Vicente Blasco Ibañez
Die blutige Arena
Vicente Blasco Ibañez

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VIII

Mitten im Frühling schlug plötzlich die Temperatur mit jener extremen Heftigkeit um, wie es beim unbeständigen und verrückten Klima Madrids oft der Fall ist.

Es war kalt. Vom grauen Himmel strömte heftiger Regen herab, in den sich Schnee und Hagel mischte. Seit zwei Wochen waren die Stierkämpfe ausgefallen. Die Veranstaltung des Sonntags sollte am nächsten schönen Tag stattfinden. Der Unternehmer, die Angestellten des Platzes und die zahllosen Anhänger, welche diese Unterbrechung selbstverständlich in keine rosige Laune versetzte, spähten mit der Ängstlichkeit des Bauern, der für seine Ernte fürchtet, zum Himmel empor. Ein lichter Fleck oder das Funkeln eines Sternes, den sie um Mitternacht bei der Heimkehr aus ihrem Kaffeehaus sahen, gab ihnen neue Hoffnung.

»Es heitert sich aus. Übermorgen ist Stierkampf.«

Aber die Wolken verdichteten sich, die graue Decke, aus der unaufhörlicher Regen herabfloß, blieb unverändert und alle Freunde der Stierfechtkunst empörten sich über dieses Wetter, welches dem Nationalfest den Krieg angesagt zu haben schien... Unwirtliches Land! Sogar Stierkämpfe wurden allmählich unmöglich.

Gallardo hatte zwei Wochen erzwungener Ruhe. Seine Leute beklagten sich über diese aufgedrungene Untätigkeit. In jeder anderen Stadt Spaniens hätten die Toreros diese Verzögerung ruhig hingenommen. Doch das Leben in Madrid kostete sie viel Geld, und wenn sie den Ertrag für diese zwei Stiergefechte auf die Hand bekamen, war der ganze Lohn bereits auf die Kosten ihres Aufenthaltes daraufgegangen.

Auch Gallardo war in der Einsamkeit seines Hotels voll böser Laune, jedoch weniger wegen des schlechten Wetters als über sein Mißgeschick.

Sein erstes Auftreten in Madrid war sehr kläglich gewesen. Das Publikum nahm eine andere Haltung ihm gegenüber ein. Er hatte noch unerschütterliche Anhänger, die ihn verteidigten, aber sie, die vor einem Jahre laut und herausfordernd waren, zeigten jetzt eine gewisse Gedrücktheit, und wenn sie Gelegenheit hatten, ihm zu applaudieren, taten sie es nur schüchtern. Doch wie kühn waren seine Feinde geworden, wie ungerecht verhielt sich die große Masse des Publikums, welches Gefahren und Aufregungen zu sehen wünschte, ihm gegenüber. Was man bei anderen Toreros duldete, blieb ihm verwehrt. Sie hatten ihn immer waghalsig, als einen Verächter jeder Gefahr gesehen und so wollten sie ihn immer haben, bis der Tod seine Laufbahn abschnitt. Er war ein Selbstmörder gewesen, der sich am Anfang mit dem Schicksal gespielt hatte, als er sich einen Namen schaffen mußte, und nun konnten sich die Leute mit seiner Vorsicht nicht abfinden. Er erntete nur Vorwürfe wegen seines behutsamen Vorgehens. Streckte er nicht die Muleta dicht vor dem Stiere aus, ertönte schon Protest, daß er sich nicht näher traue. Und tat er nur einen Schritt nach rückwärts, so entfesselte diese Vorsichtsmaßregel gleich einen Sturm von niederträchtigen Insulten.

Sein Verhalten in der Osterveranstaltung von Sevilla schien die Runde durch ganz Spanien gemacht zu haben. Seine Feinde rächten sich nun für die langen Jahre ihres Neides. Die Berufsgefährten, welche er durch die Notwendigkeit, Ähnliches zu leisten, in alle möglichen Gefahren gebracht hatte, verbreiteten nun mit Ausdrücken versteckter Ausfälle die Kunde vom Niedergang Gallardos: Sein Mut sei zu Ende, die letzte Corrida habe ihn vorsichtig gemacht. Und das Publikum richtete, beeinflußt durch diese Nachrichten, gleich beim Auftreten Gallardos die Aufmerksamkeit auf ihn und war schon vorher entschlossen, alles, was er tat, für schlecht zu finden, während es früher auch seine Fehler bejubelt hatte.

Der für das Volk so charakteristische Wankelmut trug das seinige dazu bei, diese Meinung zu bestärken. Man war müde geworden, den Mut Gallardos zu bewundern und freute sich nun, seine Furcht oder seine Zurückhaltung zu kritisieren. Man fand, daß er sich dem Stiere nie genug genähert habe, man tadelte jede Bewegung, kurz, er hatte eine undurchdringliche Mauer von Vorurteilen gegen sich.

Gallardo, welcher infolge des schlechten Wetters eine Ruhepause hatte, erwartete ungeduldig sein nächstes Auftreten mit dem Vorsatz, sich durch irgend eine kühne Tat auszuzeichnen. Seine Eigenliebe war durch die Spötteleien seiner Feinde stark verletzt worden, und wenn er mit dem Makel eines Mißerfolges von Madrid schied, war er für die Provinz erledigt. Er wollte seine Nerven bezwingen und das Gefühl der Angst, welches ihn vor den Stieren erfaßte und sie größer und schrecklicher erscheinen ließ, überwinden. Sein Vertreter erzählte ihm von einem sehr vorteilhaften Vertrag für Amerika. Nein, er ging jetzt nicht über das Meer, Er mußte hier noch beweisen, daß er der Alte geblieben war. Hernach konnte man es noch immer überlegen, ob sich die Reise lohnte oder nicht.

Mit der Beflissenheit eines Mannes, der seine Popularität schwinden sieht, verabsäumte es Gallardo nicht, sich so viel als möglich in Erinnerung zu bringen. Er besuchte das Kaffee Ingles, wo sich alle Freunde der andalusischen Stierfechter trafen und verhinderte so durch seine Gegenwart, daß die schonungslose Kritik seinen Namen heruntersetzte. Er selbst begann mit lächelnder und bescheidener Miene das Gespräch und entwaffnete die Tadler durch seine Unterwürfigkeit.

»Ja, ich weiß, daß ich nicht gerade hervorragend war, doch Sie werden bei der nächsten Corrida schon sehen, . . da werde ich mein Möglichstes tun.«

Wenn er am Abend durch das Zentrum von Madrid ging, ließ er sich von jungen Burschen ansprechen, welche plaudernd herumstanden und ihn als »Meister« oder »Señor Juan« begrüßten. Viele brachten zögernd, mit hungriger Miene die Bitte um einige Pesetas vor. Immerhin waren sie gut gekleidet, trugen eine zuversichtliche Haltung zur Schau und protzten mit falschem Schmuck.

Einige waren ehrenwerte Gesellen, die sich der Torerolaufbahn widmen wollten, um ihrer Familie mehr als den kärglichen Lohn eines Arbeiters zu bringen. Andere wieder, welche weniger auf sich hielten, lebten von dem Gelde treuer Freundinnen, welche sich preisgaben, um einen Burschen zu unterstützen, der, wie er versicherte, einmal eine Berühmtheit sein würde.

Unter diesen »Stierfechtern«, die der Mißerfolg verbitterte und Lässigkeit oder Furcht nicht aufkommen ließ, gab es große Leute, die sich allgemeiner Achtung erfreuten. Einer, der vor den Stieren davonlief, wurde wegen der Leichtigkeit, mit der er das Messer zog, gefürchtet. Ein anderer war im Zuchthaus gewesen, weil er einen Mann durch einen Faustschlag getötet hatte. Einige, welche gefällige Manieren hatten, gut gekleidet und rasiert waren, biederten sich an Gallardo an und begleiteten ihn überall hin, da sie hofften, eingeladen zu werden. Andere wieder, deren stolze Miene und unerschrockene Augen die Genugtuung über ihre starke Männlichkeit auszudrücken schienen, erzählten dem Torero fröhlich und guter Laune von ihren Abenteuern.

Sie pflegten an sonnigen Vormittagen, zur Zeit, in der die Gouvernanten mit ihren Kleinen spazieren gingen, die Castellanastraße auf- und abzugehen. Sie trafen dort englische Misses oder deutsche Fräuleins, welche erst unlängst mit einem Kopf voll phantastischer Vorstellungen in dieses legendenhafte Land gekommen waren. Sobald sie einen Burschen mit rasiertem Gesicht und einem Filzhut sahen, hielten sie ihn sofort für einen Torero.

Andere schlössen sich an Fremde, Tänzerinnen oder Sängerinnen an, welche nach ihrer Ankunft in Spanien gleich am ersten Tage einen Torero haben wollten. Es waren Französinnen, Deutsche oder Italienerinnen, und diese Pseudotoreros lachten, wenn sie ihrer ersten Zusammenkünfte mit ihren Bewunderinnen gedachten. Die Fremde fürchtete immer, getäuscht zu werden und zu sehen, daß ihr erträumter Held nur ein Mann wie die übrigen sei. »Bist du wirklich ein Torero?« und sie griff an seinen Stierfechterzopf und lächelte voll Zufriedenheit, ihre Frage so bestätigt zu finden.

»Meister, Sie kennen diese Weiber nicht! Sie streicheln und küssen die ganze Nacht den Zopf, als hätte einer nichts anderes zu tun ... Und diese Launen. Eine springt aus dem Bette bis in die Mitte des Zimmers und läßt sich an ihrem Körper zeigen, wie man die Stöße bei einem Stierkampf ausführt. Andere wollen wieder einen Stierfechtermantel mit Goldstickerei haben, als wenn man den so leicht wie eine Zeitung kaufen könnte.«

Der junge Torero versprach ihr natürlich den Mantel, denn die Stierfechter sind ja alle reich. Und bis zum Eintreffen des reichen Geschenkes war er darauf bedacht, die Beziehungen inniger zu gestalten. Er lieh sich von seiner Freundin Geld aus, doch wenn sie keines hatte, verpfändete er einen Schmuck. Und wenn sie dann aus ihrem Liebestraum zu erwachen schien und sich solche Freiheiten verbat, da zeigte ihr der gute Kerl noch durch eine Tracht Schläge, wie groß seine Leidenschaft zu ihr war.

Gallardo freute sich über diese Erzählung, hauptsächlich aber über den letzten Punkt.

»Ja, so ist's recht«, sagte er mit wilder Ausgelassenheit. »Nur nicht sanft mit diesen Weibern umgehen. Du kennst sie. So werden sie dir umsomehr nachlaufen. Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, wenn man gewissen Frauen schön tut. Der Mann muß sich Respekt verschaffen.«

Er bewunderte die Skrupellosigkeit dieser Burschen, welche davon lebten, die Illusionen fremder Frauen auszunützen, und beklagte sich selbst beim Gedanken an die eine, welche ihn derart an der Kette geführt hatte.

Als der Spada eines Abends in die Alcalastraße einbog, trat er vor Überraschung einen Schritt zurück. Eine blonde Dame stieg vor dem Hotel de Paris aus dem Wagen ... Doña Sol. Ein Herr, anscheinend ein Ausländer, reichte ihr die Hand und half ihr beim Aussteigen. Nachdem er einige Worte mit ihr gewechselt hatte, entfernte er sich, während sie das Hotel betrat.

Es war Doña Sol, der Torero war seiner Sache sicher, ebenso sicher erkannte er auch die Beziehungen, die sie mit jenem Fremden verbinden mußten, da er ihre Blicke und das Lächeln gesehen hatte, als ihr Begleiter wegging. So hatte sie einst ihn betrachtet und angelächelt, als sie noch in jener glücklichen Zeit die einsamen Ebenen durchritten, auf denen der sanfte, rote Schein der untergehenden Sonne lag.

In übler Stimmung verbrachte er mit einigen Freunden die Nacht. Dann schlief er schlecht, denn er durchlebte noch einmal viele Szenen jener vergangenen Tage. Als er sich erhob, stahl sich das fahle und blasse Licht eines trüben Tages durch die Vorhänge. Es regnete und Schnee mischte sich unter die Tropfen. Alles war schwarz, der Himmel, die gegenüberliegenden Mauern, das triefende Pflaster der Straße, die Kutschen, deren Dächer wie Spiegel glänzten, und die vorübereilenden Kuppeln der Regenschirme.

Es schlug elf Uhr. Wenn er Dona Sol besuchte? In der Nacht hatte er diesen Gedanken voll Unwillen verworfen. Das hieße ja sich herabwürdigen. Sie war ohne jede Erklärung verschwunden und hatte sich dann, als sie ihn zwischen Leben und Tod wußte, kaum um ihn gekümmert. Ein kurzes Telegramm am Anfang und dann nichts mehr. Nicht einmal eine armselige Karte, obwohl sie doch sonst so leicht an ihre Bekannten schrieb. Nein, er wollte nicht gehen, sein Stolz erlaubte es nicht.

Doch in der Frühe schien sein fester Vorsatz ins Wanken zu geraten. »Warum nicht?«, fragte er sich. Er mußte sie noch einmal sehen. Sie blieb für ihn die einzige Frau, welche er nicht vergessen konnte. Sie zog ihn mit ganz anderer Kraft an, als es je das Gefühl vermocht hatte, das ihn zu anderen Frauen trieb. »Ich komme nicht los von ihr«, sagte sich der Torero in der Erkenntnis seiner Schwäche. Ah, wie hatte er unter der grausamen Trennung gelitten.

Der unglückliche Ausgang der Corrida in Sevilla, seine Schwäche und die neuerliche Annäherung an Carmen hatten ihn dazu gebracht, sich mit seinem Geschicke abzufinden. Aber vergessen konnte er nicht. Er gab sich Mühe, die Vergangenheit auszulöschen, aber der geringfügigste Umstand, der Anblick einer Straße, durch welche er mit der schönen Reiterin galoppiert war, die zufällige Begegnung mit einer blonden Engländerin, der Verkehr mit all jenen Herren von Sevilla, welche sozusagen seine Verwandten waren, all das ließ das Bild der Dona Sol immer wieder erstehen. Ah, diese Frau ... Niemals würde er mehr eine zweite wie sie finden. Als er sie verlor, glaubte Gallardo, einige Stufen von seiner gesellschaftlichen Einschätzung herabgeglitten zu sein. Ja, er schrieb diesem Abschied sogar seine Mißerfolge zu. So lange er sie besaß, war er unüberwindlich. Doch als die »Rote« ihn verließ, hatte sich das Unglück an den Torero geheftet. Würde sie zurückkehren, dann könnte er auch ohne Zweifel das Glück wieder an sich ketten. Sein in den Wahnideen des Aberglaubens hin und her schwankendes Gemüt war fest davon überzeugt.

Diesmal hielt er den Wunsch, sie wiederzusehen, für einen jener glücklichen Entschlüsse, die ihm in der Arena schon oft Erfolg gebracht hatten. Vielleicht gelang es ihm wieder, Doña Sol zu gewinnen. Er bildete sich etwas auf seine Erscheinung ein. Die schnellen Triumphe bei Frauen bestärkten ihn in dem Glauben an die Unwiderstehlichkeit seiner Person. Es war nicht unmöglich, daß Doña Sol nach so langer Abwesenheit ihn wieder zu sich rief. Er hoffte, daß sich die Szene im Palaste von Sevilla wiederholen könne.

Und im Vertrauen auf seinen Glücksstern ging Gallardo in der anmaßenden Sicherheit eines Mannes, der sein Ziel erreichen will, in das Hotel de Paris, das ganz in der Nähe seines Quartiers lag.

Er mußte über eine halbe Stunde in der Halle warten, während ihn die Diener und Gäste, welche seinen Namen kannten, neugierig anschauten. Ein Bediensteter begleitete ihn zum Aufzug und führte ihn in einen kleinen Salon des ersten Stockes, durch dessen Balkonfenster man die schwarzen Häuser der Puerta del Sol und das glänzende Asphalt des Platzes sah, über den schnelle Kutschen dahinrollten, als würde sie der Regen fortpeitschen, während die Wagen der Straßenbahn unter dem warnenden Läuten ihrer Glocken dem Laufe der Geleise folgten.

Eine Tapetentür öffnete sich und Don(!)a Sol erschien. Die Seide rauschte um ihren Körper, aus dem ein starker Duft vom frischen und rosigen Fleisch aufstieg, das im Glanz ihrer reifen Schönheit prangte.

Gallardo betrachtete sie mit dem Entzücken eines Kenners, der keine Einzelheit vergißt. Ganz so wie in Sevilla ... Nein, noch schöner mit dem verführerischen Reiz nach einer langen Abwesenheit.

Sie trug die gleiche exotische Tunika und ihren eigenartigen Schmuck, den Gallardo seinerzeit bewundert hatte, als er sie zum ersten Male in ihrem Hause in Sevilla sah. Die Füße staken in goldgestickten Pantoffeln, welche, als sie beim Niedersetzen die Beine kreuzte, jeden Augenblick herabzufallen drohten. Sie streckte ihm die Hand entgegen, während sie mit kalter Liebenswürdigkeit lächelte.

»Wie geht es Ihnen, Gallardo? Ich wußte, daß Sie in Madrid sind, ich habe Sie gesehen.«

Sie duzte ihn nicht mehr wie sie es früher getan hatte. Dieses »Sie«, welches beide ebenbürtig zu machen schien, entmutigte den Torero. Er hoffte, frühere Rechte erlangen zu können, und sah sich nun mit der kalten, höflichen Behandlung empfangen, die einem gewöhnlichen Bekannten zu Teil wird.

Don(!)a Sol erklärte ihm, daß sie Gallardo bei der letzten Corrida in Madrid gesehen habe. Sie sei mit einem Freunde, einem Ausländer, der dieses Schauspiel kennen lernen wollte, im Zirkus gewesen.

Gallardo bestätigte ihre Worte mit einem Kopfnicken. Er kannte den Fremden, er hatte ihn mit ihr gesehen. Ein langes Schweigen verging, ohne daß sie wußten, wie sie es abkürzen sollten. Doña Sol war die erste, die das Wort ergriff.

Sie plauderte mit kalter Freundlichkeit: Sie erinnere sich dunkel an eine schwere Verletzung, die er erlitten habe. Sie glaube sicher zu sein, ihm nach Sevilla mit der Bitte um Nachricht telegraphiert zu haben. Bei ihrer wechselvollen unbeständigen, von einem Aufenthalte zum anderen eilenden Lebensweise bringe sie alle Erinnerungen durcheinander ... Doch sehe sie, daß die Verwundung keine Folgen hinterlassen habe, denn auch im Zirkus sei er ihr selbstbewußt und stark, wenngleich etwas zurückhaltend vorgekommen.

Gallardo ärgerte sich über den gleichgültigen Ton, mit dem sie ihm das alles erzählte. Und er hatte zwischen Tod und Leben nur an sie gedacht ... In seiner Erbitterung erzählte er ihr ausführlich die Einzelheiten des ihm zugestoßenen Unglückes und seiner Rekonvaleszenz, die den ganzen Winter gedauert hatte.

Sie hörte ihm mit anscheinendem Interesse zu, während ihre Augen ihre Teilnahmslosigkeit verrieten. Was ging sie noch der Unfall dieses Stierfechters an? ... Das waren Widrigkeiten seines Berufes, die er mit sich allein ausmachen mußte.

Und als Gallardo so von seiner Genesung sprach, sah er plötzlich, durch die Kette der Erinnerungen daran gemahnt, das Bild eines Mannes in seinem Gedächtnis aufsteigen, den sie beide gekannt hatten.

»Erinnern Sie sich noch an Plumitas? Man hat ihn getötet. Ich weiß nicht, ob Sie es erfahren haben.«

Doch Doña Sol erinnerte sich dunkel, in den Pariser Zeitungen eine diesbezügliche Notiz gelesen zu haben.

»Ein armer Teufel«, sagte Doña Sol mit Gleichgültigkeit. »Ich weiß nur, daß er ein grober, uninteressanter Bauer war. In der Ferne sieht man die Dinge erst in ihrer eigentlichen Färbung. Ich glaube, daß er eines Tages im Hofe mit uns am gleichen Tische aß.«

Auch Gallardo erinnerte sich an dieses Ereignis. Der arme Plumitas! Mit welcher Rührung hatte er die Rose aus der Hand Doña Sols empfangen ... Die Augen der schönen Frau zeigten bei dieser Mitteilung ein ehrliches Erstaunen.

»Sind Sie dessen sicher? Wirklich? Ich schwöre, daß ich nichts davon weiß. Ah, diese sonnendurchglühte Erde, dieser Reiz des Pittoresken, wozu verleitet das nicht alles!«

Ihre Worte ließen ein gewisses Bedauern erkennen. Dann begann sie zu lachen.

»Ist es möglich, Gallardo, daß dieser arme Teufel meine Blume bis zum letzten Augenblicke aufbewahrt hat? Sagen Sie nicht nein ... Es ist ja immerhin möglich, daß man auf seinem Leichnam diese vertrocknete Blume als eine geheimnisvolle Erinnerung fand, als ein Gedenken, für welches man keine Erklärung geben konnte ... Wissen Sie noch mehr darüber? Was sagten die Zeitungen? Doch nein, schweigen Sie, zerstören Sie meine Illusionen nicht. Es muß so sein, ich will es so haben. Armer Plumitas, wie interessant... Und ich hatte die Blume ganz vergessen. Ich werde das meinem Freunde erzählen, der über Spanien schreiben will.«

Der Hinweis auf diesen Freund, der innerhalb einiger Minuten das zweite Mal erwähnt wurde, machte Gallardo traurig. Er betrachtete Doña Sol unverwandt mit seinen schwarzen Augen, deren melancholische Blicke ihr Mitleid zu erflehen schienen.

»Doña Sol... Doña Sol...« murmelte er in einem verzweifelten Tone, als ob er ihr Grausamkeit vorwürfe.

»Was gibt's, mein Freund?« fragte sie lächelnd, »was ist Ihnen?«

Gallardo senkte das Haupt und blieb, eingeschüchtert durch den ironischen Ausdruck dieser lichten, im Goldglanz schimmernden Augen, schweigend stehen. Dann richtete er sich auf, wie einer, der zu einem Entschlusse gekommen ist. »Wo waren Sie die ganze Zeit, Doña Sol?« »Auf Reisen«, erwiderte Sie einfach. »Ich bin ein Zugvogel. Ich war in Städten, die Sie nicht einmal dem Namen nach kennen.«

»Und wer ist jener Fremde, der Sie vorhin begleitete?«

»Ein Freund,« sagte sie kalt, »ein Freund, der die Güte hat, mich zu begleiten und der die Gelegenheit benützt, um Spanien kennen zu lernen. Ein bedeutender Mann, der einen berühmten Namen trägt. Von hier werden wir nach Andalusien gehen, wenn er die Museen gesehen hat. Was wünschen Sie noch zu wissen?«

Aus dieser stark betonten Frage klang der gebieterische Wunsch hervor, den Torero in einem gewissen Abstand zu halten, den sozialen Unterschied zwischen ihnen aufzurichten. Gallardo wurde ganz verwirrt.

»Doña Sol«, seufzte er treuherzig, »wie Sie mit mir gespielt haben, kann Gott nicht verzeihen. Sie sind sehr bös zu mir gewesen ...Warum haben Sie mich, ohne ein Wort zu sagen, verlassen?«

Und während sich seine Augen mit Tränen füllten, krampfte er die Finger aneinander.

»Nicht so weiter, Gallardo! Was ich tat, war gut für Sie. Kennen Sie mich noch nicht genügend? Denken Sie noch immer an jene Zeit zurück? Wenn ich ein Mann wäre, würde ich Frauen meines Charakters fliehen. Der Unglückliche, der sich in mich verliebt, begeht Selbstmord.«

»Doch warum haben Sie mich verlassen?«, fragte Gallardo wieder.

»Ich langweilte mich. Spreche ich deutlich genug? Wenn sich eine Person langweilt, hat sie, glaube ich, das Recht, sich zu zerstreuen.«

»Doch ich liebe Sie mit aller Glut meines Herzens«, rief der Torero mit so echt dramatischem Ausdruck aus, daß er selbst über sich gelacht hätte, wenn er sich hätte hören können.

»Ich liebe Sie mit aller Glut meines Herzens«, wiederholte Doña Sol und ahmte seinen Ton und Gebärden nach. »Und was soll ich damit? Ah, diese Egoisten von Männern, die sich von der Menge bewundert sehen und glauben, daß alles nur für sie da ist... ›Ich liebe dich‹, und das genügt, daß auch du mich lieben mußt. Oh nein, ich liebe Sie nicht, Gallardo. Sie sind ein Bekannter, mehr nicht. Was in Sevilla geschah, das war ein Traum, eine tolle Laune, an die ich nicht mehr denke und die Sie vergessen müssen.«

Der Torero erhob sich und ging ihr mit ausgestreckten Armen entgegen. Er wußte in seiner Unbeholfenheit nicht, was er sagen wollte, da er die Wirkungslosigkeit seiner Worte dieser Frau gegenüber erriet. Er überließ, seinem Impuls nachgebend, die Erfüllung seiner Wünsche und Hoffnungen der Tat, denn er wollte die Frau an sich reißen und dadurch die Kälte, die sie jetzt trennte, überwinden.

»Doña Sol«, bat er und streckte die Arme nach ihr aus.

Doch sie zerriß mit einem Schlag ihrer beweglichen Rechten die Umschlingung des Torero. Ein Blitz des Stolzes und des Zornes flog über ihre Augen und sie richtete sich angriffslustig auf, als würde sie eine Beleidigung abwehren wollen.

»Genug, Gallardo! Wenn Sie so fortfahren, sind Sie nicht mehr mein Freund und ich weise Ihnen die Türe.«

Der Torero ließ in seinem Beginnen ab und blieb beschämt und gedemütigt stehen. So verging ein langes Schweigen, bis endlich Doña Sol mit Gallardo Mitleid empfand.

»Seien Sie doch vernünftig«, sagte sie, »wozu sich an Dinge erinnern, die nicht mehr möglich sind? Weshalb denken Sie noch an mich? Sie haben Ihre Frau, welche, wie man mir gesagt hat, schön und lieb ist und Ihnen treu zur Seite steht. Denken Sie doch daran, daß es in Sevilla Mädchen mit der Mantilla und Blumen in den Haaren gibt, Frauen, welche mir einst so gefallen haben und die es sicher als Glück betrachten würden, von Gallardo geliebt zu werden ... Mit mir ist es aus. Das schmerzt Sie natürlich in Ihrer Eigenliebe, da Sie als berühmter Mann an leichte Erfolge gewöhnt sind. Doch es ist so: Wir sind Freunde und nichts mehr. Ich bin anders geworden. Ich langweile mich und was hinter mir liegt, ist vorbei. Die Illusionen dauern bei mir nicht lange und verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich bin eher zu beklagen, glauben Sie mir das.«

Ihr Blick, der etwas wie Mitgefühl zu verraten schien, haftete mit einer Neugierde auf dem Torero, als würde sie dessen Fehler und sein bauernhaftes Äußere aus der Nähe beurteilen wollen.

»Ich denke an Dinge, die Sie nicht verstehen würden. Sie kommen mir jetzt ganz anders vor. Der Gallardo in Sevilla war ein anderer als Sie hier. Sind Sie derselbe? Ich bezweifle es nicht, aber für mich sind Sie ein anderer geworden. Wie soll ich es Ihnen erklären? In London kannte ich einen Raja. Wissen Sie, was ein Raja ist?«

Gallardo schüttelte, über seine Unwissenheit errötend, den Kopf.

»Es ist ein indischer Fürst.«

Und sie erinnerte sich an den hindostanischen Magnaten, an sein kupferfarbenes Gesicht mit dem schwarzen Schnurrbart, an seinen weißen Turban, der einen großen, leuchtenden Diamanten über der Stirne trug, an die weiße, wallende Umhüllung seines Körpers, die dem Kelchblatt einer Blume glich.

»Er war schön, jung, er betete mich mit seinen großen, träumerischen Augen an und ich spottete seiner, wenn er mir auf englisch seine orientalischen Schmeicheleien sagte ... Er zitterte vor Kälte, hustete infolge des Nebels, er ging herum wie ein Vogel im Regen und seine Hüllen schauten fast wie nasse Flügel aus. Wenn er mir von Liebe sprach und mich mit seinen Gazellenaugen anschaute, da verspürte ich Lust, ihm einen Überrock und eine Mütze zu geben, damit ihn nicht länger friere. Und gleichwohl muß ich sagen, daß er schön war und einer Frau, die sich nach Ungewöhnlichem sehnte, einige glückliche Monate hätte bereiten können ... Sie, Gallardo, wissen nicht, was das ist...«

Und Doña Sol gedachte schweigend des armen Raja, der sich in seinem lächerlichen Aufzuge unter dem Nebel Londons nie erwärmen konnte. Ihre Einbildungskraft sah ihn dort unten in seinem Lande, wo ihn die Majestät der Macht und das Licht der Sonne zu einem anderen machten. Die dunkle Farbe seines Gesichtes nahm unter dem grünen Reflex der tropischen Vegetation die Färbung künstlerischer Bronzen an. Sie sah ihn auf einem Elefanten, der über den mit kostbaren Teppichen belegten Boden schritt, während kriegerische Reiter und Sklaven mit wohlriechenden Räucherbecken seine Leibgarde bildeten. Der schwere Turban war mit weißen Federn, auf denen kostbare Steine funkelten, geschmückt, die Brust mit Goldplatten, auf denen Diamanten glänzten, umschlossen. Der Gürtel wurde durch eine mit Smaragden bestickte Schärpe, aus der ein goldener Säbel herabhing, zusammengehalten. Hinter ihm kamen Bajaderen mit geschminkten Augen und üppigen Busen, zahme Tiger und Lanzenträger bildeten den Schluß des Zuges. Im Hintergrunde standen Pagoden mit übereinandergeschachtelten Dächern und kleinen Türmchen, deren Glocken im leisesten Windhauch sanfte Akkorde erklingen ließen, Paläste, deren Schweigen Geheimnisse umschloß, und dichter Urwald, aus dessen Schatten wilde, buntfarbige Tiere zum Vorschein kamen... Ja, die Umgebung. Hätte sie den armen Raja, der dort so prächtig wie ein Gott war, unter dem tiefblauen Himmel und dem Lichte der heißen Sonne Indiens gesehen, hätte sie sich gehütet, ihn zu verspotten. Sie war vielmehr überzeugt, von selbst als seine demütige Liebessklavin in seine Arme geeilt zu sein.

»Sie bringen mir den Raja in Erinnerung, Freund Gallardo. Dort in Sevilla waren Sie in Ihrer Landestracht etwas Eigenes, eine Ergänzung der Umgebung. Aber hier ... Madrid ist modern geworden, es ist eine Stadt wie die anderen. Da gibt es keine Volkstrachten mehr, außer auf der Bühne. Seien Sie mir nicht böse, Gallardo, aber Sie erinnern mich an den Inder.«

Sie betrachtete durch die Fenster hindurch den grauen, verregneten Himmel, von dem zeitweilig Schnee herabfiel, und die Leute, welche unter ihren Schirmen schnell die Straßen durcheilten. Dann flog ihr Blick auf den Espada und heftete sich mit Verwunderung auf seine über den Kopf gelegte Haarwelle, auf seine Frisur und seinen Hut, auf alle Einzelheiten, die seinen Beruf verrieten und dabei ganz merkwürdig mit seinem modernen und eleganten Anzug kontrastierten.

Der Torero stand für Doña Sol außerhalb ihrer Sphäre. Ah, dieses verregnete, langweilige Madrid! Ihr Freund, der sich Spanien nur unter einem lachenden, blauen Himmel vorgestellt hatte, war ganz enttäuscht. Sie selbst dachte, wenn sie auf dem Gehsteig vor dem Hotel die Gruppen der jungen Toreros mit ihrem selbstbewußten Gehaben sah, unausbleiblich an die exotischen Tiere, die man aus ihren sonnigen Ländern unter einen grauen und nebligen Himmel versetzt hatte. Dort in Andalusien war Gallardo der Held, eine aus sich gewordene Verkörperung des viehreichen Landes. Hier erschien er ihr mit seinem rasierten Gesicht und seinem auf die Menge berechneten Gehaben als eine komische Figur, welche, statt mit ihresgleichen dumme Possen zu treiben, durch ihre Kämpfe mit den Stieren den Schauer der Tragik erweckte.

Ah, die verführerischen Illusionen über diese sonnendurchglühten Länder, diese täuschende Trunkenheit aus Licht und Farben ... Und sie hatte einige Monate hindurch zu diesem rohen und ungebildeten Burschen Zuneigung empfinden können und die Unsinnigkeiten seiner Ignoranz als ingeniöse Einfälle eines unberührten Wesens betrachtet, ja, sie war so weit gegangen, zu verlangen, er dürfe seine Gewohnheiten nicht aufgeben, er müsse den Geruch der Pferde und Stiere auf sich behalten und dürfte die Atmosphäre aller jener wilden Bestien, die ihn umschwebte, durch kein Parfüm abschwächen ... Ah, die Umgebung, welche Verrücktheiten!

Sie erinnerte sich an die Gefahr, unter den Hörnern des Stieres zerfetzt zu werden. Dann gedachte sie des Frühstückes mit dem Räuber, dem sie voll Bewunderung zugehört hatte, um ihm schließlich eine Blume zu geben. Was für Unsinnigkeiten! Und wie weit lag das jetzt alles zurück!

Von dieser Vergangenheit, an die sie mit der Reue einer Person dachte, die sich selbst lächerlich vorkommt, war nur der Bursche da vor ihr geblieben, der mit seinen bittenden Augen und seiner kindischen Beharrlichkeit diese Zeiten wieder aufleben lassen wollte. Als wenn Unüberlegtheiten sich wiederholen könnten, sobald das kalte Denken an Stelle der Illusion, dieser blendenden Verführerin in unserem Leben, tritt.

»Alles ist zu Ende,« sagte Doña Sol, »wir müssen die Vergangenheit vergessen, denn wenn wir sie auch ein zweites Mal sehen, zeigt sie sich uns nicht mehr in denselben Farben. Ich sehe Spanien nach meiner Rückkehr mit anderen Augen. Auch Sie sind nicht mehr so, wie ich Sie kannte. Als ich Sie neulich in dem Zirkus sah, kam es mir sogar vor, daß Sie weniger draufgängerisch waren, daß die Zuschauer kühler blieben.«

Sie sagte dies ohne jeden Hintergedanken. Aber Gallardo glaubte in ihren Worten einen gewissen Hohn zu vernehmen und er senkte den Kopf, während sich seine Wangen röteten.

»Verflucht!« Alle seine quälenden Gedanken wurden wieder lebendig. Sein ganzes Pech, das ihn verfolgte, rührte davon her, daß er nicht nahe genug an die Stiere heranging. Sie sagte es ganz offen. Für sie war er beinahe ein anderer geworden. Wenn er wieder der Gallardo von früher sein könnte, würde sie ihn besser aufnehmen. Die Frauen fliegen nur auf die Starken und Mutigen.

Und der Torero wiegte sich in diese Hoffnungen ein und hielt das, was in Wirklichkeit schon eine längst erstorbene Laune war, für eine momentane Ablenkung, der er durch seine Kraftstücke wieder Herr zu werden glaubte.

Doña Sol erhob sich. Der Besuch hatte schon lange genug gedauert und der Torero schien noch immer nicht geneigt zu sein fortzugehen, zufrieden, in ihrer Nähe zu bleiben und auf einen glücklichen Zufall hoffend, der sie wieder zu ihm führte.

Gallardo mußte endlich verstehen. Sie entschuldigte sich mit der Notwendigkeit, ausgehen zu müssen. Sie erwartete ihren Freund, mit dem sie das Museum del Prado besuchen wollte.

Sie lud ihn dann für einen der nächsten Tage zum Mittagmahl ein. Es würde ein gemütliches Essen in ihrer Wohnung sein, ihr Begleiter wolle ebenfalls kommen. Er würde sich freuen, einen Torero zu sehen. Er spreche zwar schlecht spanisch, doch würde es ihm großes Vergnügen bereiten, Gallardo kennen zu lernen.

Der Espada drückte unter einem unverständlichen Gemurmel ihre Hand und verließ das Hotel. Der Zorn verdüsterte sein Gesicht, die Ohren summten ihm. So also entließ sie ihn, wie einen ungelegenen Bekannten. Und das war die gleiche Frau, die er in Sevilla ... Sie lud ihn zum Essen ein, damit ihr Freund einen Spaß habe und ihn wie ein seltenes Tier begaffen könne. Verdammt, dazu war er sich zu gut. Auch er hatte Schluß gemacht. Er würde sie nicht mehr aufsuchen.


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