Johann Jakob Bodmer
Odoardo Galotti, Vater der Emilia
Johann Jakob Bodmer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Auftritt

Appiani. Odoardo.

Appiani (von zweenen Bedienten an beyden Armen unterstützet, einen Mantel über die Schultern geschlagen; sie führen ihn zu dem Sopha, wo er den Mantel zurück wirft.) Odoardo, Oberster, noch sehe ich sie wieder!

Odoardo. Der Graf Appiani lebet, lebt – und Emilia – der Bräutigam lebet, die Braut – Welcher Heilige hat dich erhalten, da Claudia, da Emilia dich stürzen gesehen, und das Blut des Bräutigams auf die Braut spritzte.

Appiani. Es war ein gedungener Meuchelmörder, der mich fassete; ich erkannte den Nikolo, und ich habe alle Merkmaale, daß Marinelli ihn gedungen hat. Der Schuß gieng durch die Höle der Hüfte, und gewiß hat ihn ein Heiliger des Himmels gelenket, zu dem ich heute morgens gebethet habe. Aber wo ist Emilia? wie hat sie diesen Zufall ertragen? Ich fürchte, daß meine Wunde sie mehr geschmerzt hat als mich selbst; und der Ort, wo ich angefallen ward, Marinelli, und der Prinz drängen meine Seele mit Besorgnißen.

Odoardo. (in Gedanken versenkt, und plötzlich auffahrend.) Emilia hat in der Bildung der Mutter die Seele des Vaters. Sie ist der weibliche Odoardo. Und Appiani, deine Seele sympathisiert mit ihrer und meiner Seele. Ich würde dich von deinem Werthe herunter setzen, wenn ich glaubte, ich müßte dir mit Vorbereitung oder Zurückhaltung sagen, was in jede gewöhnliche Seele wie der donnernde Blitz einschlagen würde.

Appiani. Gnädiger Gott! schon diese Worte berichten mir ihren Tod!

Odoardo. Ja Appiani, ihren Tod, damit ich dir nichts ärgers berichten müsse. Es ist etwas ärgers mit Schande zu leben, der Tod der Ehre ist ärger. Der Prinz, in dessen Lustschloß sie in der Angst ihrer Seele geflohen war, und glaubte, daß sie zu guten Leuten gekommen wäre, er hielt sie auf, und wollte sie mir entreißen, und in das Haus seines Kanzlers Grimaldi nehmen.

Appiani. Gott! ich kenne das Haus Grimaldi; es ist das Haus der Wohllüste; die Töchter des Mannes dieneten zuerst dem Prinzen zu Beyschläferinnen, und itzt bekleiden sie das Amt seiner Kupplerinnen.

Odoardo. Emilia dachte sich dieses Haus als ein Serail, und damit sie in dasselbe nicht eingeschlossen würde, foderte sie meinen Dolch.

Appiani. Sie gaben ihr doch den Dolch nicht?

Odoardo. Dann sollte die Haarnadel ihr die Dienste des Dolches thun; sie klagte mich an, daß ich zufrieden sey, daß sie würde, wie der Prinz sie haben wollte. Meine Seele war lange gespannt gewesen; diese Beschuldigung war die Lunte, so die Kartaune, die nur ganz geladen war, anzündete, sie brach los, und betäubete mich durch den Knall. Sie sagte mehr: Solche Väter wie der Virginia giebt es keine mehr; dann ward ich der zweyte solcher Väter.

Appiani. Der Vater – die Tochter – meine Emilia! (er zittert zurücke.)

Odoardo. Der Vater sank unter den Mann von Ehre. – Er ist außer sich Graf! habe ich mich in der Meynung betrogen, die ich von der Größe deiner Seele hatte? ist Appiani schwächer als seine Braut!

Appiani. (nach einer langen Pause.) Möchte die Kugel mich in das Herz getroffen haben, eh ich diesen Jammer hörte! ich empfinde, daß alles verlohren ist; ich lebe, und Emilia ist todt! sollte ich mir die Gewalt anthun anders als Mensch zu empfinden?

Odoardo. Als Emilia fand, daß alles verlohren wäre, weil Appiani todt, und sie in des Prinzen Händen bleiben sollte, so ward sie ruhig; es war aber keine Ruhe, die leidet, was man nicht leiden sollte. Sie wußte, daß man sich von allem Leiden los machet, wenn man sterben kann. Da sie so denken konnte, ein Mädchen, meine Tochter und deine Braut, so sollen der Vater, der Bräutigam, der Mann sich schämen, feigherziger zu denken.

Appiani. Blieben Odoarden Galotti, dem Mann von hoher Seele, dem Verächter des Lebens, blieben ihm keine Mittel übrig, das Mädchen zu retten, oder in dem Unternehmen zu sterben? nicht sie durch List zu retten, das ist seine Sache nicht; durch Gewalt. Hätte sein Schwert von dem Leibe des Zwingers abgeglitten? Fehlte es dem alten Degen an Muth, dem Wohllüstling zu zeigen, wie man einen angethanen Schimpf rächet oder einem angedroheten ausweicht?

Odoardo. Die Person des Prinzen ist mir heilig; ich fluche der Hand, die sich an dem Souverain des Gesetzes vergreift.

Appiani. Der Räuber, der Verführer, der Schänder unserer Töchter und Frauen, hat das Recht auf den Titel des Geheiligten verwürket; wir zeugen ihm nicht Kebsweiber, und wir heurathen ihm nicht Spielzeuge seiner Wohllust.

Odoardo. Es war genug für mich, daß er die Frucht seines Verbrechens nicht genöße; dieses sollte ihn mehr martern, als das Verbrechen. Wenn nun bald ihn Sättigung und Eckel von Lüsten zu Lüsten trieben, so sollte die Erinnerung diese eine Lust nicht gebüßet zu haben, ihm den Genuß aller vergällen. Was hat die gekränkte Tugend mit der Rache des Lasters zu schaffen?

Appiani. Das ist feine, witzige Rache; und seltsam ist, daß sie in den Kopf eines Italiäners, eines Kriegers, eines auffahrischen Mannes aufstieg.

Odoardo. Willst du mir Lehren geben, oder Vorwürfe machen, junger Mann? Ich war aber nicht sein Richter; ihn haben die Gesetze des Landes zu meinem Obern und Richter gemacht; der in dem Himmel sitzet, mag ihn richten.

Appiani. Auch waren sie nicht der Richter ihrer Tochter; und welche Uebelthat haben sie an ihr gestraft? Welches Todes Verbrechen, das den Vater zum Vollstrecker des Gerichtes foderte?

Odoardo. Ich strafte kein Verbrechen an ihr; ich entriß sie einer Schande, die ihr in dem Hause des Grimaldi unvermeidlich war; in einem Hause, wo die Züchtigste nicht über ihre Sinne, ihr Blut, gebieten kann. Sie selbst erzitterte vor der Versuchung; sie wollte sich nicht in Versuchung begeben, damit sie nicht darinnen umkomme.

Appiani. Sie, Odoardo, sollten doch ein wenig auf die Tugend gebaut haben.

Odoardo. Ich glaube an keine unüberwindliche Tugend; und sie selbst sah der Versuchung mit Zaghaftigkeit und Mistrauen entgegen. Eines Tages war sie nur eine Stunde und unter den Augen ihrer Mutter in dem schändlichen Hause gewesen, und es erhob sich so mancher Tumult in ihrer Seele, den die strengsten Uebungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten.

Appiani. O mein Herr, hüten sie sich diesen Widerspruch in den Charakter und das Betragen des unwissendsten Herzens, was Laster ist, zu bringen. Sie, sie waren zu rasch, ihrem argwöhnischen, rauhen, stolzen Herzen zu glauben und zu folgen. Sie haben die reinste Unschuld hingerichtet; und sind diese Tropfen Blutes, die ich auf ihrem Kleide sehe, aus den reinsten Adern darauf geflossen? O verwehret mir nicht, daß ich diesen theuren, einzigen Nachlaß aufküsse; ich kann nicht edlere Tropfen in mich ziehen. (Er saugt mit ungestümer Begierde die Tropfen ein.)

Odoardo. Heilige Jungfrau, in welche Zärtlichkeit zerfließt er! wie schwer wird es dem Manne, der vom Weibe gebohren ist, nicht in diese weibliche Schwachheit zu sinken!

Appiani. Liebster Oberster, wo haben sie die Hülle der Tugend gelassen, die schöne Wohnung, aus welcher sie den edelsten Einwohner, den himmlischen Geist, gejagt haben? Ich muß gehen, sie das letzte mal zu sehen, und die Geliebte in die Arme zu fassen, die mich nicht wieder in die ihren drücken kann. – Sie muß nicht in der Gewalt ihres Verderbers bleiben. Es ist Entheiligung, wenn der Unkeusche nur die unverschämten Augen auf die entseelte Leiche schickt.

Odoardo. Das heißt geklagegt! und der Mann klaget! was muß der fühlen, der sogar alles männliche verlohren hat? Wie unglücklich wäre ich, wenn ich durch eine übereilte, unväterliche That mich zum Mitschuldigen des Verderbers gemacht hätte! – Appiani, du hast Winke vor meine Seele gebracht, vor welchen ich schauere. Wie fürchte ich, daß ich werde lernen müssen zu weinen!


 << zurück weiter >>