Friedrich Bodenstedt
Tausend und Ein Tag im Orient
Friedrich Bodenstedt

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Drittes Kapitel.

Ueber den Kaukasus nach Tiflis.

Ataschikow, ein durch seine Tollkühnheit bekannter Kosakenoffizier, hatte, von einer hohen Person beleidigt, geschworen an den Russen Rache zu nehmen.

Das Jahr 1844 war zu einem Vernichtungsfeldzuge gegen die Bergvölker bestimmt. Ungeheure Streitkräfte wurden aus Rußland herbeigezogen, neue Befehlshaber ernannt, neue Verfügungen getroffen.

Ataschikow wußte, daß Glebow, einer der Adjutanten des Obergenerals von Neidhart, ausersehen war, den neuen Operationsplan von Tiflis nach Petersburg zu bringen.

Hieran knüpfte er sein Vorhaben, den Kurier mit seinen Depeschen aufzufangen und den Händen der Tscherkessen zu überliefern, wo er einer glänzenden Belohnung gewiß sein durfte.

Er reitet in's feindliche Lager, und es gelingt ihm bald, sich mit den Tscherkessenhäuptlingen zu verständigen. Sechs Reiter werden ihm mitgegeben, um seine Schritte zu überwachen, ihm bei seinem Unternehmen behülflich zu sein, oder im Fall eines Verraths ihn selbst niederzuschießen.

40 Wir haben gesehen wie sein Handstreich ihm glückte, dessen Ausführung absichtlich in eine Gegend verlegt war, welche sonst für eine der gefahrlosesten im Kaukasus gilt.

Erst nach mehreren Monaten schwerer Gefangenschaft wurde Glebow sammt seinem Diener gegen ein Lösegeld von etwa zwei Tausend Thaler wieder auf freien Fuß gesetzt. Ich lernte ihn später in Tiflis kennen und aus seinem eigenen Munde erfuhr ich die hier mitgetheilten Einzelheiten.

Es ist dies derselbe Glebow, der bei dem unglücklichen Duell im Kaukasus, in welchem Lermontow erschossen wurde, sekundirte.

Er selbst fand, kaum einige zwanzig Jahre alt, seinen Tod bei der Erstürmung von Dargo, unter Fürst Woronzow.

* * *

Hinter uns liegt die Steppe und vor uns aufsteigt der Kaukasus.

Wie das Herz sich erhebt mit den Bergen, und wie das Auge klarer wird beim Anschauen ihrer leuchtenden Gipfel! Von dort, wo der vielgespaltene Kuban seine schlammigen Wogen in den tückischen Pontus wälzt, bis zu den Feuertempeln am kaspischen Meere, läuft wild gezackt und zerklüftet die hohe Gebirgsmauer, welche Asien von Europa trennt.

Aus der frischen, kräftigen Pflanzenwelt zu ihren Füßen, aus dem dunkeln Grün, das hier als breiter Gürtel ihre Flanken umkleidet, dort in launenhaft zerrissenen Grasmatten hoch hinaufkriecht an den ungethümen Felsmassen, steigen die Berge empor in nackter Schöne, bis wo der demantene Winterschleier in blendender Weiße von den himmelanstrebenden Kuppen auf ihre gewaltigen Schultern herabfällt.

41 Hoch hinaus über diesen, in wunderbarem Farbenspiel schimmernden Massen, zeichnen zur Linken der Kasbék, zur Rechten der Elborus, und in gleicher Entfernung von beiden der pyramidenförmige Paßmymtha ihre weißen Häupter am blauen Himmel ab.

Kein europäisches Gebirge gewährt in seiner Gesammtheit einen so überwältigend schönen Anblick, als der Kaukasus, wie er sich dem aus der Steppe kommenden Wanderer zeigt.

Hier ist kein vermittelnder Uebergang, kein störendes Vorgebirge, das den Anblick des großen Ganzen erschwert.

Entweder erscheint der Himmel grau umwölkt, dichte Nebel beschränken den spähenden Blick und man wähnt noch mitten in der Steppe zu sein – oder der Wolkenschleier zerreißt, der Nebel fällt, und das Gebirge steht da in seiner ganzen Glorie.

So sah ich es zum Erstenmale bei Jekaterinograd, der unter Katarina II. gegründeten, hart an der Kabardah gelegenen Kosakenstadt, wo der Weg, der uns aus Rußland hiehergeführt, sich in zwei Arme spaltet, davon der eine dem kaspischen Meere zuläuft, während der andere sich erst in schwindelnder Höhe mitten durch den Kaukasus windet und dann in's Herz von Georgien niedersteigt.

Wir folgen dem letzteren Wege, wie er dem Laufe des Terek entgegen, der hier die große von der kleinen Kabardah trennt, uns über Wladikawkas in mühsamen Krümmungen auf den Rücken der Gebirge führt.

Zwischen hochaufgethürmten Kalksteinmauern, wild zerrissenen Schieferfelsen, über schauerliche Abgründe hinweg, wo ungethüme Protogynmassen aus dem schwarzen Schieferagglomerat hervorbrechen, gelangen wir durch den altberühmten Engpaß von Darjel zum Dorfe Kasbék, nachdem wir in 42 Lars zum letzten Male frische Pferde genommen. Bald wird uns der Weg versperrt durch gewaltige Schneemassen, bald durch losgebrochene Granitblöcke und Steingerölle, bald durch ein ungeschlachtes ossetisches Fuhrwerk, oder durch eine Karawane bedächtig einherschreitender Kamele, deren zähe Wüstennatur auch vor den eisigen Gebirgspfaden des Kaukasus nicht zurückbebt.

Das Dorf Kasbék (bei den Georgiern auch Stepan Tzminda genannt) liegt am Fuße des Bergesriesen, dessen Namen es trägt, und dessen Kuppe den höchsten Punkt der vulkanischen Kette bildet, welche den Kaukasus von Nordost nach Südwest durchzieht.

Steif und zerschlagen von der mühsamen Reise, welche ich, der Schwierigkeit des Weges halber, von Lars bis Stepan Tzminde fast ganz zu Fuß gemacht hatte, kam ich Abends im Dorfe an.

Aber es duldete mich nicht lange in den dumpfen Zimmern. Nach kurzer Erholung eilte ich wieder hinaus in die frische Luft, und trotz der heftigen Kälte brachte ich die halbe Nacht unter freiem Himmel zu, verloren im Anschauen der großartigen Bilder, welche sich im klarsten Mondschein vor meinen Blicken entrollten.

Der plötzliche Uebergang von der Steppe zum Gebirge, die gewaltigen Eindrücke des Tages, die unwillkürlich auftauchenden historischen Erinnerungen; der Gedanke, jetzt mitten in dem altberühmten Kaukasus zu weilen, den die Einen die Wiege des Menschengeschlechts, Andere die Mauer nennen, daran die Völkerwogen sich brachen, welche aus Mittelasien einst über Europa herabstürzten – all' dieses hatte mich so mächtig aufgeregt, daß ich die neue Welt um mich her mit doppelter Lebendigkeit erfaßte.

43 Vor mir auf stieg in schauerlicher Schöne der gigantische Kasbék, der vielbesungene, sagengeheiligte Berg, von dessen Gipfeln periodisch alle sechs oder sieben Jahre die dort angehäuften Schnee- und Eismassen in furchtbaren Lawinen herabstürzen, Menschen und Dörfer in ihrem Falle begrabend.

Nach zwei Meeren streckt er seine Arme aus; auf zwei Welttheile schauen seine weithinleuchtenden Augen; derweilen die Länder der Osseten, der Kisti, der Galgai, zu seinen Füßen sich winden.

Ich finde die Eindrücke, die jene herrliche Nacht auf mich machte, in meinem Tagebuche in Reim und Vers verzeichnet, und glaube wenigstens Einiges davon hier wiedergeben zu müssen, als unmittelbaren Ausdruck der Empfindungen, welche die Gebirgswelt in mir erzeugte.

 
Der Kasbék.

          Am Kasbék, dem mächt'gen, stand ich
Spät in mondenheller Nacht,
Und empor die Blicke wandt' ich
Zu des Berges hoher Pracht.

  Sah den Wind die Wolken jagen
Von den Höh'n, den eisig nackten,
Sah die steilen Felsen ragen
Die des Berges Leib umzackten.

  Sah des Terek's Fluten brausen
Unter wildem Schaumgeleck –
Und verwundert und voll Grausen
Sprach ich also zum Kasbék: 44

  »Bergesgreis! hoch wie die Sterne
Schaut dein leuchtend Haupt gen Morgen,
Dem Geräusch der Erde ferne,
Ferne auch von ihren Sorgen.

  Sieh, dich trifft der Sonne letzter
Und der Sonne erster Gruß,
Und auf deine Höhen setzt der
Adler nur den kühnen Fuß.

  Schätze füllen deine Speicher,
Geister dienen deiner Macht;
Und so stehst du da in reicher
Angestaunter Wunderpracht!

  Prangst in schimmerndem Geschmeide,
Von Demant ist deine Kron';
Schaust mit stolzer Vaterfreude
Terek, deinen wilden Sohn,

  Der in's Thal fliegt, wellbefiedert,
Dir stets fern und doch stets nah –
Mit dem Meere dich verbrüdert,
Das du nie, das dich nie sah!

  Deines Haupts ein leises Schütteln
Dröhnt tief bis zur Erde Schoß,
Macht die starren Felsen rütteln,
Reißt die Schneelawine los;

  Daß sie unter Sturmesrollen
Selbst ein Berg, vom Berge springt,
Und auf ihrem schreckensvollen
Laufe Tod und Wehe bringt.« 45

  Und ich schwieg. Ein schaurig Bangen
Faßte mich im nächt'gen Graus;
Der Kasbék streckt seine langen
Schattenarme nach mir aus.

  Geisterhaft im Schneegeglimme
Sich der Schein des Mondes brach . . .
Sieh', da klang's wie eine Stimme,
Die herab vom Berge sprach:

  »Kleiner Mensch! mit deinen kleinen
Sorgen und der großen Angst!
Der du staunst ob meinen Steinen
Und vor meinem Schnee erbangst.

  Wende ruhig heimwärts deine
Schritte in des Thales Schoß;
Glücklicher als du das meine,
Preise ich dein Erdenloos!

  Unten freut Ihr Euch gemeinsam,
Tragt gemeinsam Leid und Weh –
Während ich hier kalt und einsam
Zwischen Erd' und Himmel steh.

  Kalt und einsam muß ich stehen,
Mir und Andern zum Verderben;
Muß die Menschen sterben sehen,
Und ich selber kann nicht sterben!

  Wohl zuerst, zuletzt mir kehret
Sich die Sonne zu, die heiße –
Doch nur mich nie wärmt und nähret
Ihre Strahlenmilch, die weiße! 46

  Sehe gern das bunte Treiben
In der schönen Menschenwelt –
Aber fern muß ich ihr bleiben,
Denn mich flieht was mir gefällt!

  Selbst der Strom, den ich gezeugt:
Sieh', wie er die Wellenschwingen
Rauschend hebt und mir entfleucht,
Um in's Thal hinabzuspringen!

  Und zuweilen, unaufhaltsam
Faßt mich Zorn ob dem Geschicke,
Das mich festgebannt, gewaltsam
Einzwängt in die Eisesdicke.

  Und dann rüttl' ich meine Glieder,
Reiße meinen Panzer los,
Schleud're Schnee und Felsen nieder
In des Thales grünen Schoß.

  Krachend rollen die Lawinen
Ihren Schreckenspfad hinab,
Machen Häuser zu Ruinen,
Werden Tausenden zum Grab.

  Aber ich, in froher Blöße,
Freue mich voll grimmer Lust,
Labe gierig meine Größe
An der heißen Himmelsbrust . . .«

  Also sprach Kasbék, der mächt'ge,
Und ich stand in tiefem Sinnen;
Durch das öde Grau'n, das nächt'ge,
Hört' ich's, einem Strom' gleich, rinnen. 47

  Immer dunkler von den Gletschern
Von den hohen, rauscht' und schwoll es,
Und in immer lauterm Plätschern
Schäumend mir zu Füßen quoll es . . .

  Seltsam wilde Regung fühlt' ich,
Als ich stumm von dannen schlich –
Schöner Terek! nimmer hielt ich
Für ein Kind des Schmerzes dich!

Der Terek.

          Wie ein großer Gedanke sich losreißt aus
Dem Haupte eines Genius,
Also springt aus des Kasbék steinernem Haus
Der brausende Terekfluß;
Reißt sich in sprudelnder Lust
Von der nährenden Bergesbrust;
Rauscht mit hellem Geplätscher
Ueber die eisigen Gletscher –
Und die Steine und Felsen die seinen Wellen
Sich, trotzig hemmend, entgegenstellen,
Und das Krüppelgewächs und die Klötze zumal:
Lachend überspringt er sie,
Oder stark zwingt er sie
Mit sich hinunter in's blühende Thal.
Was ihm widersteht wird zerstoben,
Denn seine Gewalt kommt von Oben! 48

  Die Geis, die wie er vom Felsen springt,
Sich labend, aus seiner Welle trinkt;
Der Wandrer, der lechzend am Berghang ruht,
Erquickt sich an seiner kühlen Flut.

  Es freu'n sich die duftigen Blumen, die bunten,
Ob der frischen, der tanzenden Wellen tiefunten,
Und die Bäume, die seine Wellen benetzen
Nicken ihm zu in stillem Ergötzen.

  Und nach Unten gewandt
Durchzieht er das Land
– Ein König im blitzenden Wellengeschmeide –
Den Fluren zum Segen, den Menschen zur Freude.
Und nichts hält seinen Lauf
Den stürmischen, auf.
Ohne Rast, ohne Ruh
Eilt er dem Meere zu –
Und das Meer, unter wildem Jubelgebraus
Nimmt ihn auf in seinem weiten Haus.

  Doch wie er im Meer
Seine Wohnung genommen,
Weiß man nicht mehr
Von wo er gekommen;
Man erkennt ihn nicht wieder
Aus der Zahl seiner Brüder,
Die, wie er, aus der Ferne herbeigeschwommen.
Sein Name entschwebt
– Ein leerer Schall –
Er selbst aber lebt,
Ein Theil im All.

49 – Nach diesem poetischen Ergusse darf ich's meinen freundlichen Lesern nicht zumuthen, mich durch das Schneegestöber, den Schmutz, die Kälte, die Wärme und alle die Drangsal und Gefahren zu begleiten, welche ich bei der Weiterreise durch den Kaukasus zu überstehen hatte.

Darum nur wenige Worte hier zum Schluß der Wanderung!

Wir verfolgen unsern mühsamen Weg nach Kobi; winden uns, hart an die steilen Felsenwände gedrückt, langsam über die furchtbaren Abgründe hinweg, die am Guda und Kreuzberg sich vor uns aufthun in schauerlicher Tiefe; steigen über Kaschaour nach Quischett in das lachende Thal der Aragua hinab, und noch vor Abend erreichen wir Duschett, die erste georgische Stadt am Fuße des Kaukasus . . .

Hinter uns liegt das Gebirge, in seiner eisigen Pracht, mit seinen Gletschern, Abgründen, Felswänden und Schluchten – und vor uns liegt ein blühendes Land, durchzogen von sanftgeschwellten, grünen Hügelreihen, und durchrauscht von der Aragua lautplätschernden Wellen.

Noch klebt der Schnee an den Stiefeln, womit wir die Blumen zertreten, die zu unsern Füßen blüh'n.

Leise säuselt der Wind durch das Laub der Akazien; in riesiger Dicke und Höhe schlingt sich der Weinstock empor; auf den Zweigen der Mandelbäume wiegen sich die Sänger des Waldes; – aus der starren Winterlandschaft sind wir in einen Garten getreten, wo es duftet und glüht von Blumen und Sonnenschein.

In Mtzchethi, wo die Aragua ihre Wellen mit denen des Kyros mischt, machen wir zum letzten Male Halt, und wenige Stunden darauf erreichen wir Tiflis, die Hauptstadt Georgiens. 50

 


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