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3. Kapitel.

Am andern Morgen schien die Sonne heller denn je, die Vögel jubilierten, als gälte es, ein Sonderkonzert zu bringen, und der eben aufgeblühte Flieder duftete zum Berauschen stark.

Da saß Fritz Fröhlich auf einer Wiese, die im herrlichsten Grün prangte, und versuchte zu malen, was sein schönheitstrunkenes Auge sah – aber aus dem Versuch wurde nichts, denn seine Gedanken schweiften bald von der Arbeit ab und wanderten zu dem kleinen Häuschen an der Mühle hin.

Plötzlich gedachte er der gestrigen Worte des dicken Wirtes. Und er sann nach. – Wenn er recht hätte, der Alte!

Während er noch so sann, geschah etwas Unerwartetes – drüben kam die blonde Elsbeth mit einem Körbchen feiner Wäsche, die sie auf dem Rasen zum Bleichen ausbreitete.

Was bedeutete das? Weshalb kam sie gerade jetzt hierher? Sie mußte ihn doch hier haben sitzen sehen!

Kurz entschlossen stand er auf und ging zu ihr hin.

»Guten Morgen, Fräulein!«

Freundlich und harmlos dankte sie.

Dann sahen sie sich einen Augenblick lang stumm an, bis sie, leicht errötend, ihre Arbeit wieder aufnahm.

»Nun, schon am frühen Morgen so fleißig?« scherzte er dann.

Und in gleichem Tone erwiderte sie: »Man muß wohl! – Uebrigens sind Sie ja doch auch schon bei der Arbeit.«

Er sah sie lächelnd an und schwieg.

Das machte sie wieder verwirrt, und, um ihre Verlegenheit zu verbergen, fragte sie schnell: »Sie wollen jetzt wohl dort drüben den Mühlteich mit dem Wehr malen, nicht wahr?«

Er nickte wieder, schwieg noch immer und sah lächelnd zu ihr hin – – entzückend sah sie aus!

Und sie, schon wieder flink bei der Arbeit, bat: »Aber, bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören!«

Da trat er noch zu ihr heran, sah sie mit leuchtenden Augen an und sagte: »Sie stören mich durchaus nicht, Fräulein – ich habe noch gar nicht gearbeitet.«

Ohne von der Wäsche aufzusehen, rief sie: »Aber als ich ankam, saßen Sie doch vor Ihrer Staffelei!«

Er nickte lächelnd. – »Ganz recht, aber getan habe ich nichts, – ich konnte nämlich nicht arbeiten.«

Erstaunt fragend sah sie auf.

Und wieder nickte er. – »Wirklich, ich konnte nicht! Ich mußte immerzu an Sie denken, Fräulein!«

Da wurde sie flammend rot, bückte sich und strich ihre ausgebreitete Wäsche glatt.

Nach einem Weilchen fragte er leise und zart: »Sind Sie mir böse deshalb, Fräulein?«

Sie schwieg und arbeitete emsig weiter.

»Ich sehe, Sie zürnen mir wirklich. Das tut mir leid. Da bitte ich vielmals um Verzeihung!« – Er zog den Hut und schickte sich an, wieder zu gehen.

Und nun sah sie auf. Ihr Gesicht glühte noch immer, aber in ihren Augen perlte ein Tränchen. Und mit leise erzitternder Stimme sagte sie: »Wie kann ich Ihnen denn deshalb zürnen? Ich kann Ihnen doch nicht verbieten, an mich zu denken.«

Schweigend sah er sie an – er hätte ihr zu Füßen fallen können, so bezaubernd schön erschien sie ihm in diesem Augenblick.

Endlich sagte er: »Wissen Sie, Fräulein, was ich möchte? Ich möchte Sie malen.«

Da sah sie ihn groß an, lachte hell auf und rief: »Das ist aber ein netter Spaß!«

»Nein, wirklich! Es ist mir ernst damit.«

»Glaub' ich nicht, und wenn Sie ein noch so ehrliches Gesicht dazu machen!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich im Ernst gesprochen habe! So, wie Sie da stehen, so möchte ich Sie malen.«

Ungläubig sah sie ihn an.

Er aber fügte schnell hinzu: »Doch nicht hier auf der Wiese, sondern in Ihrem Gärtchen! Und wissen Sie, wo? Direkt unter dem weißen Flieder! Na, was meinen Sie dazu?«

Mit naivem Lächeln antwortete sie: »Ja, ich weiß noch immer nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Würden Sie es mir denn gestatten?«

Einen Augenblick besann sie sich, dann erwiderte sie ehrlich: »Warum nicht, wenn Mütterchen es erlaubt.«

Hocherfreut nickte er. »Soll ich sie fragen?«

»Das werde ich allein tun.«

Wieder sahen sie sich einen Augenblick lang stumm und fest an.

Dann hob sie ihr Körbchen und rief: »Nun muß ich eilen, daß ich heimkomme!«

»Und werden Sie Ihr Versprechen auch nicht vergessen?«

»Gewiß nicht!«

»Wann darf ich denn auf Bescheid rechnen?«

»Das kann ich nicht genau sagen – sobald wie möglich – vielleicht morgen schon.«

»Und wieder hier?«

Leicht errötend, nickte sie. – »Kann sein, daß ich morgen auch wieder hier zu tun habe.«

»Ich danke Ihnen dafür, Fräulein!« – Lächelnd reichte er ihr die Hand hin.

Und ohne Bedenken gab auch sie ihm die Hand. »Auf Wiedersehen denn!« sagte sie leise.

»Auf Wiedersehen, Fräulein Elsbeth!« – Und schnell zog er ihre Hand an seine Lippen.

Flink wie ein Reh huschte sie davon.

Er aber sah ihr lächelnd nach und dachte: »Die Sache hätte ich mir schwerer vorgestellt.«

Als Elsbeth zu Hause ankam, rief sie fast ausgelassen: »Denk' nur, Muttchen, wen ich auf der Wiese getroffen habe! – Aber du rätst es ja doch nicht! – Den Herrn Fröhlich!«

Die alte Frau sah von der Näharbeit auf und fragte voller Besorgnis: »Herr Gott, hat euch denn da auch niemand zusammen gesehen?«

Elsbeth mußte lächeln. »Und wenn uns schon jemand gesehen hätte!«

Die alte Frau seufzte: »Aber wir haben doch darunter zu leiden.«

»Wieso denn? Wenn wir unsere Arbeit prompt abliefern, kann uns kein Mensch etwas anhaben! – Uebrigens, weißt du, um was mich Herr Fröhlich gebeten hat?«

»Na, um was denn?« Angstvoll sah die Alte aus.

»Malen will er mich!«

»Allmächtiger Gott!« – Vor Schreck entfiel ihr die Nadel.

»Hier in unserem Garten will er mich malen!«

»Du hast doch sofort nein gesagt!?«

Lachend rief die Kleine: »Bewahre! Halb und halb habe ich sogar schon zugesagt.«

»Aber, Elsbeth!«

»Na, Muttchen, was wäre denn so Schlimmes dabei?«

»Aber die Leute, die Leute!«

»Ach, die laß reden, was sie wollen!«

»Und was wird der Herr Gestner dazu sagen?«

Erstaunt und ernst sah Elsbeth auf. – »Wie kommst du denn darauf? Der Herr Förster hat mir doch keine Vorschriften zu machen.«

»Wenn er dir auch keine Vorschriften zu machen hat, so dächte ich, du würdest auf ihn ein wenig Rücksicht nehmen.«

»Mutterchen, der Herr Gestner ist mir ein guter Freund, mehr aber auch nicht.«

»So? Hast du ihm das auch schon gesagt?«

»Ja, am letzten Sonntag.«

Da nickte die alte Frau, schwieg und wollte weiter sticheln, aber es ging nicht, sie mußte die Brille abnehmen, denn die Augen waren feucht.

Als Elsbeth das sah, trat sie zu der alten Frau hin, umfaßte sie und bat: »Muttchen, geliebtes, laß mich nur ruhig machen, ich tu' ganz gewiß nichts Unrechtes!«

»Kind, Kind, ich fürchte, du traust dir zu viel zu! Du kennst die Welt und die Menschen noch nicht genug!«

»Muttchen, ich folge der Stimme, die in mir spricht, – die hat mich bisher immer den rechten Weg geführt.«

Die alte Frau wollte noch etwas dagegen sagen, aber Elsbeth verschloß ihr mit Küssen den Mund.

Endlich, als die Mutter sich beruhigt hatte, begann die Kleine schmeichelnd und liebkosend: »Na, Mutting, nun sagst du auch ja, nicht wahr?«

»Kind, mir ahnt nichts Gutes dabei.«

»Aber, Mutti, Mutti, wer wird denn immer gleich das Schlimmste denken! – Gelt, du erlaubst es, wie?«

»Lieber Gott, ich werd' wohl müssen. Ich bin 'ne alte, schwache Frau. Was soll ich dagegen machen.«

»Dank! Dank! Mütterchen, goldiges!« – Und sie umfaßte und küßte die alte Frau wieder und wieder. – »Nun koch' ich dir auch gleich dein Leibgericht: eine delikate Schokoladensuppe sollst du haben!« Damit lief sie hinaus.

Besorgt aber sah die Alte ihr nach – sie ahnte, was da begann.

Am nächsten Morgen war Fritz Fröhlich schon um acht Uhr auf der Wiese, aber heute wollte es mit der Arbeit erst recht nichts werden.

Endlich kam die Kleine mit ihrem Körbchen.

Sofort lief er zu ihr hin. – »Nun, ja oder nein?«

Lachend rief sie: »Ja!«

Da stieß er einen Jauchzer aus; so jubelfroh wurde ihm zu Mute, daß er die Kleine am liebsten gleich umarmt hätte – doch die Ueberlegung siegte, – nichts übereilen! – – –

Gleich am nächsten Morgen klopfte er an die Tür des kleinen Häuschens.

Die Mutter, mit sorgenvollem Gesicht, öffnete ihm.

Heiter und keck trat er ein. – »Vielen Dank, Frau Bürger, daß Sie Ihre Erlaubnis gegeben haben. Ist das Fräulein schon auf? Dann können wir gleich beginnen.«

»Gehen Sie nur, bitte, in den Garten, Elsbeth wird wohl gleich da sein«, erwiderte die alte Frau.

Da merkte er ihre Besorgnis und fragte erstaunt: »Fehlt Ihnen etwas, Frau Bürger? Sie sehen bedrückt aus.«

»Ich sorge mich um das Kind«, sagte sie schlicht und offen.

»Aber weshalb denn, Frau Bürger?«

Da sah sie ihn bittend an und fragte: »Seien Sie mal ganz ehrlich. – Weshalb wollen Sie meine Tochter malen?«

Nun wurde er ein wenig verlegen, nahm sich zusammen und erwiderte heiter: »Aber aus rein künstlerischem Interesse.«

Stumm fragend und mit verhaltener Bitte sah sie ihn an.

Doch wieder nahm er all seine Beherrschung zusammen: »Einzig und allein deshalb! Als ich das Fräulein gestern da auf der Wiese so heiter vor mir stehen sah, da kam mir der Gedanke. Und ich glaube, daß es ein interessantes Bild wird.«

Da seufzte die alte Frau. – »Na, dann in Gottes Namen!« – Weiter sagte sie nichts. Stumm wies sie nach dem Garten hin.

Endlich trat er dann ein.

Freudig begrüßte sie ihn. – »Wie kann man an so einen schönen Tag so lange schlafen? Wir müssen früh anfangen, lange kann ich Ihnen nicht sitzen; denn meine Arbeit darf ich deshalb nicht vernachlässigen.«

Lächelnd sagte er: »Gut denn, von morgen ab werden wir früher beginnen. Zu lange können wir übrigens sowieso nicht arbeiten, denn die Sonne wird uns bald im Wege sein.«

Dann gab er ihr unter dem Fliederbaum die rechte Stellung an. Und als sie stand, trat er ein paar Schritte zurück, um einen Gesamteindruck zu gewinnen.

Als er nun die in heller Lebensfreude strahlende liebliche Mädchengestalt unter den duftig weißen Blütendolden so dastehen sah, da mußte er sich sagen, daß er nie etwas gleich Schönes gesehen hatte. Und jetzt schwanden alle anderen Interessen, und nur allein der künstlerische Sinn blieb Sieger.

Sofort, in ehrlicher Begeisterung, begann er mit der Arbeit – alles war vergessen, er hörte und sah nicht mehr, was um ihn her vorging, er war nur mit allen Gedanken bei seiner Arbeit.

Und Elsbeth stand stumm und andachtsvoll da und wagte nicht, sich zu rühren – erstaunt sah sie, wie er auf nichts achtete als auf sein Werk, erstaunt merkte sie, wie er jetzt auch sie mit ganz anderen Blicken ansah als früher – jetzt schien auch sie ihn nur so weit zu interessieren, als er sie für sein Bild brauchte. – Das enttäuschte sie eigentlich; denn sie hatte sich die ganze Sache doch interessanter vorgestellt, aber sie hatte viel zu viel Achtung vor jeder Kunst – das hatte ihr Vater sie gelehrt – und so schwieg sie und hielt tapfer aus.

So verging die erste Viertelstunde.

Da plötzlich schien er wie aus einer tiefen Andacht zum Leben Zu erwachen – er sah aus, sah sie an und rief lachend: »Na, wie ist's? Können Sie auch noch?«

»Aber natürlich«, sagte sie heiter.

»Das ist 'n Stückchen Arbeit, wie?«

»Na, es läßt sich schon ertragen«, scherzte sie.

»Wenn ein Sprichwort lügt, so ist es das von der Kunst – nichts ist ernster als die Kunst!«

Sie schwieg, sie wußte dazu nichts zu sagen.

Nach einem Weilchen, während er unausgesetzt weiter arbeitete, sagte er: »Uebrigens brauchen Sie gar nicht so stumm dazustehen, Fräulein Elsbeth, Sie können getrost sprechen; ja, es ist sogar viel besser, dann beleben sich die Züge mehr – also bitte, schießen Sie los!«

Nun fand auch sie sich in die Wirklichkeit zurück. Lustig fragte sie: »Wovon soll ich Sie unterhalten?«

»Wovon Sie wollen, mir ist alles recht.«

»Ja, das ist nun auch 'ne schwere Kunst«, meinte sie heiter, was kann ein Mädel aus solchem Nest wohl einem Stadtherrn Interessantes erzählen?«

Lächelnd sah er auf. »Was Sie mir erzählen, interessiert mich alles.« – Dann arbeitete er weiter.

»Das ist nur so 'ne Redensart von Ihnen, darauf kann man nicht allzu viel geben«, entgegnete sie.

Da sagte er plötzlich: »Uebrigens können wir die Sache ja auch anders gestalten. Wie wär's denn, wenn ich Ihnen etwas erzählte?«

Erfreut bejahte sie: »Wenn Sie das nicht bei der Arbeit stört, dann wär's famos!«

»Also gut, wovon soll ich Ihnen erzählen?«

»Wovon Sie wollen, mich interessiert alles!«

»Na, na, ist das nun nicht auch nur so 'ne Redensart?« – Heiter sah er sie an.

Und, leicht errötend, antwortete sie: »Von mir gewiß nicht! Was Sie mir erzählen, ist mir ja alles neu, ich weiß ja noch rein gar nichts von der Welt.«

In stummer Bewunderung sah er sie an – wie schlicht, wie herzig sie das gesagt hatte! – Er hätte sie gleich küssen können dafür.

Mit einem Male war das Gärtchen voll Sonne.

Da ließ er den Arm sinken. – »Na, für heute ist's vorbei mit der Arbeit. Ich hätte nicht geglaubt, daß die Sonne so früh hier sein würde. Sie haben recht, morgen früh müssen wir zeitiger beginnen!«

Er stand auf und legte seine Sachen zusammen.

Auch sie gab ihre Stellung auf.

»Darf ich alles hier bei Ihnen stehenlassen?« – Froh sah er sie an.

»Aber gewiß.« – Auch sie war heiter. Dann fragte sie plötzlich: »Wie lange wird es übrigens dauern, bis das Bild fertig ist?«

»Wenn wir Glück haben, vielleicht vierzehn Tage.«

Sie nickte. Zögernd fragte sie weiter: »Und dann? Was haben Sie dann mit dem Bild vor?«

»Wenn Sie gestatten, stelle ich es dann aus.«

»In Berlin?!«

Er nickte.

Sie schwieg und sah vor sich nieder.

Da fragte er: »Oder erlauben Sie es nicht gern?«

Leicht errötend antwortete sie: »Oh, doch, ich – ich glaubte nur –« Sie stockte.

»Nun, was denn, Fräulein Elsbeth? Nur immer dreist heraus mit der Sprache.«

»Ich glaubte, sie würden es nicht verkaufen.«

Da sah er sie lächelnd an. – »Das will ich auch nicht, liebes Fräulein, nur ausstellen will ich es, damit die Kritik es sieht.«

Sie nickte, ungefähr glaubte sie zu verstehen.

Als er sich zum Gehen anschickte, fragte er: »Nun also gehen Sie an die Arbeit?«

»Sofort! Ich habe viel nachzuholen!«

»Na, dann werden Sie mich wohl bald vergessen?« Sie schwieg und pflückte eine Blüte ab.

»Nicht wahr, Fräulein Elsbeth?« wiederholte er.

Da erwiderte sie heiter: »Wer weiß, vielleicht doch nicht.«

»Wirklich? Ist das wahr, Fräulein Elsbeth?«

»Ich sage immer, wie ich's meine.« – Offen sah sie ihn an.

»Nun, dann schenken Sie mir zum Andenken diese kleine Blüte.«

Wortlos tat sie es.

Und da ergriff er ihre Hand und küßte sie.

»Kann ich Sie denn heute nachmittag oder heute abend nicht sehen?« bat er leise.

Stumm verneinte sie.

»Warum denn nicht, Fräulein Elsbeth?«

»Ich kann nicht«, sagte sie leise.

Da ging er. – »Also dann morgen früh!«

Sie nickte nur.

Grüßend ging er durch das Haus.

Und sinnend stand sie und sah ihm nach ,… Noch immer klangen seine Worte ihr im Ohr. Plötzlich fiel ein Strahl der hellen, warmen Frühlingssonne auf sie, und da erwachte sie aus ihrem Sinnen, und da kam es wie ein Leuchten über sie, und eine Stimme in ihr jubelte wie Lerchengesang: »Freu' dich doch! So freu' dich doch! Du bist ja jung und gesund! Dir gehört ja die ganze, große, schöne Welt! Sei doch glücklich, sei doch glücklich!« – Und da sank sie überwältigt auf die Bank hin, faltete andächtig die Hände, lehnte den Kopf an den Baum und schloß in stiller Glückseligkeit die Augen.

Mit einem Male stand die Mutter vor ihr.

»Elsbeth, Kind, was ist dir?«

Da sprang die Kleine auf, umfaßte die alte Frau und sagte innig: »Ach, Muttchen, es ist heute ein so schöner Tag, daß ich ganz träumerisch werde.«

Die Mutter nickte nur, stumm küßte sie ihr Kind ,…

Nicht so sinnend war Fritz Fröhlich fortgelaufen.

Er lächelte still vor sich hin ,… darin waren doch alle Mädel gleich: einem Maler, der sie porträtiert, sind sie bald gut!

Mit einem Male dachte er wieder an das Bild, und im Nu verschwanden seine erregten Sinne, im Nu war er durchdrungen von künstlerischem Ernst und von echter Schaffenslust.

Er fühlte es, daß es ein Kunstwerk werden würde, wenn es ihm so gelang, wie es ihm in der Seele lebte. – Und nun auf einmal war er sich auch darüber klar, daß er die schöne Elsbeth, bevor das Bild nicht vollendet war, nur mit den Augen des Künstlers ansehen durfte, wenn anders er sich nicht die künstlerische Reinheit der Seele beflecken wollte!

So sollte es sein.

Gleich am andern Morgen, als die zweite Sitzung begann, handelte er getreu dieser Vornahme – er drängte alles, was sein Herz irgendwie in Gefahr bringen konnte, energisch zurück – zwar war er freundlich und galant, sprach und scherzte genug, aber alles blieb immer nur an der Oberfläche der Unterhaltung; sein Herz hielt er gepanzert zurück; manchmal aber saß er auch minutenlang stumm und fast finster vor der Arbeit und pinselte emsig und mit ernster Hingabe.

In solchen Augenblicken betrachtete Elsbeth ihn mit besonderem Interesse, dann erschien er ihr als ein ganz anderer, dann sah sie ihn mit scheuer, stiller Ehrfurcht an, dann erblickte sie nur den Künstler in ihm, der alle andern gewöhnlichen Sterblichen um Haupteslänge überragte. Auch merkte sie mit feinem Instinkt, daß er sich Mühe gab, jetzt alles Herzliche und Gefühlvolle zurückzudrängen und sich auf den unterhaltenden Geselligkeitston zu beschränken, aber auch das verletzte sie nicht, sie entschuldigte es damit, daß er den Kopf mit seiner Arbeit voll hatte.

So arbeiteten sie sich beide stillschweigend in die Hand, der eine kam dem andern entgegen.

Unter diesen Umständen ging die Arbeit leicht und schnell vonstatten. Jeden Morgen begann man um sechs Uhr und arbeitete fast ununterbrochen zwei Stunden lang. Und jeden Tag spielte sich dasselbe ab: Er erzählte ihr von dem Leben und Treiben der Weltstadt, von Kunst, Theater und Musik, und sie hörte mit hellem Ohr zu, denn das alles erklang ihr wie ein Märchen aus einer anderen Welt. Manchmal auch kam Mutterchen mit besorgtem Gesicht und blieb ein paar Minuten da, aber lange hielt sie es nie aus; mit heimlichen Seufzern ging sie bald wieder zurück ins Haus.

Am dritten Tage wußte es die ganze Stadt.

Hei, das gab mal Stoff zum Klatsch!

So etwas war noch nicht dagewesen. Vom Morgen bis zum Abend standen die Mäuler nicht still. Jeder trug es zum andern, und jeder wußte etwas Neues zu berichten.

Auch der Förster Gestner hörte es.

Am Nachmittag kam er im Vorübergehen mit heran.

Elsbeth war heiter und lustig mit ihm, aber die alte Frau konnte ihre Verlegenheit schlecht verbergen.

»Darf man denn das Kunstwerk auch mal sehen?«

Sofort wollte Mütterchen es vorholen, aber Elsbeth trat dazwischen.

»Nein, wir dürfen es nicht eher zeigen, bevor es fertig ist, das hat Herr Fröhlich mir auf die Seele gebunden«, sagte sie ernst.

Mit leiser Ironie meinte er: »Wie es scheint, hat ja dieser Herr Fröhlich schon einen recht ansehnlichen Einfluß bei Ihnen.«

Da wurde die Kleine purpurrot, aber sie zwang sich zur Ruhe, indem sie entgegnete: »Ich glaube, Herr Förster, daß ich Ihnen darüber keine Rechenschaft schuldig bin.«

»Aber, Elsbeth!« rief die erschrockene Mutter dazwischen.

Der Förster aber, in dem der Groll kochte, sprach erregt weiter: »Wissen Sie, Fräulein Elsbeth, was man im ganzen Ort spricht?«

»Nein! Und ich will es auch nicht wissen!« rief sie ernst.

»Sie sollen es aber wissen! Ich bin es Ihnen schuldig. Man bringt Sie bereits ins Gerede mit dem Maler! Sehen Sie, so steht's.«

Die alte Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen und begann leise zu schluchzen.

Elsbeth aber, die zuerst kreidebleich geworden war, nahm sich zusammen und antwortete nun ruhig: »Sie wissen ja, Herr Förster, daß ich auch nicht so viel auf den Klatsch da draußen achte. Da Sie uns nun aber trotzdem zugetragen haben, was da geschwätzt wird, so erkläre ich Ihnen hier: der Herr Fröhlich wird nach wie vor zu uns kommen, so lange, bis das Bild fertig ist.«

Starr sah der Förster sie an. Leise bebend sagte er:

»Fräulein Elsbeth, weisen Sie mich nicht ab, ich bin ein ehrlicher Freund Ihres Hauses!«

Sie blieb ganz ruhig, sah ihn ernst an und erwiderte:

»Abgewiesen habe ich Sie ja gar nicht, Herr Förster! Wenn Sie aber wirklich ein guter Freund von uns sind, dann haben Sie ja nun die beste Gelegenheit, es zu beweisen. Widersprechen Sie doch dem Klatsch da draußen! Als unser ehrlicher Freund müssen Sie doch auch an unser reines Gewissen glauben, sollte ich meinen!« – Sie nickte ihm zu und ging hinaus.

Sprachlos sah er ihr nach – so hatte er sie noch nie gesehen – noch niemals so ernst und bestimmt reden gehört – ordentlich klein kam er sich dagegen vor.

Dann sah er zu der alten Frau hin mit stumm fragendem Blick.

Die aber sagte unter Tränen: »Ich kann ja nichts dagegen tun, lieber Herr Förster, ich bin ja ganz machtlos; was sie sich in den Kopf gesetzt hat, das führt sie auch aus; ich bin 'ne alte, schwache Frau, ich kann nichts, wirklich nichts dafür!«

Da nickte er und ging still hinaus. – –

Am nächsten Morgen kam her Maler wie gewöhnlich.

Mit keinem Wort, mit keiner Miene verriet Elsbeth, was gestern vorgegangen war oder daß sie eine Ahnung von dem Klatsch hatte. Alles verlief genau so wie sonst, – er arbeitete ehrlich und fleißig, dabei unterhielt er die Kleine stets aufs beste von allen möglichen Dingen, die ihr noch unbekannt waren; und interessiert hörte sie zu und ermunterte ihn durch geschickt dazwischengeworfene Fragen. So konnte man täglich sehen, wie das Bild der Vollendung näher kam.

Als die zehnte Sitzung beendet war, sagte er mit stiller Freude: »Nun noch einen Tag tüchtige Arbeit, Fräulein Elsbeth, dann haben wir's geschafft.«

Auch sie war beglückt. Lächelnd nickte sie ihm zu und trat vor das Bild hin. Erstaunt sah sie es an, fast war es schon fertig. In stummer Bewunderung stand sie davor.

»Nun, was sagen Sie? Wie gefällt es Ihnen?« Er stand hinter ihr. Vor seinen Augen leuchtete das zarte rosige Fleisch ihres prachtvollen Halses und Nackens, vor seinen Augen schimmerte das herrliche Blond ihres seidenweichen Haares – – alle die so lange zurückgehaltene Leidenschaft wurde plötzlich wach.

Aber da sah sie sich plötzlich um, lächelte ihn in unschuldiger Reinheit an und sagte: »Gut gefällt es mir, sehr gut!«

Und da wurde er wieder ruhig und vernünftig und sagte sich: »Immer warten, geduldig warten!«

Scherzend meinte sie dann: »Ich möchte wohl wissen, was die Leute in Berlin sagen, wenn sie das Bild sehen – für was sie mich wohl halten mögen?«

Heiter erwiderte er: »Für eins der schönsten Mädchen, die auf Gottes Erdboden umherlaufen!«

»Sie Spötter!«

»Soll mich gar nicht wundern, wenn nun ein Graf oder ein Prinz kommt, Sie aus Ihrem Versteck herauszuholen!«

»Mich so zu verspotten!«

Ausgelassen scherzte er weiter: »Was würden Sie denn nun sagen, wenn Sie durch das Bild zu einer gewissen Berühmtheit gelangten?«

»Hören Sie doch auf! Wie kann man ein armes Mädel so zum besten haben! – Schmollend trat sie zurück von dem Bilde.

Und mit lechzenden Augen sah er ihr nach – gerade so, in dieser halbversteckten Schmollerei gefiel sie ihm am besten. Voll Begeisterung rief er: »Fräulein Elsbeth, ich bin Ihnen viel, sehr viel Dank schuldig, daß Sie mir zu dem Bilde gesessen haben! Bitte, sagen Sie mir, wie kann ich mich auf irgendeine Weise dafür revanchieren?«

Lächelnd verneinte sie: »Aber machen Sie doch nicht solche Dummheiten!«

»Nein, ernsthaft gesprochen! Sagen Sie, kann ich Ihnen irgendeinen Wunsch erfüllen?«

»Ich habe keinen!«

»Ach nein! Ein Mensch ohne Wunsch – so etwas glaube ich nicht!«

»Wirklich! Ich habe keinen!«

»Na, besinnen Sie sich nur mal erst ein wenig – in der tiefsten Falte Ihres kleinen Herzchens wird sicher noch ein unerfüllter Wunsch sein!«

Da antwortete sie errötend und leise: »Goethes Gedichte!«

Erstaunt sah er sie an, dann wiederholte er zögernd: »Goethes Gedichte?« – Das hatte er nicht erwartet.

Als er am nächsten Morgen kam, überreichte er ihr ein kleines Päckchen.

Errötend nahm sie es – Goethes Gedichte in Prachtband – dankbar reichte sie ihm die Hand.

Eine ganze Stunde malte er ununterbrochen – dann trat er zurück, betrachtete das fertige Bild lange und eindringlich, – dann legte er Pinsel und Palette hin und sagte scherzend: »Mein gnädiges Fräulein, ich danke verbindlichst!«

Unter dem Nußbaum an dem runden Tisch ließen sie sich nieder.

Sie wickelte das Buch aus, und plötzlich blieb ihr Blick an dem Zeitungsblatt des Umschlags haften.

Erstaunt fragte er: »Was haben Sie denn da?«

Lächelnd wies sie auf ein Inserat, eine Theateranzeige des Opernhauses in Berlin. – »Am Sonntag gibt's den Tannhäuser!« sagte sie mit strahlendem Blick.

Plötzlich kam ihm eine Idee. »Möchten Sie wohl die Oper hören, Fräulein Elsbeth?«

»Und ob ich möchte!« antwortete sie lebhaft. »Aber der Wunsch wird mir wohl vorerst nicht erfüllt werden.«

Da rief er heiter: »Also hat man doch einen noch unerfüllten Wunsch!«

Lächelnd schwieg sie.

Er aber sprach schnell weiter: »Nun gut, Sie sollen die Oper kennenlernen! Ich lade Sie dazu ein!«

Glücklich, aber auch ungläubig sah sie ihn an.

»Ja, ja, wirklich! Ich lade Sie ein, Sie und das Mutterchen! Machen Sie sich nur bereit. Es wird Sie keinen Pfennig kosten! Das soll meine Gegenleistung für Ihre Sitzung sein!« – – –

Und so war es am nächsten Sonntag geschehen. Alle drei kehrten, begeistert von dem Kunstgenuß, aus Berlin zurück.

Als Mutter und Tochter allein waren, wollte Elsbeth sogleich in ihr Kämmerchen schlüpfen, denn ihr Herz war voll.

»Bleib' noch, Kind, ich möchte ein paar Worte mit dir reden!«

Mit Unruhe sah Elsbeth auf – sie ahnte, und hörte zu.

»Mein Kind, du weißt, daß ich nur dein Bestes will«, begann die alte Frau mit sorgenvollem Blick, »und deshalb möchte ich dich vor dem Maler warnen und dir sagen, überleg' genau, was du tust.«

Zögernd ging die Mutter an die Kommode und zog ein altes, vergilbtes Blatt Papier heraus.

»Hier. Dies habe ich unter Papas Papieren gefunden. So lange habe ich es für mich behalten. Nun aber sollst auch du es kennenlernen!«

Und Elsbeth nahm es. Sie erkannte des Vaters feine, zierliche Handschrift. Und die las:

» Montag. Wieder eine Woche herum, wieder nichts tun können. Verdammt der Zwang, der mich ins Joch des Lehrers spannt! Ich ertrage es nicht mehr! – Mittwoch. Ich will arbeiten, ich will schaffen! Ich muß! Sonst gehe ich zugrunde! – – Und wieder kann ich zu nichts kommen, zu keiner Sammlung, denn diese verfluchten Klavierstunden bringen mich außer Rand und Band! Ach, ich könnte einen Mord begehen! – Sonntag. Heute war ein freier Tag, heute wollte ich beginnen mit der Arbeit. Aber als ich mich hinsetzte, kommt mein Weib und klagt mir die Ohren voll – dies fehlt und das fehlt – und so weiter. Ach, Geld, Geld, du infames, gemeines Geld! Du bist es, das mir alles raubt! Hätte ich dich, wäre ich groß und berühmt – hätte ich dich, wäre ich alles – so aber bin ich ein Lump, ein Bettler, ein Nichtskönner und noch weniger, noch viel weniger – – Wehe, drei mal wehe dem mittellosen Künstler, der durch Weib und Kind gefesselt ist! – – Ach, ich will nicht mehr daran denken! Es ist ja doch umsonst – zu ändern ist nichts mehr – es geht, solange es eben noch geht – – Schluß! Ich will nicht mehr dran denken! Vergessen, alles vergessen! – – – Ich gehe zu meiner Flasche! Trösterin!«

Bebend stand Elsbeth da; das Blatt in ihren Händen zitterte; mit starren Augen sah sie hin zur Mutter.

»Nun, mein Kind, hab' ich zu viel gesagt? Hab' ich unrecht?«

Da sank sie hin zu der alten Frau und umschlang sie.


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