Helene Böhlau
Der Rangierbahnhof
Helene Böhlau

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VI.

Die Seele des Geschöpfchens, das sich dem irdischen Jammerthale hatte zuwenden wollen, war zurückgeschauert und vor ihrer Erdenwanderung behütet worden.

Olly lag krank und matt in ihren Kissen. In der ersten Zeit hatte sie das dumpfe, drückende Gefühl, als hätte sie das Dasein dem Geschöpfchen nicht gegönnt. – Sie war dabei, sich in schmerzliche, nutzlose Gefühle krankhaft hineinzurütteln. Aber nein, nein, das sollte nicht Macht über sie bekommen. Die Gedanken wurden wieder frei und ruhig. Es war gut so.

Es stand ihr klar vor der Seele, wie sie von der bangen Erwartung zu Boden gedrückt war, wie sie sich so schwach, so hilflos, so unfähig gefühlt hatte, wie ihr die Anforderungen des Lebens wie Wasserwogen über den Kopf 161 zusammenzustürzen gedroht hätten. Sie empfand, wie alles elendes Stückwerk geworden wäre – alles.

Jetzt hatte ihr das Schicksal Zeit gegönnt. Wie wollte sie diese ausnützen! Ehrlich und ernst in allen Dingen, und er sollte auch nicht so viel Grund haben, über sie zu klagen, nein, sie wollte lernen. Und ihre Arbeit? Welches Feuer, welche Freudigkeit, welche Sehnsucht lebte doch in ihr! Sie war so ganz erfüllt und ganz Ungeduld, wieder zu beginnen. Er, der gute Mensch war niedergedrückt, er hatte sich so gefreut, und konnte sich nicht genug thun, zu trösten und immer wieder zu trösten, war voller Aufmerksamkeit und Rücksicht und Zartheit. Olly nahm den Trost wortlos hin, sie fühlte, er konnte sie nicht verstehen, wenn sie ihm sagen würde, wie sie empfand. Weshalb sollte er sie denn auch verstehen? Sie verlangte das von keinem Menschen. Sie war noch immer ganz davon überzeugt, daß einer den andern eben nicht versteht, daß jeder Mensch im Grunde einsam lebt. So litt sie nicht unter diesem Schweigen und Verschweigen.

162 Sie gehörte noch nicht zu den Unverstandenen, die sich herumquälen und die nörgeln, weil sie wollen, daß andre vollkommen die Wichtigkeit ihrer Seelenzustände mit empfinden. Sie war noch kein so armseliges Töpfchen, das glaubt, die ganze Welt müsse es beschauen wie einen speienden Krater, und das enttäuscht und wütend ist, wenn es ganz unbemerkt über seinem Feuerchen zischt und brodelt. Oder sie war wie ein Bach, der noch nie über seine Ufer getreten ist.

In ihrem Verschweigen aber lag noch etwas andres: Sie hatte das bestimmte Gefühl, daß, wenn sie ihm alles sagen wollte, er sie für schlecht halten würde und sie ihm nicht begreiflich machen könnte, daß dem nicht so sei.

Annele war während Ollys Kranksein gekommen, um die Wirtschaft zu führen. Gastelmeier hatte sie darum gebeten. Es war behaglich und friedlich, als wäre ein guter Geist im Haus. Gastelmeier wurde wieder ganz vergnügt, es schmeckte ihm gut. Annele kochte heimatliche Gerichte. Gastelmeier sprach mit ihr wie mit einem guten Freund, er schüttete ihr sein Herz aus. Er sprach über Olly, wie es so oft unbehaglich bei 163 ihnen sei, wie sie für nichts als für ihre Malerei Sinn habe und eigentlich gar nicht andres verstände.

»Und siehst du, Annele, ich hab' auch geglaubt, daß sie jetzt viel trauriger sein würde.«

Annele hatte ihn ruhig und ernst angehört. Sie standen miteinander im Atelier in der Dämmerstunde. Ollys Staffelei war beiseite geschoben und Gastelmeier hatte eine seiner simpeln kleinen Landschaften auf der seinigen stehen, eine jener Landschaften, die er immer ungefähr ähnlich wiederholte und für die er immer Abnehmer fand.

»Friedel,« sagte Annele. »Wie hast du dir denn nur alles gedacht, was meinst denn? Was für ein Wunder soll eigentlich ein Frauenzimmer sein?«

»Na, wie denn?« fragte er. »Was verlang' ich denn? – – Ein Wunder?«

»Du hast ja gewußt, daß sie Malerin ist und du warst selbst ganz erstaunt darüber, was sie konnte. Du, mit zwanzig Jahren, warst denn du so weit?«

»I wo,« sagte Gastelmeier. »Olly ist fleißig wie eine Verzweifelte. Wahrhaftig, man kommt außer Atem, wenn man ihr nur zuschaut.«

164 »Wenn du mit zwanzig Jahren so weit wie Olly hättest sein sollen,« unterbrach sie ihn, »und dann noch eine gute Köchin und ein Haus in Ordnung halten – und denk' doch – in allen Stücken fix und fertig – stell' dir's vor. Und jetzt jammerst du noch, daß sie nicht traurig genug ist! Geh mir! Überleg doch. Kinder giebt's genug, aber net viel Eltern. Mein Gott, was wärt denn Ihr für Eltern fürs erste?

»Friedel, sei vernünftig!« fuhr Annele fort, »schau, uns oben in Rohrmoos wär's hart, wenn du net glücklich wärst, aber ein bissel Klugheit gehört dazu, ganz aus heiler Haut kann eins net glücklich sein.«

»Jetzt kommt's wieder drauf hinaus, daß du mich für einen Esel hältst,« sagte Gastelmeier.

»Ah geh!« meinte Annele; »aber ich weiß schon, über uns denkt Ihr Mannsleut einfach nicht nach. Ein Frauenzimmer muß immer etwas Fertiges sein, weißt du; daß es halt nach und nach wird, wie Ihr auch, fällt Euch net ein.«

»Was du da sagst, ist so ohne nicht,« war Gastelmeiers Antwort. »Du bist ein gescheites Mädel, Annele, aber ich mein' schon, ernst bist 165 du geworden, du bist der Fratz von ehedem nicht mehr.«

»Du, Friedel, ein Fratz war ich nie. Ich bin immer sehr ruhig gewesen, soviel ich weiß.«

»Ruhig, ja, aber heiterer, so wie die schönen stillen Tage in Rohrmoos.«

»Gerade so wahrscheinlich,« sagte sie, »denn ich bin ein Stück von Rohrmoos geworden. Man wird so, wie die Umgebung ist, in der man lebt.«

»Mein Gott,« sagte Gastelmeier, »da werde ich mit der Zeit ein kleiner Privatrangierbahnhof werden.« Er erzählte Annele, wie Emil, sein Schwager, Ollys Familie getauft hatte, und fragte sie, ob sie sich erinnerte, wie er ihr den Rangierbahnhof, neben dem er gewohnt, damals beschrieben habe.

»Ja,« sagte sie ernst. »Ich selbst hab' dich damals gebeten, fortzuziehen.«

»Jawohl. Siehst du, so einen kleinen Rangierbahnhof machen wir uns hier wieder zurecht, so einen Ableger von dem aus der Blütenstraße. Bei uns giebt es, gerade wie in der Blütenstraße, immer etwas zu bereden und zu 166 rangieren. Da gehen wir im Zimmer auf und ab, gerade wie die seelenvolle Mama und ihr Erwin und Emil und Olly früher daheim – und rangieren. Das heißt: bereden und beschließen, das Leben von vorn anzufangen, oder wir bereden und rangieren eine wundervolle Zeiteinteilung, die nie eingehalten wird; immer fassen wir allerhand Entschlüsse und beschließen, alles anders zu machen wie bisher, und sind ganz gerührt und voller Hoffnung, wollen zu allererst immer die Köchin fortschicken. Von allen Dingen aber geschieht nichts, als daß wir eben rangieren – immer wieder rangieren – und weißt du, ganz wie in der Blütenstraße. Ich kann es schon ganz gut – scheußlich!

»Weißt du, wenn wir Geld genug hätten und die arme Olly könnte im langen weißen Kleid hier stehen und malen und ich könnte ihr den Arm geben und sie zur Zeit zu Tische führen und der Diener stände da und riß die Flügelthüren vor uns auf – Olly könnte wie so ein schöner Engel ganz im Jenseits leben, weißt du, so wie es sich eigentlich für so ein Geschöpf gehört – Herr Gott im Himmel, das wäre mit 167 ihr ein Leben. Du ahnst gar nicht, wie reizend sie ist.

»Weißt du, zwei so lange weiße Kleider hat sie sich machen lassen, sie wollte daheim immer weiß gehen. Haben wir aber wegen diesen Kleidern rangiert! Sie kam nie damit zu stande. Sie waren immer beide schmutzig. Die Köchin wusch sie ihr nie zur Zeit und benahm sich überhaupt immer, als wäre es eine Frechheit von uns, zu verlangen, daß die langen Kleider gebügelt und gewaschen sein sollten. Sie that es einfach nicht, vergaß es absichtlich. Dann haben wir versucht, sie bei einer Wäscherin waschen zu lassen, das wurde riesig teuer; dann sind wir noch auf chemische Wäsche gekommen, das erst! Es ging auf keine Weise. Jetzt liegen sie irgendwo. Ich hätte es ihr gar zu gern gegönnt, daß es uns gelungen wäre. Wenn sie so neben mir im Atelier stand, so weiß und zart, und arbeitete, weißt du, mit einem Eifer, da war mir's immer zu Mute, als sollte ich aufstehen und ihr den Kleidersaum küssen oder die Lockenspitzchen. Es hat mir gar keine Ruhe gelassen, es war etwas zu ungewohnt Süßes.«

168 Annele hörte ihm still zu, dann sagte sie: »Was ich Euch helfen kann, das thu' ich gern. Eh' ich geh', muß ich Euch wenigstens eine andre Köchin finden.«

»Ans Gehen denkst du doch noch nicht, Annele?«

»Bald,« sagte sie. »Sie brauchen mich oben.« Ein leichter Seufzer bewegte ihre Brust, so ein Seufzer, der aus einem starken, stillen, wehen Herzen kommt.

»Schade,« sagte Gastelmeier, »schade.«

* * *

Annele hatte wirklich die kleine Wirtschaft der beiden in eine einfache, gute Ordnung gebracht, ganz still und unmerklich, hatte eine neue Köchin eingesetzt, Olly Ausgabebücher eingerichtet, ihren Wäscheschrank aufgeräumt, die Speisekammer bequem hergerichtet, die Schlüssel für die verschiedenen Schränke mit kleinen Etiketten versehen und an einen Ring angereiht. Sie hatte ihr eine Tafel zum Wäscheaufschreiben auf den Schreibtisch gelegt, den Griffel daran gebunden. Ja, sie hatte ihr einen Speisezettel für den ganzen Monat 169 gemacht, den sie immer nur bis auf einige Änderungen umzukehren brauchte, und sie hatte der Köchin ausführlich Anweisungen gegeben. Olly war ihr so dankbar und versprach ihr, alles heilig zu halten.

»Thu' das, Olly,« hatte das Mädchen zu ihr gesagt. »Mach' ihn glücklich. Er ist ein guter, guter Mensch.« Sie hatte das so weich und ernst gesagt, daß Olly ihr unwillkürlich in die Augen blickte; die waren aber ruhig und klar, wenn auch keine frohen Augen. Sie waren so verständig.

Und erst in der Einsamkeit, als sie im fortrollenden Coupé saß, wurden diese verständigen Augen unverständig, wie das arme Herz es wollte, und weinten heiße Thränen unter fremden Leuten.

* * *

Es schien wirklich, als wäre ein guter Geist im Hause gewesen und hätte Segen gebracht. Es war etwas mehr Frieden, alles ging glatter und ruhiger. Olly war gut und liebenswürdig wie ein Kind. Wie sie zum erstenmal wieder an ihre Staffelei trat und ihr Modell in die Stellung 170 gebracht hatte, wie vor einigen Wochen, hatte sie die Augen voller Thränen. Sie wußte selbst nicht, weshalb eigentlich, sie war so froh, wieder zu beginnen, so ergriffen, und das Gefühl, mit ganzer Kraft weiter gehen zu dürfen, dem Ziele zu, erschütterte sie. Doch fühlte sie sich noch immer nicht recht wohl.

So kam Weihnachten heran. Sie hatte eine Woche vor Weihnachten ihre Arbeit wieder begonnen, und in dieser Woche war ein Porträt, vielmehr eine Studie von ihr, in den Kunstverein geschickt, zum erstenmal – Tante Zänglein hatte ihr dazu Modell gesessen. Ein altes Weibchen im dämmerigen Zimmer am Fenster. Tante Zänglein kehrte dem Fenster dem Rücken zu und das Licht floß an ihr gewissermaßen vorüber, sie nur streifend. Das Gesicht lag zu ihrem großen Ärger ganz im Schatten.

Außerdem waren noch ein paar kleinere Arbeiten von Olly hingeschickt, die sie auf der Reise im Freien gemacht hatte und von denen ihr alter Lehrer gewünscht hatte, daß sie sich ausstellen sollte. Er war sehr zufrieden damit gewesen.

Olly war die ganze Zeit über in innerster 171 Aufregung. Es war das erste Mal – die erste Verbindung zwischen ihr und der Welt. Sie wollte diese Erregung nicht zeigen, aber sie klopfte ihr in den Adern, sie ließ ihr keine Ruhe, sie fand keinen Frieden bei der Arbeit. Sie war ganz ruhelos und machte sich allerlei im Hause zu thun.

Gastelmeier beobachtete sie und sagte sich: ›Jetzt hat sie Angst und quält sich, das arme Ding.‹ Zu ihr sagte er: »Weißt du, stell' dir nur net vor, daß mit dieser Ausstellerei jetzt irgend etwas herauskommt, das ist grenzenlos wurscht, ob da einer davon kräht oder nicht kräht, ob er gut kräht oder schlecht kräht.«

»Gewiß,« sagte Olly, aber sie sagte es nur. Sie haßte sich selbst, daß sie so albern war. Sie fühlte sich unsinnig erregt.

»Erzähl' mir, was deine Freunde von den Sachen meinen,« sagte sie einmal wieder.

»Weißt du, wenn wir zusammenkommen, simpeln wir grundsätzlich nicht Kunst,« antwortete ihr Gastelmeier. »Und ehe sie sich um die Arbeit von einem Frauenzimmer kümmern, ja, das stellst du dir ganz anders vor. Wenn einer 172 überhaupt was sagt, ist's höchstens ›Gastelmeier, die Dinger von deiner Frau sind net übel‹ – das ist viel, sehr viel sogar! – Ich glaub' nicht, daß das einer sagt, aber möglich ist's.«

* * *

Olly ging am Morgen des heiligen Abends mit Emil aus. Sie wollten miteinander einen Weihnachtskarpfen kaufen – und sie ging hauptsächlich, um sich zu zerstreuen. Sie kauften einen wundervollen Goldkarpfen, groß und schwer, und trugen ihn in einem Marktnetz nach Hause, denn sie hatten nicht gewollt, daß der Fischer vor ihren Augen das Tier tötete. Emil trug ihn und der Karpfen schnickte hin und wieder ganz gewaltig, immer unvermutet. Gewöhnlich lag er still und gekrümmt in seinem Netz.

Auf dem Marienplatz standen die Weihnachtsbäume aufgereiht, ein ganzer Wald. Weihnachtsduft, eilende Menschen, Schnee auf den Dächern.

»Olly, jetzt machst du auch Geschichten, zu Weihnachten auszustellen, das hättest du auch nicht gebraucht; aber du bist wenigstens nicht wie Erwin und Mama,« sagte Emil auf seine 173 brummige Weise. »Heut' sind sie daheim wie des Kuckucks, seit sie am Morgen in den ›Neuesten‹ über dich das gelesen haben. Gottlob, daß du nicht wie die andern bist. Dir scheint's wenigstens wurscht zu sein.«

»Was denn?« sagte Olly wie erstickt. Sie hatte heute nach der Zeitung gefragt, aber ihr Mann hatte ihr gesagt, daß sie nicht gekommen wäre. Er wußte also – er hatte es ihr verheimlicht. – Da war es gekommen.

»Weißt du's gar net?« fragte Emil und sah seine Schwester an, der die Qual, die sie litt, in den Augen geschrieben stand. »I wo, du wirst wohl außer dir sein, wegen so einer Lumperei! – Gar net.«

Olly war stehen geblieben, ihr schwindelte, sie sagte kein Wort, sie fragte nicht, sie ging unwillkürlich weiter. Weshalb sollte sie fragen?

Wie ihr auf einmal die Kälte bis ins innerste Mark ging! Wie trostlos war alles – so winterlich, so tot, das Hetzen der Leute, der Lärm auf der Straße – alles häßlich! Und wie sie fror!

Am Karlsthor sagte sie, nachdem sie bisher 174 ganz stumm gegangen war. »Wir wollen einen Wagen nehmen.«

»Meinetwegen, wenn du so üppig sein willst.« Und sie stiegen mit ihrem Fisch ein.

»Deine Lippen sind ganz weiß,« sagte Emil.

»Albern.«

»Doch.«

»Nein,« sagte Olly, »es ist mir ganz gleichgiltig. Mögen sie sagen, was sie wollen, meinetwegen. Häßlich ist's oft genug, was ich mache, abstoßend, aber es lebt – ja es lebt eben, – da mögen sie sagen, was sie wollen.«

»›Affektiert‹, ›gemacht‹ sagen sie,« brummte Emil.

Da fuhr Olly auf, und dicke Thränen standen ihr in den Augen. »Das ist's nicht!« rief sie. »Sie werden es schon sehen! das, das ist's nicht! Aber die Gänse im Atelier haben es auch gelesen. Die werden eine Freude haben – die . . . .! Die gönnen's mir.«

»Verflucht! Verflucht! Verflucht! Verflucht!« platzte jetzt Emil heraus und er schlug sich mit der einen Hand aufs Schenkelchen, mit der andern hielt er den Fisch im Netzt fest. Er dachte, daß 175 Gastelmeier nicht sehr erbaut sein würde, daß er Olly die Geschichte verraten hatte – und die Gänse im Atelier ärgerten auch ihn.

»Weißt du, ein andermal gelingt's besser. Na – na – ich meine, gelingt's besser, du weißt schon, dem Esel, der kritisiert hat! Es kommt vielleicht ein andrer dran. Erwin hat heute Morgen in der ersten Wut hinstürzen wollen, ich weiß nicht, er wollte Skandal machen. Mama wollte auch hin, sie wollte auch Skandal machen. Sie waren ganz desperat – verrückt. Ich habe immer dazwischen schreien müssen. Sie sind übrigens nicht dort gewesen. Sie wußten nicht wohin – und so aufs Geratewohl auf die Straße laufen. Na – und Tante Zänglein kam auch dazu und hat sich über die ganze Wirtschaft wieder einmal amüsiert und sagte immer: ›Das kommt davon, weshalb hat sie mein Gesicht nicht mit gemacht! Das ist freilich gesucht, einen Menschen zu malen und mein Gesicht ins Dunkel zu stecken, gerade als wenn ich mich schämte, mein Gesicht sehen zu lassen. Ein nettes Porträt ohne Gesicht. Meine Bekannten, denen ich gesagt hatte, ich wäre auf der Kunstausstellung zu sehen, haben sich 176 auch gar nicht genug verwundern können!‹ – Tante Zänglein war ganz aufgebracht.«

Emil erzählte die komische Seite von der Geschichte. Er wußte, wie sehr Olly das Komische liebte. Aber ist einmal die Wunde geschlagen, so ist sie geschlagen, da ist nichts zu machen; auch wenn man den Schmerz verbeißt und lächelt – er ist einmal da und die Bewegungen sind schmerzbeladen und es ist nicht wie sonst.

Es war nicht gut zu machen, das fühlte auch Emil, als er seine Schwester ansah. »Verflucht! Verflucht! Verflucht! Verflucht!« Sie sah so elend aus, so zart, so arm. Erwin und Mama hatten ihm eigentlich noch nie recht leid gethan, wenn sie bei einem Mißerfolg Geschrei machten, aber hier, das stumme Weh, ging ihm zu Herzen.

»Na da halt Ruh',« sagte er zu seinem Fisch, weil er sonst nichts zu sagen wußte.

Daheim erzählte er Gastelmeier, was er angerichtet, und er zeigte ihm auch den Fisch.

»Da weiß sie's also, und grad zu Weihnachten! Verflucht! Verflucht!«

Er hatte diesen schönen Gefühlsausdruck Emil unwillkürlich abgelernt und gebrauchte ihn im 177 selben Augenblick, als auch Emil sich wieder seiner bedienen wollte. Beide sahen sich verständnisvoll an. Diese Schwäger kamen überhaupt gut miteinander aus.

»Wir reden nicht mehr davon, wenn sie nicht anfängt,« sagte Gastelmeier.

Sie fing nicht an, benahm sich, als wäre nichts geschehen. Den Fisch ließen sie in einem großen Wasserschaff schwimmen, in dem es ihm sehr wohl zu sein schien. Auch sah er wunderhübsch darin aus.

Als die Köchin ihn abschlachten wollte, verbot Olly dies. »Nein, er soll leben,« sagte sie.

»Na und?« fragte die Köchin und lachte und dachte bei sich: ›Die spinnt einmal wieder!‹

»Nimm grüne Heringe, das sind auch Fische,« sagte Emil, der in der Küche gerade beim Karpfen war.

»Also bringen Sie grüne Heringe,« sagte Olly.

»Da heißt's aber laufen, Köchin,« meinte Emil, »die kriegt man später nicht mehr, ich weiß schon, wir haben sie immer gewollt, aber nie bekommen. Laufen Sie schnell!« Er spritzte sie mit dem Karpfenwasser gewissermaßen zur Küche hinaus.

178 Emil war sehr familiär und flegelhaft mit jeder Köchin, die sie daheim gehabt hatten. Das machte, er war immer der Kamerad der Köchin gewesen, er als der Wirtschaftlichste im Haus, und dann sah er in den Köchinnen Geschöpfe, die zu seinem Gaudium da waren. Er spielte ihnen allerhand Streiche, spritzte sie mit Wasser, warf ihnen die Asche in die Küche, die Kohlen die Treppe herab, wenn sie den Kohlenkasten den halben Tag vor der Korridorthüre stehen ließen, schrieb ihnen Ungezogenheiten mit Kreide auf den Küchentisch, rahmte langbewährte Eierflecken auf Töpfen und Tassen mit Tinte ein und schrieb das Datum, an dem so ein Fleck entstanden war, darunter. Oder er legte einen großen Zettel unter schlecht abgewaschene Tassen, Schüsseln oder Töpfe und schrieb darauf: »Diese Töpfe sind ungebraucht!!!« Darunter schrieb er: »Reinlichkeit!!« dick unterstrichen, und: »Lassen Sie den Zettel liegen, den brauch' ich doch noch ein paarmal.«

Er war der Gefürchtete bei den Köchinnen gewesen, ohne ihn wäre die Wirtschaft in der Blütenstraße völlig in sich zusammengefallen.

179 Auch jetzt brachte die Köchin richtig die grünen Heringe zum heiligen Abend. Sie war aber sehr schlechter Laune. »Was ist das für ein Weihnacht,« sagte sie zur Köchin von der untern Etage. »Meine Gnädige scheint an nix zu glauben. Backen hat s' net lassen, für die ganze Weihnachten net. Grüne Heringe haben wir am Abend, sonst nix.« Einen Weihnachtsbaum hatten sie, den zählte die Köchin nicht mit und Olly putzte ihn am Nachmittag still und gleichgiltig auf.

Ja, wenn man den Schmerz verbeißt, den eine Wunde uns macht und wenn man auch lächelt und spricht, die Bewegungen bleiben gehemmt und schmerzen fast und es ist nicht wie sonst. Welche Mühe hatte sie, das Bäumchen zu putzen, wie schwer wurde es ihr, wie lang dauerte es – und wie müde – wie müde! Es lag ihr wie Blei in den Gliedern.

Eine Redensart ihrer Mutter kam ihr nicht aus dem Kopf. Jedes Nein ist Unglück, jedes Ja ist Glück. Sie hatte das nie leiden können. Doch war es so. Wie hatte sie dieses Niedergedrücktsein, dieses Verzweifeltsein daheim gehaßt, 180 wie erbärmlich war's ihr erschienen. Nun lag es auch ihr in den Gliedern – wie ein Fluch.

So ein böser Anfang zum Ruhm. Wie hatte sie sich immer frei und stolz gefühlt, so unantastbar! Mißerfolge, mein Gott, die waren natürlich. Sie hatte immer damit gerechnet. Sie hatte die andern verurteilt, die sich einen vorübergehenden Erfolg oder Mißerfolg so zu Herzen nahmen, daß sie blind und taub für alles um sich her wurden, und nun war sie gerade so, beim erstenmal gleich! Sie war wie in einen grauen Nebel geraten. Jawohl, über etwas von oben herab urteilen und selbst darin stecken, das sind zweierlei Dinge. – Sie schämte sich ihrer Härte, wenn sie an früher dachte. Alle ihre Gedanken kamen ihr wie gebrandmarkt vor. Es waren die Gedanken einer Blamierten. Alles war ihr an sich selbst reizlos geworden, armselig, bedeutungslos, nicht berechtigt zu existieren. Und warum? Weil irgend ein Unbekannter über ihre Sachen etwas Ungünstiges geschrieben hatte, was sie noch nicht einmal recht wußte. Wie und was er geschrieben, war ihr gleich. Und ein erfolgloser Künstler, der niemand hat, der an ihn glaubt, als sich 181 selbst, was ist das für eine armselige Kreatur; einer, der auf schlechte Kritiken schimpft, sich reinwaschen will, erklären will, wie recht er hat, wie vortrefflich alles ist, was er schafft, und wie dumm die sind, die es nicht begreifen!

So etwas werden zu können!

Nein, jeden Schlag stumm hinnehmen, nie klagen, nie sich verteidigen – nicht einmal an sich selbst stumm glauben wollte sie, um sicher zu sein, nie eine Taktlosigkeit zu begehen, wie die daheim. Totschlagen lassen wollte sie sich Seele und Körper ohne zu zucken.

Der Fluch der Kunst, der die Schwachen beugt, lag auf ihr. Ja, sie steckte plötzlich wie mitten im grauen Nebel, und dieser umgab nicht nur sie. Von ihr aus verbreitete er sich im ganzen Haus, löschte die Weihnachtsfreude aus, legte sich dem ehrlichen Gastelmeier wie eine schwere Last auf's Herz. Es waren die ersten Weihnachten, die er nicht daheim in Rohrmoos feierte.

Weihnachten auf Rohrmoos! In der Heiligenabenddämmerung stieg ihm das sehnsuchtsvolle Bild auf. Welch ein Treiben – welch ein Duft! 182 Weihnachtskuchen! Weihnachtsbier! Weihnachtskarpfen! Weihnachtsgebäck aller Art, feines und grobes, alles in Haufen, alles Duft ausströmend, das Rennen und Laufen auf dem Hof, das hurtige Arbeiten in den von Laternen erhellten Ställen, um fertig zu werden und das Feiertagsgewand anzulegen! – Und im Wohnzimmer die gute Mutter, mit der großen, weißen Schürze, die den Leuten die Bescherung herrichtete und in wollenen Socken, Joppen, Röcken, Pfefferkuchen und Nüssen und Äpfeln fast begraben war, und Annele, die jetzt auch gerade den Christbaum putzt, zufällig zur selben Zeit wie Olly. Er wußte das, die Zeiteinteilung am heiligen Abend war unverrückbar, ein Jahr wie das andre, – und der Vater, der sich an seinem Sekretär mit den Geldpäckchen zu schaffen machte, auf jedes ein Siegel drückte und den Namen des Empfängers mit der steifen, ungeübten Schrift darauf schrieb. Das war ein Weihnachten! – Draußen der tiefe, weiße Schnee und die stillen Berge, drinnen im Haus die rührige Festfreude. – Und hier bei ihm? Wenn alles noch so gewesen wäre, wie vor wenigen Wochen, so hätte er sich auf nächste Weihnachten 183 gefreut und mit diesen vorlieb genommen; aber so wie es jetzt war, kam es ihm trübselig vor.

Der Arzt hatte nicht erlaubt, daß er mit Olly nach Rohrmoos reiste. Hätten sie nur nicht gefragt! Das arme, stille, gedrückte Geschöpf am Christbaum war denn das Olly – seine liebreizende Olly?

Er sah ihr bange zu. Sollte er mit ihr von der dummen Geschichte reden, die sie sich so sehr zu Herzen nahm? Er wagte es nicht, er hatte Furcht davor und meinte auch, daß es besser sei, zu schweigen, als daran zu rühren. So standen sie, sich gegenseitig ganz fremd, vor dem Christbaum und schauten ihn sich miteinander an. Er war nur mit blaßrosa Rosen besteckt, sehr schön, aber kein eigentlicher Weihnachtsbaum. Gastelmeier hatte noch nie so einen gesehen.

»Du hast ja gar nichts daran gehängt, Olly. Annele machte immer bunte Netze und steckte allerlei hinein, und es hing alles dick voll Gebäck, das die Mutter mit uralten Holzförmchen selbst gebacken hatte.«

Olly sah ihn ganz verwundert an. Sie fühlte sich auch etwas gekränkt, daß er ihren 184 Weihnachtsbaum nicht schön zu finden schien; so hatte sie ihn Jahr für Jahr als ganz kleines Mädel daheim aufgeputzt und hatte früher gemeint, daß es so etwas Schönes wie ihren Baum nicht mehr geben könnte, einen Busch so voll Rosen, wie man ihn nur im Traume sehen konnte. Aber das war ganz gleichgiltig jetzt. Sie fühlte es nur so nebenbei. Es kam ihr vor, als hätte sie gar keine Berechtigung mehr zu fühlen, als wäre sie vernichtet. Und geradeso nebenbei dachte sie, daß er auch seinen Weihnachtsbaum liebe, wie er ihn gewohnt war, und es that ihr leid, daß sie ihn nicht darum gefragt hatte.

Aber wie dumpf war alles, was sie dachte. – So also stellte sie sich an, wenn ihr etwas in die Quere gegangen war? So? Schlimmer als die andern! Ja, aber es war ihr nicht irgend etwas Beliebiges in die Quere gegangen, sondern sie war mit dem ersten Schritt ins wahre, einzige Leben in einen Abgrund gestürzt und lag nun tief unten, wie zerschmettert. Wie sie so ins Maßlose hineinfühlte! Sie empfand das selbst; aber sie war nun einmal fortgerissen.

Gastelmeier hing seinen sehnsüchtigen und 185 trüben Gedanken weiter nach. Der Arzt hatte mit ihm über Olly gesprochen. Er hatte gefragt, an was Ollys Vater gestorben sei: »Wie jeder dritte Pole wohl an der Schwindsucht,« hatte er geantwortet, so – er hörte sich noch, es lag darin die ganze Gleichgiltigkeit, die er für Ollys Familie hatte. An was er gestorben war, wußte er nicht. Es war ihm, dem Arzte gegenüber unangenehm, daß er sich so hatte gehen lassen, und er hatte von der Thüre aus in Ollys Zimmer, wo diese im Bette lag, hineingerufen: »Olly, an was ist dein Vater eigentlich gestorben?«

»Bst,« hatte der Arzt gemacht, um ihn zurückzuhalten. Es war zu spät. Wie dumm, sie an so etwas zu erinnern!

Olly aber antwortete ruhig und matt, er hörte sie noch, wie sie es sagte: »Papa starb an einer Kehlkopfkrankheit.«

Sie hatte es so leise gesagt, daß es nur Gastelmeier hatte hören können. Das referierte er dem Arzt: »An einer Kehlkopfkrankheit.«

»So – so,« hatte der gesagt und war, nachdem er noch einige Anordnungen gegeben, fortgegegangen.

186 Wie kam er jetzt darauf, ganz unvermittelt? Er hatte sich damals dumm benommen, das war ihm fatal, jetzt noch – und was war es denn weiter? Eine Gedankenlosigkeit! Außerdem war etwas Trübseliges in dieser Erinnerung, in Ollys Stimme, in allem. Wie sie das so gesagt hatte, – selbst krank. Es wollten keine frohen Gedanken kommen, so eine bleierne Stimmung, keine Freudigkeit, nicht einmal zu Weihnachten, und sie liebten sich – und es hätte so schön sein können!

Aus der Küche kamen auch keine verlockenden festlichen Gerüche. »Karpfen haben wir doch?« sagte Gastelmeier und sog einen sonderbaren unvermuteten Duft ein, der mit der Köchin eben ins Zimmer gekommen war.

»Der Fisch ist so schön,« sagte Olly befangen, »ich wollte nicht – draußen im Wasser schwimmt er. – Grüne Heringe sind auch Fische. Nicht wahr, Sie backen sie gut?« wendete sie sich fragend und bittend an die Köchin.

»Na,« sagte Gastelmeier, »das ist auch das erste Mal!« Diese Aussicht hatte ihm vollends alle Laune verdorben und noch eine andre: Die 187 vergeistigte Mama, Erwin, Emil, Tante Zänglein und der lange, sparrige Mensch kamen natürlich, um Weihnacht mitzufeiern, um die grünen Heringe mit essen zu helfen, der ganze Rangierbahnhof. Das war ein Weihnachten, ohne Saft und Kraft, ganz ohne Herz!

Und sie kamen, so gedrückt und wehleidig. Es war das erste Mal, daß sie wieder seit Ollys Krankheit alle beisammen waren. Die vergeistigte Madame erschien ganz in der Rolle der mitfühlenden Mutter. Sie hatte jetzt zwei, um die sie hangen und bangen konnte. Erwin hatte ihr kürzlich erst wieder den Genuß bereitet, nach Herzenslust jammern und die Nerven strapazieren zu können. Es gelang ihm so gut wie nichts oder wenigstens sehr wenig. Sie führte, während der Weihnachtsbaum brannte, mit Erwin und dem sparrigen Menschen ein litterarisches Gespräch und so hörten und sahen sie nichts.

»Na, komm,« sagte Tante Zänglein zu Olly. »Du Pechprinzeß, fällt denn bei Euch keines einmal aus der Rolle – erst das eine, dann das andre, in etwas sollte der Mensch doch Glück haben. – Da hast du wenigstens etwas für den 188 Ärger,« und sie gab Olly ein kleines Päckchen in die Hand; darauf stand in der zierlichen Schrift des Weibchens: »Für das Porträt ohne Gesicht.« – – Und wie es nun kam!? Von diesen Augenblick an schlug Ollys Stimmung um.

»Kein Glück?« sagte sie lachend, »Tante Zänglein, so? Denkst du, daß ich mich quäle? – gar nicht. – Kein Glück? Glück sage ich dir, die Hülle und Fülle, wart' nur! Aber kein so miserables Glück wird es sein, da einmal, dort einmal – so im großen Zug, verstehst du? Mit einem Schlag ist mir's, als würde es so, wie ich will. Arbeiten – und dann der Lohn, und einen Lohn, wie ich ihn mir denke. Am Arbeiten soll's nicht fehlen! Und wenn ich dann bin, wo ich sein will, dann heißt es sich oben halten,« lachte sie, »und jemand haben, den man liebt!« Das war die alte Olly, das freie, stolze Mädchen, das an sich und seine Schönheit und seine Kraft und sein Können glaubte. – »Weißt du, Tante Zänglein, wie ich arbeiten kann? Herrgott, wenn du das wüßtest!«

»Schau,« sagte das kleine Weibchen, »so eine Frau, so ein Mädel! Das ist einmal etwas! So 189 gefällst du mir. Endlich eine! Die Trübsal spritzen, das sind scheußliche Leute, denen glückt auch nichts.«

Wie umgewandelt war die Stimmung mit einemmal. Olly wurde so übermütig, daß die andern auch aufschauten. Gastelmeier war vergnügt, so konnte sich sein Weihnachten im eigenen Heim doch auch sehen lassen und brauchte sich nicht zu verkriechen vor dem, was er »Weihnachten« nannte.

Die grünen Heringe schmeckten ganz gut; Gastelmeier spendierte ein paar Flaschen guten Weißwein, den er von daheim geschickt bekommen hatte, und der Rangierbahnhof feierte wirklich Weihnachten und hielt einmal Ruhe.

Und draußen in der Küche schwamm der Goldkarpfen, das schöne Weihnachtstier, und freute sich seines Lebens im Wasserschaff.

»Ich danke dir, kleine Olly,« sagte Gastelmeier zärtlich, und umarmte seine junge Frau in ganz fideler Stimmung.

»Ist nichts zu danken,« erwiderte sie ihm ehrlich. »Ich kann nichts dafür.«

»Desto besser,« meinte er.

190 »Mimm, mein armes Jüngelchen,« so nannte sie ihn, und sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals, »es ist ein großes Unglück für dich, daß du mich geheiratet hast.«

»Dummes Zeug!« sagte er.

»Ganz gewiß – du thust mir leid.« Sie sagte das zärtlich und wie überlegen zu ihm, so einfach, daß es ihm einen wunderlichen Eindruck machte. Es war, als wenn wieder eine dunkle Wolke über die Sonne, die eben erst aus dem Nebel gekrochen, hingezogen wäre.

»Du bist so heiß und so erregt, Olly,« sagte er besorgt.

»Ein bissel erkältet.«

Das hatte die vergeistigte Madame aufgefangen. »Olly, dein Hals,« sagte sie wie außer sich, »du sprichst ja wieder ganz heiser! Wo hast du dir das geholt?«

Die Vergeistigte war jetzt in ihr Fahrwasser hineingekommen und so ängstlich und aufgeregt, wie nur zu wünschen. Sie machte ein großes Aufheben von Ollys Heiserkeit.

»Ihr sollt sehen, das wird sie diesen Winter nicht wieder los, das ist die alte Halsgeschichte. 191 Und bei dem dummen Fischkauf hat sie sich das geholt. Und nicht einmal zu essen bekommen haben wir ihn! Was soll der Fisch draußen im Wasser?«

»Leben, nur leben,« sagte Olly ruhig. 192

 


 


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