Clara Blüthgen
Götzendienst
Clara Blüthgen

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Früh um acht Uhr war die entsetzliche Fahrt zu Ende.

Der Morgentau hing noch an den Gräsern, die Sonne brach strahlend durch den Nebel wie zu einem Siegesfest, als Asmussen die gänzlich verstörte Astrid in ihrer Villa absetzte.

Sie hatten kaum ein Wort miteinander gesprochen. Er war sich nicht klar darüber, inwieweit ihre Verstörtheit in das Krankhafte übergegangen war.

Unbemerkt waren sie bis in den Gartensaal, ihr altes Arbeitszimmer, gekommen. Asmussen atmete auf, als er ihr, als letzten Dienst, artig einen Sessel hinschob und davon sprach, Karin rufen zu wollen.

Astrid saß da mit halbgeschlossenen Augen, ein Bild des Jammers; das Gesicht blaß, die Haare wirr. Er war nicht sicher, ob sie überhaupt verstand, was er sagte. Ihr Anblick tat ihm weh, hilflos und wortlos stand er vor ihr, mit dem Gefühl, er müsse etwas für sie tun, und zugleich in dem selbstsüchtigen Wunsche, möglichst bald fortzukommen.

In der Verlegenheit zog er die Uhr, um aus der Zeit, die sie zeigte, einen Vorwand finden zu können.

Es war Börgesens alte Uhr, das Geschenk des 235 Landes zu seinem achtzigsten Geburtstage. Asmussen hatte sie sonst nie getragen, sie nur auf Astrids ausdrücklichen Wunsch für die Reise hervorgeholt.

Sie fühlte seine Bewegung, schlug die matten Augenlider auf und sah ihn verstört an. Dann trat ein Ausdruck wilden Hasses in ihr Gesicht.

»Ach, die Uhr meines Gatten. Ich fürchte, sie wird Ihnen auch weiter keine guten Stunden anzeigen«, sagte sie hart, mit einer fremden Stimme, jedes Wort scharf betonend.

Asmussen verstand, was sie meinte, hakte den Karabiner aus dem Knopfloch und legte, ohne ein Wort zu sagen, die Uhr vor sie auf die Tischplatte.

»Ich danke Ihnen im Namen meines toten Gatten. Es war ein Mißgriff von mir. Solche Mißgriffe rächen sich meist schwerer als die Verbrechen.«

»Daß es so kommen würde, sagte ich Ihnen im voraus. Sie brauchen nun nur meinen Namen herauszuschleifen und die Widmung des Volkes wieder hineinsetzen lassen, und der Mißgriff ist ausgeglichen. – Wenn ich Ihnen nun noch mit irgend etwas behilflich sein könnte?«

Gequält hatte sie den Kopf abgewendet, um ihn nicht sehen zu müssen. Jetzt machte sie nur eine Handbewegung, daß er sie allein lassen möge, und Asmussen gehorchte diesem Befehl, ohne ihr die Hand zu reichem Sie sah ihm nach, bis er den Park verlassen hatte und die Senkung der Landstraße ihn jäh 236 verschwinden ließ, als habe die Erde ihn verschluckt. Eine sonderbare Spannung war in ihrem Herzen. Sie wartete darauf, daß nun etwas dort reißen werde und alles aus sei. Das wäre Erlösung.

Aber ihr gesundes Herz hielt selbst diesen Stoß aus. Der Druck wich, es begann wieder regelmäßig zu schlagen.

Da faßte sie eine wahnsinnige Verzweiflung, die nach einem Ausweg suchte. Als das Nächstliegende ergriff sie Börgesens Uhr an der Kette wie einen mittelalterlichen Morgenstern, und haute damit auf die Marmorplatte des Tisches, daß das Glas in Scherben herumflog, die dicke Goldkapsel sprang und das feine Werk in zerbeulten Metallstückchen über die glatte Fläche hüpfte.

Verächtlich schob sie mit der Hand die Trümmer zusammen, fegte sie auf den Boden, häufelte sie mit der Fußspitze zu einem kleinen Berg.

Ein Glassplitter hatte ihre Hand zerschnitten, das Blut tropfte auf ihren Mantel und auf den hellen Blumenteppich, ohne daß sie es merkte.

Auf dem Kaminsims, zwischen den beiden Satsuma-Vasen stand Holgers Bild – der Schutzherr dieses geheiligten Arbeitsraumes. Wütend riß sie es aus dem Rahmen und dann mitten durch, warf es zu den Trümmern der Uhr.

Zwischen den Doppelfenstern leuchtete in der Morgensonne der Blumenflor, den sie für Asmussen dort 237 aufgebaut und den niemand pflegen durfte als sie selbst. Mit einem bösen Lachen öffnete sie die Fenster, warf die Töpfe hinaus, wo sie auf der Regenleiste von glasierten Ziegeln krachend zerbrachen.

Zuletzt sah sie sich um, was es noch gäbe, was sie zerstören könnte, weil es an ihn erinnerte. Da fielen ihr die hochstämmigen Rosen ein, mit denen sie die Vasen so überschwenglich gefüllt hatte, wenn sie ihn erwartete. Sie dachten noch nicht an Blühen. Die winzigen festen Knospen standen noch als grüne Kügelchen zwischen den ersten spärlichen Blättern. Da nahm sie die Papierschere vom Tisch, stürmte hinaus, durchspießte die Knospen, als wenn sie lauter verhaßte Herzen seien, schnitt die Knospen ab, ganze Büschel auf einmal, und verstreute sie in den Wegen, wo jeder Fuß über sie hinweggehen müßte.

Dann fiel ihr ein: eines blieb ihr noch, das letzte: ihr Hund!

Wo mochte er stecken? Wie sonderbar, daß er noch nicht gekommen war, um sie zu begrüßen. – Pfeifen mochte sie nicht, um sich nicht zu verraten. So spähte sie umher, ob niemand von der Dienerschaft komme. Aber niemand war zu sehen, sie machten sich wohl alle einen guten Tag mit Herumbummeln oder langem Schlafen, nun sie die Herrin auf Reisen wußten.

Unbemerkt erreichte Astrid ihres Gatten Arbeitszimmer, das in jeder Einzelheit so erhalten geblieben war, 238 wie es zu seinen Lebzeiten gewesen ist. Es war schlecht gelüftet. Hinter den zugezogenen Vorhängen stand noch eine Wolke von Dunst; fast glaubte sie noch, den Geruch der Pfeife wahrzunehmen.

Den Schreibtischschlüssel führte sie stets bei sich, nur so glaubte sie Börgesens Nachlaß ganz gesichert. Sie schloß auf, tastete in ein bestimmtes Fach und brachte einen Revolver hervor.

Ihre ganze Ehe hindurch bis zu Börgesens letzten Tagen hatte sie ihn im Fach des Nachtschränkchens neben seinem Bett geladen gewußt. Seiner mit Raub, Mord, Verbrechen überlasteten Phantasie hatte es eine Genugtuung gewährt, eine ständig schußbereite Waffe neben sich zu haben. Scherzend hatte er auch Astrid in die Handhabung eingeweiht und Schießübungen mit ihr veranstaltet. Da das Mitleid mit jedem Getier einer ihrer ausgeprägtesten Charakterzüge war, sie sich nie dazu verstanden hätte, auf etwas Lebendiges zu zielen, hatten sie an einer Kiefer ein Zigarrenbrettchen mit aufgemaltem roten Herzen angebracht, und stets war es dem alten Recken eine besondere Freude gewesen, wenn seine gelehrige Schülerin das Herzchen getroffen hatte.

Die Waffe war vor kaum einem Jahr noch einmal frisch geladen worden. Sie überzeugte sich, daß sie gesichert sei, und steckte sie in die Manteltasche.

Nun sah sie auch Palle auf dem Sandweg in der Sonne liegen, den mächtigen Kopf auf den gestreckten 239 Beinen, faul und glücklich, mit seinen Menschenaugen ins Helle blickend. Sie stellte fest, daß er gut gebürstet und satt aussah.

Es gab ihr nun doch einen Stoß, daß sie die Zähne zusammenbeißen mußte, als sie nach dem Revolver in ihrer Tasche faßte.

Als das Tier sie bemerkte, stürzte es auf sie zu, halb toll vor Freude nach der kurzen Trennung. Im Nu stand es auf den Hinterbeinen, stemmte seine mächtigen Pranken auf ihre Schultern, wollte ihr das Gesicht lecken, und als sie das nicht duldete, legte es den Kopf auf ihre Schulter und stieß ein seliges Geheul aus, als wenn ein urwüchsiger Mensch seiner Freude unbekümmert Ausdruck gibt.

Mit Mühe brachte Astrid den Hund wieder auf seine vier Beine.

»Guter Kerl du. Komm, jetzt machst du deinen letzten Spaziergang mit deiner Frau«, sagte sie, klopfte ihm den Rücken, nahm ihn beim Halsband und ging mit ihm zu den rotgekreuzten Gräbern. »Weh tun wird sie dir nicht – nur ein Augenblick, dann ist dir wohler als ihr.«

Sie setzte sich auf ihres Gatten Grab, hieß den Hund sich neben ihr niederlegen, seinen dicken Kopf in ihren Schoß. »Reich mir deine Tatze, mein Leidensgenosse, du bist ihm gerade so widerwärtig gewesen wie ich.«

Sie griff nach dem Revolver, entsicherte ihn, kraute 240 mit der linken Hand des Hundes Nacken über dem Halsband, brachte die Rechte mit der Waffe an sein Ohr.

Er rückte nur ganz wenig zur Seite, als er das kalte Eisen fühlte, sah sie aus seinen klugen Menschenaugen an, schlug mit der Rute ihre Knie.

Da warf sie die Waffe fort und ihre Arme um den Hals des Hundes, küßte ihn zwischen die Augen.

»Ich kann's nicht – dieses Letzte nicht.« Dann rutschte sie an dem Hügel herunter, lag davor auf den Knien auf den spitzen Kieseln wie eine Büßende und jammerte zu dem toten Gatten in abgerissenen Worten:

»Ich bin noch nicht reif – es ist noch nicht genug deines Geistes in mir, nicht genug von deiner Stärke – schwach bin ich, entehre mich – und entehre auch dich in deinem Grabe, das ich dir mit meinen Händen grub.«

Mit ihren Armen umfaßte sie den Hügel. Von ihrer verletzten Hand rann das Blut auf den weißen Kies. Ihre Augen schlossen sich, ihre Zähne schlugen in die Unterlippe, daß sie blutete.

Das kluge Tier verstand die klägliche Verfassung der Herrin, es bewachte sie, die Vorderbeine steil auf das Grab gestemmt und stieß, den Kopf zurückgelegt, ein langgezogenes durchdringendes Geheul aus. Sein heißer Atem stand wie eine Wolke über seinem Kopfe.

241 Über das ganze Grundstück schallte das Geheul wie ein Signal.

Anton war der erste, der hinzukam. Als er die Frau Staatsrätin blutend über das Grab ihres Gatten geworfen daliegen sah, war sein erster Gedanke, sie habe sich erschießen wollen.

Mit Karin, die nun auch gekommen war, trug er die besinnungslose Frau ins Haus und stellte fest, daß sie außer der Schnittwunde an der Hand keinerlei Verletzungen trage.

Den Revolver nahm er an sich, nachdem er ihn wieder gesichert hatte. Als beide Mädchen Astrid glücklich zu Bett gebracht hatten, schien es Anton für das natürlichste, auf gut Glück an Herrn Asmussen zu telephonieren, von dem er annahm, daß er gleichzeitig mit der gnädigen Frau die Reise so plötzlich abgebrochen habe.

Asmussen hatte sich eben zu Bett gelegt, ganz zerrieben von all dem Abscheulichen, das er durchgemacht. Allzulange durfte er sich nicht Ruhe gönnen, denn es war nötig, daß er schon am Abend den alten Weg zurückfuhr, um nun ohne Astrid die Reise fortzusetzen, wie er es auch schon in seinem Telegramm angemeldet hatte.

Schimpfend sprang er auf, als das Telephon anläutete. Als er aber Antons Stimme hörte, es sei etwas Gräßliches passiert, Herr Asmussen müsse 242 sofort herauskommen, bedachte er sich keinen Augenblick und benutzte den letzten Zug.

Er ließ sich alles eingehend erzählen, mußte die Spuren von Astrids Zerstörungswut sehen und die Tropfen ihres Blutes auf dem Teppich. Er versprach, selbst zum Arzt zu fahren, um mit ihm über diese plötzliche geistige Störung und ihre möglichen Ursachen zu sprechen, lehnte es aber mit aller Entschiedenheit ab, Frau Börgesen zu sehen.

Zuletzt brachte ihm Anton den unglücklichen Revolver.

»Es ist der von unserem alten Herrn Staatsrat. Er lag immer nachts vor des Herrn Bett und sonst in einem ganz bestimmten Fach des Schreibtisches. Die gnädige Frau muß ihn mit voller Überlegung von dort geholt haben. Würden ihn der Herr Asmussen nicht auf alle Fälle an sich nehmen, damit es nicht von neuem ein Unglück gibt?« fragte er.

Holger überlegte einen Augenblick. Ihm grauste vor allem, was mit Astrid zusammenhing. Als er aber des alten Dieners Angst vor der Verantwortung merkte, ließ er sich dennoch die Waffe geben und schnitt jede Anweisung über die Sicherung damit ab, daß er sehr gut Bescheid wisse, auf seinen früheren großen Reisen selbstverständlich stets die Waffe in der Tasche gehabt habe.

* * *


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