Friedrich Bodenstedt
Gräfin Helene
Friedrich Bodenstedt

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Sechstes Kapitel.

Wir überspringen einen Zeitraum von drei Jahren, innerhalb welcher das Schicksal unsere drei Heldinnen nach drei verschiedenen Richtungen versprengt hatte, um sie dann bei einer traurigen Veranlassung wieder auf ein Kurzes zusammenzuführen.

Isabella war nicht allein glücklich – wie man so zu sagen pflegt – mit ihrem dicken Baron von Swedendorp verheirathet, sondern auch bereits Mutter eines Knäbleins, das ganz nach dem Vater arten zu wollen schien, und lebte mit diesem – der nur nach der Hauptstadt gekommen war, um sich eine Frau zu suchen – aus einem entfernten Gute, wo ihre Mutter die Sommermonate bei ihr zubrachte.

Ida machte als sehr lebenslustige Gemahlin des englischen Gesandten ein großes Haus in der Residenz, war der Liebling des Hofes und der ganzen Gesellschaft und auch bereits Mutter eines allerliebsten Töchterleins mit goldigen Haaren.

Helene hatte nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise mit ihrem Gatten nur noch anderthalb Jahr in der Residenz gelebt, nach welcher Zeit Graf Bender in den Hofdienst seines Landesherrn als Geheimer Cabinetsrath berufen wurde.

Die traurige Veranlassung, welche die drei jungen Frauen nun gerade drei Jahre nach Helenens Hochzeit im Amtsschlosse wieder zusammenführte, war der Tod der Frau Amtmännin, welche ein bösartiges Scharlachfieber dahingerafft hatte. Die beiden Töchter wollten ihrer Mutter die letzte Ehre erweisen, und Ida war gekommen, um die von ihr schwärmerisch geliebte Helene einmal wiederzusehen und sie über allerlei Dinge auszufragen, die sich brieflich nicht gut mittheilen ließen.

Helenens eheliches Glück ließ nämlich, wie Ida wußte, viel zu wünschen übrig, obgleich sie sich in Nichts geändert hatte, als im Ausdruck ihres Gesichts, der viel ernster geworden war, eben in Folge der unerfreulichen Verhältnisse, in welchen sie lebte.

Anfangs war Alles gut gegangen: Graf Bender schien überglücklich, die von ihm so leidenschaftlich Umworbene endlich sein nennen zu können, und die Hochzeitsreise in Italien bot des Anregenden und Zerstreuenden soviel, daß das junge Paar kaum zum Nachdenken über sich selbst kam. Hin und wieder schien es Helenen freilich, als ob ihr Gemahl große Anlagen zur Eifersucht habe. Allein sie nahm die Sache von der scherzhaften Seite und er ließ sich das bei dem häufigen Wechsel der Scene auch gefallen. War er doch immer in ihrer Nähe und Zeuge der huldigenden Aufmerksamkeiten, welche man der schönen und harmlosen Frau überall erwies.

Aber nach der Rückkehr in die Residenz gestalteten sich die Dinge anders. Gab es auch zu jener friedlichen, längst vergangenen Zeit, in welcher unsere Geschichte spielt, bei den kleinstaatlichen Gesandtschaften nicht viel zu thun, so mußte er doch immer einige Stunden täglich auf dem Büreau zubringen und blieb zuweilen sogar den halben Tag fort, so daß seine Gemahlin häufig allein war und sich dann, nach Erledigung ihrer häuslichen Angelegenheiten, am liebsten mit Singen oder Lesen die Zeit vertrieb. Musik und Gesang waren ihr zum Lebensbedürfniß geworden und sie setzte ihre in Paris begonnenen Studien eifrig fort, zumal ihr kein lebender Ehesegen beschieden war. Ihr Gemahl aber, einst so begeistert von ihrer Stimme, schien im Laufe der Zeit an ihrem Gesange immer weniger Gefallen zu finden; besonders wenn sie in Gesellschaften sang, erweckte der Beifall, der ihr gespendet wurde, in ihm nur Unmuth. Als sie das bemerkte und ihn nach der Ursache seiner Verstimmung fragte, erwiderte er ziemlich barsch: »Laß die Leute in die Concerte gehen, wenn sie singen hören wollen; ich finde es nicht passend, daß Du Dich immer dazu hergiebst, ihnen was vorzusingen.«

»Wenn Du es wünschest, werde ich künftig nur in meinem Zimmer singen,« antwortete sie, und da er nicht wieder einlenkte, so zog sie sich eine Zeit lang ganz von den Gesellschaften zurück. Doch auch damit war er nicht zufrieden; er hielt ihr die Pflichten ihrer Stellung vor und quälte sie so lange bis sie sich entschloß wieder auszugehen. »Aber was soll ich denn sagen, wenn man mich anfordert zu singen?« fragte sie.

»Schütz' Kopfweh, oder Halsweh, oder dergleichen vor!«

»Mit Kopf- oder Halsweh geht eine vernünftige Frau nicht in Gesellschaft, und den Leuten die Unwahrheit zu sagen kann unmöglich zu meinen ehelichen Pflichten gehören.«

»So sag' was Du willst, um Dich nicht immer zur gehorsamen Dienerin Anderer zu machen.«

Unter dem Eindruck dieser Belehrung, der kein versöhnendes Wort gefolgt war, kam Helene etwas verstimmt in die nächste Gesellschaft, und sie sagte nur die Wahrheit, als sie alle Bitten, sich hören zu lassen, mit den Worten ablehnte: »Ich bin heut wirklich nicht aufgelegt zum Singen!«

Ein paar Tage später war eine große Gesellschaft bei Ida, welche sie gleich mit den Worten empfing: »Aber heute, liebes Herz, mußt Du aufgelegt sein zum Singen; ich lasse mich nicht abweisen: Liszt ist hier und wird Dich begleiten.«

»Es geht nicht,« erwiderte Helene kopfschüttelnd.

»Warum sollt' es nicht gehen?«

»Otto wünscht nicht, daß ich in Gesellschaft singe, und als gehorsame Frau muß ich mich fügen.«

»Otto ist nicht recht bei Trost, und ich müßte dasselbe von Dir sagen, wenn Du Dich so von ihm tyrannisiren ließest. Du verdirbst ihn nur noch mehr durch Deine Nachgiebigkeit; ich kenne ihn besser als Du, und habe schon öfter bemerkt, welche eifersüchtige Blicke er auf Jeden schießt, der mit Dir eine Unterhaltung führt, die über gewöhnliche Phrasen hinausgeht.«

Helene erwiderte nichts, mußte aber ihrer Freundin innerlich Recht geben, welche nun den Grafen Bender dermaßen in's Gebet nahm, daß er seine Frau ganz kleinmüthig bat: ihm den Gefallen zu thun, an diesem Abend zu singen. Sie sagte, sie sei nicht aufgelegt dazu, und sie war es in der That nicht; sie wurde es aber, als Liszt, auf Ida's Bitten, anfing zu spielen. Die Gewalt seiner Töne riß sie mit sich fort, und sie sang dann auch in einer Weise, daß der Meister selbst davon bezaubert war und ihr seine Bewunderung in begeisterten Worten ausdrückte.

Alles war entzückt, nur Graf Bender nicht, der mürrischer als je mit seiner Frau nach Hause zurückkehrte. Er fand, daß sie sich viel zu eifrig mit Liszt unterhalten habe, der »das Verderben aller Frauen sei.«

»Nun, mich hat er bis jetzt nicht verdorben,« erwiderte sie, »und wird mich auch nicht verderben, aber ich mache Dir gar kein Hehl daraus, daß ich mich gern noch länger mit ihm unterhalten hätte, da ich gefunden habe, daß er nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein geistvoller Mann ist. Wenn Du aber wünschest, daß ich mich nicht mit Männern von besonderer Begabung unterhalten soll, so führe mich nicht in Gesellschaften, wo ich solche finde.«

»Es scheint, daß ich Dich mehr für Andere, als für mich geheiratet habe, denn ich habe am wenigsten von Dir,« entgegnete er mit seiner unangenehm scharfen Stimme.

»Weil Dir am wenigsten daran gelegen ist! Alles was Dir früher an mir anziehend erschien, erscheint Dir jetzt abstoßend, und ich begreife überhaupt nicht, warum Du mich eigentlich geheirathet hast.«

»Um eine Frau zu haben, bei der ich Glück zu finden hoffte.«

»Ich habe Alles gethan, was in meinen Kräften stand, um Dich glücklich zu machen, aber ich sehe jetzt, daß es unmöglich ist, weil Du selbst nicht weißt, was Du willst. Mir sagte immer eine innere Stimme, daß Du nicht der rechte Mann für mich seist, und ich habe Dir nie Liebe vorgeheuchelt, Dir nie aus meinen wahren Empfindungen ein Hehl gemacht, Nichts unterlassen um Dir von einer Verbindung abzurathen, zu welcher mein Herz mich nicht trieb. Meine einzige Schuld ist, daß ich mich durch Dein stürmisches Drängen und das Zureden meiner Mutter doch endlich habe bewegen lassen, Dir meine Hand zu reichen. Ich muß schwer dafür büßen, denn von dem Glücke, das nach Deinen Versicherungen der Hochzeit folgen sollte, habe ich noch nichts gemerkt und Dein Betragen war nicht dazu angethan Liebe in mir zu erwecken. Ich bin geblieben, wie Du mich kennen gelernt, aber Du hast Dich in mir unbegreiflicher Weise verändert: an die Stelle Deiner schwärmerischen Hingebung, Deiner glühenden Liebesbetheuerungen sind die kleinlichsten Nergeleien getreten, die zu Nichts dienen können, als mir das Leben zu verbittern. Ich sage Dir das offen heraus, um Dir darzuthun, daß, wenn es Dir Freude macht, mich auch ferner in so unwürdiger, ganz unmännlicher Weise zu quälen, ich nicht gesonnen bin, mir das länger gefallen zu lassen. Du sollst wissen, daß ich als Gräfin Bender Deine Frau bin, nicht aber Deine Sklavin.«

Sie sagte dies so hochaufgerichtet und ihn leuchtenden Auges dabei ansehend, daß er neben der prächtigen Gestalt eine traurige Figur machte und unwillkürlich die Augen niederschlug. Erst nach einer Pause erwiderte er: »Ich hätte nicht gedacht, daß der Name einer Gräfin Bender ein so geringer Ersatz für Deine geopferte Freiheit wäre.«

Sie maß ihn vom Scheitel bis zur Sohle mit den Augen und verließ schweigend das Zimmer.

Trotz solcher Scenen war, durch Ida's Einfluß, die immer wieder ein wenigstens äußerlich gutes Einvernehmen herzustellen wußte, das Leben für Helene in der Residenz noch erträglicher, als es später werden sollte. Sie hatte einen festen Rückhalt an Ida, war in der Nahe einiger ihrer Verwandten, dazu bei Hof gern gesehen und überhaupt in der Gesellschaft sehr beliebt. Niemand, außer Ida, wußte von ihren häuslichen Erlebnissen, aber Jedermann fand, daß Graf Bender neben ihr eine seltsame Rolle spiele. Ja, seine mißtrauische Unruhe, seine feierliche Wichtigkeit in unbedeutenden Dingen und sein immer zugeknöpftes Wesen machten ihn sogar in den Augen Vieler zu einer komischen Figur, um so komischer, je ernster er aussah.

»Du hältst Dich für einen wahren Mustermenschen,« sagte Ida einmal zu ihm, »weil Du nicht spielst, nicht trinkst, nicht rauchst, nicht lachst; aber damit ist doch noch Nichts gethan, sondern nur allerlei unterlassen. Wenigstens einmal im Jahre muß der bewegliche Mensch ausschlagen: thun das doch selbst die festwurzelnden Bäume.«

Von Ida ließ er sich dergleichen, wenn auch ungern, gefallen, aber gegen Andere zeigte er sich äußerst empfindlich. So konnte er selbst Helenen den ihr in großer Erregung entschlüpften Ausdruck, daß sie sein Benehmen gegen sie unmännlich finde, nicht vergessen. Nun wurde ihm einmal hinterbracht, daß ein witziger Herr, dem er schon deshalb gram war, weil Helene seine Unterhaltung angenehm fand, von ihm gesagt habe: er sei nur der Schatten seiner strahlenden Frau. Er stellte seinen vermeintlichen Gegner zur Rede, der sich gar nicht erinnerte den Ausdruck gebraucht haben; aber da ihn Graf Bender feiger Ausrede zieh, kam es zu einem Duell, wobei Graf Bender seinen Gegner fehlte und dieser seine Pistole in die Luft abfeuerte, so daß alles unschädlich vorüberging. Aber die Sache war Helenen verrathen worden und der Gedanke, daß um ihretwillen ein Menschenleben könne geopfert werden, versetzte sie in die peinvollste Aufregung, die dann schnell in lebhafte Freudenausbrüche umschlug, als sie ihren Gatten heimkehren sah und von ihm erfuhr, daß kein Blut geflossen sei. Sie überhäufte ihn mit den zärtlichsten Vorwürfen und er ließ es sich gern gefallen, die Sache von ihr so gedeutet zu hören, als ob er sein Leben für sie auf's Spiel gesetzt habe, während es sich doch nur um seine eigene Person gehandelt hatte.

Das Ereigniß brachte eine günstige Wendung in das Verhältniß der Beiden, die nun ein halbes Jahr lang in so gutem Einvernehmen lebten, als es bei der Verschiedenheit ihrer Charaktere und Neigungen nur irgend möglich war. Aber als dann die Berufung Graf Benders an seinen heimischen Hof erfolgte, gestalteten sich die Dinge bald wieder anders. Der Obersthofmeister und ein paar alte knöcherige Tanten benahmen sich so hofmeisterlich und vornehm protegirend gegen Helene, und mischten sich so viel in ihre häuslichen Angelegenheiten, daß es ihr auf die Dauer unerträglich wurde. Man zwang sie in einen steifen, in seiner trostlosen Oede sich täglich wiederholenden Familienverkehr hinein, der ihr nichts brachte, als Langeweile und Zeitverlust, so daß sie nach wenigen Wochen schon bei dem bloßen Gedanken gähnte, nun wieder den Nachmittag oder den Abend in solcher Gesellschaft zubringen zu müssen. Die Tanten überhäuften sie immer mit guten Rathschlägen, wovon einer dem andern widersprach, und musterten soviel an ihr herum, daß sie oft irre an sich selbst wurde. Der Obersthofmeister zeigte sich gern in seiner Würde als Familienhaupt und steifte sich jetzt so darin, als ob er Alles dadurch vergessen machen wollte, was er früher Schmeichelhaftes zu oder über Helene gesagt, als er sie noch für eine Italienerin von hoher Abkunft gehalten. Dazu kam, daß am Hofe noch die alte strenge Etikette herrschte, welche unebenbürtigen Frauen den Zutritt zur Tafel und zu Soiréen nicht gestattete, auch wenn sie noch so hoch hinaus verheiratet waren. Nun hätte man zu Gunsten Helenens, die den höchsten Herrschaften ausnehmend gefiel, gern eine Ausnahme gemacht, wenn sie nicht Sängerin gewesen wäre. Diesen Makel zu tilgen fand selbst der Obersthofmeister keinen Rath, denn so peinlich es ihm auch war, die Gemahlin seines Sohnes von den Hofgesellschaften ausschließen zu müssen, so fühlte er sich doch entschieden mehr als Obersthofmeister, denn als Schwiegervater. Sängerinnen konnten bei Hofe zugelassen werden, um sich einer Audienz zu erfreuen, oder zu singen, aber nicht als mitzählende Glieder der bessern Gesellschaft, zu welcher Helene in der kürzlich verlassenen Residenz doch vollgültig gerechnet wurde. Diesen innern Widerspruch äußerlich zu lösen, erschien dem würdigen Obersthofmeister als keine leichte Aufgabe. Aber da die höchsten Herrschaften Helene durchaus singen hören wollten, so mußte schnell ein Ausweg gefunden werden. Einstweilen schlug der alte Graf vor, Helene ganz allein einzuladen, was sofort genehmigt wurde; aber da er es für seine Pflicht hielt, seiner Schwiegertochter die Gründe ihrer gesonderten Einladung zu erörtern, hielt sie es nicht minder für ihre Pflicht, ihm zu erklären, daß sie es vorziehe gar nicht an den Hof zu kommen, als so gleichsam unter der Hand zugelassen zu werden. Der Obersthofmeister war ganz außer sich, zum Erstenmale auf so entschiedenen Widerstand in seiner Familie zu stoßen, aber es blieb ihm Nichts übrig, als die Sache höchsten Orts zu melden, natürlich in möglichst gesiebten Worten. Zu seiner Verwunderung erhielt er nun vom Fürsten die alle Schwierigkeiten mit einem Hauche lösende Antwort: »Die junge Gräfin gefällt mir; sie hat Charakter; das merkt man auch ihrem Gesange an. Ich wünsche sie heute bei Tafel zu sehen, und morgen beim Hofconcert: aber nicht zum Singen, sondern zum Zuhören, wie die andern Damen.«

Der Obersthofmeister hütete sich wohl, Helenen den einfachen Verlauf der Sache ebenso einfach zu schildern; er stellte ihr den Erfolg als einen Triumph seines Ansehens und seiner Weisheit vor, was auf sie sehr wenig Eindruck machte. Sie wurde bald so beliebt und so gut verstanden bei Hof, daß sie sich dort wohler fühlte, als in der Bender'schen Familie, welche natürlich jede Freundlichkeit, die Helene widerfuhr, auf Rechnung ihrer gräflichen Beziehungen setzte und sie für sehr herzlos und undankbar hielt, weil sie nicht viel Aufhebens davon machte. Besonders die alten Tanten, welche von vornherein gegen die Verheirathung ihres lieben Otto mit Helenen am heftigsten protestirt hatten, wurden nicht müde ihn und seinen Vater gegen sie aufzuhetzen, so daß sie zu Hause und in der Familie nichts über sich hörte, als Klagen, für deren Hauptgrund galt, daß sie sich zuviel mit Musik und Gesang und zu wenig mit dem Haushalt beschäftige, dem lieben Otto kein gemüthliches Heim zu bereiten wisse, woran dieser zuletzt, weil er es täglich hörte, selbst glaubte. Sie wurde überwacht wie ein Schulkind und Alles, was den Tanten nicht gefiel an ihr, wurde getadelt. Sie sah sich wie von einem Netze umspannt, aus dem nur zu entrinnen war, wenn sie es zerriß; und sie entschloß sich, es zu zerreißen, indem sie die ihr zur Pflicht gemachten täglichen Besuche bei den alten Tanten plötzlich aufgab. Diese hielten das für offene Empörung und machten dem jungen Grafen den Kopf so warm, daß es wieder zu heftigen häuslichen Scenen kam. Graf Otto erklärte ihr, daß er von ihr verlangen müsse, seinen Tanten in jeder Weise entgegenzukommen, da sein eigenes Vermögen sehr unbedeutend sei, und er von ihnen noch viel zu erwarten habe. Helene erwiderte: »Thue Du, was Du für recht hältst; ich thue, was ich für recht halte. Ich habe Deinen Tanten gegenüber das Menschenmögliche geleistet: mehr kann und will ich nicht thun. Wenn sie mich sehen wollen, mögen sie zu mir kommen; ich bin nur zu oft bei ihnen gewesen, um ihre täglich widerholten Albernheiten anzuhören, gegen welche Du mich nie in Schutz genommen hast, wie es doch Deine Pflicht gewesen wäre. In meinem eigenen Hause werde ich wissen, mich selbst zu schützen.«

Graf Otto, im Kraftgefühl der hinter ihm stehenden Familienmacht, erging sich nun in den listigsten Anklagen gegen Helene, wobei alles wieder aufgerührt wurde, was jemals zwischen ihnen Störendes vorgekommen war, und er schloß seine, ihm größtenteils von den Tanten einstudirte Rede mit der Drohung, sich von ihr scheiden zu lassen, wenn sie sich künftig nicht unbedingt fügen wolle.

»Du sprichst da,« rief sie, »ein lösendes Wort aus, das ich nicht über die Lippen gebracht hätte; aber da es einmal gesagt ist, so erwidere ich darauf: je eher Du Deine Drohung erfüllst, desto dankbarer werde ich Dir sein.«

Auf diese Antwort war er so wenig gefaßt gewesen, wie sein Vater und seine Tanten, welche die Ehre, dem gräflich Bender'schen Familienkreise anzugehören, für das höchste irdische Glück hielten und nicht geglaubt hatten, daß Helene sich so raschen Entschlusses davon scheiden könnte. Sie suchten jetzt Alle, schon des Hofes wegen, wieder einzulenken und sie viel rücksichtsvoller zu behandeln. Von Scheidung war nicht mehr die Rede; vielmehr schien in Graf Otto die alte Glut wieder aufzuleuchten, aber ohne besonderen Eindruck auf Helene.

Zu diesem Stand der Dinge kam ein Besuch Sir Arthur's, der sich nach seinem alten Lieblinge einmal wieder umsehen wollte und bald merkte, was er schon lange befürchtet hatte, daß es der eingefangenen Nachtigall in ihrem Käfig nicht besonders gefiel, obgleich Helene durch kein Wort verrieth, was zwischen ihr und Graf Otto vorgegangen. Sie empfing ihn mit alter Herzlichkeit, aber sein Besuch erweckte ihr doch neben großer Freude auch traurige Gedanken bei dem sich unwillkürlich aufdrängenden Vergleich zwischen Einst und Jetzt. Auch entging ihr so wenig wie ihm, daß er der Bender'schen Familie kein sehr willkommener Gast war, vielmehr mit höchst eifersüchtigen Augen betrachtet wurde. Er würde deshalb auch nur wenige Tage geblieben sein, wenn ihn nicht der Fürst, dem er außerordentlich gefiel, zurückgehalten hätte. Da kam plötzlich die Nachricht von der schweren Erkrankung der Mutter Helenens, und diese reiste sofort zu ihr. Man hatte ihr, solange das Scharlachfieber nicht gefährlich schien, nichts davon geschrieben und jetzt kam sie zu spät um ihre Mutter noch am Leben zu finden. Ihre Trauer war groß und aufrichtig, aber zugleich fühlte sie doch mit kindlicher Genugthuung, welchen Trost sie ihrem Vater gewähren konnte. Ida, der sie ihr ganzes Herz erschloß, bestärkte sie in ihrem schnell gebildeten Entschluß, Graf Otto zu bitten, seine Scheidungsdrohung zu verwirklichen. Einstweilen blieb sie bei ihrem Vater, zu dem bald auch Sir Arthur kam, so daß das Schloß wieder so gemüthlich belebt wurde, wie es nach dem Trauerfalle irgend möglich war. Helene hatte in Sir Arthur einen zu guten Freund, um ihm auf die Dauer vorenthalten zu können was ihr Herz bewegte, und er war, gleichwie ihr Vater, ganz der Ansicht Ida's, daß eine Scheidung besser sei, als das Fortleben in so unerquicklichen Eheverhältnissen, zu dem keine Mutterpflichten sie fesselten, sondern nur ein Mann, der das Wort der Scheidung selbst zuerst ausgesprochen hatte. Diese kam dann auch wirklich zu Stande, aber erst nach einem halben Jahre, da Graf Otto sich anfangs auf's Entschiedenste dagegen sträubte und wieder ganz so anfing, den glühenden Liebhaber zu spielen, wie vor der Ehe. Allein Helene wußte am besten was von dieser Glut zu halten war, und blieb unerbittlich. Solange ihr Vater lebte, blieb sie den größten Theil des Jahres bei ihm, glücklich, wieder ihrer Freiheit genießen und seinen Lebensabend verschönern zu können. Die übrige Zeit brachte sie in London zu, wo sie während der Saison unter ihrem früheren Namen als Sängerin auftrat und Gold und Lorbeern die Fülle erntete. Nach dem Tode ihres Vaters, der nach vier Jahren erfolgte, lebte sie ganz der Kunst, und wenn man in ihrem Geburtsort, dem sie viele Wohlthaten erwies, von den Triumphen der berühmten Sängerin Leonardi in den Zeitungen las, hieß es immer: »Das ist unsere Gräfin Helene!«

Sie blieb unverheirathet, während Graf Bender sich im Laufe der Zeit wieder vermählte. Sie begegnete ihm einmal zehn Jahre nach ihrer Trennung in Baden-Baden mit seiner neuen Frau, die für sehr reich galt, aber bei aller Eleganz so häßlich war, daß sie ihm unmöglich Grund zur Eifersucht geben konnte. Trotzdem sah er noch ebenso säuerlich mürrisch aus, wie früher; ein Beweis, daß die Häßlichkeit der zweiten Frau ihn nicht glücklicher gemacht hatte, als die Schönheit der ersten.


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