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Einleitung

Oswald Bölcke wurde geboren am 19. Mai 1891 zu Giebichenstein, einer Vorstadt von Halle a. d. Saale, wo sein Vater damals Oberlehrer an der städtischen Oberrealschule war. Drei seiner Geschwister, Luise, Wilhelm und Heinrich, waren vor ihm in Buenos Aires (Argentinien) geboren. Dort hatte sein Vater als sein erstes Amt sechs Jahre lang bis Ende 1890 das Rektorat der Deutschen evangelischen Schule verwaltet. Nach Oswald, dem ersten der seinen Eltern in Deutschland geschenkten Kinder, wurden seine jüngeren Brüder Martin in Halle und Max in Dessau geboren. Am 17. Juli, dem Hochzeitstage seiner Eltern, empfing er bei einem Ferienaufenthalte im Hause der Großmutter zu Freyburg a. d. Unstrut aus den Händen seines Oheims, des Pfarrers Edmund Hartung, die heilige Taufe in demselben Gotteshause, in dem seine Mutter getauft, konfirmiert und von demselben Geistlichen getraut worden war. Schon nach Jahresfrist verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Halle selbst, wo der frische Knabe in der freien Umgebung des Viktoriaplatzes sich zuerst mit seinen drei älteren Geschwistern in munterem Jugendspiel tummelte.

siehe Bildunterschrift

Das elterliche Haus in Ziebigk bei Dessau.
Von Oswald Bölcke im Juni 1916 selbst aufgenommen.

Mit viereinhalb Jahren kam er im Herbst 1895 nach Dessau, wo sein Vater eine Oberlehrerstelle an der mit einem Lehrerinnenseminar verbundenen Herzoglichen Antoinettenschule erhalten hatte. Noch anderthalb Jahre konnte er in der schönen freien Umgebung am Nordrande der Stadt in Angebundenheit seine kindlichen Spiele treiben. Dann ging's zur Schule, und zwar verdankt er seine Bildung dem Herzoglichen Friedrichsgymnasium zu Dessau, wo er zu Ostern 1911 das Zeugnis der Reife erhielt. Von einem argen Keuchhusten, der ihn im dritten Lebensjahre heimsuchte, war ihm eine starke Neigung zu asthmatischen Beschwerden zurückgeblieben, die ihm durch häufige Versäumnisse manche Hemmung im Schulleben bereitete, eine Neigung, mit der er bei Erkältungen bis in die letzten Wochen seines Lebens zu kämpfen hatte. Von seinen Jugendjahren bis in seine Leutnantszeit suchte er diese Schwäche durch Übungen im Dauerlauf zu überwinden, so daß er im Jahre 1913 in Frankfurt sogar den zweiten Preis im Armeewettlauf gewann. Im übrigen war er eine durchaus gesunde Natur, die sich durch planmäßig betriebene Leibesübungen beständig zu stählen suchte. Ein Beispiel seiner Gewandtheit und des mutigen Selbstvertrauens, mit denen er solche Übungen bewältigte, zeigt die Art, wie er als kleiner Knabe auf den Händen seines Vaters in der Mulde ruhend, in wenigen Augenblicken die Schwimmbewegungen begriff und dann zum Erstaunen der Zuschauer frei wie ein Fisch im Wasser davonschwamm. Mit ähnlicher Schnelligkeit entwickelte er sich unter der Leitung seines Vaters zu einem gewandten, unerschrockenen Bergsteiger, als er als Siebzehnjähriger zum ersten Male mit in die Alpen ziehen durfte. Im Tuxer Gebiete wurden von Lanersbach aus schöne Bergfahrten unternommen, die desto reizvoller für ihn waren, je schwieriger der Fels. Erst wo die Gefahr einsetzte, jauchzte seine junge Seele auf. Unvergeßlich ist seiner Mutter, die von der tiefer liegenden Krieralpe aus zusah, wie er nach der Besteigung des Felskegels des Höllensteins bei Hinter-Tux beim Abstieg über den sehr steilen, mit lockerem Plattengeschiebe bedeckten Hang mit Riesenschritten jubelnd hinabstürzte und den vorsichtig nachschreitenden Vater und Bruder Martin »im Kopfstand« auf dem ersten kleinen Rasenbande lachend erwartete.

Sein Schuldirektor, Professor Dr. Wichmann, sagt in der zu seiner Ehrung gehaltenen Trauerrede: »Seine Neigung ging nicht auf Büchergelehrsamkeit; es drängte ihn viel zu sehr, sich zu betätigen. Er war eine kraftvolle Natur, die auch körperliche Kraft zu betätigen unbedingt nötig hatte. Rudern, Schwimmen und das damit verbundene Springen (worin er schon als Schüler Preise gewann), Ballspiele aller Art, volkstümliches und Geräteturnen bezeichnet er in dem vor der Reifeprüfung verfaßten Lebenslauf als seine liebsten Beschäftigungen. Er hätte auch das Schlittschuhlaufen und das Tanzen, worin er sich besonders gewandt zeigte, hinzufügen können. Seine Lieblingsfächer waren Geschichte, Mathematik und Physik. Treitschkes Werke und die militärgeschichtlichen Veröffentlichungen des Generalstabes nennt er als die Bücher, die er am liebsten gelesen habe. So zog ihn der Offiziersberuf schon früh an; schon ehe sein ältester Bruder daran gedacht, habe er, so schreibt er, danach gestrebt, Offizier zu werden. Um diesen Wunsch erfüllen zu können, setzte er sich eines Tages als Quartaner ganz aus eigenem Entschlusse hin und schrieb an Seine Majestät den Kaiser, er möchte gern Offizier werden und bitte um die Aufnahme in eine Kadettenanstalt. Erst durch die Genehmigung dieses Gesuches erfuhren die Eltern davon, die zwar seiner Absicht nichts in den Weg legten, es aber doch für richtig hielten, ihn nicht dem Familienleben zu entziehen und ihn das Gymnasium bis zur Reifeprüfung besuchen zu lassen.« – Nach dieser ließen seine Eltern den allezeit herzensguten Sohn voll Vertrauen auf seine Charakterstärke aus der Heimat ziehen und als Fahnenjunker im Koblenzer Telegraphenbataillon Nr. 3 seine militärische Laufbahn beginnen. Dank seiner körperlichen Fähigkeit und seiner Begeisterung war ihm der Dienst des Königs in der schönen Rhein- und Mosellandschaft eine Lust, wo er durch Freundschaft und herzlichen Familienverkehr verschönte, sonnige Jugendjahre verleben durfte. Nach Erledigung der Kriegsschule zu Metz kehrte er im Sommer 1912 nach Koblenz zurück, wo er im Herbst zum Leutnant befördert wurde.

In diesem Sommer hatte er mit seinem Bruder Martin das in weiten Kreisen bekanntgewordene Erlebnis an der Heiterwand in den Lechtaler Alpen, wo sich die Brüder bei einer schwierigen Gratwanderung infolge schweren Unwetters im Nebel verstiegen und nach 24 Stunden des Ausharrens an unzugänglicher Bergwand durch die Aufopferung des Imster Ingenieurs Roman Walch und einiger Bergführer befreit wurden, ohne Schaden erlitten zu haben. Die liebevolle Rücksicht auf den Vater, der an jenem Tage – 26. Juli – für die Sektion Anhalt den Vorsitz bei den Einweihungsfeierlichkeiten der am Nordabhang der Heiterwand gelegenen Anhalter Hütte zu führen hatte, war ausgesprochenermaßen der Beweggrund, daß er den Abstieg vom Grate zur Hütte auf der nur an wenigen Stellen zu durchsteigenden Nordwand suchte, statt auf der gangbareren Südseite, auf der er so weit abgeführt worden wäre, daß er den in Sorge schwebenden Vater bis zur Nacht vor dem Einweihungstage nicht mehr hätte erreichen können. Wenn er diese Sorge von seinen Eltern auch nicht fernhalten konnte, so erreichte er sie mit dem Bruder doch wenigstens kurz nach der Feier, trotz Nahrungsmangel und Strapazen beide frisch und strahlend im zerrissenen Gewand, jubelnd und mit Böllerschüssen empfangen von der Schar der Festgäste.

Mit großer Befriedigung berichtet er in seinen Briefen von seinem Dienst als Fernsprecher und später als Funker, besonders von seinen Übungen im Taunus, im Odenwald und in der Eifel mit ihren abwechselungsreichen Landschaftsbildern, die sein für Naturschönheit empfängliches Herz erfreuten. Der Funkerdienst führte ihn 1913 mit einer vom Koblenzer Bataillon abgetrennten Kompagnie nach Darmstadt, wo er auf dem Truppenübungsplatz zum ersten Male mit den Fliegertruppen, die dort eine Schule haben, in nähere Berührung kam. Still reifte in ihm der Plan, selbst zu den Fliegern überzutreten, aber erst im Juni 1914 erreichte er die Erfüllung seines Wunsches durch Abkommandierung zur Halberstädter Fliegerschule. In etwa sechs Wochen war seine Ausbildung vollendet, am Tage vor der Mobilmachung legte er seine Schluß-Prüfung ab, und am 1. August selbst besuchte er auf dem Wege nach seinem Bestimmungsorte Darmstadt auf eine flüchtige Stunde seine Eltern in Dessau. Als er sich durch das Menschengewühl des Bahnhofs mit seinen Eltern in die stillen Bahnhofsanlagen geflüchtet hatte, legte er ihnen, den Nichtsahnenden, mit der Bitte um Verzeihung das Geständnis ab, daß er in Halberstadt nicht Funkerdienst, wie sie glaubten, getan, sondern dort seine Ausbildung als Fliegeroffizier erhalten habe. Er habe ihnen dies verschwiegen, um sie während ihres Aufenthaltes im Alpenbade Hinter-Tux nicht zu beunruhigen und ihre Erholung nicht zu beeinträchtigen. So liebevoller Rücksichtnahme wurde in jener feierlichen Stunde von Herzen Verzeihung gewährt, wenn auch das Gefahrvolle des Berufes, dem schon der ältere Sohn Wilhelm als Beobachter angehörte, zunächst ihre Herzen erschreckte. Vor den gewaltigen Ereignissen jener Tage trat jedoch die persönliche Sorge zurück; so ließen sie ihn im Vertrauen auf Gott, dessen Hand ja auch das Reich der Lüfte regiert, mit ihrem Segen ziehen.

siehe Bildunterschrift

Mit Bruder Wilhelm am Flugzeug, September 1914.

Noch hatte der nach kriegerischer Betätigung ungestüm Drängende sich vier Wochen lang bei den Flieger-Ersatzabteilungen in Darmstadt und in Trier in Geduld zu fassen, bis er endlich am 1. September von Trier aus in Feindesland fliegen durfte. Sein Bestimmungsort war Sedan. Auf dem Wege dorthin machte er bei Montmedy eine Landung, um seinen Bruder Wilhelm zu besuchen, der in der dortigen Gegend als Beobachter bei einer Fliegerabteilung stand, wurde zum vorläufigen Bleiben aufgefordert und hatte die große Freude, alsbald dauernd mit dem Bruder vereinigt zu werden, da der Abteilungsführer ihn für die eigene Truppe anforderte. So hatte denn das Brüderpaar das große Glück, monatelang bis April 1915 im Gebiet der Argonnen und in der Champagne in innigster Kampfgemeinschaft zu stehen, wenn irgend angängig, im selben Flugzeug, Wilhelm als Beobachter, Oswald als Führer, jeder im Bewußtsein, daß er sich auf den anderen wie auf sich selbst verlassen könne. Da sind sie durch tausendfach geteilte Not und Gefahr ein Herz und eine Seele geworden.


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