Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel.

Als Fritz Fröhlich sich gegen neun Uhr zum Frühstück einfand, empfing ihn der Wirt mit behaglichem Lächeln.

»Nun, Herr Fröhlich – gut amüsiert?«

Scheinbar harmlos erwiderte der Maler: »Danke, ja. Aber weshalb lächeln Sie so eigentümlich?«

»Nun, ich freue mich, daß Sie den beiden Damen mal einen lustigen Tag verschafft haben.«

»Donnerwetter!«

»Ja, so was kann hier nicht verborgen bleiben.«

»Na, und was sagt man?«

Der Wirt zuckte die Schultern und lächelte.

»Was man sagt? Ja, werter Herr Fröhlich, das können Sie sich doch ungefähr allein denken.«

Dem Maler wurde es nun doch etwas unbehaglich – dann aber siegte Uebermut und Künstlersinn, und er erwiderte dem Wirt lächelnd: »Also lassen wir den guten Leuten hier das Vergnügen.« Damit setzte er sich und nahm das Frühstück ein.

Kaum hatte er es beendigt, da trat der Wirt schon wieder zu ihm heran.

»In Ihrem Zimmer ist jemand, der Sie zu sprechen wünscht, Herr Fröhlich!«

»Mich? Wer kann denn das sein?« Plötzlich fiel ihm ein, daß »sie« es vielleicht sein könnte. Und nun stürmte er die Treppe hinauf.

Aber in seinem Zimmer stand der Förster Gestner.

Der Maler erschrak ein wenig, beherrschte sich aber sofort. »Sie wünschen mich zu sprechen?«

»Ja, das wünsche ich«, sagte der Förster kalt.

»Bitte, wollen Sie sich setzen.«

»Danke, ich stehe hier lieber.«

Nun trafen sich die Blicke der Männer.

»Ich komme, Sie zu fragen, was Sie mit Fräulein Bürger vorhaben!« Drohend stand der Förster da.

Ganz ruhig erwiderte der andere: »Wenn Sie mit mir weiter zu sprechen wünschen, müssen Sie sich schon eines anderen Tones befleißigen.«

»Herr!« brauste der Förster auf. »Ich rate Ihnen, lassen Sie den Hohn beiseite! Sie kennen mich noch nicht!«

Der Maler nahm seine letzte Ruhe zusammen und sagte kalt höflich: »Also bitte, fassen sie sich kurz.«

»Ich wiederhole meine Frage – was haben Sie mit dem jungen Mädchen vor?«

»Darüber bin ich Ihnen doch keine Rechenschaft schuldig!«

Wieder wollte der Förster aufbrausen, aber er nahm sich zusammen. Bebend rief er: »Sie haben das junge Mädchen kompromittiert!«

»Was kümmert mich der Stadtklatsch!«

»Aber der Ruf des jungen Mädchens steht auf dem Spiel!«

»Ja, zum Donnerwetter, was will man denn von mir? Ich habe die beiden Damen gestern ins Theater geführt. Ist das ein Grund, die Mäuler aufzureißen? Die verdammten Klatschbasen sollen ihre Nasen in den Kochtopf stecken!«

Einen Augenblick stand der Förster schweigend da, dann begann er ruhig zu sprechen: »Ich rede nun in meiner eigenen Sache zu Ihnen – der Mann zum Manne – meinen Sie es ehrlich mit dem Fräulein?«

»Noch einmal frage ich – was geht Sie das an?«

»Sehr viel geht es mich an! Ich liebe das junge Mädchen, und ich habe ihm die Heirat angeboten. – Nun werden Sie mich verstehen.«

»Und wer hat Sie beauftragt, mir die Frage vorzulegen?«

»Niemand! Weil ich den Ruf des jungen Mädchens rein halten will, deshalb bin ich hier.«

Nun lächelte der Maler. – »Also, dann müssen Sie sich schon zufrieden geben; denn ich sehe keine Veranlassung, Ihre Frage jetzt noch zu beantworten. Und damit ist unsere Unterredung wohl als beendigt anzusehen, nicht wahr?«

Der Förster bebte vor Wut. – »Herr Fröhlich, das kann ich Ihnen sagen – vergessen Sie, was sie dem Fräulein schuldig sind, dann knalle ich Sie nieder, wo ich Sie treffe. So, danach können Sie sich nun richten.« Ohne Gruß ging er hinaus.

Einen Augenblick sah der Maler ihm nach, denn er fühlte, daß diese Worte ernst gemeint waren; einen Augenblick erbebte er bei dem Gedanken an so einen Gegner, doch einen Augenblick nur, dann lohte seine Leidenschaft empor, stolz sagte er sich: Nun ist mir das Mädel erst recht wert! Gerade die Gefahr reizt mich! Und wenn sie heute noch so denkt, wie sie gestern es gezeigt hat, dann – dann soll die Natur den Sieg davontragen.

Elsbeth hatte fast die ganze Nacht wach gelegen – der Gedanke an das Unglück des Vaters ließ sie keine Ruhe finden – was ihr aber noch größeren Kummer bereitete, das war der Gedanke an die Zukunft; denn nun sie es wußte, welche Last für den Vater sein Weib und Kind gewesen war, nun stand es fest bei ihr, daß der Geliebte solche Sorgen nicht haben durfte, also mußte sie Verzicht leisten, also mußte sie ihn wieder verlieren, konnte nie sein Weib werden.

Leise weinend, preßte sie das Gesicht ins Kissen und dämmerte so vor sich hin, bis sie endlich, von Mattigkeit und Müdigkeit übermannt, ein Stündchen lang einschlief.

Kaum aber war der erste Morgenstrahl da, als sie auch die Augen wieder aufschlug.

Und nun war sie einig mit sich.

Er selber sollte entscheiden! – Frei und offen wollte sie ihm alles sagen – ihre Liebe war so groß, daß sie verzichten konnte – sagte er dann nein, dann war es eben aus, dann hatte sie ihn verloren – aber ganz im stillen hoffte sie, daß er nicht nein sagen werde, daß seine Liebe größer sein werde, und daß er sie trotzalledem heiraten würde.

So gewappnet, begann sie ihr Tagewerk.

Als sie beim Bäcker und Milchhändler ihre kleinen Einkäufe machte, sah sie, wie die lieben Nachbarn abseits standen und, sie musternd, flüsterten.

Aber alles das bekümmerte sie nicht im geringsten.

Gegen zehn Uhr kam der Maler.

Elsbeth sah ihn kommen, und nun bat sie. »Laß uns allein, Mütterchen, ich bitte dich, laß uns ganz allein – ich werde ihm alles sagen!«

Betrübt schleppte sich die Alte hinaus.

Dann wurde die Tür aufgerissen, und er war da.

»Elsbeth!« – – Jubelnd rief er es und breitete seine Arme aus.

Und in der nächsten Sekunde hing sie an seinem Hals, und alles, alles andere war vergessen.

»Mein liebes, süßes, einziges Mädel, du!« rief er und küßte sie wieder und wieder.

Stumm, glückselig, glückberauscht – so ließ sie es geschehen – – – alles Weh, alles Ungemach, das sie je erlitten, je bedrückt – aller Kummer und Aerger, alle Sorgen und Enttäuschungen, alles, alles war vergessen, alles war wie weggewischt durch dies Erlebnis – dieser Augenblick des Glückes wo so hehr, so rein, so groß, daß alles Irdische daran verging und erstarb.

Mit geschlossenen Augen lag sie in seinen Armen, erbebte wonneerschauernd unter seinen heißen Küssen und hatte nur den einen einzigen Wunsch: Lieber Gott, jetzt laß mich sterben!

»Liebste! Du meine einzig Geliebte!« flüsterte er ihr ins Ohr und preßte sie in heißer Leidenschaft an sich.

Und da erwachte sie aus ihrem Zaubertraum.

Jetzt, jetzt mußte sie handeln!

Langsam befreite sie sich aus seinen Armen.

»Liebste! Liebste Elsbeth!« flehte er.

Sie aber verneinte: »Ich kann nicht! Ich darf nicht!«

»Warum nicht? Warum darfst du nicht? – Ach, laß die Menschen hier reden, was sie wollen! – Was bekümmern uns diese engherzigen Klatschbasen! Laß sie! – Komm mit mir! Komm mit mir nach Berlin! Dort blüht dir das Glück! Komm, mein Lieb! Sag' ja! Sag' ja!« – Immer wieder zog er sie an sich unter heißen, wilden Küssen.

Aber immer wieder entwand sie sich seinen Armen. – »Ich kann nicht! Ich darf nicht!

Zögernd fragte er: »Und weshalb nicht?«

Da sah sie bittend zu ihm auf. – »Ist es wahr, ist es dein heiliger Ernst – liebst du mich wirklich und wahrhaftig?«

»Ich liebe dich, wie ich nie im Leben geliebt habe!« beteuerte er. »Mein alles bist du!«

Nun atmete sie auf! – ja, nun konnte sie es ihm sagen!

Wenn er sie so innig liebte, würde er sie nicht verlassen! – Nein, ihm wäre Ehe und Familie keine Fessel, ihm nicht!

Beglückt sah sie zu ihm auf, umfaßte ihn und sagte: »Ueberleg' es dir, Geliebter, ob du mich auch heiraten darfst, überleg' es dir!«

Sprachlos starrte er sie an. – Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.

Harmlos sprach sie weiter: »Ich bin ein armes Ding! Ueberleg' das wohl! – Und ein Künstler muß doch frei sein, unabhängig und ohne Sorgen; ich weiß das alles. Also überleg' es dir genau! Ich will nicht eine Fessel für dich sein!«

Da lächelte er, verlegen, fast hilflos, und nach Worten suchend.

Sie aber, als sie ihn so dastehen sah, sie fuhr zusammen; denn sie sah, daß ihre Hoffnung sie getäuscht hatte, sie sah, daß er nicht kam und sie an sich riß – wie sie es doch sicher erwartet hatte. – Sie sah voll Entsetzen, wie der schöne Traum entschwebte, weiter und weiter, – sie sah, wie die alltägliche, graue Wirklichkeit sie fest umspannte, sie hier, hier ewig fest bannte, hier in Kummer, Sorgen und Aergernissen, in Plagen und Enttäuschungen. – – Bebend, mit angstvollen Augen sah sie ihn an.

Endlich raffte er sich zu ein paar Worten auf: »Ja, mit der Heirat ist das noch 'ne schwere Frage. – Ja, ich habe nämlich nur ein bißchen Geld. – Und so ohne festen Rückhalt einen Hausstand begründen, das wäre doch wohl 'n bißchen leichtsinnig?«

Sie sagte nichts. Starr blickte sie ihn an. Sie ahnte etwas Entsetzliches. Aber sie ahnte es erst. Sie wollte sich auch darüber Gewißheit verschaffen.

Also zwang sie sich zu einem Lächeln und sagte: »Nur: ja, wenn es so ist, dann allerdings – – – aber dann – – – dann hast du wohl auch gar nicht an eine, an eine – –« sie brachte es nicht heraus.

Lächelnd vollendete er den Satz: »Offen gestanden, nein, daran habe ich auch noch nicht gedacht.«

»Aber – aber, du sagtest doch, ich solle mit dir nach Berlin – nach Berlin gehen, und – und –« bebend starrte sie ihn an.

»Ja, ich – ich glaubte eben, – ich glaubte, deine Liebe wäre so groß – –«

Da trat sie zurück, hob die Hand und sagte: »Schweig!«

Bittend kam er heran zu ihr. »Aber, Elsbeth, Liebste!«

»Geh'«, sagte sie still und ernst, »geh' und reise sofort ab. Ich bitte dich darum!«

Flehend bat er: »Elsbeth! Laß uns nicht so voneinander gehen!«

Sie aber blieb ernst und fest. »Geh' ich bitte dich!

Da sagte er zitternd: »Lebe wohl, Elsbeth! Vergib mir!«

»Leb' wohl!« – Sie nickte ihm zu. Die Hände entzog sie ihm.

Da ging er still hinaus.

Und sie stand da und starrte ihm nach. Nun er fort war, nun war auch ihre Fassung dahin, nun sank sie zusammen, wie gebrochen. So fand die Mutter sie.

Weinend stand die alte Frau bei ihr, streichelte ihr übers Haar und tröstete sie.

»Mein armes Kind, ich hab' es ja kommen sehen, – ich wußte es ja.«

Schluchzend umfaßte Elsbeth die Mutter. Jetzt, ach, jetzt erst verstand sie die Worte, die ihr einst die alte Frau zugerufen hatte, – ja, in, sie hatte recht behalten!

»Laß nur gut sein, Kindchen, auch darüber kommst du fort; es ist der erste große Schmerz deines Lebens, das tut weh, ich weiß es, – aber man muß sich hart machen, denn das Leben hat viel, sehr viel Enttäuschungen für uns.

Und da richtete Elsbeth sich auf. – Ja, jetzt gab es wirklich nur eins noch: stark sein! – Und sie raffte sich zusammen; alles, was noch an Energie und an Stärke in ihr lebte, alles nahm sie zusammen; stark sein, daß niemand es ihr anmerkt, wie es in ihr aussieht! – Und ob das Herz auch brennt und schmerzt vor Weh und Leid – stark sein! – Niemand durfte ahnen, was sie durchgemacht hatte, und wie es verwüstet und leer in ihrer Seele aussah. – Stark sein!

*

Als Fritz Fröhlich das Häuschen verlassen hatte, lief er planlos umher, nur weiter, nur fort.

Er hatte gemeint, es würde ein kleines Abenteuer geben, wie er es schon erlebt hatte, wie er es sonst auf seinen Studienreisen zu finden gewöhnt war, und nun das Gegenteil, nun eine Blume, die im stillen frei erblüht war, sich zu herrlicher Schönheit entfaltet hatte, und da kam er mit tölpelhafter Hast, und verletzte sie. O, er war in rasender Wut, daß er sich so betragen hatte!

Wie weh, wie bitter weh er ihr getan haben mußte!

Er setzte sich auf einen Baumstamm und starrte sinnend in den grünen Wald hinein.

So ein Ende nahm diese Künstlerfahrt, dieser schöne Liebestraum!

Jetzt konnte er seinen Koffer packen und abfahren. Hier hatte er ausgespielt!

Wütend starrte er vor sich hin.

Plötzlich stand der Förster vor ihm.

Der Maler sah ihn ruhig und fest an, der kam ihm gerade recht.

Der Förster, der eben im Vorübergehen bei Frau Bürger schon gehört hatte, was geschehen war, stand und sah seinen Gegner mit Hohnlächeln an.

Das brachte den Maler erst recht außer sich. »Wünschen Sie vielleicht noch etwas?«

Ruhig, aber mit kaltem Hohn entgegnete der Förster: »Sie sind ja ein netter Patron!«

»Herr!« fuhr der andere auf.

»Na, na«, wehrte Gestner ihn ab, »drei Schritte vom Leibe, sonst können Sie mal etwas zu kosten bekommen! Nicht blaue Bohnen, denn die ehrliche Kugel wäre für Sie zu schade – aber Haue können Sie kriegen, daß Ihnen zum zweitenmal solche Gedanken nicht so leicht wiederkommen! Sie – Sie, Kavalier!«

Der Maler kochte, aber schweigend mußte er es hinnehmen. Also ging er.

Langsam ging der Förster mit. – »Kommt so ein Farbenklexer hierher und erlaubt sich, einem anständigen jungen Mädchen so etwas zu bieten!«

Der Maler ging schnell und schneller.

Aber der Förster auch, so daß er immer an seiner Seite blieb.

»Nun geb' ich Ihnen bloß den guten Rat, machen Sie, daß Sie fortkommen – aber so schnell wie möglich, sonst könnten Sie es doch noch zu bereuen haben!«

Da brauste der Maler auf: »Verlassen Sie mich im Augenblick, oder es gibt ein Unglück!«

Aber dazu lachte der andere. »Ein Unglück? Wollen Sie es vielleicht wagen, mich anzufassen? – Herr! Das möcht' ich Ihnen nicht raten! Wären Sie nicht so'n Jammerkerl, dann hätte ich Ihnen schon längst die Jacke voll gehauen!«

»Ich wünsche allein zu sein!« – In wahnsinniger Wut stieß er es heraus.

Da sagte höhnend der Förster: »Ja, eine anständige Gesellschaft verdient so ein Lump auch nicht.« – Damit drehte er sich um und ging.

Rasend vor Wut wollte der Maler ihm nacheilen. Aber der andere hob drohend seinen schweren Knotenstock. Und da ließ er es. Stumm, bleich von Wut, gedemütiqt und beleidigt, so mußte er weiterqehen. – Das war seine Strafe.

Er eilte in sein Gasthaus, Packte und schon mit dem nächsten Zug fuhr er ab. – – –

Elsbeth blieb ihrem Vorsatz treu. Niemand merkte ihr an, was sie durchgemacht hatte. Genau wie sonst ging sie pünktlich und fleißig ihrer Arbeit nach, war bescheiden und höflich zu jedermann, aber auch zurückhaltend und vorsichtig, wenn eins der anderen jungen Mädchen sich ihr anschließen wollte

Auch der Klatsch mit dem jungen Maler verstummte nach und nach, weil man sah, daß all die kleinen Sticheleien und heimlichen Bosheiten erfolglos an dem Ernst und an der Ruhe Elsbeths abprallten.

So ging scheinbar alles seinen alten Gang.

Nur einem scharfen Beobachter entging es nicht, daß all die Ruhe und all der Gleichmut der Kleinen nur eine geschickte Komödie war, und daß es in ihrem Innern ganz, ganz anders aussah.

Arbeit! Arbeit! Nie hatte Elsbeth die Wohltat ernster und emsiger Tätigkeit so an sich erfahren wie in diesen Wochen. Vom frühesten Morgen bis in die sinkende Nacht rührte sie fast ununterbrochen die Hände; wenn ihr Geschäft besorgt war und es nichts mehr zu bleichen und zu plätten gab, griff sie zur Näharbeit oder zur Weißstickerei, und da die paar Läden des Städtchens nicht genug Arbeit für sie hatten, so schrieb sie an ein Paar große Berliner Geschäftshäuser, denen sie einige Probearbeiten einschickte, und von denen sie auch bald mit lohnender Arbeit betraut wurde.

Erstaunt sah die Mutter das mit an, sie sagte nichts dazu, weil sie sah, daß es alle Aufmerksamkeit der Tochter in Anspruch nahm, und weil sie hoffte, daß es ein Mittel zur Heilung der Wunde sei.

Eines Tages kam ein Brief. Elsbeth nahm ihn, ohne Wissen der Mutter. Sie zitterte. Der Brief war von ihm. Aber ganz im geheimen leuchtete auch ein leiser Strahl der Hoffnung. Sie ging in ihre Kammer, riegelte sich ein, erbrach den Umschlag und las:

 

»Mein liebes Fräulein Elsbeth!

Hoffentlich zürnen Sie mir nicht so sehr, daß Sie mir diese Anrede noch gestatten. – Ich bin mir nun, nachdem ich alles klar durchdacht hebe, darüber einig, daß ich ganz unerhört, elend und erbärmlich an Ihnen gehandelt habe. Ich weiß das. Ich bin mir meiner schweren Schuld voll bewußt. Daß es schlecht war, das habe ich bisher nicht gewußt, das weiß ich erst jetzt, nachdem mir das Leben diese große, ernste Lektion erteilt hat. Nun weiß ich aber auch, was das Leben erst lebenswert macht! Von heute ab sehe ich die Welt mit anderen, mit ernsteren Augen an, von heute ab erziehe ich mich zu einem anderen Menschen. Und das, hoffe ich, kommt nicht nur meinem Leben, sondern auch meiner Kunst zugute! – So komme ich denn als ein reuevoller Büßer zu Ihnen. Nicht ein verzeihendes Wort will ich von Ihnen erbitten, nein, ich möchte nur in Ihrem Andenken als ein anderer leben! Wischen Sie den häßlichen Fleck von meinem Bilde und bewahren Sie mir das Andenken eines Menschen, der zwar schwer gefehlt hat, der aber ein besserer, ein reiner Mensch dadurch geworden ist. So möchte ich fortan – wenn Sie ab und zu manchmal an mich denken – in Ihrer Seele, in Ihrem Gedächtnis weiterleben.

Und so grüße ich Sie zum letztenmal und sage Ihnen herzlich Lebewohl!

Fritz Fröhlich.«

 

Sie las das alles mit fliegendem Atem, mit fiebernden Pulsen. Und als sie zu Ende gelesen hatte, ließ sie das Blatt sinken und sah sinnend hinaus in den Garten – nach dem Fliederbaum – dorthin, wo sie einst mit ihm gesessen – wo sie mit ihm geplaudert – wo sie so manchen schönen Traum erlebt hatte – langsam, langsam kamen ihr die Tränen – und da wußte sie, daß nun alles aus und vorbei war. – – –

Längst war der Sommer auf der Höhe. Schon färbten sich die Blätter, und allenthalben brachte man die letzten Gartenfrüchte ein. Schon zeigten sich die ersten Vorboten des Herbstes. – Noch immer arbeitete Elsbeth mit demselben Eifer vom frühesten Morgen bis in die Nacht hinein, nicht nur für die Kunden und Läden des Städtchens, sondern auch für die großen Berliner Geschäftshäuser, mit denen sie nun in regem Verkehr stand. Endlich aber sagte die Mutter: »Kind, jetzt leide ich diese Quälerei nicht mehr. Du machst dich kaputt dabei!« – »Aber gar kein Gedanke, Mutting! Spaß macht es mir! Ich kann jetzt ohne viel Arbeit gar nicht mehr leben!« – »Weshalb denn aber diese Hetze? Was willst du denn mit all dem Geld anfangen?« – Elsbeth lächelte geheimnisvoll. »Das sage ich dir dann, wenn es so weit ist; es wird eine Ueberraschung für dich, Muttchen.« – Prüfend sah die Alte sie an. Aber auf einmal hatte sie es – – die Kleine sparte für die Aussteuer! So war es! Ganz gewiß! – »Wieviel Geld hast du denn eigentlich schon beisammen?« fragte sie, beglückt über ihre neue Entdeckung. – »Beinahe schon sechshundert Mark.« – »Ist die Möglichkeit! Du bist ja eine Kapitalistin, Mädel!« – »Mit Fleiß kann man viel erreichen.« – »Na, und wieviel willst du denn noch zusammenraffen, du kleines Geschäftsgenie?« – Wieder lächelte die Tochter geheimnisvoll. – »Sowie es genug ist, sage ich es dir, Mutting.« – Da ging die Alte lächelnd fort. Noch am selben Tage erfuhr es der Förster, was Muttchen entdeckt hatte, und sofort machte auch er sich seinen Plan zurecht.

Ende August kam er zum Nachmittagskaffee, zu dem Frau Bürger ihn geladen hatte. Elsbeth ahnte, was nun geschehen würde. Sie wußte, daß nun der entscheidende Moment kam, von dem an ihr Leben eine andere Wendung nehmen würde. Und sie wappnete sich dazu mit aller Kraft. – Gleich nach dem Kaffee ging Mütterchen ins Haus und ließ die beiden jungen Leute allein im Garten. Und da wiederholte der Förster seinen Antrag mit herzlichen, schlichten Worten. Ruhig ließ sie ihn ausreden. Dann aber erwiderte sie: »Lieber Herr Gestner, ich kann nicht. Seien Sie nicht böse. Aber ich kann Ihre Frau nicht werden.« – Er erschrak und wurde bleich und sah sie stumm fragend an. Sie aber sprach ernst und still: »Ich kann es deshalb nicht, weil ich am ersten Oktober von hier fortgehe!« – Sprachlos starrte er sie an. – »Ich habe in dem Geschäftshaus, für das ich nun schon seit drei Monaten arbeite, eine Stelle angenommen, die Mutterchen und mich sehr gut ernähren wird, und so werden wir also am ersten Oktober von hier wegziehen.«

Noch immer fand er keine Worte, denn diese Neuigkeit kam ihm zu überraschend. Endlich fragte er: »Aber weiß denn die Mutter überhaupt schon davon?« – »Bis jetzt noch nicht. Das Engagement ist erst heute früh perfekt geworden. Und vorher wollte ich nicht darüber sprechen.« – »Aber was wird die Mutter dazu sagen?« – »Sie wird zuerst jammern und lamentieren, und schließlich wird sie sich darin finden.« – »Und Sie selber, Fräulein Elsbeth?« – »Ich habe alles lange und genau überlegt, lieber Herr Förster. Ich muß einen Wirkungskreis haben, in dem ich meine Kraft betätigen kann, hier kann ich das nicht! O, ich habe es jetzt wohl verstanden, weshalb mein armer Papa hier zugrunde gehen mußte – weil es hier zu eng für ihn war, und weil er keine Kraft mehr hatte, sich hier herauszuretten – das war sein Ruin. Ich aber, ich habe noch die Kraft dazu, und ich rette mich! – Sehen Sie, das ist alles, was ich Ihnen darauf zu antworten habe. Und nun seien Sie lieb, und machen Sie mir das Herz nicht noch schwerer, als es schon ist!« – Leise und zitternd sagte er: »Fräulein Elsbeth, ich kenne Sie zu gut, um nicht zu wissen, wie tiefer Ernst es Ihnen damit ist, und deshalb will ich auch von mir und meiner Sache kein Wort mehr reden.« Er stand auf. »Also ich wünsche Ihnen alles Glück, Fräulein Elsbeth!« – Sie reichte ihm stumm die Hand hin. – »Leben Sie wohl, Fräulein Elsbeth!« Mit einem letzten Gruß ging er von dannen.

Lange sah sie ihm nach – sie wußte, was er litt – aber sie konnte nicht anders handeln – sie hatte gleiche Rechte – an das Leben.

Und dann kam Mutterchen. Sie hatte vom Förster die Neuigkeit gehört, und nun geschah es alles genau so, wie Elsbeth es sich vorgestellt hatte – – – ein lautes Lamento begann. Doch ruhig ließ sie die alte Frau weinen und jammern und klagen – ihr Ziel fest vor Augen, ging sie still und bestimmt daraus los, wußte sie doch, daß es für sie alle so am besten war.

Und Ende September zog denn Frau Bürger mit Elsbeth – zum Erstaunen aller männlichen und weiblichen Klatschbasen des Städtchens einem neuen Leben entgegen.

 

Ende.

 


 << zurück