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. Novalis erfährt bei den meisten, die sich aus Not oder Tugend mit seinem Werke auseinandersetzen, das Schicksal, daß sie ihn als einen Dichter des Christentums ansprechen, und manche Untersuchung ist darüber angestellt, ob er nicht im Grunde katholisch war, was die einen beweisen wollen, die andern wieder gegenbeweisen. Äussere Umstände, wie die von einigen der Romantiker vollzogene Konversion, wirken da mit, und je nach der Partei erklären ihn die Protestanten für einen Abtrünnigen, die Katholiken für einen Bekehrten und die Objektiven mit den guten liberalen Idealen glauben, seine ›christlichen Velleitäten‹ bedauern zu müssen. Möge darüber ein Wort erlaubt sein.

Eine Renaissance der Antike kam in dem letzten Dritteil des achtzehnten Jahrhunderts über das protestantische Deutschland, die die Besten wie eine Erlösung und ein Glück empfingen. Die ›Fatigue du Nord‹ wurde eine Krankheit, die nach dem Süden, nach Italien trieb wie nach einer Heilstätte, die Genesung bringen musste. Den lateinischen Völkern des Südens wandte man sich zu, nicht mehr den Lateinern des Westens, die das achtzehnte Jahrhundert Deutschlands bisher mit Kultur und Bildung versorgt hatten. Diese Nachrenaissance der Antike, die ein Wiedererwachen der Sinne war nach den theoretischen und praktischen Kunststücken der reinen Vernunft, mußte die sensiblen Naturen des protestantischen Nordens einer Religion näher bringen, die, aus der Antike erwachsen, stärker als jede andere das Heidentum in ihren Kulten bewahrt hatte. Und diese Religion war der Katholizismus. Die protestantische Lehre vom Gewissen wurde als ein Zwang empfunden, das katholische Dogma der Gnade als Befreiung. Denn was sonst war diese Gnade als die virtu, die alles sein konnte: Kraft des Körpers und der Sinne, Schönheit, Talent und alle mächtige Natur. Es bietet der Katholizismus nicht wie der Protestantismus eine zur Diskussion stehende Lehre, sondern Formen, die sinnlich aufzunehmen und zu erwidern sind: Feste und Umzüge, bunte Gewänder und Bildwerke, Musik und Götter und Göttinnen, Handlungen, die Dunkles sichtbar vorstellen und ein vernunftmässiges Auslegen nicht vertragen, die Sinne reizen und den Verstand nicht lange quälen, die Sünde verdammen und sie in ihrem zweiten subtileren Genuss des Bekennens wieder zurückführen – das ist die Religion, eine Ekstase der sublimierten Natürlichkeiten. Und mag man die bürgerlich-ethische Qualität der protestantischen Lehre höher einschätzen als die des Katholizismus, die Sinnfreudigen werden sich diesem immer näher fühlen, weil er den Rausch heiligt und die Macht des Fleisches so über alles erkannt hat, daß er sein Dogma von der Abtötung als erstes nennt.

Novalis schreibt in einem Briefe an den frommen Just: »Mir ist die Religion durch herzliche Phantasie nahe gekommen – denn dies ist vielleicht der hervorstechendste Zug meines eigentümlichen Wesens.« Er will frei und stark sterben und verordnet sich in der Zeit seines ›Entschlusses‹ selbst Körperbewegung, um gesund zu bleiben; er findet »in den meisten Lavaterschen [religiösen] Liedern zu viel Irdisches und zu viel Moral und Asketik, zu wenig Wesentliches und Mystik.« Und weiter: »Es gibt nur einen Tempel in der Welt, und das ist der menschliche Körper. Nichts ist heiliger. Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet.«

Man wird in dieser Heiligung des Fleisches kaum Zusammenhänge mit der protestantischen Pastoraltheologie finden können und auch der moderne Katholizismus in seiner nordischen Degeneration zu Reform und Partei wird, verkommen wie er ist, nichts anzufangen wissen mit dieser übersinnlichen Kulte, mit der Novalis die Sinnlichkeit cellebriert. Die alten Götter, diese lebendigen Gebilde lebhafter Sinne hatten damals, als sie aus den Tempeln in die Basiliken zogen, gerade nur das Kostüm gewechselt, aber sie sind die Götter geblieben bis auf heute. Doch sie offenbaren sich nur ihren rechten Kindern, sie sprechen nur zu den Dichtern; für die Behörden und Zünfte sind sie stumme Golim, Erfindungen den einen, Ängstlichkeiten den andern oder Bequemlichkeiten. Deshalb verstimmen die berufsmässigen Konvertiten jener romantischen Zeit. Aber daß die anfangs wirkende ekstatische Freude an der katholischen Formenwelt manche Begeisterte am Ende zu mönchischer Knechtsamkeit und totem Quietismus brachte, dies zeugt nicht so sehr von der Stärke des katholischen Glaubens als Anschauung der Welt, als vielmehr von der Schwäche und dem Schaffensunvermögen der bekehrten Bekenner. Sie zwangen nichts, und so war es ein leichtes, sie zu bezwingen. –

Ich möchte nicht sagen, daß Novalis durchaus diese angemerkte Bewegung zum Katholizismus, wie er sich dem Protestanten bot, als ein Typus darstellt. Dies wäre wohl etwas gewaltsam und würde ein stärkeres Bewußtsein, eine deutlichere Kenntnis des Zieles anzunehmen zwingen als Novalis um diese Dinge besitzen konnte, die sich dem, der sie erlebt, mit ganz andern Gründen und Bewegnissen vorstellen, als dem später Überschauenden. Doch sagt er: »Die Religion muß das werden, was sie bei den Alten schon gewissermaßen war: praktische Poesie.« Und andere Fragmente führen diesen Wunsch weiter. Der Dichter erfüllt in sich den Willen Gottes, denn »Gott will Götter.« »Nur der Künstler kann den Sinn des Lebens erraten« und dieser Sinn ist ein moralischer: »der moralische Sinn ist der Sinn für Dasein, ohne äußere Affektation, der Sinn für Harmonie. Sittliches Gefühl ist das Gefühl des absolut schöpferischen Vermögens, der produktiven Freiheit, der unendlichen Persönlichkeit. Der vollständige und vollkommene Künstler ist von selbst sittlich,« und so »ist dem echt Religiösen nichts Sünde.« Man hat auf Novalis Aufsatz: ›die Christenheit und Europa‹ gewiesen und darin mehr zu sehen vorgegeben als eine nur poetische Sympathie mit dem Katholizismus. Man soll sich von der theoretischen Art, in der sich dieser Aufsatz gibt, nicht um sein Wesentliches täuschen lassen, das nur der Sehnsucht ein Ziel sucht und eines in dem frühen Katholizismus findet. Und wäre es auch so, daß Novalis stärkere Neigungen für die katholische Form gehabt hätte als für den protestantischen Geist, an seiner Bildung hätte ein wirklicher Übertritt nichts geändert, und muß erst noch dieses angebliche Übel bewiesen werden, das ein Übertritt durchaus haben soll und besonders der in den Katholizismus.

Doch: man mag an all diesem und der Mystik des Novalis kein Teil nehmen und sich um ihre Deutungen nicht so kümmern, daß sie einem als Gedankliches den Sinn bewegen – der Macht, die Novalis dem Worte gab, wird man sich nicht entziehen können. An den religiösen Liedern möchte dies am deutlichsten werden. Christus war für Novalis kein Glaubensdogma, aber er fand ihn als konkreten Träger bestimmter Zustände, als der neuen Seele Gottheit, deren er sich in den ›Geistlichen Liedern‹ um so lieber bediente, da er bei ihnen an den wirklichen Gesang in der Kirche dachte und der Gemeinde Christus die sinnlich geübteste religiöse Persönlichkeit ist, Christus und die heilige Jungfrau. Novalis gibt diese Symbole sofort auf, so wie er des Kirchenliedes nicht mehr gedenkt, wie in der ›Hymne‹, die in freien Rhythmen kommt, wo die geistlichen Lieder sich in ihrer Form an das alte Kirchenlied halten, Reimwiederholungen mit Absicht bringen, weil sie den Singenden in der Kirche nicht nur nicht stören, sondern vertraulich machen wie die naive Aufzählung der Bilder Vers um Vers. Nicht als einen Artisten wie den Poe möchte ich Novalis beschreiben, aber doch einen Satz von ihm erwähnen, darin er von »Erzählungen« spricht »ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziationen, wie Träume; Gedichte, bloß wohlklingend und voll schöner Worte, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang – höchstens einzelne Strophen verständlich – wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen.« Nur muß ich auch gleich einen andern Satz von ihm aufschreiben, es möchte sonst der erste als ein wichtiges Zeugnis angerufen werden für ein zur Zeit modernes Dicht-Programm, dem wohl die Worte nicht fehlen, aber die Persönlichkeiten. Novalis sagt auch: »Auf seltsame Sprünge richtet die Sprache nur ein Gaukler, nicht ein Dichter ab.« –


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