Friedrich Bodenstedt
Gräfin Helene
Friedrich Bodenstedt

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Drittes Kapitel.

Der Zufall wollte, daß an demselben Tage, da Helene in Paris eintraf, Graf Bender wieder zum Besuch in's Amtshaus kam. Er würde schon früher gekommen sein, wenn er bessere Nachrichten von Haus mitzubringen gehabt hätte; allein seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt; sein Vater wollte von Helene nichts wissen und bat ihn, sich nicht länger der thörichten Hoffnung hinzugeben, jemals den elterlichen Segen zu einer Mißheirath zu erlangen. Der Vater schrieb unter Anderm: »Daß Du Dich in ein hübsches Bürgermädchen verliebt hast, nehme ich Dir nicht übel; daß Du Dich ihr gegenüber durch Nichts gebunden hast, war klug gehandelt, wie es von Dir zu erwarten stand: um so leichter ist es Dir jetzt, Dich ganz von ihr zurückzuziehen, was ich von Dir so sicher hoffe, wie ich auf Deine Liebe baue; denn Du hast zu viel Verstand um nicht einzusehen, daß die großen Vortheile Deines Standes Dir auch große Entsagungspflichten auferlegen, und daß jede Stufe, die man abwärts steigt, ein Schritt ist, der zum Verderben führt.«

Der junge Graf war von früh auf so daran gewöhnt, sich der väterlichen Autorität zu beugen, daß er auch jetzt alles Mögliche that, sich jeden Gedanken an Helene aus dem Kopfe zu schlagen; allein ihr sonniges Bild umschwebte ihn im Wachen und im Träumen, störte ihn in seinen Arbeiten, wenn er es verscheuchen wollte, und machte ihm Alles leicht, wenn er sich seinem Zauber hingab.

So kam er nach langem Kampfe mit sich selbst endlich zu dem Entschlusse, Helene auch ohne die Einwilligung des Vaters zu heirathen, wenn sie ihn ebenso liebte wie er sie. Dies durch ein offenes Geständniß zu ermitteln, war der Zweck seines zweiten Besuchs. Und nun sollte er sie gar nicht mehr finden! Er war so unglücklich darüber, daß er nicht wußte, was mit sich anzufangen, und sich selber verwünschte, nicht einige Tage früher gekommen zu sein. Doch wollte er nicht ganz unverrichteter Sache umkehren und wenigstens dem Vater mittheilen, was er der Tochter nicht mehr sagen konnte. Er beichtete dem Amtmann Alles, der ihn ruhig anhörte und erwiderte: »Ich begreife vollkommen Ihre Liebe zu Helenen, Herr Graf, denn obwohl sie mein eigenes Kind ist, muß ich sagen: es giebt kein herzigeres Mädchen auf der Welt, so ganz unverdorben, ohne Falsch und Flitter. Mein ganzes Haus kommt mir verödet vor, seit sie fort ist. Wie könnt' ich nun etwas Anderes wünschen als mein Kind glücklich zu sehen? Findet sie, daß die Verbindung mit Ihnen sie glücklich machen kann, so wird Ihnen Beiden mein Segen nicht fehlen, trotz des Widerspruchs Ihres Vaters, dessen Bedeuten ich übrigens von seinem Standpunkt aus begreife, zumal er Helene nicht kennt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Also erlauben Sie, daß ich Fräulein Helene schreibe, was ich Ihnen gesagt habe?«

»Gewiß, und ich werde ihr ebenfalls schriftlich mittheilen, was ich Ihnen erwidert habe.«

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Wenn Sie erlauben, werde ich meinen Brief von hier aus datiren.«

»Thun Sie das; Sie können dann gleich den meinigen einlegen.«

Graf Bender zog sich in sein Zimmer zurück und fing an zu schreiben. Es wurde ihm einigermaßen schwer, das Tintenfaß zum Vermittler seiner Gefühle zu machen. Geschäftsbriefe und Depeschen sprangen ihm leicht aus der Feder, aber in Liebesbriefen hatte er noch keine Erfahrung. Zum Erstenmale klaffte vor ihm die tiefe und weite Kluft zwischen Empfindung und Ausdruck. Kein Weg schien ihm jetzt so lang zu sein, als der vom Herzen zur Hand. Es kam ihm vor, als wäre es leichter einen hochfliegenden Adler mit der Kugel zu treffen, als hochfliegende Gedanken und Empfindungen mit der Feder. Doch indem er durch solche Bilder und Gleichnisse zu veranschaulichen suchte, daß seine Worte nur Schatten seiner Gefühle seien, gab er dem Briefe eine Würze, welche lange Liebesergüsse immer schmackhafter macht als sie sonst zu sein pflegen. Der Amtmann war gerade zwei Stunden früher fertig geworden als sein Gast, der noch bis in die Nacht hinein geschrieben haben würde, wenn der Diener ihn nicht zum Thee abgerufen hätte.

Während die beiden Herren beim Thee saßen, saß Piper, das vielgeschäftige Factotum des Amtmanns, in der Wirthsstube »Zum Bären«, um bei einem Glase Grog die Meinungen der Gäste in Bezug auf die Vorgänge im Amtshause in eine andere Richtung zu bringen, als sie in den letzten Wochen genommen hatten. Er suchte den Pfahlbürgern klar zu machen, daß es im Schlosse keineswegs so schlimm stehe, wie sie glaubten; die Pferde seien nur verkauft worden, weil der Landesherr sie für seinen Marstall zu haben wünschte und weil man sie augenblicklich nicht brauche, da die Frau Amtmännin mit Fräulein Isabella zu längerem Aufenthalt nach der Residenz, und Fräulein Helene nach Paris gereist sei, um erst die große Welt ein wenig kennen zu lernen, ehe sie sich mit dem Grafen Bender vermähle, der so verliebt in sie sei, daß er lieber heute Hochzeit machen möchte, als morgen.

Piper's Worte blieben nicht ohne gute Wirkung, denn er erfreute sich, trotz seines verkommenen Aeußern, eines gewissen Ansehens in der Stadt, besonders bei den kleineren Leuten, die ihn als ein Orakel in juristischen Dingen betrachteten, da er mit lateinischen Brocken um sich warf, wie ein Studirter, und mit seinen guten Rathschlägen billiger war, als die Advokaten. Dazu schrieb er eine so schöne und saubere Hand, daß selbst der Amtmann immer seine wichtigsten Sachen seiner Feder anvertraute, obgleich Niemand begreifen konnte, wie Piper es anfing, seine schmutzigen Hände und immer von Fett glänzenden Aermel mit dem weißen Papier in Berührung zu bringen, ohne Flecken darauf zurückzulassen. Aber der Amtmann versorgte ihn mit grünen Schutz- oder Schreibärmeln, die er überziehen mußte, sobald er sich an den Tisch setzte; und von dem Schmutz der Hände war Nichts zu befürchten, denn der saß so fest an der Haut, daß er nicht davon abließ.

Uebrigens wäre Piper, seinen Mitteln nach, wohl im Stande gewesen sich reinlich zu kleiden und zu halten, allein eine gewisse geniale Sorglosigkeit hielt ihn davon ab, denn daß er ein Genie war, stand bei ihm so fest, wie bei den Bauern, für welche er Hochzeitsgedichte verfertigte, und von der Genialität war, nach seinem Dafürhalten, Vernachlässigung des äußeren Menschen so unzertrennlich, wie der Schmutz von seinen Händen, die nicht blos die Feder gewandt zu führen wußten, sondern ihm auch Kamm und Haarbürste ersetzten.

Das war der Piper, den wir schon früher flüchtig aus der aufgeregten Schilderung Isabellens kennen gelernt haben, die jetzt mit ihrer Mutter in der Residenz ein ganz vergnügtes Leben führte und sogar Aussicht auf eine glänzende Partie hatte, wie man einen bartlosen, in seinem Fett fast erstickenden jungen Mann nannte, der sehr reich sein sollte und Baron von Swedendorp hieß.

Graf Bender hatte nach seiner Rückkehr in die Residenz nicht verfehlt, den Damen seine Aufwartung zu machen und sie von dem Stande seiner Herzensangelegenheiten zu unterrichten, und die Frau Amtmännin glaubte ihm die Versicherung geben zu können, daß die Beantwortung seines Briefes völlig zu seiner Zufriedenheit ausfallen werde. Sie schrieb eilig selbst an Helene, um sie zu beschwören, ihr Glück nicht von der Hand zu weisen.

Helenens bald eintreffende Antwort auf Graf Benders Brief lautete im Wesentlichen wie folgt:

»Wie soll ich Ihnen meinen Dank ausdrücken für das rührende Vertrauen, womit Sie Ihr ganzes Herz vor mir enthüllen und Ihr Schicksal in meine Hand legen! Ach, lieber Herr Graf, Sie trauen dieser schwachen Hand zuviel zu! Wie glücklich würde ich sein, wenn ich alle die hohen Erwartungen erfüllen könnte, denen Sie in Ihrem Briefe Ausdruck geben, also vor Allem: wenn ich im Stande wäre, die aus Ihren Zeilen athmende Glut der Empfindung zu erwidern. Aber darf ich Gefühle heucheln, die ich nicht habe, nicht kenne, ja, nicht einmal verstehe? Nur soviel leuchtet mir ein, daß mein Gesang Ihnen sehr gefallen und mir Ihr Herz gewonnen hat. Dies zu hören und glauben zu können, hat mich nicht allein hoch erfreut, sondern Sie mir auch lieb gemacht und mein Selbstvertrauen erhöht. Wenn Ihnen aber mein Gesang schon in seinen ungeschulten Anfängen so sehr gefallen, um wieviel mehr wird er Ihnen später gefallen, wenn ihm erst die höhere Ausbildung geworden, zu welcher sich hier alte Mittel bieten. Diese zu erreichen ist der Zweck meines Aufenthalts in Paris. Erreich' ich dieses Ziel, so kann, was mich jetzt äußerlich von Ihnen entfernt, mich Ihnen innerlich nur näher führen. Gründe von der höchsten Bedeutung für mich, aber so delikater Natur, daß sie sich der Mittheilung entziehen, machen es mir zur Pflicht, mich vorläufig ganz frei zu erhalten, so daß ich erst nach Jahresfrist im Stande sein werde, Ihnen eine bestimmte Antwort auf Ihre mich so hochehrende Frage zu geben: ob ich mich entschließen könne, Ihnen für's Leben anzugehören. Jedenfalls kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß Sie keinen Nebenbuhler in meiner Gunst zu fürchten haben und daß ich nie einem Manne angehören werde, wenn nicht Ihnen« u. s. w.

Graf Bender hatte sich eine andere Erwiderung auf seine glühenden Ergüsse erwartet; er fand den Brief Helenens sehr kühl und abgemessen, dazu den Schluß durchaus räthselhaft. Nur soviel wurde ihm klar, daß sie keine allzugroße Sehnsucht hatte, in seine Arme zu fliegen. Doch die Liebe sieht alles, was sie erstrebt, mit verschönernden Augen; je öfter er den Brief las, desto mehr fand er darin, und zuletzt wollt' es ihn sogar bedünken, als ob sich sehr Vieles zu seinen Gunsten zwischen den Zeilen lesen lasse. Nur die geheimnißvolle Stelle, in welcher Helene erklärte, sich erst nach Jahresfrist bestimmt entscheiden zu können, und die »Gründe von der höchsten Bedeutung«, welche sie dazu veranlaßten, konnte er sich nicht deuten. Warum verschwieg sie ihm diese Gründe? Warum erwidert sie sein unbeschränktes Vertrauen nicht, da er ihr doch sein Herz bis auf die letzte Falte enthüllt hatte? Er fand keine Antwort auf diese Fragen, soviel er sich auch den Kopf darüber zerbrach. Er wollte ihr noch einmal schreiben und sie um Aufklärung bitten, aber eine gewisse Scheu, vielleicht auch ein gewisser Stolz hielt ihn davon zurück. Er vermied Helenens Mutter so lange wie möglich, da es ihm peinlich war mit ihr über den Stand der Dinge zu sprechen; allein auf die Dauer ließ sich das doch nicht umgehen, und er sagte ihr, als er sie zuerst wieder sah, nur, Helene habe ihm geschrieben, daß sie nie einem andern Manne angehören werde als ihm, aber einstweilen sich doch ihre Freiheit noch ein wenig bewahren möchte. –

Heimlich war die Mutter ganz außer sich, daß Helene nicht gleich mit beiden Händen zugriff, aber dem Grafen gegenüber suchte sie ihr Kind zu entschuldigen mit den Worten: »Sie ist eine eigene Natur, ganz verschieden von den andern Mädchen. Denken Sie sich nur, daß sie sich steif und fest in den Kopf gesetzt hatte, gar nicht heirathen zu wollen, da es ihr nirgends besser gefiele als zu Haus!«

Kurze Zeit darauf fügte sich's, daß Graf Benders Vater in außerordentlicher Mission auf einige Tage nach der Residenz kam und seinen liebekranken Sohn in nicht besonders angenehmer Stimmung traf. Dieser glaubte, wenn der Vater seine Einwilligung gleich gegeben hätte, so würde sich die Verlobung rasch gemacht haben und Helene dann nicht nach Paris gegangen sein, so daß er ein glückliches Bräutigamsleben mit ihr hätte führen können, während er jetzt abwarten müsse was die ungewisse Zukunft bringen werde.

Der alte Graf kehrte, trotz seiner höfischen Formen, gern den rauhen Krieger heraus, wo es anging; er hatte in Gesicht und Haltung ein gewisses martialisches Gepräge und sah es gern, wenn man ihn auch im Frack gleich als ehemaligen Militair erkannte. Die Verhältnisse hatten ihm seine Carrière sehr erleichtert, ihn aber dadurch nicht bescheiden gemacht, sondern vielmehr sein herrschsüchtiges Wesen, ungebrochen durch Widerstand, sehr ausgebildet und befestigt. In seiner Familie duldete er durchaus keinen Widerspruch und war auch außerhalb der Familie von seiner unirrenden Weisheit so fest überzeugt, wie der alte Polonius. Wenn er zu Jemanden, der nicht auf der Höhe seines Ranges stand, mit schnarrender Stimme sagte: »Aber erlauben Sie, Verehrtester!« so hieß das nicht weniger als: »Wie kommen Sie nur zu der Kühnheit, über die Sache anderer Meinung zu sein, als ich?«

Nun hatte der verliebte Sohn auf den Brief des Vaters Einiges erwidert, was diesem nicht ganz mundgerecht war, da es zu wenig nach Unterwürfigkeit schmeckte. Er ließ dergleichen nie stillschweigend hingehen und berührte den kitzlichen Punkt jetzt in einer Weise, die den Sohn empfindlich verletzte. Es kam zu eingehenden Erörterungen, welche bald einen sehr gereizten Charakter annahmen, und zwar hauptsächlich durch die Schuld des Vaters, unter dessen obersthofmeisterlichem Firniß sich ein gutes Theil sittlicher Roheit barg, von welcher die Bemerkungen, die er sich jetzt über Helene erlaubte, starke Spuren trugen. Der junge Graf hatte nicht umhingekonnt zu gestehen, daß er an Helene geschrieben habe, und er zeigte dem Vater ihre Antwort gern, als besten Beweis, daß ihr der Ehrgeiz fern liege, sich in die gräfliche Familie einzudrängen.

»Aber lieber Otto,« sagte der alte Herr, nachdem er den Brief gelesen, mit seinem gewohnten Ausdruck unirrender Ueberlegenheit – »aber lieber Otto, bist Du denn noch ein solcher Neuling in dieser verderbten Welt, um die Gründe nicht zu begreifen, welche das Mädchen abhalten, dir gleich jetzt in die Arme zu fliegen? Sie wird wohl wissen, warum sie vor Jahresfrist nicht in die Heimath zurückkehren kann. »Gründe von der höchsten Bedeutung für mich« . . . sehr gut gesagt, wahrhaftig! Warum enthüllt sie Dir diese gewiß für sie höchst bedeutenden Gründe nicht? Doch wohl nur deshalb, weil sie sich nicht gut enthüllen lassen, wohingegen sie sehr leicht zu errathen sind. Dem alten Engländer mag's vielleicht passend sein, seinen schönen Schützling nach einem Jahre wieder loszuwerden; aber, wer weiß? vielleicht auch nicht; darum wird die Sache so in's Unbestimmte hinausgeschoben, aber vorläufig ein Jahr als Entscheidungsfrist festgestellt. Und einen studirten Sohn zu haben, der das nicht begreift! Das heißt denn doch für einen Diplomaten die Unschuld ein bischen zu weit treiben!«

Der Sohn sah den Vater mit einem Blicke an, der mehr sagte, als Worte zu sagen vermögen; allein der Obersthofmeister war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen; gelassen fuhr er fort: »Mit mir ist nicht so leicht Komödie zu spielen; ich weiß nach dem Briefe jetzt genau, wie die Sache steht, und ich hoffe, Du wirst auch bald zu vernünftiger Einsicht gelangen.«

Damit verließ er das Zimmer, Graf Otto blieb wie zerschmettert zurück. Eine Kluft hatte sich zwischen ihm und seinem Vater aufgethan, die ihm unausfüllbar schien. Es bedurfte geraumer Zeit, ehe er sich soweit sammeln konnte, um an Helene zu schreiben und sie zu beschwören, ihm die rätselhaften Stellen ihres Briefes zu erklären, da für ihn Alles davon abhänge. Er wollte dem Vater zeigen, wie sehr dessen vermeintliche Klugheit ihn weitab vom Pfade der Wahrheit führe.

Aber der Brief blieb ohne Antwort; unglückliche Wochen der Erwartung verflossen, und der junge Mann, dem in der Aufregung jeder feste Halt fehlte, fing an irre an sich selbst, an Helene, an der ganzen Welt zu werden. Er hatte Gift getrunken, kein heilendes Gegenmittel gefunden, und das Gift fing allmählich an zu wirken. Er suchte Helenens Bild ganz aus seinem Herzen zu reißen, vermied allen Verkehr mit ihren Eltern, gab sich dagegen Zerstreuungen der großen Welt mit einem Eifer hin, wie nie zuvor, versäumte keine Gesellschaft, kein Concert, keine Theatervorstellung, ging spät zu Bett, stand spät auf, und so gelang es ihm, zwar nicht glücklich zu werden, aber doch die Zeit todtzuschlagen und ein Leben nach dem Wunsche des Vaters zu führen, der wieder ganz gemüthliche Briefe schrieb und den Sohn, nach Ablauf eines halben Jahres, wieder völlig am Gängelbande hatte.

Doch als der Frühling in's Freie lockte und die Gesellschaften immer seltener wurden, fühlte der junge Graf oft eine traurige Oede in seinem Herzen, obgleich er Helenens Bild doch nicht daraus zu bannen vermocht hatte. Aber was war sie ihm jetzt? Er suchte so gut es gehen wollte über die Erinnerungen an sie hinauszukommen; er war nicht mehr ganz aufrichtig gegen sich selbst. Den kurzen Urlaub, den ihm der Sommer brachte, wollte er zu einer Erholungsreise benutzen, mußte indeß erst einer Einladung seiner Eltern folgen, die ihn länger aufhielten, als ihm lieb war, da sie es darauf abgesehen hatten, ihn mit einer reichen Cousine zusammenzubringen, deren Ankunft sich von einem Tage zum andern verzögerte und endlich ganz unterblieb, weil die Aerzte ihr gerathen hatten, ihre Kur in Baden-Baden nicht zu unterbrechen. Der Vater rieth ihm nun, nach Baden-Baden zu gehen, was der Sohn auch zu thun versprach, allein es trieb ihn ein gewisses Verlangen, den Weg dahin über Paris zu nehmen. Er war doch begierig zu sehen, was aus Helene geworden sei, obgleich die Entscheidungsfrist, welche sie ihm bestimmt hatte, noch nicht ganz abgelaufen war. Allein er fand sie nicht, sondern erfuhr, daß sie mit der englischen Familie vor einer Woche abgereist sei.

»Also wieder zu spät gekommen, gerade wie im vergangenen Jahre!« murmelte er vor sich hin, als er wieder allein war; »es scheint, daß uns das Schicksal nicht für einander bestimmt hat.« Und ohne sich in Paris weiter aufzuhalten, reiste er nach Baden-Baden.


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