Friedrich von Bodenstedt
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Friedrich von Bodenstedt

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Vermischte Gedichte
und
Sprüche.

                                                              Nur eine Weisheit führt zum Ziele,
Doch ihrer Sprüche gibt es viele.

 

1.
Frage und Antwort.

          »Du hast so oft uns schon gesungen,
Wie deiner Liebsten Wangen sind;
Wie Blumen, frisch im Lenz entsprungen,
Voll Lust und Blütenprangen sind –
Warum ist nie dein Lied erklungen
Von Zeiten, die vergangen sind?

Auch Helden deines Stammes waren
An Ruhm und hohen Ehren reich;
Es herrschten Fürsten der Tataren
Einst über alles Russenreich;
Der Tatarchan gebot den Zaren
Und machte sie den Sklaven gleich.

Er flog auf hohem Ruhmesflügel
Bis zu des großen Meeres Strand –
Stieg er zu Roß, hielt ihm den Bügel
Der Russenfürst mit eigner Hand,
Und reicht' ihm demutvoll den Zügel
Und küßte kniend sein Gewand.

Wohl ziemt's der Goldnen Horde Sohn,
Der Väter Tat im Lied zu ehren,
Und mit des alten Ruhmes Ton
Zu wecken neues Ruhmbegehren!«

Ich sprach: Die alten Sagen melden
Von großen und von kleinen Helden,
Die weithin mit der Goldnen Horde
Gestreift zu großem Menschenmorde.

Es drückt ein Volk das andre nieder
Und schwelgt in Siegesruhm und Glück –
Das andre Volk erhebt sich wieder,
Gibt die erlittne Schmach zurück –
So ist's in alter Zeit geschehn,
So kann man's jetzt und immer sehn;
Das ist kein Stoff für meine Lieder.

Erst machte sich der Tatarchan
Das Volk der Russen untertan,
Dann rächten sich die Russenscharen
Und unterjochten die Tataren;
Sie haben ihren Lohn dahin!
Was schert es mich, ob Volk und Fürsten
Nach Kriegesruhm und Beute dürsten,
Solch Tun ist nicht nach meinem Sinn.

Ein jeder bleib in seinem Kreise,
Ein jeder tu nach seiner Weise.
Ich singe nur, was mir gefällt,
Und davon gibt es in der Welt
So viel, daß ich mich allezeit
Von dieser Fülle nähren kann,
Und füglich die Vergangenheit
Mit ihrem Glanz entbehren kann.

 

2.

        Ich stand einst hoch in Gnade bei dem Schach,
    Der oftmals bitter sich bei mir beklagte,
    Daß ihm kein Mensch so recht die Wahrheit sagte.
Ich dachte ob dem Sinn der Worte nach
    Und fand, daß er mit gutem Grunde klagte;
    Doch als ich ihm so recht die Wahrheit sagte,
Verbannte mich von seinem Hof der Schach.
———
Wohl gibt es Fürsten,
Die nach Wahrheit dürsten,
Doch wenigen ward ein so gesunder Magen,
Sie zu vertragen.

 

3.
An den Großwesir.

        Blick' nicht so stolz, o Großwesir!
Man scheut nicht dich, nur deine Macht –
Erweist man offen Ehre dir,
Wirst du doch heimlich ausgelacht!

O Großwesir, blick' nicht so stolz!
Ob auch die Brust von Orden strahlt:
Du bist geschnitzt aus schlechtem Holz,
Mit goldnem Firnis übermalt.

Du rühmst dich deines stolzen Scheins,
Gehst hinterm Sultan ein und aus –
Die Nullen, folgen sie der Eins,
Wird eine große Zahl daraus!

O Großwesir, blick' nicht so stolz!
Ob du auch golden übermalt:
Du bist geschnitzt aus schlechtem Holz,
Hast Glanz, der dir zur Schande strahlt!

 

4.
Freundschaft.

        Mirza-Schaffy kam einst auf einer Reise
Zu einem reichen Mann. Da sprach der Weise:
Ich will dein Gast für heut und morgen bleiben,
Hilf mir die Zeit nun angenehm vertreiben;
Bereit' ein Fest, lad' gute Freunde ein,
Wir wollen froh und guter Dinge sein!
– Ich habe keine Freunde! – sprach der Mann.
Mirza-Schaffy sah ihn verwundert an:
So darf ich nicht dein Dach zum Obdach wählen,
Dem selbst beim Reichtum gute Freunde fehlen!
Er schüttelte den Staub von seinen Füßen,
Verließ den Reichen, ohne ihn zu grüßen,
Sprach: Wem der Himmel keinen Freund beschert,
Weh ihm! der Mann ist keines Grußes wert.

 

5.

        Das Leben ist ein Darlehn, keine Gabe –
Du weißt nicht, wieviel Schritt du gehst zum Grabe,
Drum nütze klug die Zeit: auf jedem Schritt
Nimm das Bewußtsein deiner Pflichten mit.
Gewöhne dich – da stets der Tod dir dräut –
Dankbar zu nehmen, was das Leben beut;
Die Wünsche nicht nach Äußerm zu gestalten,
Sondern den Kern im Innern zu entfalten;
Nicht fremder Meinung untertan zu sein,
Die Dinge nicht zu schätzen nach dem Schein;
Nicht zu verlangen, daß sie sollen gehn,
Wie wir es wünschen – sondern sie verstehn,
Daß wir uns bei Erfüllung unsrer Pflichten
(Da sie's nach uns nicht tun) nach ihnen richten.

 

6.

        Wo sich Kraft will offenbaren,
Wird sie Widerstand erfahren,
    Schlechtes sucht mit Gutem Streit –
Ist sie klein, wird sie erliegen,
Ist sie groß, so wird sie siegen
    Über Tücke, Haß und Neid.
Auf derselben Ackerkrume
Wächst das Unkraut wie die Blume –
    Und das Unkraut macht sich breit,
Doch es raubt nichts von dem Ruhme,
Duft und Glanz der schönen Blume.

 

7.
Weltverbesserung.

        »Zu ungleich ist's in dieser Welt,
Das Kleine muß vom Großen leiden –
Wie wäre alles wohlbestellt,
Wenn Gleichheit herrschte zwischen beiden!«

So klingt das Klagelied der Tadler,
Sie finden alles schlecht umher,
Die winzige Mücke schmäht den Adler,
Weil sie nicht fliegen kann wie er.
Der Riese soll wie Zwerge klein,
Der Zwerg so groß wie Riesen sein.

Verbessern wir der Schöpfung Fehler:
Hinfort soll Gleichheit sein auf Erden,
Die Berge sollen tief wie Täler,
Die Täler hoch wie Berge werden.

Was groß ist, soll sich nun verkleinern,
Besondres sich verallgemeinern,
Die Klugheit soll der Dummheit weichen,
Der Diamant dem Kiesel gleichen,
Und wenn das alles ist geschehn,
Ruft mich – das Wunder möcht' ich sehn!

 

8.

                    Ich kam in eine große Stadt,
              Die manche böse Zunge hat,
              Und über alles, über jeden
              Hört' ich viel arge Dinge reden.
Die Leute schimpften aufeinander ganz unsäglich
Und lebten miteinander ganz erträglich.

 

9.
Rosen und Dornen.

        Ich habe eine Nachbarin
Mit guter Zung' und bösem Sinn.
Sie keift den ganzen Tag im Haus,
Zankt sich herum mit Mann und Maus.
Erhebt ihr guter Mann die Stimme,
Gleich fährt sie auf in wildem Grimme;
Und schweigt er streitesmüde still,
Zankt sie, weil er nicht zanken will.
*   *   *
Der beste Mensch wird manchmal zornig,
Kein Liebespaar kann immer kosen –
Die schönsten Rosen selbst sind dornig,
Doch schlimm sind Dornen ohne Rosen.

 

10.

        Niemand hört dir gläubig zu,
Wenn du beginnst: Ich bin klüger als du!

Drum; wenn du andre willst belehren,
Mußt du dich erst zu ihnen bekehren.

 

11.

        Nie kampflos wird dir ganz
Das Schöne im Leben geglückt sein –
Selbst Diamantenglanz
Will seiner Hülle entrückt sein,
Und windest du einen Kranz:
Jede Blume dazu will gepflückt sein.

 

12.

      Zweierlei laß dir gesagt sein,
Willst du stets in Weisheit wandeln
Und von Torheit nie geplagt sein:
Laß das Glück nie deine Herrin,
Nie das Unglück deine Magd sein!

 

13.

        Wer nie verließ der Vorsicht enge Kreise,
Und selbst aus seiner Jugend Tagen
Nichts zu bereun hat, zu beklagen:
Der war nie töricht – aber auch nie weise.

 

14.

        Am leicht'sten schartig werden scharfe Messer,
Doch schneidet man deshalb mit stumpfen besser?

 

15.

        Geht mir mit eurem kalten Lieben.
    Euch ward nie Lust noch Leid genug –
Wen Liebe nie zu weit getrieben,
    Den trieb sie auch nie weit genug!

 

16.

      Ein Mann, der liebt, darf nicht zu blöde sein,
    Abschreckend stets ist zuviel Blödigkeit!
Ein Weib, das liebt, darf nicht zu spröde sein,
    Abschreckend stets ist zuviel Sprödigkeit!

 

17.
(Nach dem Persischen.)

        Wer ins Herz dir zielt, dich zu verletzen,
Find' es, wie ein Bergwerk, reich an Schätzen.

Werfen Steine nach dir Feindeshände:
Wie ein Obstbaum reiche Früchte spende.
Sterbend, hohen Sinns der Muschel gleiche,
Die noch Perlen beut für Todesstreiche.

 

18.

            Nun laß deine Klagen, du finstrer Gesell!
Denn wenn es noch lange so bliebe,
So würde dein Herz zur Klosterzell'
Und zum Mönche darin deine Liebe!

Du nimmst es zu schwer, und sie nimmt es zu leicht.
Da nützt dir kein Flennen und Härmen;
Glaub's: wenn sich bei dir mehr Kälte zeigt,
So wird sie sich bald mehr erwärmen!

 

19.

        Fürcht' nicht, daß ich in das Gemeine
Und Rohe mich vertiefe,
Solange ich von gutem Weine
Und guten Witzen triefe.

Von manchem Liedesedelsteine
Der Glanz verborgen schliefe,
Wenn ihn der Duft von gutem Weine
Nicht in das Dasein riefe.

Wo bliebe der höchste Berg, wenn seine
Höhe bloß aufwärts liefe?
Zu Füßen wachsen ihm die Weine,
Er hält sich durch die Tiefe!

Und so erkenne du auch meine
Höhe in meiner Tiefe:
Solang ich sie bei gutem Weine
Durch guten Witz verbriefe!

 

20.

        Als ich sang: Seid fröhlich mit den Frohen,
Beuget euch nicht knechtisch vor den Hohen,
Seid nicht stolz und herrisch mit den Niedern –
Rühmte man die Weisheit in den Liedern.

Als ich nach der Weisheit wollte handeln:
Sagten sie, das sei ein töricht Wandeln!

 

21.

        Als ich Schönheit, Lieb' und Wein besungen,
Ist mir tausendstimmig Lob erklungen.

Als ich Schönheit, Lieb' und Wein genossen,
Mir mein Erdendasein zu verschönen:
Hat es plötzlich alle Welt verdrossen,
Hörte ich mich schmähen und verhöhnen.

*   *   *
O Mirza-Schaffy! Du Sohn Abdullahs,
Überlaß die Heuchelei den Mullahs!
Folg' im Lieben und im Trinken immer
Schöner Augen, voller Gläser Schimmer!

 

22.

            Sollen gut meine Lieder der Liebe gesungen werden:
Müssen perlende Becher in Liebe geschwungen werden,

Bis die Freude in uns wie eine Sonne aufgeht,
Davon die Sorgen, die Nebel des Geistes, bezwungen werden.

Rosen netzet der Tau, rosige Lippen der Wein –
So muß der Schönheit Geheimnis errungen werden!

Nur wo Liebe und Witz mit dem Becher sie schleift,
Mag der Schliff echter Versdiamanten gelungen werden,

Daß von der süßen Gewalt ihrer blendenden Glut
Alle fühlenden Herzen in Liebe umschlungen werden!

Also schufst du dein Lied, o Mirza-Schaffy!
Wie es geschaffen, so muß es gesungen werden:

Daß vor lauter Entzücken und Wonnegefühl
Närrisch die Alten und – weise die Jungen werden!

 

23.

    Die lieblich tun mit allen will,
Die macht es keinem recht;
Die Tausenden gefallen will,
Gefällt nicht einem recht!

 

24.

        Willst Welt und Menschen recht verstehn,
Mußt du ins eigne Herz dir sehn.
Willst du dich selbst recht kennenlernen,
Mußt du dich aus dir selbst entfernen.
———
Wer sich beurteilt nur nach sich,
Gelangt zu falschen Schlüssen –
Du selbst erkennst so wenig dich,
Als du dich selbst kannst küssen.

 

25.

        Geh so stille du magst deine Wege,
Es drückt dir die Zeit ihr Gepräge,
Es drückt ihr Gepräge die Welt
Auf dein Antlitz, wie Fürsten aufs Geld.

 

26.

        In jedes Menschen Gesichte
Steht seine Geschichte,
Sein Hassen und Lieben
Deutlich geschrieben;
Sein innerstes Wesen
Es tritt hier ans Licht –
Doch nicht jeder kann's lesen,
Verstehn jeder nicht.

 

27.
Unterschied.

        Wir Menschen alle sind schuldbeladen,
Doch jeder, der sich selbst nur schädigt,
Ist seiner Schuld schon halb entledigt:
Gefährlich nur auf allen Pfaden
Sind Sünder, die auch andern schaden!

 

28.
Ursache und Wirkung.

        Der Glocke Schall
Ist wie ihr Metall, –
Und so ist's auch
Gleich unbewußt –
Mit dem tönenden Hauch
Der Menschenbrust.

 

29.

        Der Weise kann des Mächtigen Gunst entbehren,
Doch nicht der Mächtige des Weisen Lehren.

 

30.

        Wohl besser ist's, ohn' Anerkennung leben
Und durch Verdienst des Höchsten wert zu sein,
Als unverdient zum Höchsten sich erheben,
Groß vor der Welt und vor sich selber klein.

 

31.

    Hin zum Lichte drängt das Licht,
Doch der Blinde sieht es nicht.

 

32.

        Sammle dich zu jeglichem Geschäfte,
Nie zersplittre deine Kräfte!
Teilnahmsvoll erschließe Herz und Sinn,
Daß du freundlich andern dich verbindest –
Doch nur da gib ganz dich hin,
Wo du ganz dich wiederfindest!

 

33.

      Der kluge Mann hält sich zurück
Und streift im Fluge nur das Glück;
Es immer zu erschöpfen
Ziemt nur den hohlen Köpfen,
Die glauben, daß dem Hochgenuß
Ein tiefer Fall stets folgen muß.
———
Der Biene gleiche, die sich labt
An holden Blumen duftbegabt.
Sie sagt auf ihrem Wandern
Nicht einer von der andern.

 

34.
Arabisches Sprichwort.

      Das Paradies der Erde
Liegt auf dem Rücken der Pferde,
In der Gesundheit des Leibes
Und am Herzen des Weibes.

 

35.
Neujahrsbetrachtung.

      So sang Mirza-Schaffy den Freunden zu,
Da sich beschloß des alten Jahres Lauf:
Wir legten jeden Abend uns zur Ruh'
Und standen jeden Morgen wieder auf –
Des Morgens zogen wir uns sorgsam an,
Des Abends zogen wir uns sorgsam aus –
Was wir dazwischen sonst gestrebt, getan,
Ich glaube, viel kam nicht dabei heraus.
Das heißt, so fühl' ich in bezug auf mich –
Wer stolzer von sich fühlt, der melde sich!

 

36.

      Daß Weisheit nach der Anmut strebt,
Hat man auf Erden oft erlebt,
Doch daß die Anmut gern ihr Ohr
Der Weisheit leiht, kommt seltner vor.

 

37.

        Zwei Arten höh'rer Geister schuf Natur.
Die einen schön zu denken und zu handeln;
Die andern, voll Empfänglichkeit der Spur
Des Wahren und des Schönen nachzuwandeln.

 

38.

        Die reine Frau ist wie ein frischer Quell,
Der uns entgegensprudelt klar und hell,
Wie eine lautre Gottesoffenbarung;
Er labt und freut uns nur, trägt keine Lasten,
Doch die sich beugen unter stolzen Masten,
Die Ström' und Meere schöpfen aus ihm Nahrung.

 

39.

        Nicht alle Frauen sind Engel;
(Haben Männer doch auch ihre Mängel!)
Und solche Frauen durch Vernunft zu zwingen
Wird nicht dem Weisesten gelingen:
Sie lassen lieber schmeichelnd sich betören,
Als auf die Stimme der Vernunft zu hören.

 

40.

        Frauensinn ist wohl zu beugen,
– Ist der Mann ein Mann und schlau –
Aber nicht zu überzeugen:
Logik gibt's für keine Frau,
Sie kennt keine andren Schlüsse,
Als Krämpfe, Tränen und Küsse.

 

41.

        Als ich noch jung war, glaubt' ich, alles daure,
Dann sah ich: Alles wechselt, stirbt und flieht.
Doch ob mein Herz Verlornes viel betraure,
Ein wechselvolles Los mir Gott beschied,
Glaubt doch mein Geist noch immer, alles daure,
Weil er das Bleibende im Wechsel sieht.

 

42.

      Wie das Gewand um deine Glieder,
Schlingt sich der Reim um meine Lieder,
Schön mögen des Gewandes Falten sein:
Doch schöner muß, was sie enthalten, sein!

 


 


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