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IV.

»Wie aber hat er nur mit dem Koffer wieder unbemerkt entkommen können?«

»Das ergab sich dann freilich, als der Telegraphist wieder vollkommen nüchtern geworden war. Ein Passagier, der selbstverständlich kein anderer war als dieser von mir verfolgte Freiherr von Sassen, der wiederum jener angebliche Doktor Steffen war, hatte sich an den Telegraphisten herangemacht, ihn beschwätzt und dann zum Trinken einer Flasche Wein veranlaßt, die sich bei der Untersuchung als mit einem sehr starken Schlafmittel vermischt herausstellte. Als der Telegraphist dann unschädlich war, ließ der Verfolgte auf dem Apparat mehrere Anrufe hinausgehen, die sehr wahrscheinlich auch ein in der Nähe befindliches Schiff oder noch wahrscheinlicher eine Privatjacht erreichten, die ebenfalls eine Marconistation an Bord hatte. Mit dieser wird er sich dann verständigt haben, daß diese dicht an den »Merkuro« anfuhr, der doch fast stille lag, da er nach einer erhaltenen Weisung nicht in den Hafen einfahren durfte. Und an Bord dieser unbekannt gebliebenen Jacht, oder was es sonst war, gelang ihm die Flucht.«

»Daß dies möglich sein kann, begreife ich. Aber die Schiffswache muß dies doch bemerkt und beobachtet haben.«

»Freilich! Das hätte sie auch getan! Aber dieser unbekannte, rätselhafte Gegner, dieser Doktor Steffen, oder wie er sich jeweils gerade nennt, ist einer von denen, die nur gründlich arbeiten. Das tat er auch diesmal wieder; die Wache an Backbord fand sich ebenso betrunken wie der Marconitelegraphist vor. Da ist die Folgerung nicht schwer, daß das Schiff, das ihn bei seiner Flucht mit seinem Koffer aufnahm, an der Backbordseite anlief. Wie es genau geschehen ist, hat ja niemand gesehen, das läßt sich nach den späteren Feststellungen nur vermuten.«

»So wird es wohl möglich gewesen sein!«

»So war es auch, denn es blieb an der Backbordseite noch das Seil liegen, mit dem wahrscheinlich der Koffer nach dem anderen Schiff hinuntergelassen wurde. Es war nicht viel anders als auf jener ersten Flucht aus dem Kurhotel ›Adlerhorst‹. Unbegreiflich ist nur, wie und durch wen er gewarnt worden sein konnte.«

»Welches Schiff oder was für eine Jacht es gewesen sein mochte, hat sich nicht herausgestellt?«

»Zunächst nicht! Damit keine Fragen auf drahtlosem Wege mehr möglich waren, hat er doch den Apparat unbrauchbar gemacht und auch alle Meldestreifen von seinen eigenen Aufnahmen vernichtet.«

»Und später?«

»Jetzt sind wir wohl wieder auf der Spur! Diesmal aber wird nur nach ganz gründlichen Vorbereitungen zur Entscheidung geschritten. Allerdings gingen darüber wieder ein paar Monate verloren.«

»Und hier soll er verborgen sein?«

»Das halte ich schon für sicher. Ich warte nur noch den letzten Bericht ab, der mich hier antreffen soll.«

»Was soll der?«

»Draußen im Landhaus des Don Alonso Carena lebt als dessen Gast ein Fremder, den er vor zwei Monaten mitbrachte, als er mit seiner Jacht ›Salandra‹ zurückkam. Die Zeit stimmt, und die ›Salandra‹ lief auch im gleichen Hafen ein. Dieser Fremde nennt sich diesmal Vicomte Duchesse. Und ich verpfände meinen Kopf, daß dieser Vicomte Duchesse kein anderer als dieser Freiherr von Sassen, jener Direktor Streitter und Doktor Steffen ist.«

»Worauf warten wir dann noch?«

»Ich habe mich mit einem Mestizen, namens Bragellone, verabredet, der draußen im Landhaus des Don Carena bedienstet ist. Von ihm erwarte ich Ausführlicheres über den Vicomte, wie er aussieht und ob der noch jenen verhängnisvollen Koffer mit sich führt.«

»Wird er auch kommen?«

»Natürlich!« Ein Blick glitt flüchtig zur Uhr hin: »Er ist jeden Augenblick zu erwarten.«

Diese Unterredung fand in dem niederen Raum einer Hafenkneipe statt, in einer Nische, die ein Fenster zu dem engen Hofraum hinaus hatte, das offen stand und den herben Geruch von Oleander hereinströmen ließ. Von diesem Hofraum her klangen ab und zu auch Schritte, die bald näher kamen und wieder entschwanden.

Die beiden Gestalten an dem Holztische, dessen Platte fettig und teilweise von Messern zerschnitten aussah, hatten breitrandige, hohe Hüte auf, die sie tief in die Stirne gedrückt hatten.

Der eine besaß schmale Schultern, ein bartloses Gesicht, das harmlos lächelnd aussah und schließlich an einen Dorfpfarrer erinnerte. Es war dies der Inspektor Wendland, den die Verfolgung der Fährte des angeblichen Doktor Steffen bis hierher geführt hatte. Sein Begleiter war ein zweiter Kriminalbeamter, den er zur Unterstützung herangezogen hatte.

Dieser war noch jung und hatte ein von Blatternarben verunstaltetes Gesicht, graugrüne Augen, über denen fast keine Brauen lagen und ganz schmale, wie vertrocknet aussehende Lippen.

Vor ihnen auf dem Tische standen ein paar Gläser, die sie aus einer Flasche immer wieder füllten.

In der Fensternische waren die beiden ungestört und hatten auch keine unerbetenen Lauscher zu fürchten. So mußten sie wenigstens glauben, denn die anderen Tische, an denen meist Matrosen verschiedener Schiffe saßen, Irländer, Italiener, Spanier und auch Deutsche, standen weit ab von diesem Winkel, mehr nach dem Büfett und auch dem Podium zu, auf dem sich gelegentlich Tänzerinnen sehen ließen.

Neben Matrosen fanden sich noch Lastträger, Hafenarbeiter und arbeitslose Burschen ein, die hier eine Gelegenheit zu Verdienst suchten.

Der Wirt, breitschultrig, mit kurzem Hals und einem Gigantenschädel, der wie ein Stierkopf aussah, bediente seine Gäste und rief diesen manchmal ein derbes Scherzwort zu.

Inspektor Wendland und sein Begleiter steckten die Köpfe näher zusammen, während die Blicke immer wieder zur Türe hinschauten.

Auf das Fenster, das ja in ihrem Rücken lag, achteten sie nicht. Daher fiel es ihnen auch nicht auf, als für einen Augenblick ein Schatten am Fenster vorbeihuschte, als hätte jemand versucht, durch das Fenster in die Kneipe hereinzuspähen.

Nur ein Schatten war es, der vorüberhuschte.

Von draußen aber ließ sich bald darauf das Klimpern von Kastagnetten vernehmen.

»Er müßte doch bald hier sein.«

»Vielleicht wurde er durch irgend etwas abgehalten?«

Abermals irrten die Blicke zur Türe hin, die gerade geöffnet wurde; aber nicht der Erwartete trat ein, sondern eine junge Tänzerin mit Granatblüten im schwarzen Haar, einen grellen, goldroten, seidenen Schal um den bronzefarbenen Hals, der eine alte Harfenistin, gebückt und mit ungezählten Runzeln in dem tiefgebräunten Gesicht, nachfolgte.

Die Tänzerin wurde von manchen der Anwesenden gleich mit stürmischen Zurufen empfangen:

»Die Peccadilla, die schöne Peccadilla! Einen Fandango! Eine Flasche der Peccadilla für einen Fandango, eine Flasche Andalusier.«

Der Inspektor und sein Begleiter hörten diesen Rufen nur gleichgültig zu, da ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen galt. Sie achteten auch nicht darauf, mit welchem Lächeln die Tänzerin all die Zudringlichkeiten zurückwies, wie sie dann wieder halbgewährend eine Huldigung annahm, aber doch die Masse dieser Besucher der Kneipe beherrschte.

Da öffnete sich abermals die Türe und eine hagere, knochige Erscheinung mit dem gelben Gesichte des Mestizen trat ein; aus dem bartlosen Antlitz ragte eine hakenförmige schmale Nase. Die schwarzen Augen spähten durch den Qualm, der die Kneipe erfüllte.

Doch da winkte ihn Inspektor Wendland auch schon zu sich heran.

Der Eintretende bemerkte diese Geste und ging zu den Zweien an den Tisch.

Der Mestize brummte wie entschuldigend:

»Ich hatte nicht früher kommen können. Die Hazienda des Don Carena liegt weit draußen.«

»Wir konnten warten. Wenn nur die Nachricht gut für uns ist.«

Der Wirt trat inzwischen an den Tisch und der Mestize bestellte sich auf eine Weisung des Inspektors einen Wein. Als der Wirt sich dann wieder entfernte, fragte der Inspektor sofort:

»Wie ist es nun mit dem Vicomte Duchesse, dem Gaste Eures Don Alonso?«

»Hier hört uns doch niemand?«

»Keine Sorge! Jetzt achtet alles nur auf die Tänzerin. Sprecht nur!«

»Natürlich ist auch der Koffer da, von dem Ihr gesprochen habt. Ich habe ihn selbst gesehen.«

»Und sonst?«

Während der Mestize nun erzählte, tauchte wieder einen Augenblick ein Schatten am Fenster auf; aber diesmal erschien auch ein schmales Frauengesicht mit mattschimmernden Wangen und großen schwarzen Augen, die nur die drei an dem Tische zu suchen schienen. Nur Sekunden währte dies Auftauchen wie ein prüfendes Überzeugen. Dann war der Schatten auch schon wieder verschwunden.

Bild: Ernst Dietrich

Und diesmal war es ebenso unbeachtet wie beim ersten Erscheinen geblieben.

Dabei berichtete der Mestize eben:

»Die Hazienda des Don Carena ist aber wie eine kleine Festung, und wenn Ihr nicht ganz zwingende Machtmittel habt, dann läßt Euch Don Carena gar nicht hinein; er ist einer der mächtigsten hier.«

Droben auf dem Podium saß in sich zusammengekauert die Harfenistin und ließ ihre knochigen Finger, die wie die Krallen eines Raubvogels waren, über die Saiten ihrer Harfe spielen. Eine etwas monotone, aber leidenschaftdurchpeitschte Melodie erklang.

Die Tänzerin, die Peccadilla, sprang auf das Podium. Die Kastagnetten in ihren Händen knatterten und gaben den immer leidenschaftlicheren Takt und das Tempo an.

Sie tanzte.

Laute, lärmende Zurufe begleiteten den Tanz.

Da hielt auch der Mestize etwas inne und folgte den leidenschaftlichen Bewegungen dieses Tanzes, den die Peccadilla besonders beherrschte.

Erst nach einer Pause fügte er dem bisher Berichteten noch hinzu:

»Euer Vicomte Duchesse gilt viel bei dem Don Carena und wenn Ihr nicht ganz bestimmte Beweise in Händen habt, dann jagt Euch Don Alonso mit Hunden aus der Hazienda.«

»Das werden wir kaum fürchten müssen, denn der Haftbefehl steckt in meiner Tasche. Seid Ihr nur sicher, daß der Vicomte auch der ist, den wir meinen.«

»Den Koffer sah ich und gestern hörte ich einmal ein Wort des Don Alonso, wie er zu dem Gaste sagte: Gut, daß gerade ich Euch auffischte.«

Der Inspektor stieß bei der Bemerkung seinen Begleiter an, der eine zustimmende Kopfbewegung machte.

Droben am Fenster erschien wieder flüchtig der Schatten.

Die Peccadilla aber hatte unterdessen ihren Tanz beendet, und als sie jetzt mit einem Hut von Tisch zu Tisch sammeln ging, fielen so manche Silbermünzen hinein.

Stürmisch verlangten viele Zurufe:

»Noch eine Tarantella, schönste Peccadilla!«

Lachend aber wehrte die Tänzerin ab:

»Es geht nicht, anderswo warten sie auch auf mich.«

Als sie mit ihrem offenen Hut zu den Dreien an dem Seitentische kam, ließen auch diese Münzen in den Hut fallen.

Die Alte aber stand unterdessen bereits wartend am Eingang, um dann mit der Tänzerin wieder in eine andere Kneipe weiterzuziehen.

Inzwischen bemerkte der Inspektor:

»Selbstverständlich besinne ich mich keinen Tag mehr länger; ich werde nur vorsichtig genug sein und mir von der hiesigen Polizei eine Unterstützung zusichern lassen.«

Da verließ die Tänzerin mit der Alten, die ihre Harfe mit sich trug, die Kneipe.

Als sie sich aber durch den schmalen Hofraum entfernen wollten, trat mit raschen Schritten eine Fremde, die einen dichten Schleier und eine nach Landessitte gebräuchliche Mantille trug, auf die beiden zu und flüsterte in geheimnisvoller Weise:

»Folgen Sie mir nach! Wenn Sie ein goldenes Armband verdienen wollen, ich kann es verschaffen.«

Die Tänzerin hob den Kopf und schaute mit stechendem Blick in das Gesicht hinter dem Schleier; viel war dabei nicht zu erkennen. Ein feines Gesicht, vornehme Züge, die man sonst an solchen Orten nicht sah. Auch die Stimme hatte eine Betonung, die sofort eine Fremde verriet.

Die Alte, die die Aufforderung ebenfalls hören mußte, schüttelte wie mißbilligend den Kopf; aber die Peccadilla fragte, ohne darauf zu achten:

»Womit wird es verdient?«

»Es ist nichts Schlechtes. Ihre Begleiterin soll silberne Spangen und Ringe bekommen; sie brauche ich auch.«

»Wozu?«

»Es gilt einen Unschuldigen zu retten.«

Nochmals schaute die Tänzerin in das Antlitz der Fremden, als versuchte sie darin die Gedanken zu erraten. Ein schmales Oval. Eine schöne Gestalt, wenn auch in anderem Sinne schön als bei den Frauen ihrer Heimat.

Da warf sie den Kopf hoch, daß er tief im Nacken zu liegen kam, und antwortete:

»Wir kommen mit!«

*

In der Säulenhalle der Hazienda des Don Larena, die in ihrer Bauart an verschiedene maurische Vorbilder erinnerte, stand die hohe Gestalt des Vicomte Duchesse, in der unschwer der einstige Freiherr von Sassen und Direktor Streitter zu erkennen war. Er lehnte an einer der Säulen und blickte mit nachdenklichen Zügen in die üppige, tropische Vegetation des Gartens hinaus.

Da ragten mächtige Palmen hoch und mehrere Kakteen standen in Blüte, deren Blumen in leuchtender Farbenpracht erglühten; ein schwüler, heißer Duft kam von dem Garten her.

Tiefblau und wolkenlos, flimmernd in seiner Glut wölbte sich der Himmel über dieses Bild.

Lange nun schon genoß er die Gastfreundschaft des Don Alonso Carena, und er hatte sich seitdem auch völlig sorglos gefühlt. Zu schnell fast war die Zeit verstrichen. Trotzdem aber furchten sich Falten auf seiner hohen Stirne und grüblerische Gedanken ließen ihn nicht restlos zur Ruhe kommen.

Was ihn aber am meisten quälte, war immer das gleiche Bild, das ihn verfolgte, das schmale Oval eines feingeschnittenen Frauengesichtes mit großen, schwarzen Augen, mit einer blütenzarten, perlmutterschimmernden Haut, mit dünnen, schmalen Lippen von dem Rot des Granatapfels, zwischen denen die Zähne gleich Elfenbein blitzten.

Und er sah dieses Bild bald in dem ungewissen Schein eines spärlichen Lichtes vor seinem Koffer knieend, dann oben auf einem felsigen Berggipfel mit ernsten Blicken auf ihn starrend und zuletzt am deutlichsten mit dem so fremden, weißen Haar, schroff abweisend.

Immer das eine Bild.

Aber war dies letzte auch dies eine?

War jene Lucie Contessa Pregoli-Amati wirklich auch die Daisy Frommel und die Anita Wronker?

Aber wenn diese es wirklich war, wie hatte es dann kommen können, daß diese ihn gewarnt hatte?

Und es konnte doch durch keine andere geschehen sein.

Wie war das möglich? Wie hatte das kommen können?

Sollte diese doch die Wahrheit wissen, die ganze Wahrheit, die doch sonst kein Mensch ahnen konnte, die nur er allein wußte?

Aber daß sie ihn dann gewarnt hatte, durfte er daraus hoffen, was er so gerne hoffen wollte?

In diese Gedanken versunken, achtete er nicht auf die Schritte, die sich ihm von rückwärts her näherten.

»Hier endlich finde ich Sie, Vicomte, und wie immer in grübelnde Gedanken versunken. Was geht nun wieder in Ihnen vor? Können Sie hier auf meiner Hazienda wirklich noch Sorgen und Befürchtungen haben? Glauben Sie den Versicherungen eines Edelmannes nicht, daß Sie hier vor jeder Gefahr behütet sind?«

Vikomte Duchesse hob den Kopf und wandte sich seinem Gastfreunde zu, einem unscheinbaren, kleinen Manne von echt romanischer Lebendigkeit; die Haut seines Gesichtes sah trocken und wie altes, gegerbtes Leder aus, die Augen aber funkelten und die vielen Falten schienen in steter Bewegung.

»Das lernte ich reichlich schätzen, was hier Gastfreundschaft bedeutet. Ich werde diese Tage auch nie vergessen.«

»Warum dann immer dieses Grübeln?«

»Verzeihen Sie, Don Alonso, aber ich denke manchmal an die Zeit, da auch diese Tage zu Ende kommen müssen. Wenn es gilt, mit ähnlichen Worten unseres großen Schillers zu sagen: Die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber.«

»Noch ist es nicht so weit. Und wenn Sie die Tage so schön nennen, so liegt darin die größte Befriedigung für den Gastgeber. Ich selbst freue mich doch über diesen Gast. Als mich auf der Jacht damals der drahtlose Anruf erreichte, da schien mir alles anfangs zu abenteuerlich. Schließlich lockte mich gerade das abenteuerliche, daß ich der Weisung nachkam und Sie von Bord der ›Merkuro‹ holte, ein Wagnis, das ich mit meiner Jacht nur unternehmen durfte, weil der ›Merkuro‹ fast still lag.«

»Hat es Sie schon einmal gereut, daß Sie dem Anruf folgten, Don Alonso?«

»Im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Nur Sie möchte ich fröhlicher sehen! Dafür habe ich gesorgt. Man erzählt, die Peccadilla, eine bekannte Straßentänzerin, sei mit der alten Hexe, der Questada, zu uns herausgekommen. Die Peccadilla gilt als die beste Straßentänzerin, die man in den Kneipen des Hafens findet. Ich selbst habe sie noch nie gesehen; aber was eine richtige Tarantella ist, die können Sie von so einer Straßentänzerin am echtesten und feurigsten sehen. Kommen Sie, Vicomte!«

Dabei unterfaßte er den Vicomte Duchesse und zog ihn mit sich in die Hallen hinein.

Vicomte Duchesse wehrte sich gegen diesen Zwang auch nicht und folgte mit einem gutmütigen Lachen:

»Dagegen wehr' ich mich auch nicht. Ich hörte wohl schon viel von dem Zigeunerdorf bei Brodhegi, aus dem die besten spanischen Tänzerinnen stammen. Solche trifft man hier doch auch?«

»Selbstverständlich. Gerade die Peccadilla ist eine solche und hat die bekannte Tanzschule der großen Almavera besucht. Kommen Sie nur!«

Und die beiden verschwanden darauf im Haus.

*

Don Alonso Carena wandte sich an seinen Gast:

»Wie mir mein Haushofmeister mitteilte, wird die Peccadilla uns einen neuen Tanz zum besten geben, den sie selbst erfunden hat, den Schlangentanz, in dem sie die Rose, die sie von ihrem Geliebten bekommen hat, vor einer Schlange zu retten sucht. Hoffentlich bereite ich Ihnen keine Enttäuschung.«

»Das taten Sie bisher nie und es wird auch diesmal nicht geschehen. Es interessiert mich wirklich, einmal eine echte Straßentänzerin zu sehen.«

»Hier kommt sie ja schon. So häßlich die Alte ist, um so schöner sieht die Peccadilla aus.«

Dabei wies er mit der Hand zur Türe hin, durch die in der bunten Tracht der Heimat die Tänzerin kam, die aber mehrere Schleier trug, die ihr Gesicht und auch den Oberkörper etwas verhüllten und mehr ahnen als sehen ließen.

Ihr folgte die Alte mit der Harfe, die sich sofort in einen Winkel kauerte.

Inmitten des saalartigen Raumes lag ein großer Teppich, auf den die Tänzerin trat und sich gegen die Anwesenden verbeugte.

Da glitten die knochigen Finger ihrer Begleiterin auch schon über die Saiten der Harfe und ließen eine eigenartige, schwermütige Melodie erklingen.

Die Tänzerin aber nahm aus ihrem Gürtel eine Rose, um die sie dann mit langsamen Tanzbewegungen zu werben schien. Bald hielt sie die rote, dunkle Blume zwischen beiden Händen vor sich hin wie in eine Andacht versunken, dann führte sie diese an die Lippen und schien ihr flüsternd etwas zuzuraunen, was nur Zärtlichkeit sein konnte. Dann wieder hielt sie die Rose mit der einen Hand weitausgestreckt vor sich hin und schien in ihren Bewegungen Sehnsucht ausdrücken zu wollen. Inzwischen aber steigerte sich die Melodie zu leidenschaftlicheren Tempis.

Die Bewegungen wurden rascher und berückender, das Werben, das der Rose allein galt, lockender und stürmischer, bis sie auf die Knie niedersank und die Rose mit Küssen überschüttete.

Bild: Ernst Dietrich

Es schien dies wie die Erfüllung eines heißen Liebeswerbens.

Außer Don Alonso Carena und dem Vicomte Duchesse waren im Saal nur noch ein paar Gäste und der Haushofmeister, der die Tänzerin hereingeführt hatte.

Vicomte Duchesse folgte den reizvollen Bewegungen des Tanzes, durch die sich ein geschmeidiger und schlanker Körper verriet.

Dann versuchte er durch die Schleier hindurch das Gesicht zu studieren, das sich ja nur halbenthüllt gab.

Weiche, feine Züge, eine matte, zarte Haut und nur schmale Lippen, tiefschwarzes Haar.

Erst wenn die Schleier sich lösten, konnte es deutlicher zu erkennen sein.

Die schwarzen Augen irrten wiederholt zu ihm hin, als müßte das Werben ihm gelten.

Manchmal schien es ihm auch, als tauchten bei dem Blick in das verschleierte Gesicht Erinnerungen auf.

Da klangen in die Melodie schrille Disharmonien.

Die Tänzerin, die mit der Rose am Mund auf dem Boden kniete, schien jäh zusammenzuschrecken, sprang auf und zeigte durch schreckhafte Bewegungen die Furcht und das Grauen an, das sie packte. Abwehrend streckte sie die eine Hand gegen eine Gefahr aus, die sich ihr vom Boden her zu nähern schien und reckte die Hand mit der Rose hoch, als wollte sie diese schützen.

Leidenschaftlicher wurde das Spiel.

Der Körper der Tänzerin reckte sich, als wollte sie wachsen, um sich so zu erwehren; als strebte an ihrem Körper eine Schlange hoch, so wand sich der Körper der Tänzerin im Grauen; und alle ihre Bewegungen ließen erkennen, daß sie nur die Rose vor diesem Angriff schützen wollte. Schließlich löste sie einen Schleier und schien diesen der Schlange wie ein Opfer zuzuwerfen, die dafür die Rose freigeben sollte. Aber die Angriffe der Schlange schienen nur um so bedrängender zu werden; einen zweiten Schleier gab die Tänzerin preis. Der dritte fiel von dem Gesichte auf den Boden hin, um die Schlange, die sie immer wütender bedrohte, zu beschwichtigen.

Ein leidenschaftliches Spiel war aus.

Mit dem letzten Schleier war nun das Antlitz der Tänzerin frei.

Aber was war das?

Jene unbestimmten Erinnerungen, die sich in den Vicomte Duchesse geregt hatten, als er die Tänzerin durch den Schleier sah, wurden nun erst bestimmter und klarer.

Das Bild! Jenes Bild, das ihn in seinen Gedanken bisher unablässig verfolgt hatte, stand ja nun mit aller Deutlichkeit vor ihm.

Narrte ihn die Phantasie? Gab es eine solche Ähnlichkeit?

Die Tänzerin, die Peccadilla!

Nein, das war das Gesicht der Daisy Frommel, das waren die feinen Züge der Contessa Pregoli-Amati, aber ohne dem Weiß ihres Haares. Das war Anita Wronker!

Aber der Tanz! Die Umgebung! Die Alte mit der Harfe!

Vicomte Duchesse fuhr sich mit der Hand über die Augen, als müßte er einen Schleier fortwischen, der seine Augen trübte.

Aber das Bild blieb.

Ähnlichkeit nur? Oder was sonst?

Wie sollte diese auch hierherkommen?

Unterdessen tanzte die Peccadilla weiter.

Immer bedrohender wurde der Angriff der Schlange, die sich an dem biegsamen, schlanken Körper der Tänzerin immer höher drängte, um dieser die Rose zu entreißen, die diese wie verzweifelt zu verteidigen suchte. Es war ein wundervolles Spiel von Bewegungen und Tanzfiguren, zu denen die alte Zigeunerin auf ihrer Harfe die Begleitung spielte.

Ein Tanz voll Leidenschaft und Schönheit zugleich.

Aber Vicomte Duchesse hatte kein Auge mehr für die Schönheit dieses Tanzspieles, denn seine Gedanken waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt.

Die Ähnlichkeit mit dem Bilde der Daisy Frommel und der Contessa Pregoli-Amati.

War sie es? Wie kam diese in die Hazienda des Don Carena? Und wie in einer solchen Verkleidung? Und was bedeutete dieses Spiel? Hatte sie ihn schon wieder gesucht und gefunden?

Aber wenn sie ihn damals auf dem Schiffe als die Contessa Pregoli-Amati gewarnt hatte, was wollte sie nun?

So jagten und hasteten die Gedanken in dem Vicomte.

Unterdessen ging das Tanzspiel seinem Ende zu.

Die Tänzerin schien keine Hilfe mehr zu wissen, sie streckte sich wie in äußerster Not, stieß einen Schrei aus und schleuderte die Rose, um sie wenigstens vor der Schlange zu retten, weit von sich und brach darauf wie erschöpft zusammen.

Die Rose aber fiel wie in gewollter Absicht auf den Vicomte Duchesse zu, daß er sie auffangen mußte.

Sofort setzte ein begeisterter Beifall ein, ein lauter Jubel, bei dem die Gäste der Hazienda aufsprangen; der Vicomte aber hielt zuerst wie verwirrt die Rose in seiner Hand, bis er die plötzliche Entdeckung machte, daß um den Stiel dieser Rose ein schmaler Papierstreifen gebunden war. War dies Absicht? Galt dieser ihm?

Rasch flogen seine Augen zur Tänzerin hin, die sich vor den Huldigungen der Gäste nach Landessitte verbeugte.

Hastend löste er nun den Papierstreifen, rollte ihn auf und bemerkte dabei schon, daß auf diesem Schriftzeichen waren, offenbar eine Mitteilung für ihn.

Endlich lag der Streifen offen in seiner Hand.

Seine Augen irrten über die Worte hin:

»Hüten Sie sich und fliehen Sie; Inspektor Wendland auf der Spur des Doktor Steffen, folgt mir auf den Fersen, höchste Gefahr.«

Wieder eine Warnung wie auf dem »Merkuro«. Und gerade von ihr, von der er sich doch am meisten bedroht glauben mußte.

Wie war das denkbar?

Sollte sie doch die letzte Wahrheit wissen, das letzte Geheimnis?

Wo war sie?

Aber schon sah er sie nicht mehr, denn die Tänzerin hatte mit ihrer Begleiterin wieder den Saal verlassen.

Es mußte Anita Wronker sein!

Da klang dicht neben ihm der begeisterte Zuruf des Don Alonso Carena.

»Versprach ich Ihnen zu viel? War das nicht ein wundervoller Tanz?«

Aber der Vicomte Duchesse hatte in diesem Augenblick keinen Sinn für solche Fragen; nur ein Verlangen lebte in ihm:

»Wo ist sie? Ich muß die Tänzerin sprechen?«

»Sie können diese noch im Garten finden. Aber was wollen Sie von ihr? Abenteuer mit solchen Straßentänzerinnen sind meist nicht gefahrlos.«

Aber der Vicomte hörte auch die Warnung nicht mehr, denn er war bereits nach der bezeichneten Richtung davongeeilt, um diese noch zu erreichen.

Und im Garten sah er noch die Gestalten der beiden, der Alten und der angeblichen Peccadilla, die rasch fortzukommen suchten.

Mit raschen Sprüngen eilte der Vicomte nach und bald hatte er sie eingeholt.

Hochaufgerichtet blieb die Tänzerin auf seinen Anruf stehen. Und als er dabei in ihre Augen sah, da erst wußte er, daß er sich nicht geirrt hatte, daß er der gegenüberstand, die bisher seiner Flucht überallhin nachgefolgt war.

Jetzt gab es auch kein Ausweichen mehr, jetzt mußte die Entscheidung fallen.

Und so war dies auch sein erstes Wort:

»Also doch! Sie sind es!«

Ein stolzes Nicken, dem aber die Antwort mit einer weichen Stimme folgte:

»Ja, ich bin es!«

»Und Sie warnten mich?«

»Konnte ich noch etwas anderes tun?«

»Sie taten es auch auf dem Schiffe?«

»Auch dort!«

»Aber warum? Sie suchten doch den Mörder?«

Hier zuckte um das schmale, feine Oval ihres Gesichtes ein leichtes Lächeln, und dann die Antwort:

»So habe ich begonnen, aber dann kam die Wandlung! Ich weiß jetzt alles, alles!«

»Und von diesem Augenblicke an suchten Sie mich nur zu retten?«

»Mußte ich das nicht tun, da ich alles wußte?«

»Und ich? Was soll ich tun?«

»Fliehen, sofort fliehen, ehe der Inspektor eintrifft.«

»Ja, ja! Das will ich, aber jetzt nur noch gemeinsam mit Ihnen, denn vielleicht bin ich jetzt mit Ihnen am besten geschützt.«

*

Ungeduldig schritt Inspektor Wendland auf und nieder, während seine beiden Begleiter, ein Kriminalbeamter und ein Polizist der Landesabteilung, auf Stühlen saßen.

Bereits eine Viertelstunde war verstrichen, daß man ihn warten ließ.

Da trat endlich Don Alonso Carena in das Zimmer.

Auf seine Frage antwortete der Inspektor:

»Bei Ihnen befindet sich doch ein Gast namens Vicomte Duchesse. So wurde mir wenigstens berichtet.«

»Er war mein Gast, das stimmt.«

»Kann ich ihn sprechen.«

»Ich sagte Ihnen doch, er war mein Gast. Diesen Morgen ist er abgereist.«

»Wie?«

Der Inspektor starrte den Don Carena mit offenem Munde an.

»Allerdings, diesen Morgen.«

Der Inspektor preßte die Lippen aufeinander. Sollte ihm der, den er nun ganz sicher zu haben glaubte, abermals entschlüpft sein?

»Wohin?«

»In die Berge. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, so daß ich Ihnen auch keines angeben kann.«

»Kommt er wieder zurück?«

»Nein! Er hat ja auch alles mitgenommen.«

»War da ein Rohrplattenkoffer dabei? Gelbbraun?«

»Gewiß! Und mit Messingbeschlägen.«

»Das ist er. Ich muß ihn noch einholen, ich muß ihn finden. Welchen Weg nahm er? War er allein?«

»Mit zwei Begleitern ist er fort und auf Pferden. Sie wollten wahrscheinlich über den Quaranteropaß in das Belmontetal; es kann aber auch sein, daß sich der Vicomte für den Weg über die Hacienda del Oro entschied.«

»Aber das Endziel, das muß ich wissen!«

»Er sprach von Almavilla.«

»Gut, gut! Jetzt darf nicht eine Minute mehr zwecklos versäumt werden. Sie entschuldigen, Don Alonso Carena.«

»Natürlich, aber wollen Sie sich nicht näher erklären? Was ist denn los?«

»Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht durch lange Reden versäumen darf. Dieser angebliche Vicomte Duchesse ist ein Verbrecher, der noch immer entschlüpfte. Jetzt darf es nicht mehr geschehen. Und das ist nur möglich, wenn ich jede Minute ausnütze.«

»Dann allerdings will ich kein Hindernis im Wege sein.«

Und Don Alonso Carena machte gegen den Inspektor eine verabschiedende Verbeugung.

Inspektor Wendland erwiderte diese und wandte sich darauf gegen seine beiden Begleiter, die sich inzwischen erhoben hatten und verließ dann das Zimmer.

Don Alonso Carena blieb allein zurück, und über sein verwittertes, faltiges Gesicht zuckte ein überlegenes Lächeln, während er vor sich hinmurmelte:

»Auf dem Wege werden sie nichts finden; ich glaube, daß ich auch hier wieder meine Aufgabe richtig erfüllte.«


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