Björnstjerne Björnson
Kapitän Mansana
Björnstjerne Björnson

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II.

Auf dem Rückwege wurde in allem, was ich erlebt, nicht die wunderbar ergreifende Gestalt der Mutter, sondern das trotzige Gesicht des Bersagliere-Offiziers, seine hohe, geschmeidige Figur und sein Athletengang dasjenige, was sich meiner Erinnerung am meisten aufdrängte. Und so kam es, daß ich nach ihm fragte. Da merkte ich zu meiner Überraschung, daß gerade die verwegenen Thaten dieses Sohnes die Aufmerksamkeit wieder auf den Vater gelenkt und jene verspäteten Ehrenbezeugungen hervorgerufen hatten, welche man nun seinem Andenken erwies.

Ich hatte an etwas echt Italienisches gerührt. Der Vater, die Mutter, die Redner, der Empfang, die Naturschönheit, welche während dieser letzten Feierlichkeit auf dem Kirchhofe lag, die Flammen rings auf den Felsen umher, – von alle dem kein Wort mehr. Bis wir in Rom schieden, unterhielten wir uns von nichts anderem, als von den Geschichten des Bersagliere-Offiziers.

Schon als Knabe war er mit Garibaldi gezogen und hatte in so hohem Grade dessen Gunst gewonnen, daß er später von ihm und den Freunden des Vaters auf einer Kriegsschule war unterhalten worden.

Noch ehe er eine Abgangsprüfung bestanden, wurde ihm schon, wie damals so vielen in Italien, ein Kommando anvertraut und er hatte sich gleich derartig ausgezeichnet, daß er bald eine feste Bestallung erhielt. Noch ehe es zur Schlacht gekommen, trug eine einzelne That seinen Namen über ganz Italien hin.

Er befand sich auf einem Kundschafterzug; da bog er ganz zufällig und ohne Begleiter auf einen bewaldeten Hügel ab, hinter welchem er plötzlich im Dickicht ein Pferd und gleich darauf ein zweites bemerkte; er ging näher, erblickte einen Reisewagen, ging noch weiter und sah eine Gesellschaft, eine Dame mit zwei Dienern im Grase gelagert. Er erkannte sie sogleich. Die Dame war am Tag zuvor zur Avantgarde gefahren gekommen und hatte vor dem Feinde, den sie fürchtete, Zuflucht gesucht. Man hatte sie passieren lassen, und nun war sie auf anderem Wege wieder umgekehrt und rastete mit ihren Dienern hier! Die Pferde schienen übel zugerichtet; sie waren offenbar die ganze Nacht gelaufen und zwar so stark, daß sie nun nicht weiter konnten, ohne erst zu ruhen. All' dies faßte Mansana so zu sagen mit einem einzigen Blicke auf.

Es war ein Sonntagsmorgen, die italienischen Truppen hielten Rast; die Messe war soeben zu Ende und man kochte ab, als die Vorposten den jungen Mansana mit einer Dame vor sich auf dem Sattelknopf und zwei ledigen Pferden, welche am Sattel befestigt waren, heransprengen sahen. Die Dame war eine feindliche Spionin, ihre »Diener,« zwei feindliche Offiziere, lagen verwundet im Walde; die Dame war gleich wieder erkannt worden und Tausende von Kehlen erwiderten Mansanas »Evviva!« Man brach auf; der Feind mußte ganz in der Nähe sein und bald fand man, daß nur diese Geistesgegenwart Giuseppe Mansanas die Avantgarde vor einem Hinterhalt gerettet hatte.

Ich werde von ihm noch einige Geschichten erzählen; damit man aber dieselben verstehe, muß ich vorausschicken, daß Mansana allgemein für den ersten Turner und Fechter der Armee galt; ich vernahm früher und später darüber nur diese eine Meinung.

Unmittelbar nach dem Kriege lag er zu Florenz in Garnison. Da erzählte man eines Tags in einem Offizierskaffeehause, daß ein belgischer Offizier, welcher vor ein paar Wochen mit ihnen hier gewesen war, in Wirklichkeit in päpstlichem Dienste stehe und sich nun in Rom über die italienischen Offiziere lustig mache, welche ihm bis auf wenig Ausnahmen bloß als unwissende Paradedocken erschienen seien, deren hervorragendste Eigenschaft kindische Eitelkeit scheine.

Dies erweckte heftigen Unwillen unter den Offizieren der Garnison von Florenz, und schnurstracks vom Kaffeehaus, in welchem dieses erzählt worden, ging der junge Mansana zu seinem Obersten hinauf und verlangte einen sechstägigen Urlaub. Derselbe ward ihm auch gewährt. Nun begab er sich nachhause, kaufte sich Civilkleider und machte sich auf der Stelle und auf dem kürzesten Wege nach Rom auf.

Durch die Wälder gelang es ihm, die Grenze zu passieren und am dritten Tage stand er im Offizierskaffeehaus auf der Piazza Colonna in Rom, wo er zugleich den belgisch-päpstlichen Offizier erblickte. Er näherte sich ihm und bat ihn leise, mit hinaus zu kommen. Hier sagte er ihm, wer er sei, ersuchte ihn einen Freund mitzunehmen und ihm vors Thor zu folgen; er müsse in einem Duell der italienischen Offiziersehre Genugthuung geben. So offen und vollständig vertraute er sich der Ehre dieses Mannes an, daß dieser nicht ausweichen konnte. Er holte sich sogleich einen Freund heraus und drei Stunden später war er eine Leiche. Aber der junge Mansana begab sich wieder durch die Wälder auf den Heimweg. Nicht durch ihn wurde es Florenz bekannt, wo er in der Zwischenzeit gewesen, sondern von Rom aus verbreitete es sich, und er büßte es mit längerem Arreste, daß er ohne Erlaubnis die Stadt verlassen hatte, ja, sogar in fremdem Lande gewesen; doch als er herauskam, bereiteten die Offiziere ihm ein Festmahl und der König gab ihm ein Ehrenzeichen.

Kurz nachher lag er in Salerno. Der Schmuggel hatte an der Küste stark überhand genommen und die Truppen halfen demselben Einhalt thun. In Civilkleidung geht Mansana auf Kundschaft aus und schnappt in einer Osteria die Nachricht auf, daß ein Fahrzeug mit verbotener Ware außer Sehweite draußen liegt und unter dem Schutze der Nacht dem Lande nahen will. Mansana begiebt sich nachhause, kleidet sich um, wählt sich zwei Männer aus und diese drei rudern nun gegen Abend in einem kleinen, leichten Bote hinaus. Ich hörte diese Geschichte erzählen und an Ort und Stelle bekräftigen; ich habe sie seither von anderen vernommen und sie bei einer späteren Gelegenheit in Zeitungen gelesen; doch es bleibt dessen ungeachtet unfaßlich, wie Mansana, mit seinen zwei Mann auf den Lugger enternd, 16 – sage sechzehn – Mann zwang, ihm zu lüstern und das Schiff in der Rhede anzulegen!

Nach der Einnahme von Rom, bei welcher er wieder dabei war, und wo er namentlich bei der bald darauf erfolgenden Überschwemmung Wunder geleistet, in Rom saß er eines Abends in demselben Kaffeehaus, vor welchem er einst den belgisch-päpstlichen Offizier herausgefordert. Da hörte er einige Kameraden, welche eben aus einer Gesellschaft kamen, von einem Ungarn erzählen, welcher wohl zu sehr dem italienischen Weine zugesprochen und in der Begeisterung so sehr mit seinen Landsleuten geprahlt hatte, daß ein leiser Widerspruch ihn schließlich dazu getrieben, zu behaupten, es möchten leichthin drei Italiener auf einen Ungarn gehen! Alle Offiziere lachten und die Erzähler mit, alle – bis auf Mansana.

»Wo wohnt der Ungar?« fragte er. Dies kam ganz gleichgültig; er sah weder auf, noch nahm er die Cigarette aus dem Mund. Man hatte den Ungarn gerade nachhause begleitet; also erfuhr Mansana die Adresse sogleich. Er erhob sich.

»Gehst du?« fragte man.

»Natürlich,« antwortete er.

»Ja doch nicht zum Ungarn?« meinte einer gutmütig.

»Wohin sonst?« versetzte Mansana und ging.

Die anderen standen gleichfalls auf und folgten ihm. Auf dem Wege suchten sie ihn zu überzeugen, daß man von einem Trunkenen nicht Rechenschaft fordern könne.

»Fürchtet nichts,« erwiderte Mansana; »ich werde ihn demgemäß behandeln.«

Der Ungar wohnte im »primo piano,« wie der Italiener sagt, d. h. im zweiten Stockwerk eines großen Hauses zu Fratina. Vor den Fenstern des ersten Stockwerks (Hochparterre) sind in allen italienischen Städten Eisenstangen angebracht; diese packte Giuseppe Mansana, schwang sich an denselben hinauf und stand bald auf dem Balkone vor der Kammer des Ungarn. Er schlug die Scheiben des Balkonfensters ein, sperrte auf und verschwand. Drinnen wurde Licht angezündet, dies sahen die Kameraden, welche unten standen. Was sonst vorging, konnten sie nicht unterscheiden; sie hörten keinen Lärm und Mansana hat es nie erzählt. Allein nach ein paar Minuten kam er mit dem Ungarn, letzterer nur im Hemde, heraus auf den Balkon und hier erklärte der Ungar in gutem Französisch, daß er heute abends betrunken gewesen sei und nun wegen dessen, was er im Rausche gesagt, um Verzeihung bitte; natürlich sei ein Italiener ebensoviel wert wie ein Ungar.

Mansana kam auf demselben Weg herab, auf welchem er hinaufgestiegen.

Größere und kleinere Geschichten aus dem Kriegs – wie aus dem Gesellschafts- und Garnisonsleben hagelten auf uns nieder, und darunter mehrere Wettlaufsgeschichten, welche von einer Ausdauer im Laufen zeugten, wie mir ähnliches nie zu Ohren gekommen; allein ich denke, die schon erzählten geben das volle Bild eines Mannes, dessen Geistesgegenwart, Mut, Ehrliebe, dessen Leibeskraft und Energie, Geschicklichkeit und Schlauheit in hohem Grade die Erwartung spannen, was er in der Zukunft noch ausrichten werde, – aber uns gleichzeitig mit Sorge erfüllen.

Wie Giuseppe Mansana im folgenden Winter und Frühling das Interesse Tausender beschäftigte, und darunter auch das des Erzählers, dies wird aus der Erzählung selbst zur Genüge hervorgehen.


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