Friedrich Bodenstedt
Tausend und Ein Tag im Orient
Friedrich Bodenstedt

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Eilftes Kapitel.

Eine neue Seite der Weisheit des Mirza-Jussuf, und seine Polemik mit Mirza-Schaffy.

Der aufmerksame Leser des ersten Theils von Tausend und Ein Tag wird sich gewiß noch Mirza-Jussuf's erinnern, des Weisen von Bagdad, dem Mirza-Schaffy auf so schlagende Weise eine Probe seiner hohen Ueberlegenheit gab.

Mirza-Jussuf hatte, trotz seiner Niederlage im Kampfe der Weisheit, die Hoffnung nicht aufgegeben, mich zum Schüler zu gewinnen. Er wagte freilich nicht, mich wieder zu besuchen, aus Furcht von dem Weisen von Gjändsha abermals überrascht zu werden, aber er wußte andere Mittel und Wege ausfindig zu machen, mich von seinen Bestrebungen in Kenntniß zu setzen. Ein Bekannter von mir hatte schon seit längerer Zeit mit ihm Persisch getrieben und wirklich bedeutende Fortschritte in dieser Sprache gemacht, da es der Weise von Bagdad im Persischen und Arabischen sicher mit jedem Schriftgelehrten des Landes aufnehmen konnte. Ueberhaupt fehlte es ihm weder an Gelehrsamkeit noch an Verstand; es fehlte ihm nur an Charakter und Zuverlässigkeit; er war, 191 wie man sich in der Redeweise des Abendlandes ausdrücken würde, ein gelehrter Lump, einer von den Menschen die durch die Hinterthür wieder hereinkommen, wenn man sie zur Vorderthür hinausgeworfen. Es verging fast keine Woche, ohne daß er mir durch seinen Schüler Beweise seiner Zudringlichkeit gab. Bald ließ er irgend eine schmeichelhafte Bestellung an mich ausrichten, bald schickte er mir ein Gedicht, worin ich als ein wahrer Ausbund von Weisheit gepriesen wurde, bald ein Bild, worauf ich als Rustam auf einem Elephanten reitend dargestellt wurde.

Auf diese Bilder, welche er selbst anfertigte und zwar ohne alle Beihülfe von Farben, Pinsel oder Stift, indem er blos vermittelst seiner Nägel die Gestalten auf das Papier warf, oder richtiger gesagt, in das Papier kniff, und solchergestalt auf sehr künstliche Weise eine Art Relief erzeugte, – legte Mirza-Jussuf ganz besonders Gewicht und in der That war seine Fingerfertigkeit in dieser Beziehung allen Preises werth.

Ich äußerte mich deshalb auch sehr lobspendend über die mir geschickten Bilder, wovon ich einige noch ziemlich unversehrt aufbewahrt habe, – und sandte ihm als handgreiflichen Ausdruck meines Dankes einen buntverzierten persischen Spiegel, das angenehmste Geschenk das ich dem eitlen Manne machen konnte.

Nun aber war auch dem Uebermuthe Mirza-Jussuf keine Grenze mehr zu setzen; er zweifelte nicht länger daran, den Weisen von Gjändsha vollständig bei mir ausgestochen zu haben, und während er einerseits mich mit überschwenglichen Phrasen und Versen überschüttete, ging er anderseits so weit, Mirza-Schaffy in Knüppelversen zu verhöhnen. Zu gleicher Zeit ließ er mir durch seinen Jünger eröffnen, daß er die 192 schönen Bilder immer während des Unterrichts zu machen pflege und daß es ihm gar nicht darauf ankomme, in einem Abend drei Bilder zu kneifen und daneben drei Gasels zu singen, ohne für seinen Unterricht einen Denar mehr zu verlangen als Mirza-Schaffy.

Dem Weisen von Gjändsha war es aufgefallen, daß Mirza-Jussuf seit einiger Zeit den Kopf wieder gewaltig hoch trug und auf dem Bazar und in den Straßen so verächtlichen Blickes an ihm vorüberging ging, als ob er die Pantoffelscene vollständig vergessen hätte. Noch mehr nahm es ihn Wunder, von seinem Rival in Knüppelversen verhöhnt zu werden. Doch Mirza-Schaffy war kein Mann der sich um Kleinigkeiten erzürnte; er ertrug alle Ausbrüche des Jussuf'schen Uebermuths mit jener Ruhe der Ueberlegenheit, die dem Weisen von Gjändsha so wohl stand. Er begnügte sich damit, seinen Nebenbuhler hin und wieder durch ein paar Verse zurechtzuweisen, welche gewöhnlich mehr Spuren von Laune als von Gereiztheit trugen, wie z. B.

        Laß, Mirza-Jussuf, dein Schmollen jetzt!
Ich bin zu munter, um Dir zu grollen jetzt –
Statt Haß auszusäen wie Du es thust,
Schlürf ich ein meinen Becher, den vollen, jetzt!

Schon genug bist Du bestraft in der Welt hier,
Daß nichts Dir behagt, nichts gefällt hier –
Und ist doch für Jeden der zu genießen weiß,
Alles so herrlich gemacht und bestellt hier!

oder: 193

        Seht Mirza-Jussuf an, wie er gespreizt einhergeht!
So faltet er die Stirn, wenn er gedankenschwer geht.
Er findet Alles schlecht, sich selbst nur gut und löblich,
Und schimpft auf alle Welt, weil sie nicht geht wie er geht!

Es ist die Art des Ochsen, daß er einen schweren Gang hat,
Und daß sein Brüllen stets unangenehmen Klang hat –
Doch: giebt ihm das ein Recht, die Nachtigall zu schmähen,
Weil sie so leicht Gefieder und wundersüßen Sang hat?

Es entspann sich solchergestalt zwischen den beiden Weisen, was man bei uns eine Polemik nennen würde, wobei jedoch Mirza-Jussuf regelmäßig den Kürzeren zog, da er immer durch Bitterkeit ersetzen mußte, was ihm an Witz abging. Seine Bitterkeit verwandelte sich in förmliche Wuth, als ihm Mirza-Schaffy eines Tages folgendes Gedicht in's Haus geschickt hatte:

        Was Mirza-Jussuf doch
Ein kritischer Gesell ist!
Der Tag gefällt ihm nicht,
Weil ihm der Tag zu hell ist.
Er liebt die Rose nicht,
Weil Stachel sie und Dorn hat,
Und liebt den Menschen nicht,
Weil er die Nase vorn hat!

Er tadelt Alles rings,
Was nicht nach seinem Kopf ist –
Merkt Alles in der Welt,
Nur nicht, daß er ein Tropf ist! 194
So liegt er immer mit
Natur und Kunst im Kampf,
So treibt es Tag und Nacht ihn
Durch blauen Dunst und Dampf!
Mirza-Schaffy belacht ihn
Mit schelmischem Gesicht,
Und macht aus seiner Bitterkeit
Das süßeste Gedicht!

Mein weiser Lehrer sang mir in der Unterrichtsstunde diese Verse vor, ließ sich eine frische Pfeife bringen, schlürfte ein Glas Wein herunter und theilte mir dann seine Absicht mit, Mirza-Jussuf bei der ersten besten Gelegenheit eine neue, handgreifliche Zurechtweisung zu geben, da der Weise von Bagdad in der Wuth seiner Ohnmacht allerlei Unwahrheiten über uns verbreitet habe, so z. B. daß ich mir alle mögliche Mühe gebe, ihn zum Lehrer zu gewinnen, weil mit Mirza-Schaffy durchaus nichts anzufangen wäre, und besonders weil ich eine große Liebhaberei für das Bilderkneifen hätte, eine dem Weisen von Gjändsha vollständig unbekannte Kunst. Ich hätte deshalb schon verschiedene Lockmittel angewendet, um den Weisen von Bagdad zu bewegen wieder zu mir zu kommen; unter anderem hätte ich ihm einen prächtigen Spiegel geschenkt, und ihm noch viele andere prächtige Dinge versprochen.. »Das einzig Wahre an der Geschichte ist – entgegnete ich Mirza-Schaffy – daß ich dem Weisen von Bagdad allerdings einen Spiegel geschenkt habe, einen kleinen, bunt verzierten persischen Taschenspiegel. Dieses Geschenk war aber keinesweges berechnet ein Lockmittel zu sein, deren es, wie Du selbst weißt, weder für den Weisen von Bagdad noch für irgend einen anderen Schriftgelehrten des Landes bedarf. Ich wollte 195 Mirza-Jussuf nur ein kleines Gegengeschenk machen für die vielen Gedichte und Bilder, welche er nicht müde wird mir in's Haus zu schicken, und worunter sich einige recht hübsche befinden.« – »Dann sind sie nicht von ihm selbst!« – fiel Mirza-Schaffy ein.

»Wie kannst Du das mit solcher Bestimmtheit behaupten? Bist Du nicht etwas ungerecht und parteiisch in Deinem Urtheil über Mirza-Jussuf? Wie kannst Du wissen, daß seine Lieder schlecht sind, ohne sie gelesen zu haben?« – »Was für Fragen Du thust! Wie kann ich ungerecht sein im Urtheil, wenn ich behaupte, daß auf Disteln keine Rosen wachsen, daß aus Morästen kein Wein fließt und auf dem Wasser kein Gold schwimmt! Wenn Mirza-Jussuf Dir ein schönes Lied giebt, so ist es sicher nicht von ihm selbst, oder er hat nichts dazu hergegeben als die Worte; die Bilder und Gedanken sind immer gestohlen. Seine Weisheit ist nicht wie ein Kern oder ein Saatkorn, gepflanzt um aufzublühen und Früchte zu tragen; er hat viel gelesen und viel gelernt, aber ohne weiser zu werden dadurch. Seine Sprüche der Weisheit sitzen nicht tiefer, als Inschriften eingekerbt in die Rinde eines Baumes. Zeige mir was er Dir geschrieben hat; ich werde Dir immer die Quelle sagen aus der es geflossen.« –

Ich hatte in der That eine bessere Meinung von der Begabung Mirza-Jussufs und benutzte die Unterrichtsstunde, um meinen Lehrer mit den Gedichten welche sein Nebenbuhler mir geschickt hatte, bekannt zu machen.

Zuerst kamen einige fromme, rein auf das Gefühl berechnete Gedichte, welche mit ihren weithergeholten Bildern und ihrer überschwenglichen Ausdrucksweise um so weniger Eindruck auf mich machten, als ich wußte, daß ihr Inhalt durchaus im Widerspruch mit Mirza-Jussuf's Charakter stand. 196 Der Weise von Gjändsha hielt es gar nicht der Mühe werth, diese Lieder einer ausführlichen Prüfung zu unterwerfen. Er nahm jedoch als gewissenhafter Lehrer dabei Anlaß, mir einige »Sprüche der Weisheit« einzuflößen, um – wie er bemerkte – mein Urtheil zu bilden und mich das Falsche vom Aechten unterscheiden zu lehren. Ich hatte mich schon hinlänglich an seine Eigenthümlichkeiten gewöhnt, um genau zu wissen, wann ich seine Worte niederzuschreiben hatte, ohne daß es seinerseits eines Fingerzeigs dazu bedurfte. Wenn immer er im Begriff war mir etwas in die Feder zu diktiren, so schlürfte er erst ein Glas Kachetiner herunter, that ein paar tüchtige Züge aus seinem mit duftigem Tabak gefüllten Tschibuq und ließ das rechte Bein nachlässig vom Divan herunterhängen. Das Zurückziehen des Beines galt mir immer als ein sicheres Zeichen, daß die Quelle seiner Weisheit für den Augenblick versiegt war. Mirza-Schaffy war kein Mann von vielen Worten. Was er zu sagen hatte, gab er stets kurz und ausdrucksscharf von sich. Sein ganzes Urtheil über die frommen Ergüsse des Weisen von Bagdad beschränkte sich auf die Verse:

        Wenn die Lieder gar zu moscheenduftig
        Und schaurig weh'n,
Muß es im Kopfe des Dichters sehr ideenluftig
        Und traurig steh'n.

Wir blätterten weiter, und das Nächste was unsere Aufmerksamkeit fesselte, war ein Liebeslied etwa folgender Fassung:

        Du weißt, daß Deine Blicke tödten,
Weil jeder scharf ist wie ein Pfeil –
Und meine machen Dich erröthen:
Wie finden wir nun Beide Heil? 197

O, magst Du immerhin mich tödten,
Ich duld es gern, mein süßes Leben!
Und magst, so viel Du willst, erröthen:
Nur lass' mich Deinen Schleier heben!

»Nun wie gefällt Dir dieses?« fragte ich meinen streng urtheilenden Lehrer. – »Nicht übel – erwiederte er, – aber was Gutes daran ist, gehört Hafis an und nimmt sich sicherlich noch hübscher in seiner ursprünglichen Fassung aus.« – Er ließ wieder das Bein herunterhängen und sang:

        »O Hafis! ein wundersam Vermächtniß
Liegt im Klang und Zauber Deiner Lieder –
Wer sie hört, behält sie im Gedächtniß,
Und vergessen kann sie Keiner wieder!«

Nachdem wir hierauf einige auf mich gemünzte Loblieder durchgenommen hatten, deren stofflichen Inhalt Mirza-Schaffy dem Dichter Dshamy zuschrieb, kamen wir wieder zu einem Liebesliede, welches mir von besonderer Schönheit der Sprache zu sein schien:

        Auf ihrer seidnen Ottomane,
Umwogt von weichen Polstern liegt sie,
Das Rohr vom perlenden Kalljane
An ihre Rosenlippen schmiegt sie.

Und durch des Dampfes blauen Schleier
Hervor wie eine Sonne bricht,
Durchstrahlt von wunderbarem Feuer,
Ihr majestätisch Angesicht. 198

Mein ganzes Sein vergeht vor Wonne,
Es treibt den Fuß, hinanzutreten –
Ich kniee hin vor dieser Sonne
Und beuge mich sie anzubeten!

»Alles zusammengestohlen! – sprach lächelnd Mirza-Schaffy – bald klingt Saadi durch und bald Chakany, bald Dshamy und bald Hafis!« –

Der Weise von Gjändsha wurde nachdenkend. Er rückte an seiner Thurmmütze, blies den Dampf seines Tschibuq's in langen Zügen von sich und das vom Divan heruntergleitende Bein ließ mich bald wieder zum Kalemdan greifen. Er sang und ich schrieb:

        Was ist doch Mirza-Jussuf ein vielbeles'ner Mann!
Bald liest er den Hafis und bald den Alkoran,
Bald Dshamy und Chakany, und bald den Gjülistan.
Hier stiehlt er sich ein Bild, und eine Blume dort,
Hier einen schönen Gedanken, und dort ein schönes Wort.
Was schon geschaffen ist, das schafft er wiederum,
Die ganze Welt setzt er in seine Lieder um,
Und hängt zu eig'nem Schmuck fremdes Gefieder um,
Damit macht er sich breit und nennt das Poesie.

Wie anders dichtet doch und lebt Mirza-Schaffy!
Ein Leuchtstern ist sein Herz, ein Garten seine Brust,
Wo Alles glüht und duftet von frischer Blütenlust.

Und bei des eig'nen Schaffens urwüchsiger Gewöhnung
Vergißt er auch den Klang, die Formvollendung nicht;
Doch übersieht er ob der Reime süßer Tönung,
Des Dichters eigentliche, erhab'ne Sendung nicht. 199
Der Mangel an Gehalt ersetzt ihm die Verschönung
Des Lieds durch Blumenschmuck und feine Wendung nicht.
Für Schlechtes und Gemeines bekehrt ihn zur Versöhnung
Des Wortes Flitterstaat, die Form und Endung nicht!

Er hielt einen Augenblick ein, netzte sich noch einmal die Lippen und fuhr dann fort:

Lieber Sterne ohne Strahlen,
Als Strahlen ohne Sterne –
Lieber Kerne ohne Schalen
Als Schalen ohne Kerne –
Geld lieber ohne Taschen,
Als Taschen ohne Geld –
Wein lieber ohne Flaschen,
Als umgekehrt bestellt! 200

 


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