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Sechstes Kapitel

§ 1

»Vor einigen Jahren spottete man in Deutschland über eine spärlich ausgefallene Manifestation Pariser Suffragetten. Die Französin, sagte man, würde nie gefährlich werden; sie habe ja die schöneren Hüte. Man irrte. Ein schöner Hut ist ein Kunstwerk, fast so selten wie dieses. Vorurteil gegen Mode kennzeichnet eines Volkes Tiefstand. Der Untiefe verachtet sie und Unreine entnehmen ihr nur das sexuelle Moment. Indessen spiegelt sie den Gesamtgehalt der Epoche. Sie illuminiert Zeitgenossen und Zeitinstitutionen in ihrem Vergehen und Versprechen. Wie alle Kunst unterliegt sie dem bewegenden Gesetz. Expressionismus ist ihr Wesen, und ihr Sinn ist Expression. Unfähigkeit verrät sich in der Silhouette. Ein häßlicher Hut ist eines Mädchens Leichenstein, der ihren Geist begräbt, und manche ist gestorben an einem unmodernen Kleid. Die Koketterie dient dem Geist, und er dient ihr. Wenn sie lächelnd über die Straße schreitet, wird Geist nicht minder als wenn der Unsterbliche ihre Schönheit kündet. Geist läßt sich in Schleifen binden. Die suchende Geste nach den Maßen der Schönheit, nach stetig fließenden Gesetzen, immer neuen Rhythmen und Strömungen, ziellos, zeitlos, aber niemals zufällig, nicht blind und nicht taub, das ist Mode. Da sie das Vergänglichste ist, ist sie von ewiger Dauer. Sie ist von allen Errungenschaften des Menschengeistes dem Fallgesetz am wenigsten unterworfen, darum bringt sie Tugenden zu Fall. Sie tut mehr. Sie organisiert Schönheit. Und Schönheit ist ein starkes Gift wie Geist. Eine furchtbare Waffe mißhandelten Geistes ist sie in den Händen der Frau. Nur mit ihr ist das Tier zu bändigen. Im Zierat einer, die viele rächt, bleibt der Bürger verblutend hängen. Das Männchen erschießt sich nicht um der Kontrollierten, nur um der Preziösen willen. Manchmal aber auch tötet das gereizte Tier. (Und der deutsche Professor übersetzt Kurtisane mit »Weibchen«.) Mode pervertiert den Bürger; aber sie einigt Völker. Ihre Moral ist die von morgen. Der leichteste Stoff wird Herr des schwersten. Sie ist ein revolutionäres Gewissen der Menschheit, weil alle ihre Gesetze in eigner Vervollkommnung ruhen; in ihr ziehen sich die Mächtigen den Keim heran, die ihre Macht zerstören wird. Sie ist Gefahr, Aufruhr und Verbrecherin. Die Mode zieht das Leben selbst in ihren Kreis. Diese Wirkung des Geistes, eigenste und elementarste, ist für den Bürger peinlich, weil sie die zerstörendste ist, »l'action directe«. Er, der sich gern als Liebhaber der Künste aufspielt, verpönt sie und verbündet sich gegen sie mit Pädagogen, Polizisten und Parlamenten«. Diese gescheuten Worte hat eine Frau geschrieben.

Es gibt Leute, die ein Vernichtungswort über die Mode damit auszusprechen meinen, daß sie sie als eine Erfindung gewinnsüchtiger Schneider bezeichnen. Schneider sind nun nicht durchaus eine verächtliche Gattung Mensch, und die Gewinnsucht ist nicht ihr besonderes Kennzeichen. Aber die Schneider erfinden gar nicht die Moden. Man versteht die Gründe, die Frauen veranlassen können, eine Mode nicht »mitzumachen« und sie auf die erfinderische Betätigung ihres eigenen Ingenium verweisen: Gründe des Etats der Finanzen sowohl als des Leibes. Beide Gründe werden von einer Frau nicht gern zugegeben; sie sagt lieber, sie mache die neue Mode nicht mit, weil sie sich von den Schneidern nichts vorschreiben lasse und weil die neue überhaupt lächerlich sei. Eine Mode ist nach alter Erfahrung aber nur zweimal lächerlich: solange sie noch nicht ist und wenn sie aufgehört hat zu sein. Also: eine Mode ist nie lächerlich. Sie ist eine Variation und die jedenfalls nötige Variation der Mittel des Gefallens, des Sichabhebens dort, wo ein großer Konflux von Menschen statthat. Die Modische trägt das Neueste nur solange (also sehr kurz), als es von wenigen ihres Geschlechtes getragen wird; droht ihr wieder das Verschwinden in den zu vielen, so erfindet sie eine neue Mode. Denn: nicht die Schneider erfinden. Die kopieren nur sofort, was eine durch Rang, Namen, Schönheit, Geschmack bekannte oder genannte Frau erfunden hat, um sich ihrer Qualität entsprechend auch äußerlich abzuheben von ihren Konkurrentinnen. Der Schneider ist höchstens ein Berater, ein technischer Helfer, nie ein Erfinder. Man weiß ja: unmittelbar kleiden die Frauen sich der Frauen, mittelbar erst des Mannes wegen, besser: die Frau weiß, daß sie mit dem Ensemble der neuen Mode den Mann beeindruckt, aber die Frau, die mit ihrem Hut um acht Tage zurück ist, mit dem Detail ärgert und verdrängt. Es ist ein Wettkampf der Frauen untereinander – oft ist der Kampf nur um dieser seiner selbst willen geführt – und alles was in wilderen Zeiten Kampfmittel war und in tieferen Ständen noch Kampfmittel ist, das hat sich in der Mode sublimiert: ein Kampf um die Macht über den Mann, der zuerst ein Kampf der Frauen untereinander ist. Als vor Jahren in schwärmerischen jungen und alten Mädchen ohne sonderliche weibhafte Differenzierung der Ehrgeiz erwachte, sich ebenfalls abzuheben, und viele Gründe ihnen die gerade geltende Mode versagten, erfanden sie sich, schwärmerisch, praktisch und so unglücklich, wie sie in einem sind, eine sonderbare Tracht, halb Sack, halb Kutte, kunstgewerblich höchst bestickt. Dicke Frauen, die es verbergen wollen, daß sie dick sind, bequeme Frauen, welche die Schönheitsquelle des Zwanges nicht kennen und für das »Individuelle« sind, und viele Frauen sonst noch gingen in Sack und Kunstgewerbe. Dieses Reformkostüm, wie es sich einer Neigung der Zeit folgend nannte, war keine Mode, sondern das törichte Stigma einer Gruppe Hilfloser. Mode wird nur, was nicht von einer Gruppe, nicht von einem Schneider, sondern von einer Frau aus der Schönheit ihres Leibes heraus oder aus Partikularitäten dieser Schönheit erfunden wird. Der Erfolg dieser Schönheit reizt, ihren Apparat nachzuahmen, da man nicht ganz sicher ist, ob nicht doch Kleider Leute machen. Was eine Frau erfand zu stärkerem Ausdruck ihrer besonderen Schönheit, das geht schnell an jene, deren ähnliche Schönheit auch davon gewinnt, gerade noch gewinnt, nichts verliert, verliert, zur Karikatur wird – und damit auch schon nicht mehr »modern« ist.

 

§ 2

Daß man aus der Einsicht in die vermeintlich letzten Gründe einer Sache und aus Mißbilligung dieser Gründe gerne auch deren späte Effekte beseitigt wissen möchte, ist das ebenso utopische wie phantasielose Unternehmen gewisser Gehirne, die Entwicklung annehmen, wo Variation, Verstand suchen, wo nichts als Sinnlichkeit ist, und einem rationellen Leben das Wort reden, weil sie im Leben nie so herrlich zwecklos gelebt haben und aus persönlichen Defekten nicht zurechtkommen. Diese Leute sind prinzipiell für niedere Absätze an den Schuhen, weil davon der Gang sicherer und bestimmter würde – als ob das schon was wäre! Sie erklären Ohrringe für barbarische Überbleibsel und fragen ihre Nachbarin sieghaft und jeden Einwand zerschmetternd: Warum ziehen Sie sich nicht einen Ring durch die Nase? Diese Leute, die sich in der Historie und Ethnographie so gut auskennen, verlangen immer, man soll seine Historie aufgeben. Weil bei uns die Sitte des Nasenringes nicht gebräuchlich ist, sind sie, »prinzipiell« gegen unsern Ohrring. Irgendwo in Afrika spricht man Somali; weshalb sind diese Leute, die uns immer in ihre imaginierte Zukunft projizieren, nicht deshalb gegen unser Deutsch oder Französisch? Diese Leute haben den Wahn des Fortschritts, weil sie meinen, die tatsächliche Verbesserung, sagen wir der Klosetts, habe einen Parallelismus auch im geistigen, im wesentlichen Leben. Sie glauben, das mehr wissen, das durch das Vergangene einem natürlich zuwächst, bedeute auch mehr bedeuten. Nun gut. Das Bedürfnis, sich zu schmücken, mag die schändlichsten Ursprünge haben – seien wir dankbar dafür, daß wir diese alten barbarischen Instinkte noch nicht verloren haben, und pflegen wir sie. Aller Schmuck hat einen sinnlich zu erfassenden Sinn. Er soll auf jenen Teil des Körpers aufmerksam machen, den er ziert – die Mouche trat so als Aufmerksamkeitserreger an jene Stellen, an die anderer Schmuck nicht befestigt werden kann. Der Ohrring, der den Blick auf ein kleines Ohr zieht, soll dieses nicht schwer belasten, sonst bekommen wir zu dem Lustgefühl eines der Angst, der Ring möchte das Läppchen durchreißen. Zu große Ohren werden den Schmuck besser vermeiden. Zu starke Gelenke werden kein Armband tragen, wie nur die feinsten Fußknöchel sich den Schmuck eines Fußbandes erlauben dürfen. Ringe an kurzen plumpen Fingern dürfen nicht jene länglichen Marquisen sein, denn die werden die Finger noch kürzer erscheinen lassen. Eine blasse Hand darf blasse Steine tragen, eine rote muß sehr vorsichtig in der Wahl sein. Jene langen Ketten werden einen Busen noch grotesker erscheinen lassen, als er ist, wenn sie über die oft schlechte Korsettkante in einem rechten Winkel abbiegen und in einem Schoß, dessen Konkavität ihn Lügen straft, eine Berlocke mehr thronen als verschwinden lassen. Ein Schmücken, das nicht üblich ist, wird eine Frau meist nicht zu ihrem Vorteil üben. Die Stirnperle des Quattrocento hat etwas Abgegucktes, Unbelebtes, weckt eine Erinnerung, die sich mit der Gegenwart der Frau nicht sinnlich eint. Alles Kostümliche anderswo als auf dem Theater oder dem Ball wird die spontane Wirkung der Frau hindern, eine Unterhaltung mit ihr wird sich in Fadaisen über Botticelli oder Gainsborough hinschleppen, da sie ja durch ihr Fremdes den ersten Eindruck macht und die Unterhaltung von diesem ersten Eindruck die Richtung erfährt. Schlechter Schmuck entstellt. Falsch verwandter Schmuck wirkt verwirrend. Schmuck, der nur um seinetwillen da ist, wirkt geliehen und macht die Frau dümmer aussehen als sie ist. Schmuck ist nur, was diskret auf die Schönheit seiner Trägerin weist. Schmuck macht nicht schöner, sondern er lenkt nur den Blick auf die Schönheit.

 

§ 3

Ein Fachmann sagt mir, daß sich der Handel mit Kosmetiks in den letzten fünf Jahren verzwanzigfacht hat. Das ist erfreulich. Denn es zeigt von erhöhter Aufmerksamkeit, die man dem leiblichen Äußeren schenkt – ein nur gerechter Ausgleich all der Anstrengungen, die man an die Bildungen Geistes und der Seele wendet und verschwendet. Woher kommt dieser dumme Spott auf gefärbtes Haar, der alberne Witz über künstliche Zähne, die höhnische Verachtung der Schminke? Das Gesicht soll ein Inhaltsverzeichnis der seelischen und geistigen Qualitäten sein, ein Charakterspiegel, so meinen die Feinde der Emaillage und haben damit das, was nichts als schön sein soll, zu einer Zweckhaftigkeit degradiert aus schmutziger Neugierde nach dem Nächsten heraus. Diese Neugierde will aus dem Gesicht lesen und sucht hinter der roten Schminke das Grau der Sorge, in dem blondgefärbten Haar das Frühweiß des Kummers. Ihr Ärger über die Täuschung macht sie boshaft; daß sie ihre Phantasie anstrengen müssen, hinter die Ursache zu kommen, macht sie geärgert. Die Neugierde nach dem Nächsten ist plebejisch und dieser Zeit sehr eigen. Der ganze Psychologismus ist solche niedrige Neugier aus Neid und Ohnmacht und der deutschesten Freude, der Schadenfreude. Die Natürlichkeit der Miene ist jetzt der Ehrgeiz der Schauspieler, die ja nur den Brauch reflektieren. In Neuyork wies mir einmal eine kleine Tragödin stolz das Geheimnis ihres Rotwerden- und Erbleichenkönnens im raschen Wechsel; in der rechten Handfläche hatte sie rot, in der linken weiß, und Schnelligkeit ist keine Hexerei. Wie weit sind wir noch vom Maskenspiel! Wie ärmlich und dürftig diese natürlichen Abmalungen seelischer Erregung sind, zeigen die Romane: nur in den schlechtesten wird der Autor mit dem Requisit des Errötens bis dorthin und des Erbleichens bis dahin arbeiten und meinen, er erschöpfe damit den Zustand. Die Kunst des Malens bestimmt nicht der Malgrund, sondern die Wirkung. Die kosmetischen Hilfen werden immer die Wirkungen vermannigfaltigen und die so kostbare Maske schaffen, undurchdringlich für alle plumpe Neugier und geschaffen eigentümlich anders, als was das Leben verräterisch ins Gesicht gräbt wie ein Mal und Erkennungszeichen in der Misere des Daseins, zum Troste aneinander. Das Künstliche gehört dem Menschen ganz allein und nur ihm, das Natürliche teilt er mit der Kreatur und ist ihm unbewußt.

 

§ 4

Wenn die Königin Margot nachts abenteuernd durch die Pariser Straßen ging, trug sie eine Maske. Nicht, um nicht erkannt zu werden, daran lag ihr nichts und jeder kannte sie, sondern um ihren Teint zu schonen. So fing auch der Schleier an, als Nutzgegenstand. Die modernen Hygieniker nennen ihn schädlich, da er von der Haut die ihr nötige Luft abhalte. Es ist ein gleichgültiger Streit, denn der Schleier behauptet sich anderem zu Liebe und zu Trotz als Nutzen oder Schaden. Er dient der Phantasie, da er dem Gesichte die Deutlichkeit nimmt und ihm ein Zwielicht gibt voller Ahnungen, Erwartungen, Träume. Er verbirgt, um unsere Wünsche lebhafter zu machen. Er gibt keine schnelle Antwort, wie so oft das offene Gesicht, er stellt Fragen auf unsere Fragen.

 

§ 5

Es scheint dieses Gesetz zu bestehen: die Summe der von jeder Mode aufgewandten Mittel bleibt immer die gleiche, variabel ist nur die Verteilung dieser Mittel am Körper. Was der Rock an Umfang zunimmt, wird der Taille abgezogen, was der Hut an Größe gewinnt, das wird anderswo weggenommen. Und so weiter. Die Summe bleibt eine konstante Größe. Die Änderung der Verteilung wird von einer Frau ausgehen, deren Körper diese neue Verteilung günstiger und die überhaupt imstande ist, eine neue Mode »anzugeben«. Deshalb ist an der idealen Trägerin jede Mode schön. Und kann häßlich nur dort werden, wo die neue Verteilung von Frauen ganz anderer Körperbeschaffenheit als der jener ersten nachgemacht wird und aus bestimmten Gründen nachgemacht werden muß. So wird immer für die gute Hälfte der Frauen die neue Mode ein Unglück bedeuten. Was eine große Schlanke erfunden hat, wird einer runden Kleinen nicht passen: es stimmt nur die Verteilung der Stoffe, nicht aber sind die zugehörigen Körperpartien in gleichen Proportionen. Was eine Schlanke erfunden hat, um sich irgendwo mehr Fülle zu geben, wird einer Korpulenten, die unter der Fülle seufzt, zur Crux. Deshalb ist an der unidealen Trägerin jede Mode häßlich.

Nur die ideale Trägerin legitimiert sie.

 

§ 6

Der heilige Hieronymus schreibt an ein gallisches Fräulein: Es ist nicht genug, jene Tracht aufzugeben, die den Körper entblößt unter dem Vorwand, ihn zu bekleiden. Der wollüstige Verstand weiß auch aus dem einfachsten Kleid seinen Vorteil zu ziehen; man trägt es so, daß es keine Falte wirft, man schleppt es, um größer zu erscheinen, die offene Tunika zeigt, was man zeigen möchte, die glänzenden Schuhe erregen durch ihr Knacken die Aufmerksamkeit der Herren auf der Promenade. Die Brüste liegen in Bändern, die Scham drängt ein Gürtel vor, und der Mantel rutscht zufällig von den weißen Schultern und entblößt sie, und schnell nimmt man ihn wieder auf, als ob man Eile hätte zu verbergen, was man doch gern hat sehen lassen.

Dies schrieb der Heilige, der vor seiner Einsamkeit die römische Gesellschaft gut kannte, im fünften Jahrhundert.

Im elften Jahrhundert eifert der heilige Anselm: Man malt sich die Augen, um den Blick verführerischer zu machen; man fastet, um einen blassen Teint zu bekommen, weil das den Eindruck macht, daß die Liebe die Hauptangelegenheit der so blassen Dame sei; man färbt sich die Lippen; man enthaart die Brauen, daß ihr Bogen feiner und regelmäßiger werde; man bräunt sich das schwarze Haar; man gibt den Brüsten eine ausladendere Form durch ein Mieder.

Wie alt ist die Welt! Wie jung sind die Menschen!

Die Alten, und vornehmlich die Griechen, haben mehr die Form und deren Reinheit gesucht als den Ausdruck, die Physiognomie. Dafür wird erst das Mittelalter, besonders das flandrische, lebhafter, wie man an den Künstlern der Miniaturen bemerken kann: für sie kommt die Reinheit der Form erst nach dem physiognomischen Ausdruck. So auch bei den frühen Dichtern der ersten Chansons de Geste. Lange bleibt die Qualität »schön« ohne jede Differenzierung, oft ist sie Reichtum, oft Wert, oft Tugend. Etwas deutlicher ist das Bildnis der Blanchefleur in der weitläufigen Epopöe Garin-le-Loberain aus dem zwölften Jahrhundert: »Sie trug den Kopf bloß und keinen Mantel; ein rotes seidenes Kleid zeichnete zierlich ihre Glieder; lilienweiß war der Zelter, der sie trug, die Schabracke war sehr kostbar, und wohl an die hundert Mark wert war allein der Zügel; die Frau aber war schön von Leib und Angesicht; voll war ihr Mund – bouche espesseté, – die Zähne klein, geordnet und weißer als glattestes Elfenbein; lang waren ihre Hüften – hanches bassettes, – ihr Teint war weiß und rot, lachend und wechselfarbig die Augen und Brauen wohlgezogen. Es war die Schönste je geboren; das Blondhaar fiel die Schultern nieder, und das Kränzchen aus Gold und Steinen, das ihr die Stirne krönte, mehrte noch die Schönheit.« Der Kaiser Pipin läßt sie neben sich sitzen und schaut sich die Details an, folgt, wie es im Gedichte zierlich sinnlich heißt, dem Auf und Ab der Brüstchen, wie sie das Pelzwerk von Hermelin heben:

Les mamelettes il vit amont sallir,
Qui li soslievent le pélicon hermin.

Diese Dichter schreiben immer wie Verliebte: sie nennen dies und das und preisen es, aber weshalb sie lieben, können sie nicht sagen. So erschöpfen sie sich in Aufzählungen. Man erfährt, daß diese Zeit, das zwölfte Jahrhundert, die Grazilität der Frau liebt, die kleinen Füße, das blonde Haar, das zarte Knie, die langen Beine, feste Brüste und die abfallenden Hüften. Alle diese Eigenschaften machte ihre Seltenheit zu Schönheiten. Im dreizehnten Jahrhundert müssen die Trobadore schon rhetorische Kunststücke brauchen, um das Thema von der Frauenschönheit zu variieren. Und im gleichen Jahrhundert schreibt der Abt Adam von Perseigne an die Gräfin Mahaut, daß »die langen Schleppen den Staub aufwirbeln und eilige Leute im Vorwärtskommen behindern. Die Damen unserer Zeit erröten nicht, den Füchsen zu gleichen; gleich ihnen, die stolz auf ihre langen Schwänze sind, paradieren sie mit den langen Schweifen ihrer Röcke.« Man sieht: auch der Witz hat sich nicht geändert. Das vierzehnte Jahrhundert bleibt bei dem Schönheitsideal der früheren Zeit, das die Dichter immer konventioneller und blasser repetieren. Die schöne Lukretia in dem Liebesroman von Äneas Sylvius Piccolomini ist so schön, wie es die Zeit nur denkt, und die Belle Heaulmyere des Villon ist ihre farblose Schwester. Aber die Dichter entdecken die Seele, kommen so dem Häßlichen näher, gewinnen die äußere Schönheit von innen belebt neu. Und damit setzt die individuelle Differenzierung stärker ein, und das typische Schönheitsideal verschwindet aus dieser Kunst, um bei den Malern weiterzuleben, die nun anfangen, profane Werke zu schaffen, auch dort, wo sie religiöse Bilder malen: die Eva des Van Eyck ist ein Porträt eines nach dem Schönheitsideal der Zeit gewählten Modelles, ohne daß der Meister übrigens in seiner ehrlichen und großen Art dieses Modell zum Typus zu steigern vermochte oder Lust hatte. Die Nachfolger Van Eycks änderten seine Feststellung nur wenig, trotzdem. Der magere Typus ist bei Memling, bei Dirck, bei Roger stehend. Auch bei den Späteren noch so. Die Stirne rund und offen, die Brauen fein und weit auseinandergedrängt, der Mund entfaltet, das Kinn sehr vordrängend. Solche Gesichter sind heute in Flandern selten; sie dürften es auch damals gewesen sein; was erklärt, daß man diesen Typus zum Schönheitsideal machte, noch immer unter der Nachwirkung der mittelalterlichen Vorliebe. Das neue Schönheitsideal der Renaissance findet in der Literatur seinen ersten Ausdruck, vielleicht zum erstenmal in dem Buche De Praecellentia feminei sexus des Doktors und Ritters Cornelius Agrippa, das er der keuschen Margarete von Österreich widmete. Das Porträt der idealen Schönheit bei Agrippa ist reicher an Details des Leibes gezeichnet, der voller, runder, belebter, lebhafter, beweglicher ist: eine erblühte Rose gegen die verschlossene Knospe der Zeit vorher. Der gleichzeitige französische Dichter Jehan Lemaire läßt Paris von den drei Göttinnen sagen: »Er könne nichts unterscheiden, da die gesegnete Fülle der Göttinnen ganz bedeckt und verschleiert sei.« Bald folgen die Maler in den wiedergeöffneten Olymp. Es hebt eine Feier der sinnlichen Schönheit an, wie sie keine Zeit vorher gekannt hat. Die fette Frau des Rubens entthront die magere des Van Eyck, ohne ihr doch den geheimen Hofstaat nehmen zu können.

Heute, dünkt mich, ist das Schönheitsideal nicht mehr für den Körper aufgestellt, sondern für das, was ihn bekleidet, eine Wandlung, die im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts einsetzte. Wer sieht noch die göttlichen Formen unter den Kleidern einer Bauernmagd?

 

§ 7

Die christliche Askese des Mittelalters soll das Mieder erfunden haben. Die mittelalterliche Askese ist eine Fabel, und das Mieder ist eine Erfindung des sechzehnten Jahrhunderts. Das dreizehnte kannte die Faszia, ganz dünne Stoffbändchen, unter der Brust um den Leib gebunden. Das fünfzehnte Jahrhundert gürtete diese etwas breiter gewordenen Bänder über die Brust. Das sechzehnte kam den fetten Frauen mit dem Mieder zu Hilfe. Denn das Schönheitsideal war immer noch, seit dem Mittelalter, die schlanke, eher magere Frau – es wird immer preisend von den mamelettes, den Brüstlein, gesprochen. Die nicht magere Frau bemüht sich, diesem Ideal mit Künsten nachzukommen. Der Askese zuliebe tat sie nichts. Die Renaissance brachte die Mode der schlanken Taille und der Dekolletage. Man aß mehr und besser und wurde dicker; die italienischen und flamischen Stadtbürger wurden vornehm; ihre Frauen wollten sich durchsetzen wie sie waren: mächtig, vollbusig; aber doch wollte man von ritterlicher Feinheit behalten was möglich war. Also machte man die Taille dünn und zeigte was da war, wie man wollte. So wurde das Mieder, das erlaubte, die Taille zu verlängern oder zu verkürzen, je nachdem es die betreffende Natur verlangte. Denn immer noch und bis auf heute gelten die kleinen festen Brüste für die schönen, wie schon bei den Griechen: bei Dioskorides kann man Rezepte finden, wie zu verhindern, daß die Brüste bei jungen Mädchen zu groß werden und zu große ins rechte Maß zu bringen. Der mittelalterliche »Asketismus« wurde wirksam nur in den plastischen Künsten, denn diese waren in religiösem Dienste durchaus. Man darf daraus nicht auf das Leben schließen. Die Künste, die nicht im Dienst der Kirche standen, wie die Fabliaux, die Chansons de Geste, der Minnesang, die Trobadore, haben keine Spur von Askese. Die Mode hat tiefere Gründe und Anlässe als Predigt und Lehre es je sein können.

Als ob der da einsetzende Eklektizismus in der Mode den Künstler nicht mehr zur Darstellung reizte, verschwindet er gegen das Ende des zweiten Kaiserreiches aus den Modejournalen und überläßt es handwerklichen Stahlstechern, modische Gebilde vorzustellen, die, in der Erfindung erschöpft, fieberisch das Vorhandene aus allen Zeiten durcheinanderwerfen: Hutformen der Valais, Jupe der Madame Tallien, Westen der Antoinette. Dagegen ist es ein Vergnügen, in den alten Modejournalen zu blättern, etwa in dem Pariser Journal des Dames oder der Londoner Gallery of Fashion, dem Weimarer Journal des Luxus und der Moden oder dem Pariser Bon Grace; später dann in La Mode oder in der Wiener Zeitschrift. Die Demokratie hat die Standesunterschiede, die sich früher in der Tracht ausdrückten, nivelliert: sie ist die gleiche für den Minister wie für den Bürger, den Handwerker wie den Gelehrten. Der männliche Frack ist das Symbol dieser Nivellierung. Kaum kann man bei den Männern mehr von einer Mode sprechen, denn die nun seit etwa hundert Jahren stationäre Bekleidung ist eine Tracht, kaum nennenswert von Launen modifiziert. Und was man etwa 1870 bis zum Kriege bei den Frauen Mode nennt, ist mehr ausgezeichnet durch rapiden Wechsel, als durch besondere Anstrengung zu einer Änderung; auch die Frauenmode ist übrigens allgemeine Tracht geworden – für jede Dame, für jedes Dienstmädchen am Sonntag gleich erreich- und tragbar.

Die Historie der Hose ist soziale Geschichte bis 1800 – von da ab wird sie bedeutungslos. Das mittelalterliche Beinkleid bestand aus einem Stück, das Fuß, Bein und Schenkel zugleich bedeckte. Der Kleiderreformer Ludwig der Große schlitzte das Stück, nachdem man schon früher die natürlichen Abschnitte des Knies mit Band und Rose bezeichnet hatte. Nun schnitt man die Hose unter dem Knie durch: es entstand, was man haut-dechausse nannte, das Beinkleid, und das bas-dechausse oder kurz bas, der Strumpf. Damit blieb der Stiefel nur den Reitern und Reisenden, der Schuh mit Band und Schnalle wurde obligat. Das blieb so bis in die Revolution, die wohl Verfassungen, aber nicht Moden ändern konnte. Der Maler David erfand zwar neufränkische Beinkleider, aber Petion nannte es ein Affenspiel. Die Häupter fielen, aber nicht der Puder auf den Locken. Schon vor der Revolution waren die Beinkleider über ihre bisherigen Halt- und Endpunkte an Hüfte und Knie hinauf- und hinuntergerutscht. Rückten da bald bis unter die Achsel, rutschten dort die Wade hinab bis an den Knöchel, und 1796 war der Pantalon, der Stammvater der heutigen Hose, in der Welt. Der Pantalon galt lange Zeit fälschlicherweise als eine sansculottische Erfindung, bis ihn Friedrich WilhelmI II. im Januar 1797 zu Pyrmont trug, als Morgentracht. Man vermerkte es Beamten ungnädig und wies sie auf die Gesetze des Anstandes, wenn sie zu offiziellen Gelegenheiten in Pantalons erschienen. Aber die Morgeneleganz der Modischen wurde Tracht derer, die sich nur einmal im Tage ankleiden, und schließlich derer, die überhaupt nur einen Anzug besitzen. Die Armee bekam den Pantalon. Und der von oben gekommen war, eroberte sich von unten herauf die Oberen, wurde allgemeine Tracht. Nivellement. Es scheint dies ein in der Mode sich immer Wiederholendes zu sein: daß die Masse allgemein annimmt, was der Elegant für eine besondere Gelegenheit trägt, um dann das allgemeine Tragen auch dem Elegant aufzuzwingen, der in einer Zeit nicht auffallen darf, die eine äußere Standesauszeichnung nicht mehr kennt.

Das alles steht in den Modebildern. Auch dies, daß die Damenmode nach der Revolution Phantasie bekommt: es gibt kein Hof mehr den Ton an, und Madame Tallien kann eine Autorität werden. In den Jahren 1793 und 1794 waren die deutschen Frauen sehr aufgeregt: mit dem diplomatischen Verkehr brachen die Modeberichte aus Paris ab. Es war eine Katastrophe. Die Patrioten, die bisher vom französischen Import gelebt hatten, riefen, jetzt oder nie sei es an der Zeit, sich deutsch zu zeigen und auf ewig von Frankreich sich zu emanzipieren. Wie 1914. Man machte also deutsche Trachten; auch Chodowiecki hat einige solche Ungeheuer gezeichnet, die man trug, wie man zur Zeit der Kontinentalsperre die Kaffeesurrogate trank. Die Patrioten deklamierten noch, als die Mode aus England kam: das hemdartige Gewand, knapp und sparsam um Brust und Arme, und von der möglichst weit hinaufgerückten Taille bis zu den Knöcheln fallend, vom Knie abwärts geschlitzt, die Beine zeigend. Ganz Europa unterlag dieser Mode. Bis zur Restauration war die Entkleidung dahin gekommen, daß sie sich mit dem Klima gar nicht mehr vertrug. Die schüchternen Armbauschen der griechischen Chemise schwollen zum Gigot, dann zum mächtigen Ballonärmel an. Dann rückte die Taille wieder hinunter und die Ballonärmel kamen an die Hüften. Der vorrevolutionäre Typus war im wesentlichen wieder hergestellt. Aber die Masse um den Hüften wurde noch mächtiger, wieder mußte nach dem Gesetz der konstanten Zahl die Taille hinaufrücken und die Krinoline bringt die Mode vor dem Rokoko wieder. Ganz Europa unterliegt der mysteriösen schönen Glocke. Da sie ihr weitestes Maß erreicht hat, muß sie sich ändern: die Krinoline drückt sich nach hinten, und die Silhouette wird das lateinische S jener Zeit, die den Plüschstil zu eigen hat. Da beginnt das Chaos der Moden, Geschmacke, Vermögen, Gründungen, Krache, das Leben von heute auf morgen, die große Hysterie einer Zeit, die keine Zeit mehr hat, die Ruhe in der Raumüberwindung findet, deren Ekstase das lenkbare Luftschiff ist. Die hübschen, süßen Modestiche dieser Zeit stellen keine Frauen mehr dar, sondern den geistigen und sinnlosen Typ dieser Zeit: die »Dame« in einer lügübren Grimasse. Einer späteren Zeit werden diese Bilder nichts über die heutige Frau mitteilen, und man wird sich an die Romane halten müssen, die bessere Auskunft geben werden als es die Romanciers des Sentiments, George Sand, Lamartine, Feuillet, für den bürgerlichen Sentimentalismus der Mitte des vorigen Jahrhunderts tun. Indiana langweilt sich, leidet, liebt, aber es ist nur Fassade. Der Gatte ist brutal und hat alle Fehler, der Geliebte ist ein Engel in jedem Betracht. Man sieht Tränen, Lachen, Gesten, aber die Seele bleibt verschlossen. Diese romaneske Leere schaut auch aus den Modebildern jener Zeit: dem schwärmerischen jungen Mann in Nankinghosen und dem Mädchen, das in den Mond blickt. Diese Paare scheinen mit Seufzen ihr Leben hinzubringen; fragte man sie: Was denken Sie?, sie würden dumm lachen.

Nous étions seuls, pensifs, et nous avions quinze ans.

Diese bürgerliche Sentimentale dachte an nichts; sie war bloß ein Engel. Und die Romane sagen darüber nicht mehr als die Modebilder jener Zeit. Die Romane unserer Zeit werden später die Bedeutung bekommen, die sie uns heute in künstlerischem Betracht so öde erscheinen läßt.

 

§ 8

Parfüme gibt es frisch wie Kinderwangen,
Süß wie Hoboen, grün wie eine Alm
Und andre, die verderbt und siegreich prangen
Mit einem Hauch von unbegrenzten Dingen.
Wie Ambra, Moschus und geweihter Qualm,
Die die Verzückung Sinn und Geistes singen.

Diese von dem größten neueren Dichter der Deutschen übersetzten Verse des größten neueren Dichters der Franzosen haben den großen englischen Parfümeur Mr. Piesse inspiriert, eine richtige Tonleiter der Parfüme nach ihren Transports de l'esprit et des sens zu konstruieren. Mit Hilfe dieser Tonleiter komponierte er Gerüche in Dur und Moll, Baß- und Violinschlüssel. Festgestellt meint er dies zu haben, daß junge Damen solche in Baß–F-Dur, ältere in Violine–D-Moll – vorziehen. Seine andere Entdeckung, daß die Kadaver der von Acide prussique Vergifteten nach Veilchen riechen, mag die Konstatierung des einzig Angenehmen dieser scharfen Säure sein, die merkwürdigerweise »preußisch« heißt. Die erste Entdeckung ist wertvoller, denn der angenehmste Veilchenduft einer geliebten toten Frau macht sie, wenn auch appetitlicher, so doch nicht lebendig, und es werden einem dabei gewiß nicht die schönen Verse der Komtesse Mathieu de Noailles einfallen:

Puissance exquise, dieux évocateurs, parfums,
Laissez fumer vers moi vos riches cassolettes!

Übrigens stimmte auch Mr. Piesses Tonleiter, solange ich mich ihrer erinnernd darauf achtete, gar nicht. Ich fand, daß das jeweilige Alter keine bestimmte Predilektion gerade an Parfüm Baß F-Dur oder Violin D-Moll hatte. Ich fand Parfüme aus Pflanzenölen bei jungen und weniger jungen Damen, ebenso Parfüme auf chemischer Basis und solche tierischer Herkunft. Das Parfüm gesellt sich als ein sinnliches Reizmittel zur Frau, beim jungen Mädchen ist es etwas suspekt. Dieses steht besser im Geruch der Unschuld, als irgendeinem von Guerlan. Was wohl auch Grund ist, daß junge Mädchen Parfüm nicht gebrauchen. Stärkere, aufreizendere Gerüche – Moschus, Ambra – wählt, fand ich, die schlanke Frau; die weniger schlanke zieht zartere Düfte, aus Blüten gewonnen, vor, an deren schlanken Stil sie erinnern. Blumenparfüms sind heute etwas aus der Mode; vielleicht weil sie, zu einfach in der Komposition, auch nur einfach wirken und so einen Schluß offen lassen auf die Simplizität der also Duftenden. Und die Frauen möchten doch so gerne kompliziert scheinen. Man erkennt die Pflanzenparfüme sofort, und auch Parfüme sollen verbergen, zu raten geben und erregen durch ihre Unbestimmbarkeit. Ein Mittel der Frau in der Eroberung des Mannes, der übrigens meistens viel leichter zu erobern ist, als der Aufwand der Frau an Apparat meinen läßt.

 

§ 9

Warum zählt man den Mannequin nicht zu den Künstlern? Jeder zweite Mensch, sagte Reinhardt, der es wissen muß, kann Schauspieler werden. Gewiß erst jede zehntausendste Frau ein Mannequin. Denn wenn Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, dann hat er uns eine recht schwache Vorstellung von seinen Reizen gegeben oder befand sich an diesem Schöpfungstage in übelster gesundheitlicher Verfassung. Den meisten Frauen, die man sieht, möchte man doch sagen: »Schämen Sie sich nicht, Gott auf solche Weise zu repräsentieren?« Den meisten Männern übrigens auch. Der Mannequin ist eben so selten wie eine schöne Frau. Schon diese Seltenheit zeichnet ihn aus. Dazu kommt: man muß seine Schönheit auch zu tragen verstehen. Es genügt nicht, sie bloß zu besitzen. Man muß sie zeigen können. Man muß sich ihrer also bewußt werden. Das ist schwieriger als man denkt. Es setzt einen starken Intelligenz gewordnen Instinkt voraus. Ohne diese Intelligenz wird die Frau der Affe ihrer Schönheit. Ohne sie spielt sie falsch, geht sie, steht sie, sitzt sie und blickt sie falsch: womit der mimische Umkreis des Mannequins vorgeschrieben ist. Der Mannequin ist ein Pantomimist in einem stummen Stück, das ihm von dem Kleidungsstück geschrieben ist, das er trägt. Welche unendliche Menge von Stücken! Wie reizend kurz und intensiv sind sie! Wie völlig in die Geste gebannt ist ein psychologischer Moment! Könnte ein Mannequin von einem Kleide, das zu zeigen ihm zugemutet wird, nicht ganz richtig sagen: dieses Stück liegt mir nicht? Kann ich nicht spielen? Jeder Stoff, jeder Schnitt, ja jede Farbe verlangt nicht nur einen anderen Gang. Er verlangt auch einen anderen physiognomischen Ausdruck. Die Augen in einem Abendkleid werden anders blicken müssen als in einem Lederkostüm. Das Knie wird den Samt nicht bewegen, wohl aber der Seide kleine Stöße geben. Die schwierige Aufgabe des Mannequins muß in einem zweimaligen Auf- und Abgehen, in drei Minuten gelöst sein. Es ist viel leichter den Pastor Manders zu spielen, der dafür drei Akte lang Zeit hat. Und viel überflüssiger.

 

§ 10

Jemand hat bei der heutigen Frauenmode an eine, was die Verkleinerung der erotischen Oberfläche betrifft, ganz ähnliche Mode erinnert, die Sansculotte und das Directoire, die unmittelbar auf eine Mode folgten, die sich in der Vergrößerung der erotischen Oberfläche nicht genug tun konnte. Und er brachte diese verringerte Reizwirkung des weiblichen Körpers, von dem viele Partien als erotisch nicht mehr wirksam freigegeben werden, da und dort mit den Kriegen in Zusammenhang. Der Mann verliere im Kriege, also in bloßer Männergesellschaft, die Geduld, sich bei Kleiderbarrieren aufzuhalten, ebenso sehr wie die Sensibilität, die das Vorher verlange. Er werde stürmischer, brutaler, sexueller. Und die Frau folge dem Wink solcher andern männlichen Einstellung, gebe alle Außenposten wie Fuß, Fußknöchel, Wade, Arme, Nacken, Busen durch Unbedeckung als nicht mehr erotisch wirkend preis. Auch das Haar, das sie sich kurz schneide, wie in der Directoirezeit. Es bleibt als das Bedeckte, weil allein noch Anziehende, nur mehr das Geschlecht und seine nächste vordere und hintere Umgebung übrig. Vielleicht ist das so. Vielleicht ist die Krinoline, also ein Maximum an erotischer Oberfläche der Frau, friedlichen Zeiten eigentümlich, die Zeit haben, sich einer Erotisierung hinzugeben, wie es das ancien régime tat und das zweite Kaiserreich. Gewiß ist der heutige Mann von zwanzig bis dreißig weit weniger mit der Frau und seiner erotischen Beziehung zu ihr beschäftigt als er es zu irgendeiner Zeit war. Und umgekehrt, was aber nicht Rückschlag bedeuten muß. Es könnte die Frau aus Ermüdung an dieser etwas steril gewordenen Rolle ganz von sich aus das alte Kostüm abgeworfen haben, nicht weil sie Sport treibt oder einen Beruf ausübt oder aus sonst so praktischen pragmatistischen Anlässen, sondern weil sie es einfach müde ist, oder weil es sich nicht lohnt, oder aus Mangel an Phantasie, oder weil sie den raschen Wechsel des Genusses einer Dauer vorzieht, die einige Anstrengung verlangt. Oder weil dieser merkwürdige Männerfall eines vierjährigen Krieges die Akten dieser ganzen Angelegenheit so in Unordnung gebracht hat, daß man besser die Geschichte so adamitisch von vorne anfängt als es die Polizei erlaubt. Denn daß heute die Frau, setzte es die Mode gegen die Polizei durch, auch splitternackt gehen könnte, daran ist nicht zu zweifeln. Tausende Mädchen stellen sich jeden Abend nackt auf die Bühnen und die sich ganz ernst meinenden Zeitschriften für das Nackte sind zahllos. Wenn die Pfarrer aller Konfessionen genau wüßten, wofür sie da sind und was in ihren Theologien steht, müßten sie diese Enterotisierung des weiblichen Körpers, wie sie kürzester Rock und kurzes Haar ausdrücken, mit allen Sympathien begleiten. Wie es jeder saubere Mann und jede saubere Frau tut. Daß die Pfarrer das Gegenteil tun, verrät nur eine etwas trübe Sinnlichkeit, die immer in einer schwülen Wolke wandelt. Oder eine so große berufsmäßige Fremdheit, daß schon das bestrumpfte Knie einer Frau genügt, ihnen das Blut in den Kopf zu treiben. Aber schließlich sind nicht die meisten Menschen Pfarrer und leben in einem natürlicheren Ablauf ihres funktionellen und emotionalen Lebens. Schon die durchaus fehlende Kompetenz sollte jene, die aus Gelöbnis nie eine Frau berührt haben noch berühren werden, davon abhalten, hier ein Urteil zu haben, außer ein ästhetisches. Aber man könnte auch sagen, es liege den Kirchen sehr viel an diesen erotischen Reizmitteln und sei nur ihr Wort falsch, wenn sie einem jungen Mädchen predigen, es sei sittlich, sich das Haar zu Zöpfen wachsen zu lassen. Und sei, was sie in Wahrheit meinen, dieses, daß die Frau keines ihrer Reizmittel aufgeben dürfe, um den Mann zum Geschlechtsakt zu bringen, mit Kinderfolge natürlich. Aber es dürfte eine vergebliche Predigt sein, wie immer. Nach Vorstellungen, und seien sie auch von Händeringen begleitet und der Bedrohung mit Höllenstrafen, hat sich das Leben noch nie gerichtet. Weil es dann rational wäre, also nicht wäre.

 

§ 11

Ist die Hochzeitsnacht auch eher ein Modus im bräutlich-ehelichen Ritual, so stehe, was darüber zu sagen ist, doch in diesem Kapitel der Moden, wenn auch aus keinem andern Grunde als diesem, daß diese so besonders ausgezeichnete Nacht des kapitalen Anfanges auch der fleischlichen Beziehung zwischen zwei Leuten anfängt aus der Mode zu kommen. Vielleicht weil man das allgemein Lächerliche dieser Situation gewahr wurde, daß zwei Menschen, die bis heute nachmittag um fünf nur in Gegenwart einer chaperonnierenden dritten Person zusammenkamen, nun abends um neun, durch den Spruch einer Amtsperson dazu ermächtigt, miteinander das gleiche Lager teilen und sich einander besitzen sollen. Man hat bei vielen Autoren gelesen, welche abscheuliche Mißverständnisse diese Hochzeitsnacht des amtlich fixierten Datums in Ehen gebracht hat. Jemand sagte sehr richtig, daß die Engel, die um dieses erste Lager stünden, alle die lächelnden Köpfe der Kranzelherrn trügen. Kein Mann ist in dieser Situation der Hochzeitsnacht stark genug, Herr über die Bilder und Gedanken zu werden, die alle ein bißchen komisch und alle ein bißchen vulgär diese unsälige sälig sein sollende Nacht belasten. Da hilft dem Manne nicht die Ironie, denn sie kann ihn der sensibleren Gattin als einen leichtfertigen und mehr lüsternen als liebenden Menschen einreden. Es hilft ihm nicht der brutale Überfall, denn davon kann er fürs Leben den Ruf eines Rohlings bewahren. Und fängt er es mit lyrischer Schmachterei an, so kann es ihm passieren, daß ihn die da nicht kommunizierende Frau für einen rechten Trottel hält. Man hat das ganz Ungewöhnliche und übermäßig Ausgezeichnete der Hochzeitsnacht dadurch etwas aufzuheben versucht, daß man sie auf Reisen und im neutralen Zimmer eines Hotels vor sich gehen ließ. Auch die Ablenkungen, die das junge einander fast nichts zu sagen habende Paar in der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten fand, stand als guter Posten in der fatalen Rechnung. Ebenso sollte ja diese gewisse Verlobungszeit dazu dienen, den Chok dieser ersten Nacht zu mildern. Es scheint aber alles das nicht hingereicht zu haben, das Monströse dieser von außen befohlenen Nacht zu mildern. Die Strenge gegen das Brautpaar, die meist Angst der bräutlichen Eltern war, die Heirat könnte bei früherem Besitz des Mädchens nicht mehr zustande kommen, hat nachgelassen. Vielleicht auch weil man weiß, der Mann heirate nicht bloß »deshalb«. Meist überhaupt nicht »deshalb«. So überlassen sich die Brautleute nur mehr der Gewalt ihrer Gefühle und warten nicht auf die Lizenz, die ihnen die erste Nacht als die Nacht aller Nächte gebietet, ob sie nun Lust dazu haben oder nicht.


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