Helene Böhlau
Ein Sommerbuch
Helene Böhlau

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Regine die Köchin

Die Mutter muß sich eine Alte nehmen, eine Alte muß sie sich nehmen, – nein – darauf besteh' ich! Die Frau Mutter ist zu leichtsinnig.« Das sagte unser Vater, ehe Regine ins Haus kam. »Aber Hermann,« antwortete unsere Großmutter und schaute mit ihrem weichen, vom Häubchen eingerahmten Altfrauengesicht ganz betroffen von ihrem Suppenteller auf. Sie aß bei uns, wie immer die Woche zweimal; wann dies geschehen sollte, mußte jedesmal feierlich die Frau Legationsrätin, vulgo Legatse, die eine Etage höher wohnte, eingeladen werden. Aber gerade jetzt zur Zeit war sie gezwungen, unten bei uns zu essen, denn sie hatte keine Köchin.

Von unserer Großmutter Köchin sprach man im Hause auf eine geheimnisvolle Weise, fast ohne Worte, und verstand doch viel zu sagen.

Wir Halbwüchsigen waren aber unterrichtet. Wir wußten, Großmutters Köchin hatte ein Kind bekommen. Weshalb man das nicht ganz einfach sagte, sondern schwieg, geheimnisvoll flüsterte? Es kam uns dies ganz lächerlich vor. Kinder hat ja die ganze Welt. Wir verständigten uns untereinander darüber und waren großmütig genug, den Erwachsenen in ihre Sonderbarkeit nicht hineinzureden.

»Also, Frau Mutter, ich bestehe entschieden darauf, du nimmst dir eine Alte. – Es ist dies das zweite, wenn nicht das dritte Mal, daß bei euch oben, . . . nein . . . nein . . . das geht nicht – bei deinem Leichtsinn, Frau Mutter – entschuldige.«

»Wie kommst du mir denn aber vor,« sagte unsere Großmutter und lachte, wie nur sie lachen konnte, o dieses Lachen! Wollte Gott, ich könnt's noch einmal hören. So lachen die Jungen heut nicht, so seelenjung. Es war das Lachen einer andern Zeit, das bei uns im Hause noch hin und wieder erklang, – einer harmlosen, heiteren Zeit. Ich halte es für ein Glück sondergleichen, daß wir in Begleitung dieses Lachens aufblühten.

»Ich sehe darin gar keinen Grund zum Lachen, Frau Mutter,« sagte mein Vater feierlich. »Ich dächte, die Sache ist ernst genug.«

»Du gibst auf deine Leute nicht acht, du läßt sie tun, was sie wollen – du kümmerst dich um nichts.«

»Ach so,« sagte unsere Großmutter. »Nun wird mir's verständlich.« Sie wischte sich die Augen. »Ich kann nicht gerad sagen, daß ich auf eine Alte sehr versessen bin; – aber dir zuliebe soll's eine Alte sein – gewiß eine Alte.«

So kam Regine, die Köchin, ins Haus.

*

»Sieh sie dir an,« sagte meine Großmutter am ersten Tag, als sie bei uns eingezogen war und gerade durch den Hof ging. Die Großmutter winkte meinem Vater, ans Fenster zu treten.

»Nu – weißt du – –,« sagte mein Vater, als er sie gesehen.

»Es ist eine Alte,« meinte meine Großmutter mit viel Schelmerei in der Stimme.

»Ja, ja,« meinte mein Vater etwas ärgerlich.

»Sie ist gewiß recht tugendhaft.«

»Zuverlässig,« antwortete mein Vater, – »aber – es gibt weniger häßliche.«

»Herr Sohn, man kann nicht alles beieinander haben, weißt du.«

Nur zum Scherz hatte unsere Großmutter Reginen freilich nicht genommen. Die Großmutter war eine Frau voller Grazie und voller Behagen; sollte sie von einem schönen, sauberen Mädchen nicht bedient werden, wie sie es liebte, so wollte sie wenigstens vortrefflich essen, und es sollte alles gut serviert sein – und das verstand Regine, beides. Gewiß, häßlich war sie, eine kleine, dicke Person mit einem Schöpflein roter Haare, einem endlosen, dünnen, dünnen, dummen Zöpfchen, das wie ein rotes Schneckenhaus auf ihrem fast kahlen Schädel lag.

Die Knochen schienen ihr zu klein geworden, und so hing die beträchtliche Fleischmasse, wulstig und faltig, nicht recht wohlgeordnet, über derselben. So wandelte Regine durchs Leben und durch unser Haus, niemandem zur Augenweide, doch meinem Vater zur Beruhigung, daß über seinem Haupte, im Kreise der Frau Mutter keine leichtsinnigen Torheiten zu befürchten waren. Er bedachte nicht, daß der Mensch nie sündenbar ist. Unsere Jugendsünden, die Maienblüte wird dahingerafft, und Alterssünden erheben die Häupter oft nur als Ausdruck des Grams, weil sie dahingegangen, die sel'ge Maienpracht.

So mochte es Reginen ergehen; sie hatte geliebt und gelebt und wollte vergessen. Das alles aber ist vorgegriffen; es währte lange, bis wir Regine verstanden.

Als sie in unserm Hause etwas eingewohnt war und sich behaglich zu fühlen begann, kam unser Vater eines Morgens sichtbar verstimmt von seinem Spaziergang im Garten ins Frühstückszimmer, und es stellte sich heraus, daß er Reginen begegnet war, wie dieselbe die Treppe hinabging und ihr das rote, kleinfingerdicke Zöpfchen über die Stufen nachgehüpft war. Das ist so zu verstehen, das entsetzliche Zöpfchen war unglaublicherweise um ein paar Zoll länger als sie selbst, und sie liebte es, dasselbe am Morgen nachzuziehen. Vielleicht träumte sie sich in die Zeit zurück, als das rote Schnürlein vielleicht ein armdicker Zopf gewesen. Jedenfalls hatte sie geglaubt, einen ganz andern Eindruck mit ihrem roten, langen Naturspiel auf unseren Vater hervorzubringen, als ihr tatsächlich gelungen war. Sie war unheimlich stolz auf ihren Hauptschmuck. Ja, es war lang, das Zöpfchen, entsetzlich lang. Uns Kinder grauste davor, und unser Vater hatte sich wirklich ganz außerordentlich davor erschreckt.

»Es geschieht ihm ganz recht,« sagte die Großmutter, »weshalb hat er mir die Alte aufgehängt. Mir wäre es schon lieber, sie hätte ein Kind, als so einen miserabel garschtigen Zopf.«

»Weißt du, Frau Mutter, das verstehst du nicht. Du stammst aus einer ganz frivolen Zeit,« antwortete ihr mein Vater.

»I wo,« sagte die Großmutter und lächelte ihrer lieben Zeit zu.

»So, du hast Regine also begegnet? Ja, ja, das ist ihre Morgentoilette. Sie kehrt auch so bei mir, die Regine. Ja, du kannst ganz beruhigt sein, die ist höchst sittenstreng.«

»Ob sie es aber immer war, lassen wir dahingestellt sein,« sagte mein Vater ärgerlich.

»Verlange nichts Unmögliches von ihr, Regine lasse ich nicht wieder gehen.«

»Frau Mutter,« sagte mein Vater, »wann wirst du lernen, die goldene Mittelstraße zu gehen! Entweder umgibst du dich mit Personen, die vor Leichtsinn und Jugend nicht wissen, wo ein und aus, ober du nimmst dir Ungeheuer ins Haus, die keine Phantasie zu erdenken imstande ist. Ich hatte den Wunsch, daß eine vernünftige Matrone mit weißer Schürze und behäbigem Aeußeren da oben bei dir schalten und wallten sollte. – Wäre dir das nicht selbst ein angenehmer Gedanke?«

»Ja, gewiß, wenn die Matrone zu kochen verstände wie Regine; aber ich traute den Matronen nicht recht, die ich sah. Du wirst nächsten Sonntag schmecken, wenn ihr oben bei mir eßt, daß Regine goldeswert ist.«

Ja, und sie war goldeswert. Sie kochte, als wäre ihr Vater ein Dichter gewesen und das Talent hätte sich bei ihr umgesetzt. Und sie war auch Tochter eines Dichters. Es wird alles an den Tag kommen.

*

Wir hatten große Wäsche im Haus, und unsere Mutter bat die Großmutter, daß diese ihr Regine auf ein paar Stunden leihen möge, um zu helfen. Regine aber widerstand mit ruhiger Würde unserer Aufforderung.

»Nein,« sagte sie zur Großmutter, »das tut mir leid, das kann ich heut nicht, ein andres Mal wieder recht gerne. Heut wird ein Stück von meinem Vater selig aufgeführt, und Sie erlauben wohl, Frau Geheimrat, daß ich auch ins Theater gehe.«

»Ja, um Himmels willen,« sagte meine Großmutter – »was ist denn das?«, griff nach dem Theaterzettel mit dem Abonnementsbillett, der wie immer auf seinem Platze lag; da sah die Großmutter, daß heute ein seit Jahrzehnten vergessenes, wieder neu ausgegrabenes Stück von Raupach gegeben wurde.

»Und Sie sind Raupachs Tochter!« rief die Großmutter – »du allmächtige Güte! Wie ist denn das alles miteinander möglich?«

Ja, es war alles miteinander möglich. Eine Kette der interessantesten Angelegenheiten verhüllten wie eine Wolke Regine, die Köchin, vor meinen erstaunten Augen. Sie war nicht nur Raupachs Tochter. – Nein – sie war jahrelang in Goethes Haus aufgewachsen, mit seinen Enkelkindern erzogen worden, dann war sie zum Ballett gekommen, und es war ihr schlecht ergangen, – schlecht ergangen. – Ein Tränenstrom verschlang die letzten Worte und Schicksale. – Ich sehe sie noch stehen, Raupachs Tochter, die rote Zöpfleinschlange zusammengerollt auf dem kahlen Schädel, die sonnte sich im Augenblick glühendrot im hellen Sonnenlicht. Unter Regines Kattunjacke wogten sehr unregelmäßige, gestaltlose Formen. Meine jungen Augen aber sahen das alles nicht mehr. Ein Glorienschein umwob die armselige Person. Ich hätte ihr wie einer Heiligen die Hände küssen mögen.

»Ach, setzen Sie sich. Regine, setzen Sie sich,« sagte ich zaghaft. Mir war es unmöglich, ihre geheiligte Person hier stehen zu sehen. Unsere Großmutter saß und machte große, große Augen, und die Brille war über den Augen, auf der Stirn zu sehen. Ich drückte Regine auf einen Stuhl nieder.

»O, Regine, Regine!« sagte ich. Ich hatte den Faust in diesen Tagen zum allerersten Male gelesen, hatte drunten im Stern, in Goethes Garten, unter hohen Bäumen, in Anbetung ganz versunken, auf dem Boden gekniet. Meine leidenschaftliche, kinderjunge Seele war dahingeschmolzen im ersten großen Eindruck.

Unsere Großmutter hatte ja auch Goethen gekannt; – aber dies – das fühlte ich, war etwas andres. Ich empfand das Intime des Zusammenlebens im selben Nest; ohne daß Regine nur den Mund auftat, wußte ich alles – alles, was geschehen war, oder hätte geschehen können. – Mit ihm hatte sie dieselbe Luft geatmet, er hatte sie gestreichelt – ihr etwas zu tun anbefohlen. Sie hatte ihn gesehen, wenn er zum Frühstück kam, gesehen beim Essen und Trinken und reden gehört! Reden gehört und auch lachen – vielleicht auch schelten.

Das Staunen verließ mich nicht, ich schaute und schaute auf Regines heilige Person und Schauer überliefen mich. Auch die Großmutter hab' ich mein Lebtag nicht so erstaunt gesehen.

»Na, so reden Sie doch, wie ist denn das alles möglich?«

Regine, die Köchin, dieser armselige Rest, war also von all der Herrlichkeit in Weimar noch übrig geblieben.

»Ach, Frau Geheimerätin, möglich ist gar vieles.«

»Ja, hat denn der Raupach nicht für Sie gesorgt?«

»Du lieber Gott, du lieber Gott,« sagte Regine, »was so'n Dichter is. – Nee, Frau Geheimerat, die machen sich nicht viel ›Schkrupel‹; aber meine Mutter stand der sel'gen Frau Geheimerat Goethe recht nah, so hat sich das gemacht.«

»Regine, und da haben Sie wahrhaftig in Goethes Nähe gelebt?«

»No ja, ›nadierlich‹,« sagte Regine.

»Das Kompott, was mer letzten Sonntag hatten, die Hagebutten mit Rosinen, waren Exzellenz Goethe sein Lieblingskompott. Das Kochen hab ich im Goethschen Hause von jung auf noch so mit gelernt. – Auch der Hammelbraten mußte allemal mit reichlich Thymian angesetzt werden, wie's letztemal, wo's den Herrschaften so schmeckte. Ja, auf eine gute Küche gab der Herr Geheimerat schon was.«

»Haben Sie denn gar nichts von Goethe?« fragte ich.

»O ja,« sagte Regine, ihre Wortkargheit war unerschütterlich.

»Was Sie haben, zeigen Sie mir?« bat ich.

Sie nickte.

Und so kam ich hinauf in ihre Bodenstube, die sie vor aller Augen sonst streng abschloß. Ich glaube, jetzt zwar nicht der Heiligtümer wegen, sondern um einen Zufluchtsort zu haben, in dem sie ungestört ins Vergessen sinken oder sich davon wieder erholen konnte.

Wir fanden sie nach Jahren dort wirklich einmal im tiefsten Vergessen liegend, schwer betrunken. Der Schlosser hatte die Türe erbrechen müssen. Darauf kam sie von uns fort als Oberköchin ins Krankenhaus nach Blankenhain, nicht ohne daß die Großmutter scharfe Anzüglichkeiten unseres Vaters wegen des unmoralischen Betragens ihrer Leute hinnehmen mußte, was sie in gewohnter Anmut über sich ergehen ließ.

*

Mit Schauer betrat ich Reginens Kammer. Sie führte mich noch an diesem selben Tag, ehe sie ins Theater zur Aufführung des Stückes ihres Vaters ging, hinein, wies stumm auf ein eingerahmtes Stückchen vergilbtes Papier, auf das eine graue Haarlocke geheftet war.

»Die hab' ich mir selbst aufgelesen, als der Geheimerat einmal geschoren wurde.«

»Ach,« fragte ich, »wie war das?«

»No, da kam der Friseur Eberwein, der ihm immer die Haare brannte, dann hat der Geheimerat geschellt, damit eins rauf sollte, und da kam ich, weil sie unten gerade alle was zu tun hatten. ›Daß die Haare nicht herumfahren,‹ sagte er, und da sammelte ich sie auf; – es waren nicht viele.«

Unter die Locke hatte Regine selbst frei nach Goethe geschrieben, vor langer Zeit, die Tinte war ganz gelb geworden:

»Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie in kummervollen Nächten
In seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.«

Arme Regine.

Darauf öffnete sie ihre Lade, die sie wohl ihr Lebtag in allerlei Elend begleitet hatte, und nahm ein Bündel heraus. Ohne ein Wort zu sagen, entfaltete sie ein vergilbtes Männerhemd mit wunderlichem Gefältel an der Brust.

Ein Hemd von Goethe!

Das zarte Linnen hatte seinen Körper berührt. Es war ihm so nahe gewesen, ein Stück seiner selbst. Gespensterhaftes Bangen berührte mich, wie Regine, die Tochter Raupachs, in ihrem Feiertagskleide, in der ärmlichen Dienstbotenkammer, das goethische Hemd ausbreitete, ohne ein Wort zu sagen.

Sie ließ mich ungestört in meiner Versunkenheit. Das schauerliche Vergehen alles Lebens, auch des Göttlichsten, erschütterte mich.

Endlich sagte sie: »Es war eins von den ganz alten. Sie taugten so nischt mehr.«

Dann breitete sie ein purpurrotes Kleid, mit dunkelblauen Borden aus. »Das hat meiner Mutter schon in ihrer Jugend gehört,« sagte Regine. »Das stammt noch von Frau von Goethe.«

»O, lassen Sie sehen. Regine,« bat ich. Ich berührte es. Es war aus weicher, indischer Seide. Sein tiefes Rot sah aus wie heiße, glückliche Liebe. Auf diesem zarten Stoff haben seine Augen in Liebe geruht. – Wie klein und zierlich muß Christiane gewesen sein, eine zierliche, volle Gestalt – und so geliebt! – geliebt von dem Herrlichsten! O, wie muß dein Herz unter dem roten, zarten Kleid geschlagen haben, du glückliche Christiane! Dein Grab finden sie nicht mehr. – Vergangen bist du lange, lange schon, verwest, in Staub zerfallen – und dein Kleid leuchtet noch in roter Glut, wie in den Tagen, als er dich darin küßte. Seine Hände haben auch diese kühle, feine, anschmiegende Seide gespürt.

Ich war ganz überwältigt und sagte: »Ach Regine, daß alles, alles vergeht!«

Regine sagte: »Ich meine, das wäre so übel nicht. Mich verlangt nach gar nischt mehr.«

Von diesem Tage an hockte ich, wo ich Reginens habhaft werden konnte, bei ihr, sah ihr zu beim Plätten, beim Kochen, beim Zimmerreinigen, und ihre Stummheit löste sich mehr und mehr. Uralter Dienstbotenklatsch aus jenem gesegneten Hause kam wieder ans Sonnenlicht; aber auch der intimen, köstlichen Dinge die Fülle, die jener Zeit entstammten und sie lebhafter als manche gründliche Abhandlung vor Augen treten ließen.

*

Wir hatten bei der Großmutter Sonntags goethische Apfelsuppe mit Korinthen und Semmelbrösel gegessen, goethischen Hasenbraten mit Salbei, das heilige Kompott aus Hagebutten und Rosinen. Ich, Halbwüchsige, aß diese Gerichte, als verzehrte ich das heilige Abendmahl, mit tiefer Hingabe; aber auch mit vorzüglichem Appetit. Denn wahrhaftig, Goethe hatte Poesie gegessen. – In Goethes Haus hatten sie es verstanden, zu kochen. Mein guter Vater war längst mit Regine ausgesöhnt. Dies Zusammenfließen des goethischen Haushaltes mit dem unsrigen hatte für uns Kinder etwas unbeschreiblich Geheimnisvolles. – Mir erschien es immer wieder wie ein Wunder und eine Offenbarung, wenn Regine ihre Speisen auftrug, und es war mir oft, als wären wir des großen Dichters Gäste. Er war mir in diesen Speisen gegenwärtig wie in seinen Werken, ja gegenwärtiger, in einer ahnungsvollen Körperlichkeit. Wie die ersten Christen das heilige Abendmahl in stiller, tiefer Ekstase zu sich nahmen, tranken und verzehrten, fühlte und schmeckte ich ihn. Er war da! – – Nie vergesse ich Reginens heilige Mahlzeiten bei der lieben, teuren Frau. – Und wer ihn auch liebt, den alten Sonnenmenschen, von ganzem Herzen, von ganzem Gemüte; – in Trank und Speise habt ihr ihn alle nicht empfunden! In jener Zeit liebte ich ihn, wie eine heilige Seele Gott ihren Herrn lieben mag.

Nach solch einer wundervollen Mahlzeit schickte mich meine Großmutter einst hinaus in Regines Küche, damit ich nachschaute, wo der Kaffee bliebe. – – Wie ich in die Küche eintrat, glaubte ich in einen Traum geraten zu sein, denn was ich sah, war eine Unmöglichkeit. – Ich stand und starrte – ich blieb stumm und ganz verwirrt, ich fragte nicht nach dem Kaffee, wagte überhaupt nicht den Mund zu öffnen. Regine aber, in geheimnisvollem Gleichmut, nahm einen Teller aus der Spülwanne und trocknete ihn, darauf nahm sie einen kleinen Marmorgrabstein aus demselben Spülwasser und trocknete ihn. Es war ein kleiner Grabstein aus weißem Marmor mit Goldschrift, und zwischen den Tellern sah ich noch eine dunkle Grabtafel und ein schmales Grabkreuzlein hervorschauen. –

»O Regine,« sagte ich nach einer Weile, »was tun Sie da –?«

»Gar nischt,« sagte sie.

Ich wußte nicht, wie ich noch einmal fragen sollte. Sie kümmerte sich nicht um mich und trocknete ihren Grabstein, fuhr mit einem Holzstücklein und dem Trockentuch in den ausgehöhlten, vergoldeten Namen. Ich folgte ihren Fingern und las »Aennchen«, den Geburts- und Sterbetag. Es war der Grabstein eines kleinen Kindchens. –

»Wem gehört das?« fragte ich endlich wieder.

»Das war meins,« sagte Regine. Auf der dunkeln, kleinen Tafel stand ein ganz verblichener Männername – »Hofschauspieler« war am deutlichsten zu lesen, – und auf dem Kreuzlein war Reginens eigner Name eingegraben: »Regine Moll« – und das alles zwischen Tellern und Schüsseln im Spülwasser.

»Regine,« sagte ich wieder, »was soll das eigentlich? – – Und Sie möchten doch auch den Kaffee bringen.«

»Sogleich ist er fertig.«

Die Grabsteine hatte Regine vom Friedhof im Marktkorb mit heimgebracht, das sagte sie mir, – und wusch, was ihr vom Leben übrig geblieben war, zugleich mit unsern Tellern blank, den Namen ihrer Mutter, ihres Schatzes und ihres Kindes.

Sie war eine geheimnisvolle Person mit geheimnisvollen Gewohnheiten.

 


 


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