großartigkeit verbunden ist und ihre Behutsamkeit mit Mangel an Takt.

Ein bezeichnendes Merkmal, woran solche Leute im Fall eines Zweifels bald zu erkennen sind, ist ihre Fähigkeit, über alle Dinge mitzureden, sie zu beurteilen oder einzuschätzen, ohne daß sie sich je die Mühe gemacht hätten, sie auch zu verstehen. Naturgemäß verbindet sich mit einem solchen Standpunkt der Weltbetrachtung eine besondere Vorliebe für die Kehrseite der Dinge, die sich überall, wie auch beim Menschen, leichter kenntlich, übersichtlicher und ohne komplizierten Ausdruck oder vielseitige Linienführung darbietet. Und so findet man auch in der Regel, daß das Selbstbewußtsein dieser Menschen sich daran aufzurichten pflegt, daß sie die Schattenseiten anders gesinnter Brüder oder fernliegender Dinge zuerst, oder gar ausschließlich entdecken, und da es leichter ist, etwas zu tadeln, als etwas zu begreifen, so findet dieses Selbstbewußtsein fast stündlich Nahrung und entwickelt sich auf das prächtigste. Panja meinte einmal, nachdem wir unsere ersten Bekanntschaften hinter uns hatten:

»Diese Herren sind wie der König von Schamaji, immer herrschen sie, aber man weiß nicht, warum oder über wen.«

Wahrhaft Bescheidene fordern nicht heimlich den Dank für ihre Beschaffenheit ein, und es ist immer ein wenig peinlich, wenn Dienstboten sich deshalb für etwas Besonderes halten, weil ihre Herrschaft etwas Großes geleistet hat. Trotzdem ist mir ein Beweis inniger Glaubenskraft erbracht worden, und da ich durch die bezeichnenden Worte, welche ich über diese Leute vorangeschickt habe, ungern in den verpönten Ruhm kommen möchte, auf der Bank der Spötter zu sitzen, will ich die Geschichte so folgen lassen, wie ich sie gehört habe:

In einer Gebetsversammlung dieser kleinen christlichen Gemeinde erhob sich jüngst eine Missionsfrau, die aus den dunkleren Provinzen des im übrigen so gesegneten Königreichs Württemberg stammte und die in ihrer Beziehung zur Einfalt in der Gottesfurcht etwas geradezu Außerordentliches leistete. Sie sagte nach kurzem Gebet, das in solchen Versammlungen laut und allgemein verrichtet zu werden pflegt, daß es Gott dem Herrn in seinem unerforschlichen Ratschluß gefallen habe, ihre neben ihr sitzende, bereits erwachsene Tochter Helene mit einem Bandwurm zu schlagen. Darauf forderte sie die Gemeinde in bekümmertem Werben von geneigter Stirn inständig auf, Gott mit ihr und ihrem Kinde gemeinsam um das Ausscheiden des unangenehmen Parasiten anzuflehen. Ihrem Ersuchen wurde bereitwillig stattgegeben, und Männer und Frauen der Versammlung beschäftigten sich eine angemessene Zeitlang vor Gottes Augen in inniger Fürbitte mit dem Bandwurm der jungen Dame und mit der Laufbahn, welche für die Zukunft dieses merkwürdigen Tiers erhofft wurde.

Am Schluß der Versammlung erklärte eine freundliche Beisitzerin im Saale, daß sich in ihren Privatbeständen ein wirkungsvolles Mittel befände, dem auch ein energischer Bandwurm nicht zu widerstehen in der Lage sei, und dieses Medikament wurde mit Dank angenommen. Schon in der nächsten Zusammenkunft konnte die Mutter der aufhorchenden Gemeinde die Mitteilung machen, auf wie wunderbare Art die Kraft der gemeinsamen Fürbitte bei ihrer Tochter gewirkt habe. Sie erzählte mit bewegter Stimme den Versammelten, daß der Bandwurm gekommen sei, augenscheinlich im bereits entschlafenen Zustande, daß sich aber ein großer Frieden in seinen Zügen ausgedrückt habe. –

Daß Gottes Hand sichtbar über dem Wohlergehen dieser opferfreudigen Leute waltet, geht auch aus einer anderen, nicht weniger eigenartigen Geschichte hervor, die mir in Mangalore von einem sehr erfahrenen und im Heidendienst erprobten Manne erzählt worden ist. Als sich dieser Herr zu Beginn seiner Laufbahn an einem schönen Abend auf der Veranda seines Hauses aufhielt, erblickte er plötzlich einen Tiger, der die Treppe vom Garten emporkam. Gott gab dem bestürzten Manne jedoch rechtzeitig einen guten Gedanken ein, der zur Errettung führte. Auf der Terrasse stand zum Glück, von der letzten Kinderlehre im Freien her, noch das Harmonium, ein besonders in pietistischen Glaubenskreisen recht beliebtes Erbauungsinstrument, das auch in indischen Missionen hier und da Verwendung findet, obgleich es den Einwirkungen des Klimas nur selten zu widerstehen vermag. Auf dieses Instrument stürzte sich der beklommene Mann und begann, in zuversichtlichem Glauben an seine Aussichten, den bekannten schönen Choral zu spielen:

Wie soll ich dich empfangen
Und wie begegn' ich dir?

Der Tiger soll sich sofort entfernt haben, um den Schutz der Wildnis aufzusuchen.

 

Eines Nachmittags, als ein Händler aus Kaschmir seine bunten Messingvasen und Stickereien auf meiner Veranda zur Schau ausbreitete, kam ein Bote aus der Stadt und blieb nach Art der eingeborenen Diener bescheiden am Aufgang zur Treppe stehen, eine Anrede erwartend. Es kamen zu vielerlei kleine Nachrichten für Panja oder den Koch, als daß ich den Fremden sonderlich beachtete, er räusperte sich nach einer Weile dezent, und als ich hinübersah, legte er die Hand an die Stirn und verneigte sich zum zweiten Male. So ging es mich an, und ich winkte ihm.

»Du kommst mir gelegen,« sagte ich, »wie viel Wert hat nach deiner Meinung dieser mit Gold bemalte Vorhang, du bist unparteiisch, sag' es mir.«

Der Fremde prüfte das Tuch und die Arbeit aufmerksam, mir schien aber, als besänne er sich dabei auf einen Ausweg, zugleich meiner und der Forderung des Händlers gerecht zu werden. Dann sagte er:

»Ich kenne den Wert dieser Arbeiten nicht genau, aber ich kenne Dewan Chundar, den Kaufmann, der dich bedient, und weiß, daß er gerecht und vorsichtig ist.«

»Wenn er es nicht wäre, so könnte er es von dir lernen«, sagte ich. Die Antwort gefiel mir, und ich betrachtete den Ankömmling genauer. Seine Gewandung war sorgfältig und gut und ohne Anlehnung an die europäische Kleidung, der rote Turban war aus Seide, das weiße Hüftentuch breit gelegt, und es reichte, wie eine weite Pumphose, bis an die Knie, ein kurzes Jäckchen aus dunklem Tuch, wie es die Perser in Bombay tragen, verhüllte Brust und Arme.

»Und du selbst? Was führt dich zu mir?«

»Mein Herr bittet dich, ihn morgen um diese Stunde zu erwarten, er dankt dem fremden Sahib für seine Bitte.«

»Du dienst dem Brahminen Mangesche Rao?«

»Mein Herr ist Bahadur Mangesche Rao.«

Der stille Sklave erhielt eine Silberrupie, mein Herz schlug vor freudiger Überraschung. Eigentlich ohne rechte Hoffnung auf den Erfolg meiner Mühe war ich dem Rat des Kollektors gefolgt und hatte den Brahminen in einem Brief angegangen, ob er willens sei, mir Unterricht im Sanskrit und in der Geschichte seines Landes zu geben. Mir war in den letzten Wochen zumut gewesen, als müßte ich mir durch meine leichtfertigen Umtriebe in der Stadt das Vertrauen dieses ernsten Politikers und Diplomaten verscherzt haben, denn ich fiel auf, da ich mich sowohl anders als die Engländer benahm, als auch die Gebräuche der Missionare nicht eben zum Vorbild wählte. Sonst gab es wenig Europäer in Mangalore. Panja hatte mir allerlei Lustiges über die Bilder berichtet, die man sich im Volk von mir machte, ich galt hier als verkappter Spion der englischen Regierung, dort als Perlenhändler und im niedern Volk als Zauberer, weil ich einmal mit einem Taschenkünstler in Konkurrenz getreten war, der noch niemals ein Spiel französischer Karten gesehen hatte und von der Volte so wenig verstand, wie ich vom Schlangenbändigen.

Nun, es erschien, als habe der Brahmine weiter nicht Anstoß an meinem Ruf genommen. Der Händler erhielt den geforderten Preis und benutzte den Rest des Tages zum gemächlichen Einpacken seiner Schätze, offenbar hatte das Geschäft, das er mit mir gemacht hatte, ihm ermöglicht, sich für einige Wochen ins Privatleben zurückzuziehen. Ich rief nach Panja.

»Ich weiß schon,« sagte er kalt, »du ziehst Verbrecher ins Haus. In kurzer Zeit werden wir alle drei gehängt werden.«

»Woher weißt du denn, wer kommt?«

»Du hast es mir ja selbst gesagt, Sahib.«

Ich war überzeugt, es nicht getan zu haben, konnte aber nicht für mich bürgen. Die Tatsache, mich bis ins kleinste beobachtet zu finden, überraschte mich immer wieder, aber Neugierde ist die heiligste Pflicht eines indischen Dieners, und es erscheint einem oft, als stünden Todesstrafen auf Verschwiegenheit. Sicher war, daß Panja diesem Besuch ungern entgegensah, er häufte alles an Schmähungen und Verdächtigungen an, was er aus einem zweitausendjährigen Ruf dieser Kaste nur immer in Erfahrung gebracht hatte. Trotzdem gewahrte ich deutlich eine Scheu, jene alte Achtung, die allen Kasten den Brahminen gegenüber eigentümlich ist, und die kein Haß und keine Furcht verdrängt haben.

Mangesche Rao kam am nächsten Tage mit großer Pünktlichkeit genau zur angegebenen Stunde. Er ritt durch das Gartentor ein, bis dicht vor die Holztreppe der Veranda. Der Diener, der sein Pferd am Zügel führte, diesmal ein anderer, meldete seinen Herrn durch einen gedämpften Zuruf an, der mir in seiner seltsamen Feierlichkeit und seinem eindringlichen Pathos unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist. Panja erschien, ernst und würdevoll.

Der Brahmine schritt die Treppe erst empor, als ich ihm in der Tür entgegentrat, er reichte mir nach europäischer Sitte die Hand, das einzige, was mich außer seiner Erscheinung in seinen Gewohnheiten an seine Kaste mahnte, war die eigentümliche rituale Vorsicht, mit derer seine Schuhe an der Schwelle der Tür ablegte, um das fremde Haus mit nackten Füßen zu betreten. Er bückte sich dabei nicht, die safranroten sandalenartigen Schuhe blieben zurück, wie durch einen Zauberspruch von den Füßen gelöst.

Wahrscheinlich wird mein Gast sich keine Vorstellung von dem Eindruck gemacht haben, den seine Erscheinung von den ersten Augenblicken an auf mich machte. So groß das Selbstbewußtsein eines Menschen sein mag, der sich seines Werts bewußt ist, immer wird ihn vom unbedingten Glauben seiner Wirkung die Erkenntnis abhalten, daß ein anderer nur so viel würdigen kann, als er beansprucht, und in dieser Hinsicht lag für den Brahminen gewiß kein Grund vor, von mir ein besonderes Erfassen seiner Vorzüge anzunehmen. Ich war überrascht, wie jung er wirkte, als ich sein Alter erfuhr. Nicht allein sein sorgfältig rasiertes und sehr schmales Gesicht ließ darüber in Zweifel, sondern vor allem seine ungewöhnlich schlanke Gestalt und die Anmut seiner Bewegung, die allerdings weit von jeder Gefallsucht entfernt war. Als seine Augen, dunkel aus dem hellen Braun des Gesichts, unter dem gelben Seidenturban hervor, zum ersten Male in die meinen sahen, erfaßte mich wie ein Taumel von Begierde, Befriedigung und Stolz eine Ahnung vom Geist der Jahrtausende, die ihrem späten Sohn den Glanz ihrer Kultur wie einen Kranz um die Schläfen gelegt zu haben schienen. Etwas vom Zauber jener Träume meiner Jugend, die unter dem Namen Indien in mir erwacht waren, beglückte mich, und mir erschien, als stünde ich erst heute wahrhaft vor den Toren seiner Geheimnisse.

Die fremden Augen sahen mich bei den ersten Worten unserer Unterhaltung an, als läge dem Sinn dieses Mannes nichts so fern, als mich zu prüfen. Es ist das erstemal gewesen, daß diese Bescheidenheit der Überlegenheit mir wohltat, ich begriff, wie viel Unsicherheit, wie viel Abwehr und falsche Besorgnis in jenem Prüfen liegt, mit dem wir in den meisten Fällen einer neuen Bekanntschaft beginnen oder empfangen werden. Diese Unbeteiligtheit der Augen wirkte höflich und verbreitete eine Gelassenheit, als gäbe es in der Welt nichts Natürlicheres, als unsere Zusammenkunft. Ich dachte an die Erzählung des Kollektors und mußte über seinen Eifer lächeln, mit dem er sich bemüht hatte, mir ein Bild dieses Mannes zu entwerfen, ich begriff, wo die Besorgnis des Engländers ihren Ursprung hatte, und war über nichts so glücklich, als daß kein politisches Interesse den Brahminen und mich zusammengeführt hatte.

So mag es gekommen sein, daß ich ohne Rückhalt, ohne kleinliche Vorsicht und in heiterer Offenheit zu diesem Manne sprach, und er schien rasch zu bemerken, daß ich nichts zu verlieren fürchtete, als seine persönliche Achtung. Es war erstaunlich, wie richtig er aus den Äußerungen meines Temperaments auf meine Gesinnung schloß. Offenbar hatte er, ohne falsch oder auch nur vorsichtig zu erscheinen, schon nach der ersten halben Stunde unserer Unterhaltung eine ganze Reihe heimlicher Prüfungen vorgenommen, deren Resultat den Rest seiner Befürchtungen zerstreute. Wir sprachen von der englischen Regierung, er lobte ihre Umsicht, die Rede kam auf die deutsche Mission und Mangesche Rao sagte, höflich gegen mich, als den Landsmann ihrer Vertreter, das Beste über diese Leute, was sich über sie sagen ließ.

Ich war jung genug, nicht ohne weiteres zu dulden, daß ich mit diesen Propheten der heiligen Einfalt zusammen das Deutsche Reich in Indien repräsentieren sollte, und sagte:

»Die Leute sind einfältig.«

»Das schließt ihre Aufrichtigkeit nicht aus«, meinte Mangesche Rao, doch ich konnte mich nicht enthalten, hinzuzufügen:

»Sie müssen Ihnen wenig schaden, da Sie so nachsichtig sind.«

Mangesche Rao lächelte, meine Unvorsichtigkeit schien ihm wohlzutun, und so bemerkte er leichthin:

»Wir begegnen einander nur auf Gebieten, die wir ihnen überlassen.«

Seine Meinung über die Jesuiten unterschied sich wesentlich von der über die protestantische Mission, und aus den Ansprüchen, die er durch die Wirksamkeit und Eigenart dieses Ordens befriedigt sah, merkte ich rasch, wie wenig ihm alles galt, was nicht im Geistigen zu suchen war.

Aus keiner Einzelheit, die unsere Unterhaltung berührte, war bisher zu entnehmen, daß mein Gast sich auch nur beiläufig um Politik bekümmerte, ja auch nur das kleinste Interesse am Ergehen des Landes, an seiner wirtschaftlichen oder sozialen Lage nahm. Ich war vorübergehend in Zweifel, ab sich der Kollektor nicht mit seiner Annahme im Irrtum befand und die Unschuld seines vermeintlichen Gegners für höchste Verstellungskunst gehalten hatte. Die Sonne trieb ihr buntes Spiel im ruhigen Raum, der Besuch saß im gedämpften Licht, und sein Anblick erfüllte mich mit der stolzen Freude des Gastgebers einem ungewöhnlichen Fremden gegenüber. Der blaue Vorhang, den ich am Tage vorher erstanden hatte, schmückte die Wand meines Zimmers als Hintergrund, und die Schultern, das glänzende schwarze Haar und das gedämpfte Seidengelb vom Turban Mangesche Raos hoben sich unwirklich und fremdartig davon ab, mir erschien der Anblick zuweilen wie ein Bild aus der Märchenwelt von Tausendundeine Nacht. Panja, lautlos und vorsichtig, brachte Tee und Tabak, ich war nicht wenig darüber erstaunt, als ich sah, wie tief und feierlich er den Brahminen begrüßte, der durch einen Blick dankte, ohne auch nur die Stirn zu neigen.

Es schien dem Gast nach einer Weile in Frage und Antwort doch zu hastig zu gehen. Die vornehmen Indier verkehren mit den Europäern in außerordentlich gesetzter Weise und haben sich in ihrem Umgang mit den Herren ihres Landes daran gewöhnt, das Wort als ein Mittel zu betrachten, um die Gedanken zu verbergen. Diese Kunst haben sie gewiß nicht erst in ihren Kämpfen mit den mohammedanischen oder englischen Eroberern gelernt, aber sie sind zu oft getäuscht worden, um nicht mißtrauisch zu sein, bis zur Verstecktheit. Wie ich Mangesche Rao später kennen lernte, lag seiner Natur der Freimut näher als die Verstellung, aber zu Beginn unserer Bekanntschaft prüfte er meine Äußerungen wieder und wieder darauf hin, was sie hinter ihrem Wortlaut bedeuten möchten, oder was darüber hinaus. Das ließ ihn oft zögern oder schweigen, und ich erkannte bald, daß mein bestes Mittel, ihn rascher zu Vertrauen zu gewinnen, sicherlich eine gewisse Gleichgültigkeit gegen jede Vorsicht war. Aber welcher Vorsichtige erwägt nicht, selbst vor der arglosen Gebärde einer Preisgabe, die Möglichkeit eines Mittels zu verborgenem Zweck? Mangesche Rao wählte geschickt einen Weg, der ihm Gelegenheit zu beiläufigem Beobachten und Schweigen gab, er nahm vom Nebentisch ein Schachbrett und begann, wie in Gedanken und scheinbar unbeteiligt, die Figuren zu ordnen.

Das Spiel, das sich alsbald zwischen uns ergab, war sehr erheiternd für mich, aber es dauerte nur kurze Zeit. Der Brahmine sagte mir nach dem vierten Zuge, den ich machte, mit höflichem Bedauern mein unvermeidliches Geschick voraus und fragte mich, auf welchem Feld des Bretts mein König am liebsten seinen Untergang erlebte. Ich gab es an, und der hölzerne Fürst rutschte, eine Weile von eigenen und fremden Kriegern bedrängt, wie ein gescholtener Kuli hin und her, bis er seine unrühmliche Herrschaft, von einem feindlichen Bauern aus dem Hinterhalt überfallen, auf jenem Felde aufgab, das ich bestimmt hatte.

»Dem geht es ähnlich unter Ihrem Verstand wie dem englischen Kollektor«, sagte ich und lachte.

Ohne Besinnen antwortete mir Mangesche Rao:

»Überschätzen Sie die kleine Arbeit nicht, die dem Beamten zu schaffen macht, ich hoffe, das alles einmal wirkungsvoller zu sagen.«

»Also Sie haben es geschrieben und geben es ohne weiteres zu?«

»Was ich unter vier Augen zugebe, kann ich unter sechs ohne Mühe widerrufen. Aber glauben Sie, daß mir von einer Regierung Gefahr droht, die nicht den Mut hat, unumwunden zu fragen, aus Furcht eine Antwort zu erhalten, die sie zu einem Eingriff zwänge? Mich schützt nicht meine Geschicklichkeit, sie war zur Hälfte Nachsicht gegen die Persönlichkeit dessen, der sie nicht zu übertreffen vermochte; was mich schützt, sind die Macht und der Wille der Gleichgesinnten im Reich.«

»So wissen Sie auch, daß ich zuweilen ein Gast des Kollektors war?« fragte ich, aufs höchste angeregt.

Mangesche Rao nickte. »Es ist leichter für uns, in Mangalore einen Europäer zu beobachten, als umgekehrt. Zu Anfang habe ich den Gedanken erwogen, Sie möchten mich im Interesse der englischen Regierung zu sich geladen haben, deshalb bin ich gekommen. Aber dieser Gedanke war falsch.«

»Was bürgt Ihnen dafür?«

»Ihr Bemühen, arglos zu erscheinen,« sagte der Brahmine und lächelte, »auf diese Art versuchen es nur Leute, die es sind.«

Ich lachte, und da er ernst blieb, fragte ich:

»Und wenn ich nun, Ihrer Meinung zum Trotz, vielleicht nur aus gleichgültigem Unterhaltungsbedürfnis, dem Kollektor Ihr Geständnis erzählte?«

»Sie würden sich weder Dank erwerben, noch Schaden tun«, meinte der Brahmine, ohne ein Anzeichen von besonderem Interesse. »Es ist niemandem wichtig, Dinge zum zehnten Mal zu hören, die er weiß.«

Der Tag verlief damit, daß ich Mangesche Rao meine in seinem Lande verbrachten Tage von Anfang bis zu Ende erzählte. Ich sprach nicht nur von Ereignissen, sondern auch von den Empfindungen, welche mich bewogen hatten, sie zu suchen. Er hörte mir mit ruhigen Augen zu, warf hier und da eine Frage ein, die mir sein Verständnis erwies und mich zu immer größerem Freimut bewegte. So gestand ich ihm endlich auch den Grund ein, aus welchem ich ihn gebeten hatte mein Haus aufzusuchen, und seine Freude war nicht ohne Stolz, als er mir auf seine vornehme Art versicherte, das Beste seines geistigen Eigentums sei so weit das meine, als ich Verlangen danach trüge.

»Ich begreife den Geist, der Sie in die Welt hinaustreibt,« sagte er zum Abschied zu mir. »Immer erfaßt bei allen Völkern Einzelne diese Rastlosigkeit, sie finden nirgend Ruhe und mischen die Welt. Mit ihnen gehen Segen oder Unsegen, und diese entstehen nach dem Maße des Werts solcher Menschen. Die Einen treibt ihre ungebändigte Fülle hinaus, die Anderen ihre Leere. Die letzteren glauben bereichert zurückzukehren, aber sie lassen überall nur Unordnung und Verwirrung zurück, auch bringen sie in Wahrheit nichts heim, denn in leeren Köpfen ist am wenigsten Platz. Die Reichen aber geben, indem sie suchen, und der Notstand ihrer Wanderung gereicht oft denen zum Nutzen, die ihnen begegnen.«


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