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Drittes Kapitel

§ 1

Weil in den wenigsten Menschen die Liebe als eine Fackel brennt, sondern nur auf dem Nachttisch als ein kleines Kerzenflämmchen flackert, soll man dieses nicht mit Entrüstung ausblasen, sondern lieber eine schützende Hand vorhalten, auf daß es nicht schwele, sondern besser leuchte. Man braucht das, was man die Frivolität nennt – die populärste heutige Form der Liebe – nicht zu predigen, denn sie ist ja weit in der Welt und durch Predigt unausrottbar. Aber sie zu zivilisieren ist eine Aufgabe. Wer mit einigem Anstand sündigt, wird besser vor dem Richterstuhl fahren, als der ordinäre Schweinehund. Dies zuvor. Denn dieser Paragraph über das Rendezvous betrifft im wesentlichen das, was man eine galante Angelegenheit oder eine Frivolität nennt.

 

Die deutsche Übersetzung des französischen Rendezvous in Stelldichein kam im achtzehnten Jahrhundert auf. Im Jahre 1791 hat sie der brave Campe vorgeschlagen. Man findet sie zuweilen als Titel neckischer Bildchen in Familienjournalen: Jüngling und Mädchen, die sich an einem Zaun verabredet haben, dumme Gesichter machen, wobei ihnen der Zaun so physischen wie moralischen Halt gibt. Solche Bilder werden, wie man weiß, erzeugt, um im Betrachter das sonst nicht vorkommende Schmunzeln hervorzurufen, das ihm den Ernst seines Lebens zeitweilig erleichtert. Auch das Rendezvous hat seine mehr oder weniger idyllischen Vortreffen. Aber sie zielen auf ein Haupttreffen, das in einer andern, ebenso richtigen Übersetzung des Wortes Befehl eingeschlossen ist: rendez vous! ergib dich!

 

Wir wollen uns weder am Bache, noch am Zaune aufhalten. Auch nicht in einer Kunstausstellung noch in einer Konditorei. Denn dieses sind Kinderspiele, die keine Anweisung brauchen. Aber auch die Liebenden brauchen sie nicht, denn Romeo und Giulietta haben kein Rendezvous. Nur so Liebespaare oder was sich dafür hält, begibt sich in diese Situation zwischen fünf und sieben, wovon die Couplets der Operetten verzückte Reime lallen. Aber daß der Herr um vier allen denen, die er trifft, erzählt, er habe um sechs ein Rendezvous, – ganz so blödsinnig wie in der Operette braucht es im Leben nicht zuzugehen.

Erwarten Sie die abwegige Dame bei sich, junger Mann, so werden Sie die Toilette Ihrer Räume nicht versäumen und sie je nach dem Alter und dem Grade der Erfahrung der Erwarteten abstimmen. Daß der zu nehmende Tee ein Vorwand ist, werden Sie durchaus nicht betonen dürfen, auch nicht im Falle eines sehr ungeduldigen Besuches, der mit seiner Zeit zu rechnen hat. Da Sie ja beide über den Sinn Ihres Zusammenkommens im klaren sind, ist's nicht nötig, diesen Sinn besonders zu pointieren. Er wird sich am besten so wirklich machen, daß er fast immer wie ein Zufall, fast nie wie eine Absicht aussieht. Kommt die Erwartete zum zweitenmal, ist alles viel einfacher. Seien Sie so intelligent, daß es nach dem drittenmal nicht gar zu einfach wird.

 

Kommen Sie nie zu früh, abenteuernde Verliebte. Aber auch nicht um vieles später, als Sie versprochen haben, – es sei denn, es wäre zufällig Ihr Gatte gestorben, was die Verspätung um eine kleine Stunde rechtfertigt. Kommen Sie, um sich kostbarer zu machen, um vieles zu spät, so wird es oft passieren, daß Sie nicht nur den Tee, sondern auch den Geliebten kalt finden. Müssen Sie kürzer bleiben, als Sie gedacht haben, ist ein Kleid aus Seidentaffet empfehlenswerter als ein Trotteur aus Tuch. Zumal Sie diesen Weg ja weder hin noch her zu Fuß machen.

Sie sagen Ihrer Freundin verzweifelte Worte darüber, daß sie schon von Ihnen ginge, und kaum schloß sich die Tür hinter ihr, seufzen Sie auf: »Gott sei Dank!« Kommen Sie sich deswegen nicht gemein vor! Der Seufzer ist echt, aber die Worte vorher haben Sie der Liebe entliehen und glaubten dabei auch etwas von Liebe zu fühlen. Die Worte haben aber nur ein bißchen von ihrer Farbe an sie abgegeben. Die ist nun weg, und Sie sagen ganz ehrlich »Gott sei Dank«. Beim dritten Besuch Ihrer Freundin werden Sie ja ein besseres Vokabularium haben, nämlich das Ihrer wirklichen Beziehung. Oder Sie lügen sich um den Hals.

Beim erstenmal wird er Ihren Fuß entzückt an die Brust drücken und unbekümmert um seine Fingernägel mit den Fingern die Knöpfe Ihrer Schuhe schließen. Beim zweitenmal wird er einen Schuhknöpfer benützen. Beim drittenmal werden Sie selber den Knöpfer hantieren müssen. Und es wird Ihnen die Erkenntnis werden, daß alle Liebesgeschichten nur in ihren Anfängen verschieden sind, nicht in ihren Enden. Fangen Sie daher immer wieder an.

Und darum werden Sie, liebe Freundin, von diesen Liebesgeschichten auch nicht mehr erwarten, als sie sein können, vor allem nicht das Wunderbare. Denn dieses Wunderbare ist die Kühnheit, es immer und ohne Unterlaß zu schaffen. Und das tut man ja nur in der Liebe, nicht im Liebesabenteuer, das ein Rendezvous mit sich bringt als einen maulwurfshügelhaften Höhepunkt.

 

Sagen Sie nicht im kritischen Moment »Ich bin nicht deswegen gekommen« auch wenn es wahr sein sollte. Sie müssen die Kraft und die Einfachheit besitzen, schwach zu sein. Zumal Sie ja »deswegen« noch gar nicht kennen. Das »deswegen« mit dem Manne, dem Sie ein Rendezvous gegeben haben. Erst auf dem Nachhausewege können Sie sich den Satz sagen, – glücklich, wenn nicht in der Frageform.

 

»Ich liebe zu sehr die Anfänge, um irgendetwas anderes zu lieben,« sagte Frau N. C-B. Sie war nicht stark genug, die sich in der Dauer einstellenden Schamlosigkeiten der Intimität zu bändigen und hatte Angst davor, daß die Worte der Liebe, wiederholt, kleine Grabhügel werden. Sie kam bald soweit, schon das erste Rendezvous für ein Ende zu nehmen, das sie vermied. Sie hatte Spasmen auf den ersten Blick und verschwand.

 

Vergeblich warten, auch dies kann bisweilen eine Art des Habens sein. »Ich erwartete sie und sie kam nicht: bin ich jünger als ich dachte?« Vergeblich Warten kann aber auch ein verschämter Abschied sein, den eine erfahrene Frau gibt, die weiß, wie leicht jede deutlich ausgesprochene Trennung zu einer neuen verfehlten und peinlichen Einigung führt.

 

Das letzte Rendezvous: dies ist das leichtere für die Frau, denn die Instinkte werden da von keinem Willen kompliziert. Schwieriger ist das erste Rendezvous. Die Hingabe ist eine Sache allersubtilsten Taktes. Es gibt da jedesmal beim Mann einen sehr präzisen Augenblick: man verfehlt ihn durch ein Zufrüh oder durch ein Zuspät der Hingabe durchaus.

 

Die Amateurin der Liebe – nur von ihr ist hier die Rede – verzögert die Hingabe aus Angst, der Mann könnte sie deswegen verachten. Könnte denken, daß sie nicht mehr wert sei als eine andere, weil sie sich hingegeben. So nimmt die Liebe eine boshafte Rache an ihrem Trugbilde, der Liebschaft: sie pigmentiert die Lust mit Frucht, Zweifel und Verwirrung. Die Liebende wertet nie was sie gibt. Die Amateurin hält es für den größten Schatz und tut kostbar damit. Daß sie es selber glaubt, ist ihre einzige Entschuldigung.

 

Es gibt Anzeichen dafür, es bei dem ersten und einen Rendezvous bleiben zu lassen, und wer nicht eine fade Erinnerung haben will, sollte diese Zeichen beachten. Der Mann ist vielleicht zu feige, vielleicht zu rücksichtsvoll, um der erste zu sein, der sagt: »Es ist genug damit.« Der Frau wird das viel leichter, denn sie ist unerzogener. Sie muß fühlen, daß etwas zu Ende ist, aus sicheren Zeichen. Wird der Mann nachher böse, grausam, hart, kann sie hoffen. Wird er gutmütig, ist die Sache zu Ende.

 

Der Mann wird unsicher, wenn die Frau redet. Die Frau wird unsicher, wenn der Mann schweigt. Mit einigem schlechten Gewissen fragt sie: Was denkst du? Mit nicht geringerer Angst hört der Mann die Frau sprechen, denn selten hat sie Geist genug, um auf die Delikatesse der Prüderie zu verzichten. Es kann vorkommen, daß sie in dem höchsten Augenblick sagt: »Vergiß nicht, daß ich eine anständige Frau bin!«

 

»Nimm mich ganz«, ist das vom Manne erwartete Wort gewesen, mit dem sie sich als Beute betrachtet und zur Beute gibt. Bei dem Wort des vorigen Absatzes kann man den Verdacht haben, daß die es spricht ihren Geliebten mit ihrem Gatten betrügt. Was durchaus nicht der Fall zu sein braucht, wenn die Frau eine törichte Bemerkung ihres Geliebten mit den Worten zurückweist: »Ich bitte dich, meinen Gatten zu respektieren.«

 

Eine junge Dame liebt und verehrt aus der Reinheit ihres Herzens und aus dem hohen Fluge ihrer Gedanken heraus Herrn X. Nie trübt ein anderer Wunsch dieses schöne Verhältnis. Ein ungeschickter Zufall läßt es zu einem Rendezvous kommen, bei dem Herr X. recht mittelmäßig ist. Von da ab kann die junge Dame Herrn X. nicht mehr ausstehen, ja nicht einmal mehr sehen.

 

Einem jungen Mann glückte es, mit der geliebten Frau endlich einen Abend zu verbringen. Man fuhr in die Umgebung, soupierte vorzüglich, fuhr heim, das bescheidene Schlafzimmer war durch viele Blumen in eine Pracht verwandelt: der junge Mann hatte für dieses Rendezvous das Fünffache seines monatlichen Einkommens ausgegeben: es blieb sein erstes und letztes.

 

»Wie schön sie ist!« sagte der erste Blick. »Wie war sie schön!« sagt oft das erste Rendezvous. Etwas, das nichts als gesättigter Appetit ist, schiebt die Schüssel fort, ob ihr Inhalt nun ungesalzen oder überpfeffert war. Schönen Leibes zu sein: dies scheint nicht alles zu sein, selbst wenn wir wüßten, was Schönheit des Leibes ist. Und wissen doch, daß Helena nicht schön war, denn sonst hätte sie neben dem Krieg auch den Frieden gebracht.

 

»Wie schade, daß ich dich schon liebe! Nie hätte es besser begonnen, als in diesem Augenblick!« sagte einer zu seiner Freundin. Und meinte damit wohl, daß er seine Liebe mit einer Liebschaft verdorben hatte für immer.

 

»Tritt hier ein, Freund meines Herzens«, sagt Clelia zu Fabrice del Dongo, und dann: »Ich bin es, ich bin hergekommen, um dir zu sagen, daß ich dich liebe, und dich zu fragen, ob du mir folgen willst.« So leitet sich das Zusammentreffen zweier Liebenden ein, über denen die strahlenden Sterne stehen. Rührt nicht Ahnung an Sie, Abenteuernde, daß größeres Glück in einem Treffen sein könnte, das nicht das Lager schon gerichtet hat?

 

Falle mit dreißig nicht zurück in deine achtzehn Jahre, wo du nichts sonst warst als das Vererbte deiner Mutter. Gewiß: der Mann sucht immer die Jungfrau, das Kind in der Frau, auch wenn dieses Kind in seinen Händen den Bogen und das Gift hält. Aber trägt dich der Mann in seinen Armen, und wiegst du hundertfünfzig Pfund, so sag nicht mehr mit einer Kinderstimme: »Ich wiege nichts, nicht wahr?«

 

Laß deine Rendezvous sich nicht in der bösen Lust erschöpfen, welche die Wunden, die sie geschlagen, nicht schließen kann und immer nur wieder aufreißt. Sorge für melancholische Intervalle, in denen nichts geschieht als sterile Zärtlichkeit streichelnder, nachdenklicher Worte.

 

Bei einem Zusammensein wird immer einmal das Wort aufbrechen: »Früher warst du anders ...« Denn alle Liebesleute sagen sich das, und es hat aber der, der es spricht, sich nicht weniger geändert, als der, zu dem es gesagt wird.

 

Frauen, die sich langweilen – die Langweile hat den Namen ihres Mannes – erhoffen sich Zerstreuung vom Rendezvous. Die Seele einer solchen Frau riecht nach Gezänk, nach Bauch, nach Schamlosigkeit der Laune. Man muß sie immer waschen und sauber machen, aus ihren Gedanken holen, die sie nicht nähren, aus ihrem Herzen, in dem sie nicht bleiben will. Das ist kein Männergeschäft, sondern eines für Lyriker.

 

Und noch welche Frauen gibt es, die ihre letzte Flucht in das Rendezvous nehmen, Frauen, die ihre Hausschürze nicht ablegen können und die man nicht bezahlt. Ihr Haus kommt ihnen wie ein Gefängnis vor, ihre Kinder wie Henker und ihr Gatte wie ein schlechter Herr, der sie mißbraucht. Und sie findet wartende Individuen, die nichts als Schlafbursche sind und die sich einen Adel geben, weil sie es mit einer verheirateten Frau treiben. Als welche aber nichts weiter ist als eine schlecht dienende Magd.

 

Es gibt Liebschaften, die sich von Rendezvous zu Rendezvous in eine kleine Ehe zweifelhaften Aussehens wandeln. Eine Ehe ohne Haus, ohne Herd, ohne Kind, ohne Sinn. Jede Woche tritt diese Ehe einmal zusammen in einem tristen Tête-à-tête, und es ist, als wäre etwas zu begraben: eine über ihre Zeit hinausgelebte, längst verstorbene kleine Liebe.

 

Frauen fallen in diese Liebe wie ein Hund ins Wasser; erst planscht er mit allen Vieren herum, aber schau, schon schwimmt er. Junger Freund, werden Sie nicht ungeduldig oder ängstlich, Ihr Fräulein wird gleich sicher in ihrem Elemente sein.

 

Muß man es noch sagen, daß das Rendezvous heute das Kennwort für den Altar ist, wo sakrilegisch dem Gotte geopfert wird, dem man zu dienen vorgibt: der Liebe? Es kann ja nicht das Fleisch die Liebe konsakrieren, sondern nur die Liebe das Fleisch. Die böse Lust öffnet dem Herzen die Pforten des Todes.

 

Du bist nun mit dieser Frau und hast sie erkannt. Tritt zurück von ihr und schaue. Sie hebt den Arm, einen Schleier zu binden. Aber dieser Arm wägt dein Leben. Sie beugt sich, um ein Schuhband zu knüpfen, aber es ist die Geste, daß sie ihren Absatz in das Schicksal eines Helden verankert. Nun spricht sie ein Wort, aber es ist ein Pfeil, dessen Spitze mit Curare bestrichen ist. Du aber rettest dich ins Banale. Denn es gilt zu leben, nicht zu sterben. Und die Frau geht in ihre seltsame Einsamkeit zurück, während du dir mit der Bürste über das Haar fährst.

 

§ 2

Der Pfeil schnellt von der Sehne, o süße, brennende Wunde, so vernützt auch das Bild vom Bogenschützen Liebe, es behauptet sich in den Zeiten und kein besseres konnte es ersetzen. Blick und Augenblick, zündender Funke: der getroffene, wie plötzlich von Krankheit befallene Mensch zieht Willen und Bewußtsein aus dem, was da mit ihm geschieht, zurück, will und kann nichts verantworten, erliegt einem Schicksal. Man liebt nicht wie man will, sondern wie man ist. Man liebt auch nicht was man hat, denn das ist eine resignierte Art, nie das zu haben, was man liebt.

Der glückliche Augenblick hat oft ein Nachher, wo man vernünftig mit dem Zufall zurechtzukommen sucht, der einem auf den Kopf fiel. Man versucht es damit, daß man sich und ihr einzureden sucht, man habe frei und mit guten Gründen gewählt und könne nie eine andere Frau lieben als die »Erwählte«. Mit der Zeit glaubt man es wirklich, daß man seine Wahl getroffen habe. Es ist eine sympathische Täuschung, welche die Ehen und die Gesellschaft erhält.

Aber wenn man der Liebe ihren tragischen Namen gibt, der Leidenschaft heißt, dann ist zu lieben wohl eine Lust, aber nie ein Vergnügen. Genau wie das Leben. Aber unbeschwert davon ist der federnde Pfeil. In dieser sinnlich-übersinnlichen, eine Ewigkeit währenden Minute blüht ein Zaubergarten auf, in dem jene Giftpilze nicht, noch nicht wachsen, die heißen: wie lange? oder: bist du treu? oder: wirst du mich vergessen? Noch ist so vollständiger Austausch und Besitz, daß Teilung nicht möglich. Noch ist so vollkommene Gegenwart, daß die Zeit stillsteht, Vergangenheit vergessen, Zukunft nicht bedacht wird. Man ist auf dem Gipfel der Liebe.

Man liebt niemals die Personen, sondern nur Qualitäten. Alle Konflikte kommen daraus, daß man auf einer Qualität, um derentwillen man liebte, besteht und sie zunehmend möchte, während sie gerade abnimmt. Oder diese Konflikte kommen aus einer Täuschung: daß man für die geliebte Qualität hielt, was nur Laune eines Zufalles, eines Augenblickes war, Konstellation von Umständen. Und dann gibt es das bewußte Spiel des Verführers, der eine wie er merkt bevorzugte Qualität zu haben vorgibt und sich im Zustande des Verlangens zu ihr forciert, um bei schwindendem Verlangen so Kraft wie Lust zu verlieren, diese Qualität zu heucheln.

In dem supremen Augenblick, wo zwei von der Liebe getroffen werden, gibt es kein Paar, das sich nicht die Flügel gäbe und den Raum. Unter dem Schicksal des Blutes zu stehen und davon sein Individuelles ausgelöscht zu bekommen, nicht mehr der und jener zu sein, – das Bedürfnis des Menschen nach solcher Erlösung von sich und solchem Verlust seiner selbst ist so ungeheuer stark, daß die Chronik der Verbrechen davon berichtet. Oder das zweizeilige Liebeslied:

Before you was coming
I was I.

Das ganze Einzige dieses Augenblickes ist, daß er die Gegensätzlichkeit Mann-Frau zum Höchsten bringt, worüber alle individuellen Unterschiede verschwinden.

Man wird immer etwas weniger geliebt als man glaubt. Aber kommt es auf das Geliebtwerden beim »Glück der Liebe« an? Bewiesen, daß man geliebt wird, auch tausend Proben, bleiben immer noch Zweifel. Aber unzweifelhaft ist das Gefühl: zu lieben. »Ich liebe ihn nicht«, – damit sagt das Herz, daß es eine Niete gezogen hat. »Liebst du mich?« – die Frauen stellen diese Frage, damit der Mann sich selber die Antwort darauf sage. Denn sie fühlen, es muß wichtiger für den Mann sein, daß er sie liebt. Umschrieben heißt die Frage: »Um deinetwillen möchte ich, daß du mich liebst.«

»Wie sehr muß ich sie lieben, daß ich mich zu einer verliebten Haltung zwinge, die mich doch so langweilt,« stöhnt ein junger Mann dieser Zeit ganz seiner sportlichen Ertüchtigung ergeben, die ihn so sehr erschöpft, daß man befürchtet, er würde nächstens nur mehr in einem Wagerl ausgeführt werden können, wenn er spazieren will. Diese verzwickten Psychologien, die um den Aufwand für Liebe kreisen, beginnen erst im Rauch eines niederbrennenden Feuers. Im Augenblick des zündenden Funkens ist alles reine Flamme, steil zum Himmel steigend, wenn der in der Galanterie oft auch nichts als ein Betthimmel ist. Le moment heureux nennen ihn die Stecher des 18. Jahrhunderts, und er ist wohl der glückliche, aber der interessante nicht. Wenn es auch jedem, der ihn erlebt, so vorkommt, als entdecke er in der Geste dieses Augenblicks einen unbekannten Weltteil. Aber ohne diese Verzaubertheit wäre nichts. Nicht das kleinste Gedicht. Kein Kosewort, kaum ein Seufzer.

Im glücklichen Augenblick sprechen nur die Augen, unter denen eine Wange glüht. Aber dann, später, gibt es die Zwiesprache der vertraulichen Geständnisse, erst so das Herz entzückend, dann es schmerzend und schließlich es leer oder allzunackt machend, unzufrieden und wie geplündert. Es ist ein gefährlicher Abstieg.

Ein anderer Ausspruch eines Mannes zu einer Geliebten:

»Nie mehr habe ich von deiner Person in einem Momente soviel gesehen als an jenem ersten Tage, da ich dich für zehn Minuten zum erstenmal sah.« Er spricht wie man sieht von einer Vision. Später stellt sich verdeckend ein Name und was dazu gehört davor: Fräulein Galaswinta Pfeffermüller aus Kyritz. Und da man dem Fräulein, das nicht, wie man in jenem Momente glaubte, vom Himmel gefallen ist, einiges Arrangement ihres ersten Auftretens zutraut, bekommt der junge Mann plötzlich den Geschmack auf die Zunge, als wäre die eben noch paradiesische Frucht mit einem künstlichen Flaum etwas aufgefrischt gewesen. Aber er irrt sich. Er ist auf Gleichgültiges aufmerksam geworden, weil seine Liebe, seine Krankheit, nicht stark genug ist, jene Vision immer wieder hervorzurufen. Da er sich nicht die Schuld geben will, entwertet er die eben noch geliebte Person. Er will sein Billett für die tour d'amour nicht abgeben. Er glaubt, einmal richtig anzukommen. Aber er dürfte immer an der falschen Station aussteigen.

Diese Sätze haben in einfacher Umkehrung keine Geltung für die Frau. Das verläuft hier alles ganz anders. Schon wegen des weit größeren Risikos. Vorher kann ja eine Frau nie wissen, ob sie einen Mann liebt oder nicht. Sie gleicht einem Schwimmer, der mit Kopfsprung ins Wasser geht, ohne zu überlegen, wie tief es ist. Darum bleibt sie auch so lange kokett auf dem Sprungbrett. Die ganz Vorsichtigen verlassen es nie dem Wasser zu oder sie kehren oft um, sagen, es sei zu kalt. Aber die schon ein paarmal gesprungen sind, haben einen Blick fürs Wasser oder glauben ihn zu haben, was dasselbe ist.

Woran es liegt, daß der Funke einschlägt? Niemand weiß etwas darüber. Eine schöne Häßliche erzählte mir, in Cordoba habe ihr ein fremder Mann, der vorbeiging, mit einem wundervollen Lächeln aller seiner Zähne und einer Stimme aus der Kehle ein Wort gesagt, das eine anbetende Liebeserklärung war, stärker als alles früher oder später von dieser Frau Gehörte. Das Wort war »Fea«, das heißt auf Deutsch: Häßliche. »Ich bekam plötzlich ganz weiche Knie«, sagte diese Dame.

Die vordere Szene der Liebe ist erfüllt vom Lachen und Schwätzen. Es ist der Bonton der amüsanten Komödie. Aber das ist nur täuschender Vorhang vor die Hinterbühne gehängt, wo sich die Tragödie abspielt, die eine Welt vergeudet und sie ganz behält. Ein Mann sagte zu einer Frau: »Dein erster Kuß schmeckte nach deinem Parfüm, der zweite nach Muskat vom Champagner, der dritte nach dir.«

 

§ 3

Es gibt Frauen, die sich mit dem, was man die Liebe nennt, einlassen, weil sie ein Recht darauf zu haben glauben, oder weil sie davon gehört haben, oder aus Langeweile, oder Neugierde. Solche Frauen werden alle Grade der Enttäuschung erleben. Man möchte ihnen dies sagen: Tun Sie es nur, wenn Sie sich ein Spiel versprechen, in dem Sie alles verlieren, aber auch alles gewinnen können. Dies hängt allein von der Macht Ihrer Schönheit ab, nicht vom Manne. Sie müssen wissen, was Sie einem Manne zu geben, was Sie von ihm zu bekommen haben. Je früher Sie das wissen, um so besser. Sie bezahlen dieses Wissen nie zu teuer, denn es kann Ihnen das Leben gewinnen.

Kommen Sie spät dazu, so nützt es Ihnen nichts mehr, denn Sie wissen dann wohl, was Sie geben können, es ist aber keiner mehr da, von dem Sie etwas zu bekommen haben. Irren dürfen Sie sich, wenn überhaupt, nur einmal: das erstemal. Diesen ersten Irrtum entschuldigt die Verwirrung der Mädchenträume. Bringen Sie nicht allzuviel Jahre mit diesen Träumen hin. Daß das Mädchen heute nicht wie zu Großmutters Zeiten mit sechzehn Jahren heiratet, ist einer der Gründe für die Kalamitäten, die man unter dem Namen Frauenfrage zusammenfaßt. Diese Träume bekommen, zu lange geträumt, eine qualvolle Wirklichkeit – ein sehr lästiger dritter Teilnehmer in Ihrer ersten Umarmung. Gewiß, Sie erdrücken ihn darin, aber das Tote wird sentimentalisch auferstehen und Ihnen den Teint ruinieren. »Aber man muß lieben, um sich mit Grazie hingeben zu können«, sagt Amaryllis. Aber: welche Frau sollte dies nicht fertigbringen, dem Manne diese Täuschung, daß sie ihn liebe, zu geben? Und nur um diese Täuschung handelt es sich ja hier, wo von der Frau gesprochen wird, die eigentlich nicht liebt, sondern davon gehört hat, ein Recht zu haben meint, usw. Es ist für alle Fälle, besonders in Hinsicht auf den guten Ruf, wichtig sich diese Rückzugslinie offen zu halten. Sollte es Ihnen passieren, daß Sie einen Mann enttäuschen, das heißt: sollte es Ihnen nicht gelungen sein, dem Manne diese bestimmte Suggestion von sich zu geben, als nach der verlangend Sie seine Not erkannt haben, so bemühen Sie sich nicht, das etwa damit gutmachen zu wollen, daß Sie sich ihm von einer andern Seite zeigen. Tun Sie nichts und geben Sie den Fall auf. Verwenden Sie Ihre ganze Klugheit auf nichts sonst als auf den Rückzug – der muß aussehen wie ein Sieg, den auszunützen Sie nicht Lust haben. Vermeiden Sie dabei das Wort möglichst, denn in vielen Worten könnte sich leicht ein Affekt verraten, ja viele Worte verraten ihn schon, was immer Sie auch mit den Worten sagen, ob Sie von der Sache selbst sprechen oder vom Wetter. Vergessen Sie nie, daß Sie selber an dem Malheur schuld sind. Machen Sie dem Mann keinen Vorwurf, denn damit wecken Sie ihn aus seinem erotischen Halbschlaf: er sieht auf einmal ganz klar, und Sie haben den Schaden davon.

Dies ist von dem gesagt, was man so die Liebe nennt und was die Grimasse der Leidenschaft ist: das kleine Spiel gekitzelter Sinne, die rasch zu dem Ziel wollen. Nichts als das.

 

§ 4

Es gibt Männer, denen bei jeder Frau der Mund wässert. Sie sind gar nichts wert. Nur der unbedeutende Mann hat dieses stets bereite Entzücken für die Frau, Worte dafür wie aus einem schlechten Couplet. Die Männer, welche die Liebe und die Frauen über alles setzen, sind nicht die, die am meisten, und schon gar nicht die, die am besten lieben. Es sind Leute, die für das wenige, das sie geben können, sehr viel erwarten. Sie betrachten ihre Liebe als einen Freibrief für ihre Gewöhnlichkeit und meinen, sich mit ihrer Schwärmerei aus ihrer Niedrigkeit zu heben. Don Juan wäre so, hätte ihn nicht Mozarts Musik zu einem metaphysischen Charakter gemacht.

Die Frau nimmt die begierdelose Freundschaft eines Mannes nur an, wenn sie denkt, sie will es so, und daß es nur an ihr läge, die Begehrung wieder virulent zu machen. Als das einmal in einem Salon von den Damen bestritten wurde, fragte einer, ob eine Frau in Gegenwart des nichts als Freundes sich wohl entkleiden würde und nicht bemerken, daß das auf den Freund gar keinen Eindruck mache, den Freund als Mann vorausgesetzt und die Frau als Frau. Der nichts als Freund nähme der Frau die Gelegenheit sich zu verweigern, das heißt zwei Dritteile ihres Lebens.

Schwächliche Männer sprechen so lange von der rätselhaften Seele der Frau, bis diese ihnen den Gefallen tut und große Anstrengungen macht, ihre Einfachheit zu komplizieren und ihre wenig zahlreichen Herzensregungen zu vervielfachen. Schwächliche Männer sind solche, die alle ihre Zeit für die Frauen haben und die Monotonie dieser ihrer Beschäftigung variieren müssen, um sie sich erträglich zu machen. Aber man erinnere sich doch, wie allsofort die Frau diese Rolle der Hüterin ihres Geheimnisses aufgibt, wenn der Mann an den Schleier faßt! Denn manchmal gibt es auch heute noch den Mann, der das Idol dieser Zeit, die Frau, nicht anerkennt oder nur anerkennt, um des Idoles Sturz stärker zu genießen, die sich Kaiserin Dünkende als ein süchtiges Hürchen zu erleben. Also mögen die Schwächlichen fortfahren, die Frau mit allen Kleinodien zu schmücken und ihr diesen herrlichen Wahn ihrer Bedeutung zu geben, daß sie Unsagbares zu schenken meint, wenn sie ihre Liebe schenkt, denn die Lust des Mannes nach der Frau ist Lust nach ihrer Erniedrigung zumeist, und Lust der Frau nach dem Manne (nach dem Manne!) ist nichts als Lust nach Erniedrigung. Die Höhe des Sturzes muß groß sein, damit die Schmach Wollust wird.

Novalis schrieb sich einmal auf: »Die Notzucht ist die wirkliche Liebe.« Das ist einer sehr männlichen Empfindung Ausdruck gegeben, der nur Schwächliche ärgern wird. Eine Frau, die dich nicht liebt und alle Wehr gegen dich setzt: diese Frau zu vergewaltigen (nicht zu verführen, nicht zu belügen, nicht herzurichten), das ist, scheint mir, die stärkste Form Besitzes: in der Vernichtung des Begehrten. Es ist ja, nicht wahr? nicht bloß dieses, was der Mann verlangt: im Körper einer Frau zu sein – er will auch im Bewußtsein der Frau sein, sich an dessen Stelle setzen, Leib und Seele der Frau mit sich ausfüllen und auch das Nichtkörperliche der Frau zu seiner leiblichen Lust haben. Die Scham der Frau ist an ihrer falschen Scham bestimmbar. Gewisse Weigerungen der Frau, das die Anwesenheit des Mannes Nichtdulden in Augenblicken, mag vielleicht etwas ausdrücken wie: noch bin ich nicht ganz von dir erfüllt, noch hab' ich etwas für mich allein (und mit einem herausfordernden Blick: bist du so stark, daß du mir auch das nehmen kannst?). Die Vergewaltigung, die Notzucht einer nichtliebenden Frau ist der heftigste Wunsch des Mannes, sich in das Bewußtsein der Frau zu setzen, dieses mit sich auszulöschen. Die Anziehung der Prostituierten liegt darin, daß sie sich die Notzucht gefallen lassen muß.

In den Besitz des Letzten, Innersten einer Frau zu kommen, wird jedes Mannes Willen sein: deshalb wird er heiraten, denn ganz kann man eine Frau nur in ihrem eigenen Bette lieben, als Herr in ihrem fraulichen Kram, der nur äußeres Zeichen ist und als ein Symbol steht für das heimlichste Beisichsein der Frau. Der Herr des Absteigequartiers, der eine schnelle Stunde geschenkt bekommt, dient der Frau, nicht aber sie ihm. Die Liebe verlangt: er soll dein Herr sein.

Auch noch mehr Vorteile sozialer und wirtschaftlicher Art als jene, die man für die monogame Ehe bisher gefunden hat, würden nicht hinreichen, sie zu erhalten, hätte sie nicht die stärkste Versicherung ihres Bestandes in der Liebe selber, die sich nie damit begnügt, nur den Leib einer Frau zu besitzen, sondern ihr Leben. Begreiflich so der Eifersüchtige, der seine Frau umbringt: nun, da er sie ganz vernichtet hat, besitzt er sie und besitzt sie ganz und allein bis ans Ende. Weil es ihm nicht gelungen war, diese Frau ganz mit sich zu vernichten (weil sie zu groß war für seine Kleinheit oder zu klein für seine Größe), so schlang er sie in sich. Das »Töte sie« bleibt aber doch der Ausweg des Verzweifelten, oder es ist verschämter Lustmord.

 

§ 5

Frauen, welche die absolute Gleichstellung der Geschlechter predigen, legt ein Mann die folgenden Bemerkungen vor und schickt als Axiom diesen Satz voraus: lieben ist schwierig, geliebtwerden ermüdend. Es ist den Frauen erlaubt, vom Manne Geschenke zu nehmen, auch Geld. Aber dem Manne macht es einen üblen Ruf, der von Frauen geliebt sich ihrer bedient, um seine Vermögenslage zu bessern. Es ist da zu fragen: hat die Frau an der Liebe gar kein Vergnügen und ist sie für sie nur eine Angelegenheit, für die sie entschädigt werden muß? Als die große Moralistin Frau von Sévigné, deren Briefe wir alle von der Schule her kennen, ihre Tochter an Herrn von Grignan verheiratete, zählte sie die Mitgift, die sie ihrer Tochter gab und fand sie recht hoch dafür, daß ihr Schwiegersohn das Vergnügen habe. Aber dann sagte sie: »Er hat das Vergnügen morgen, er hat es übermorgen, überübermorgen, er hat es ewig, ... dafür ist die Mitgift doch nicht zu hoch.« Frau von Sévigné war eine der klügsten Frauen.

Eine andere Frage: die ganze Menschheit läuft wie toll hinter dem Vergnügen her, warum soll der, der das Glück gibt, dafür nicht seinen Lohn empfangen? Das Urteil der Welt ist da etwas grob und ohne Nuancierung. Es soll sich niemand skandalisiert fühlen. Man muß seiner selbst, seiner Liebe und seiner Geliebten außerordentlich sicher sein, um das Geld in diese Sache hineingeraten zu lassen. Aber es scheint, als ob unsere Zeitgenossen ihrer und ihrer Liebe gar nicht so sicher sind, weil sie mit so übertriebenem Abscheu das Geld aus ihren sentimentalischen Beziehungen weisen. Sie nehmen es zwar, aber sie stöhnen dabei. Einige Naive behaupten, das mache unserer Moral Ehre. Aber es scheint das eher das Mißtrauen zu beweisen, das die Menschen sogar in der Liebe gegeneinander haben. Es scheint, daß die Menschen beim Eintritt in eine Liebesbeziehung schon daran denken, wie sie da wieder herauskommen und daß sie darauf bedacht sind, dem Gegner keine Waffen zu liefern, die er gegen einen brauchen könnte. Selbst in der Liebe ist der Friede eine pax armata.

Wie viele Frauen gibt es heute, die zugeben, daß sie eigentlich auf dem Manne parasitieren, indem sie ohne nennenswerte Gegenleistung vom Geld des Mannes leben! Sie wissen, daß das wenige, was sie so im Hause für ihn und für sich und für den Haushalt tun, von einer Wirtschafterin verrichtet werden kann, deren Lohn berechenbar ist und oft eine bescheidene Summe darstellt, verglichen mit dem, was die Frau vom Manne bekommt. Sie versucht es, die Liebe als eine Leistung anzusehen, die ihren Lohn wert ist. Aber sie hat solche Überlegungen nicht mit gutem Gewissen oder nur dann, wenn sie nichts weiter tut als die Liebe eines ungeliebten Mannes ertragen. Aber wenn das nicht der Fall ist und sie den Mann nicht weniger liebt als er sie, dann heben sich diese wechselseitigen »Leistungen« ja auf und die Frau wird vergeblich ein Plus ihrer Leistung suchen, das honoriert werden muß. Dieses quälende Bewußtsein der Frau, daß sie ohne eigenes Geld auf das des Mannes angewiesen sei und auf ihm parasitiere, kam auf, als die Zahl der arbeitenden Frauen zunahm und die Arbeit im Haushalte abnahm und das Geld als einziges vis-à-vis die Leistung der Liebe bekam, die als zu entlohnende Leistung überhaupt fraglich ist, aber auch die Frage nach ihrer Bedeutung nur verlegen verträgt. Unbekümmert und unberührt vom Geld oder vielmehr davon, wer es gibt und wer es nimmt, wird nur das in einer starken, also um nichts bekümmerten Liebe vereinte Paar sein. Aber bei der großen Seltenheit solcher Paare und der weit größeren Häufigkeit einer Liebe von wenig Karaten versteht sich die bedeutende Rolle, die das Geld im Gefühlsleben spielt.

 

§ 6

Vor einigen Tagen starb achtzigjährig eine Dame, sie selber und ihre Art längst aus der Mode. Ihre Zeit war zu einer Zeit gewesen, wo man sich in der Gesellschaft noch unterhielt, also vor der Zeit des Grammophon und des Lautsprechers. Und wo die Unterhaltung in einigem mehr bestand als daß man alles entweder himmlisch oder fabelhaft oder scheußlich fand oder zum Totlachen. Also noch nicht mit Superlativen eine gar nicht vorhandene Erregtheit und Lebendigkeit vortäuschen wollte. Meine Achtzigjährige, eine Wienerin aus guter Familie, war seit langem von ihrem Manne und im besten Einvernehmen geschieden worden. Dazu sagte sie einmal: »Im nächsten Monat können wir die goldene Hochzeit unserer wolkenlosen Trennung feiern.« Als man sie einmal bei einem Souper zwischen sehr gescheute Leute gesetzt hatte und ihr Tischnachbar sie um ihre Meinung über den Ehebruch fragte, gab sie die Antwort: »Entschuldigen Sie, ich hab' mich heute auf den Inzest vorbereitet.« Sie liebte ihre verstorbene Mutter sehr, aber nach deren Tode sagte sie: »Ja, sie tut mir oft leid, aber nicht sehr viel auf einmal.« Noch eines guten Wortes der alten Dame erinnere ich mich: »Das Unglück hinnehmen ist weniger schmerzlich als das Glück suchen.« Sie hatte ein wundervolles beruhigtes Alter. »Das kommt wohl davon,« sagte sie, »daß ich die Erinnerung aufgegeben habe.«

Die Eltern eines frühreifen begabten Jungen von dreizehn Jahren zeigen dessen dreiundfünfzigjährige Lehrerin wegen Verführung des Knaben an. Ein rührender Brief der alten Jungfer, virgo intacta bis zu diesem ihrem ersten Liebeserlebnis, an den Buben, den die Eltern abfingen, bringt die Sache ans Licht, das die Unglückliche nun nicht mehr scheut, denn sie gibt ihre Liebe, ihre richtige Frauenliebe, zu dem Knaben zu. Nicht die bewußte Verführung, nicht die bösartige Verderbung, deren sie die Eltern beschuldigen. Ihr ganzes Herz liebt zum erstenmal, und die nie geweckten Sinne oder was davon noch vorhanden in diesem alten Mädchen, stürzt diesem Herzen nach und gibt sich mit. Es ist das Natürlichste und Alltäglichste von der Welt. Aber der Mann ist erst dreizehn alt, wenn auch, wie der Brief der Liebenden vermuten läßt, ein loser Schlingel, dem andere Mädchen nicht gleichgültig sind. Daß diese bescheidene mütterlich gute alte Jungfer verführt habe, das wird außer dem Vertreter des Gesetzes, der sich an den Buchstaben hält, niemand glauben. Weit eher, daß der wissende Bub das alte Mädchen verwirrte, das Streichholz an das halb dürre Reisig dieser Sinne hielt, daß eben brannte was noch brennen konnte. Roheit kann das komisch finden. Es ist aber tragisch wie alle Leidenschaft und alles Denken. Gefährlich komisch in ihrer Ratlosigkeit sind nur des Buben Eltern, die zum Staatsanwalt leichter den Weg finden als zum Herzen der einsamen liebenden Frau, mit der sie gütig sprechen müßten, aber es als das Leichtere vorziehen, vor dem Staatsanwalt wütend zu gestikulieren. Unerhört anders gerichtet wurde hier von der alten Jungfer, der mütterlich besorgten Geliebten, der normale An- und Ablauf des männlichen Liebeslebens, das sich seine ersten Sporen bei der Prostituierten der nächtlichen Straßenecke zu verdienen habe und nicht in den Armen einer liebenden, wenn auch dafür betagten guten Freundin. Das dürfen Eltern nicht dulden. Seltsam verbunden mit der Prostituierten ist hier elterliche Moral, die den Schoß der Straßenhure für den bessern Ort hält, die reife Frucht der Liebe aufzufangen, als den mütterlich-gütigen eines alten, bis nun reinen Mädchens.

Das Unglück hinnehmen ist weniger schmerzlich als das Glück suchen. Wer hat solche Stärke? Ist das Los des jungen Mädchens glücklich, über das die Leidenschaft der Sinne herfällt? Aber wenn dies über die alternde Frau kommt, wird sie mit einer bangen Zartheit den Sturm ihrer Gefühle erleben, um das immer Vergebliche wissend und doch nicht die Kraft zum Verzicht aufbringend. Nicht an die megärische Alte denke ich, sondern an die Frau, deren Herz nicht verdorrt und jung wie das eines Mädchens geblieben ist, wie das Herz dieser Lehrerin, von deren Unkeuschheit der Richter so sinnlos redete, als ob Keuschheit in der Liebe nicht Geiz oder Egoismus bedeutete und man sich doch nicht zu zweit zurückzieht, um keusch zu sein! Als ob die Liebe was anderes sein könnte als keusch. Denn nur die Gesten sind es nicht und sind unkeusch, wenn die Liebe sie nicht veranlaßt und adelt. Das weiß die alternde Frau besser als das »keusche« junge Mädchen, denn sie muß ihre Liebe außerordentlich steigern, um den Gesten, die ein schon fast zerfallender Leib ausführt, jenen Zauber zu geben, der sie aus dem Gemeinen der bloßen Begierde hebt. Ganz anders noch als das junge Mädchen zittert die alternde Frau vor dem natürlichen Ziel der Liebe, das sich jungen Menschen ergibt wie ein Zufall. Gerade die Alternde wird nicht »verführen«, denn sie weiß, die leibliche Vereinigung ist in ihrem Alter entscheidender und zu ihren Ungunsten entscheidend, ob sie wiedergeliebt wird oder nicht.

Wäre leibliche Schönheit für Mann oder Frau die einzige Ursache der Liebe, dann würde Desdemona von seinen Händen sterbend den Mohren nicht geliebt haben. Aber wohin immer die Liebe haucht, da will sie auch leiblich sich verwirklichen. Auch im hinfälligen Leibe noch. Das wußte diese Lehrerin nicht so wie die alternde Frau, welche sich erinnert. Und diese weiß auch, daß ihre späte Liebe nicht nur von innen her, sondern auch von außen bedroht ist, denn sie kann nicht Wurzel fassen in der Gesellschaft, die grausam gegen die Fünfzigjährige ist, die einen Zwanzigjährigen liebt. Ihre Liebe ist so gefährlich nah der zerstörerischen reinen, unverknüpften Liebe wie die der jugendlichen Paare, die sich töten, weil sie »sich nicht heiraten können«. Wir ahnen nur diese reinen Formen und kennen nur die sozialisierten Formen der Liebe, die sich mit einem Interesse, sozialer Konvenienz, Neugierde, Stolz, Ehrgeiz usw. kombinieren, um Bestand, sozialen Bestand zu haben. Denn die Nichts-als-Liebe ist ja zerstörerisch und antisozial, kümmert sich nicht um Rang, Sitte, Brauch, Interesse an Nachkommenschaft, will ihr Gesetz nur aus sich selber haben, denn sie ist anarchisch und kann jederzeit kriminell werden.

Da wurde im möblierten Zimmer eines anrüchigen Wiener Hotels eine ganz alte Frau ermordet, und die Tat stellte den ehrenwerten Namen, das fast achtzigjährige Alter des Opfers und ihr Doppelleben ans Licht. Sie zog es vor, lieber zu sterben, statt um Hilfe zu rufen, wodurch sie gerettet, aber auch erkannt worden wäre. Diese uralte Dame im Schlußhut über dem schneeweißen Haar entzückte mit ihrer frischen Jugendlichkeit alle Welt, konnte reizend plauschen und das Lachen wohnte in ihren Runzeln. Sie aß gern gute Sachen mit verzückt geschlossenen Augen. Machte ihre kleinen Familienbesuche, beschenkte gern die kleinen Kinder, hatte keine ihr bösen Nachbarn und ging jeden Sonntag zur Messe. Unverdächtigt lebte sie ihr eng gestecktes Altersleben zu Ende. Und diese Greisin hatte noch ein anderes Leben, von dem niemand wußte, und das sie in verrufene Hotelzimmer brachte mit gar nicht zweifelhaften Männern. Deren einer sie umbrachte, ohne daß sie den kleinsten Schrei ausstieß. Vielleicht wurde sie glücklich achtzig, weil sie gegen das Gift des gleichförmigen Lebenslaufes das Gegengift eines zweiten abenteuerlichen Lebens nahm.

 

§ 7

Es sind in dieser Zeit so viele gemeine Kräfte am Werk, die Geselligkeit einer kultivierten Gesellschaft zu zerstören, indem sie die völlige Verschiedenheit der Geschlechter leugnen, daß man immer wieder diese Verschiedenheit betonen muß, ja selbst davor nicht zurückschrecken soll, sie mit Lust zu übertreiben. Die reichsten Formen des Lebens bildeten solche Zeiten aus, denen die stärkste Differenzierung der Geschlechter eigentümlich war, und ins Kümmerliche und Rohe werden die Formen einer Zeit fallen, die davon redet und danach handelt, daß die Frau vor allem Mensch sei, und damit mehr als eine Selbstverständlichkeit sagen will. Diese Frauen, die vor allem Menschen sind, weil sie es zu der Steigerung Frau nicht zu bringen vermögen, bilden mit jenen Männern, die vor allem Menschen sind, weil ihnen nichts Männliches besonders eigentümlich ist, einen Haufen besitzloser Barbaren, die ihrem heimlichen Neid das Pathos der lauten Verachtung geben und eine Gleichheit verlangen, die ihnen ihre Armut erträglich machen soll. Die aus dem Gehirnvolumen der Frau beweisen, daß sie alles lernen und treiben kann, worin ein Mann seine Zeit in rastloser Zweckhaftigkeit hinbringt, sind die Gegner wert, die das Gegenteil beweisen. Das Mädchen mit männlicher Allüre, das gegen den »bekannten« Priapismus des Mannes Vorträge hält, ist die Schwester wert, die nur das Geschlechtsvergnügen des illegitimen Paares wohlwollend protegiert und in der »Freien Liebe« das Heil der Welt erblickt. Oder die andere Schwester, die sich von einem davon nicht minder überzeugten Manne unverheirateterweise ein Kind machen läßt, nur um zu zeigen, daß sie jene »höhere Moral« besitze, von der sie dem Programme nach den Anfang einer neuen Welt datiert. Höhere Moral ist das Wort für schlechte Gefühle, die sich für Ideen halten, für üble Manieren, die man sich nicht mehr abgewöhnen kann, weil sie von verrotteten Instinkten immer aufs neue genährt werden. Wer die sittlichen Bräuche seiner Umgebung aus irgendeinem Grunde nicht beherrscht, wird diesen Bräuchen die Schuld geben und sie verwerfen. Aber es ist meist bloßes Gerede, wenn er sich für eine höhere Moral bestimmt meint. Ein Unvermögen soll verborgen werden. Die Moral, das ist die Kraft zur Form. Es gibt Schwache, die verbergen wollen, daß sie schwach sind, und sie tun es damit, daß sie sagen: Die Moral, das ist die Schwäche. Man wird immer bemerken können, daß die so sprechen es zum Besten im Leben nicht bringen: ihm eine reiche Form zu geben. Man ist aus irgendwelchen Gründen übereingekommen, dies und das nicht öffentlich oder zu andern als bestimmten Zeiten zu tun – wer einigen guten Geschmack und Sinn für Ordnung hat, wird sich daran halten. Keiner Frau wird einfallen, heute einen Hut zu tragen, der im vorigen Jahr die Mode war, denn sie würde in ihr nicht angenehmerweise auffallen. Zu der Frau gesprochen: Hüten Sie sich, daß das, was man die Gesetze der Sittlichkeit nennt, mehr für Sie bedeutet als eine formale Regel des äußeren Lebens, die Sie ebenso einhalten müssen wie eine neue Mode. Sprechen Sie von der Sittlichkeit so ernst wie Sie von der Frühjahrsmode sprechen und niemals leichtsinnig und frivol, in dem Glauben, Sie müßten Ihre Freunde darüber aufklären, daß Sie diese schönen Gesetze nicht ernst nähmen. Sprechen Sie von der Sittlichkeit am besten so wenig wie Sie von der Art, ein Ei aufzuschlagen, sprechen, beides ist eine Übung und kein Gesprächsstoff, und nehmen Sie diese Formen hin nicht als ein willkürliches System erdachter Regeln, sondern als die nichts als sinnvolle Folge des Lebens selber. Tun Sie nichts bloß um dieser Formen willen – Sie schlagen ja das Ei auf, um es zu essen –, aber versäumen Sie nie, in allem, was Sie tun, auf diese Formen alle Rücksicht zu nehmen. Ihre Schönheit hat den Ruf eines esprit fort durchaus nicht nötig, um sich bemerkbar zu machen. Saint-Simon erzählt von einem alten Erzbischof, der jeden Tag seine Geliebte, die Herzogin von Lesdiguières, bei sich sah. Er promenierte mit ihr in seinem schönen Parke von Conflans, und in einiger Entfernung von den beiden folgten Gärtner, welche die Schrittspuren auf dem Wege mit Rechen beseitigen mußten. Lassen Sie zum mindesten auf Ihren Wegen die Gärtner hinter sich gehen. Die sogenannten Vorurteile werden viel grausamer vollstreckt als die Urteile und kennen keine Berufung. Sie haben entartete oder verunglückte Schwestern, die im ruhigen Gang der Dinge für sich kein Heil finden können. Also beginnen sie, sich über Form und Regel hinwegzusetzen, zur »Freien Liebe« einzuladen, oft in der nicht immer undeutlichen Hoffnung, damit einem Schüchternen zu sich Mut zu machen. Halten Sie sich diese Frauen und dieses Gerede vom Leibe, wenn Ihnen die Freiheit Ihres Tuns wertvoller ist als die Freiheit Ihrer Worte. Zeigen Sie nie mehr Intelligenz als Ihre Schönheit ohne Schaden verträgt, auf daß man nicht meine, auch Sie trieben dieses falsche Spiel vertauschter Funktionen. Machen Sie sich lieber etwas dümmer. Unter das Niveau Ihrer Schönheit kann Ihre Dummheit nie sinken. Glauben Sie den Lehrern und Lehren nicht, die Sie vor die Entscheidung stellen: so oder so, Natur oder Kunst, Scham oder das Gegenteil. Denn diese Gegensätze existieren nur hypothetisch. Ob man lebt, um glücklich zu sein, dies steht so wenig fest wie das andre: ob man glücklich ist, daß man lebt. Das Wesentliche des Lebens ist nicht in dem Wortspiel beschlossen, das man mit »Glück« und »Unglück« treibt, denn auch diese Gegensätze existieren nur hypothetisch. Es gibt nur ein Nötiges: die Haltung. Für sie sind wir verantwortlich, denn sie ist unser Wille. Alles andre ist Geschenk Gottes, empfangen von ihm in der Hingabe.

Wir müssen ein Ziel haben, auf daß sich die kleinen Ziele unserer Tage nicht immer gleich als Enttäuschungen herausstellen; denn das sind sie ja doch immer. In einer Nacht auf einem weiten Plan einsam stehen mit dem Himmel von Sternen über sich; vom Schmerz über die Wiege des sterbenden Kindes geworfen werden, das nicht weiß, was ist; die Mutter nach Jahren der Trennung wiedersehen und Tränen statt der Worte im Munde fühlen ganz im Tiefsten; auf einmal fassungslos werden vor dem heldenhaften Leben des großen Künstlers – wen solches je gezwungen hat, daß er ganz seine Tage vergaß und was sie drängte, der wird sein Ziel ahnen über allen Zielen der Geschäftigkeit eines hinfälligen Lebens. Ja, er wird sich eine große Täuschung eines solchen Zieles schaffen. Ja, er wird ein solches Ziel hinnehmen, gläubig, von anderen. Dieses Ziel aber ist das Himmelreich. Wir haben ja nun wohl den Wald entlaubt, da sie die Götter daraus vertrieben, jene einfachen der alten, diese schwereren der neuen Welt. Denn nun ist Glauben auch bei den Gläubigen nicht mehr, da sie wissen, daß es Ungläubige gibt. Und ist denen der Unglaube keine Tröstung, da sie wissen: Gott ist, solange noch ein einziger Mensch ihn glaubt. Gott ist ja eine Grenze, die sich der Mensch setzt, um Ordnung in sein Leben zu bringen; er ist das Ziel, das keine müden Füße verlangt, denn solche verlangen nur »die Ziele«. Ist Gott nicht eine weitere Grenze, ist unser Bereich mit ihm als Grenze nicht größer, als was man uns mit dem Hin- und Herdenken als Grenze und Reich gegeben hat? Alle Aufklärung war hinfällig immer; das gemeine Leben mag von ihr gewinnen, nicht aber das große Leben, in dem unser Einzeldasein nur ein ganz kleines ist. Ist die Formel, die ein Mann, ein Professor gar, erfand, mächtiger als der Begriff Gott? Vermag meine bessere Kenntnis vom Werden der Erde, als es die Bibel erzählt, irgendwas über meinen größten Schmerz? Hebt sie meine stärkste Freude? Fällt nicht alles dieses Ausdenken hin, nicht nur vor dem Schweren, das uns das Leben mit dem Tode gibt, sondern auch vor dem Einfachsten, dem Leuchten einer Wiese, dem Wind in hohen Bäumen, dem Spielen junger Katzen? Die Rätsel sind im Sichtbaren. Geheimnisvoll ist das Vertraute. Daran rührt dieses Denken der Erklärer ohnmächtig. Auf dieses Gold unserer tiefen Schachte läßt sich kein Bildnis und keine Formel prägen, keine andere, als eine heilige: Selig sind die Armen im Geiste, kein anderes, als ein so unverstehbares wie das Gold selber: Gott.

Keinem soll Gott als die Grenze befohlen sein, der sie sich nicht aus der weitesten Weite seines Herzens selber so setzt. Enge Herzen werden sich mit engeren Grenzen begnügen, mit einem Lehrbuch, mit einer populären Vorlesung, – mögen solche vor allem Erleben bewahrt bleiben, daß sie nicht in die schreiende Verzweiflung fallen und sich in ihrem engen Käfig den Kopf einstoßen, in dem engen Käfig ihrer Überhebung über Baum und Tier und Stein, über Staub und Dunst, in der Tobsuchtszelle ihrer Manie: sich als Mensch für ein Besonderes zu schätzen, worauf eitles Ausdenken zu bauen aller Grund wäre.

 

§ 8

Man darf den Sinn der Abtötung des Fleisches nicht auf die paar armsäligen Beispiele abstellen, die gewisse östliche Heiligenlegenden überliefern, worin armsälige Menschen zu gottsäligen Menschen gemacht werden, weil ihr Mißverständnis Gottes so stark in seiner Einfalt war, daß sie Gott nur aus der Züchtigung ihres Leibes begriffen. Christus hat den Leib gebilligt, da er vom Weine sagte: dies ist mein Blut, vom Brote: dies ist mein Leib. Und da er leiblich auferstanden ist: seinen Leib auch in den Himmel nahm. Nein, wir sind gar nicht pseudoorientalisch und lieben Leib und Leben mit der großen Liebe, die vom großen Haß nicht zu unterscheiden und nicht zu trennen ist. Wir peinigen das Fleisch, damit wir es stärker besitzen, und nicht, um es zu töten. Wir töten es dann, wenn wir uns stark genug wissen, es im Geiste zu besitzen. Dann schließen wir sein Geheimnis ein. Nicht von der kleinen Ökonomie des Alltags ist die Rede, von den Pflichten, die uns geselliges Leben auferlegt, in das hinein wir erzogen werden und dessen Bestand wir billigen, weil wir unseren eigenen Bestand damit zu sichern meinen. Nicht davon also, daß ein jeder nicht »zügellos« lebt und sein Fleisch in gefälliger Kontrolle hält, auch wenn es ihm schwerfällt. Nichts von diesen Cochonnerien des Daseins. Es handelt sich um ein anderes: um den Dienst Gottes, und ob wir ihm dienen mit dem Geiste und uns des Fleisches schämen sollen. Wir leben für Gott durchaus und mit allem, was uns gegeben ist. Und Gott verlangt alles von uns, nicht dieses und jenes wieder nicht, sondern alles. Wir müssen immer an ihn verlieren; denn er ist Gott, und wir sind nur Mensch, und wir sind für ihn da, er nicht für uns. Wir dürfen Gott nicht klein machen mit unserer Elendigkeit und ihm Maaße geben, die wir aus unserer Elendigkeit gewonnen haben. Das müssen wir nur einsehen, wenn wir auch nicht immer unsere Einsicht im Leben üben; denn wir leben verkettet und jeder zum erstenmal. Aber wir wissen, der Gedanke lebt länger als jedes einzelnen Fleisch. Und daraus kommt törichte Verachtung des Fleisches: töricht, weil auch das Fleisch die gleiche Ewigkeit besitzt wie der Geist, weil es wie dieser ohne Unterbrechung war bis auf heute. Die ägyptische Maria gab ihrem Leibe so geringen Wert, daß sie ihn jedem Armen, der die Straße kam, als Almosen schenkte. Sie hatte einen toten Leib, sie verschenkte einen Leichnam, etwas ihr Fremdes. Das ist eines der kleinen Beispiele, von denen anfangs die Rede war. Denn hier war auch die Seele nicht mehr: ein Funken von ihr hätte das Tote entzündet.

 

§ 9

Gott ist nur in einer seiner vielen Erbarmtheiten ein moralischer Gott, ein Gott der Strafe und Belohnung für jene, denen eine andere Ordnung ihres Lebens in diesem Leben nicht zu geben ist, für jene, die sich kein Gesetz zu stellen wissen. Unser Gott verträgt es, ein Schreckmittel sein zu müssen. Er lächelt ja immer über uns, er ist ja der »liebe« Gott, wir sind ja seine Kreatur. Er tut menschlich mit uns aus Erbarmen, aus Spiel, aus Mitteilungsbedürfnis: deshalb erlernte er unsere Sprache und macht sich gemein mit uns und tut, als nehme er teil an unseren Interessen. Man könnte darum fast sagen: Er riskiert aus Gefälligkeit für den Menschen den Verlust seiner Idee, wäre er nicht der Inbegriff aller Ideen. Aber in seinem Namen und Begriff ist unser Gott kein moralischer Gott. Wollen wir ihn so recht haben, dann fragt er wohl: cur quaeris nomen meum? Warum willst du mich in dieser Stunde, da ich in meinem Eigenen bin, human machen? Mich unter dein Gesetz stellen? – Gut, Böse, Laster, Tugend, Verbrechen, Strafe: vor Gott sind das nur tanzende Atome. Gab er nicht Christus in Judas einen Bruder, zum symbolischen Widerspiel seines Seins in allem und im Widerspruch? Nein, er ist kein moralischer Gott, und die von seinem Sohne gestiftete Kirche ist keine Staatskirche. Der Protestantismus ist eine Staatskirche, aber er ist auch keine Religion, – sonst alles, was man will, vornehmlich eine Moral. Denn im Protestantismus ist Gott für den Menschen da, nicht der Mensch für Gott. Der lutherische Gott indigniert sich in seinen Herren und Meistern, wenn man ihn einen Abtrünnigen nennt und einen Verräter: das schlechte Gewissen der Leidenschaftslosen indigniert sich. Man sagt, der ethische Wert des Protestantismus sei größer als der des Katholizismus – das ist, als ob man sagte, der Montblanc sei höher als der Stille Ozean. Denn nicht in ihrer Moralität sind Bekenntnisse zu vergleichen, sondern in ihrer Leidenschaft. Und die katholische Religion ist mit keiner anderen vergleichbar; denn es gibt keine anderen christlichen Religionen: was sich sonst so nennt ist Politik, Hygiene, Moral, Geschäft und alles was man will; aber nicht Religion.

Venite, adoremus et procedamus ante Deum. Die Frau würde nicht gehen, sagte ich es so ernsthaft, wie es mir oft im Sinn liegt. So muß ich sie mit Pfeifen und Singen in die Kirche locken als ein Gaukler des Herrn. Und der nichts anderes pfeift und singt, als was er in der Kirche erhört und erlauscht.

Die Frau glaubt an das Leben und an das Glück, denn ihre Phantasie ist gering. Nirgends sonst kann sie diesen Traum, will sie, daß er dauert, träumen als in der Kirche. Gibt man ihr im Leben das Fleisch, so will sie sicher die Seele; gibt man ihr die Seele, so will sie das Fleisch. Sie träumt, was sie nicht hat, und weiß nicht, was sie will. Aber was sie in der Kirche träumt, das besitzt sie und hat dort immer, was sie nicht hat. So ist die Kirche für die Frau die Erfüllung von Leben und Glück.

Und die Kirche ist lustig und schön. Als die Jesuiten die Frauen gewinnen wollten, bot sich ihnen ein glücklicher Zufall, das Barock. Sind die Kirchen dieses Stiles nicht wahre Boudoirs, mit den Beichtstühlen als Spiegeltischchen? Die Engel sind Putten geworden, und die Heiligen der späteren pathetischen Maler scheinen alles Martyrium für eine geliebte Frau zu ertragen. Die Madonna lächelt nur über dem holden Knaben, und um die Luft mit Schauern prickelnder zu machen, reckt der Tod seine Knochenhand aus einer Nische und hält in den Fingern die geschlitzte Granatfrucht der Versuchung hin.

Im Gebet prüft sich die Frau, spricht mit sich selber, fragt sich, gibt sich Antwort. Sie kommt in Ruhe zu Entschlüssen; denn keiner als der Unsichtbare ist Zeuge dieser Beschauung, die sich so weder zu schämen, noch sonst zu zieren braucht.

Und ist nicht die Beichte ein seltsamer Nachgenuß der Sünde? Ist nicht die Kommunion der symbolische Vollzug des letzten Mysteriums der Liebe, der Verzehrung des Leibes?

Legt es nicht auseinander und nennt es frivol, daß ich so vom Göttlichen rede. Daß man in der Operette singt, war mir immer selbstverständlich, aber in der großen Oper mußte ich mich dazu immer etwas überreden. Wenn das Göttliche nicht das vertrüge, was man die Frivolität nennt, dann wäre es auf ein enges menschliches Maß gebracht und höbe sich auf. Gott kann zu einem Scherz lachen, oder er ist nicht Gott.

 

§ 10

Es gibt einen horror vacui: das Grauen vor den Inhalten, wo es scheint, als würde die Vernunft mit der Vernunft vertrieben, um mit der Begeisterung allein zu sein. Der Begeisterte aber räsoniert nicht, denn er hat keine Gegensätze und Gegenspieler, die alle er in sich erdrückt hat, und da das Gefühl seiner Einheit in der Ekstase immens ist. Der Begeisterte, das ist der, der das Äußerste seines Wesens will, nicht etwa zu seinem »Glück« oder zu sonst seiner Lust, sondern zu seinem Heil. Er hat keinen Grund, denn der liegt im Rhythmus seines Wesens, den er nicht unterbrechen kann. Die Gründe, die er sagt, sind nur Worte der Beschwichtigung nachbarlicher Stimmen, Worte nicht mit den Lippen gesprochen, sondern nur so mit den Ellenbogen hingezuckt. »Wer fühlend spricht, beschwätzt nur sich allein.«

Psychologische, moralische oder ästhetische Erfahrungen, die sich zu einer Gesetzmäßigkeit oder zu einem Begriff auswachsen, sind so politische Bequemlichkeiten und Ökonomien des täglichen Lebens, die man im Haushalt nicht entbehren mag. Im Leben der stärksten Spannung verlangen aber diese Gesetze und Begriffe sofort die Auflösung in alle ihre Teile, denn das stärkere Leben ist nicht praktisch und braucht keine Ökonomie. Das Leben ist wesentlich bedingt von den Dingen über dem Leben, und in diesen hat die Vernunft keine Kompetenz. Man darf ihr da keinen ruhigen Augenblick gönnen. Wer in das Ganze seines Lebens die Vernünftigkeit leitet, die Regel, die Absicht, die Last eines persönlichen Glückes oder Unglückes, dessen Telos bleibt unterwegs liegen, und keine bunten Federn der List schwindeln das Geschoß in die Ewigkeit und das Heil.

 

Das Glück des Lebens liegt nicht im Besitz der begehrten äußern Dinge, und nicht im Verzicht darauf, in dieser nichts als negativen und bedingten Kraft des Selbstgenügens. Das Genügen kann höchstens ein Weg zum Heil sein, nicht dieses selbst. Die Askese ist ein Mittel, kein Zweck. Das Glück des Lebens liegt aber auch nicht im Leben für die anderen, denn das wäre ein schwankes Maß, das ausmißt, was den andern nütze, und wäre so Glück des Lebens in einem recht banalen nutzhaften Leben aller nur gefunden. Will man denn auch wirklich so sehr das Nützende? Doch heut mehr das, was unmittelbar Vergnügen macht. Das Glück des Lebens ist in der Hingabe an das den Einzelmenschen Überlebende. Man muß sich nicht wichtig nehmen, den Nächsten nicht, den andern nicht. Nur die ewigen Dinge: dann ist man glücklich, weil man das Sterben überwindet.

Die sinnliche Liebe, die in den Schooß erstirbt, feiert immer wieder ihre Auferstehung im Geiste.


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