Friedrich Bodenstedt
Tausend und Ein Tag im Orient
Friedrich Bodenstedt

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Achtzehntes Kapitel.

Adel-Chan, der letzte Utzméy von Kaitach.

Bis zum Jahre 1820 bildete Kaitach, nordwestlich von Derbent und nördlich von Tabassaran gelegen, eine für sich bestehende, unabhängige Herrschaft unter dem Namen Utzméilik, welche Benennung von dem Worte Utzméy, dem Titel der regierenden Fürsten des Landes, abgeleitet wird.

Im Anfang des Jahres 1820 wurde russischerseits durch den damals in Derbent stehenden General Madatow die erste Verbindung mit dem derzeit regierenden Herrscher von Kaitach, Adel-Chan, angeknüpft. Dieser Fürst hatte drei Söhne: Mohammed-Chan, Dshamow-Beg und Ußmar-Chan.

Murtosali, ein Vetter von Adel-Chan, und zugleich dessen Schwager, da er mit einer Schwester des letztgenannten 259 Fürsten verheirathet war, hatte vier Söhne: Bala-Chan, Emir-Hamsa, Bey-Bala und Elder-Beg.

General Madatow hatte den Auftrag erhalten, den Utzméy von Kaitach zu bewegen, sich und sein Volk dem russischen Scepter zu unterwerfen. Trotz der großen und mannichfaltigen Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung dieses Unternehmens entgegenstellten, wußte sich Madatow seines Auftrags so geschickt zu entledigen, daß er nicht allein Adel-Chan zur Anerkennung der russischen Oberherrschaft überredete, sondern den Fürsten noch bewog, seinen erstgebornen Sohn Mohammed-Chan als Unterpfand seiner Treue den Russen auszuliefern.

Dieser junge Prinz, welcher mit einer Tochter des als General-Lieutenant in russischen Diensten stehenden Schamchal-Mechti verheirathet war, erhielt die Weisung, in Derbent im Hause und unter der Aufsicht des Generals zu bleiben.

Aus der Befreundung des Utzméy von Kaitach mit Rußland entsprang eine Quelle des Unglücks für Bala-Chan, da Adel-Chan schon seit lange ein Todfeind seines Neffen war und mit Eifer eine Gelegenheit suchte, ihn zu verderben. Er klagte insgeheim Bala-Chan als einen Verräther an, und gebrauchte alle Mittel des Trugs und der Verleumdung, ihn bei der russischen Regierung in ein schlechtes Licht zu setzen; er bezeichnete ihn als einen Aufwiegler des Volks, der all' seinen Einfluß anwende, die Befestigung und Ausdehnung der russischen Macht im Daghestan zu vereiteln; er wußte es durch solche und ähnliche Beschuldigungen endlich dahin zu bringen, daß Bala-Chan vor Gericht gezogen und wie ein gemeiner Verbrecher nach Sibirien verbannt wurde.

Ob diese Beschuldigungen gerecht oder grundlos waren, konnte damals nicht ermittelt werden; genug, die russische 260 Behörde hatte dem verschmitzten Asiaten ihr Zutrauen geschenkt, und Bala-Chan wurde gestürzt, zu spät sehen die Russen ein, daß dieses unglücklichen Prinzen mehrfach bewiesene Treue und Anhänglichkeit zu ihnen eben die Ursache von des Utzméy unauslöschlichem Hasse war, und daß alle Beschuldigungen, mit welchen Adel-Chan seinen Neffen überschüttet hatte, als eine treue Schilderung seiner eigenen Gesinnungen angesehen werden konnten.

Kurze Zeit, nachdem Adel-Chan sich den Russen unterworfen, suchte er alle Verbindungen mit ihnen wieder aufzulösen; er zeigte sich niemals in Derbent, und wenn seine Gegenwart dort erfordert wurde, so schlug er sein Lager vor den Thoren der Stadt auf, wo er der sich zu ihm verfügenden Behörde Rechenschaft über seine Verwaltung ablegte und neue Befehle entgegennahm. Bald auch Reue darüber empfindend, daß er sich hatte überreden lassen, seinen Sohn Mohammed-Chan als Geißel in die Hände der Russen zu liefern, befahl er dem jungen Prinzen, sich heimlich durch die Flucht wieder zu befreien. Dieser, dem Willen seines Vaters Folge leistend, sinnt alsobald auf Mittel zur Flucht. Er faßt den Entschluß, eine Mauer des Hauses zu durchbrechen, zieht zu dem Ende einen treuen Diener in sein Geheimniß, welcher die nöthigen Instrumente herbeischafft und seinem Herrn bei der Arbeit treulich zur Hand geht. Schon ist das Werk seinem Ende nahe, und alle Vorbereitungen zur Flucht sind getroffen, als ein Zufall die Sache verräth, in dem Augenblick, wo die Gefangenen zur Nachtzeit ihre Entweichung bewerkstelligen wollen. Der Kommandant, welcher durch seine Spione von dem Vorhaben des jungen Prinzen Kunde erhalten, läßt Mohammed-Chan sogleich in strengern Gewahrsam nehmen und ihn durch 25 Soldaten unter Anführung eines Offiziers bewachen.

261 Bis zu dieser Zeit hatte der Utzméy, wie schon gesagt, allen freundschaftlichen Annäherungen mit den Russen auszuweichen gesucht, und war selbst den wiederholten Aufforderungen des Generals Madatow, sich diesem in Derbent persönlich vorzustellen, nicht nachgekommen. Als er aber Kunde von der Entdeckung der beabsichtigten Flucht seines Sohnes erhielt, und von den strengen Maßregeln, welche man getroffen, um die Wiederholung eines ähnlichen Versuchs unmöglich zu machen, entschloß er sich endlich zu einer persönlichen Unterredung mit Madatow, machte jedoch die Bedingung dabei, daß die Zusammenkunft außerhalb der Stadt vor sich gehen solle, und daß es ihm (dem Utzméy) erlaubt sei, unter beliebiger Bedeckung zu erscheinen. Diese Bedingung wurde angenommen, und die Zusammenkunft fand im Frühlinge des Jahres 1820 statt.

Der General hatte eine zahlreiche Truppen-Abtheilung vor der Stadt aufgestellt, und begab sich selbst mit einem glänzenden Gefolge zur anberaumten Zeit nach dem zur Zusammenkunft bezeichneten Platze, wo auch bald darauf der Utzméy erschien, gefolgt von tausend trefflich bewaffneten Reitern. Madatow, der die hier zu spielende Rolle vorher wohl durchdacht hatte, empfing den Herrscher von Kaitach, wie ein Satrap seinen Gebieter. Er überschüttete Adel-Chan mit Ehrenbezeugungen aller Art, ließ, nachdem die ersten Bewillkommnungen vorüber waren, durch das beorderte Detachement kunstvolle Manöver ausführen, und beobachtete dabei auf's genaueste das unter den asiatischen Fürsten bestehende altherkömmliche Ceremoniell.

Diesen die Zusammenkunft eröffnenden Festlichkeiten folgte ein vom russischen General veranstaltetes großartiges Mahl, an welchem der Utzméy mit den Vornehmsten seines Gefolges 262 Theil nahm. Unter dem Donner der Kanonen wurde Adel-Chan's Gesundheit ausgebracht; darauf trug man auf einen Wink des Generals die für den Utzméy und sein Gefolge bestimmten prachtvollen Geschenke herbei; wiederum wurde auf Adel-Chan's Gesundheit getrunken, und von neuem begann der üppige Schmaus: kurz, Madatow hatte nichts versäumt gelassen, der Eigenliebe seines fürstlichen Gastes zu schmeicheln, seine Augen zu blenden und seinen Magen zu überfüllen. Doch die größte Ueberraschung war dem Utzméy bis zum Ende des Mahles aufgespart.

Kaum hatten sich die Gäste von der Tafel erhoben, so wurde Mohammed-Chan, der bis dahin in so strengem Gewahrsam gehalten war, frei in die Arme seines Vaters zurückgeführt. Aber alle diese Freundlichkeiten und Ehrenbezeugungen konnten den tief in der Brust wohnenden Russenhaß des Asiaten nicht verscheuchen, obgleich Adel-Chan bei der zu Ende des Festgelages mit Madatow gepflogenen Unterredung sein Ehrenwort gab: hinfort jedesmal, wenn die Behörde es für gut erachte, in Derbent zu erscheinen, allen zwischen ihm und Madatow festgestellten Bedingungen getreu nachzukommen, und bis zum Tode ein treuer Vasall des Kaisers, seines Herrn, zu bleiben.

Kaum war er jedoch mit seinem Sohn zu Hause wieder angekommen, so befahl er seiner ganzen Familie, sich schleunigst reisefertig zu machen, ließ alles, was an Geldern, Schmucksachen und sonstigen Kostbarkeiten aufzutreiben war, zusammenraffen, und traf die Anstalten zur Abreise mit solcher Eilfertigkeit, als ob er stündlich das Hereinbrechen irgend eines drohenden Ungewitters fürchte. Er flüchtete in das Land des Sultans von Awarien, und schickte unterwegs einen Boten an Madatow ab, mit einem Brief dieses Inhalts: »Ich bin 263 bei Euch erschienen, meinen Sohn zu befreien; mein Sohn ist frei. Kommt jetzt und herrscht in meinem Lande: Adel-Chan kann keines andern Fürsten Unterthan sein!« Diese Worte bezeichnen ganz den Charakter eines asiatischen Despoten, dem jede Beschränkung seiner Macht unerträglich ist.

Es regierte zu jener Zeit in Awarien der Sultan Achmet-Chan, welcher den Utzméy gastfreundlich aufnahm und ihm den volkreichen Aul Balakany, in einem gleichbenannten Thalkessel gelegen, zum Asyl anwies, alle weitere Hülfe aber seinem Gaste versagte.

Da die Einkünfte, welche Adel-Chan von diesem Aul bezog, nicht ausreichten, seine Familie zu unterhalten, so sah er sich genöthigt, nach und nach alle von Kaitach mitgenommenen Gelder und Kostbarkeiten zuzusetzen. Inzwischen hatten sich die Russen seines Landes bemächtigt und die Verwaltung desselben dem ihnen treu ergebenen Emir-Hamsa, dem nächsten Verwandten Adel-Chan's, anvertraut, welcher unter russischem Schutze fast unumschränkt über Kaitach herrschte, ohne jedoch den Titel Utzméy führen zu dürfen. Dem edlen Emir-Hamsa war das bittere Loos seines unschuldig nach Sibirien verbannten Bruders, von dem er nicht wußte, ob er todt oder lebendig war, tief zu Herzen gegangen. Seit dem Tage seiner Trennung von Bala-Chan war ihm keine Nachricht von dem Schicksal des Unglücklichen zu Ohren gekommen. Er hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, jemals wieder von seinem geliebten Bruder zu hören, als ihm seine Diener eines Tags die Ankunft eines fremden Tataren melden, welcher zum Fürsten geführt zu werden verlange unter dem Vorwand: er habe ihm Sachen von der größten Wichtigkeit mitzutheilen. Der Tatar wird vorgelassen und überreicht dem erstaunten Emir-Hamsa einen Brief und zwei Feuersteine als Botschaft 264 von seinem todtgeglaubten Bruder Bala-Chan.Wie der Tatar zu dieser Botschaft gekommen, habe ich nicht ermitteln können – wahrscheinlich ist es, daß er eine Zeitlang – wie dies hier häufig der Fall ist – in Sibirien in der Verbannung gelebt, dort Bala-Chan's Bekanntschaft gemacht und späterhin die Erlaubniß erhalten hat, in sein Vaterland zurückzukehren. Der Brief enthält eine kurze Schilderung der Leiden, welche der Unglückliche im wüsten Sibirien, zusammengeworfen mit den rohesten Verbrechern, auszustehen hat. Der vor Rachsucht glühende Prinz ruft seinen Bruder, als den nächsten Verwandten, zur Erfüllung der heiligen Pflicht der Blutrache an Adel-Chan, dem Urheber seines Unglücks, auf, und übersendet ihm zu dem Behuf, der Sitte gemäß, als Symbol die beiden Feuersteine.

Der Emir verstand den Willen seines Bruders, doch wie sollte er gleich eine Gelegenheit zu der selbst auszuführenden Strafe finden? Denn Adel-Chan, das ersehene Opfer, wohnte im Innern von Awarien, und war weit aus dem Bereiche seines Arms. Die Gelegenheit, die auf ihn gewälzte Racheschuld abzutragen, fand sich schneller als der Emir glaubte, wie denn überhaupt das Geschick dem Menschen bei der Ausführung einer bösen That immer fördernd unter die Arme zu greifen scheint und die That dem Gedanken folgen läßt.

Der an einen üppigen Lebenswandel gewöhnte Adel-Chan hatte, wie wir schon oben bemerkt, sich genöthigt gesehen, bei seinen geringen, ihm aus dem Aul Balakany zufließenden Einkünften zur Unterhaltung seiner Familie den größten Theil der mitgenommenen Habseligkeiten zuzusetzen. Jetzt war es damit ganz zu Ende gegangen, und da ihm der Sultan von Awarien jede weitere Unterstützung versagte, so ergriff er das letzte ihm übrigbleibende Mittel: die Hülfe seines 265 Neffen Emir-Hamsa zu erflehen. Er schildert ihm in den grellsten Farben seine unglückliche Lage, bittet ihn, zu seinen Gunsten dem Throne zu entsagen, und seinen Einfluß bei der russischen Regierung anzuwenden, daß ihm sein väterliches Erbe zurückerstattet werde. Er verspricht dafür den Russen Gehorsam, Treue und Förderung ihrer Interessen, so viel in seinen Kräften stehe. Für die Aufrichtigkeit seiner Gesinnungen will er mit seinem Leben bürgen.

Der Emir empfand bei dieser Botschaft eine Freude, der eines Tigers gleich, der in der Ferne sichern Raub erspäht. Er hoffte in den mit Adel-Chan anzuknüpfenden Unterhandlungen einen günstigen Augenblick zu finden, das Gericht der auf seine Seele gewälzten Blutrache zu vollstrecken.

Unverzüglich eilt Emir-Hamsa nach Derbent zum dermaligen Kommandanten, Oberst-Lieutenant von Ascheberg, macht diesem die Anzeige, daß der Utzméy durch eine eben angelangte Botschaft den Wunsch geäußert, eine geheime nächtliche Zusammenkunft zu haben; der Grund dieser beabsichtigten Zusammenkunft sei ihm unbekannt, doch glaube er aus seinen persönlichen Erfahrungen, so wie aus dem bisher gezeigten treulosen Benehmen des Utzméy schließen zu dürfen, daß derselbe wieder etwas Schlimmes gegen die Russen im Schilde führe; er erbitte sich daher im Interesse der russischen Verwaltung die Erlaubniß, ganz nach eigenem Gutachten bei der bevorstehenden Unterredung zu verfahren, selbst wenn es die Umstände erheischen sollten, daß der Utzméy der Gefangenschaft oder dem Tode anheimfalle.

Der Kommandant nimmt keinen Anstand, die erbetene Erlaubniß zu ertheilen. Sogleich sendet Emir-Hamsa dem Utzméy seine Einwilligung zu der vorgeschlagenen Unterredung, und bestimmt ihm als Ort ihrer Zusammenkunft das 266 hochgelegene Dorf Mendshalissa, macht jedoch zur Bedingung, daß jeder von ihnen nicht mehr als zwei Begleiter mit sich führen dürfe. Die Unterredung sollte mit dem Dunkel der Nacht beginnen.

Emir-Hamsa hatte, seinen eigenen Bedingungen ungetreu, funfzig trefflich bewaffnete Reiter im Hinterhalt versteckt, und erwartete, glühend vor Rachsucht, seinen Oheim Adel-Chan, welcher auch nicht verfehlte, sich zur bestimmten Zeit einzustellen, begleitet von seinem Sohn Mohammed-Chan und einem Kuli aus seinem Gefolge. Nach Beendigung der gegenseitig mit erheuchelter Herzlichkeit ausgedrückten weitschweifigen Freundschafts- und Ehrenbezeugungen setzten sich die beiden Fürsten auf zu dem Ende ausgebreiteten Burken einander gegenüber. Jeder der beiden gebrauchte jedoch nach daghestanischer Sitte die Vorsicht, sein Gewehr mit gespanntem Hahn vor sich auf den Knieen zu halten, um im Fall einer Verrätherei augenblicklich zur Gegenwehr bereit zu sein; das Feuergewehr des Emir aber war mit zwei Kugeln geladen, und am Schloß desselben war einer der Flintensteine von Bala-Chan.

Die Unterhandlung dauerte sehr lange. Der Utzméy schilderte in gesuchten Ausdrücken all' sein ausgestandenes Ungemach, die Mißhandlungen, welche sein Sohn während seiner Haft in Derbent von Seite der Russen erfahren, die Entbehrungen, welchen er und seine ganze Familie während ihres freiwilligen Exils ausgesetzt gewesen seien u. s. f. Er beschloß seine Rede mit der Versicherung, daß er das Thörichte seines Schritts, dem Thron zu entsagen und sein Land zu fliehen, 267 jetzt eingesehen habe, und sich reumüthig den weitern Verfügungen der russischen Behörde unterwerfen werde, wenn er dadurch Wiedereinsetzung in seine frühern Rechte erlangen könnte.

Emir-Hamsa hörte ihm ruhig zu, und unterbrach nur hin und wieder den Strom seiner Rede durch Worte des Beifalls und der Ergebenheit. Er versicherte ihm, daß er all' seinen Einfluß bei den Russen anwenden werde, um Begnadigung für ihn zu erwirken. Er habe auch, fügte er hinzu, bereits alles mögliche gethan, um der Sache eine günstige Wendung zu geben, und sei vom Kommandanten von Derbent beauftragt, einige vorläufige Verfügungen in Betreff dieser Angelegenheit mitzutheilen, jedoch könne dies nur unter vier Augen geschehen, weshalb er ihn bitten müsse, seine beiden Begleiter auf einige Augenblicke zu entfernen. Adel-Chan befahl seinem Sohn Mohammed und dem Kuli, sich zurückzuziehen, bis er sie rufen werde. Der Kuli gehorchte stillschweigend dem Befehl seines Herrn; Mohammed aber, der Besorgniß zu hegen schien, blieb unbeweglich auf seinem Platze.

»Nun – fragte neugierig Adel-Chan, welcher das Zurückbleiben seines Sohnes nicht zu bemerken schien – worin besteht Dein Auftrag?« »Ich habe Dir gesagt – erwiederte unwillig Emir-Hamsa – daß die Nachrichten, welche ich Dir mitzutheilen habe, für Dich allein bestimmt sind; warum schickst Du Deinen Sohn nicht fort? Fürchtet er etwa für seines Vaters Sicherheit?« »Fort, Bursch!« rief der Alte ärgerlich Mohammed-Chan zu, »glaubst Du, Dein Vater wird sich vor einem bartlosen Knaben fürchten?« Diesesmal gehorcht Mohammed dem strengen Befehl des Utzméy, bleibt jedoch mit immer steigender Besorgniß in einiger Entfernung stehen, und sucht, soweit dies in der Dunkelheit möglich, mit 268 scharfem Auge den Bewegungen der beiden Fürsten zu folgen. Die Unterhaltung dauert noch eine gute Weile fort; endlich sieht er, wie die beiden sich erheben, unter vielen Zärtlichkeits-Bezeugungen Abschied von einander nehmen und auseinander gehen. Er eilt freudig seinem ihn rufenden Vater entgegen; da flammt es plötzlich hell durch die Nacht, ein lautkrachender Schuß fällt – und der Utzméy sinkt, von zwei Kugeln getroffen, leblos zu Boden nieder.

Der Schuß kam aus der Flinte mit dem Feuersteine von Bala-Chan. Der Mörder flieht nach vollbrachter That mit seinen beiden Begleitern dem Orte zu, wo die funfzig bewaffneten Reiter verborgen lagen.

Der vor Rachsucht tobende Mohammed folgt den drei Flüchtigen, erreicht sie und will sich auf seinen Feind werfen, kann aber im Dunkel der Nacht den Emir von seinen Begleitern nicht unterscheiden; alle drei sind von gleicher Größe, in gleicher Kleidung und übereins bewaffnet. Der Emir hatte seinen Plan gut ersonnen und war in der Wahl seiner Beute vortrefflich zu Werke gegangen. Mohammed-Chan hatte an Feuerwaffen nur eine Pistole und eine Flinte bei sich, und mußte daher erst seines Zieles ganz sicher sein, ehe er wagen konnte zu schießen; endlich glaubt er den Verräther entdeckt zu haben: er drückt ab, und es fällt einer von den dreien – er hatte falsch gesehen, der Getödtete war nicht Emir-Hamsa. Er feuert sein Pistol ab, wieder fällt ein Opfer; er wirft sich wüthend auf die Leiche, sicher, seinen Feind getroffen zu haben; aber auch diesmal hat er sich geirrt; der Getödtete war der zweite Begleiter Emir-Hamsa's, welcher selbst wie durch ein Wunder gerettet zu sein schien.

Knirschend vor Beutewuth wie ein Tiger der Wüste springt Mohammed auf und stürzt mit gezücktem Dolche seinem 269 fliehenden Vetter nach; dieser hat aber inzwischen einen bedeutenden Vorsprung gewonnen und Zeit gehabt, seinen Reitern das verabredete Zeichen zu geben; er befiehlt ihnen, nach der Richtung hin zu feuern, wo er seinen Verfolger zu entdecken glaubte; wie ein Wetterleuchten flammt es plötzlich durch die Nacht, und der Donner von funfzig Flintenschüssen rollt wie lautschallendes Hohngelächter hinterher.

Mohammed ist noch zu weit entfernt, um getroffen zu werden, aber das Unerwartete des verrätherischen Angriffs macht ihn stutzen; er sieht, daß hier seiner Feinde zu viele sind, eilt zurück und kommt athemlos wieder bei der noch blutigen Leiche seines Vaters an. Er wirft sich auf ihn und bedeckt das schon kalte Gesicht mit Küssen und mit Thränen der Wuth und des Schmerzes; dann reißt er zum furchtbaren Andenken eine lange Pistole aus seines Vaters Gürtel, als Zeichen der blutigen Rache an Emir-Hamsa.

Herr, hört Ihr nicht den Roßhufhall unserer nachsetzenden Feinde? – ruft herbeieilend der Kuli – wir haben keinen Augenblick zu verlieren.

Sie eilten im Fluge der Stelle zu, wo ihre Pferde standen, schwangen sich in den Sattel und jagten davon, schnell wie der Wind, der die Steppe fegt . . . Ein drittes Pferd stand gesattelt, aber kein Reiter war da.

Der Leichnam des Utzméy wird gefunden, und am folgenden Tage läßt ihn sein Neffe Emir-Hamsa zur Erde bestatten mit so viel Pracht und Aufwand, daß die Kosten sich über tausend Silberrubel beliefen. Die Leichen-Festlichkeiten dauerten sieben Tage lang, während welcher Zeit auf Befehl des Emir alle Bewohner von Kaitach ihren Fürsten beweinen und die Zeichen der Trauer anlegen mußten. Nach der Beerdigung seines Oheims schickte Emir-Hamsa einen 270 Boten an den Kommandanten von Derbent, mit der Nachricht: er habe Rußland von einem heimtückischen und mächtigen Feinde befreit. Die russische Regierung, um sich erkenntlich für diesen Schritt zu zeigen, ernannte den jungen Emir zum Capitain. 271

 


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