Friedrich von Bodenstedt
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Friedrich von Bodenstedt

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Glaube und Leben.

                                                              Keine Rose ohne Dornen.

 

1.

        Ich glaub', was der Prophet verhieß,
Daß Lohn für gutes Streben wird,
Und uns dereinst im Paradies
Ein wunderbares Leben wird –
Doch alles Schöne hier und dort
Muß man erkennen lernen,
Will man es sicher immerfort
Vom Schlechten trennen lernen.
Drum üb' ich mich schon in der Zeit
Auf den Genuß der Ewigkeit.
Und sollte des Propheten Wort
(Wer kann darüber klar sein?)
Von ew'gen Himmelsfreuden dort
Nicht, wie wir hoffen, wahr sein,
So hab' ich doch schon in der Zeit
Ein gutes Teil erkoren,
Und die gewünschte Seligkeit
Ging mir nicht ganz verloren!

 

2.

        So sprach ich, als die Heuchler zu mir kamen:
Wer mit sich selber eins, ist eins mit Gott –
Wer aber haßt und flucht in Gottes Namen,
Treibt mit dem Heiligen verwegnen Spott!

 

3.

        Sie glauben mit frommem Hadern
Den Himmel zu verdienen;
Der Zorn schwillt ihre Adern,
Der Haß färbt ihre Mienen.

Das Mordschwert in den Händen
Verlangen sie Glauben und Buße,
Und glauben, sie selber ständen
Mit Gott auf dem besten Fuße.

Ich aber sage euch, daß
Gott ferne solchem Getriebe!
Ungöttlich ist der Haß,
Und göttlich nur die Liebe!

 

4.

        Wer glücklich ist, der ist auch gut,
Das zeigt auf jedem Schritt sich;
Dem wer auf Erden Böses tut,
Trägt seine Strafe mit sich!

Du, der in deiner frommen Wut
Des Zorns und Hasses Sklave,
Du bist nicht glücklich, bist nicht gut:
Dein Haß ist deine Strafe!

 

5.

        Wer glücklich ist, der bringt das Glück
Und nimmt es nicht im Leben!
Es kommt von ihm und kehrt zurück
Zu ihm, der es gegeben!

 

6.

        Was Gott uns gab hienieden,
Das nennt man hier die Zeit;
Was jenseits uns beschieden,
Benennt man Ewigkeit.

Zum Unglück oder Glücke
Bereitet uns die Zeit –
Der Tod schlägt dann die Brücke
Zur blauen Ewigkeit.

Harrt unsrer Böses, Gutes,
Wenn wir einst scheiden hier?
Ich bin ganz frohen Mutes
Und spreche selbst zu mir:

Wer in der Zeit vernünftig,
Ist glücklich in der Zeit,
Und wird so bleiben künftig
In alle Ewigkeit!

 

7.

        Nachts kam im Traum zu mir ein Engel,
Der hatte vom Himmel den Abschied bekommen,
Weil er, voll lauter irdischer Mangel,
Das Himmelreich für die Erde genommen.

Gott sprach zu ihm am Tag des Gerichtes:
Was man einmal ist, das muß man ganz sein;
Im Himmel himmlischen Angesichtes
Muß man voll lauter himmlischem Glanz sein.

Die Erde hat Wein, Gesang und Liebe, –
Der Himmel hat seinen himmlischen Segen.
So lange dein Herz voll irdischer Triebe,
Sollst du der irdischen Freuden pflegen!

Wer nicht im Leben erstrebt das Beste
Was meine Gnade bereitet auf Erden,
Dem bleiben zu viele irdische Reste,
Der kann auch im Himmel nicht glücklich werden.

 

8.
Der Muschtahid singt:

        Wenn alle Gläubigen die rechten Pfade gehn,
So bleibt mir nichts, als ihnen nachzusehn –
Wie aber könnte ich dabei bestehn!

Wenn jeder Durstige selbst sucht den Weg zum Quell,
Der ihm entgegenrieselt klar und hell,
Bin ich ein überflüssiger Gesell.

Doch lieber trübe ich die Quellen allesamt,
Als daß ich wank' und weich' aus meinem Amt –
Wer mir nicht folgen will: der sei verdammt!

 

9.
Mirza-Schaffy singt:

        Worin besteht der ganze Unterschied
Wohl zwischen mir und unserm Muschtahid?

Wir beide suchen vor dem Volk durch Predigen
Uns überflüssiger Weisheit zu entledigen,
Ich singend – er mit näselndem Gekreische,
Das Herz sitzt ihm so tief im dicken Fleische,
Daß nie vom Herzen trat etwas zutage –
Derweil ich mein Herz auf der Zunge trage.

Auf seinen kurzen Beinen wackelt er
Ernst wie ein alter Gänserich einher;
Und keucht, als müßt' er nebst dem vollen Magen
Die Sündenlast der ganzen Menschheit tragen.

Ich wandle ganz leichtfüßig durch die Straße;
Er seufzt und flucht – ich lächle und ich spaße.

Er liebt's, mich im geheimen durchzuhecheln,
Ich aber nehm' ihn öffentlich aufs Korn,
Und er hat weit mehr Furcht vor meinem Lächeln,
Als ich je Furcht gehabt vor seinem Zorn.

 

10.

    Ich sah ihn neulich spät nach Hause kommen,
Er hatte sich im Trinken übernommen,
Da fiel er in den Schmutz und seufzte trunken:
»Die Welt ist in Verderben ganz versunken!«

Sein Glaube ist so groß, daß, wenn er fällt,
Glaubt er: gefallen sei die ganze Welt.

 

11.

        Laß den Muckern ihre Tugend,
Was daran ist, Herr, du weißt es;
Nur erhalte mir die Jugend
Meines Herzens, meines Geistes!

Wo so edle Weine fließen,
Muß die Quelle doch wohl echt sein;
Wo so duft'ge Blumen sprießen,
Kann der Boden nicht ganz schlecht sein.

Mache fruchtbar meinen Acker,
Segne meine Liederquelle,
Und das Herz erhalte wacker,
Und den Blick erhalte helle!

 


 


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