Georg Bötticher
Schnurrige Kerle und andere Humoresken
Georg Bötticher

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Der »böse« Pfennig.

Der Kassierer Herr Theobald Mückebein war leidenschaftlicher Münzsammler. Er war es seit seinem zwölften Jahr und stand jetzt im dreiundvierzigsten. Die Liebe zu alten Münzen hatte alle anderen Neigungen in ihm aufgezehrt und so war Herr Mückebein Junggeselle geblieben. Als solcher hauste er im dritten Stock eines düsteren Gebäudes der Altstadt, auf einem Flur, auf dem es beständig nach Benzin roch, mit welcher Flüssigkeit Herr Mückebein die neuerworbenen Stücke seiner Sammlung zu reinigen pflegte. Allabendlich konnte man ihn hier vor seinem Heiligtum, einem Schrank mit unzähligen Schubfächern, die wiederum in viele Unterabteilungen gegliedert waren, bis tief in die Nacht hinein wirtschaften sehen, wie er Münzen polierte, mit der Lupe betrachtete und registrierte, Zettel schrieb, in den Münzwerken nachschlug und liebevoll die einzelnen Fächer herauszog und Musterung passieren ließ. Herr Mückebein sammelte ausschließlich Kupfermünzen. Bei seinen beschränkten Mitteln hatte er diese Begrenzung seines Sammeleifers zunächst notgedrungen vorgenommen, bald aber eine schöne Gleichgültigkeit gegen alle Nichtkupfermünzen erlangt, die einen demonstrativen Charakter erhielt, ja sich zum Haß steigerte jener weitverzweigten Sekte winziger Groschen und Sechser gegenüber, welche vergangene Jahrhunderte für Silber auszugeben sich nicht entblödeten, die aber kaum eine Spur jenes Edelmetalls enthalten und durch ihr abgescheuertes, rötliches Aussehen den Kupfermünzsammler oft zu Hoffnungen veranlassen, die bei intimerer Bekanntschaft leider nicht stand halten. Gegen diese flüchtig in Silber gesottenen Elaborate der Kipper- und Wipperzeit führte Herr Mückebein einen nimmer endenden Krieg und wachte ängstlich darüber, daß keins in seine Sammlung dringe und deren Reinheit gefährde.

Herr Mückebein galt für einen fleißigen, gewissenhaften Kassierer; er besaß das Vertrauen seiner Chefs in hohem Maße und diese drückten gern ein Auge darüber zu, daß er beim Einkassieren von Geldern mit einer über die Gewissenhaftigkeit hinausgehenden Sorgfalt jedes Stück einzeln prüfte und eine unbequeme Vorliebe für niedrige Münzsorten an den Tag legte, ja ländliche Kunden gar wohl animierte, ihre Zahlungen in Dreier- und Pfennigrollen zu entrichten, denn Herrn Mückebeins Geschäftstätigkeit fiel in eine Epoche, die noch nicht die, allen Münzverkehr nivellierende Markrechnung kannte, in der es vielmehr von 4-, 3-, 2- und 1-Pfennigstücken und Kreuzern aller 36 deutschen Länder wimmelte, wo selbst ausländisches Courant, ja völlig unkenntlich gewordene, glattgeschliffene Kupferplättchen kursierten und es fast zur Unmöglichkeit geworden war, zwei Pfennige derselben Sorte, geschweige denn des gleichen Jahrganges, auf einmal zu erhalten. Diese für einen Münzsammler höchst beseligenden Zustände nützte denn auch Mückebein nach Möglichkeit aus. Vom Bäckerjungen angefangen, der ihm früh die Semmeln brachte, bis zum Oberkellner im »Blauen Roß«, welcher ihm abends 8 Uhr sein Stammseidel herbeitrug, mußten ihm alle, die ihr Geschick im Laufe des Tages in seinen Weg führte, Rede stehen, ob sie etwa im Besitze »falscher« Pfennige seien, die er ihnen liberal zum Tageskurs der echten abnahm. Er war der Schrecken der Briefträger, die er ungebührlich lange aufhielt, dagegen hochbeliebt bei den Obstweibern, denen er häufig die ganze Barschaft an »bösen« Dreiern umwechselte. Alle Ladendiener der Nachbarschaft sammelten in seinem Auftrag und an Sonn- und Festtagen unternahm er fast regelmäßig Ausflüge in benachbarte Kirchspiele, wo er die Klingelbeutelerträgnisse der Küster revidierte, großmütig immer den gesamten Vorrat falscher Münzen erwerbend, ja sogar Knöpfe mit in den Kauf nehmend, um so ohne Aufheben und immer noch sehr billig in den Besitz mancher darunter befindlicher seltener Stücke zu gelangen. In kleinen Landstädtchen verfehlte er nie, in den Kaufläden vorzusprechen und beim Einkauf einiger Cigarren seine Mißbilligung über das auf den Ladentisch Nageln der falschen Münzsorten zu äußern und nebenbei durchblicken zu lassen, daß er dergleichen Falsifikate, undurchlöchert, gern zu civilen Preisen abzunehmen bereit sei.

So, ohne viel Geld ausgegeben und je einen Antiquar in Nahrung gesetzt zu haben, hatte er es im Laufe der Jahre zu einer Sammlung von 14–15000 Stück Kupfermünzen gebracht, die durch ein wohlerhaltenes oder seltenes Exemplar zu vermehren, seine höchste Lust und Lebensaufgabe geworden war.

Da machte er eines Abends im »Blauen Roß« die Bekanntschaft eines alten Herrn, der im Verlaufe des Gesprächs der interessanten Thatsache Erwähnung that, daß er im Besitze einer größeren Anzahl alter Münzen sei, daß ihm indessen alles und jedes Verständnis dafür abgehe. Es hatte der letzteren Bemerkung gerade noch bedurft, um Herrn Mückebeins höchstes Interesse hervorzurufen. Auf seine mit künstlichem Gleichmut vorgetragene Frage, ob er – als Liebhaber von dergleichen – die Münzen einmal betrachten dürfe, erfolgte eine sehr zuvorkommende Einladung seitens des alten Herrn, der sich nunmehr als ein Dr. Schnitzler vorstellte und seine Adresse übergab.

Einigermaßen erregt kam an diesem Abende Herr Mückebein nach Hause und träumte die Nacht von unerhört seltenen Exemplaren, von Unika, die noch in keinem Werke beschrieben, von Notmünzen fabelhaftesten Formates und anderen derartigen Delicen für ein Sammlergemüt.

Des anderen Abends punkt 7 Uhr verließ er das Comptoir und stieg die vier Treppen des Hauses hinan, das Dr. Schnitzler bewohnte.

Ein weibliches Wesen von kleiner, etwas verwachsener Gestalt, im Alter von vielleicht 40 Jahren, öffnete auf sein Klingeln und lud, auf seine höfliche Frage, freundlich ein, näher zu treten. Herr Dr. Schnitzler im Schlafrock, die dampfende Pfeife in der Hand, erhob sich bei seinem Eintritt aus einem Lehnsessel und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Mein werter Herr Mückebein, seien Sie mir bestens willkommen! Zunächst muß ich Sie mit meiner Tochter bekannt machen, denn sie ist die eigentliche Besitzerin des alten Münzkrams – und diesem gilt doch wohl Ihr Besuch?« Herr Mückebein verbeugte sich vor dem Alten und dem ältlichen Wesen, das dieser als seine Tochter bezeichnet. »Nun nehmen Sie sich einen Stuhl, meine Lene holt den Schatz.« Herr Dr. Schnitzler nötigte Herrn Mückebein vor einem massiven Tisch niederzusitzen und setzte sich selbst ihm gegenüber, während das Fräulein aus dem Zimmer enteilte, um gleich darauf mit einer anscheinend recht schweren Holzkasette zurückzukehren, die sie dem hochgespannten Mückebein dicht unter die Nase stellte. Sie schlug den Deckel zurück: ein wildes Durcheinander von Silber- und Kupfermünzen ward sichtbar. »Das ist alles. Ob es einigen Wert hat, werden Sie uns sagen können. Wir verstehen beide nichts davon.«

Mückebein war aufgesprungen. Wie Sturmvögel stießen seine Blicke in den Kasten. »Wenn Sie gestatten, nehme ich Stück für Stück heraus und lege sie reihenweis auf den Tisch. Auf diese Weise läßt sich die Sammlung am besten übersehen.« – »Machen Sie es ganz, wie es Ihnen am bequemsten dünkt,« versetzte Fräulein Schnitzler in einem Tone von Gleichmut, der Herrn Mückebein wie Musik im Ohre klang. Auch der Alte nickte in vollstem Einverständnis und sah dann voll Neugierde auf den Sammler, der mit nervöser Hast eine Münze nach der andern dem Kasten entnahm und meist nach kurzem Blick beiseite legte. In der That befanden sich, wie es bei derartigen Laiensammlungen der Fall zu sein pflegt, viele gewöhnliche Stücke darunter, kaum drei oder vier, die Herrn Mückebein veranlaßten, sie eingehender zu betrachten und – der Kasten war beinahe geleert – noch keins, das dem Sammler die Röte freudiger Erregung ins Gesicht getrieben hätte. Da plötzlich blieb sein Auge an einer etwa markstückgroßen Kupfermünze haften, die eine sonderbar ringförmige Figur mit einer Krone darüber auf dem Avers zeigte. Herrn Mückebein zitterte die Hand, er wandte die Münze um, warf einen scharfen Blick auf die Umschrift des Reverses und – die Luft blieb ihm weg – sein Herz setzte für einen Moment mit Schlagen aus: das, was er hier in der Hand hielt, war ein wunderbar erhaltenes Exemplar eines Pfennigs der Stadt Alen – eine der größten Münzseltenheiten, die es gab, welche weder das königliche Kabinett noch sonst eine der ihm bekannten Privatsammlungen besaß und die er in Wirklichkeit überhaupt noch nie gesehen, sondern nur aus Abbildungen älterer Werke kannte, auf deren Erwerbung je zu hoffen ihm auch in seinen kühnsten Träumen nie beigekommen war und die nun in tadellosester Reinheit und Schärfe der Prägung vor ihm lag!

Diese Ideenreihe war es, welche Herrn Mückebeins Gehirn blitzschnell durchschoß und seine Kopffarbe um einige Nüancen dunkler als sonst gestaltete. Aber eben so schnell kam die Überlegung: nichts davon merken lassen! Denn man hatte Beispiele, daß solche Laien, wenn man ihnen eines ihrer Stücke auch nur mäßig lobte, höchst widerhaarig den Verkauf desselben mit einmal zurückwiesen, während sie vorher geneigt gewesen waren, die ganze Sammlung für ein Billiges hinzugeben. Und nur die Vorstellung einer derartigen Weigerung war es, welche Herrn Mückebein mit Furcht erfüllte. Im übrigen stand sein Entschluß fest, jeden erdenklichen Preis für die herrliche Münze zu zahlen. Mit äußerster Überwindung, aber nicht ohne merkliches Handzittern legte also Herr Mückebein das kostbare Stück zu den übrigen, ab und zu einen ängstlichen Blick ausschickend, ob es noch an der angewiesenen Stelle sei.

Unter dem Rest fand sich nichts weiter von Interesse vor und während er die nun sämtlich in Reihen geordneten Münzen anscheinend nochmals Musterung passieren ließ, durchdachte er seinen Plan. Das Beste schien, wie immer, die ganze Sammlung zu erwerben. Man konnte etwas über den Metallwert bieten – Herr Mückebein begann sogleich einen Überschlag zu machen – so kam wohl immerhin ein hübsches Sümmchen zusammen und das gefährliche Eingehen auf einzelne Münzen ward vermieden.

Aber dieser verständige und scheinbar höchst aussichtsvolle Plan, den Herrn Mückebein durch sein leidenschaftslos vorgetragenes Gutachten: die Sammlung enthalte zwar ganz nette, aber keineswegs ungewöhnliche Stücke, unterstützte, scheiterte gänzlich. Fräulein Schnitzler erklärte nämlich höflich aber entschieden, daß die Sammlung, als ein Erbstück einer jüngst verstorbenen lieben Verwandten, ihr durchaus nicht feil sei; wogegen die Besichtigung derselben Herrn Mückebein, sofern dieser daran Interesse nähme, jederzeit freistehen solle.

Herrn Mückebein krampfte sich das Herz zusammen. So nahe war ihm das unerhörte Glück und nun entschwand es wieder! In heiseren Töne entrang sich seiner Kehle die Frage, ob das Fräulein nicht wenigstens einzelne Stücke, die ihn als Spezialist interessierten, abzugeben sich entschließen könne? Fräulein Schnitzler lächelte ihr süßestes Lächeln, als sie entgegnete, daß es ihr unendlich leid thue, auch diesen Wunsch nicht erfüllen zu können, indem es ihr als eine Pietätlosigkeit sondergleichen erscheinen würde, das teure Andenken der Tante – und wenn es sich auch nur um wenige wertlose Pfennige handle – zu zerstücken.

Herr Mückebein machte noch einen Versuch: er bot dem Fräulein gegen Überlassung von drei Kupfermünzen, die er bezeichnete (das wunderbare Stück allein anzuführen wagte er nicht) die dreifache Anzahl aus seinen interessantesten Doubletten an. Aber vergeblich! Fräulein Schnitzler blieb bei aller Höflichkeit fest und er war schließlich genötigt, sich zu empfehlen, gemartert von dem Gedanken, den herrlichen Pfennig zurücklassen zu müssen, aber fest entschlossen, ihn, es koste was es wolle, den Laienhänden zu entreißen und als Krone und Zier seiner eigenen Sammlung einzuverleiben.

In den nächsten Tagen ging Herr Mückebein etwas traumhaft umher, er vernachlässigte auffallend seine Münzbeziehungen zu den Obstweibern und Ladenbesitzern und überließ sogar im Geschäft die Annahme mehrerer Zahlungen einem Kommis, was nach Aussage der ältesten Comptoirmitglieder noch niemals vorgekommen war. In seiner Behausung beschäftigte er sich ausschließlich damit, die kurzen, aber bedeutungsvollen Angaben über die Münzsorten der westfälischen Stadt Alen nachzulesen, obwohl er sie längst auswendig wußte. Daneben ward er nicht müde, immer und immer wieder aus dem Gedächtnis Avers und Revers des verhängnisvollen Pfennigs nachzuzeichnen, den er an Ort und Stelle natürlich nicht aufzunehmen wagte und dessen ungeheure Bedeutung ihm immer klarer geworden, seitdem er durch Vergleichung mit jenen beschriebenen Stücken ersehen, daß jenes Exemplar noch gar nicht bekannt, unzweifelhaft ein Probestempel, höchst wahrscheinlich ein Unikum sei.

Ins Haus des Herrn Dr. Schnitzler war er seitdem Abend um Abend gekommen. Mit rührender Unermüdlichkeit hatte er die vielen wertlosen Stücke der Sammlung wieder und wieder vorgeholt und reihenweis geordnet, nur um unbemerkt an jenem einzigen Stücke sich weiden zu können, dessentwegen er übrigens noch ganz andere Unannehmlichkeiten ertragen haben würde. Das Fräulein, das er durch allerhand Aufmerksamkeiten: Blumensträußchen, Pralineeschächtelchen u. dergl. in ihrem Entschluß milder zu stimmen versucht, sowie der Alte, den er durch unermüdliche Annahme von Schachpartien längst für sich eingenommen, begegneten ihm aufs Freundlichste. Sie hörten mit Aufmerksamkeit oder doch mit Geduld seine oft umständlichen Erörterungen numismatischer Fakta an, verstiegen sich sogar dazu, ihn in seiner Wohnung zu besuchen und seine Sammlung zu besichtigen; ja er konnte aus manchen Äußerungen von Vater und Tochter schließen, daß man ihn längst zu den intimen Freunden des Hauses rechnete und es störend und schmerzlich empfand, wenn er einmal abends zu kommen verhindert war.

Nur in dem einen, wichtigsten Punkte blieb, zum ungeheuren Leidwesen des Sammlers, Familie Schnitzler widerborstig und unerweichlich, und das Einzige, was Herr Mückebein in dieser Hinsicht erreichte, war das Versprechen Fräulein Helenes: die Sammlung niemals ohne sein Vorwissen verkaufen zu wollen. Ein jämmerlicher Trost! Herr Mückebein litt sichtlich unter der grausamen Laune Fortunens, die einen Augenblick in all' ihrer verführerischen Schöne ihm genaht, um dann für immer höhnend zu entschwinden. –

Da, in einer schlaflosen Nacht, wo er zum hundert und tausendstenmal das Bild des ersehnten Pfennigs vor seinem inneren Auge erstehen ließ: den gekrönten, einer Schlange gleich sich ringelnden Aal und die altertümliche »Eins« des Reverses mit der Umschrift: Pfenning Alener Stadt-Munz 1598 – durchzuckte ihn blitzgleich der Gedanke: »Wie, wenn du Fräulein Schnitzler heiratetest?!«

Waren dann nicht alle Hindernisse mit einem Schlag gehoben, kam er nicht in den Besitz des Juwels aller Kupfermünzen? Das herrliche Stück würde in einem besonderen Schubfach auf einem samtenen Untergrund verwahrt liegen, die Sammler der ganzen Welt würden zu ihm strömen, um das Niegesehene sehen und bewundern zu können, alle neuen Münzwerke würden gezwungen sein, seinen Namen als den des glücklichen Besitzers zu nennen – Herrn Mückebein schwindelte! –

Aber, aber – eins war nicht wegzuleugnen: Fräulein Schnitzler, Helene, besaß einen Buckel – oh, es war ein ansehnlicher Buckel! Und hübsch – nein hübsch konnte sie, bei Gott! auch nicht genannt werden. Daß sie keine Reichtümer aufzuweisen hatte, dies mochte hingehen. Aber der Buckel, der Buckel! – Herr Mückebein stöhnte. –

Er mußte sich erst wieder den Alener Pfennig vergegenwärtigen – – – Schließlich war ein Buckel etwas Äußerliches. Sie konnte doch sehr nett und angenehm sein; auch häuslich war sie offenbar, wenigstens sah es in der Wohnung, bei aller Einfachheit immer sehr ordentlich und sauber aus. Sie würde seinen Münzschrank respektieren und niemals in der rohen Weise zu reinigen versuchen, wie eine frühere Aufwartung von ihm, die er einmal dabei abgefaßt, wie sie die Schubfächer herauszog und mit dem Wedel bearbeitete, daß die Zettel nur so umher flogen! Sie würde sich mit ihm an neuerworbenen Stücken freuen, gemeinsam mit ihm die Einordnung derselben vornehmen – gewiß, es konnte die Verbindung mit ihr sein Lebensglück nur erhöhen! Und daß auch ihre Wünsche auf eine Vereinigung mit ihm gerichtet seien, das glaubte er nun auf einmal, wenn er gewisse Worte und Blicke erwog, mit Gewißheit annehmen zu dürfen. Und dann: der Pfennig von Alen! Er winkte, er lockte – es gab keine Möglichkeit zu widerstehen: Herr Mückebein folgte, er griff danach, er hielt ihn. er war sein, sein – – –

Herr Mückebein war mit einem sieghaften Lächeln auf den Lippen eingeschlafen. Aber bald bemächtigten sich seiner wilde Träume. Er sah, in unheimlicher Große, den Buckel des Fräulein Schnitzler, die sich mit süßlichem Lächeln über ihn beugte – dann ringelte sich der fabelhafte Aal um dieses Objekt des Anstoßes – nun verschwand wieder alles in finsterer Nacht, aus der plötzlich unter einer Krone der Name Mückebein in blendendem Glanz erstrahlte! Der Name verblich, der Pfennig, nur in ungeheuerem Formate, trat an seine Stelle – Mückebein streckte die Hand danach aus, stieß an die Krone, diese fiel herab und zersprang klirrend auf dem Fußboden – Herr Mückebein erwachte bei hellem Tageslicht und sah erstaunt, daß sein Messingleuchter auf der Diele rollte. –

Aber sein Entschluß war gefaßt. Noch am selbigen Abend benutzte er den Moment, da der Alte gegen zehn Uhr eingenickt war, um seine Worte bei Helene anzubringen und empfing ihre überschwänglichen Gegenversicherungen. Am anderen Tage hielt er bei dem Alten förmlich um sie an, auch hier das freudigste Entgegenkommen findend. Schüchtern und herzklopfend wagte er als nunmehriger Bräutigam am dritten Tage die Frage: ob Helene als sein geliebtes Weib die Münzen ihrer Tante seiner Sammlung anvertrauen werde und konnte mit Mühe seine Aufregung verbergen, als sie ein »natürlich, mein Theobald!« hauchte. Er betrieb nun die Vorbereitungen zur Hochzeit mit fiebernder Hast, denn er fürchtete beständig, daß noch etwas dazwischen kommen könne. Aber als er am Morgen nach der Hochzeit mit seiner ihn selig anblickenden Helene vor dem geöffneten Münzschrank stand und den auf blauem Atlas ruhenden geliebten Pfennig von Alen betrachtete – nunmehr sein Eigentum, denn Helene hatte ihm, als ihrem Gatten, die Sammlung geschenkt! – da wurden ihm die Augen feucht und er fühlte sich als den glücklichsten Menschen auf Gottes Erdboden. –

Vier Wochen waren dahin gegangen. Das Pärchen lebte noch immer wie im siebenten Himmel. Mückebeins Geburtstag nahte heran und eine besondere Überraschung war von der Gattin vorbereitet. Oft hatte sie von Theobald erwähnen hören, daß in nächster Zeit ein großes Werk über Kupfermünzen von Professor Neumann erwartet werde, ein Werk, das an Vollständigkeit und Zuverlässigkeit alle derartigen Publikationen weit hinter sich lassen und unentbehrlich für jeden Sammler werden sollte. Ihr Gatte war gewissermaßen Mitarbeiter daran, indem er, gleich in den ersten Tagen ihrer Ehe, Beschreibungen der interessantesten Stücke seiner Sammlung angefertigt und dem Professor Neumann eingesandt hatte, worauf sogar ein Schreiben des berühmten Numismatikers eingelaufen war, in welchem dieser vorläufig seinen Dank aussprach und im übrigen auf sein Werk verwies. Nach diesem, von ihrem Gatten also mit doppeltem Interesse erwarteten Buch, hatte sie Erkundigungen eingezogen, ein schön gebundenes Exemplar – das erste, das die Presse verlassen – gekauft und nun prangte es auf dem Geburtstagstisch, den sie in aller Früh' heute mit Blumenstöcken und einer Brezel festlich vorgerichtet.

Herr Mückebein trat aus dem Schlafzimmer. Er nahte sich dem Tische – ein Ausruf freudigster Überraschung! – voll Rührung umarmte er seine geliebte Helene. Dann nahm er mit unbeschreiblichen Empfindungen das herrliche Werk in Augenschein. Ein mächtiger Quartband mit Hunderten von Abbildungen und der Beschreibung von 70 000 Münzen – ohne die englischen Token, die allein, 6000 an der Zahl, eine besondere Abhandlung füllten! Herrn Mückebein erfaßte eine Art von Trunkenheit. Er schlug in Hast die Rubrik »Westfalen« auf, mit Wonne sah er beim Durchblättern die wunderlichen Münzzeichen von Soest, Münster, Hamm vorüberfliegen – da war Alen! Und da, auf der Abbildungstafel, in photographisch treuer Wiedergabe, sein Pfennig! Er hatte nur die Beschreibung eingesandt, keine Abbildung – also Neumann kannte ihn auch schon. Seine Augen flogen nach der dazu gehörigen Notiz – Nr. 62 – da war sie! Er las: »Falsifikat!« Ein Schleier legte sich vor seine Augen, es sauste und brauste ihm vor den Ohren – »In 500 Exemplaren vor wenigen Wochen in einer bayerischen Fälscherwerkstatt aufgefunden. Die Ermittelungen haben ergeben, daß eine kleine Anzahl dieser Falsifikate einer nie existiert habenden Münzsorte bereits vor cirka drei Jahren in den Handel gebracht worden ist, was durch eine Mitteilung des Herrn Th. Mückebein in X. bestätigt wird, der im Besitz einer solchen Münze ist und dem hiermit auch öffentlich der Dank – – –«

Die Notiz ward nicht zu Ende gelesen: Herrn Mückebein hatte eine Ohnmacht gnädig der Wirklichkeit entrückt.


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